Pflichtenkollisionen von Geschäftsleitern
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autoren-/Herausgeberangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsübersicht
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Kapitel 1: Einleitung
- A. Die Problematik kollidierender Geschäftsleiterpflichten
- B. Eingrenzung und Abgrenzung des Themas
- I. Ziel der Untersuchung
- II. Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes
- C. Forschungsansätze
- I. Forschungsstand
- II. Methodik und Fortgang der Untersuchung
- Kapitel 2: Grundzüge der Geschäftsleiterpflichten
- A. Allgemeine Verhaltenspflichten
- B. Geschäftsleiterpflichten im engeren Sinne
- I. Innenpflichten
- 1. Organspezifische Pflichten
- a) Formalpflichten
- b) Berichts-, Informations- und Rechenschaftspflichten
- c) Pflichten im mehrgliedrigen Leitungsorgan
- d) Pflicht zur Wahrung der gesellschaftlichen Kompetenzordnung
- e) Ausführungspflichten
- 2. Sorgfaltspflicht
- a) Förderungspflicht
- b) Schadensabwendungspflicht
- i) Pflicht zur Verhinderung unzulässiger Kapitalabflüsse
- ii) Pflichten in der Krise des Unternehmens
- iii) Überwachungspflichten
- iv) Sonstige ungeschriebene Ausformungen
- 3. Legalitätspflicht
- 4. Treuepflicht
- a) Loyalitätspflicht
- b) Verschwiegenheitspflicht
- c) Wettbewerbsverbot
- d) Geschäftschancenlehre
- e) Verbot von Sondervorteilen
- f) Vermeidung von Interessenkonflikten
- 5. Pflichten aus dem Anstellungsvertrag
- 6. Vertragspflichten
- 7. Verpflichtende Handelsbräuche und Grundsätze der Geschäftsmoral
- II. Außenpflichten
- 1. Direkte Außenpflichten
- 2. Mittelbare Außenpflichten
- 3. Internationale Pflichtenbindung
- C. Weitere Systematisierungsansätze
- D. Zwischenergebnis
- Kapitel 3: Kollidierende Geschäftsleiterpflichten
- A. Kollisionen zwischen allgemeinen Verhaltenspflichten und Geschäftsleiterpflichten im engeren Sinne
- I. Weisungen zu rechtswidrigem Verhalten
- II. Geschäftsleiterdoppelmandate
- 1. Lösungsansätze der Rechtsprechung
- 2. Lösungsansätze im Schrifttum
- a) Die Zulässigkeit von Geschäftsleiterdoppelmandaten
- i) Persönliche Anforderungen nach § 76 Abs. 3 AktG
- ii) Inkompatibilitätsvorschriften
- iii) Kollegial- und Gleichberechtigungsprinzip nach § 77 Abs. 1 AktG
- iv) Eigenverantwortliche Leitung nach § 76 Abs. 1 AktG
- v) Qualifiziert faktische Konzernierung?
- vi) Fazit: Zulässigkeit von Vorstandsdoppelmandaten
- vii) Zulässigkeit von Geschäftsführerdoppelmandaten
- b) Möglichkeiten der Kollisionsbewältigung
- i) Gesetzliche Stimmverbote
- ii) Möglichkeit der Stimmenthaltung
- iii) Mandatsniederlegung und Abberufung
- c) Konzernrechtliche Lösungsansätze
- i) Eingliederungskonzern
- ii) Vertragskonzern
- iii) Faktischer Konzern
- iv) Gleichordnungskonzern
- 3. Bindung an den jeweiligen Pflichtenkreis
- a) Lösung des ersten Beispiels: „Cash-Pooling“
- b) Lösung des zweiten Beispiels: „Informationsweitergabe“
- c) Keine Lösung des dritten Beispiels: „Private Geschäftschance“
- 4. Geschäftsführerpflicht zur Schaffung praktischer Konkordanz
- 5. Gesetzliche Systematik zur Kollisionslösung und offene Fragen
- III. Zwischenergebnis: Keine klare Rangfolge zwischen allgemeinen Verhaltenspflichten und Geschäftsleiterpflichten im engeren Sinne
- B. Kollidierende Innenpflichten
- I. „Räuberische Aktionäre“
- 1. „Räuberische Aktionäre“ - Die Geschichte eines Geschäftsmodells
- a) Das Geschäftsmodell der missbräuchlichen Klagen
- b) Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung seit 1884
- c) Die Aktienrechtsreformen von 1937 und 1965
- d) Die Klagewelle seit 1985
- e) Missbrauchsbekämpfung durch das UMAG
- f) Missbrauchsbekämpfung durch das ARUG
- g) Der Status-quo des Klagegewerbes
- h) Missbräuchliche Anfechtungsklagen im Recht der GmbH
- 2. Die Kollision der Schadensabwendungs- mit der Kapitalerhaltungspflicht
- a) Die Möglichkeit des „Freikaufs“
- i) Verbotene Auskehr von Gesellschaftskapital
- ii) Gleichbehandlungsgrundsatz
- iii) Verbot des Erwerbs eigener Anteile
- iv) Rechtfertigung eines Klageabkaufs
- b) Gesetzgeberische Reaktionen
- 3. Zwischenergebnis
- II. Schmiergeldzahlungen im Ausland
- 1. Die negativen Folgen von Schmiergeldzahlungen
- 2. Der frühere Vorrang der Förderungspflicht
