Macht, Ratio und Emotion: Diskurse im digitalen Zeitalter / Pouvoir, raison et émotion: les discours à l'ère du numérique
Summary
A l’ère du numérique, l’expression linguistique du pouvoir, de la raison et des émotions prend des formes inédites, qui deviennent objet d’analyse et stimulent des réflexions de type méthodologique. Les dix contributions, en français ou en allemand, rassemblées dans cet ouvrage abordent des discours variés (notamment politiques, juridiques, médicaux) dans lesquels le numérique permet une analyse outillée ou constitue la forme même du discours analysé.
Excerpt
Table Of Contents
- Cover/Couverture
- Titel/Titre
- Copyright
- Autorenangaben/À propos de l’auteur
- Über das Buch/À propos du livre
- Zitierfähigkeit des eBooks/Pour référencer cet eBook
- Inhalt/Sommaire
- Einleitung (Gabriella Carobbio/Cécile Desoutter/Aurora Fragonara)
- Introduction (Gabriella Carobbio/Cécile Desoutter/Aurora Fragonara)
- Erster Teil/Première partie
- Die sprachliche Konstruktion öffentlich-politisch relevanter Emotionen: Eine korpusgestützte Exploration (Melani Schröter)
- Contredire avec « en même temps » : de la conciliation au cheval de Troie discursif (Griselda Drouet)
- Prosodische Realisierungen expressiver Prozeduren am Beispiel einer politischen Rede (Gabriella Carobbio)
- Pronoms personnels et relations de pouvoir dans le débat parlementaire (Claudia Cagninelli)
- Übertragung von Zeichen der Intensität in der politischen Sprache am Beispiel deutsch-italienischer Untertitelung eines Redebeitrags im Bundestag (Antonella Nardi)
- Zweiter Teil/Deuxième partie
- Quand les décisions de justice rendent compte d’un état émotionnel à partir de smileys, émoticônes ou émojis (Cécile Desoutter)
- Rationale und emotionale Synergien in deutschen Energiewende-Diskursstrategien: Das Beispiel RWE (Iris Jammernegg)
- Le médecin locuteur en ligne : l’empathie à l’épreuve de l’objectivité scientifique (Aurora Fragonara)
- Anredeformen als Waffen. Ein pragmatischer Ansatz zu der an Angela Merkel gerichteten Hassrede in den Social Networks (Maria Francesca Ponzi)
- Les « influenceurs » : construction d’une légitimité en ligne à travers le discours. Le cas des élections européennes 2019 en Roumanie (Camelia Cusnir)
- Die Autorinnen/Les auteures
- Reihenübersicht/Titres de la collection
Gabriella Carobbio/Cécile Desoutter/Aurora Fragonara
Die Analyse sprachlicher Praktiken in situ ermöglicht es, soziale Beziehungen präziser zu konturieren, insbesondere die Etablierung von Macht- bzw. Hierarchieverhältnissen. Beim Umgang mit Macht innerhalb von Beziehungen spielen Überlegungen und Emotionen eine wichtige Rolle. Ratio – verstanden als die Fähigkeit zu denken, Ideen miteinander zu verbinden, logische Gespräche zu führen – ermöglicht dem Menschen, nach Prinzipien zu verstehen und zu agieren, die an seine Reflexion gebunden sind. Emotionen hingegen sind für die Wahrnehmung von sich selbst, den anderen Menschen, der Umgebung und den Alltagsgegenständen relevant. Jahrhundertelang wurden Emotionen als Erscheinungen mit negativer Auswirkung auf den Menschen und sein Handeln dargestellt. Ratio wurde als Zeichen der Perfektion, Emotionen als Manifestation von Irrationalität und Chaos betrachtet. Neurologische und psychologische Studien der letzten Jahrzehnte legen jedoch andere Vorstellungen von Ratio und Emotionen zugrunde und kommen zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Zusammenhang zwischen ihnen. Es stellt sich u.a. heraus, dass Emotionen uns tatsächlich dabei helfen, zu denken und Entscheidungen zu treffen.
