Filmsynchronisation in Deutschland bis 1955
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- 1. Einführung
- 1.1 Das Erarbeiten einer Historiographie
- 1.2 Fragestellung
- 2. Synchronisationsforschung im Überblick
- 2.1 Der Übertragungsprozeß bei der Synchronisation von Filmen
- 2.2 Theorie und Praxis der Synchronisation
- 2.3 Die Übertragung fremdsprachigen Filmmaterials ins Deutsche
- 2.4 Filmfassungen. Eine Theorie signifikanter Filmvariation
- 2.5 Studien zu Produktionsabläufen und Kosten
- 2.6 Sprachwissenschaftliche Ansätze
- 2.6.1 Phonetic Synchrony und Character Synchrony
- 2.6.2 Qualitative und quantitative Lippensynchronität
- 2.6.3 Dialogvergleichende Untersuchungen
- 2.6.4 Figuren der Filmsynchronisation
- 2.7 Schlussfolgerungen
- 3. Filmsynchronisation als dramatische Darbietungsform
- 3.1 Schnittstellen von Schau-Raum und Hör-Raum
- 3.1.1 Exkurs zur Sprache als tonalem Gestaltungselement
- 4. Über die Synchronisation
- 4.1 Wesentliche Charakteristika der Filmsynchronisation
- 4.2 Alternativen zur Synchronisation
- 4.3 Einblicke in den Synchronisationsprozess
- 4.3.1 Von der Rohübersetzung zum Dialogbuch
- 4.3.2 Aufnahmepraxis
- 4.3.2.1 Veränderungen durch die digitale Aufnahme
- 4.3.2.2 Aufnahmepraxis des X-ens und die Auswirkungen
- 4.3.3 Kino-, Fernseh- und Heimvideosynchronisationen
- 4.3.4 Einflussgrößen von Synchronbearbeitungen
- 4.3.4.1 Interventionen durch Regie, Verleih und Redaktion
- 4.3.4.2 Synchronbesetzungen
- 4.3.4.2.1 Spezialfall der Animationsbesetzungen
- 4.3.5 Darstellung und Sprachrhythmus
- 4.3.6 Die fertige Mischung als Endprodukt
- 4.3.7 Kritik an der Synchronisation
- 4.3.8 Neubearbeitungen bereits synchronisierter Filme
- 4.3.9 Über die Originalfassung
- 5. Der Weg zum Tonfilm
- 5.1 Zwischenphase der Tonbilder
- 5.2 Die Herausbildung einer Filmindustrie
- 5.2.1 Hollywood als Gegengewicht zur deutschen Filmwirtschaft
- 5.2.2 Dialoge, Geräusche und Musik gewinnen an Bedeutung
- 5.2.3 Aufkommen der Langfilme
- 5.3 Zäsur durch den Ersten Weltkrieg
- 5.3.1 Tonexperimente und -verfahren
- 5.4 Etablierung des Tonfilms
- 5.4.1 Tonfilmentwicklung in den Usa
- 5.4.2 Der Tonfilm in Deutschland
- 5.4.2.1 Patentrechtliche Auseinandersetzungen
- 5.4.2.2 Erste Sprachsynchronisation im Spielfilm
- 5.4.2.2.1 Broadway in stummer und tönender Version
- 5.5 Der Tonfilm setzt sich durch
- 5.5.1 Kritik an der künstlerischen Wertigkeit
- 5.5.2 Tonfilm ist Dialog und Gesang
- 6. Überwindung der Sprachbarriere
- 6.1 Untertitelung
- 6.2 Sprachversionsfilme
- 6.3 Sprachsynchronisation
- 6.3.1 Mängel früher Synchronisationen
- 6.3.2 Das Rhythmographie-Verfahren
- 6.3.3 Kontroverse um All Quiet On The Western Front
- 6.3.4 Etablierung der Synchronisation
- 6.3.4.1 Synchronisation im Nationalsozialismus
- 6.3.4.1.1 Synchronunternehmen und -standorte
- 6.3.4.1.2 Beispielhafte Synchronbearbeitungen
- 6.3.4.2 Niedergang im Dritten Reich
- 6.3.4.3 Ideologische Variation am Beispiel Jud Süss
- 6.3.4.4 Letzte Kriegsjahre
- 7. Kriegsende und Neuanfang
- 7.1 Synchronisation als gängige Praxis
- 7.2 Herausbildung von Synchronstandorten
- 7.2.1 Synchronisationen in der sowjetischen Zone
- 7.2.2 Exkurs zu Magnetton und Tonnegativentwicklung
- 7.2.3 Entwicklung in Teningen und Remagen
- 7.2.4 Entwicklung in Hamburg
- 7.2.5 Entwicklung in München