- 3. Das heutige Verbot von Schmiergeldzahlungen
- 4. Gründe der Reformgesetzgebung
- 5. Zwischenergebnis
- III. Konflikte mit der Weisungsfolgepflicht von Geschäftsführern
- IV. Ausführung oder Anfechtung rechtswidriger Hauptversammlungsbeschlüsse
- V. Verschwiegenheitspflicht und Due Diligence
- 1. Lösung für die Aktiengesellschaft
- 2. Lösung für die GmbH
- VI. Verhinderungsgebot oder Behinderungsverbot bei feindlichen Übernahmen
- VII. Zwischenergebnis: Tendenzen statt einer klaren Rangfolge
- C. Kollidierende Außenpflichten
- I. Zahlungsgebote trotz Masseerhaltungspflicht bei materieller Insolvenz
- 1. Öffentlich-rechtliche Zahlungspflichten
- a) Vorrang der Lohnsteuerzahlung nach dem Urteil des BFH vom 20.4.1993
- b) Vorrang der Masseerhaltung nach dem Urteil des OLG Celle vom 29.11.1995
- c) Die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH
- d) Obiter dictum des II. Zivilsenats für einen Vorrang der Masseerhaltung
- e) Die Vorrangrechtsprechung des 5. Strafsenats
- i) Vorrangigkeit aufgrund der Strafsanktion
- ii) Vorrangigkeit wegen § 266a Abs. VI StGB
- iii) Vorrangigkeit nach dem Sinn und Zweck des § 266a StGB
- iv) Rechtfertigung der Nichtabführung während der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist
- f) Die Fortsetzung der gegensätzlichen Rechtsprechung in den BGH-Senaten
- g) Der BFH folgt der Vorrangrechtsprechung des 5. Strafsenats
- h) Der II. Zivilsenat ordnet sich dem 5. Strafsenat unter
- i) Die jüngere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
- j) Die geltende Rechtsprechung
- 2. Privatrechtliche Zahlungspflichten
- 3. Die verbleibenden Lösungsansätze
- a) Vereinbarkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns?
- b) Rechtliche Unmöglichkeit durch gesellschaftsrechtliches Zahlungsverbot
- 4. Zwischenergebnis
- II. Zwischenergebnis: Kein Vorrang mittelbarer Außenpflichten
- D. Kollisionen zwischen Innen- und Außenpflichten
- I. Kartellrechtsverstöße
- 1. Andere Behandlung bei unsicherer Rechtslage
- 2. Regressausschluss nach Sinn und Zweck des Kartellrechts
- II. „Union-Busting“? - Behinderung der Arbeitnehmermitbestimmung
- III. Inkaufnahme von Verkehrsordnungswidrigkeiten
- 1. Verletzung von Sozialvorschriften
- 2. Planmäßige Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit
- 3. Überladung von Lastkraftwagen
- 4. „Falschparken“ von Paketauslieferern
- a) Stellungnahmen im deutschen und US-amerikanischen Schrifttum
- b) Keine Tatbestandslösung zugunsten der Paketauslieferer
- c) Opportunität als Lösung des Konflikts?
- d) Ergebnis und die Macht des Faktischen
- IV. Zwischenergebnis: Grundsätzlicher Vorrang von Außenpflichten
- E. Internationale Pflichtenkollisionen
- F. Der Status quo von Pflichtenkollisionen
- Kapitel 4: Die Behandlung von Pflichtenkollisionen de lege lata
- A. Fortgeltung beider Pflichten
- I. Praktische Konkordanz
- II. Einheit der Rechtsordnung
- III. Normwidersprüche in der Methodenlehre
- IV. Ingerenz
- V. Zwischenergebnis: Verfassungswidrigkeit der Zwangslage
- B. (Teil-)Nichtigkeit beider Pflichten
- C. Ausschluss einer bestimmten Pflicht
- I. Vorrang im eigentlichen Sinn
- 1. Allgemeine Kollisionsregeln
- a) lex superior derogat legi inferiori
- b) lex specialis derogat legi generali
- c) lex posterior derogat legi priori
- d) Zwischenergebnis: Keine Auflösung durch allgemeine Kollisionsregeln
- 2. Spezielle Kollisionsregeln
- a) Kollisionsnormen für Einzelfälle von Pflichtenkollisionen
- b) Rechtliche Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB
- i) Bestellung und Anstellung als Schuldverhältnisse
- ii) Rechtsfolgen der Unmöglichkeit
- iii) Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion?
- c) Unzumutbarkeit nach § 275 Abs. 3 BGB
- d) Die Reichweite spezieller Kollisionsnormen
- 3. Die Rechtfertigung von Pflichtenkollisionen
- 4. Zwischenergebnis: Kein abschließendes Lösungskonzept
- II. Vorrang auf Tatbestandsebene
- 1. Auslegung und Gesetzesfortbildung
- 2. Potenzial tatbestandlicher Kollisionsvermeidung
- a) Rechtliche Unmöglichkeit?
- b) Verfassungskonforme Auslegung
- i) Keine zwingende Kollisionsvermeidung wegen Subsidiarität
- ii) Tatbestandliche Kollisionsvermeidung als praktische Auffangregel?
