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Tomás García Luna: Gramática General (1845)

Kommentierte Edition mit einer Einleitung versehen von Isabel Zollna

von Isabel Zollna (Autor:in)
©2022 Andere 298 Seiten

Zusammenfassung

Durch diese kommentierte Edition mit Namensregister werden die Wissenshorizonte und erkenntnistheoretischen Diskurse im Spanien des 19. Jahrhunderts deutlich. García Luna reflektiert in seinem explizit eklektischen Ansatz kritisch die Idéologie von Destutt de Tracy unter Einbeziehung der sich neu etablierenden historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft als auch der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse (Bestimmung des Erdzeitalters, Schädellehre etc.). Im Vordergrund steht dabei das Verhältnis von Denken und Sprechen, von Geist und Materie. Alle Zitate wurden durch die Originale ergänzt und mit Quellenangaben versehen; das Namensregister gibt ein umfassendes Bild des philosophisch-philologischen Wissenshorizonts. In der Einleitung wird der historisch-soziale Kontext umrissen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Tomás García Luna in Cádiz
  • 1.1. Das Colegio San Felipe Neri
  • 1.2. Das Ateneo von Madrid
  • 2. Die Gramática general ó filosofía del lenguaje in den Lecciones de filosofía ecléctica (1843–1845)
  • 2.1. Die Tradition der Grammaire Générale und der historische Kontext: Grundannahmen, Einflüsse
  • 2.2. Geist und Materie
  • 2.3. Aufbau der Gramática General
  • 2.4. Die Herleitung der Wortarten und die Paraphrase
  • 2.5. Sprachvielfalt und die lengua ideal
  • 3. Edition
  • GRAMATICA GENERAL
  • LECCION VEINTE Y CINCO
  • LECCION VEINTE Y SEIS
  • LECCION VEINTE Y SIETE
  • LECCION VEINTE Y OCHO
  • Del verbo
  • LECCION VEINTE I NUEVE
  • De los modos
  • De los tiempos
  • LECCION TREINTA
  • Del adverbio
  • Preposiciones
  • Las conjunciones
  • Del adjetivo conjuntivo ó pronombre relativo
  • De la interjeccion
  • LECCION TREINTA Y UNA
  • LECCION TREINTA Y DOS
  • NOTA A LA LECCION XXXII
  • PROLOGO
  • PUEBLOS
  • LECCION TREINTA Y TRES
  • Del idioma filosófico ó lengua perfecta
  • LECCION TREINTA Y CUATRO
  • De los signos permanentes ó de la escritura
  • De la escritura silábica y de la alfabética
  • NOTA FINAL
  • HE AQUI EL ESTRACTO DE ALGUNOS ARTICULOS
  • Orrígenes orientales
  • PRONOMBRES
  • VERBOS
  • Literatur
  • Namensregister
  • Reihenübersicht

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Einleitung

Eine spanische Allgemeine Grammatik des 19. Jahrhunderts neu herauszugeben, zumal sie auch online zur Verfügung steht, mag verwundern, könnte man doch meinen, dass zu den Universalgrammatiken des 17. bis frühen 19. Jahrhunderts, die vor allem ab den 1970er bis in die 1990er Jahre auf sehr großes Interessen gestoßen waren, eigentlich alles gesagt ist. 1 Außerdem galt und gilt auch heute noch die spanische Auseinandersetzung mit dieser Tradition der Sprachphilosophie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein vielen Zeitgenossen als „verspätet“, als ein „Hinterherhinken“. Dieses Festhalten an einer universalistischen Perspektive auf Sprachstrukturen entsprach nicht dem „Zeitgeist“, zeigt aber in dem hier ausgewählten Werk von García Luna den, wenn man so will, „spanischen Zeitgeist“. Durch diese kommentierte Ausgabe seiner Gramática General (1845) sollen vor allem die Diskurstraditionen und Wissenshorizonte im Spanien des 19. Jahrhunderts und deren Vermittlung an eine interessierte Öffentlichkeit vorgestellt werden. In diesem historischen Moment eine philosophische Grammatik zu schreiben, wirkt zwar aus damaliger französischer oder deutscher Perspektive wie aus der Zeit gefallen, stellt aber in Spanien eine moderne und fortschrittliche Bewegung dar, die eng mit Bildungsreformen und neuen, der Aufklärung verpflichteten Studien- und Lehrinhalten verbunden ist. In den Phasen der Liberalisierung entstehen Lehrstühle für Allgemeine Grammatik und Ideología, in den Restaurationsphasen werden sie geschlossen, und die Publikationen zu diesen mit der Spätaufklärung und Französischen Revolution verbundenen Inhalten gehen erheblich zurück.2 Vor allem die vier ←9 | 10→Bände von Destutt de Tracy (1754–1836) stehen im Zentrum der spanischen Rezeption3; sie enthalten ein (revolutionäres) Bildungsprogramm, das für die in der Revolution gegründeten Écoles centrales gedacht war4. Die Grammaire générale als Anleitung zum Denkenlernen anhand des Verstehens von Sprachstrukturen nimmt eine zentrale Stelle ein; Napoléon schafft diese Schulen samt Lehrprogramm 1804 ab und etabliert wieder die Lycées mit ihren traditionellen Lehrinhalten wie z.B. Rhetorik. Idéologie und Grammaire génerale werden im Spanien des 19. Jahrhunderts sowohl mit Revolution und Materialismus, aber auch mit Reform, Bildung, Moderne und Liberalismus verbunden.