- 7.2.6 Westberlin als Zentrum der Synchronisation
- 7.2.7 Exkurs zur zeitgenössischen Synchronpraxis
- 7.2.7.1 Die Ateliersituation
- 7.2.7.2 Vergütungen für Autoren und Sprecher
- 7.2.7.3 Charakteristika von Nachkriegssynchronisationen
- 7.2.7.3.1 Lippensynchronität und Alemannitis
- 7.2.7.3.2 Anpassung an die Mentalität
- 7.2.7.3.3 Das Verschwinden der ationalsozialisten
- 8. Zusammenfassung und Schlussfolgerung
- 8.1 Schlussfolgerung und Ausblick
- 9. Literatur- und Quellenverzeichnis
- 9.1 Magazin- und Zeitschriftenartikel
- 9.2 Sonstige Quellen
- 9.2.1 Bildtonträger
- 9.3 Interviews
- 10. Filmverzeichnis
← 16 | 17 →1. Einführung
Die vorliegende Historiographie hat explorativen Charakter, da es bislang keine eigenständige Arbeit zur Geschichte der deutschen Filmsynchronisation gibt. Insofern stellt sie einen ersten Schritt zum Erkenntniszuwachs dar. Im Fokus der Arbeit steht die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Synchronisation von Filmproduktionen für die deutsche Kinoauswertung.1 Der Anspruch ist das Aufzeigen historisch gewachsener Traditionslinien und eine diesbezügliche Einordnung in gesellschaftlich-politisch-ökonomische Prozesse.
Filmwissenschaftlicher Konsens für den Ausgangspunkt einer Filmgeschichtsschreibung sind die Gründerzeitjahre des Pioniergeistes und der Jahrmarktattraktionen des Kinos, sozusagen die Ära der filmischen Vor- und Frühgeschichte. Da die vorliegende Geschichte der deutschen Filmsynchronisation ein Teil der Filmgeschichte ist, kann somit auch von einer Frühgeschichte der Filmsynchronisation die Rede sein, dies vor allem hinsichtlich frühzeitiger Experimente zur Bild-Ton-Synchronisation.2 Die vorliegende Arbeit beginnt 1895, dem Jahr der ersten öffentlichen Filmvorführung der Brüder Lumière im Pariser Grand Café, und endet Mitte der 1950er Jahre, als sich die Loslösung der deutschen Filmwirtschaft von der alliierten Besatzungskontrolle vollzogen hatte.3 Die deutsche Verleihbranche war zu diesem Zeitpunkt bereits von der Konkurrenz synchronisierter ausländischer Filme und in Deutschland hergestellter Produktionen geprägt.
1.1 Das Erarbeiten einer Historiographie
Eine zu erarbeitende Geschichte beziehungsweise Historiographie ist von zahlreichen Einflüssen abhängig, ebenso weit gefächert sind die ← 17 | 18 →Darstellungsmöglichkeiten derselben. Es bedarf daher einer Positionierung des Autors, der sich mit Ereignissen und Fakten auseinandersetzen muss, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, deren Auswirkungen aber bis in die Gegenwart reichen. Die Erarbeitung von Geschichte ist, neben der historischen Dimension, auch eine ästhetische Fragestellung. Hierbei werden nicht „Eigenschaften wie Schönheit oder Hässlichkeit als ,wesenhafte Qualitäten‘ der Objekte“4 thematisiert. Rancière zufolge bezeichnet Ästhetik „keine Wissenschaft oder Disziplin, die sich mit der Kunst beschäftigt. Ästhetik bezeichnet einen Modus des Denkens, der sich anhand von Gegenständen der Kunst entfaltet und sich bemüht zu sagen, inwiefern sie Gegenstände des Denkens sind.“5 Synchrongeschichte als ästhetische Fragestellung entfaltet sich demnach vom allgemeinen Objekt der Synchrongeschichte hin zur Herausstellung und kontemplativen Wahrnehmung historischer Zusammenhänge, individueller Leistungen und ihres Einflusses auf den Hör-Raum6 des Films.