- α) Herleitung und Reichweite des Gebots verfassungskonformer Auslegung
- β) Verfassungskonforme Auslegung bei einseitigem Auslegungsspielraum
- γ) Verfassungskonforme Auslegung bei beidseitigem Auslegungsspielraum
- iii) Verfassungskonforme Auslegung jenseits der Pflichtenkollision
- c) Zwischenergebnis: Kollisionsbewältigung vorwiegend auf Tatbestandsebene
- 3. Grundsätze zur Auslegung kollidierender Geschäftsleiterpflichten
- a) Akzessorietät
- b) Unternehmerisches Ermessen
- i) Die Business Judgement Rule und das Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht
- ii) Kollisionsbewältigung im Ermessen des Geschäftsleiters?
- α) Keine Freiheit von Interessenkonflikten?
- β) Ermessen nur bei unternehmerischen Entscheidungen
- iii) Ermessen als Ausweg in der Praxis
- c) Unternehmensinteresse und nützliche Pflichtverletzungen
- i) Nützliche Pflichtverletzungen
- α) „Law as Price“-Theorie
- β) „Law as Limit“-Theorie
- γ) Die Pflichtwidrigkeit als eine Frage der Gewichtung von Gesetzen
- δ) Bagatellausnahmen auch im deutschen Schrifttum dominant
- ε) Nützliche Pflichtverletzungen als Ausnahme von der Regel
- στ) Schlussfolgerungen für die Behandlung von Pflichtenkollisionen
- ii) Nützliche Verletzungen von Innenpflichten
- iii) Kollisionsbewältigung anhand des Unternehmensinteresses
- d) Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters
- e) Gewissenskonflikte
- f) Art der Sanktionierung
- g) Ausgestaltung als direkte oder mittelbare Geschäftsleiterpflicht
- 4. Zwischenergebnis: Kollisionsvermeidende Auslegung am Unternehmensinteresse
- III. Kollisionsbewältigung durch Vorrangigkeit einer Geschäftsleiterpflicht
- D. Ausschluss einer beliebigen Pflicht
- E. Ergebnis: Kollisionsbewältigung durch Ausschluss einer im Regelfall bestimmten Pflicht
- Kapitel 5: Grenzen der Kollisionsbewältigung
- A. Theoretische Ansätze für praktische Divergenzen
- I. Rechtliche Grenzen
- 1. Vorteilsausgleichung
- a) Adäquat kausale Verursachung des Vorteils
- b) Normative Beschränkung nach Sinn und Zweck der Ersatzpflicht
- c) Kriterien jenseits der aktuellen Rechtsprechung
- i) Sinn und Zweck der Innenhaftung
- ii) Gründe der Generalprävention
- iii) Unverhältnismäßigkeit einer Inanspruchnahme des Geschäftsleiters
- iv) Schadensbegriff des § 93 Abs. 3 AktG
- v) Keine normative Korrektur der Differenzhypothese geboten
- d) Zwischenergebnis: Vorteilsausgleichung als Grenze der Durchsetzbarkeit
- 2. Schadloshaltung gegenüber der Gesellschaft
- a) Aufwendungsersatz gemäß §§ 675, 670 BGB
- i) Keine Sabotierung des Strafrechts durch das Zivilrecht?
- ii) Innerer Zusammenhang zwischen Strafzahlung und Geschäftsleitertätigkeit
- iii) Strafzahlungen als Zufallsschaden?
- b) Freiwillige Zahlungen der Gesellschaft
- i) Vortatliche Freistellungszusagen
- ii) Nachtatliche Erstattungen
- c) Schadloshaltung in begrenztem Umfang möglich
- 3. D&O-Versicherungen
- 4. Beweislastregeln
- II. Ökonomische Fehlanreize
- 1. Der potenzielle Nutzen von Pflichtverletzungen
- 2. Der tatsächlich zu erwartende Nutzen von Pflichtverletzungen
- III. Gesamtgesellschaftlich tolerierte Freiräume
- IV. Zwischenergebnis: Die Gründe für Grenzen der Durchsetzbarkeit
- B. Theorie und Praxis der Bewältigung konkreter Pflichtenkollisionen
- I. Kollisionen zwischen allgemeinen Verhaltenspflichten und Geschäftsleiterpflichten im engeren Sinne
- 1. Kollision der Weisungsfolgepflicht mit dem allgemeinen Schädigungsverbot
- 2. Doppelmandate: Kollision von Sorgfalts- und Treuepflichten
- II. Kollidierende Innenpflichten
- 1. Räuberische Aktionäre: Kollision der Kapitalerhaltungs- mit der Schadensabwendungspflicht
- 2. Schmiergelder: Kollision der Förderungs- mit der Legalitätspflicht
- 3. Kollision der Weisungsfolgepflicht mit der Legalitäts- und der Sorgfaltspflicht
- 4. Kollision der Ausführungspflicht mit der Legalitäts- und der Sorgfaltspflicht
- 5. Due Diligence: Kollision der Verschwiegenheits- mit der Sorgfaltspflicht
- 6. Feindliche Übernahmen: Kollision der Schadensverhinderungspflicht mit dem Behinderungsverbot
- III. Kollidierende Außenpflichten
- IV. Kollisionen von Innen- mit Außenpflichten
- V. Internationale Pflichtenkollisionen
- C. Auswirkungen auf die Behandlung von Pflichtenkollisionen
- Kapitel 6: Grundsätze zur Kollisionsbewältigung bei Geschäftsleiterpflichten
- Literaturverzeichnis
- Reihenübersicht
Im Übrigen wird verwiesen auf:
