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Diskursanalyse und mentale Prozesse

Sprachliche Strategien zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität bei Hugo Chávez und Evo Morales

by Romana Castro Zambrano (Author)
©2015 Thesis 434 Pages
Series: Studia Romanica et Linguistica, Volume 43

Summary

Romana Castro Zambrano beschäftigt sich mit Reden der Präsidenten Hugo Chávez (Venezuela, 1999–2013) und Evo Morales (Bolivien, seit 2006) aus den Jahren 2006 und 2007 mit Blick auf sprachliche Strategien zur Konstruktion nationaler Identität. Ihre Untersuchung basiert auf der Annahme, dass mit der Wahl zweier linksgerichteter Staatsoberhäupter tiefgreifende gesellschaftliche Umstrukturierungen stattfinden, die mit einem Wandel der nationalen Identität einhergehen. Das Buch beruht auf einer Diskurstheorie, die ein dialektisches Verhältnis zwischen Gesellschaft und Diskurs propagiert und die soziale Kognition als Schnittstelle begreift. Zugleich plädiert die Autorin dafür, auch in methodischer Hinsicht die soziokognitive Dimension stärker zu berücksichtigen und in diesem Sinne die Kognitive Linguistik in die Analyse miteinzubeziehen.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort und Danksagung
  • Teil I
  • I. Einleitung
  • II. Diskurs und Diskursanalyse
  • II.1. Zu Diskursbegriff(en) und Diskurstheorie(n)
  • II.2. Zum Verhältnis von Diskurs, Macht und Gesellschaft
  • II.3. Diskursanalyse in der Sprachwissenschaft
  • II.3.1. Wissensanalytische Diskurslinguistik
  • II.3.2. Machtanalytische Diskurslinguistik
  • II.4. Diskursanalyse im Kontext der (Sprach-)Kritik
  • II.5. Kritische Diskursanalyse als Rahmenkonzept
  • III. Zum Konzept der nationalen Identität
  • III.1. Identität
  • III.1.1. Individuelle und soziale Identität
  • III.1.2. Kollektive Identität
  • III.2. Nation und Nationalismus
  • III.3. Nationale Identität
  • IV. Überblick: Geschichte, Politik und Gesellschaft
  • IV.1. Bolivien
  • IV.1.1. Neuere Geschichte Boliviens
  • IV.1.2. Die politische Karriere Evo Morales’
  • IV.1.3. Neueste Geschichte seit Amtsantritt Evo Morales’
  • IV.1.4. Grundzüge der Politik Evo Morales’
  • IV.2. Venezuela
  • IV.2.1. Neuere Geschichte Venezuelas
  • IV.2.2. Die politische Karriere Hugo Chávez’
  • IV.2.3. Neueste Geschichte seit Amtsantritt Hugo Chávez’
  • IV.2.4. Grundzüge der Politik Hugo Chávez’
  • V. Zur Analyse der diskursiven Konstruktion nationaler Identität
  • V.1. Kritische Diskursanalyse und Identitäten im Wandel: Analysekategorien
  • V.2. Methoden und Analyseinstrumentarium
  • V.3. Korpuszusammenstellung
  • Teil II
  • I. Definition, Integration und Distinktion: Referenz und Prädikation
  • I.1. Referenz, Prädikation und Nomination in der politischen Sprache
  • I.2. Die Bedeutung von Frames im Kontext von Referenz und Prädikation
  • I.3. Referenz, Prädikation, KDA und nationale Identität
  • I.4. Definition, Integration und Distinktion bei Evo Morales
  • I.4.1. Wirtschaft und Entwicklung