Die Aufarbeitung des Vergangenen birgt ein besonderes Dilemma. Das Vergangene ist geschehen und nicht wiederholbar, es lässt sich aber nicht a priori ein einheitliches Bild rekonstruieren. Es gibt nicht den einen, zwingenden Blickwinkel auf das Vergangene, vielmehr existieren verschiedene Zugänge und Sichtweisen. Insofern ist in Einklang mit der New Film History eine objektive Geschichtsschreibung in Frage zu stellen und davon auszugehen, dass es keine allgemein gültige Universalgeschichte geben kann. Dies gilt nicht nur für den Blick zurück in die Vergangenheit, sondern auch für Rückschlüsse auf Gegenwärtiges und Zukünftiges. Daraus resultieren die Herangehensweise, die Frage des Wie, als auch die Darstellung beziehungsweise die Form. Bezug nehmend auf Elsaesser ist Filmgeschichte entsprechend „eine Funktion der Fragen, die man an sie stellt“7, diese wiederum verlangen nach einer wissenschaftlichen Herangehensweise.8 Die vorliegende Synchrongeschichte wird diesbezüglich als integraler Teil der deutschen Filmgeschichte verstanden. Die Begriffe Kino und Film werden dabei synonym verwendet.
Das Untersuchungsfeld umfasst die Entwicklung der Filmsynchronisation in Deutschland von 1895 bis 1955. Bedingt durch die mitunter lückenhafte Quellenlage wurden hierzu ergänzende Interviews mit zeitgeschichtlichen Akteuren ← 18 | 19 →geführt. Die Interviews wurden aus der Überzeugung heraus geführt, dass sich die Vergangenheit erst durch die Erinnerung rekonstruiert.9 Die Interviewpartner stehen signifikant für das Typische der jeweiligen Dekade, hier das Typische der jeweiligen Synchronkultur. Die Experteninterviews sollten, unter Abgleich mit den historischen Quellen, spezifische Wissenslücken schließen sowie komplexe historische Zusammenhänge belegen und veranschaulichen. Somit wurden die Interviews nach Kriterien von Exploration, Wissensaneignung, Erkenntnissicherung, Wissensabgleich und Expertise10 geführt.
Im Gegensatz zur New Film History betrachtet die vorliegende Synchrongeschichte Individualität und Einfluss zeitgeschichtlicher Akteure und Experten nicht ausschließlich als Baustein eines komplexen Ensembles verschiedener, gegenseitig in Beziehung stehender Einflussgrößen. Vielmehr finden Erinnerungen und Ansichten von Zeitzeugen explizit Berücksichtigung. Eine diesbezügliche Orientierung findet an Faulstichs Filmgeschichte statt, die Filmgeschichte als eine um Aspekte von Personengeschichte und Momenten einer Geschichte der Filmbranche ergänzte Produkt- und Genregeschichte definiert.11 Wenn nach Faulstich Filmgeschichte von dem beeinflusst ist, was die Wahrnehmung am stärksten prägt, hier die Filme, Konventionen, Macher und Schauspieler12, so ist die Synchrongeschichte von den Faktoren abhängig, die unsere Wahrnehmung einer Synchronfassung am stärksten prägen. Es sind die Stimmen, die Konventionen und Freiheiten der Synchronbearbeitungen, die Macher der Synchronfassungen und ihre etwaigen Markenzeichen.