Incidit in Scyllam qui vult vitāre Charybdim.1 Wem diese Wendung im Kontext juristischer Darstellungen nicht geläufig ist, für den besteht kein Anlass, sich um seine antiken Sprachkenntnisse Sorgen zu machen. Statt eines Paragraphen der Digesten oder einer über den Corpus Iuris verfassten Glosse, verbirgt sich hinter diesem lateinischen Ausspruch nämlich nichts weiter als ein Sprichwort, das seinen Ursprung in der dem Dichter Homer zugeschriebenen Dichtung „Odyssee“ findet.2 Wenngleich diesem Satz, der das Dilemma des Odysseus beschreibt, sein Schiff in der Meerenge von Messina zwischen einem sechsköpfigen Ungeheuer und einem nicht weniger gefährlichen Meeresstrudel hindurch zu segeln, von sich aus keine rechtswissenschaftliche Bedeutung zukommt, zieht sich das ihm entlehnte Sprichwort, „zwischen Skylla und Charybdis zu stehen“, wie ein roter Faden durch das jüngere Schrifttum im Kapitalgesellschaftsrecht.3 Beschrieben wurde damit stets die Situation, in der der Geschäftsleiter eines Unternehmens zwei widersprüchlichen Pflichten ausgesetzt ist und sich, egal welche Pflicht er erfüllt, wegen der Verletzung der jeweils anderen zu verantworten müssen scheint. Freilich droht ihm dabei nicht der Kampf mit einem Seeungeheuer – persönliche Haftungsfolgen, Bußgelder, Strafsanktionen und der Verlust seines Amtes sind als mögliche Sanktionen jedoch gleichsam geeignet, um ihn „Schiffbruch erleiden“ zu lassen.
Die folgende Abhandlung widmet sich der rechtlichen Situation, die solchen Pflichtenkollisionen von Geschäftsleitern zugrunde liegt. Einführend wird dazu die Zwangslage erläutert, in der sich die Mitglieder von Leitungsorganen befinden. Sodann sind die Ziele zu formulieren, deren Erreichung das Anliegen dieser Ausarbeitung ist. Außerdem soll beschrieben werden, welche Mittel zur Verfolgung dieser Ziele am erfolgversprechendsten sind. ← 1 | 2 →
A. Die Problematik kollidierender Geschäftsleiterpflichten
Verbandsrechtlich organisierte Gesellschaftsformen können als juristische Personen zwar Träger von Rechten und Pflichten sein, sie können, da sie letztendlich nur bloße Denkgebilde sind, aber ohne Beteiligung einer natürlichen Person weder über diese Rechte verfügen noch ihre Pflichten gegenüber Dritten erfüllen. Damit sie im Rechtsverkehr dessen ungeachtet handlungsfähig sind, wurden diese Körperschaften mit Organen ausgestattet, deren Mitglieder für und im Namen der Gesellschaft tätig werden und die Geschäfte der Gesellschaft leiten. Diese Geschäftsleiter unterliegen dabei einer Vielzahl unterschiedlicher Pflichten, die bestimmen, wie sie diese Geschäfte zu leiten haben und was sie stellvertretend für die Gesellschaft tun oder unterlassen müssen. Sollten zwei dieser Verhaltensanweisungen dahingehend in Konflikt geraten, dass sie dasselbe Verhalten bei unbefangener Interpretation ihrer Tatbestände einerseits gebieten, andererseits aber untersagen, ist von einer Kollision dieser Geschäftsleiterpflichten die Rede. Beispiele für entsprechende Widersprüche finden sich zur Genüge.
Für viel Furore in Rechtsprechung4 und Literatur5 sorgte etwa der Konflikt zwischen der sogenannten Masseerhaltungspflicht und der Pflicht, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abzuführen.6 So bestimmen § 92 Abs. 2 AktG und § 64 S. 1 GmbHG, dass der Geschäftsleiter einer ins Stadium der materiellen Insolvenz geratenen Gesellschaft, zur Erhaltung der verbliebenen Vermögensmasse grundsätzlich keine Zahlungen mehr aus dem Gesellschaftsvermögen vornehmen darf. Eine Ausnahme für Beitragszahlungen an die Einzugsstelle von Sozialversicherungen sehen die jeweiligen Verbotstatbestände nicht vor. Dasselbe gilt für das nach § 266a Abs. 1 StGB strafbewehrte Gebot, die Beiträge an die Sozialversicherung zu entrichten – auch hier findet sich keine Erlaubnis, ausnahmsweise die Zahlungen bei materieller Insolvenz der Gesellschaft einzustellen. Somit scheint es so, als ob der Geschäftsleiter die Beiträge gleichzeitig zahlen muss und nicht zahlen darf. Ähnliche Konflikte ergeben sich für Geschäftsleiter, die gleichzeitig bei mehreren Gesellschaften tätig sind.7 Erlangt ein solcher Doppelmandatsträger etwa im Zuge seiner Tätigkeit bei der einen Gesellschaft eine Information, die für die andere Gesellschaft ← 2 | 3 → einen geldwerten Vorteil verspricht, scheint es ihm die Sorgfaltspflicht gegenüber der zweiten Gesellschaft zu gebieten, sein Wissen zu teilen. Gleichzeitig müsste ihm die Preisgabe der Information nach der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der ersten Gesellschaft aber verboten sein. Weitere Pflichtenkollisionen entstehen unter dem Gesichtspunkt, dass Geschäftsleiter verpflichtet sind, die Interessen ihrer Gesellschaft zu fördern und Schäden von ihr abzuwenden. Sollte sich die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften für die Gesellschaft „nicht lohnen“, könnten Geschäftsleiter danach möglicherweise verpflichtet sein, diese Bestimmungen zu verletzen. Vom kartellrechtlichen Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung,8 bis hin zum ordnungswidrigen Parken „in zweiter Reihe“,9 könnten insofern alle gesetzlichen Verhaltensanweisungen zu einer Pflichtenkollision führen.