  • I.4.2. Soziales: Bildung und Gesundheit
  • I.4.3. Politisches Spektrum
  • I.4.4. Demokratie und Souveränität
  • I.4.5. Kultur und Charakterzüge
  • I.4.6. Fazit: Definition, Integration und Distinktion bei Evo Morales
  • I.5. Definition, Integration und Distinktion bei Hugo Chávez
  • I.5.1. Lateinamerika und der Globale Süden
  • I.5.2. Die politische Opposition
  • I.5.3. Wirtschaft und Entwicklung
  • I.5.4. Soziales: Bildung und Gesundheit
  • I.5.5. Politisches Spektrum
  • I.5.6. Kultur und Charakterzüge
  • I.5.7. Fazit: Definition, Integration und Distinktion bei Hugo Chávez
  • I.6. Definition, Integration und Distinktion im Vergleich
  • II. Nationale Werte: Konzeptuelle Metaphern und konzeptuelle Integration
  • II.1. Metaphernanalyse und politische Sprache
  • II.2. Theorie der konzeptuellen Metapher
  • II.2.1. Idealisierte Kognitive Modelle
  • II.2.2. Bildschemata
  • II.2.3. Konzeptuelle Metapherntheorie und KDA
  • II.3. Die Theorie konzeptueller Integration
  • II.3.1. Mental Spaces
  • II.3.2. Netzwerke konzeptueller Integration
  • II.4. Konzeptuelle Integration, KDA und nationale Identität
  • II.5. Nationale Werte bei Evo Morales
  • II.5.1. Bolivien unter oppositionellem Einfluss
  • II.5.2. Bolivien unter Einfluss der aktuellen Regierung
  • II.5.3. Die Rolle Boliviens im internationalen Gefüge
  • II.5.4. Fazit: Nationale Werte bei Evo Morales
  • II.6. Nationale Werte bei Hugo Chávez
  • II.6.1. Venezuela unter oppositionellem Einfluss
  • II.6.2. Venezuela unter Einfluss der aktuellen Regierung
  • II.6.3. Die Rolle Venezuelas im internationalen Gefüge
  • II.6.4. Fazit: Nationale Werte bei Hugo Chávez
  • II.7. Nationale Werte im Vergleich
  • III. Kontinuität und Historizität: Interdiskursivität und konzeptuelle Integration
  • III.1. Intertextualität und Interdiskursivität
  • III.2. Zur Kompatibilität von Interdiskursivität und konzeptueller Integration
  • III.3. Interdiskursivität, KDA und nationale Identität
  • III.4. Kontinuität und Historizität bei Evo Morales
  • III.4.1. Die Definition der Nationalhelden
  • III.4.2. Der Kampf für die Unabhängigkeit
  • III.4.3. Der gemeinschaftliche Befreiungskampf
  • III.4.4. Die lateinamerikanische Integration
  • III.4.5. Die gesellschaftliche Anerkennung der Revolution
  • III.4.6. Der Kampf gegen den Kapitalismus
  • III.4.7. Fazit: Kontinuität und Historizität bei Evo Morales
  • III.5. Kontinuität und Historizität bei Hugo Chávez
  • III.5.1. Bolívar und die lateinamerikanische Integration
  • III.5.2. Die Darstellung Bolívars als Sozialist
  • III.5.3. Die Darstellung Bolívars als Christus
  • III.5.4. Fazit: Kontinuität und Historizität bei Hugo Chávez
  • III.6. Kontinuität und Historizität im Vergleich
  • IV. Kontrastive Betrachtung und Resümee
  • V. Literaturverzeichnis
  • V.1. Primärliteratur
  • V.2. Sekundärliteratur
  • VI. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
  • VI.1. Tabellen
  • VI.2. Abbildungen