Am Beispiel García Lunas soll deutlich werden, dass diese so oft erwähnte „verspätete“ spanische Rezeption des Sensualismus und seiner Sprachtheorie nicht automatisch als Rückwärtsgewandtheit aufgefasst werden sollte, die ja insinuiert, dass man Neues gar nicht wahrnimmt, sondern eher als das Festhalten an einer universalistischen Perspektive verstanden werden muss. In dieser Perspektive wird das Verhältnis von Denken und Sprechen, das in der sich neu formierenden Psychologie weiterhin eine zentrale Stellung ←10 | 11→einnimmt, als Erkenntnislehre (Kognitionswissenschaft) verstanden. Besonders im Falle García Lunas kann man sehen, dass die neueren Entwicklungen wie z.B. die Methoden und Erkenntnisse der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft durchaus gewürdigt werden, dabei aber eine – modern gesprochen – strukturalistisch-funktionalistische Perspektive in der Sprachbeschreibung beibehalten und für ein aufklärerisches Bildungsprogramm eingebracht werden. Die Belesenheit García Lunas, seine umfassende Rezeption verschiedener philosophischer Richtungen (Sensualismus, Idealismus, Eklektizismus, Common sense-Philosophie der sogenannten Schottischen Schule) sowie sein starkes kritisches Erkenntnisinteresse, in dem neues naturwissenschaftliches Wissen mit religiöser Überzeugung und sehr oft mit biblischen Annahmen abgeglichen wird, bilden in ausgezeichneter Weise die Spannungen zwischen Tradition und Moderne ab, in denen sich Spanien im 19. Jahrhundert befindet.

Für Spanien kann als vereinfacht festgehalten werden, dass in der Rezeption der Grammaire générale bzw. der Idéologie die Grammatiktheorie und ihre Implikation für ein logisches und autonomes Denken überwiegend positiv aufgenommen werden, während die philosophischen Grundannahmen des Sensualismus‘, sofern sie materialistisch sind, oft auf heftige Ablehnung stoßen5. Die durchaus fruchtbare und kreative Rezeption der Idéologie in Spanien mündet also einerseits in eine erstaunliche Produktion von Grammatiken sowohl philosophischer als auch normativer Art; andererseits wird gleichzeitig die sensualistische Philosophie mit ihrer Annahme eines natürlichen Sprachursprungs zurückgewiesen. Dadurch wird dieser für Spanien typische Eklektizismus6 bei der Behandlung des Verhältnisses von Denken und Sprechen und der genetischen Frage nach dem Entstehen der Sprachformen zu einem Balanceakt zwischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Spiritualität. García Luna hat eine Botschaft, er will „aufklären“ und dabei die religiöse Tradition bewahren: die biblischen Annahmen eines göttlichen Sprachursprungs, das Eintreten für eine konstitutionelle Monarchie, in der die Religion einen festen Platz hat, weisen ihn als konservativ-moderat aus. Sie führen jedoch in seiner kritischen Auseinandersetzung mit den Analysen der Sprachstruktur in ←11 | 12→der Grammaire générale von Destutt de Tracy nicht zu einer Ablehnung seiner Sprachtheorie; trotz seiner kritischen Haltung verteidigt er ihn in zentralen Punkten gegen seinen heftigsten Kritiker, Gómez Hermosilla7.