Der Geschäftsleiter, der in eine solche Pflichtenkollision gerät, sieht sich einem erheblichen Dilemma ausgesetzt. Wegen des alternativen Charakters der sich widersprechenden Pflichten kann er nämlich nur eine der beiden Pflichten erfüllen. Damit scheint er die andere Pflicht zwangsläufig verletzen zu müssen. Je nachdem, welche Rechtsfolgen an diese Pflichtverletzung gebunden sind, steigt dabei das für den Geschäftsleiter unausweichlich wirkende Übel. Dass es dabei um durchaus einschneidende Sanktionen geht, zeigt das zuerst genannte Beispiel der Beitragszahlungspflicht bei materiell insolventen Gesellschaften. Sollte der Geschäftsleiter zahlen, droht ihm die Pflicht, den gesamten Betrag aus seinen persönlichen Mitteln an die Gesellschaft erstatten zu müssen, vgl. §§ 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, 64 Abs. 1 S. 1 GmbHG. Sollte er demgegenüber nicht zahlen, drohen ihm gemäß § 266a Abs. 1 StGB sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Dass ihm in jedem Fall die Abberufung von seinem Posten als Organmitglied in Aussicht steht, scheint angesichts dieser Sanktionen kaum einer Erwähnung wert zu sein. Damit zeigt sich, dass der Vergleich mit der Wahl zwischen Skylla und Charybdis durchaus seine Berechtigung hat.
Da die Jurisprudenz kein Selbstzweck ist, obliegt es der Rechtswissenschaft, dem von einer Pflichtenkollision betroffenen Geschäftsleiter einen Ausweg aus seiner rechtlichen Misere aufzuzeigen. Hierzu bedarf es zunächst einer Lösung für den eigentlichen Pflichtenwiderstreit. Insofern gilt es zu erforschen, welches Verhalten die Rechtsordnung von dem Geschäftsleiter erwartet und wie sich die zu erwartenden Nachteile ganz oder teilweise vermeiden lassen. Ist eine solche Möglichkeit zur Kollisionsbewältigung gefunden, muss sie dem Rechtsanwender in einem zweiten Schritt in verständlicher Form vermittelt werden. Gerade bei Geschäftsleitern ist dies von erheblicher Bedeutung, weil sie Entscheidungen oft nur unter dem Druck des unternehmerischen Alltags treffen können und damit auch bei Pflichtenkollisionen regelmäßig nicht viel Zeit in die Erlangung von Rechtskenntnissen investieren können. Ohne die entsprechende Rechtssicherheit steht zu befürchten, dass sich ← 3 | 4 → Geschäftsleiter nur aus Unkenntnis heraus falsch verhalten und sich so Sanktionen wie den oben geschilderten aussetzen.
Meines Erachtens hat die Rechtswissenschaft bisher weder den ersten noch den zweiten Teil dieser Aufgabe in ausreichender Form erfüllt. Die vorliegende Abhandlung soll dem so weit wie möglich Abhilfe schaffen. Ihr erstes Kernanliegen ist es dabei, Antworten darauf zu finden, wie Pflichtenkollisionen von Geschäftsleitern aufgelöst werden können. Zweitens sollen diese Antworten zu einer überschaubaren Zahl von Rechtsgrundsätzen verdichtet werden, die der Praxis eine zielsichere Orientierung ermöglichen. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der an Geschäftsleiter adressierten Pflichten stetig zunimmt, sodass auch Pflichtenkollisionen immer wahrscheinlicher werden, besteht für diese Untersuchung ein nachdrückliches Bedürfnis.
B. Eingrenzung und Abgrenzung des Themas
Um sich nicht im Unbestimmten zu verlieren, ist es angezeigt, den Untersuchungsgegenstand positiv über die zu erreichenden Ziele und negativ über die aus der Betrachtung ausgenommenen Gesichtspunkte zu definieren.
Das Ziel der Untersuchung hat sich an dem Bedürfnis des Rechtsanwenders zu orientieren, Klarheit über die Rechtslage bei kollidierenden Geschäftsleiterpflichten zu erlangen. Hierzu genügt es nicht, die bereits zutage getretenen Kollisionsfälle zusammen zu tragen und jede für sich einer vertretbaren Lösung zuzuführen. Eine solche Darstellung könnte weder vollständig sein, noch könnte sie Pflichtenkollisionen erfassen, die erst künftig auftreten werden. Um die Problematik umfassend zu bewältigen und dabei auch bislang unbekannte Kollisionsfälle zu erfassen, ist es daher nötig, nicht am Ergebnis anzusetzen, sondern Wege aufzuzeigen, die eine eigenständige Herleitung der jeweiligen Rechtslage erlauben. Hierzu gilt es, die Gesetzmäßigkeiten zu suchen, anhand derer sich Pflichtenkollisionen auflösen lassen. Das primäre Ziel dieser Untersuchung ist es daher, diese Grundsätze zu finden und zu einer überschaubaren Zahl praktisch handhabbarer Regeln zusammenzufassen.