Im digitalen Zeitalter nimmt der sprachliche Ausdruck von Macht, Ratio und Emotionen neue Formen an, die Gegenstand von Analysen werden und methodische Reflexionen anregen. Der Einfluss digitaler Technologien auf die Diskursanalyse ist auf verschiedenen Ebenen erkennbar. In diesem Band werden zwei herausgearbeitet:
• digitale Instrumente zur Erforschung und Analyse diskursiver Produktionen
• native digitale Texte/Diskurse als Untersuchungsobjekt
Bezüglich des Beitrags der digitalen Technologien zur Sprachanalyse ist zunächst auf Instrumente hinzuweisen, die ermöglichen, große ←7 | 8→Korpora zu erstellen bzw. zu untersuchen (z.B. Sketch Engine, Wordsmith, NVivo und Iramuteq) oder mündliche Daten zu verarbeiten (z.B. Transkriptionssoftware wie EXMARaLDA und Elan oder Tools zur Visualisierung/Messung akustischer Parameter wie Praat). Darüber hinaus hat die Digitalisierung die Erstellung von Datenbanken (wie Frantext für das Französische oder DeREKo für das Deutsche) gefördert, die den Zugang zu großen Korpora erleichtern. In dieser Hinsicht wurde es im Zusammenhang mit den Digital Humanities möglich, nicht nur neue Korpora zu erstellen, sondern auch neuen Fragen nachzugehen, die durch eine manuelle Datenverarbeitung schwer zu beantworten gewesen wären.
Die Phänomene, die mit der Digitalisierung zusammenhängen, sind jedoch nicht nur bei der Verwendung digitaler Datenbanken oder Tools nachweisbar. Das Aufkommen des Internets und der sozialen Netzwerke hat auch zu neuen Text- und Diskursarten geführt. In dieser Hinsicht bieten native Online-Korpora zwei interessante Aspekte für die Forschung. Einerseits stimulieren sie eine nicht-logozentrische Analyse, die den technologischen Kontext berücksichtigt, in dem Texte und Diskurse produziert werden. Zum anderen kann man durch native digitale Korpora überprüfen, ob traditionelle theoretische und methodische Ansätze auf solche neuen Korpora anwendbar sind oder ob letztere die Entwicklung neuer Forschungsparadigmen erfordern.
Es können verschiedene Überlegungen zum Verhältnis zwischen digitaler Technologien und Gesellschaft bzw. deren Auswirkungen auf diskursive und textuelle Produktionen angestellt werden. Es lässt sich zunächst feststellen, dass die digitale Wende heutzutage die meisten Lebensbereiche einer Gesellschaft betrifft: von der Verwaltung bis zu zwischenmenschlichen Beziehungen, von der Schule oder dem Beruf bis zur Freizeit. Die allgegenwärtige Präsenz digitaler Technologien in unserem Alltag hat Konsequenzen für den kommunikativen Austausch und damit für die Art und Weise, wie Texte und Diskurse produziert, organisiert, vermittelt und rezipiert werden. Die Medienökologie kann die Produktion der Botschaft in ihren verschiedenen Aspekten beeinflussen. Betrachtet man z.B. die eingeschränkte Anzahl von Zeichen, die Tweet-Texte enthalten können, oder selbst das Lesen auf dem Bildschirm, das für das Sehen und die Aufmerksamkeit anstrengender ist, dann lässt sich verstehen, warum digitale Texte häufig kürzer sind. Ein ←8 | 9→weiterer Aspekt betrifft die Verwendung von konventionellen Zeichen wie Emoticons in Interaktionen auf Distanz in sozialen Netzwerken oder in Chats, um den Mangel an bestimmten paralinguistischen Elementen (wie etwa suprasegmentalen Merkmalen und Proxemik) zum Teil zu kompensieren. Die neuen Kommunikationsbedingungen in digitalen Kontexten beeinflussen aber nicht nur die Strukturierung von Texten/Diskursen, sondern auch die Modalitäten der Wissensvermittlung.