1. Tomás García Luna in Cádiz

Über García Luna gibt es nicht sehr viele Informationen. Aufschlussreich ist die Webseite der Filosofía en español vom 11. August 2020 (www.filosofia.org/bol/bib/nb079.htm, ohne Autor), in der Daten zu seinem Leben und Wirken sowie eine umfangreiche Bibliografie seinen Publikationen samt der zugehörigen Rezensionen zusammengestellt sind; es handelt sich vor allem um eine Art „Presseschau“, in der zeitgenössische Periodika und Tageszeitungen hinsichtlich seiner Aktivitäten ausgewertet wurden.

García Luna wird um 1800 in Cádiz geboren. Er ist Anwalt und Geschäftsmann; als Abgeordneter tritt für eine konstitutionelle Monarchie ein; er gehört somit zu den „Moderaten“. Er engagiert sich in den 1830er Jahren politisch, stellt sich zur Wahl, die allerdings die „diputados progresistas“ mit großer Mehrheit gewinnen8; er wird 1839 Mitglied der Comisión de Instrucción primaria de la Provincia de Cádiz und beteiligt sich an der Gründung der Zeitschrift Revista Gaditana9, die kurz nach dem ersten Erscheinen (1839) ab 1840 von Sevilla aus als Revista Andaluza und dann, ab 1841, als Periódico del Liceo de Sevilla weitergeführt wird. Cádiz ist der Ort, an dem zur Zeit der Besetzung Spaniens durch die napoleonischen Truppen die Liberalen Zuflucht finden, und wo 1812 die erste republikanische Verfassung Spaniens verabschiedet wird. Diese hatte nur kurz Gültigkeit, da Ferdinand VII. nach seiner Rückkehr aus Frankreich ←12 | 13→alle ihre Statuten und Regeln für ungültig erklärte und zur absolutistischen Monarchie zurückkehrte; die Liberalen flüchteten ins Exil. Im sogenannten trienio liberal (1820–1823) tritt sie für kurze Zeit wieder in Kraft. Cádiz wird ein wichtiger Ort für die Rezeption der Idéologie in Spanien, wobei García Luna eine sehr kritische Position vor allem gegenüber ihrer materialistischen Grundannahmen einnimmt. Er hält 1837 seine ersten Philosophie-Vorlesungen in der Sociedad Gaditana de Amigos del País. Sein Freund Arbolí y Acaso (1795–1863), bittet ihn, im Colegio San Felipe Neri Philosophie zu unterrichten.

1.1. Das Colegio San Felipe Neri

In diesem Gebäude, das zwischen 1685 und 1719 erbaut wurde, entstand 1812 die erste spanische Verfassung, redigiert von den vor den napoleonischen Truppen ins Exil geflohenen Cortes de Cádiz. Hier lehrt vor allem Arbolí, der spätere Bischof von Cádiz und Ceuta, der selbst eine Gramática general verfasst10, die in Dialogform (Schüler fragt, Lehrer antwortet) redigiert ist11. Die Schüler sind etwa 12 Jahre alt. Arbolí beklagt das Fehlen guter (philosophischer) Lehrbücher in Spanien (vgl. 1844: VI) und verfasst daher selbst ein Lehrbuch, das Compendio, in dem er sich einleitend auf seinen Freund García Luna und dessen profunde Kenntnisse bezieht. García Luna unterrichtete dort bis März 1842; er wird dann von der Sociedad Económica de Amigos del País gebeten, diese Lecciones in ihrem Hause vorzutragen

Ein späterer Lehrer des Colegio San Felipe Neri ist Eduardo Benot (1822–1907), der dort, zunächst in Vertretung von Arbolí, von 1848 bis 1867 unterrichtet12. Wie hier entstehen im 19. Jahrhundert in ganz Spanien Lehrstühle ←13 | 14→und Lehrwerke, die mit der Beschäftigung mit Sprachstrukturen und Satzlogik versuchen, selbstständiges Denken zu fördern und den Fremdsprachenerwerb zu erleichtern. Dazu gehört vor allem die Analyse des Satzes als Urteil, das heißt als Grundstruktur logischen Denkens, wie es in der allgemeinen oder philosophischen Grammatik gelehrt wird.

