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Relativsatzeinleitungen in der Nürnberger Stadtsprache aus dem 16. Jahrhundert

Eine historisch-soziolinguistische Analyse

von Mariko Morisawa (Autor:in)
©2020 Dissertation 386 Seiten
Reihe: Deutsche Sprachgeschichte, Band 9

Zusammenfassung

Eine zentrale Forschungsaufgabe der deutschen Sprachgeschichte insbesondere des Frühneuhochdeutschen ist die Analyse der sprachlichen Heterogenität und ihrer Veränderung innerhalb einer Stadt. Dieses Buch untersucht unter historisch-soziolinguistischen Aspekten die Verteilung von Relativsatzeinleitungen in verschiede-nen Textgruppen aus der Stadt Nürnberg sowie ihre Veränderung im Laufe des 16. Jahrhunderts. Zum Korpus zählen Kanzleibriefe, deren Sprache als damalige Prestigesprache gilt, private Schriftstücke weiblicher und männlicher Verfasser sowie Drucke, wie etwa religiöse Erbauungstexte. Der Vergleich der Daten jeder Textgruppe miteinander zeigt, dass die Druckereien im Nürnberg der zweiten Jahrhunderthälfte einen größeren Einfluss auf den Sprachgebrauch der Bürger haben als die Kanzlei.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Ziel der Arbeit
  • 1.2 Aufbau der Arbeit
  • 2 Nürnberg im 16. Jahrhundert
  • 2.1 Historische und politische Hintergründe
  • 2.2 Soziale Struktur
  • 2.3 Erziehungswesen
  • 2.4 Druckerei
  • 3 Untersuchungsmethode
  • 3.1 Typen von Relativsätzen
  • 3.2 Untergliederung von Relativsatzeinleitungen
  • 3.3 Entstehung und Ausbreitung
  • 3.3.1 Relativpronomina im reinen Kasus und ihre Äquivalente
  • 3.3.2 Relativpronomina mit einer Präposition und ihre Äquivalente
  • 3.4 Forschungsstand
  • 3.4.1 Relativpronomina im reinen Kasus und ihre Äquivalente
  • 3.4.2 Relativpronomina mit einer Präposition und ihre Äquivalente
  • 3.5 Untersuchungspunkte
  • 4 Relativsatzeinleitungen im Überblick
  • 4.1 Relativpronomina im reinen Kasus und ihre Äquivalente
  • 4.1.1 Belegte Relativsatzeinleitungen und deren Verwendungsweisen
  • 4.1.2 Vergleich der Verwendungsweisen der drei wichtigsten Relativsatzeinleitungen
  • 4.2 Relativpronomina mit einer Präposition und ihre Äquivalente
  • 4.2.1 Belegte Relativsatzeinleitungen und deren Verwendungsweisen
  • 4.2.2 Vergleich der Verwendungsweisen der vier wichtigsten Relativsatzeinleitungen
  • 5 Handschriften
  • 5.1 Kanzleitexte
  • 5.1.1 Kanzleibriefe 1520
  • 5.1.2 Kanzleibriefe 1530
  • 5.1.3 Kanzleibriefe 1550
  • 5.1.4 Kanzleibriefe 1570
  • 5.1.5 Kanzleibriefe 1580
  • 5.1.6 Kanzleibriefe 1600
  • 5.1.7 Übersicht der Daten
  • 5.2 Privattexte von Männern
  • 5.2.1 Anton V. Tucher
  • 5.2.2 Paulus I. Behaim
  • 5.2.3 Michael V. Behaim
  • 5.2.4 Hieronymus Köler
  • 5.2.5 Christoph III. Kreß
  • 5.2.6 Paulus II. Behaim
  • 5.2.7 Sebald Welser
  • 5.2.8 Balthasar Paumgartner
  • 5.2.9 Übersicht der Daten
  • 5.3 Privattexte von Frauen
  • 5.3.1 Lucia Albrecht Letscherin
  • 5.3.2 Margareta Behaim/Hieronymus Cammermeisterin
  • 5.3.3 Margareta Behaim/Christoph Hallerin
  • 5.3.4 Barbara Paulus I. Behaimin
