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Die Altieri – Eine römische Familie

Status und Selbstdarstellung vom 15.-17. Jahrhundert. Eine Nepotengeschichte

von Hohwieler Susanne (Autor:in)
©2019 Dissertation 370 Seiten

Zusammenfassung

Das Schicksal der Altieri Familie im Rom der Frühen Neuzeit zeigt beispielhaft die soziokulturelle Entwicklung  Roms, des Papsttums und deren Wirkungskreise in Italien und Europa. Die Aufarbeitung neuer Dokumente aus dem Altieri Archiv und dem Geheimarchiv des Vatikans zeigen neue Aspekte  des römischen Systems  der Nepoten und der Netzwerkbildung. Anhand des Pontifikats Clemens X. beschreibt die Autorin den römischen Hof,  die Kurie, die Gesellschaft und das Gesellschaftsgehabe im Rom des 17. Jahrhunderts mit Fokus auf die Schlüsselaspekte Verflechtung, Mikropolitik und Patronage. Die Autorin zeichnet ein Bild Roms am Ende seiner Blüte in Kunst, Kultur, Gesellschaft, Finanzen und Politik und gewährt so einen Einblick in die sozialen Strukturen des Papsttums und die Kreise der Nepoten im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einführung
  • 2 Ideologische Debatte über das Problem „Nepotismus“
  • 2.1 Definition Nepotismus – Die Historische Auswertung des Phänomens
  • 2.2 Wandel der Rolle des Kardinalnepoten – Die Finanzkrise
  • 2.3 Nepotismus – Nepote – Kardinalnepote
  • 2.3.1 Die Herrschafts- und Versorgerfunktion
  • 2.3.2 Nepotismus – Nepoten – Kardinalnepoten
  • 2.4 Wer sind die Nepoten, oder besser, wie wird man Kardinal?
  • 2.5 Einblick und Diskussionen aus zeitgenössischen Ereignissen und Dokumenten.
  • 2.5.1 Die Korsenaffäre
  • 2.5.2 Nobilitierungskonzepte
  • 2.5.3 Der „alter ego“ des Nepoten – Kardinal Azzolini
  • 2.5.4 Ambasciatori Veneti
  • 2.5.5 Der Publizist – Gregorio Leti
  • 2.6 Kunst als Ausdruck der Selbsterhöhung, Propaganda und Waffe – Der Nepot als Mäzen und Medienmanager
  • 3 Rom
  • 3.1 Rom vom 15. bis zum 17. Jahrhundert – Eine Stadt im Wandel, die den Wandel nicht vollzieht
  • 3.2 Gesellschaft und Gesellschaftsgehabe
  • 3.3 Selbstdarstellung einer Stadt – Caput Mundi
  • 3.4 Rom – Città del Papa
  • 3.4.1 Das Konzil von Trient – das nachtridentinische Rom
  • 3.4.2 Roman – città rituale
  • 3.4.3 Heilige Jahre – Jubeljahre
  • 3.4.4 Rom – der Papst – die Nepoten – die Kunst
  • 3.4.5 Rom zur Zeit Clemens X.
  • 4 Die Familie Altieri
  • 4.1 Forschung und Quellenlage – Das Altieri Archiv
  • 4.2 Herkunft und Ursprung der Familie
  • 4.3 Selbstdarstellung und Einreihung in der römischen Gesellschaft – Rolle und Stellung in der Stadt
  • 4.4 Marco Antonio Altieri – Li Nuptiali: Ein zeitgenössischer Bericht römischer Gesellschaftsformen
  • 5 Papst Clemens X.: Familie – Pontifikat – Aufarbeitung – Phänomenforschung
  • 5.1 Der alte Mann auf dem Stuhl Petri – eine letzte Chance zu einer späten Glorie
  • 5.2 Das Konklave – die Wahl – Frankreich – Spanien – Christina von Schweden und Kardinal Azzolini
  • 5.3 Sedisvakanz
  • 5.4 Inthronisierung – die Papstkrönung. Il Possesso – die Inbesitznahme des Bischofsstuhls
  • 6 Der Pontifikat
  • 6.1 Familienverhältnisse
  • 6.2 Die römische Politik – das religiöse Modell, das Kardinalskollegium und seine Ernennungen
  • 6.3 Die Finanzlage – leere Kassen, Caritas und der Glanz des Barocktheaters
  • 6.4 Heiligsprechungen und Jubeljahr 1675
  • 6.5 Das europäische Gleichgewicht und Ungleichgewicht
  • 6.6 Das Verhältnis zu Frankreich
  • 6.7 Das Verhältnis zu Spanien
  • 6.8 Die Polenfrage und der Türkenkrieg
  • 7 Der Kardinalnepot Paluzzo Paluzzi degli Albertoni
  • 7.1 Der adoptierte Nepot – Karrieresprung und Gier – politische Unfähigkeit
  • 7.2 Who’s Who? – Knüpfungen wichtiger Familienbande
  • 7.3 Ausübung oder Ausbeutung der Macht?
  • 7.4 Das Wirken des Kardinal Paluzzo Altieri nach dem Ableben Clemens X.
  • 8 Darstellung der Macht und des eigenen Ansehens durch Kunstpatronage und Bauprojekte – Ein Exkurs in die Kunstgeschichte
  • 8.1 Urbanistik
  • 8.2 Die Familienkapellen
  • 8.2.1 Die Altieri-Kapelle in Santa Maria sopra Minerva
  • 8.2.2 Santa Maria in Campitelli
  • 8.2.3 Die Albertoni Kapelle in S. Francesco a Ripa
  • 8.2.4 Die Sakramentskapelle in Sankt Peter
  • 8.2.5 Das Grabmal Clemens X. in Sankt Peter
  • 8.3 Palazzo Altieri
  • 8.3.1 Die Ausgestaltung des Palastes
  • 8.3.2 Die Antikensammlung
  • 8.3.3 Die Bibliothek
  • 8.4 Die Villa Altieri auf dem Esquilin
  • 8.5 Palazzo Altieri in Oriolo
  • 8.6 Die Altieri und die Kunst
  • 9 Ausblick
  • 10 Conclusio
  • 11 Quellenlage
  • 12 Quellen
  • 13 Bibliographie