← 8 | 9 → Vorwort und Danksagung

Meine Motivation, eine Dissertation zur Konstruktion nationaler Identität in Venezuela und Bolivien zu verfassen, ist in erster Linie auf mein persönliches Interesse an Sprachwissenschaft, Lateinamerika und Politik zurückzuführen. Im Zuge der zunehmenden Beschäftigung mit dem Aufkommen linksgerichteter Regierungen in Lateinamerika entwickelte sich in mir schließlich der Gedanke, mich auf zwei der Hauptakteure zu konzentrieren, die in ihren Ländern tiefgreifende politische und gesellschaftliche Umstrukturierungen in Angriff nahmen: Hugo Chávez und Evo Morales. Die Annahme, dass mit einem solch grundlegenden sozialen Wandel auch ein Wandel der nationalen Identität einhergeht, der gerade angesichts der unterschiedlichen gesellschaftlichen und historischen Voraussetzungen Boliviens und Venezuelas ein besonders anregender Gesichtspunkt zu sein schien, bewegte mich schließlich dazu, den Fokus auf diesen Aspekt zu legen.

Obgleich bereits sprachwissenschaftliche Analysen zur Konstruktion nationaler Identitäten sowie zu sozialem Wandel erschienen sind, wirkten die verwendeten Analysemethoden nur wenig geeignet, sodass eine der Hauptaufgaben meiner Dissertation schließlich darin lag, eine geeignete Methode für die Analyse zur Konstruktion nationaler Identität zu erarbeiten. Hierbei konnte ich die Wahl, Reden der Präsidenten mittels einer (Kritischen) Diskursanalyse zu untersuchen, relativ zügig treffen, während mich die Suche nach einem geeigneten und kompatiblen Analyseinstrumentarium erst über einige Umwege zur Kognitiven Linguistik führte.

Die interdisziplinäre Gestaltung der Dissertation hat somit nicht nur zu einer intensiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Analysemethoden und deren theoretischer Grundlagen geführt, sondern außerdem eine intensive Beschäftigung mit Themenkomplexen wie Identität, Nationalismus sowie mit den gesellschaftlichen, politischen und historischen Strukturen Boliviens und Venezuelas eingefordert.

Wie die meisten größeren Projekte, zu denen Dissertationen zweifellos gehören, hätte auch diese Arbeit nicht ohne die Unterstützung unterschiedlichster Art realisiert werden können.

Die Dissertation ist am Institut für Romanistik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf entstanden. Zunächst möchte ich mich daher bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Elmar Schafroth, für die Annahme meines Themenvorschlags, die beratenden Gespräche und insbesondere für das Vertrauen bedanken, das er mir während meiner Promotion hinsichtlich der von mir getroffenen Entscheidungen und meiner Ideen stets entgegengebracht hat. Des Weiteren danke ich Herrn Prof. Dr. Hans Geisler für die Übernahme der Aufgabe des Zweitgutachters sowie für die kritischen Ratschläge und Tipps. Mein Dank gilt außerdem Herrn Prof. Dr. Frank Leinen und Herrn Jun.-Prof. Dr. Alexander Ziem, die mir ebenso wie mein Erst- und Zweitgutachter während der Disputation das Gefühl vermittelt haben, mich nicht in einer Prüfung, sondern in einem kollegialen Gespräch über mein Fachthema zu befinden.

← 9 | 10 → Weiterhin möchte ich Herrn Juan Marcelo Columba Fernández dafür danken, dass er mich in La Paz herzlich begrüßt und mir die Möglichkeit zur Präsentation meiner Ergebnisse an der Universidad de El Alto und der Universidad Mayor de San Andrés eröffnet hat.

Abgesehen von der fachlichen Unterstützung wäre diese Dissertation auch nicht ohne die Unterstützung privater Natur zustande gekommen. Bedanken möchte ich mich bei meinen Freundinnen und Freunden Roland, Matthias, Kristina und Irem. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem engen Freund Constantin, der mich während meiner Promotion auch in anstrengenden Phasen stets unterstützt und mir motivierend beigestanden hat. Ich danke ebenfalls meiner Familie, die stets Verständnis dafür gezeigt hat, dass ich in den vergangenen Jahren aufgrund der Dissertation nur wenig Zeit mit ihr verbringen konnte.

Nicht zuletzt wäre diese Dissertation nicht ohne finanzielle Unterstützung umsetzbar gewesen. Daher möchte ich mich beim DAAD für das Stipendium bedanken, das mir einen Forschungsaufenthalt in Bolivien und Venezuela ermöglicht hat. Mein weiterer Dank gilt der Anna Ruths-Stiftung, deren Stipendium mir während der anspruchsvollsten Phase der Dissertation eine große Hilfe war.

