Umwelt-engagierte Literatur aus Island und Norwegen.
Ein interdisziplinärer Beitrag zu den «environmental humanities»
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Danksagung
- Inhaltsverzeichnis
- I Einleitung
- 1 Hintergrund und Fragestellung
- 2 Textauswahl und Forschungsstand
- 3 Aufbau der Arbeit
- II Theoretischer und methodischer Hintergrund
- 1 Environmental humanities
- 2 Ecocriticism
- 3 Umweltgeschichte
- 4 Umweltethik
- 5 Kulturelle Ökologie und Kulturkritik
- III Island
- 1 Geographie und Geschichte
- 2 Nationalismus und nationale Identität
- 2.1 Unabhängigkeit
- 2.2 Mittelalterliche Hochkultur und Sprache
- 2.3 Bauerntum
- 2.4 Natur und Landschaft
- 3 Umweltfragen und Umweltbewegung
- 4 Halldór Laxness: „Hernaðurinn gegn landinu“ (1970)
- 4.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 4.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 4.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 4.4 Ergebnisse und Ausblick
- 5 Svava Jakobsdóttir: Gunnlaðar saga (1987)
- 5.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 5.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 5.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 5.4 Ergebnisse und Ausblick
- 6 Jón Kalman Stefánsson: Skurðir í rigningu (1996), Sumarið bakvið brekkuna (1997) und Birtan á fjöllunum (1999)
- 6.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 6.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 6.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 6.4 Ergebnisse und Ausblick
- 7 Andri Snær Magnason:Draumalandið. Sjálfshjálparbók handa hræddri þjóð (2006)
- 7.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 7.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 7.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 7.4 Ergebnisse und Ausblick
- 8 Oddný Eir Ævarsdóttir: Jarðnæði (2011)
- 8.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 8.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 8.3 Reintregrativer Interdiskurs
- 8.4 Ergebnisse und Ausblick
- 9 Fazit
- IV Norwegen
- 1 Geographie und Geschichte
- 2 Nationalismus und nationale Identität
- 2.1 Egalitäre Demokratie
- 2.2 Das Ländliche
- 2.3 Natur und friluftsliv
- 2.4 Humanitäre und ökologische Großmacht
- 3 Umweltfragen und Umweltbewegung
- 4 Erik Dammann: Fremtiden i våre hender (1972)
- 4.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 4.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 4.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 4.4 Ergebnisse und Ausblick
- 5 Knut Faldbakken: Uår – Aftenlandet (1974) und Uår – Sweetwater (1976)
- 5.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 5.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 5.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 5.4 Ergebnisse und Ausblick
- 6 Sidsel Mørck: Stumtjenere (1978) und Ikke til salgs! (1983)
- 6.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 6.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 6.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 6.4 Ergebnisse und Ausblick
- 7 Gert Nygårdshaug:Mengele Zoo (1989) und Chimera (2011)
- 7.1 Mengele Zoo (1989)
- 7.1.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 7.1.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 7.1.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 7.1.4 Ergebnisse und Ausblick
- 7.2 Chimera (2011)
- 7.2.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 7.2.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 7.2.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 7.2.4 Ergebnisse und Ausblick
- 8 Jostein Gaarder: Anna. En fabel om klodens klima og miljø (2013)
- 8.1 Kulturkritischer Metadiskurs
- 8.2 Imaginativer Gegendiskurs
- 8.3 Reintegrativer Interdiskurs
- 8.4 Ergebnisse und Ausblick
- 9 Fazit
- V Vergleichende Diskussion der Ergebnisse und Ausblick
- VI Literaturverzeichnis
- 1 Primärliteratur
- 2 Sekundärliteratur
| 1 →
1 Hintergrund und Fragestellung
Kann Literatur Umweltbewusstsein schaffen und einen Beitrag zur Lösung ökologischer Probleme leisten? Der Mensch hat durch seine Aktivitäten ein geologisches Zeitalter, das Holozän, beendet und ein neues, das Anthropozän, eingeleitet, indem er nicht nur die Ökosysteme des Planeten, sondern auch die Zusammensetzung der Atmosphäre massiv verändert hat.1 Da der Mensch ein biologisches und zugleich ein kulturelles Wesen ist, ist es einerseits Aufgabe der Naturwissenschaften, andererseits aber auch der sich mit der menschlichen Kultur befassenden Geisteswissenschaften, die Ursachen und Folgen dieses umfassenden, globalen Wandels zu erforschen.