  • 5.3.5 Magdalena Behaim/Balthasar Paumgartnerin
  • 5.3.6 Sabina Behaim
  • 5.3.7 Ursula Paulus II. Behaimin
  • 5.3.8 Rosina Paulus II. Behaimin
  • 5.3.9 Übersicht der Daten
  • 5.4 Zusammenfassung
  • 6 Drucke
  • 6.1 Religiöse Erbauungstexte
  • 6.1.1 Christoph Scheurl: Ein nutzbarliches büchlein (1517)
  • 6.1.2 Lazarus Spengler: Ein trostliche Christenliche anweisung vnd artzney (1521)/Wie sich eyn Christen mensch (1529)
  • 6.1.3 Sebald Heyden: Wie man sich in allerlay nötten (1531)
  • 6.1.4 Veit Dietrich: Etliche Schrifften (1548)
  • 6.1.5 Sebald Heyden: Christliche Beweysung (um 1555)
  • 6.1.6 Veit Dietrich: Summaria Vber die gantze Bibel (1578)
  • 6.1.7 Michael Roting: Das der Mensch in der Bekerung zu Gott (1555)
  • 6.1.8 Übersicht der Daten
  • 6.2 Fachtexte
  • 6.2.1 Albrecht Dürer: VNderweysung der messung (1525)
  • 6.2.2 Erhard Schön: Vnnderweissung der proportzion vnnd stellung der possen (1542)
  • 6.2.3 Augustin Hirschvogel: Ein aigentliche vnd grundtliche anweysung / in die Geometria (1543)
  • 6.2.4 Hans Gerle: Musica vnd Tabulatur (1546)
  • 6.2.5 Lorenz Meder: Handel Buch (1558)
  • 6.2.6 Hans Lencker: Perspectiva (1571)
  • 6.2.7 Christoph Fabius Brechtel: Pratic=Buͤchlein / auff allerley jetztlauffende Kauffschleg (1598)
  • 6.2.8 Franz Joachim Brechtel: Buͤchsenmeisterey (1599)
  • 6.2.9 Übersicht der Daten
  • 6.3 Neuigkeitsberichte
  • 6.3.1 Der König von England (1513)
  • 6.3.2 Die Kriegsläufe (1515)
  • 6.3.3 Kaiserliche Majestät in Wien (1515)
  • 6.3.4 Die Wiedergewinnung von Modona (1531)
  • 6.3.5 Das Erdbeben in Sizilien (1536)
  • 6.3.6 Der geplante Krieg gegen Frankreich (1536)
  • 6.3.7 Ein schreckliches Ereignis in Italien (1538)
  • 6.3.8 Die Ankunft Kaiserlicher Majestät in Paris (1540)
  • 6.3.9 Die Tyrannei eines türkischen Hauptmanns (1541)
  • 6.3.10 Der Feldzug Kaiserlicher Majestät (1543)
  • 6.3.11 Der Krieg zwischen Kaiserlicher Majestät und dem französischen König (1545)
  • 6.3.12 Das Kriegsende (1545)
  • 6.3.13 Einblattdrucke (1500–1550)
  • 6.3.14 Berichte aus livländischen Städten (1578)
  • 6.3.15 Moskauische Tyrannei (1578)
  • 6.3.16 Türkische Niederlage (1579)
  • 6.3.17 Strafe des türkischen Kaisers (1579)
  • 6.3.18 Viktoria (1579)
  • 6.3.19 Polen und Russland (1582)
  • 6.3.20 Türkische Beschneidung (1582)
  • 6.3.21 Viktoria in Ungarn (1593)
  • 6.3.22 Weiterer Bericht aus Ungarn (1594)
  • 6.3.23 Einnahme Novigrads (1594)
  • 6.3.24 Einblattdrucke (1551–1600)
  • 6.3.25 Übersicht der Daten
  • 6.4 Zusammenfassung
  • 7 Betrachtungen
  • 7.1 Konservativität der einzelnen Textgruppen
  • 7.2 Männertexte aus der ersten Zeitspanne und die stilistischen Eigenschaften von so und /welcher/
  • 7.3 Sprachwandel bei Frauen
  • 7.4 Präferenz der markierten Stilmittel in den Neuigkeitsberichten
  • 8 Abschließende Bemerkungen
  • Grundsätze der Belegaufführung und Quellenangabe
  • Anhang 1: Korpus
  • Anhang 2: Exkludierte Belege
  • Anhang 3: Verzeichnis der Abbildungen, Diagramme, Graphik und Tabellen
  • Materialien
  • Literaturverzeichnis

