Kooperation im Destinationsmanagement: Erfolgsfaktoren, Hemmschwellen, Beispiele
Ergebnisse der 1. Deidesheimer Gespräche zur Tourismuswissenschaft
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Kooperative Destinationsentwicklung: Grundlagen – Nutzen – Hemmschwellen
- Chancen und Herausforderungen grenzüberschreitender Kooperationen im Tourismus
- Beziehungspflege im Destinationsmanagement: Können Kommunen sich verlieben?
- Stars und Sternchen im Social Web: Kooperationsmöglichkeiten mit digitalen Meinungsführern im Tourismus
- Kooperationsherausforderungen bei der Realisierung einer Gästekarte
- Kooperationen von kleinen und mittleren Städten: Die Vereinigung Cittaslow am Beispiel der Stadt Deidesheim
- Kooperation gegen die Beschleunigung: Das Reiseverhalten in deutsche Cittaslow-Städte
- Autorenverzeichnis
← 8 | 9 → Bernd Eisenstein und Alexander Koch
Kooperative Destinationsentwicklung: Grundlagen – Nutzen – Hemmschwellen
1. Touristische Destinationen als strategische Netzwerke co-produzierender Akteure
Der folgende Artikel möchte darlegen, dass es sich bei Destinationen um strategische Netzwerke handelt, deren Weiterentwicklungserfolg in der Regel wesentlich von der Fähigkeit der Beteiligten zur dauerhaften Kooperation abhängt. Neben der Differenzierung der Netzwerke nach Kooperationsrichtung und -ebene wird zunächst verdeutlicht, welche Vorteile und Nutzen die an den Netzwerken zur kooperativen Destinationsentwicklung Beteiligten verfolgen, bevor ausgewählte Ergebnisse der Erfolgsfaktoren-Forschung zu Kooperationen und Netzwerken dargestellt werden. Darauf aufbauend werden zentrale Hemmschwellen der kooperativen Destinationsentwicklung erläutert, nicht ohne auch auf deren Folgen und auf potenzielle Lösungsansätze einzugehen.
Der tourismuswissenschaftliche Diskurs hat ein differenziertes Verständnis von touristischen Destinationen herausgebildet, das sowohl nachfrage- und prozessorientierte als auch netzwerktheoretische Perspektiven vereint. Dabei erfährt die folgende an die UNWTO (vgl. 1993, 22) angelehnte Definition von Bieger/Beritelli gegenwärtig wohl am meisten Anerkennung, welche zugleich als Ausgangspunkt für weiterführende Erläuterungen dienen soll. So wird eine Destination als
„[g]eographischer Raum (Ort, Region, Weiler) [definiert], den der jeweilige Gast (oder ein Gästesegment) als Reiseziel auswählt. Sie enthält sämtliche für einen Aufenthalt notwendigen Einrichtungen für Beherbergung, Verpflegung, Unterhaltung/Beschäftigung. Sie ist damit die Wettbewerbseinheit im Incoming Tourismus, die als strategische Geschäftseinheit geführt werden muss.“ (2013, 54)
Demzufolge entsteht eine Destination aus der Perspektive des Touristen und dient ihm als Reiseziel für einen zeitlich befristeten Aufenthalt zur Befriedigung seiner damit verbundenen Bedürfnisse (vgl. Eisenstein 2014, 13). Der räumliche Zuschnitt der Destination ist dabei abhängig von der Wahrnehmung des Gastes und kann beispielsweise zwischen einem Ort, einer ganzen Region, einem Land oder auch einer Ländergruppe variieren (vgl. Bieger/Beritelli 2013, 53).
Zur Befriedigung seiner Bedürfnisse nimmt der Tourist ein Bündel aus komplementären Sach- und Dienstleistungen in Anspruch, welches er vorrangig in ← 9 | 10 → seiner Gesamtheit als das eigentliche Produkt wahrnimmt, wodurch die ohnehin bereits vorliegende Interdependenzbeziehung der einzelnen Bestandteile des Leistungsbündels verstärkt wird. Als übergreifende Wettbewerbseinheit steht die Destination in Konkurrenz zu anderen Reisezielen, die dem potenziellen Besucher ebenfalls als ganzheitliche produktliefernde Einheiten zielgruppen-adäquate Leistungsprogramme offerieren. (vgl. Eisenstein 2014, 13)
Abbildung 1: Dienstleistungskette im Tourismus1
Das Leistungsbündel der Destination wird dabei von einem Netzwerk privatwirtschaftlicher Unternehmen bereitgestellt, welches durch öffentliche Leistungsbestandteile ergänzt wird (vgl. Eisenstein 2014, 112, 120; Laux 2012, 15). Eine prozessorientierte Systematisierung dieser kooperativen Angebotserstellung erfolgt in der Regel als „Dienstleistungskette“ (siehe Abbildung 1) oder mitunter auch als „Wertefächer“ (siehe Abbildung 2) (vgl. Fischer 2009, 80-88 mit Bezug auf Flagestad/Hope 2001, 454-456; Müller 2008, 140).