Die vorliegende Synchrongeschichte ist demnach gleichsam eine Personengeschichte, die ihre Zusammenhänge und Schlüsselmomente über die Erfahrungen, Erlebnisse und Wechselwirkungen der Interviewpartner, unterstützt von umfangreicher Quellenrecherche, rekonstruiert, beschreibt und interpretiert. Hierbei ist sowohl von einem globalen kulturellen Gedächtnis als auch von einem subjektiven individuellen Gedächtnis auszugehen. Das kulturelle Gedächtnis konstituiert sich nach Jan Assmann aus einer konnektiven Struktur, die sich aus den Parametern eines gemeinsamen Wissens und Selbstbildes ergibt. Wissen und Selbstbild wiederum sind durch gemeinsame Regeln und Werte sowie die Erinnerung an eine gemeinsame Vergangenheit bedingt.13 Nach Assmann ist ← 19 | 20 →das Grundprinzip besagter konnektiver Struktur die Wiederholung14, durch die Handlungslinien sich zu wiedererkennbaren Mustern ordnen. Diese wiedererkennbaren Muster sind als Elemente einer gemeinsamen Kultur zu identifizieren.15 Das individuelle Gedächtnis dagegen ist nach Aleida Assmann „grundsätzlich perspektivisch und darin unaustauschbar und unübertragbar.“16 Die individuellen Lebensgeschichten und Erinnerungen unterscheiden sich von jenen anderer Personen, stehen jedoch gleichsam mit ihnen in Beziehung. Individuelle Erinnerungen haben fragmentarischen Charakter.17 Bereits Aleida Assmann weist darauf hin, dass sich Erinnerung als „ausgeschnittene, unverbundene Momente ohne Vorher und Nachher“18 darstellt: „Erst durch Erzählungen erhalten sie nachträglich eine Form und Struktur, die sie zugleich ergänzt und stabilisiert“19, entsprechend bettet die vorliegende Arbeit individuelle Erzählungen in die Historiographie mit ein. Die Wissens- und Erfahrungsbausteine des sozialen Gedächtnisses werden somit durch die Informationsträger des kulturellen Gedächtnisses ergänzt und mit diesen in Beziehung gesetzt.20
Da eine Synchrongeschichte als Personengeschichte sich nicht ausschließlich auf die Aussagen dauerhaft in der Branche tätiger Personen stützen sollte, wurden ebenso Interviews mit zeitgeschichtlichen Akteuren geführt, deren Erfahrungen in der Branche sich auf spezifische Aspekte beschränken. Die vorliegende Arbeit soll eine Geschichte von Siegern und Verlieren sein, da gerade die Erfahrungen und Erinnerungen sogenannter Verlierer stärker in die Zukunft hinauszuweisen vermögen.21 In diesem Sinn orientiert sich die vorliegende Arbeit ebenso an der gegenwärtigen biographischen Forschung. Diese betrachtet das Individuum nicht mehr als ein „in sich geschlossenes Selbst“22, das aus gesellschaftlichen Strukturen herausgelöst zu verstehen ist.23 Bödeker weist darauf hin, dass „aus den Grenzfällen nicht gelingender Integration eines Individuums in die berufliche Lebenswelt und die vorherrschenden Lehrmeinungen (…) die Mechanismen sichtbar [werden], auf denen die konkreten Zusammenhänge der ← 20 | 21 →Wissensproduktion beruhen“24. Übereinstimmend mit der New Film History ist es für die vorliegende Synchrongeschichte daher unabdingbar, sich den vergessenen Biographien und Erinnerungen zu nähern sowie subjektive, biographisch geprägte Erfahrungen und Einschätzungen zu berücksichtigen.
Aus der Kenntnis um die genannten Spannungsfelder heraus orientiert sich die vorliegende Arbeit somit an der New Film History und weist personengeschichtliche und biographische Schnittmengen auf.
Schlussfolgernd ergibt sich für die vorliegende Arbeit folgende zentrale Fragestellung:
Gibt es in der Geschichte der deutschen Filmsynchronisation konnektive Strukturen, so dass sich durch wiederholende Handlungslinien wiedererkennbare Muster nachweisen lassen?← 21 | 22 →
1 Unter Bezugnahme auf Stutterheim und Kaiser unterscheiden sich Kinoproduktionen von Fernsehproduktionen dadurch, dass letztere den Dialog gegenüber der Bildebene vorrangig berücksichtigen. (vgl. STUTTERHEIM ET AL. 2011, S. 313)
2 Die frühen Entwicklungen mechanisch gesteuerter, Bild und Ton in synchrone Übereinstimmung bringender Apparaturen, beispielsweise durch Erfinder wie Thomas Alva Edison, gelangen allerdings technisch noch nicht befriedigend.