Wenn es bei der Suche nach diesen Regeln gelingt, konkrete Lösungen für einige in der Vergangenheit mehrfach diskutierte Pflichtenkollisionen zu finden, soll sich einer Stellungnahme jedoch nicht entzogen werden. Eindeutige Aussagen erleichtern dem Rechtssuchenden nicht nur das Verständnis der Materie, sondern sie können im Einzelfall klare Antworten für sein Problem bereithalten. Sie sind im juristischen Schrifttum auch förderlich, Diskussionen voran zu bringen und auf diese Weise für Rechtssicherheit zu sorgen. Trotzdem soll die Bewältigung konkreter Pflichtenkollisionen nur das zweitrangige Ziel dieser Ausarbeitung sein. Mehr als nur ergänzende Erwägungen anzustellen, hieße sich im Speziellen zu verlieren und die Suche nach übergreifenden Lösungsansätzen zu erschweren. ← 4 | 5 →
II. Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes
Um eine Überlastung der Untersuchung mit unwesentlichen Gesichtspunkten zu vermeiden, gilt es, das bisher breit abgesteckte Forschungsprogramm genauer einzugrenzen.
So ist es für die Suche nach Grundsätzen zur Bewältigung von Pflichtenkollisionen nicht erfolgversprechend, die Betrachtung auf jede körperschaftlich organisierte Rechtsform zu erstrecken. Ihrer praktischen Bedeutung geschuldet, werden daher nur die Aktiengesellschaft und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung stellvertretend für andere Gesellschaftsformen10 behandelt.
Zudem wird die Untersuchung auf die Betrachtung der Leitungsorgane, also den Vorstand einer Aktiengesellschaft und die Geschäftsführer einer GmbH, beschränkt. Keine Berücksichtigung finden demnach Aufsichtsräte, wenngleich es vorstellbar ist, dass auch sie ähnlichen Dilemmasituationen ausgesetzt sind.11 Praktisch haben diese Fälle jedoch bei weitem nicht die Relevanz, die Pflichtenkollisionen für Geschäftsleiter haben. Da sich auch die Aufgaben und die Haftungsdogmatik der verschiedenen Organe unterscheiden, bietet sich eine gemeinsame Untersuchung nicht an.
Überdies sei das weite Feld bloßer Interessenkollisionen ausgeklammert.12 Wie sich noch im Detail herausstellen wird,13 sind dies Fälle, in denen dem Geschäftsleiter zwar bei jeder Verhaltensalternative bestimmte Nachteile drohen, diese Nachteile aber nicht darin bestehen, dass er zwangsläufig einer rechtlichen Sanktion ausgesetzt zu sein scheint. Die Enttäuschung eines Interesses hat demnach nur faktische, nicht aber rechtliche Konsequenzen zur Folge.
Nachdem die Problematik kollidierender Geschäftsleiterpflichten geschildert und die zu behandelnde Thematik eingegrenzt werden konnte, gilt es schließlich das Forschungsprogramm zu entwickeln, anhand dessen sich Grundsätze für die Bewältigung kollidierender Geschäftsleiterpflichten erarbeiten lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, welche rechtswissenschaftlichen Vorarbeiten existieren und an welchem Stand der Forschung die Untersuchung ansetzen kann. Hieran anknüpfend lässt sich bestimmen, welche Methoden der Erkenntnisgewinnung lohnenswert erscheinen und damit eine Schwerpunktsetzung verdienen. ← 5 | 6 →
Im juristischen Schrifttum werden kollidierende Geschäftsleiterpflichten bisher vor allem punktuell behandelt. So erfolgten die meisten Stellungnahmen unter der Prämisse, nur eine Lösung für eine ganz bestimmte Pflichtenkollision liefern zu wollen. Dies führte teilweise zu Vorarbeiten von bemerkenswertem Umfang. Beispielsweise wurden zu der bereits genannten Kollision mit der Masseerhaltungspflicht nicht nur dutzende Aufsätze und Kurzkommentare veröffentlicht,14 das Thema wurde sogar im Rahmen von Dissertationen15 aufgearbeitet. Entsprechendes gilt für die Pflichtenkollisionen, denen sich ein Doppelmandatsträger aussetzt.16 Andere Pflichtenkollisionen fanden dagegen, wenn überhaupt, nur als Randnotiz Beachtung.17
Ein ähnliches Bild zeichnet sich in Bezug auf die theoretischen Ansätze ab, die möglicherweise zur Lösung von Pflichtenkollisionen bei Geschäftsleitern beitragen können. Aspekte wie die „Einheit der Rechtsordnung“18, das „unternehmerische Ermessen“19, die „verfassungskonforme Auslegung“20 oder die „Nützlichkeit von Pflichtverletzungen“21 waren allesamt Inhalt monographischer Auseinandersetzungen. ← 6 | 7 →
Was bislang aber kaum erfolgte ist, die Problematik um kollidierende Geschäftsleiterpflichten als eine Querschnittsmaterie zu betrachten. Bisher suchten nur Poelzig und Thole in einem gemeinsamen Beitrag nach übergeordneten Prinzipien zur Auflösung dieser Pflichtenkollisionen.22 Dazu sammelten sie eine Reihe unterschiedlicher Kollisionsfälle, brachten sie miteinander in Bezug und entwickelten ein auf die entsprechende Anwendung von Rechtfertigungsregeln begründetes Lösungskonzept, wonach bei jeder Pflichtenkollision die Verletzung einer bestimmten Pflicht nicht schuldhaft erfolge und damit erlaubt sei, weil dies der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters entspräche.23 Zweifellos geht diese Stellungnahme weit über einen ersten Denkanstoß hinaus. Ihre methodisch und fachlich fundierten Ansätze sind jedoch nicht über jeden Zweifel erhaben – so gilt es insbesondere zu überlegen, ob eine Anleihe aus der Rechtfertigungsdogmatik für die Bestimmung des tatbestandlichen Verschuldens wirklich trägt. Zudem scheinen Poelzig und Thole die von ihnen vorgenommene Systematisierung von Geschäftsleiterpflichten nicht hinlänglich auf ihr eigenes Ergebnis zu übertragen. Gerade letzteres mag jedoch dem begrenzten Umfang des Zeitschriftenbeitrags geschuldet zu sein, im Rahmen dessen sie ihre Überlegungen anstellten. Bereits die Kürze der genannten Stellungnahme verbietet es insofern, dass die Thematik der Pflichtenkollisionen, deren Detailfragen bereits Monographien füllt, erschöpfend behandelt werden konnte.