← 10 | 11 → Teil I← 11 | 12 →

← 12 | 13 → I. Einleitung

A dialectical relationship is a two-way relationship: the discursive event is shaped by situation, institutions and social structures, but it also shapes them. To put the same point in a different way, discourse is socially constitutive as well as socially shaped: it constitutes situations, objects of knowledge, and the social identities of and relationships between people and groups of people. (Fairclough / Wodak 1997: 258)

¡Dios mío! Líbranos de una guerra, pero tenemos que prepararnos para defender la Patria. Si aquí tenemos que morir defendiendo a Venezuela, aquí moriremos, defendiendo la soberanía de nuestra patria. (Chávez, 04.02.2006)

Digo con mucha razón, porque América antes llamada Abalaya […], pues tiene su población y quiénes hemos vivido, quiénes hemos nacido en Latinoamérica somos dueños absolutos en esta noble tierra, y tenemos la obligación de defender nuestra identidad, tenemos la obligación de defender nuestros recursos naturales. (Morales, 10.03.2006)

Knowledge is here defined as the organized mental structure consisting of shared factual beliefs of a group or culture, which are or may be ‚verified‘ by the (historically variable) truth criteria of that group or culture. Note that what may be ‚knowledge‘ for one group (period or culture) may be deemed mere ‚beliefs‘ or ‚opinions‘ by other groups. (van Dijk 2002a: 208)

Diskurse sind sozial determiniert und Diskurse konstituieren die Welt, so wie wir sie wahrnehmen. Sie konstituieren Wissen, das von bestimmten Gruppen in einem bestimmten Zeitraum als Wahrheit akzeptiert wird. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Diskursfragmente von Hugo Chávez und Evo Morales betrachtet werden.

Dass der Bundespräsident des heutigen Deutschlands Aussagen wie “tenemos la obligación de defender nuestra identidad” oder gar “aquí moriremos, defendiendo la soberanía de nuestra patria” tätigt, ist sicherlich nur schwer vorstellbar. Welche realitätskonstitutiven Konsequenzen können aber solche Aussagen in Gruppen haben, in denen sie getätigt werden können? Anhand der Diskursfragmente des ehemaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und des bolivianischen Präsidenten Evo Morales zeigt sich, dass Nation und Identität eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen scheinen.

Mit Hugo Chávez in Venezuela (1999-2013) und Evo Morales in Bolivien (seit 2006) wurden in Lateinamerika zwei Präsidenten ins Amt gewählt, deren politisches Handeln eindeutig sozialistische Tendenzen aufweist. Den beiden Präsidenten wird jedoch nicht nur aufgrund ihres ideologischen Hintergrundes internationale Beachtung geschenkt, auch die Biografien von Chávez und Morales weisen – zumindest für Venezuela und Bolivien – atypische Charakteristika für Präsidenten auf: Beide stammen aus den sogenannten „unteren Bevölkerungsschichten“, wuchsen ← 13 | 14 → in ländlichen Regionen auf und betätigten sich vor ihrer partei-politischen Karriere als politische Aktivisten.

Seit Beginn der Amtszeit strebten die Regierungen unter Chávez und Morales tiefgreifende Umstrukturierungen an, als deren Eckpunkte neben der Inklusion der zuvor marginalisierten Bevölkerungsteile und der Verstaatlichung von Industriezweigen auch die Abkehr von den USA zugunsten einer intensivierten lateinamerikanischen Zusammenarbeit gelten. Als das wohl entscheidendste Projekt kann jedoch in beiden Ländern die Umsetzung einer neuen Verfassung aufgefasst werden.

Die vorliegende Arbeit beruht auf der Annahme, dass der soziale Wandel von einem Wandel des kollektiven Selbstbildes, der nationalen Identität, begleitet werden muss, da nur auf diese Weise eine Legitimierung der politischen Maßnahmen zur Umstrukturierung und eine Akzeptanz der Neuordnung gesichert werden können. Demzufolge liegt es im Interesse der Politiker_innen, eine solche nationale Identität zu konstruieren, wobei Diskurse aufgrund ihres konstitutiven Charakters ein geeignetes Medium darstellen.