3 So bot die Berliner Synchron ab 1955 den nunmehr von politisch motivierten Restriktionen unabhängigen Verleihern neben Synchronbearbeitungen auch die Herstellung von deutschsprachigen Kinotrailern für den Werbeeinsatz in Filmtheatern an. (vgl. BESSERE VORSPANNFILME, o.S.)
4 SCHWEPPENHÄUSER 2007, S. 13
5 RANCIÈRE 2008, S. 9
6 Der Begriff Hör-Raum wird in diesem Zusammenhang bei Erika Fischer-Lichte entlehnt. (vgl. FISCHER-LICHTE 2004, S. 214ff)
7 ELSAESSER 2002, S. 8
8 Vgl. u.a. ELSAESSER 2002, S. 20 sowie RUCHATZ 1996, S. 61
9 Vgl. u.a. ASSMANN (II) 2000, S. 31
10 Vgl. HOFFMANN 2005, S. 269f
11 Vgl. FAULSTICH 2005, S. 9
12 Vgl. ebd.
13 Vgl. ASSMANN (II) 2000, S. 16f
14 Vgl. ebd., S. 17
15 Vgl. ebd.
16 ASSMANN (I) 2006, S. 24
17 Vgl. ebd., S. 24f
18 Ebd., S. 25
19 Ebd., S. 25
20 Vgl. u.a. ebd., S. 54
21 Vgl. ebd., S. 65
22 BÖDEKER 2003 (b), S. 19
23 Vgl. ebd.
24 Ebd., S. 62
← 22 | 23 →2. Synchronisationsforschung im Überblick
2.1 Der Übertragungsprozeß bei der Synchronisation von Filmen
Das Interesse an Filmsynchronisation setzte in der Forschung verhältnismäßig spät ein, so veröffentlichte erst Otto Hesse-Quack 1969 eine explizit auf Spielfilmsynchronisationen fokussierte Arbeit. Die Untersuchungsergebnisse von Der Übertragungsprozeß bei der Synchronisation von Filmen basieren im Wesentlichen auf statistischem Material, das im Zuge eines Forschungsauftrags, den der Bundesminister des Inneren 1963 der Abteilung Massenkommunikation des Forschungsinstituts für Soziologie der Universität zu Köln übertrug, erhoben und ausgewertet wurde.25 Filmsynchronisation wird von Hesse-Quack als Prozess der Massenkommunikation aufgefasst.26 Dabei wird unter Bezugnahme auf Schramm von einem Sender-Empfänger-Modell ausgegangen, das codierte Signalimpulse sendet, die vom Empfänger decodiert werden müssen.27 Dieses Modell erweitert sich bei der Synchronisation um einen „Codierungs- und Decodierungsvorgang, was für das Total der verbalen und für einen Teil der visuellen und übrigbleibenden auditiven (Geräusche, Musik) Elemente von Filmen gilt.“28 Der Bezugsrahmen der Untersuchung ist „die Anschauung des Synchronisationsprozesses von der Gesellschaft her.“29 Hesse-Quack geht diesbezüglich von der Prämisse aus, dass die Synchronschaffenden die Aufgabe von „professionellen Anpassern“30 gesellschaftlich-politisch-kultureller Konnotationen übernehmen31 Kritisch anzumerken ist die Voreingenommenheit der Untersuchung. So sei bereits nach „einer ersten Überschau über das Material“32 der Eindruck gewonnen worden, „daß alles, was auch nur irgendeiner Gruppe der Gesellschaft mißfallen könnte, bei der Synchronisation aus den ausländischen Filmen ausgemerzt wird.“33 Für die Untersuchung von besonderem Interesse ist insbesondere ← 23 | 24 →der Nachweis, „welche Gründe die Veränderungen haben, wer sie im einzelnen vornimmt und an welchen Teilen und Stellen der Filme solche Veränderungen in der Hauptsache stattfinden.“34
Neben einer Inhaltsanalyse von 1368 Filmtiteln, hier eine vergleichende Betrachtung fremdsprachiger Originaltitel und deren deutscher Übertragungen35, basiert Hesse-Quacks Arbeit ebenso auf Interviews mit Experten aus der Synchronbranche.36 Der für die Synchronisationsforschung relevanteste Analyseblock ist der Vergleich von Dialoglisten zu 12 Filmen, die zwischen 1944 und 1964 entstanden sind. Untersucht werden die Dialoglisten von 4 französischsprachigen und 8 englischsprachigen Filmen.37 Eingedenk der Grundannahme Hesse-Quacks, dass Synchronisation immer auch Veränderung bedeutet, dient der Vergleich originalsprachlicher Dialoge und deutscher Dialoglisten dem Aufzeigen inhaltlicher Veränderungen beziehungsweise Veränderungen der Aussage durch den Synchronisationsprozess.