Die in diesem Band zusammengeführten Beiträge stellen Forschungsergebnisse von Studien im Bereich deutscher und französischer Linguistik und Diskursanalyse vor, wobei die Tatsache, dass alle Autoren Frauen sind, völlig zufällig ist. Die Entscheidung, einen zweisprachigen Band zu schaffen, geht dem Anliegen der Herausgeberinnen nach, einen deutsch-französischen Raum für den Austausch von Methoden und Forschungserfahrungen anzubieten. Die Aufsätze spiegeln die Vielfalt der von der digitalen Revolution geprägten Umgebungen sozialen Lebens insofern wider, als dabei u.a. Beispiele aus politischer, rechtlicher und medizinischer Kommunikation im digitalen Zeitalter analysiert werden. Facettenreich ist auch das Spektrum der länderspezifischen Aktualitätsthemen, die durch die Analysen der jeweiligen Korpora dargestellt werden. Gemeinsam ist allen Beiträgen die Erforschung des sprachlichen Ausdrucks von Ratio und Emotion auf Deutsch oder Französisch auf der Grundlage von Korpora bzw. digitalen Sprachproduktionen. Einige Studien zeigen zum Beispiel, dass Facebook mehr als andere soziale Netzwerke die emotionale Komponente fördert. Andere fokussieren auf der Darstellung von Emotionen in suprasegmentalen Merkmalen der Sprache oder mittels Emoticons im elektronischen Schreiben. In anderen Beiträgen wird Ratio als Basiselement von Argumentationsstrategien in politischen Debatten vorgestellt, in denen sich Machtverhältnisse niederschlagen. Da Ratio und Emotion eng miteinander verbunden sind, können sie auch zusammen vorkommen, z.B. wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen bzw. die eigene Verhaltensweise zu orientieren oder anzupassen. Empathie ist ein gutes Beispiel dafür, da die Fähigkeit, sich in die Lage eines anderen zu versetzen, zum einen aus der Aktivierung von rationalen Denkfähigkeiten hervorgeht, die z.B. zur Formulierung von Präsuppositionen und Hypothesen führen. Zum anderen wird Empathie ←9 | 10→auch von Vorstellungskraft und emotionalen Einfühlungsvermögen bestimmt, die ermöglichen, die Perspektive und die Stimmung des anderen zu verstehen.
Die erste Gruppe von Beiträgen bietet methodische Überlegungen zur Umsetzung digitaler Instrumente bzw. zu der Nutzung großer digitalisierter Korpora bei der Untersuchung von Ratio und Emotion im Diskurs.
Im Beitrag von Melani Schröter wird der Frage nachgegangen, welche Emotionen als mehr oder weniger relevant für den öffentlich-politischen Diskurs betrachtet werden können und wie ein linguistischer Ansatz ermöglicht, relevante Indikatoren zu ermitteln. Zu diesem Zweck stellt die Autorin eine korpusgestützte, mithilfe von Sketch Engine durchgeführte Studie vor – mit methodischen Anregungen zur Verwendung unterschiedlicher Tools aus dem Bereich der Korpuslinguistik.
Wie Ratio und Emotion verbunden sind, untersucht Griselda Drouet in ihrer Analyse des Diskursmarkers en même temps in authentischen Belegen gesprochener und geschriebener Interaktionen. Durch die Befragung der Korpora Clapi und Frantext wird die diskursive Einbettung des Diskursmarkers in Gesprächen analysiert. Dabei zeigt die Autorin, wie en même temps dazu eingesetzt wird, um eine Gegenmeinung auf subtile Weise zu äußern und somit die Argumentation des Sprechers nachvollziehbarer zu machen.
Mündliche Interaktion steht auch im Zentrum der Beiträge von Carobbio, Cagninelli und Nardi, wobei die parlamentarische Kommunikation als empirische Grundlage der jeweiligen Untersuchungen dient. Gabriella Carobbio beschäftigt sich mit prosodischen Verfahren, die mit dem Ausdruck von Emotionen zusammenhängen. Die Analyse fokussiert auf den Ausdruck von Empörung in einer politischen Rede. Dabei werden die Möglichkeiten der Annotation suprasegmentaler Merkmale durch den EXMARaLDA Partitur-Editor unter Berücksichtigung der HIAT-Transkriptionskonventionen gezeigt.
Die Studie von Claudia Cagninelli stellt Ergebnisse einer korpusbasierten, pragma-diskursiven Untersuchung von Subjektpronomen als Mitteln zur Selbst- und Fremdreferenz in parlamentarischen Diskussionen vor. Der quantitativen Auswertung durch Iramuteq des zusammengestellten Korpus folgt eine qualitative Analyse der Pronomen ←10 | 11→nous und vous, die im Zusammenspiel mit anderen sprachlichen Mitteln einen wichtigen Beitrag zum Argumentationsaufbau leisten.