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1 Einleitung

1.1 Ziel der Arbeit

Die vorliegende Arbeit versucht, im Rahmen der Stadtsprachenforschung eine Entwicklung der deutschen Sprache im 16. Jahrhundert zu betrachten. Die Stadt, auf die das Augenmerk gerichtet wird, ist Nürnberg, auf dessen Wichtigkeit – wie unten genauer erwähnt – in der Sprachgeschichtsschreibung öfter hingewiesen wird. Als Anhaltspunkt für die Erforschung des Sprachwandels wird das Relativum ausgewählt: Konkret wird über die Verteilung von Relativsatzeinleitungen in verschiedenen Gruppen von Texten, die aus Nürnberg stammen, und über ihre Veränderungen im Laufe des 16. Jahrhunderts eine Analyse unter historisch-soziolinguistischen Aspekten vorgenommen.

In der heutigen deutschen Sprachgeschichtsforschung versteht man allgemein die Herausbildung der gemeinsamen Schriftsprache unter dem Prozess des Variantenabbaus. Nach der Entstehung der Konkurrentensituationen von Varianten aus verschiedenen Sprachlandschaften erfolgen nämlich die Auswahl, der Ausgleich und die Mischung von ihnen, deren grundlegende Entwicklungsphasen als das 15./16. Jahrhundert anzusehen sind (vgl. Hartweg/Wegera 2005: 53). Nach Besch (1968: 70, 74) setzt sich ein sprachlicher Ausdruck leichter durch, der in einem größeren Geltungsgebiet, vor allem in einigen Sprachlandschaften, gemeinsam verwendet wird. Unter diesem Gesichtspunkt kommt die Kombinatorik von Sprachlandschaften infrage und wegen der von Luther bevorzugten Weise wird der Kombination Ostmitteldeutsch-Ostfränkisch-Ostoberdeutsch, genau genommen Bairisch, eine große Bedeutung zugeschrieben (vgl. Ernst 2006: 139). In bisheriger sprachgeschichtlicher Forschung galt und gilt daher besonderes Interesse Beziehungen zwischen dem Ostmittel- und Ostoberdeutschen, vor allem Einflüssen des Ostmitteldeutschen – des Lutherdeutschen – auf das Ostoberdeutsche wie zum Beispiel in Besch (1968). Hinsichtlich des Ostfränkischen, das im Kontext der Kombinatorik von Sprachlandschaften in erster Linie auf Nürnberg deutet,1 wird auf die folgende Rolle hingewiesen:

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„Aufgrund ihrer exponierten geographischen Lage wurde der Stadt [Nürnberg – Ergänzung MM] eine gewisse ‚Scharnierfunktion‘ zwischen dem ostoberdeutschen und dem ostmitteldeutschen Sprachgebiet bescheinigt, d. h. zwischen den Sprachlandschaften, die nach Besch (1985: 1790) als ‚ostmitteldt.-ostoberdt. Schreiballianz‘ maßgeblichen Anteil an der Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache haben.“ (Habermann 1994: 51).2

Van der Elst (2003), der den Forschungsstand über die Nürnberger Stadtsprache in einer Übersicht darstellt, bemerkt auch auf Lippi-Green (1993) beruhend, dass

„die Nürnberger Schreibsprache (mindestens auf graphemischer Ebene – Ergänzung MM) bereits um 1500 in großen Zügen überregionalen Charakter trug und sozusagen in die omd./obd. Schreibtradition eingebettet war“ (2350).