Das forschungsleitende Interesse wird daher von der Frage bestimmt, inwiefern und auf welche Art und Weise in den Diskursen von Hugo Chávez und Evo Morales nationale Identität konstruiert und konstituiert wird. Die beiden Diskurse sollen hierbei kontrastiv betrachtet werden, da angesichts des dialektischen Verhältnisses von Gesellschaft und Diskurs davon auszugehen ist, dass sich die diskursiven Strategien zur Konstruktion nationaler Identität diesbezüglich unterscheiden werden. Bevor diese Frage jedoch angegangen werden kann, muss zunächst geklärt werden, welche mit der Diskurstheorie zu vereinbarende Methode sich für die Analyse der Konstruktion von nationalen Identitäten im Wandel eignet. Demgemäß geht die empirische Analyse mit einem methodologischen Teil einher, der auf einen umfangreichen theoretischen Überblick folgt. Die Arbeit lässt sich daher in zwei große Teile aufgliedern, wobei der erste Teil primär theoretisch ausgerichtet ist, während in dem zweiten Teil vorwiegend die Ergebnisse der praktischen Analyse präsentiert werden.

Nach der Einleitung wird in dem zweiten Kapitel zunächst auf unterschiedliche Aspekte zu Diskursbegriff und Diskurstheorie eingegangen. Im Zentrum des Interesses steht hierbei kein umfassender Überblick. Vielmehr soll auf diejenigen Punkte eingegangen werden, die im weiteren Verlauf der Arbeit relevant sind. In dem ersten Abschnitt werden unterschiedliche Diskursbegriffe vorgestellt, die in diesem Zusammenhang den jeweiligen Theorien zugeordnet werden. Fokussiert werden hierbei die sprachwissenschaftlichen Ansätze und Begriffsvarianten. In dem Unterkapitel, in dem Varianten der linguistischen Diskursanalyse vorgestellt werden, werden nur diejenigen Ansätze behandelt, in denen ein gesellschaftsrelevanter Bezug geknüpft wird, wobei in die wissens-
und die machtanalytische Diskursanalyse unterteilt wird. Im Zentrum steht hierbei die machtanalytische Variante, die unter dem Begriff der Kritischen Diskursanalyse (KDA) bekannt ist und die dieser Arbeit als primäres theoretisches Rahmenkonzept dienen soll. Daher werden außerdem die Aspekte der Relation ← 14 | 15 → zwischen Diskurs, Macht und Gesellschaft sowie die Diskursanalyse im Kontext der (Sprach-)Kritik thematisiert, um im Anschluss in Form eines Resümees die Bedeutung der Diskursanalyse für diese Arbeit darzustellen. Als besonderes Moment hat sich in diesem Zusammenhang die identitätskonstitutive Funktion im Kontext der diskursiven Konstruktion von Wissen erwiesen. Eine über die Funktion als theoriegebendes Rahmenkonzept hinausgehende Rolle, welche die Diskursanalyse in dieser Arbeit spielt, wird in einem späteren Kapitel (Teil I, Kapitel V.) erläutert.

In dem dritten Kapitel wird die nationale Identität thematisiert. Ziel dieses Kapitels ist nicht nur die Definition des Begriffs, sondern auch die Darstellung von Theorien, die in Relation zu der Funktion der Konstruktion nationaler Identität stehen. Zunächst werden einflussreiche Theorien zu individueller und sozialer Identität erläutert. Im Anschluss soll eine Theorie zur sozialen Identität und Gruppenmitgliedschaft dargelegt werden, die den Zusammenhang zwischen Gruppenmitgliedschaft und den Vorteilen dieser für die Identität fokussiert. Im Rahmen der Erläuterungen zur kollektiven Identität wird neben einer Begriffsbestimmung eine Klassifizierung der unterschiedlichen Kriterien vorgenommen, die zur Abgrenzung kollektiver Identitäten herangezogen werden. Im Folgenden wird weiterhin auf die Bedeutung dieser Grenzziehung Bezug genommen sowie auf die Funktion des kollektiven und des kulturellen Gedächtnisses. Da es sich bei der nationalen Identität um eine spezifische Form kollektiver Identität handelt, wird außerdem die Nation thematisiert, die somit als spezifisches Identifikationsobjekt gilt. Dabei werden einige Theorien zur Nation wiedergegeben, die den Trend nachzeichnen, der sich innerhalb der Nationalismusforschung hinsichtlich des Nationsverständnisses zeigt. Ebenso wird mit den Nationalismustheorien verfahren, die eng an die Entwicklung der Nationstheorien geknüpft sind. Hervorgehoben wird im Anschluss die Bedeutung von Kontinuität und Historizität für die nationale Gemeinschaft. In Form einer Synthese werden abschließend die Ergebnisse sowie die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung für den Begriff der nationalen Identität zusammengetragen. Dieser Begriff und seine unterschiedlichen Facetten werden aufgegriffen, wenn die Analysekategorien erläutert werden.