Eine pragmatische Perspektive nimmt auch Antonella Nardi in ihrer Studie zur interlingualen Untertitelung einer Bundestagsrede ein, indem sie Strategien der Transposition von Intensitätsausdrücken von der Originalsprache Deutsch in die Zielsprache Italienisch untersucht. Die Analyse bietet methodische Überlegungen zu Formulierungsstrategien interlingualer Untertitelung und zeigt, wie neben Phänomenen der Sprachreduktion auch der Ausdruck von Emotionen zu berücksichtigen ist.
In den Beiträgen des zweiten Teils wird das Digitale als Umfeld für die Produktion von Diskursen verstanden. Die Autoren entwickeln ihre Reflexionen entlang zweier sich überschneidender Linien: Zum einen wird die Entstehung von Diskursen im digitalen Kontext thematisiert, zum anderen wird die Anwendbarkeit traditioneller, für nicht digitale Korpora konzipierter Vorgehen auf den Prüfstand gestellt.
In den Arbeiten von Desoutter und Jammernegg wird auf den Zusammenhang zwischen dem Ikonischen und dem Verbalen aus unterschiedlicher Perspektive eingegangen. Cécile Desoutter untersucht die Verwendung von Emoticons im Rechtsdiskurs. Der Einsatz solcher Piktogramme in sprachliche Äußerungen ist eine der Möglichkeiten, die digitale diskursive Praktiken eingeführt haben, um Emotionen auszudrücken. Ihre Verwendung ermöglicht, die Bedeutungskonstruktion auf den ikonischen und den verbalen Code zu verteilen. Diese ikonischen, indexikalischen Zeichen tragen somit zur Interpretation der Botschaften bei. Auf der Grundlage dieser Beobachtungen geht die Autorin der Frage nach, wie solche plurisemiotischen Ausdrücke in Gerichtsentscheidungen rezipiert werden. Die Studie zeigt, dass die Anwesenheit von Emoticons in Gerichtsentscheidungen, wenngleich noch relativ gering, an Bedeutung gewinnt. Es wird dabei auch dargestellt, welche Schwierigkeiten die Berücksichtigung und die Interpretation solcher digitalen Marker den Richtern bereiten.
Im Mittelpunkt der Arbeit von Iris Jammernegg stehen rational oder emotional ausgerichtete Diskursstrategien und damit verbundene semiotische Muster im Webauftritt des Stromerzeugers RWE, durch die sich der Konzern als verantwortungsvoller, an Transparenz und Nachhaltigkeit orientierter Partner auf dem Energiemarkt profiliert. ←11 | 12→Die korpusbasierte Studie beruht auf einem zyklischen Verfahren, bei dem computergestützte Konkordanzanalyse und qualitative Text- bzw. Bildanalyse ineinandergreifen. Durch diese Methode wird das Persuasionspotential von Sprache-Bild-Konstrukten ausgelotet und damit die Komplexität der Bedeutungskonstruktion im Energiediskurs deutlich gemacht.
Der Beitrag von Aurora Fragonara befasst sich mit dem Ausdruck von Empathie in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Auf der Grundlage eines Korpus medizinischer Online-Konsultationen identifiziert die Autorin drei Arten von Reaktionen von Spezialisten auf Patientenanfragen und geht der Frage nach, ob und inwieweit Marker empathischer Dezentrierung das berufliche und wissenschaftliche Ethos des Arztes beeinflussen. Da es sich von Interaktionen auf Distanz handelt, sind dabei typische Realisierungsmittel der Empathie wie etwa Prosodie und Proxemik nicht relevant. Vielmehr werden empathische Manifestationen durch spezifische Mittel der Schriftsprache vermittelt.
In den Arbeiten von Maria Francesca Ponzi und Camelia Cusnir werden verschiedene Fragen zum Zusammenhang zwischen Politik und digitalem Diskurs erörtert, wobei Ponzi sich auf verbale Angriffe gegen Angela Merkel über soziale Netzwerke konzentriert, während Cusnir politische Influencers und deren Kommunikationsstrategien im Wahlkampf untersucht.
Details
- Pages
- 246
- Publication Year
- 2020
- ISBN (PDF)
- 9783034342162
- ISBN (ePUB)
- 9783034342179
- ISBN (MOBI)
- 9783034342186
- ISBN (Hardcover)
- 9783034341844
- DOI
- 10.3726/b17780
- Language
- French
- Publication date
- 2020 (December)
- Published
- Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 246 p., 1 ill. en couleurs, 7 ill. n/b, 4 tabl.
- Product Safety
- Peter Lang Group AG