Aufgrund des Dialoglistenvergleichs gelangt Hesse-Quack zu dem Ergebnis, „daß eine große Anzahl der Faktoren, die zu Veränderungen führen, sozialer Natur sind.“38 Die Synchronisation als Teil der Filmindustrie werde durch ökonomische Zwänge dazu veranlasst39, „die Gestalt ihrer Produkte dem Kosmos kollektiver Vorstellungen, Wünsche, Werte, Normen usw. der aufnehmenden Gesellschaft anzupassen.“40 Vor allem verändert und in der deutschsprachigen Fassung oftmals getilgt seien Sozialkritik, negative Anspielungen auf Deutschland beziehungsweise die Deutschen, sexuelle und homoerotische Inhalte41 sowie „brutalitätsgeladene Wendungen“42. Zudem erführen „sachliche Darstellungen (…) häufig eine Übertragung in Richtung auf Emotionalisierung und Romantisierung. In den Originalen vorfindbare Differenzierung von Charakteren und Situationen durch sprachliche Wendungen geht über in mehr stereotypisierte Formen.“43 Diese Erkenntnis steht im Einklang mit der eingangs bereits formulierten Annahme, Synchronschaffende seien Anpasser fremder kultureller ← 24 | 25 →Konnotationen an die kulturelle Prägung des Heimatlandes. Die in der Synchronisation tätigen Personen sind hierauf beziehend lediglich bloße Instrumente, ausführende Werkzeuge einer vage umrissenen und nicht näher definierten Gesellschaft.
Synchronisation ist nach Hesse-Quack bestrebt, „konformitätsstörende Faktoren (…) aus den Filmen herauszufiltern.“44 Dieser Bewertung folgend stellt die Synchronisation einen die Werte des Heimatlandes erhaltenden Übertragungsprozess dar, über einen entsprechend geringen individuellen Gestaltungsspielraum verfügen daher die Synchronschaffenden. Insbesondere mögliche ökonomische Sanktionen bei nichtkonformem Verhalten führten dazu45, dass Synchronschaffende als „Partizipanten am herrschenden Wertsystem möglicherweise sogar überkonformistisch auf die Stimuli in den von ihnen bearbeiteten ausländischen Filmen reagieren“46. Neben spezifischen ökonomischen Zwängen sind als Einflussfaktoren unter anderem die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, kurz FSK47, oder die „Persönlichkeitsstruktur des einzelnen Synchron-Autors“48 zu nennen.49
Wenngleich die Studie eine Pionierarbeit im Bereich der Filmsynchronisationsforschung darstellt, bietet sie in Teilbereichen dennoch Anlass zur Kritik. So ist die Stichprobe von gerade einmal 12 Dialoglisten sehr gering, zumal ein großer Zeitraum von 1944 bis 1964 abgedeckt wird. Nicht berücksichtigt werden etwaige Veränderungen in der Synchronbranche, beispielsweise hinsichtlich der Auffassung von textgetreuer oder sinnadäquater Übersetzung. Auch ist anzunehmen, dass sich der Einfluss sozialer Faktoren, etwa durch Vorgaben der FSK, in einer Zeitspanne von 20 Jahren durchaus gewandelt haben kann.50 Als problematisch erweist sich die ausschließliche Verwendung von Dialoglisten der Verleiher, ohne diese mit dem finalen Synchrondialog abzugleichen. Hierbei nicht ← 25 | 26 →berücksichtigt wird die Tatsache, dass sich im Verlauf des Synchronisationsprozesses vorab schriftlich fixierte Dialoge verändern können. Daher geht die Untersuchung von teils gravierend falschen Daten aus.51 In seiner Dissertation Die Rhetorik der Filmsynchronisation hat Guido Marc Pruys beispielsweise im Fall von A HARD DAY´S NIGHT (1964, Richard Lester) einige besonders augenfällige Abweichungen nachgewiesen. So gibt es in der Dialogliste einen Verweis auf den Fernsehsender ZDF, aber nicht in der finalen Synchronfassung. Andererseits findet sich im Film eine Anspielung auf den Schriftsteller Günter Grass, aber nicht in der Dialogliste.52