Das vierte Kapitel des ersten Teils befasst sich mit den beiden Ländern Venezuela und Bolivien. Neben allgemeinen landeskundlichen Informationen werden jeweils die historischen Eckpunkte der Geschichte bis zum Eintritt von Morales bzw. Chávez fokussiert. Zu der Zeit nach deren Amtsantritt findet ebenfalls ein Überblick über die Geschichte statt, der jedoch detaillierter gestaltet ist. Zudem werden die beiden Präsidenten in ihrer Zeit vor ihrem Amtsantritt porträtiert, wobei hier die politischen Aktivitäten präsentiert werden. Schließlich werden die Grundzüge der Politik der beiden Präsidenten erläutert. Abgesehen von allgemeinen Hinweisen zu der Geschichte und Gesellschaft der beiden Staaten sowie zu den beiden Präsidenten werden in diesen Kapiteln, die dem allgemeinen Verständnis des praktischen Teils dienen, Details aus diesem Überblick auch im Zuge der Korpuszusammenstellung von Bedeutung sein.

← 15 | 16 → In dem fünften Kapitel werden die getroffenen Vorüberlegungen hinsichtlich der nationalen Identität, des Verhältnisses von Diskurs, Macht und Gesellschaft sowie des Hintergrundwissens zu Bolivien und Venezuela zusammengeführt und eine Schlussfolgerung für das weitere Vorgehen formuliert. Hierbei wird auch die Korpuszusammenstellung begründet, für die aufgrund einer besseren Vergleichsmöglichkeit Reden und Ansprachen der beiden Präsidenten aus den Jahren 2006 und 2007 gewählt wurden. In Bezug auf die Analysekategorien werden hierbei diejenigen Aspekte als Untersuchungspunkte festgehalten, die sich auf die zuvor in der Definition für die nationale Identität festgehaltenen Kriterien beziehen: Definition, Integration und Distinktion; nationale Werte; Kontinuität und Historizität. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Kapitel thematisiert wird, ist das inadäquate Analyseinstrumentarium der KDA, da der theoretische Aspekt der Konstituierung von Wissen kaum Berücksichtigung findet, weshalb für eine Nutzung der Kognitiven Linguistik im Rahmen Kritischer Diskursanalysen plädiert wird.

Der zweite Teil der Arbeit beginnt im ersten Kapitel mit der Analysekategorie der „Definition, Integration und Distinktion“, die sich primär damit beschäftigt, welche Personen(-Gruppen) in den Nationsbegriff integriert und welche exkludiert werden. Außerdem interessiert hier, wie die jeweiligen Eigen- und Fremdgruppen charakterisiert werden. Bevor jedoch die Analyseergebnisse der beiden Korpora vorgestellt werden, erfolgt an jener Stelle zuerst eine Diskussion des zu verwendenden, auf die Kategorie zugeschnittenen Analyseinstrumentariums. In diesem Zusammenhang wird auf Referenz, Prädikation und Nomination im politischen Sprachgebrauch eingegangen, um sodann die Chancen zu erörtern, welche die Nutzung der Frame-Theorie im diesem Rahmen in Diskursanalysen bieten. Die Ergebnisse werden für jedes Land einzeln, thematisch präsentiert und im Anschluss kontrastiert.