1.2. Das Ateneo von Madrid

Diese Einrichtung wurde zu Beginn des sogenannten trienio liberal (1820–1823) auf Drängen der Sociedad Económica de Madrid, einer Gruppe von Liberalen und Gelehrten bzw. Politikern, die von den republikanisch-revolutionären Ideen der französischen Aufklärung und Revolution inspiriert waren (oft afrancesados genannt), als privates wissenschaftliches und literarisches Forum gegründet13. Mit dem Ende der liberalen Phase 1823 flüchteten die meisten Mitglieder und Verantwortlichen nach London ins Exil, wo sie das Ateneo weiter betrieben. Erst 1835 wurde es als Ateneo científico y literario de Madrid wiedereröffnet. Es diente wie in Paris das Collège de France der Bildung eines interessierten Publikums. Es existierten zunächst vier Sektionen: I. Ciencias morales y políticas, II. Ciencias naturales, III. Ciencias matemáticas y físicas und IV. Literatura y Bellas Artes. Rafael M. de Labra betont das Demokratische und ←14 | 15→Einfache der Einrichtung, die im Unterschied zu der Londoner oder Pariser Institution für Alle zugänglich ist. Für das Ateneo gilt: „Su público es […] todo Madrid, los chicos y los grandes, los viejos y los jóvenes […]“ (de Labra 1879: 4). Er grenzt es sehr deutlich vom elitären Athenaeum in London, das er als exquisiten Club charakterisiert, ab; dort würden Bedienstete „.[…] de calzon corto y media de seda“ (1879: 12) mit feinen Speisen aufwarten, der Zutritt sei nicht wirklich öffentlich, sondern Auserwählten vorbehalten: „Círculo cerrado, de no fácil acceso para el extranjero ni áun para el mismo inglés […].“ (1879: 13). Für das einfache Volk bleibt nur die Fassade: „[…] para el público de la calle sólo tienen la suntuosa fachada de Pall Mall […]“ (1879: 14). Dagegen steht der „calor comunicativo de nuestro simpático Ateneo“ (1879: 14), in das sich gelegentlich auch einfache Leute der Straße flüchteten, um sich kurz aufzuwärmen. Das selbstgestellte Ziel ist die Diskussion aller aktuellen Fragen und die Verbreitung aller nützlichen Erkenntnisse: „[…] discutir tranquila y amistosamente cuestiones de legislacion, de política, de economía y, en general, de toda materia que se reconociera de pública utilidad […] y de propagar por todos los medios los conocimientots útiles.“ (1879: 26).

Die öffentlichen, kostenlosen Vorlesungen zur Filosofía ecléctica von García Luna finden von acht bis neun Uhr abends jeweils dienstags, donnerstags und samstags statt; Ort und Zeit werden in den Tageszeitungen veröffentlicht:

Ateneo de Madrid. […] El Sr D. Tomás García Luna se ha prestado a desempeñar una cátedra de filosofía ecléctica. Comenzará sus explicaciones el 12 del actual de ocho a nueve de la noche, y las continuará en los martes, jueves y sábados de las semanas sucesivas. [...] (Gazeta de Madrid, 8 de noviembre de 1842, pág.3), in: Filosofía en español.org.

Details

Seiten
298
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631884140
ISBN (ePUB)
9783631884157
ISBN (MOBI)
9783631884164
ISBN (Hardcover)
9783631884058
DOI
10.3726/b20164
DOI
10.3726/b19977
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Oktober)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 298 S.

Biographische Angaben

Isabel Zollna (Autor:in)

Isabel Zollna studierte Romanische Philologie an der Goethe-Universität Frankfurt, wo sie auch promoviert wurde. Die Habilitation erfolgte 1998 in Tübingen. Seit 1999 lehrt sie an der Philipps-Universität Marburg.

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Titel: Tomás García Luna: Gramática General (1845)