Darüber aber, worin genau dabei die Rolle einer umweltbezogenen Literaturwissenschaft und einer umwelt-engagierten Literatur als deren Forschungsgegenstand bestehen kann, herrscht Uneinigkeit. In dem sich hiermit befassenden, in den USA entstandenen Forschungsfeld ecocriticism wird häufig angenommen, die Ursache der ‘ökologischen Krise’ der Gegenwart sei eine Entfremdung des Menschen von der Natur. Aufgabe der Literatur sei es daher, durch möglichst ‘realistische’ Naturbeschreibungen zu einer Wiederannäherung an die Natur beizutragen. Die neuerliche Bindung an eine lokale oder regionale Natur müsse dabei im Zentrum stehen.2 Die aus Deutschland stammende Ökokritikerin Ursula Heise hat diesen auf die Ebene des Lokalen beschränkten Fokus scharf kritisiert. Angesichts der Globalität der Umweltproblematik müsse Literatur anstelle eines sense of place vielmehr einen sense of planet vermitteln und eine ökokosmopolitische Perspektive anstreben.3 ← 1 | 2 →
Ausgehend von dieser Kontroverse stellt die vorliegende Arbeit einerseits den Versuch dar, den Begriff ‘umwelt-engagierte Literatur’ näher zu bestimmen: Welchen inhaltlichen und funktionalen Kriterien muss ein literarischer Text entsprechen, um als umwelt-engagiert gelten zu können? Andererseits soll die Bedeutung des Lokalen und des Globalen in solchen Texten, als drittes aber auch die des bislang in diesem Zusammenhang wenig beachteten Nationalen erforscht werden. Welches Verständnis des Lokalen, des Nationalen und des Globalen ist in umwelt-engagierter Literatur festzustellen? Wie verhalten sich diese drei Ebenen in Bezug auf die Thematisierung von Umweltfragen zueinander?
Anhand der in dieser Arbeit analysierten literarischen Werke wird deutlich, dass sowohl das Lokale als auch das Globale in umwelt-engagierten Texten eine wichtige Rolle spielen. Zugleich aber zeigt sich, dass weitaus größere Bedeutung in den meisten derartigen Werken der Nation und dem Nationalen zukommt – ein in der bisherigen ökokritischen Forschung nahezu gänzlich übersehener Sachverhalt. Dass Nationen keine natürlichen, sondern imaginierte Gemeinschaften (imagined communities) sind, ist zwar spätestens seit Benedict Andersons gleichnamiger Studie von 1983 über die Ursprünge und die Verbreitung des Nationalismus bekannt.4 Mit zunehmender wirtschaftlicher und kultureller Globalisierung entsteht zudem leicht der Eindruck, ein postnationales Zeitalter sei angebrochen. Gerade in der internationalen Umweltbewegung wird globale Interdependenz schon seit der ‘ökologischen Wende’ um 1970 betont, etwa in dem verbreiteten Motto „think globally, act locally“5 oder mit Barry Commoners einprägsamem First Law of Ecology, „Everything Is Connected to Everything Else.“6 Dessen ungeachtet wirken gerade bei der Thematisierung von Umweltfragen weitaus ältere Ideen nach, die sich auf das Verhältnis von Natur und Kultur beziehen und die zugleich in einem engen Zusammenhang mit Auffassungen von Nation und nationaler Identität stehen.
Was als ‘Umweltproblem’ wahrgenommen wird und somit Anlass zu Engagement geben kann, ist in hohem Maße von sozialen und kulturellen Kontexten abhängig.7 Daher entsteht auch eine umwelt-engagierte Literatur ← 2 | 3 → nicht unabhängig von Zeit und Raum, sondern in spezifischen Kontexten, die es bei der Interpretation von Texten einzubeziehen gilt. Die Rolle des Lokalen, des Nationalen und des Globalen in umwelt-engagierter Literatur soll deshalb in der vorliegenden Arbeit anhand von Werken aus zwei verschiedenen nationalen Kontexten erforscht werden: Island und Norwegen. Die Gegenüberstellung der beiden Textkorpora ermöglicht es, nationalbezogene Charakteristika besser zu identifizieren, als dies bei der Analyse von Literatur aus nur einem nationalen Kontext möglich wäre.