Das zweite Kapitel fokussiert die nationalen Werte, die die beiden Präsidenten der Bevölkerung vermitteln. In diesem Zusammenhang sind auch ideologische Gesichtspunkte von Bedeutung. Als geeignet für die Analyse solcher Aspekte scheint oft eine Metaphernanalyse, mittels derer tief verankerte Wissensstrukturen untersucht werden können. In diesem Kapitel soll jedoch die bislang weniger verbreitete Theorie zur konzeptuellen Integration erläutert werden, welche die Analysemöglichkeiten auf prozessual den Metaphern ähnliche Konzepte erweitert. Zudem soll die besondere Kompatibilität dieser Theorie mit der Kritischen Diskursanalyse begründet werden. Daraufhin werden auch hier in thematisch gegliederten Abschnitten die Analyseergebnisse einzeln dargestellt und dann vergleichend gegenübergestellt.

Das letzte Analysekapitel beschäftigt sich mit der diskursiven Konstruktion von Kontinuität und Historizität. Untersucht werden hierbei interdiskursive Verweise auf historische Begebenheiten oder Persönlichkeiten, mittels derer eine Relation zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgebaut wird. Aus theoretisch-methodologischer Perspektive sind hierbei nicht nur Theorien zur Intertextualität bzw. Interdiskursivität von Interesse, sondern auch die bereits angesprochene Theorie der konzeptuellen Integration, als deren Sonderform die interdiskursive ← 16 | 17 → Integration gelten kann. Abschließend werden auch hier die Resultate kontrastiv betrachtet.

In dem letzten Kapitel werden abschließend die Ergebnisse der einzelnen Kategorien zusammengetragen und mit den Identitäts- und Nationstheorien aus dem ersten Teil in Verbindung gesetzt. In einem letzten Schritt erfolgt schließlich eine kontrastive Betrachtung der Identitätskonstruktion bei Chávez und Morales.← 17 | 18 →

← 18 | 19 → II. Diskurs und Diskursanalyse

In dem folgenden Kapitel soll in die Thematik der Diskursanalyse eingeführt werden. Abgesehen von einer Einleitung, in der Grundsätzliches zum Diskursbegriff und zu Diskurstheorien erläutert wird, soll der Fokus in diesem Kapitel auf dem theoretischen Hintergrund der Kritischen Diskursanalyse liegen. Hierzu wird zunächst auf das Verhältnis von Macht, Diskurs und Gesellschaft eingegangen. Im Anschluss soll der kritische Aspekt der Diskursanalyse dargelegt werden, um sodann im Rahmen einer schlussfolgernden Zusammenfassung die eigene Auffassung zur Diskursanalyse zu präsentieren und ein Verfahren zur Vorgehensweise vorzustellen.

II.1. Zu Diskursbegriff(en) und Diskurstheorie(n)

Der Begriff Diskurs ist mittlerweile nicht nur in den unterschiedlichsten Zweigen der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, sondern auch in den Publikumsmedien häufig anzutreffen und hat sich derweil so weit etabliert, dass er auch in wissenschaftlichen Texten wie selbstverständlich und ohne weitere Begriffsklärungen gebraucht wird, obgleich doch bereits die Vielfalt der Disziplinen, denen der Begriff zuteil ist, darauf hindeutet, dass er hochgradig polysem ist. „Wahrscheinlich ist er der Begriff mit dem größten Umfang an möglichen Bedeutungen innerhalb der Literatur- und Kulturtheorie und dennoch ist er derjenige, der am wenigsten definiert ist“, erklärt Sara Mills (2007: 1) in Hinblick auf den Diskursbegriff. Diese Aussage scheint interdisziplinär erweiterbar, denn auch Keller et al. (2006a: 9) bemängeln ein Defizit hinsichtlich fundierter Definitionen.

Auf die wissenschaftliche Ausarbeitung und Präzisierung dessen, was unter ‚Diskurs‘ zu verstehen sei, wurden in den verschiedenen Sozial- und Geisteswissenschaften nach Maßgabe der jeweiligen innerdisziplinären Spielregeln und Forschungsinteressen sicherlich unterschiedliche, insgesamt aber eher geringe Anstrengungen gerichtet.