Beachtenswert ist hier, dass der sprachliche Ausgleich auf überregionaler Ebene parallel zu dem innerhalb einer Sprachlandschaft und einer Stadt vorgehen kann (vgl. Fujii 1990: 32, 34). Die Stadt, in der Menschen unterschiedlichen sozialen Rangs bzw. Berufs – Handwerker, Kaufleute, Beamte, Geistliche usw. – und unterschiedlicher Herkunft – Einheimische und Zuwanderer – koexistieren, kann als „mehrdimensionaler Varietätenraum“ (Kolbeck/Krapp/Rössler 2013: 8) bezeichnet werden. Dort entstanden die Sprachentwicklung beeinflussende Institutionen wie Kanzleien, Schulen, Druckereien usw. und damit werden Städte als Zentrum sprachlichen Wandels allmählich gebildet. In diesem Prozess erfolgt auch der Ausgleich der jeweiligen Varietäten (vgl. Ernst 2006: 110). Daher dürfte die Betrachtung einer sprachlichen Heterogenität – hier auf morphosyntaktischer Ebene – und ihrer Veränderung innerhalb einer Stadt auch bedeutsam sein. Das führt zwar zuerst zur Betrachtung der regionalen Sprachgeschichte, kann schließlich aber zur Beschreibung der gesamten deutschen Sprachgeschichte beitragen. In diesem Sinne soll in der vorliegenden Arbeit der Aspekt der „historischen Stadtsprachenforschung“ in den Vordergrund gerückt werden und damit die historische Soziolinguistik.

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Eine Voraussetzung für die Ermittlung der sprachlichen Heterogenität und ihrer Veränderung ist die Möglichkeit, aus Texten verschiedener Sozialgruppen und/oder Sorten ein Korpus zusammenzustellen, wobei es auf die Überlieferung nicht nur von Drucken, sondern auch von Handschriften ankommt. In dieser Hinsicht hat Nürnberg auch einen relativ großen Vorteil: Die Quellenlage der Nürnberger Stadtsprache aus dem 16. Jahrhundert ist für die Erfüllung des soziolinguistischen Anspruchs relativ günstig (vgl. Habermann 1994: 54, die Tabelle; Ebert 1998: 1). Neben Kanzleitexten sind private Texte z. B. von Kaufleuten und Studenten, sogar von Frauen der Kaufleute in Form von Handschriften überliefert. Darüber hinaus ist Nürnberg einer der bedeutendsten Druckorte im 16. Jahrhundert: Nicht zuletzt Drucker (und die städtische Kanzlei) dieser Stadt waren neben denen von Augsburg an den süddeutschen Ausgleichsprozessen beteiligt (vgl. Polenz 2000: 162). Man kann nämlich über sprachliche Materialien der zwei Kategorien – Handschriften und Drucke – verfügen und sprachliche Phänomene beider miteinander vergleichen. Das kann auch dazu führen, dass eine Forschungslücke, auf die Van der Elst (2003) bezüglich der Nürnberger Stadtsprachenforschung hingewiesen hat, erfüllt wird:

„Obwohl in Nürnberg seit der Erfindung der Buchdruckkunst nachweislich eine große Anzahl von Druckern tätig war, gibt es keine sprachhistorische Analyse der Besonderheiten gedruckter Texte im Vergleich zu zeitgenössischen Handschriften […]. Zu der Frage, wie die Buchdruckkunst auf die Entwicklung der Sprache Einfluß genommen hat, läßt sich aus Nürnberger Sicht kaum Stellung nehmen […].“ (2349).