Im Zusammenhang mit dieser kollektiven Co-Produktion ist besonders auf die Interdependenz zwischen den an der touristischen Leistungserstellung und der Tourismusplanung beteiligten Unternehmen und Akteuren hinzuweisen (vgl. Laux 2012, 14). So besteht im Kontext der kooperativen Destinationsentwicklung eine starke Verknüpfung zwischen dem Erfolg einzelner Unternehmen und dem Erfolg der Destination als Ganzes (vgl. Saretzki 2007, 279).
„Die touristische Dienstleistungskette ist zu vielfältig, der multioptionale Tourist zu anspruchsvoll und die Fixkosten zu hoch, als dass ein ← 10 | 11 → eigenkapitalschwaches Unternehmen alles zu bieten vermag.“ (Peters 2003, 38) Dabei stellt die Vernetzung der Einzelbestandteile zur touristischen Dienstleistungskette insbesondere für kleinere Unternehmen als zentralen potenziellen Mehrwert die Möglichkeit dar, an „virtueller“ Größe zu gewinnen und den Handlungsspielraum zu erweitern, ohne dabei die jeweilige Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu verlieren. „Die touristischen Klein- und Mittelbetriebe haben in der Regel nur geringe Budgets und somit geringe Handlungsspielräume.“ (Pechlaner/Raich 2008, 112)
Abbildung 2: Wertefächer im Tourismus2
Unter Beibehaltung der Eigenständigkeit hilft die Bildung kooperativer Netzwerke, die Nachteile der Kleinstrukturierung zu vermindern (vgl. Laux/Soller 2012, 31f.; Lemmetyinen/Go 2009, 33; Ullmann 2000, 234). Unabhängig von der Größe des eigenen Unternehmens nimmt der touristische Leistungsträger in der Destination im optimalen Falle die Rolle eines „netzwerkeingebetteten Unternehmers“ ein: Durch die zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten ← 11 | 12 → Destination erforderliche Kooperation mit anderen Akteuren agiert er sowohl als Leiter des eigenen Unternehmens (Mikroebene) als auch als kooperatives Mitglied des Netzwerkes (Makroebene) (vgl. Pechlaner/Raich 2008, 112; Reiß 2001, 138).
Auf der Destinationsebene ermöglichen erst tiefgreifende Koordinationsprozesse und Kooperationsbeziehungen die Erfüllung von wichtigen Aufgaben und Funktionen einer Destination, die über die Handlungsfähigkeit einzelner Akteure und Stakeholder hinausgehen (vgl. Fuchs 2013, 87; Pechlaner 2003, 5). So wird eine Destination erst durch eine integrierte Tourismusplanung und Vernetzung der Einzelprodukte zur Entwicklung eines koordinierten Leistungsbündels und zur Bildung einer attraktiven Marke befähigt (Vgl. Laux 2012, 14 basierend auf Daskalopoulou/Petrou 2009, 779f.; Bieger 2008b, 58; Jóhanneson 2005, 137, 147).
Aus netzwerktheoretischer Perspektive können Destinationen zusammenfassend als inter-organisationale strategische Netzwerke co-produzierender rechtlich selbständiger und zugleich zu einem gewissen Grad wirtschaftlich interdependenter Akteure angesehen werden, die das Ziel der Realisierung von Wettbewerbsvorteilen3 verfolgen. Die Zusammenarbeit der Akteure im Netzwerk ist dabei zumeist gekennzeichnet durch komplex-reziproke, kooperative und relativ stabile Beziehungen. (vgl. Laux/Soller 2012, 29; Saretzki 2007, 275-276 in Anlehnung an Sydow 1992a, 79)
Angesichts der Kooperations- und Koordinationsnotwendigkeiten im Zuge der Planung, Erstellung und Vermarktung des touristischen Leistungsbündels werden Destinationen auch als „virtuelle Unternehmen“ (Bieger 2010, 136) verstanden, die zur langfristigen Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit als Ganzes gemanagt und strategisch geführt werden müssen (vgl. Bieger/Beritelli 2013, 54; Flagestad/Hope 2001, 450f.). „Touristische Zielgebiete benötigen folglich eine Institution, die als zentrale Koordinierungsstelle für das vom touristischen Nachfrager als Einheit wahrgenommene Gesamtprodukt des Leistungsbündels fungiert.“ (Eisenstein 2014, 109)
2. Umsetzungsmodelle der übergreifenden Koordination und strategischen Steuerung
Als ein solcher „hauptsächliche[r] Träger der übergreifenden und kooperativ zu erbringenden Funktionen im Tourismus einer Destination“ (Bieger/Beritelli 2013, 73) wird in der Regel eine Tourismusorganisation bzw. Destinationsmanagement-organisation (DMO) eingesetzt. Diese kann sowohl privatwirtschaftlich als auch öffentlich-rechtlich organisiert sein. Die im Rahmen der strategischen Führung einer Destination von der DMO zu erbringenden grundlegenden Funktionen ← 12 | 13 → werden nach weitgehender Übereinstimmung in die Leitbild- bzw. Planungsfunktion, die Angebotsfunktion, die Interessenvertretungsfunktion sowie die Marketingfunktion unterteilt (vgl. Bieger/Beritelli 2013, 68; Arbeitsgruppe „Neue Strukturen im Schweizer Tourismus“ 1998, 32f.). Um erfolgreich am Markt platziert werden zu können, muss das Leistungsbündel der Destination koordiniert, bereitgestellt, angepasst und kommuniziert werden (vgl. Wöhler 1997, 18 verändert und ergänzt durch Eisenstein 2014, 109):
• Bereitstellung und Koordination des Leistungsprogramms: Unter der Zielstellung, die Destination touristisch zu gestalten, erfolgt die touristische Inwertsetzung des Raumes durch Entwicklung und Bereitstellung von Angeboten. Um eine möglichst umfassende Bedürfnisbefriedigung bei den definierten Zielgruppen zu erreichen, sind mittels Kombination dieser einzelnen Leistungsbestandteile sowie durch Koordination der bei der Erstellung beteiligten Unternehmen, Institutionen und Personen (vgl. Schuler 2012, 96) zielgruppenadäquate Leistungsprogramme aufzubauen.