1 Einführung

Roma Aeterna! Seit der Antike hatte Rom nie einen so starken Wandel erlebt wie im 16. und 17. Jahrhundert. Es fand eine regelrechte Renovatio Urbis statt, die Umgestaltung Roms zu einer grandiosen Theaterbühne, auf der sich Herrschende, internationales Publikum und das Volk bewegten und darstellten.1 Der Bewunderung der Ewigen Stadt kann sich bis heute kaum ein Besucher entziehen. Paläste, Kirchen, Plätze und Brunnen erzählen und stellen den Anspruch auf Ruhm und Ewigkeit der vergangenen Machthaber immer noch unbeirrt dar. Die Wappen der päpstlichen Familien und die mythologischen Helden barocker Gemälde sind Rechtfertigungen längst vergangener Machtansprüche, Plätze dienten als Schauplätze eines Welttheaters, auf dessen Parkett sich heute vornehmlich Touristen tummeln.

Warum der Blick zurück? Warum Forschung über das Frühneuzeitliche Rom heute? Warum dem Leben und Wirken eines Papstes und seines Nepoten, noch dazu am Ende einer Blütezeit auf den Grund gehen? Welchen Zweck kann dies für das moderne heutige Denken haben? Erstens empfinden wir Historiker es als spannend und erhebend, in der Grundlagenforschung nie gesichtete Dokumente einzusehen und diese lebendig, real, Geschichte werden zu lassen. Dies hat den Charakter einer Wiedergeburt der Zeit.

Zweitens ist es unsere Aufgabe, Geschichte anschaulich und nachvollziehbar zu gestalten und sie damit mit dem Hier und Jetzt in Verbindung zu setzten, Parallelen zu ziehen, historische Wurzeln der aktuellen modernen Zeit aufzuzeigen und deren Gültigkeit zu definieren. „Die Beschäftigung mit der Vergangenheit bedarf keiner besonderen Rechtfertigung, wenn sie Erkenntnisse zu Tage fördert, die von Interesse für die Gegenwart sind. Wissenschaft bedeutet für uns, dass die Ergebnisse der Forschung nachvollziehbar und überprüfbar sind.“2 Das Interesse am frühneuzeitlichen Papsttum und an der ←13 | 14→Forschung über Rom in dieser Zeit unter kulturgeschichtlichen Aspekten ist in das Gesamtbild der aktuellen Debatten zur Geschichte Europas zu setzen.3