Wie weitreichend der Diskursbegriff aber sein kann, deutet sich an, wenn bei Keller (2011: 20) zu lesen ist, dass es sich bei Diskursanalysen im Allgemeinen um Analysen von „Kommunikationsprozessen“ handele.1 Eine solche Bestimmung ist nahezu allumfassend, verweist jedoch zugleich auf die etymologische Bedeutung des Begriffs Diskurs, der sich aus dem Lateinischen discursus ‚Erörterung, Mitteilung‘ (vgl. Kluge 2002: 204, Diskurs) entwickelt hat. Das deutsche Nomen Diskurs ← 19 | 20 → wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus dem Französischen (hier: discours) entlehnt und bezeichnete sowohl im Deutschen als auch im Französischen zunächst ein ‚wissenschaftliches Gespräch‘ oder eine ‚wissenschaftliche Abhandlung‘, im 17. Jahrhundert wurde es schließlich auch mit der Bedeutung ‚Konversation‘ verwendet (vgl. Warnke 2007a: 3). Ohne an dieser Stelle eine vollständige Begriffsgeschichte nachzeichnen zu können,2 bleibt festzuhalten, dass sich etwa seit den 1960er Jahren ausgehend von der philosophischen Beschäftigung mit Diskursen zahlreiche weitere theoretische Bedeutungen von Diskurs abgezeichnet und sich im Laufe der Zeit voneinander entfernt haben, wobei die Bedeutung des Begriffs derweil umso mehr von dem disziplinären Kontext abhängig ist (vgl. Mills 2007: 3). Aber auch innerhalb der einzelnen Disziplinen ist bei Weitem nicht nur eine einzige Verwendungsweise von Diskurs möglich. Spitzmüller und Warnke (2011) halten fest, dass in den (deutschsprachigen) Sprachwissenschaften vier grundlegend zu differenzierende Gebräuche des Begriffs Diskurs zu konstatieren sind:3

Tabelle 1: Übersicht über verschiedene in der Linguistik gebräuchliche Diskurskonzepte (Quelle: Spitzmüller / Warnke 2011: 9)

Bildungssprachlich

Soziolektal geprägtes Synonym für Debatte oder Gespräch, seit den 1980er Jahren in den Medien (zunächst im Feuilleton, dann auch in anderen Ressorts) verbreitet

Diskursethik nach Habermas

Konsensorientierter Gedankenaustausch unter prinzipiell gleichgestellten Bürgern: „herrschaftsfreier Diskurs“ als Teil eines kommunikations-ethischen Programms

Konversationsanalytisch geprägte Diskursanalyse (analog zur anglo-amerikanischen discourse analysis)

Gesprochensprachliche größere Äußerungseinheit oder auch eine durch Interaktivität gekennzeichnete sprachliche Entität, die durch Musterhaftigkeit charakterisiert ist

Diskursanalyse ›nach Foucault‹ / Diskurslinguistik

Formationssystem von Aussagen, das auf kollektives, handlungsleitendes und sozial stratifizierendes Wissen verweist

Details

Pages
434
Publication Year
2015
ISBN (PDF)
9783653052947
ISBN (MOBI)
9783653971699
ISBN (ePUB)
9783653971705
ISBN (Hardcover)
9783631660300
DOI
10.3726/978-3-653-05294-7
Language
German
Publication date
2015 (March)
Keywords
Nationale Identität Konzeptuelle Integration Sprachgebrauch
Published
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 434 S., 35 s/w Abb., 8 Tab.
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Biographical notes

Romana Castro Zambrano (Author)

Romana Castro Zambrano studierte Romanistik, Anglistik und Germanistik in Düsseldorf und Alicante (Spanien). Ihre Hauptinteressen liegen in den Bereichen der (Kritischen) Diskursanalyse, der Analyse politischen Sprachgebrauchs und der Kognitiven Linguistik. In geografischer Hinsicht liegt ihr Fokus auf Lateinamerika.

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Title: Diskursanalyse und mentale Prozesse