Hesse-Quack geht darüber hinaus davon aus, dass die Synchronbearbeitung dieses Films jedwede Kritik an gesellschaftlichen Institutionen Englands, wie etwa der Polizei, ausgemerzt habe. Hierauf beziehend nimmt er an, dass Richtlinien der FSK zum Tragen gekommen seien, nach denen Themen, Handlungen oder Situationen vermieden werden sollen, durch die Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten gefährdet werden könnten.53 Der Dialogvergleich von Pruys untermauert diese Interpretation allerdings nicht. Das Gegenteil ist der Fall, denn die kritischen Anmerkungen gegenüber der englischen Polizei werden im finalen Synchrondialog sehr wohl und unmissverständlich übertragen.54
2.2 Theorie und Praxis der Synchronisation
Auch Gabriele Toepser-Ziegert untersucht in ihrer Dissertation Theorie und Praxis der Synchronisation – dargestellt am Beispiel einer Fernsehserie Dialoglisten. Für ihre 1978 veröffentlichte Arbeit analysiert sie Dialoge von 15 Folgen der Serie THE PERSUADERS (1971, Roy Ward Baker et al.), konzentriert sich dabei aber ausschließlich auf die Dialoge der beiden Hauptrollen.55 Während Hesse-Quack ← 26 | 27 →eine begrenzte Auswahl von Dialoglisten vorlag, diese jedoch unterschiedliche Filmgenres umfasste, berücksichtigt Toepser-Ziegerts Stichprobe lediglich die Dialoglisten des Serienvertreters eines bestimmten Genres.
Für das Verständnis der Untersuchung ist es hilfreich, den besonderen Charakter der Synchronisation von THE PERSUADERS herauszustellen. Dieser zeichnet sich vor allem durch eine sehr freie Übertragung der Originaldialoge aus. Enthielt die Serie in der englischsprachigen Originalfassung bereits humorvolle Elemente, so „erhielt der Humor [durch den Synchronautor Rainer Brandt] lediglich den Holzhammer. Vom Original ließ er den groben Handlungsstrang übrig. Subtile Gags flogen ersatzlos raus“56. Die Bearbeitung dieser Serie stellt daher ein sehr spezielles Beispiel für inhaltliche Veränderungen und Dialogabweichungen dar und ist nicht zwingend repräsentativ für eine allgemeine Theorie und Praxis der Synchronisation.
Im Ergebnis schlussfolgert Toepser-Ziegert, dass die Synchronschaffenden lediglich Bewahrer eines gesellschaftlichen Status quo seien, ihre „Funktion als Repräsentanten einer publizistischen Institution“57 sich entsprechend ausschließlich auf den Erhalt bestehender Normen beschränke. Einer eventuellen Abweichung werde durch ökonomische Abhängigkeiten und drohende Sanktionen vorgebeugt.58 Insofern setzt Toepser-Ziegert voraus, dass sich die Synchronschaffenden bereits im Vorfeld explizit an angenommenen gesellschaftlichen Normen und Werten orientieren, die als spezifische Prägung des Publikums angesehen werden. Entsprechend ist Synchronisation für Toepser-Ziegert lediglich ein Beleg für die marktkonforme Gestaltung eines kommerziellen Produktes, das bereits im Vorfeld Reibungen und gesellschaftlich-soziale Irritationen ausschließt.59
Details
- Seiten
- 310
- Erscheinungsjahr
- 2016
- ISBN (PDF)
- 9783653047721
- ISBN (MOBI)
- 9783653978957
- ISBN (ePUB)
- 9783653978964
- ISBN (Paperback)
- 9783631655689
- DOI
- 10.3726/978-3-653-04772-1
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2016 (April)
- Schlagworte
- Filmgeschichte Filmtheorie Synchrongeschichte Filmpraxis
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 310 S.