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Van der Elst (2003: 2348) erwähnt außerdem: Analysen der Entwicklung auf graphemischer und lexikalischer Ebene sind schon relativ gut vorangekommen, und zwar unter sprachgeographischem Aspekt;3 dagegen fehlt es noch an umfassenden Untersuchungen vor allem zu Phänomenen auf syntaktischer oder satzsemantischer Ebene unter „neuen methodischen“, also soziolinguistischen Gesichtspunkten, abgesehen von einigen Arbeiten wie zum Beispiel von Ebert (1998)4.

Das Thema von Ebert (1998), an den die vorliegende Arbeit hinsichtlich der Nürnberger Stadtsprachenforschung mit den Untersuchungsmaterialien und -gesichtspunkten sehr eng anknüpft, ist Verbstellungswandel im Laufe des 16. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht der Sprachgebrauch von Jugendlichen aus Patrizierfamilien, jedoch wird zum Vergleich auch der Sprachgebrauch von Frauen und Männern aus derselben Sozialschicht herangezogen.5 Darüber hinaus werden Daten aus Kanzleitexten und Drucken – religiöse Schriften und Fachprosa – angeführt. Im Folgenden soll daher weiter auf die hauptsächlichen Teile und die Hinweise von Ebert (1998), die auch bei der Analyse der vorliegenden Arbeit berücksichtigt werden sollten, eingegangen werden.

Ebert (1998) untersucht genau genommen die Ausbildung des Satzrahmens im Nebensatz. Im Mittelpunkt stehen zwei verschiedene Abfolgetypen eines finiten Hilfsverbs und einer infiniten Verbform:

a) Finitum vor Infinitum: „… daß ytzunt hans Rappolt genn Leyptzigk ist geritten“ (Ebert 1998: 5 – Hervorhebung MM).
b) Infinitum vor Finitum: „… welches dann noch pißher nit beschehenn ist“ (ebd. – Hervorhebung MM).

Je nach Textgruppe ist die prozentuale Auftrittshäufigkeit des Typs b, der in der heutigen Schriftsprache vorherrschenden Struktur, wie folgt:

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Tab. 1-1: Prozentuale Auftrittshäufigkeit des Verbstellungstyps b (Ebert 1998: 169, Tabelle 7-5: Männer und Frauen – Modifizierung MM)

Unter den sechs Textgruppen zählen Kanzleibriefe und Privatbriefe von Männern, Jugendlichen und Frauen zu den Handschriften. Die Männergruppe besteht aus Kaufleuten und Studenten. Zur Frauengruppe aus der ersten Zeitspanne (1510–1560) gehören neun Frauen, unter denen eine Äbtissin und drei Klosterschwestern sind, sowie eine Witwe, die ihr Leben im Kloster führt. Die anderen vier und Frauen aus der zweiten Zeitspanne (1561–1600) sind Hausfrauen bzw. künftige Hausfrauen.