Modell Rom: Rom, Ziel aller Wege? Es stellt sich die Frage, in wie weit Familienpräsenz und Familienstatus zwischen Prestige, Privilegien und Patriotismus, in Rom in der Frühen Neuzeit ein funktionierendes System bilden und Modellcharakter annehmen.4

Das System Rom bietet ein überreiches Angebot an historischen Ansätzen und bildet damit einen Sonderfall. Mein Anliegen ist es, das Phänomen Rom vom mentalitäts-, kunst-, und kulturhistorischen Blickwinkel aus zu betrachten. Dazu kommt die Frage, ob es das „Modell Rom“ überhaupt gibt. Welchen Stellenwert nahm Rom in den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strategien italienischer Familien ein? Dieses Phänomen zu erforschen und darzustellen, soll in diesem Fall anhand der Familie der Altieri, die zum weniger einflussreichen römischen Stadtpatriziat gehörten, und vielleicht gerade deshalb ein schönes Beispiel für das Modell Rom abgeben, meine Aufgabe sein.

Grundlegend für die Entwicklung des Sonderfalls Rom war und ist vor allem die Doppelrolle des Papstmonarchen, der die Doppelfunktion des geistlichen und weltlichen Herrschers in sich eint und diesen Machtanspruch bis an die äusserste Grenze seiner Möglichkeiten verteidigt.5 Ein Sonderstatus, auf den ich im Laufe der Arbeit noch genauer eingehen werde. So wurden Rom und der Kirchenstaat zum, vielleicht einzigen, absoluten Absolutismus im Kreis der europäischen Herrschaftssysteme.6

Das System Rom zeichnete sich vor allem auch durch eine ausgeprägte Form des Klientelismus aus. Dieser Klientelismus, der sich durch alle Gesellschaftsbereiche zog, begann an der Spitze der sozialen Pyramide, zuerst und intensiv in den alten und neuen Baronal- und Adelsfamilien, vor allem denjenigen, die sich mit einem Pontifikat schmücken konnten, oder hofften dies tun zu können, und ging weiter durch alle Schichten der Gesellschaft, bis hin zu den organisierten Bettlern und deren Klientel. Charakteristisch für dieses System war die absolute Loyalität dem Wohltäter gegenüber. Je höher dieser in ←14 | 15→der gesellschaftlichen Ordnung stand, umso besser und umso aussichtsreicher konnte sich die eigene Karriere gestalten.

Diese Karrierewege werden im Kapitel Nepotismus eingehender betrachtet. Die ideologische Debatte über das Problem Nepotismus im zweiten Kapitel soll zeigen, dass Geschichtswissenschaft aktuell ist und nicht immer so weit von der zeitgenössischen Denkweise entfernt, wie es scheint. Nepotismus als integrales Element päpstlicher Herrschaftsorganisation und als fixes Element in einem System, das am Ende doch hinterfragt wird und in die zeitgenössische Diskussion gerät.

Zeitgenössische Dokumente über die Rezepierung dieses Problems sollen den Blick schärfen und hin und wieder auch Raum zum Schmunzeln lassen über den historischen „Tratsch“.

Um das intensiv vom Wettbewerb bestimmte soziale Klima Roms sowie dessen Gesellschaft und Gesellschaftsgehabe zu beschreiben, was mir hier ein Anliegen ist, bedarf es einer eingehenden Beschreibung der Ewigen Stadt in besagtem Zeitraum des 15.–17. Jahrhunderts. In dieser Zeit wird Rom zu „Roma in splendore“, eine blühende Stadt in Kunst, Kultur und Architektur. Es ist ein Versuch die unglaubliche Produktion in allen Bereichen der bildenden Künste zu verstehen und nachzuvollziehen. Dazu gehören all die unterschiedlichen Facetten des frühneuzeitlichen Mäzenatentums, dessen Spannbreite vom schönen Schein über Familienpropaganda bis hin zur selbstbetrügerischen Eigenbeweihräucherung reicht. Dazu dient das dritte Kapitel.