Um diese Kontexte in angemessener Weise berücksichtigten zu können, verfolge ich einen interdisziplinären Ansatz, der neben ecocriticism zwei weitere Teilgebiete der so genannten environmental humanities einschließt. Dabei handelt es sich zum einen um die Umweltgeschichte. Sie befasst sich nicht nur mit früheren Umweltbedingungen und den Wechselbeziehungen von Mensch und Natur vom ersten Auftreten des Menschen bis zur jüngsten Vergangenheit, sondern zugleich mit dem historischen Wandel menschlicher Wahrnehmung und Interpretation von Natur und Umwelt. Dieser Wandel zeigt sich besonders deutlich in der Entwicklung und Veränderung biologischer und ökologischer Ideen und Konzepte. In engem Zusammenhang hiermit steht die Geschichte von Umweltbewegungen und der Ideen, auf die diese sich – wie umwelt-engagierte literarische Werke auch – berufen. Indem als weitere Disziplin der environmental humanities die Umweltethik in die Analyse umwelt-engagierter Literatur einbezogen wird, ist ein weitaus differenzierteres Verständnis der in dieser vertretenen umweltethischen Argumente möglich, als dies im bisherigen ecocriticism der Fall ist. So ist eine verbreitete Annahme vieler Ökokritiker, umweltbezogene literarische Texte müssten eine Abkehr vom Anthropozentrismus anstreben, also von einer Ethik, in der der Mensch und seine Interessen im Mittelpunkt stehen, und stattdessen den Übergang zu einer ‘ökozentrischen’ Perspektive fördern, in der auch die nichtmenschliche Natur über einen Selbstwert verfügt. Damit wird jedoch ignoriert, dass es eine Vielzahl anthropozentrischer Argumente für den Schutz von Natur und Umwelt gibt, die keineswegs per se belanglos oder weniger wert sind als ‘ökozentrische’. Zudem ist auch der Ökozentrismus nur eine von verschiedenen Varianten eines umweltethischen Physiozentrismus, neben dem als dritte Möglichkeit zudem eine theozentrische Umweltethik steht.
Die Frage ist daher in der vorliegenden Arbeit nicht, ob literarische Werke eine bestimmte Perspektive auf das Verhältnis der menschlichen Kultur zu Natur und Umwelt repräsentieren, sondern welche Perspektive sie vertreten und mit welchen literarischen Mitteln sie diese realisieren. Methodisch stütze ich mich bei der Analyse auf einen als ‘kulturelle Ökologie’ bezeichneten Ansatz von Hubert Zapf, dem zufolge Literatur als kulturkritischer Metadiskurs, ← 3 | 4 → imaginativer Gegendiskurs und reintegrativer Interdiskurs fungiert.8 Diesen Ansatz löse ich jedoch von den ursprünglich noch in ihm enthaltenen umweltethischen und umweltpolitischen Prämissen und verbinde ihn stattdessen mit einem von Georg Bollenbeck erarbeiteten, inhaltlich neutralen Konzept von Kulturkritik.9 Damit werden irreführende und einschränkende Vorannahmen wie in Teilen des bisherigen ecocriticism vermieden und eine umfassende Berücksichtigung sowohl des umweltgeschichtlichen und kulturellen Kontexts als auch der umweltethischen Argumentation der jeweiligen Texte ermöglicht. Zudem ist dieser Ansatz mit einem weit gefassten Verständnis von Literatur vereinbar. Eine Beschränkung auf ein bestimmtes Genre wird dadurch ebenso unnötig wie eine klare Abgrenzung zwischen fiction und nonfiction, die in vielen Fällen ohnehin kaum möglich ist.
2 Textauswahl und Forschungsstand
Im ecocriticism ist bislang ein Fokus auf die englischsprachige und insbesondere die US-amerikanische Literatur vorherrschend. Eine Analyse von in anderen Sprachen verfassten und in verschiedenen kulturellen Kontexten entstandenen Werken eröffnet neue Möglichkeiten, die kulturelle Bedingtheit von Auffassungen des Natur-Kultur-Verhältnisses auch in Hinblick auf Umweltfragen zu untersuchen. Die Textgrundlage der vorliegenden Arbeit bilden daher Werke von jeweils fünf isländischen und norwegischen Autoren.
