Verlassene Orte der Erwachsenenbildung in Deutschland / Abandoned Places of Adult Education in Canada
Summary
This volume focuses on abandoned places of adult education in Germany and Canada. The chapters contribute to keeping the memory of the discipline alive and explore what we can learn from the fate of these places for the future.
Excerpt
Table Of Contents
- Cover
- Titel/ Title
- Copyright
- Autoren-/Herausgeberangaben / About the author(s)/editor(s)
- Über das Buch / About the book
- Zitierfähigkeit des eBooks / This eBook can be cited
- Inhaltsverzeichnis & Table of Contents
- Teil I Verlassene Orte der Erwachsenenbildung in Deutschland
- Einführung (Bernd Käpplinger)
- Burgen, Schlösser und Baracken – legendäre Orte der Erwachsenenbildung in der Weimarer Zeit (Paul Ciupke)
- Die Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung (Klaus Heuer)
- Schule der Arbeit in Leipzig – ein Rückblick in Bildern (Anke Grotlüschen)
- Die vergessene Geschichte der Frankfurter Volkshochschule? Eine Leitinstitution der Erwachsenenbildung im Spiegel der erziehungswissenschaftlichen Hermeneutik (Nikolaus Meyer / Dieter Nittel / Georg Ebbing)
- Das Ende der Heimvolkshochschule Falkenstein im Strudel der Interessen – Ein Mythos erneut aufgesucht (Bernd Käpplinger)
- Erfahrbare Bildungsarchitektur: Das Alvar-Aalto-Kulturhaus in Wolfsburg (Gernot Graeßner)
- Das Kieler Forum Weiterbildung, ein Ort der Kooperation und Beratung (Josef Mikschl / Gerd Neuner / Lothar Viehöfer)
- Part II Abandoned Places of Adult Education in Canada
- Introduction (Maren Elfert)
- Displacement, Dilution and Demise: The History and Fate of the Coolie Verner Memorial Reading Room at the University of British Columbia (Shauna Butterwick / Maren Elfert / Thomas J. Sork)
- Extension in a Box: The Creation and Dispersal of the Little Library that Fed the Study Clubs of the Antigonish Movement (Catherine J. Irving)
- A Digital Bridge to the World: Adult Education, New Technologies and the National Adult Literacy Database (Suzanne Smythe)
- Autorinnen und Autoren / Authors
- Reihenübersicht / Series index
Verlassene Orte der Erwachsenenbildung in Deutschland
„Verlassene Orte“ oder „Lost Places“ wecken weltweit seit einigen Jahren großes Interesse. Es gibt im Internet national und international unzählige Internetseiten mit fotografischen Dokumentationen solcher Orte. Es wirkt etwas paradox, dass man eigentlich das Interesse an diesen Orte und ihrer ursprünglichen Nutzung verloren hat, aber sie nun mit ihrem morbiden Charme neu entdeckt werden. Ihre besten Zeiten der intensiven Nutzung haben sie zumeist lange hinter sich gelassen: Es können Wohnhäuser, Industrie-/Ferienanlagen, Kurhäuser/Sanatorien, Krankenhäuser, Bahnhöfe/Häfen, Hotels oder Villen sein. Sie zeugen als architektonische Artifakte auch noch heute von ihrer Vergangenheit und Nutzung in den jeweiligen Epochen. Sie berichten uns Geschichte und Geschichten – zumindest meinen wir diese heute zu hören beim Besuch oder bei der Ansicht.
Es wäre kulturwissenschaftlich interessant, dieses große Interesse an den Verlassenen Orten noch eingehender in seiner Motivlage zu erkunden und zu erforschen. Gründen die Motive in wehmütiger Nostalgie? In einer fast voyeuristischen Lust am Morbiden? Sind es Zeitgenossen, die sich an diese Orte erinnernd zurücksehnen? Oder die nächsten Generationen, die eher interpretierend bis zuschreibend in diesen verlassenen Orten etwas fern des eigenen Erlebens erkennen, was eine Resonanz für sie im Heute hat? Das Feuilleton sieht besonders „in unsicheren Zeiten Menschen nostalgisch werden“ (Jiménez 2013), wo depressive Stimmungen aufgehellt würden durch die emotionale Flucht in die Vergangenheit. Auch Marketingstrategien von Konzernen setzen auf das Spiel mit der Vergangenheit und Nostalgie, wenn durch Retrowellen Kleidermoden vergangener Zeiten wiederentdeckt werden. Gerade in unseren westlichen Gesellschaften mögen die vermeintlich so geordneten Welten des Kalten Krieges mit seinen klaren zwei Fronten leicht einer Romantisierung der Nachgeborenen Anlass geben. Wie viel dies mit der tatsächlich erlebten Vergangenheit zu tun hat, mag etwas ganz anderes sein.