Der zweite Teil der hier vorliegenden Arbeit ist der Familie Altieri und der Auswertung der mir zur Verfügung stehenden Originaldokumente aus den Archiven gewidmet.7

Da der Altieri-Pontifikat sich bislang als wenig erforscht darstellt und die archivistische Dokumentation zum grössten Teil noch nicht eingesehen, gelesen und interpretiert worden ist, lädt der Altieri Pontifikat und seine Zeit zu einer genaueren Betrachtung dieser Dokumentation ein und erlaubt mit deren Aufarbeitung eine neue Perspektive und Interpretation, welche ich mit meiner Forschungsarbeit liefern möchte.

“La ricchezza della documentazione disponibile sia per Rospigliosi sia per ALTIERI (per buona parte quest’ultima mai vista da alcuno), potrebbero permettere la ricostruzione di biografie di grandissima importanza per conoscere ←15 | 16→meglio “umanità” di due fedeli servitori della chiesa […]”8 Es liegt hier also eindeutig Forschungsbedarf vor und mit der Arbeit über die Altieri geht es mir erstens um die Einbettung einer römischen Adelsfamilie in das Römische System, gibt es wirklich ein „Modell Rom?“, und zweitens bemühe ich mich, anhand von Archivmaterial, Licht in eine Familiengeschichte zu bringen und deren historischen Kontext beweis- und nachvollziehbar zu machen. In diesem Zusammenhang sollen auch Leben, Werk, Politik und der Pontifikat Clemens X. und dessen Umfeld neu ausgeleuchtet werden.

Mit der Wahl von Emilio Altieri zu Papst Clemens X. 1670 wurde diese Familie vom Mittelfeld der Gesellschaft unerwartet an die Spitze der römischen Sozialpyramide katapultiert. Der altersschwache und zum Zeitpunkt seiner Wahl bereits achtzigjährige Clemens X., Emilio Altieri, brauchte eine rechte Hand, einen Vertrauten für alle direkt an ihn gebundenen Ämter. Diese Rolle übernahm gewohnheitsmässig ein naher Verwandter des Papstes, der hierfür zum Kardinalnepoten berufen wurde. Da Emilio Altieri letzter Träger und Erbe seines Namens war, musste er seinen Kardinalnepoten adoptieren. Es handelte sich hierbei um Paluzzo Paluzzi degli Albertoni, der sich, das Glück der Stunde nutzend, kaum für die Amtgeschäfte interessierte, sich dafür allerdings umso mehr um die eigene Bereicherung und den Aufstieg seiner Verwandtschaft mühte. War dieser Nepot noch zeitgemäss? Läutete diese späte Blüte des päpstlichen Nepotismus endlich den lang ersehnten Wandel ein? Gab es endlich Raum für Reformierer und Eiferer, die „zelanti“? Ist die Zeit für ein neues, anderes Rom gekommen?

Diese Fragen sollen ebenso erörtert werden, wie ein Exkurs in die Kunstgeschichte auf den Spuren der Kunstpatronage dieser Familie. Dieser soll zur Entschlüsselung, Bestimmung und Leseweise in Darstellung und Betrachtung der Kunstwerke Hilfestellung leisten. Monumentale Palastbauten, Kapellen für selige Heilige, reiche Sammlungen antiker Skulpturen und mythologische Fresken zur Selbsterhöhung, sollen in den historischen Kontext gesetzt und von ihrem Mantel des schönen Scheins befreit werden.

Die für das allgemeine Verständnis als wichtig erachteten Texte und Zitate aus Archiven und Handschriften sind in Originalsprache zitiert worden. ←16 | 17→Wenn nicht anders erwähnt, sind diese Zitate von der Autorin selbst übersetzt worden.

Am Ende ergibt sich ein Gesamtüberblick des Zeitraums, in dessen Zentrum der Pontifikat Clemens X. und damit vor allem sein Kardinalnepot Paluzzo Paluzzi degli Albertoni stehen. Es ist die Untersuchung eines Phänomens, des Phänomens Nepotismus, und die Hinterfragung des Systems Rom sowie dessen Modellcharakter. Dies soll bewiesen, hinterfragt oder widerlegt werden. Ein Blick in die nahe liegende Zukunft soll das Gesamtbild abschliessen.

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1 Krautheimer, Richard. The Rome of Alexander VII. 1655–1667. Rome in the age of Bernini, Princetown 1734, Neuauflage Rom 1987.

2 Karsten, Arne (Hg.). Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften. Göttingen 2007, Einleitung.

3 Eine sehr aufschlussreiche Lektüre: Karsten, Arne / Zunckel, Julia. Perspektiven der Romforschung. In: Historische Zeitschrift, Bd. 282/2006, S. 681–715.