Island ist zwar, was Fläche und Bevölkerungszahl betrifft, wesentlich kleiner als Norwegen, doch sind beide Länder geschichtlich, sprachlich und kulturell eng miteinander verbunden. Beide zählen hinsichtlich Lebenserwartung, Pro-Kopf-Einkommen und Bildung zu den am höchsten entwickelten Ländern der Welt.10 Die jeweils vorherrschenden Auffassungen nationaler Identität und das Verständnis der Rolle der eigenen Nation in der Welt sind jedoch deutlich verschieden. Wenn daher in der vorliegenden Arbeit signifikante Unterschiede ← 4 | 5 → hinsichtlich der Bedeutung des Lokalen, des Nationalen und des Globalen in umwelt-engagierter Literatur aus zwei ansonsten kulturell relativ ähnlichen Ländern festgestellt werden, so erlaubt dies umso fundiertere Rückschlüsse auf die Bedeutung von Nationalismus und nationalen Selbstbildern für die Diskussion von Umweltfragen.
Die Entstehungszeit der hier als Quellen fungierenden Texte erstreckt sich vom Beginn der ‘Ära der Ökologie’ um 1970 und somit der Zeit, in der auch in Island und Norwegen Umweltbewegungen im heutigen Sinn entstanden, bis zum Jahr 2013. Aus Island sind dies Halldór Laxness’ Essay „Hernaðurinn gegn landinu“ („Der Krieg gegen das Land“, 1970), Svava Jakobsdóttirs Roman Gunnlaðar saga („Die Geschichte von Gunnlöð“, 1986), die Romantrilogie Skurðir í rigningu („Gräben im Regen“, 1996), Sumarið bakvið brekkuna („Der Sommer hinter dem Hügel“, 1997) und Birtan á fjöllunum („Das Licht auf den Bergen“, 1999) von Jón Kalman Stefánsson, Andri Snær Magnasons keinem Genre zuordenbares Buch Draumalandið („Traumland“, 2006) und Oddný Eir Ævarsdóttirs Tagebuchroman Jarðnæði („Grundbesitz“, 2011). Die norwegischen Texte sind Erik Dammanns ‘Sachbuch’ Fremtiden i våre hender („Die Zukunft in unseren Händen“, 1972), Knut Faldbakkens zweiteiliger Roman Uår – Aftenlandet („Unjahre – Das Abendland“, 1974) und Uår – Sweetwater („Unjahre – Sweetwater“, 1976), Sidsel Mørcks inhaltlich aufeinander aufbauende Dokumentarromane Stumtjenere („Stummer Diener“, 1978) und Ikke til salgs! („Nicht zu verkaufen!“, 1983), Gert Nygårdshaugs jeweils eigenständige Romane Mengele Zoo (1989) und Chimera („Schimäre“, 2011) sowie Jostein Gaarders Jugendroman Anna (2013).
Da diese Arbeit die erste ist, die sich in umfassenderer Form mit umwelt-engagierter Literatur aus Island und Norwegen befasst, gab es bislang noch keinen Kanon derartiger Texte, auf den hätte zurückgegriffen werden können. Bei der Auswahl der Quellen wurde darauf geachtet, dass es sich um Werke handelt, die eine gewisse Wirkung entfaltet haben, belegt etwa durch Literaturpreise, Rezensionen und Übersetzungen. So entschied ich mich beispielsweise gegen die Verwendung von Finn Alnæs’ Dokumentarbuch Svart snø („Schwarzer Schnee“, 1976) als Quelle, da dieses zwar thematisch durchaus passend gewesen wäre, es jedoch weder zum Zeitpunkt seines Erscheinens noch später nennenswert rezipiert wurde.11
Gemeinsam ist den ausgewählten Texten, dass sie von literaturwissenschaftlicher Seite bislang kaum oder gar nicht in Hinblick auf ihren Bezug zu zeitgenössischen Umweltfragen und Umweltbewegungen untersucht worden sind. ← 5 | 6 → So ist zwar beispielsweise Gunnlaðar saga Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, doch lassen diese den ökologischen Hintergrund des Romans weitestgehend unbeachtet.12 Helga Birgisdóttir hat immerhin ein kurzes Kapitel ihrer unveröffentlichten Masterarbeit, die sich aus ökokritischer Perspektive mit dem Werk Andri Snær Magnasons befasst, Draumalandið gewidmet.13 Von den norwegischen Texten war bislang nur Uår Gegenstand einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung, die zumindest ansatzweise auf die in den Romanen thematisierten Umweltaspekte hinwies, es jedoch versäumte, das Werk in seinen zeitgenössischen Kontext einzuordnen und es unter Bezug auf diesen zu interpretieren.14 Diese recht dünne Forschungslage dürfte nicht zuletzt auch dadurch zu erklären sein, dass die Entwicklung des ecocriticism in Island und Norwegen wie in den meisten europäischen Ländern noch in den Anfängen steckt. Erst seit wenigen Jahren ist auch hier in den Literaturwissenschaften ein steigendes Interesse an Umweltfragen zu erkennen.