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Bezüglich der ersten Zeitspanne zeigt die damals als Prestigesprache geltende Kanzleisprache (vgl. Josten 1976: 144) in der Verwendung der späteren Normfolge den höchsten Prozentsatz (93 %). Ihre Auftrittshäufigkeit in für die Öffentlichkeit bestimmten Texten – religiöse Schriften und Fachprosa – ist ebenfalls relativ hoch (81 %, 74 %) wie bei Männern (77 %). Die drei Textgruppen dürften sich daher an der Kanzlei- und Prestigesprache orientieren. Jugendliche, die im Mittelpunkt des Interesses von Ebert (1998) stehen, gebrauchen nicht so häufig den Typ b (65 %). Dafür interpretiert Ebert (1998: 178), dass sie infolge der Ausbildung und des Berufs die Abfolge „Infinitiv vor Finitum“ auch in ihren privaten Schriften häufiger verwenden als während der Jugendzeit. Am auffallendsten in Tab. 1-1 ist jedoch der ziemlich niedrige Prozentsatz bei Frauen (47 %),6 zumal die spätere Normfolge bei Männern aus derselben Sozialschicht, wie oben erwähnt, relativ häufig erscheint (77 %). In der zweiten Zeitspanne nähert sich jedoch der Sprachgebrauch der Frauen dem der Männer an (Frauen 76 %, Männer 89 %). Den Grund für die Annäherung sieht Ebert (1998: 109ff., 167ff., 178ff.) in der Veränderung des Erziehungswesens, die nach der Reformation erfolgte. Schon vor der Reformation lernten Jungen an der Schule den Usus der Schreibsprache, dessen Kenntnisse für ihre künftigen Berufe – für Kaufleute – nützlich sind, z. B. nutzten sie Kanzlei- und Geschäftsbriefe als Vorbilder. Darin tritt die künftige Normfolge häufiger auf als die andere Abfolge: z. B. in den Kanzleitexten aus der ersten Zeitspanne zu mehr als 90 %. Mädchen besuchten dagegen die Schule für weniger Jahre, in der sie wohl höchstens die Schreibweise von Privatbriefen erlernten. Unter dem Einfluss der Reformation verändert sich jedoch die Situation: Die Unterrichtsreform wird in der Kirche und in der Schule in Angriff genommen. Seit 1531 sind Jungen und Mädchen dazu verpflichtet, den Katechismuspredigten beizuwohnen. Ihre Eltern können ab 1533 den gedruckten Text in die Hand bekommen. Nach der Reformation werden sogar gedruckte Texte, vor allem damals entstandene protestantische religiöse Erbauungsschriften, zu Unterrichtswerken für Mädchen. In diesen Texten ist die Prestigeform, die künftige Normfolge, schon verbreitet. Mädchen können sich somit auch dem Gebrauch der Schreibsprache nähern.

Mit Erfolg hat Ebert (1998) den Sprachwandel auf syntaktischer Ebene im Zusammenhang mit dem Gesellschaftswandel interpretiert. Zu beachten ist jedoch, dass der Zusammenhang zwischen dem Verbstellungs- und dem Gesellschaftswandel nur vermutet wird. Es bleibt noch die Möglichkeit, dass sich die Verbstellung bei den Frauen zufällig nach der Reformation veränderte. Die Kausalität zwischen den beiden ist zwar schwer zu beweisen, wenn keine zeitgenössischen metasprachlichen Beschreibungen über den Sprachgebrauch gefunden werden. Es darf aber behauptet werden, dass die oben erläuterte These von Ebert (1998) als plausibel gilt, wenn man Sprachwandel innerhalb desselben sozialen Kontextes in einer anderen sprachlichen Erscheinung belegen kann als in der Abfolge eines finiten Hilfsverbs und einer infiniten Verbform in Nebensätzen.

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Es soll daher eine der Aufgaben der vorliegenden Arbeit werden, die Adäquanz der Behauptung von Ebert (1998) über den Sprachwandel bei Frauen zu überprüfen, und zwar – wie oben erwähnt – durch die Analyse der Verteilung von Relativsatzeinleitungen in verschiedenen Textgruppen. Der Relativsatz, der zum Ausbau der Nominalphrase und zur Bildung der komplexen Sätze dient, erscheint noch heute vor allem in der Schriftsprache (vgl. Baldauf 1982: 449; Schieb 1978: 498). Das 16. Jahrhundert ist ein Zeitraum, in dem sich die Kenntnisse der Schreibsprache allmählich unter den sich aufschwingenden Bürgern ausbreiten. Schon im 15. Jahrhundert wurde volkstümliche Literatur zwar auf den Markt geworfen. Wegen ihrer plötzlichen Verbreitung konnte aber „die Zunahme der Lesefertigkeit mit der Zunahme des Interesses an Lektüre in der breiten Masse der werktätigen Generationen, auch der jüngeren, unmöglich Schritt halten“ (Engelsing 1973: 22). Erst seit der Reformation erhielt das Lesen über das Zuhören die Oberhand. Daher ist es möglich, dass die Variation von Relativsatzeinleitungen nach dem Grad der sprachlichen Beherrschung der jeweiligen Verfasser unterschiedlich ist. Ferner ist die Möglichkeit auch vorstellbar, dass die Verteilung von Relativsatzeinleitungen auch bei ein und derselben Sozialgruppe zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verschieden ist.7

Hinzuzufügen ist hier, dass, wie im Kapitel 3.2 ausführlicher erwähnt, im 16. Jahrhundert einige Relativsatzeinleitungen miteinander konkurrieren. Für das heute gebräuchliche Relativpronomen /der/8 zum Beispiel kann nicht nur /welcher/ erscheinen, sondern auch die Relativpartikel so wie in (1).