4 Forschungsansatz und Fragestellung sind sehr gut erörtert in den verschiedenen Aufsätzen in: Büchel, Daniel / Reinhardt, Volker (Hgg.) Modell Rom? Der Kirchenstaat und Italien in der frühen Neuzeit, Köln 2003.

5 Prodi, Paolo. Il Sovrano Pontefice, un corpo due anime. La monarchia papale nella prima età moderna, Bologna 1982.

6 Reinhard, Wolfgang. Schwäche und schöner Schein Das Rom der Päpste im Europa des Barock 1572–1676, in: Historische Zeitschrift, München Bd. 2/2006, S. 281–318.

7 Folgende Archivie standen mir zu der hier vorliegenden Forschungsarbeit zur Verfügung: Archivio Altieri (AA) (nur in Auszügen und unter vielen Schwierigkeiten), Archivio Segreto Vaticano (ASV), Biblioteca Vaticana (BAV), Archivio di Stato (AS), Biblioteca e Archivio Casanatense (BAC).

8 Enciclopedia dei Papi, Treccani, Roma 2000, Bd. 3, darin: Braz, Massimo, S. 363:„Die Vielfalt der vorhandenen Dokumente, sei es für die Rospigliosi, wie auch Altieri (die letzteren zum großen Teil noch von niemandem eingesehen), könnten eine Rekonstruktion der Biografien erlauben, die von größter Bedeutung wären, um die menchhliche Seite dieser beiden frommen Kirchendiener zu erleuchten […].“

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2 Ideologische Debatte über das Problem „Nepotismus“

2.1 Definition Nepotismus – Die Historische Auswertung des Phänomens

Begriffliches: Die Bevorzugung von Personen aus dem sozialen Nahbereich eines Machthabers bei der Vergabe von Stellen und Vorteilen durch diesen Machthaber selbst.9

Hier stellt sich die Frage, wie sich Nepotismus in der römischen Gesellschaft definiert und welche Auswirkungen die Bevorzugung von Personen aus dem sozialen Nahbereich eines Machthabers in der römischen Gesellschaft haben. Es bedarf also einer genaueren Betrachtung des gesellschaftlichen Aufbaus in Rom.

In Rom ist der Machthaber der Papst und das Papsttum ist gekrönt von einem Doppelmonarchen, der in einer einzigen Figur die geistliche und weltliche Macht in sich eint.10 Das Papsttum ist eine Wahlmonarchie und somit fällt der Ausbau einer regierenden Dynastiefamilie weg. Rom erlebte einen kontinuierlichen Eliteaustausch, bestimmt durch ein klienteläres Netzwerk, dass den Aufstieg und die Karriere junger Sprösslinge regulierte und ermöglichte. Rom war folglich durch eine hohe gesellschaftliche Mobilität charakterisiert.

Der Papst, um sicher herrschen zu können, griff auf die ihm zur Verfügung stehenden Blutsbande und verwandtschaftlichen Beziehungen zurück. So wurde der päpstliche Nepotismus zu einer Konstanten im Herrschaftssystem. Baronaladel, Adel und römische Patrizierfamilien teilten sich die Macht der Stadt in der institutionellen Rolle des Kardinalnepoten mit den Newcomern, den Parvenü. Heiratsallianzen schafften oft das notwendige Bindeglied. Man lebte und überlebte durch ein wohldurchdachtes, mit Sorgfalt geknüpftes ←19 | 20→Netzwerk. Nepotismus und Herrschaft verflochten sich im Rom der Frühen Neuzeit am sehr deutlich.

Wer am Mächtespiel auf dem Schachbrett Europas teilhaben wollte und den Standort Rom für seine Karriere gewählt hatte, sei es von Geburt oder aus sozialer Mobilität heraus, der tat gut daran, sich durch eines der vielen Kaufämter in das Netz- und Klientelwerk Roms einzuweben. Es waren die Abkömmlinge der römischen, aristokratischen Welt, die an der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie in Rom sassen. An ihren Werten orientierte sich die römische Gesellschaft und mit ihr die gesellschaftlichen Aufsteiger. Das Phänomen Nepotismus steht hier im Zusammenhang mit der Notwendigkeit zur Integration der ursprünglich meist patrizischen Papstfamilien und den Parvenü in den römischen Hochadel.11

So war der Nepotismus ein rein römisches Phänomen, ein Karriere-Modell, ein gesellschaftlicher Aufstiegskanal für bürgerliche oder patrizische Familien Roms und Italiens, die auf diesem Weg zu Rang, Titel, Ansehen und Reichtum gelangen konnten.