In Abschnitt II wird der theoretische und methodische Hintergrund dieser Arbeit näher erläutert. Dabei beschreibe und diskutiere ich relevante Aspekte aus drei Disziplinen der environmental humanities: ecocriticism, Umweltgeschichte und Umweltethik. In Bezug auf den ecocriticism wird auf die Entwicklung des Forschungsfelds, dessen problematisches Verhältnis zu Kultur- und Literaturtheorie sowie auf neuere Ansätze einer umweltbezogenen Literaturwissenschaft ← 6 | 7 → einzugehen sein. Aus der Umweltgeschichte sind insbesondere die Erforschung von Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt in der Vergangenheit, der menschlichen Wahrnehmung und Interpretation von Natur und Umwelt in ihrem historischen Wandel sowie die Geschichte von Umweltbewegungen bedeutend für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit. Aus der Umweltethik stelle ich eine von Konrad Ott erarbeitete Einteilung des umweltethischen Argumentationsraums vor, die auch für die Analyse umwelt-engagierter Literatur zweckdienlich ist. Schließlich diskutiere ich mit Zapfs Modell von Literatur als kultureller Ökologie die in dieser Arbeit verwendete Methode und modifiziere das Modell durch den Rückgriff auf die von Bollenbeck definierten Merkmale von Kulturkritik. Ausgehend hiervon erarbeite ich eine Definition umwelt-engagierter Literatur, die ohne inhaltliche Vorannahmen auskommt und die es erlaubt, den historischen und kulturellen Kontext literarischer Werke angemessen in die Analyse einzubeziehen.
In Abschnitt III erfolgt die Auswertung der isländischen, in Abschnitt IV die der norwegischen Quellen.15 Beide Abschnitte beginnen mit einführenden Überblicken über für diese Arbeit relevante Aspekte von Geographie und Geschichte des jeweiligen Landes. Daraufhin werden die historische Entwicklung von Nationalismus und nationaler Identität sowie von Umweltfragen und Umweltbewegungen in Island beziehungsweise Norwegen erörtert. Hieran schließen sich die Analysen der einzelnen Werke in chronologischer Reihenfolge nach den Erscheinungsjahren an. Auf die Analysen folgt jeweils eine Diskussion der Ergebnisse und ein Ausblick auf die Rezeption des jeweiligen Werks. An jedem Text ist dabei zu überprüfen, wie dieser Umweltfragen thematisiert, welche umweltethischen Argumente in ihm zu erkennen sind und welche Bedeutung dem Globalen, dem Nationalen und dem Lokalen in ihm zukommt. Zudem wird zu fragen sein, ob die einzelnen Texte den erarbeiteten Kriterien umwelt-engagierter Literatur entsprechen.
Im abschließenden Abschnitt V kontrastiere ich die Ergebnisse der Abschnitte zu Island und Norwegen miteinander und diskutiere, inwieweit bei der ← 7 | 8 → Auswertung der Quellen Unterschiede zwischen den isländischen und den norwegischen Texten zu Tage getreten sind. Ausgehend hiervon ist zu fragen, inwieweit diese Unterschiede in Zusammenhang mit Auffassungen nationaler Identität und nationalen Selbstbildern stehen und welche Rückschlüsse aus den Ergebnissen dieser Arbeit auf die Bedeutung umwelt-engagierter Literatur für die Diskussion von Umweltfragen gezogen werden können.