• Kontinuierliche Anpassung des Leistungsprogramms: Angesichts der Dynamik des touristischen Marktes sind diese entwickelten Leistungsprogramme stets anpassungsfähig zu halten sowie mittels Innovationen und einer konsequenten Markt-, Wettbewerbs- und Zielgruppenorientierung kontinuierlich weiterzuentwickeln. Hierbei ist der fortwährende Gestaltungs- und Optimierungsprozess der Leistungsprogramme sowohl an den Bedürfnissen der bereits vorhandenen Gästezielgruppen als auch an zukünftig erreichbaren Nachfragepotenzialen auszurichten.
• Kommunikation des Leistungsprogramms: Weiterhin ist eine schlagkräftige Kommunikation der vorgehaltenen Leistungsprogramme gegenüber den ausgewählten Zielgruppen erforderlich, um bei diesen Kenntnis von der Existenz der kooperativ entwickelten Angebote zu schaffen und sie mittels eines kompetenzbasierten Themenmarketings von dem Potenzial für eine möglichst umfassende Bedürfnisbefriedigung zu überzeugen.
Die im Kontext der kooperativen Destinationsentwicklung wesentliche Fragestellung, wie hoch hierbei der Koordinationsaufwand der DMO ausfällt bzw. wie stark deren Steuerungsmöglichkeiten ausgeprägt sind, hängt maßgeblich von den im Zielgebiet vorherrschenden Organisationsstrukturen ab. Diesbezüglich lassen sich schematisch der Community-Ansatz und der Corporate-Ansatz unterscheiden. Da europäische Zielgebiete typischerweise nach dem Community-Ansatz organisiert sind (vgl. Eisenstein 2014, 111), wird im Zuge der folgenden Erläuterungen ein größeres Gewicht auf dieses Modell gelegt.
Für den Community-Ansatz ist kennzeichnend, dass die Erstellung der Dienstleistungskette bzw. des Leistungsbündels durch eine große Anzahl rechtlich ← 13 | 14 → selbständiger, kleiner und mittlerer Unternehmen erfolgt, z.B. Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe, Freizeit- und Unterhaltungsanbieter sowie weitere Leistungsträger und deren Zulieferer. Die heterogenen Eigentumsverhältnisse in der Destination und die daraus häufig resultierende Vielfalt an Partikularinteressen erschweren in Kombination mit den über einen sehr langen Zeitraum historisch gewachsenen Angebotsstrukturen4 die Koordination des touristischen Leistungsprogramms. (vgl. Eisenstein 2014, 111f.; Fischer 2009, 70; Socher/Tschurtschenthaler 2002, 167f.)
Abbildung 3: Community- und Corporate Modell5
Aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit vieler Leistungsträger bleiben die Einflussmöglichkeiten der für die Koordination zuständigen Tourismusorganisation beschränkt. Vor diesem Hintergrund können diese im Rahmen des Community-Ansatzes vorrangig nur auf Maßnahmen der „weichen“ Steuerung zurückgreifen. Bezüglich der im Community-Ansatz zum Einsatz kommenden Steuerungsinstrumente sind in der Praxis motivational-kommunikative Aktivitäten sowie auf Kompromissen und konsensualen Übereinkommen basierende ← 14 | 15 → Entscheidungsprozesse zur touristischen Entwicklung des Zielgebietes von großer Bedeutung (vgl. Eisenstein 2014, 112; Dettmer, et al. 2005, 36).
Abbildung 4: Steuerungsmedien6
Details
- Seiten
- 176
- Erscheinungsjahr
- 2015
- ISBN (PDF)
- 9783653056211
- ISBN (MOBI)
- 9783653966718
- ISBN (ePUB)
- 9783653966725
- ISBN (Paperback)
- 9783631661178
- DOI
- 10.3726/978-3-653-05621-1
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Juni)
- Schlagworte
- Tourismus Coopetition Destinationsentwicklung Tourismusmanagement
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 176 S., 2 s/w Abb., 11 Tab., 21 Graf.