Der Nepotismus fungierte als Versorgersystem ohne konkrete Herrschaftsaufgaben. Der Nepot repräsentierte die Familie und ihren Namen und war, ausser für seine persönliche Bereicherung und die Förderung seiner Verwandten, auch dem Ansehen des Namens und der Rechtfertigung der Stellung und Darstellung des Pontifex als geistlicher Herrscher und Vertreter Gottes auf Erden, verpflichtet. Die „Heiligkeit“ des Papstes sollte unangetastet bleiben.

So war Nepotismus als Gesellschaftsphänomen, als Einbindung in die zeitgenössische Mentalität der Frühen Neuzeit eine Konstante. Die eigentliche Norm der „Pietas“, die im 15. Jh. fester Bestandteil, ja Verpflichtung eines jeden neuen Pontifex war, erforderte es seiner Familie und Verwandtschaft gegenüber „Dankbarkeit“ zu zeigen. Das hiess in der „Pietas“-Formel des 15. Jh., die eigene Verwandtschaft grosszügig auszustatten, mit Titeln, Lehen und wenn möglich Fürstentümern. Diese Pietas-Norm lebte fort, indem sie sich an veränderte historische Kontexte anpasste.12

So bindend die Pflicht zur Dankbarkeit auch war, so flexibel liess sich diese Norm im Einzelnen umsetzen. So war die „Pietas“ weniger eine theologische Tugend, als viel mehr das Verantwortungsgefühl und die damit verbundene Pflicht, den nahestehenden Personen und Verwandten zu danken, die ←20 | 21→am Erfolg der Karriere mitbeteiligt waren. Dieser Dankespflicht gegenüber der Familie nicht nachzukommen, war vom 15. bis ins 17. Jh. schlichtweg undenkbar.

Nach 1549 wurde der sogenannte „grosse“ territoriale Nepotismus redimensioniert. Eine Entscheidung des Konzils von Trient lehnte den Nepotismus als unmoralisch ab. Die standardisierte Integration der Papstverwandten in den römischen Hochadel, wurde hingegen zu einem Karrieresystem, zu einer Möglichkeit sich und seine Familie an die soziale Spitze der römischen Gesellschaft zu manövrieren. Der Nepotismus als ausgeprägtes soziales Aufsteiger- und Versorgersystem zugunsten der Papstfamilien manifestierte sich durch dauerhafte Ausstattung mit sozialem Rang, Prestige und reichen Einkommensquellen, um sich so im System Rom und in der römischen Adelsgesellschaft behaupten zu können.

Die eigentliche Entwicklung und Institutionalisierung des Nepotismus, vor allem die des Kardinalnepoten, begann mit dem Pontifikat Papst Paul III. (Alessandro Farnese 1534–1549), der nicht nur mehrere Nepoten ernannte und diese grosszügig mit Gütern versorgte, also seine Dankespflicht, die „Pietas“ erfüllte, sondern den Kardinalnepoten als rechte Hand des Papstes institutionell ins Leben rief.

Von diesem Zeitpunkt an kann man die Entwicklung des Kardinalnepoten und seine beiden Funktionen, Herrschaftsfunktion und Versorgerfunktion, eingebettet im Verlauf der Geschichte bis zum eigentlichen Höhepunkt des barocken Nepotismus nachvollziehen.

Die Herrschaftsfunktion der Nepoten entsprang der Notwendigkeit des Papstes, in einem System, das von persönlicher Abhängigkeit, Loyalität und vernetztem Klientelismus zusammengehalten wurde und dessen Staatlichkeit sich in einem unzureichenden Entwicklungsstadium befand, sich auf absolut verlässliche Personen, am besten Blutsverwandte, zu stützen, um potentiell feindliche Gegenspieler in der Kurie abzuwehren.