Alles in allem gibt es eine Reihe an Gründen sich differenziert und durchaus kritisch mit dem Interesse am Vergangenem zu befassen. Vielleicht sagt diese nostalgische Beschäftigung manchmal mehr über uns selbst sowie unsere Zeit aus und weniger über das Vergangene, das nicht an sich interessiert, sondern nur als eine Art Projektionsfläche dient, wo heutige Wünsche und Mangelgefühle in die Vergangenheit projeziert werden, wo dies schon erreicht gewesen wäre? ← 9 | 10 →
Dies kann und soll hier aber nicht geklärt werden. Es wird in diesem Buch um verschiedene Verlassene Orte der Erwachsenenbildung in Deutschland und Lost Places of Adult Education in Kanada gehen. Das Thema Raum und Architektur hat in der Erwachsenenbildung zumindest eine große Relevanz in den letzten Jahren (z.B. Buiskool et al. 2005, Stang 2006, 2010, Käpplinger 2016, Kraus 2015, Ebsen-Lenz, DVV 2017, Krämer/Lichte 2015). Älter ist das Interesse, sich aus disziplinärgeschichtlichen Gründen mit dem Vergangenen zu befassen. Dies ist auch durchaus im Sinne einer „Tradition, die verpflichtet“ gemeint (vgl. Feidel-Mertz 1995), die zur Entwicklung und Pflege eines erwachsenenpädagogischen, professionellen Habitus beiträgt (Gieseke 2010).
Die Idee zu diesem Buch ist aus einem eher zufälligen bzw. beiläufigen Besuch eines Verlassenen Ortes als Zwischenstopp auf einer Reise am Wochenende ohne Zeitdruck entstanden. Dies ist nicht Ironie, da hier erst die Entschleunigung Altes ← 10 | 11 → neu entdecken ließ. Mit der ehemaligen Heimvolkshochschule Falkenstein handelt es sich eindeutig um einen solchen „Verlassenen Ort“, da das Haus seit rund zwei Dekaden leer steht.1
In der Folge nahm die Buchidee konkrete Formen an und diese Fragestellungen wurden an die Autorinnen und Autoren gerichtet, um ähnliche Suchbewegungen anzuregen:
• Warum wurden diese Orte aufgegeben bzw. mussten verlassen werden?
• Was kann man davon für heute und morgen lernen, damit aktuelle Lernorte nicht ein ähnliches Schicksal ereilt? Worauf ist zu achten?
• Inwiefern wirken diese Orte und die dort gemachten Lernerfahrungen heute weiter? Inwiefern müssten die Ideen der damaligen Lernorte in die heutige Zeit adaptiert werden?
Im Rahmen der Arbeit an dem Buch erfuhr ich über die Geschichte des Coolie Verner Reading Rooms (Krolak 2015) und damit erweiterte sich der Fokus auf Kanada, ohne hier einen Vergleich jenseits von Juxtaposition nun zu wagen. Maren Elfert war immens hilfreich dabei, Zugänge zu kanadischen Kolleginnen und Kollegen herzustellen, so dass sich eine gemeinsame Herausgeberschaft anbot bzw. eine adäquate Repräsentation unserer gemeinsamen Arbeit darstellt. Zwischenzeitlich gab es auch Überlegungen, den Fokus über beide Länder hinaus zu richten. Der frühere Lernort der Highlander Folk School in Tennessee, die u.a. Myles Horton begründete und wo Rosa Parks und Martin Luther King lernten, war ebenso im Gespräch wie das ESREA Secretariat von Barry Hake an der Universität Leiden oder generell die universitäre Andragology in den Niederlanden (Hake 1992) oder die Nordens Folkliga Akademi in Göteborg, deren Gebäude heute als Altenheim fungiert. Mit der zunehmenden Historie der formalen und non-formalen Erwachsenenbildung steigt auch die Potentialität von verlassenen Orten. Im deutschen Kontext wiederum erklärten sich einige Autorinnen und Autoren bereit Artikel zu verfassen, die aus unterschiedlichen Gründen dann leider doch nicht zustande kamen. So war die Heimvolkshochschule Göhrde eigentlich schon fest eingeplant wie auch das Institut für Erwachsenenpädagogik in Leipzig, andere Lernorte in der DDR bzw. den Wendejahren oder die Evangelische Akademie in Mühlheim. Insofern eröffnen die Beiträge in diesem Band Perspektiven und Anregungen, die eine Fortsetzung finden könnten. ← 11 | 12 →
Einführend lässt sich zu den Beiträgen in diesem Sammelband einiges anmerken. Paul Ciupke beschäftigt sich schon lange intensiv sowohl mit Lernorten als auch generell mit der Geschichte der Erwachsenenbildung. Sein Beitrag gibt hier wichtige Einblicke in die Zeit nach 1919 und die Literaturliste bietet vielfältige Recherchemöglichkeiten bei seinen Beiträgen. Besonders bemerkenswert ist diese Folgerung in seinem Text: „Diese Orte schrieben sich in die Biografien mancher Zeitgenossen ein.“ Es macht deutlich wie wichtig bestimmte Lernorte für Menschen sein und dass namhafte Menschen durch diese Lernorte geprägt werden können, was leicht vergessen wird.