Damit bleibt festzustellen, dass bisher kein dogmatisches Konzept zur Bewältigung von Pflichtenkollisionen aufgestellt werden konnte. Im Gegenteil: Die Fülle an unterschiedlichen Rechtsauffassungen, die sich in den Stellungnahmen zur Auflösung einzelner Pflichtenkollisionen findet, deutet an, dass sich die Literatur alles Andere als einig ist.24 So wird teilweise wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Strafbewehrung der einen Pflicht die Nichtbefolgung einer anderen Pflicht legitimieren könne.25 An anderer Stelle wird insofern der Charakter einer Geschäftsleiterpflicht als „Kardinalpflicht“ für entscheidend gehalten.26 Abstrakter verweisen einige zur Lösung der Konflikte auf eine „exkulpierende-“27 oder „rechtfertigende Pflichtenkollision“28. Der II. Zivilsenat des BGH bemühte insofern sogar den Wegfall des „deliktischen Verschuldens“29 – dies freilich ohne zu erläutern, was mit diesem Begriff gemeint sei.
Es wird deutlich, dass die Rechtswissenschaft ihrer Pflicht, bei kollidierenden Geschäftsleiterpflichten für Klarheit zu sorgen, bei weitem noch nicht nachgekommen ist. Dessen ungeachtet lässt sich bei der Suche nach Bewältigungsgrundsätzen auf ← 7 | 8 → dem aufbauen, was im Rahmen der punktuellen Betrachtung von Pflichtenkollisionen vertreten wird. Zusammen mit der Vorarbeit Poelzig und Tholes stellt dies den Forschungsstand dar, an welchen es bei dieser Betrachtung anzusetzen gilt.
II. Methodik und Fortgang der Untersuchung
Mit der soeben gemachten Feststellung, dass bereits im Ansatz keine Sicherheit über die Bewältigung kollidierender Geschäftsleiterpflichten besteht, werden die für diesen Forschungsgegenstand erfolgversprechendsten Methoden der Erkenntnisgewinnung bereits vorgezeichnet. Keine nennenswerte Bedeutung kommt etwa der Rechtsvergleichung zu, da komparativen Erwägungen im deutschem Recht ein Vergleichsgegenstand fehlt und es nicht um eine Untersuchung de lege ferenda geht, bei der die Erfahrungen aus anderen Rechtsordnungen lehrreich sein könnten.30 Ebenso wenig geeignet, einen Forschungsschwerpunkt auszumachen, ist die Rechtsgeschichte. Weil heute kein gesichertes Konzept zur Kollisionsbewältigung besteht, sind Anhaltspunkte für ein solches in der Vergangenheit erst recht nicht zu erwarten.31 Damit bleibt es dabei, die Untersuchung auf eine rechtsdogmatische Grundlage zu stellen. Das bedeutet, dass die der Kollisionsbewältigung zugrunde liegenden Prinzipien aus einer systematischen und begrifflichen Durchdringung geltender Rechtsnormen und ungeschriebener Rechtsgrundsätze gewonnen werden sollen.
Wenngleich sich auf diese Weise ermitteln ließe, wie sich Geschäftsleiter bei einer Pflichtenkollision theoretisch verhalten müssten, steht damit noch nicht fest, dass dieses Verhalten auch der Praxis entspricht. Um die Behandlung kollidierender Geschäftsleiterpflichten realitätsnah abbilden zu können, sind daher die Eigendynamik in einer verbandsrechtlichen Organisation und die Tatsache zu berücksichtigen, dass sich Geschäftsleiter einer besonderen Dilemmasituation ausgesetzt sehen. Aus diesem Grund sind die rechtsdogmatischen Erwägungen um faktische Begleitumstände und Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomik zu ergänzen.