(1) „Mein gröeste freüd, so ich allhie hab, ist den sonttag abend, wann die brief kommen […].“ (B. Paumgartner, 18.07.1584; Steinhausen 1895: 55 – Hervorhebung MM).

Im Unterschied zu /der/, das seit althochdeutscher Zeit Verwendung findet, erscheint so erst im 14. bzw. 15. Jahrhundert überwiegend in den Texten der Kanzlei und des Amts. Im Laufe der Zeit verbreitet sich die Relativpartikel auch in den Texten anderer Sorten (vgl. Ebert 1999: 164). Die Relativsatzeinleitung /welcher/ wird zuerst im Mittelniederländischen des 13. Jahrhunderts belegt und im 15. Jahrhundert vor allem durch die Kanzleien der Hanse in den hochdeutschen Raum ausgebreitet (vgl. Beyschlag 1938: 174f.). Es besteht also auch die Möglichkeit, dass vor allem die Verteilung von so und /welcher/ nicht nur je nach Verfassergruppe, sondern auch je nach Textform wie „religiösen Schriften“, „Fachprosa“ usw. unterschiedlich ist und dass man daher mit Rücksicht der stilistischen Eigenschaft einer Variante die Beziehung zwischen ihr und einer Verfassergruppe bzw. Textform ermitteln kann.

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Der Gesichtspunkt, dass man die Handschriften aus der Feder der verschiedenen Sozialgruppen nicht nur miteinander, sondern auch mit Drucken verschiedener Textformen vergleicht, dürfte in bisherigen Arbeiten über die Relativsatzeinleitungen gefehlt haben. Über dieses sprachliche Phänomen im 16. Jahrhundert wurden schon zum Beispiel von Schieb (1978), Baldauf (1982) und Brooks (2006) – die letzte Arbeit bezieht auch das 17. und 18. Jahrhundert in die Untersuchungszeit ein – ausführliche Untersuchungen vorgenommen. In den drei Arbeiten handelt es sich zwar – wahrscheinlich unter dem Einfluss der sogenannten „pragmatisch-kommunikativen Wende“ in der Sprachwissenschaft um 1970 – um Textformen, jedoch nicht um Verfasser aus unterschiedlichen Sozialgruppen. Die Verfasser der Texte, die Schieb (1978) untersucht, sind – sofern sie identifiziert sind – alle Gelehrte aus verschiedenen Regionen, vor allem Theologen wie Martin Luther und Thomas Müntzer. Baldauf (1982), der Schieb (1978) heranzieht und zum Teil kritisiert, analysiert nur den Sprachgebrauch von Luther. In Brooks (2006) werden nur Drucke zweier Sorten, religiöse und profane Texte, behandelt. Die Verfasser der veröffentlichten Texte dürften auch als Personen mit Schreibfähigkeit angesehen werden (Details zum Forschungsstand in Kapitel 3.4).

Details

Seiten
386
Erscheinungsjahr
2020
ISBN (PDF)
9783631816257
ISBN (ePUB)
9783631816264
ISBN (MOBI)
9783631816271
ISBN (Hardcover)
9783631792711
DOI
10.3726/b16708
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (November)
Schlagworte
Soziolinguistik Stadtsprachenforschung Germanistik Sprachwissenschaft Syntax
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 386 S., 4 farb. Abb., 7 s/w Abb., 226 Tab.

Biographische Angaben

Mariko Morisawa (Autor:in)

Mariko Morisawa ist Professorin für Germanistik an der Fukuoka-Universität (Japan).

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