Die Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung in Berlin steht schon lange nicht mehr und sie hatte auch nur eine relativ kurze Geschichte. Das Gebäude nah zum Mauerstreifen wurde in der DDR abgerissen und die Nationalsozialisten hatten diese Einrichtung zuvor geschlossen, die als ein Vorläufer des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) angesehen werden kann. Heute steht das Abgeordnetenhaus des Deutschen Bundestags mit seiner Bibliothek am nahezu gleichen Ort in Berlin, wo dieses Forschungs- und Fortbildungsinstitut seinen Sitz hatte.
Auf die Schule der Arbeit in Leipzig als Teil der sogenannten Leipziger Richtung schaut Anke Grotlüschen zurück. Gespeist von Bildern und Eindrücken von einer eindrücklichen Studienreise und Recherchen berichtet sie über dieses Haus und Konzept, was ebenfalls durch die Kulturschande der Nationalsozialisten sich nicht entfalten konnte und dem so keine Dauer beschieden war. Das Gebäude im Bauhausstil ist heute in privater Nutzung. Sie reflektiert hierbei auch die persönlich nachhaltige Wirkung und Lesart, die sie mit der Studienreise verbindet.
Nikolaus Meyer, Dieter Nittel und Georg Ebbing thematisieren anhand ausgewählter Fotos die sich wandelnden Hauptstandorte der Frankfurter Volkshochschule über rund 100 Jahre hinweg, sodass es hier sogar mehrere verlassene Orte gibt, die analysiert werden. Es werden unterschiedliche Lesarten angeboten, wie diese Geschichte des Wandels und der Veränderung interpretiert werden kann. Eine Lesart des Verlusts ist dabei nur eine Perspektive, die in Multiperspektivität eingenommen wird.
Die seit Dekaden leerstehende Heimvolkshochschule Falkenstein diskutiert Bernd Käpplinger hinsichtlich möglicher Lehren für die Zukunft. Es wird argumentiert, dass diese Einrichtung aus verschiedenen Gründen geschlossen wurde. Vieles weist dabei auf Strukturen und Prozessen hin, die stellenweise nur partiell etwas mit der Bildungsarbeit in Falkenstein selbst zu tun hatten. Differenzierungen zwischen den sogenannten Falkensteinseminaren und der Heimvolkshochschule Falkenstein werden vorgenommen. ← 12 | 13 →
Gernot Graeßner stellt autobiografische - und wie er selbst sagt emotionale - Bezüge zum Alvar-Aalto-Kulturhaus in Wolfsburg her, wo er selbst arbeitete. Dabei entdeckt er, dass das Haus – zumindest partiell – weiterhin bzw. erneut als Haus der Erwachsenenbildung u.a. im Kontext der Arbeit mit Geflüchteten sowie als Bibliothek genutzt wird. Insofern mögen manche verlassene Orte nicht so verlassen sein wie sie scheinen bzw. verlassene Orte können sogar wiederentdeckt werden. Eine komplette Renaissance dieses Hauses, gebaut von einem namhaften Architekten, ist jedoch unwahrscheinlich anhand von Neubauplänen und auch veränderten Raumbedarfen.
Details
- Pages
- 200
- Publication Year
- 2018
- ISBN (PDF)
- 9783631761496
- ISBN (ePUB)
- 9783631761502
- ISBN (MOBI)
- 9783631761519
- ISBN (Hardcover)
- 9783631757352
- DOI
- 10.3726/b14378
- Language
- German
- Publication date
- 2018 (July)
- Keywords
- Weiterbildung Lernort Geschichte
- Published
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018., 199 S., 30 farb. Abb., 10 s/w Abb.