Für den Fortgang der Untersuchung ergibt sich damit Folgendes:
In einem ersten Schritt gilt es den Pflichtenrahmen des Geschäftsleiters abzustecken und einer Systematisierung zu unterziehen (Kapitel 2). Auf dieser Grundlage sollen die in der Literatur dargestellten und praktisch in Erscheinung getretenen Pflichtenkollisionen in einem zweiten Schritt zusammengetragen und dargestellt werden. Wichtiger als Vollständigkeit ist dabei die Suche nach übergeordneten Prinzipien. Aus diesem Grund soll die exemplarische Darstellung der einzelnen Kollisionen danach geordnet werden, über welche Charakteristika die an der Kollision ← 8 | 9 → beteiligten Geschäftsleiterpflichten verfügen. Möglicherweise lassen sich anhand der Art dieser Pflichten bereits Gesetzmäßigkeiten für ihr Verhältnis zu anderen Pflichten namhaft machen. In jedem Fall lässt sich an dieser Stelle feststellen, wie Pflichtenkollisionen nach dem derzeitigen Erkenntnisstand behandelt werden (Kapitel 3).32 Der dritte Schritt der Untersuchung besteht sodann darin, die bis dorthin gefundenen Ergebnisse auf eine theoretische Ebene zu transportieren und zu überprüfen. Gerade hier lässt sich an die Vorarbeiten im Schrifttum ansetzen. Um eine möglichst umfassende Darstellung zu garantieren, sollen dabei alle für den Geschäftsleiter denkbaren Verhaltensoptionen nacheinander betrachtet werden. Am Ende dieses Abschnitts sollen die dogmatischen Grundsätze feststehen, nach denen Pflichtenkollisionen von Geschäftsleitern rechtlich zu behandeln sind (Kapitel 4). Diese theoretischen Befunde gilt es in einem nächsten Schritt auf ihre praktische Tauglichkeit in der Rechtsanwendung hin zu untersuchen. Ein besonderer Fokus wird dabei auf ökonomische Erwägungen und Lücken in der Rechtsdurchsetzung zu legen sein. Bei dieser Gelegenheit lässt sich feststellen, welche Verhaltensoptionen bei den zuvor betrachteten Pflichtenkollisionen für den Geschäftsleiter tatsächlich bestehen (Kapitel 5). In einem letzten Schritt können die theoretischen und praktischen Befunde zu zehn Regeln verdichtet werden, die es Geschäftsleitern ermöglichen, sich zielsicher aus ihrer Zwangslage „hinaus manövrieren“ zu können (Kapitel 6).
1 „Es verfällt der Skylla, wer die Charybdis vermeiden will.“
2 Der zwölfte Gesang der Odyssee, in welchem die Geschichte um Skylla und Charybdis erzählt wird, enthält in seiner lateinischen Übersetzung aus dem Griechischen keinen wörtlichen Anhaltspunkt auf das heutige Sprichwort, vgl. Schneider/Meckelnborg (Hrsg.), Odyssea Homeri, S. 181 ff. Das Sprichwort geht wahrscheinlich auf die Wendung „Incidis in Scillam cupiens uitare Caribdim.“ („Suchst die Charybdis zu meiden und fällst der Skylla zum Opfer“, vgl. Walter von Châtillon, Alexandreis, S. 103) zurück, die Walter von Châtillon in Vers 301 des fünften Buchs des Alexandreis verwandt hat.
3 Berger/Herbst, BB 2006, 437 (437); Goette, 50 Jahre BGH, 123 (137); Martens, AG 1988, 118 (124); Radtke, FS Otto, 695 (697); Schneider/Brouwer, ZIP 2007, 1033 (1033); Baumbach/Hueck/Zoellner/Noack, § 37, Rn. 22.
4 So chronologisch: BFH/NV 1994, 142 (144); BGH NJW 1997, 133 (134); BGHZ 134, 304 (308 ff.); ZInsO 1998, 141 (142); ZIP 2000, 1339 (1342); NJW 2001, 967 (967); BGHZ 146, 264 (275); 149, 100 (103 f.); BGHSt 47, 318 (319 ff.); DZWIR 2005, 515 (516); BGHSt 48, 307 (307 ff.); NJW 2005, 2546 (2546 ff.); NJW 2005, 3650 (3651); OLG Hamburg ZIP 2007, 725 (726); OLG Brandenburg ZIP 2007, 724 (725); BFH GmbHR 2007, 999 (999 f.); OLG Naumburg, NZG 2008, 37 (37); BGH ZIP 2007, 1265 (1266); ZInsO 2008, 740 (740); NJW 2009, 295 (295); FG München ZInsO 2009, 924 (926).
5 So beispielhaft: Altmeppen, NJW 2007, 2121; Bittmann, wistra 2007, 406; Goette, DStR 2007, 1176; Groß/Schork, NZI 2004, 358; Rönnau, wistra 1997, 13; Rönnau, NJW 2004, 976.
6 Siehe unten, Kapitel 3 C I, S. 138.
Details
- Seiten
- XXIV, 374
- Erscheinungsjahr
- 2017
- ISBN (PDF)
- 9783631726167
- ISBN (ePUB)
- 9783631726174
- ISBN (MOBI)
- 9783631726181
- ISBN (Hardcover)
- 9783631726150
- DOI
- 10.3726/b11330
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2017 (Juni)
- Schlagworte
- Kapitalgesellschaft Vorstand Compliance Doppelmandate Legalitätspflicht Nützliche Pflichtverletzungen
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XXIV, 374 S.