Bestimmt und determiniert wurde die Notwendigkeit eines Kardinalnepoten an der Seite des Papstes auch durch den periodischen Eliteaustausch als Gesetzmässigkeit der geistlichen Wahlmonarchie. Das soziale Klima Roms war ein sich in stetiger Mobilität und Konkurrenz befindliches System von Alt- und Neu-Adel, von Aufsteigern und Parvenüs, von Heiratsvermittlern und gesellschaftlichen Karriereberatern, von alten und neuen Eliten, die in sich Rivalitäten schufen, oder, wenn notwendig, sich durch Familienbande einigten: Seilschaften, Netzwerke, Blutsverwandte, treue Diener im klientelären Netzwerk der römischen Gesellschaft. Das war das alles bewegende klienteläre System im Rom der Frühen Neuzeit.

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Klienteläre Verflechtungen und Ämterkauf waren die Grundlage, auf der junge fähige Männer in die Karrierelaufbahn katapultiert wurden. Diese jungen Männer machten sich dann durch Loyalität in der nützlichen Freundschaft unentbehrlich und woben sich in dieses römische System ein, Ein Netzwerk-System reich an verhüllten und verklärenden Normen und Ritualen. Dieses System regulierte die innere Rekrutierung der Kurie, und galt gleichzeitig als Mittel der gesellschaftlichen Integration und Wertidentität.13

Im barocken Rom des 17. Jh. waren Karriere und Laufbahn am päpstlichen Hof und an der Kurie fast allen offen; Rom bildete ein Milieu, in dem kein noch so geringer Erfolg vorgegeben war, sondern nur durch sorgfältige strategische Planung erreicht werden konnte.14 So schnell man aufsteigen konnte, so schnell konnte einem auch der Abstieg drohen. Alles hing von der richtigen Wahl der vernetzten Gruppe ab, in die man sich hineinmanövrierte, um dann mit Treue dieser „famiglia“ zu dienen. Anders als sonst wo in Europa fand in Rom ein Eliteaustausch statt, der nicht nur auf der gleichen Standesebene geschah, sondern immer die in der Gesellschaft niedriger stehenden Familienmitglieder nach oben spülte. Das wichtigste Prestigemerkmal eines karrierebewussten jungen Mannes in Rom, der sich in der römischen Gesellschaft zu behaupten hatte, war einen Kardinal, oder besser noch, einen Papst in der eigenen Familie nachweisen zu können. Das musste nicht nur Blutsverwandtschaft bedeuten, sondern auch Netzwerkzugehörigkeit. Auch die zahlreichen römischen Gerichtshöfe, vor allen und zweifellos deren höchster, die Sacra Rota Romana, boten karrierebewussten Sprösslingen der europäischen Elite und der italienischen Aristokratie im Besonderen, vielfältige Aufstiegs- und Karrierechancen.15

Der Nepotismus als System zog sich durch die gesamte römische Kurie und die römische Gesellschaft. Es war ein klienteläres Netzwerk, das die einzelnen Mitglieder einer Sippe, einer Partei oder einer Familie miteinander verband. Von unten nach oben, durch treue Dienste und Loyalität, von oben nach unten durch grosszügige Geschenke, Verleihung von Titeln und Karrieresprüngen, bis hin zum heiss ersehnten roten Hut, den der päpstliche Onkel als nächster Verwandter, als ehemaliger wohlwollender Dienstherr, gerne denen verlieh, die ihm am treuesten gedient hatten. Ohne fruchtbaren familiären ←22 | 23→Hintergrund und gut geknüpfte Verbindungen gelang nur in den seltensten Fällen der Karrieresprung in die Kurie.16

Details

Seiten
370
Erscheinungsjahr
2019
ISBN (PDF)
9783034338943
ISBN (ePUB)
9783034338950
ISBN (MOBI)
9783034338967
ISBN (Paperback)
9783034338165
DOI
10.3726/b16054
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Papst Clemens X. Kardinal Paluzzo Paluzzi degli Albertoni Nepotismus Netzwerkbildung Das längste Konklave Palazzo Altieri
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 370 S., 27 s/w Abb., 2 genealogische Tafeln.

Biographische Angaben

Hohwieler Susanne (Autor:in)

Susanne Hohwieler lebt in Rom und ist dort freiberuflich tätig. Nach dem Studium der Philosophie und der Geschichte beschäftigt sie sich seit Jahren mit der Forschung der Geschichte der Frühen Neuzeit mit dem Spezialgebiet Rom.

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Titel: Die Altieri – Eine römische Familie