1 Die Bezeichnung ‘Anthropozän’ geht zurück auf Paul J. Crutzen und Eugene F. Stoermer: „The ‘Anthropocene’“, in: Global Change Newsletter 41, 2000, S. 17–18; Jan Zalasiewicz [et al.]: „Are we now living in the Anthropocene?“, in: GSA Today 18 (2), 2008, S. 4–8 bestätigen das Ende des Holozäns, möglicherweise sogar des Quartärs, sowie die Anwendbarkeit des Begriffs Anthropozän auf die Gegenwart.
2 Exemplarisch für diese Überzeugung steht Lawrence Buell: The Environmental Imagination. Thoreau, Nature Writing, and the Formation of American Culture, Cambridge/Mass. 1995.
3 Vgl. Ursula Heise: Sense of Place and Sense of Planet. The Environmental Imagination of the Global, New York 2008.
4 Vgl. Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, 2., überarb. u. erg. Aufl., London [u.a.] 1991 [1983].
5 Vgl. Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011, S. 143.
6 Barry Commoner: The Closing Circle. Nature, Man and Technology, New York 1971, S. 33.
7 Vgl. Andreas Diekmann und Peter Preisendörfer: Umweltsoziologie. Eine Einführung, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 12 und 19–20.
8 Vgl. Hubert Zapf: Literatur als kulturelle Ökologie. Zur kulturellen Funktion imaginativer Texte an Beispielen des amerikanischen Romans, Tübingen 2002.
9 Vgl. Georg Bollenbeck: Eine Geschichte der Kulturkritik. Von J.J. Rousseau bis G. Anders, München 2007.
10 Im Human Development Index der Vereinten Nationen belegt Norwegen seit 2001 durchgängig den ersten Platz, lediglich unterbrochen in den Jahren 2007 und 2008, in denen Island das höchste Ranking erhielt. Vgl. United Nations Development Programme: Human Development Index, http://hdr.undp.org/en/statistics/hdi/ (zuletzt abgerufen 08.01.2014).
11 Vgl. Truls Gjefsen: Finn Alnæs. Titan og sisyfos, Oslo 1995, S. 189–190.
12 Vgl. etwa Dagný Kristjánsdóttir: „‘Stabat mater dolorosa’. Um Gunnlaðar sögu eftir Svövu Jakobsdóttur“, in: Andvari 113, 1988, S. 99–112; Soffía Auður Birgisdóttir: „Lífsvon í deyjandi sköpunarverki. Um Gunnlaðar sögu og Graalssögnina“, in: Ármann Jakobsson (Hg.): Kona med spegil. Svava Jakobsdóttir og verk hennar, Reykjavík 2005, S. 116–130.
13 Helga Birgisdóttir: Þegar neglt var fyrir sólina, kríurnar rötuðu ekki heim og einn maður átti sér draum. Vistrýni og verk Andra Snæs Magnasonar, Reykjavík 2007 [Masterarbeit, Háskóli Íslands].
14 Vgl. etwa Mona Lyche Ramberg: „Fanget av natur og samfunn. Knut Faldbakkens diktning med hovedvekt på dobbeltromanen UÅR, Aftenlandet og Sweetwater“, in: Rolf Nyboe Nettum (Hg.): I diktningens brennpunkt. Studier i norsk romankunst 1945–1980, Oslo 1982, S. 253–270; Henning Howlid Wærp: „Knut Faldbakkens Uår. Aftenlandet (1974). En (skitten-)grønn lesning av livet på søppelfyllingen“, in: Norsk litterær årbok, 2013, S. 200–215.
Details
- Seiten
- XI, 399
- Erscheinungsjahr
- 2015
- ISBN (PDF)
- 9783653047691
- ISBN (MOBI)
- 9783653979015
- ISBN (ePUB)
- 9783653979022
- ISBN (Hardcover)
- 9783631655658
- DOI
- 10.3726/978-3-653-04769-1
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2014 (Oktober)
- Schlagworte
- Umweltethik Umweltgeschichte Kulturökologie Klimawandel
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XII, 399 S.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG