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Einheitlicher europäischer Werkbegriff und Herabsenkung der Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst

by Kathrin-Lena Kriesel (Author)
©2014 Thesis XLVI, 211 Pages

Summary

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob für den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst im Vergleich zu anderen Werkarten höhere Anforderungen in Form einer besonderen Gestaltungshöhe zu verlangen sind. Die Arbeit zeigt auf, weshalb dies aus einer Vielzahl von Gründen nicht geboten erscheint. Insbesondere lassen die europäischen Urheberrechtsentwicklungen mittlerweile durch eine Reihe von Richtlinien sowie durch neuere EuGH-Entscheidungen – beginnend mit Infopaq/DDF im Jahre 2009 – auf die Existenz eines einheitlichen europäischen Werkbegriffs schließen. Dieser gebietet es, für sämtliche Werkarten einheitliche, eher niedrige Schutzvoraussetzungen anzusetzen. Damit ist auch für Werke der angewandten Kunst keine erhöhte Gestaltungshöhe zu fordern.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Literaturverzeichnis
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Gliederung
  • 1. Teil: Einleitung
  • A. Hintergrund
  • B. Ziel der Arbeit und Gang der Darstellung
  • 2. Teil: Werkbegriff – Status quo
  • A. Funktion und Bedeutung im urheberrechtlichen System
  • B. Voraussetzungen für das Vorliegen eines „Werks“: § 2 Abs. 2 UrhG und seine Konkretisierung
  • I. Persönliche Schöpfung
  • II. Geistiger Gehalt
  • III. Wahrnehmbare konkrete Form
  • IV. Individualität
  • V. Gradmesser der Individualität: Gestaltungshöhe
  • 1. Funktion des Merkmals der Gestaltungshöhe
  • 2. Schutz der sogenannten „kleinen Münze“
  • 3. Bislang keine einheitliche Schutzuntergrenze: Unterschiedliche Anforderungen an die Gestaltungshöhe je nach Werkart
  • a) Sprachwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG)
  • aa) Schriftwerke
  • bb) Computerprogramme
  • b) Werke der Musik (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG)
  • c) Fotografien: Lichtbildwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG) und Lichtbilder (§ 72 UrhG)
  • d) Filmwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG)
  • e) Datenbankwerke (§ 4 UrhG)
  • f) Zwischenbilanz
  • g) Kunstwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG): Werke der (reinen) bildenden Kunst, der angewandten Kunst und der Baukunst
  • aa) Werke der (reinen) bildenden Kunst
  • bb) Werke der angewandten Kunst
  • (1) Höhere Anforderungen an die Gestaltungshöhe
  • (2) „Stufentheorie“ des BGH
  • cc) Werke der Baukunst
  • dd) Entwürfe
  • h) Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG)
  • 4. Zwischenbilanz
  • 3. Teil: Vorgebrachte Argumente für unterschiedliche Anforderungen an die Gestaltungshöhe je nach Werkart und Kritik
  • A. Auslegung des § 2 Abs. 2 UrhG: Einheitlicher Werkbegriff
  • B. Argument des Freihaltebedürfnisses und Kritik
  • C. Argument der langen urheberrechtlichen Schutzdauer und Kritik
  • D. Gebrauchszweck-Argument, „ästhetischer Überschuss“ und Kritik
  • E. Geschmacksmusterschutz-Argument und Kritik
  • I. Wegfall des Stufenverhältnisses
  • II. Weiterhin Möglichkeit des Doppelschutzes trotz unterschiedlicher Struktur und Schutzausrichtung
  • III. Vorgaben der Geschmacksmuster-Richtlinie und der Gemeinschaftsgeschmacksmuster-Verordnung
  • IV. Zwischenergebnis
  • F. Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster
  • G. Zwischenfazit
  • 4. Teil: Unvereinbarkeit der unterschiedlichen – bei Werken der angewandten Kunst höheren – Anforderungen an die Gestaltungshöhe mit den Vorgaben des urheberrechtlichen acquis communautaire
  • A. Begriff und Bedeutung des acquis communautaire
  • I. Begriff des „acquis communautaire“
  • 1. (Geschriebenes) Primär- und Sekundärrecht
  • 2. Ungeschriebenes Unionsrecht: Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze
  • 3. Völkerrecht
  • II. Bedeutung des „acquis communautaire“
  • B. Urheberrechtlicher acquis
  • I. Hintergrund
  • II. Territorialitätsprinzip
  • III. Bisherige Harmonisierungen
  • 1. Primärrechtlicher Hintergrund und Kompetenzgrundlage des Art. 118 AEUV
  • 2. Sekundärrecht
  • a) Sektorübergreifendes Sekundärrecht
  • b) Urheberrechtsspezifisches Sekundärrecht: Überblick über die acht Urheberrechtsrichtlinien und ihre jeweilige Implementierung in das deutsche Recht
  • aa) Hintergrund
  • bb) Überblick
  • (1) Die Computerprogramm-Richtlinie
  • (2) Die Vermiet- und Verleih-Richtlinie
  • (3) Die Satelliten- und Kabel-Richtlinie
  • (4) Die Schutzdauer-Richtlinie
  • (5) Die Datenbank-Richtlinie
  • (6) Die Informations-Richtlinie
  • (7) Die Folgerechts-Richtlinie
  • (8) Die Richtlinie „Verwaiste Werke“
  • c) Weitere Richtlinienvorschläge und Vorhaben
  • IV. Dem acquis communautaire zu entnehmende Vorgaben für den Werkbegriff und das Merkmal der Gestaltungshöhe
  • 1. Vorgaben der Richtlinien
  • a) Vorgaben der Computerprogramm-Richtlinie
  • b) Vorgaben der Schutzdauer-Richtlinie
  • c) Vorgaben der Datenbank-Richtlinie
  • d) Zwischenbilanz
  • e) Konsequenzen aus der Informations-Richtlinie
  • f) Konsequenzen der Richtlinienvorgaben für die deutschen Gerichte als Rechtsanwender und die urheberrechtliche Behandlung von angewandter Kunst im deutschen Recht
  • aa) Anwendungsvorrang (Anwendungsvorrang im engeren Sinne)
  • bb) Europarechtskonforme – einschließlich richtlinienkonforme – Auslegung (Anwendungsvorrang im weiteren Sinne)
  • 2. Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH
  • a) Rolle des EuGH im Unionsrechtsgefüge und Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV
  • b) Vorgehen des EuGH: Auslegung und richterliche Rechtsfortbildung im Rahmen der EuGH-Rechtsprechung
  • c) Einheitlicher europäischer Werkbegriff: Das „Infopaq/DDF“-Urteil des EuGH und die Folgeentscheidungen
  • aa) Die EuGH-Entscheidung „Infopaq/DDF“
  • bb) Die EuGH-Entscheidung „BSA/Kulturministerium“
  • cc) Die EuGH-Entscheidung „Football Association Premier League und Murphy“
  • dd) Die EuGH-Entscheidung „Painer/Standard“
  • ee) Die EuGH-Entscheidung „Football Dataco/Yahoo“
  • ff) Zwischenergebnis
  • gg) Europäischer Werkbegriff nach dem EuGH
  • d) Folgen für den deutschen Rechtsanwender: Bedeutung und Wirkung der im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens vorgenommenen Auslegung durch den EuGH und Berücksichtigungspflicht durch die nationalen Gerichte
  • aa) Bindungswirkung der Auslegungsurteile des EuGH
  • bb) Bedeutung des einheitlichen europäischen Werkbegriffs für die Werke der angewandten Kunst und den deutschen Rechtsanwender
  • e) Methodik des EuGH bei der Werkbegriffsbestimmung
  • f) EU-Werkbegriff nach dem EuGH: Mischung aus „Copyright“-Ansatz und „Droit d’auteur“-Sicht
  • g) Geäußerte Kritik sowie Vorbehalte nach der „Infopaq/DDF“-Entscheidung und den Folgeurteilen des EuGH und Entkräftung der Kritik
  • aa) Möglichkeit der bloßen „Mindestharmonisierung“
  • bb) Möglichkeit der Kompetenzüberschreitung durch den EuGH
  • V. Ergebnis: Unterschiedliche Anforderungen an die Gestaltungshöhe mit den Vorgaben des urheberrechtlichen acquis communautaire unvereinbar – Herabsenkung der Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst
  • VI. „Wittem-Projekt“ und Vorgaben des acquis communautaire für den Werkbegriff
  • 5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse, sich daraus ergebende Konsequenzen und Schlussfolgerungen
  • A. Ergebnisse
  • B. Folgen
  • C. Hinweise auf ein Überdenken des Urheberrechtsschutzes von angewandter Kunst unter Aufgreifen der europäischen Urheberrechtsentwicklungen: Die „Seilzirkus“-Entscheidung des BGH
  • D. Bedeutung für die Weiterentwicklung des urheberrechtlichen acquis communautaire
  • I. Langfristig Niederlegung des einheitlichen EU-Werkbegriffs in einer ausdrücklichen Regelung
  • 1. Regelungsmöglichkeiten
  • a) Die Verordnung (Art. 288 Abs. 2 AEUV)
  • b) Die Richtlinie (Art. 288 Abs. 3 AEUV)
  • 2. Vorzugswürdiger Regelungsakt hier: Die Verordnung
  • II. Grünbuch der Kommission vom 13. Juli 2011
  • 6. Teil: Schlussbetrachtung
  • A. Résumé und Ausblick
  • B. Die „Geburtstagszug“-Entscheidung des BGH vom 13.11.2013
  • Anhang
  • A. Zur Computerprogramm-Richtlinie (Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen)
  • B. Zur Schutzdauer-Richtlinie (Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte)
  • C. Zur Datenbank-Richtlinie (Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken)
  • D. Zur Informations-Richtlinie (Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft)

← XLVI | 1 → 1. Teil: Einleitung

A. Hintergrund

Nach Art. 27 (2) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen hat jeder das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen. Das Urheberrecht ist also ein Menschenrecht.1

§ 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) bestimmt, dass den Urhebern von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst für ihre Werke Schutz nach Maßgabe des Urheberrechtsgesetzes zukommt. Zu den gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG geschützten Werken der bildenden Künste gehören auch die Werke der angewandten Kunst, also Designleistungen.

Der Schutz des Urheberrechts soll dem Urheber zum einen die „geistigen Früchte“2 seiner Arbeit und die Anerkennung seiner Urheberschaft garantieren, wodurch etwa auch erst eine Auseinandersetzung mit seinem künstlerischen Schaffen möglich wird.3 Zum anderen soll das Urheberrecht gewährleisten, dass sich der Designer in Bezug auf seine Gestaltungsleistung ein Einkommen schaffen kann, auf dessen Grundlage er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.4 Dem Urheber soll aus seinem schöpferisch geistigen Schaffen also auch ein wirtschaftlicher Nutzen erwachsen, indem ihm für diese Leistung ein angemessener Lohn als Ausgleich zuteil wird.5 Dies folgt bereits aus § 11 S. 2 UrhG, wonach ← 1 | 2 → das Urheberrecht zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes dient. Diese Zielrichtung des Urheberrechtsgesetzes werde gleichwohl größtenteils verfehlt, wenn geschätzt mindestens 95 % der Designleistungen ein Urheberrechtsschutz versagt werde, zugleich aber etwa Fotografien – entweder als Lichtbildwerk (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG) oder als Lichtbild (§ 72 UrhG) – nahezu vollständig urheberrechtlich geschützt werden.6

Das beschriebene Phänomen ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Rechtsprechung im Bereich der angewandten Kunst bislang erhöhte Anforderungen an die urheberrechtlichen Schutzvoraussetzungen einer Gestaltung stellt. Anders als bei anderen Werkarten, insbesondere auch anders als bei den Werken der reinen bildenden Kunst, verlangt sie bei den Werken der angewandten Kunst das Vorliegen einer besonderen Gestaltungshöhe – nämlich ein „deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung“7 – und geht damit nicht von einem für sämtliche Werkarten einheitlichen Werkbegriff mit gleichlautenden Voraussetzungen aus.

Wie im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt werden wird, ist die je nach Werkart unterschiedliche Handhabung der Werkvoraussetzungen seitens der Rechtsprechung – insbesondere des Merkmals der Gestaltungshöhe – aus einer Vielzahl von Gründen jedoch nicht hinnehmbar und mit geltendem Recht nicht vereinbar.

Da viele Designer etwa im Bereich des Grafik-, Kommunikations-, Produkt-, Mode- oder Textildesigns zur Sicherung ihres Lebensunterhalts auf einen nicht nur ausnahmsweise gewährten urheberrechtlichen Schutz ihrer Designs angewiesen sind,8 ist eine Herabsenkung der Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst nicht nur aus akademischen Erwägungen heraus erforderlich, sondern folgt auch aus einer dringenden praktischen Notwendigkeit. So besteht in der Praxis durchaus die Befürchtung, dass Designleistungen „vergütungs- und sanktionslos“ übernommen werden, wie z.B. „bei zur Auftragsakquise erstellten Schöpfungen“.9

← 2 | 3 → Angesichts der seitens der Rechtsprechung angelegten hohen Maßstäbe an die Gestaltungshöhe ist eine vorprozessuale Beurteilung, ob die Designleistung urheberrechtlich geschützt ist, oftmals nicht eindeutig möglich, was für die Designer enorme Rechtsunsicherheiten bedeuten und (im Prozess) den Einsatz von aufwändigen und kostenintensiven Sachverständigengutachten zur Folge haben kann.10 Überdies kann die Aussicht auf eine gewährleistete und gesicherte Rechtsposition mit daraus erwachsenden Rechten einen weiteren (Leistungs-)Anreiz für kreatives Schaffen darstellen („Anspornungstheorie“11, Aussicht auf Ausschließlichkeitsrechte als „Motor für den Anreiz von Investitionen in immaterielle Güter“12).

Eine EU-weit einheitlichen (abgesenkten) Anforderungen unterliegende Schöpfungshöhe kann dem Urheber dabei eine wichtige Stütze sein. So heißt es etwa auch in Erwägungsgrund 10 der „Informations-Richtlinie“13 unter anderem, dass nur, wenn die Rechte des geistigen Eigentums angemessen geschützt werden, eine angemessene Vergütung der Rechtsinhaber gewährleistet und ein zufrieden stellender Ertrag von Investitionen sichergestellt werden könne.14 Demnach sollen also das Alimentationsinteresse des Urhebers und das Amortisationsinteresse des Investors zu gleichen Teilen Berücksichtigung finden, d.h. sowohl utilitaristische als auch individualistische Aspekte beachtet werden.15

Weiterhin sicherlich nicht erfasst werden sollen auch künftig völlig banale Gestaltungen. Der Designer als anwendender Künstler darf jedoch nicht in einem dauerhaften ← 3 | 4 → Zustand der Unsicherheit gehalten werden, ob die von ihm designte Gestaltung rechtlichen Schutz genießt und er „entlohnt“ wird oder ob sie letztlich nur eine „gemeinfreie Gestaltung“ darstellt, mit der Folge, dass er als Schaffender leer ausgeht.16

Ob der Designer davon losgelöst das Design gleichwohl dann aus seiner eigenen freiwilligen Entscheidung heraus unentgeltlich zur Verfügung stellt, steht mit der Frage des Inhalts der zunächst zu prüfenden Werkkriterien dagegen erst einmal in keinem Zusammenhang und ist gesondert zu betrachten.

Zu Recht wird argumentiert, dass der im Bereich der Literatur, der rein bildenden Kunst, der Fotografie, der Computerprogramme und der Datenbanken durch den Schutz der kleinen Münze großzügig gewährte Urheberrechtsschutz dort nicht zu unbilligen Behinderungen führe.17 Weshalb Urheber in den vorgenannten Bereichen schutzbedürftiger seien als Designer, mit der Folge dass im Bereich der angewandten Kunst andere Schutzmaßstäbe zu gelten hätten, ist nicht nachvollziehbar – zumal die Designer wirtschaftlich betrachtet von ihrer Schöpfung mindestens genauso abhängig sind wie die Urheber der anderen Werkarten.18 Insbesondere muss der Designer den gleichen Urheberrechtsschutz erhalten wie der bildende Künstler, auch ihm sollen „die finanziellen Früchte seiner Arbeit“ zuteil werden.19

Dabei sind auch die weiteren Auswirkungen zu berücksichtigen, die das Ansetzen unterschiedlich hoher Schutzanforderungen bei Werken der reinen bildenden Kunst und bei Werken der angewandten Kunst mit sich bringt: So weist Schulze zutreffend darauf hin, dass es im Bereich der bildenden Kunst zwar auch zu Kunstfälschungen komme, doch anders als bei den Werken der angewandten Kunst Original und Fälschung hier grundsätzlich nicht in einem Konkurrenzverhältnis stünden. Bei der reinen bildenden Kunst stehe das Original als Unikat im Mittelpunkt, nur dieses erreiche die hohen Preise auf dem Kunstmarkt.20 Hier gebe es keine konkurrierenden Billigprodukte, wie sie im Bereich der angewandten Kunst etwa bei Einrichtungsgegenständen oder Bekleidung anzutreffen seien, die als günstigere, oftmals vom Original kaum unterscheidbare Kopie angeboten würden und deren Hersteller auf diese Weise Entwurfs- und Entwicklungskosten sparten.21 Dies zeige, dass bei Werken der angewandten Kunst das Schutzbedürfnis der Urheber äußerst ← 4 | 5 → hoch anzusiedeln sei – möglicherweise sogar höher als bei den Werken der reinen bildenden Kunst –, sodass die Kritik an den strengen Anforderungen für den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst zu Recht erfolge.22

Das Urheberrecht ist nicht zuletzt deshalb von erheblicher Bedeutung und Interesse für den Designer und die Wirtschaft, weil es ein sehr starkes, umfassendes Recht darstellt. Im Gegensatz zu den gewerblichen Schutzrechten (in ihren Grundsätzen) – wie etwa dem Geschmacksmusterrecht, dem Markenrecht („ästhetische Schutzrechte“23), dem Patentrecht oder dem Gebrauchsmusterrecht („technische Schutzrechte“24) – wird das Urheberrecht formlos gewährt, d.h., es bedarf keiner Hinterlegung, Anmeldung oder Registrierung.25 Der Urheberrechtsschutz entsteht automatisch mit dem Schaffensprozess,26 mit der Vollendung des Schöpfungsaktes.27 Es fallen demnach anders als bei den gewerblichen Schutzrechten auch keine Investitionskosten wie Anmelde- und Verlängerungsgebühren oder Patentanwalts- und Rechtsanwaltskosten an.28 Das Urheberrecht verfügt überdies über eine überaus lange Schutzdauer, es erlischt erst siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers (§ 64 UrhG). Es bietet damit auch eine gute Planungsgrundlage.

Das dringend von der Rechtsprechung anzuerkennende und in der Folge auch zügig umzusetzende Gebot der Herabsenkung der Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst ist ferner aus einem weiteren Grund von enormer Wichtigkeit: Neben der innerdeutschen Notwendigkeit abgesenkter Schutzvoraussetzungen für einen umfassenderen urheberrechtlichen Designschutz ergibt sich ← 5 | 6 → das Erfordernis auch mit Blick auf die Ziele der Europäischen Union. Denn die Annahme verschieden hoher Schutzvoraussetzungen je nach Werkart kann etwa auch bei der Verwirklichung des Binnenmarkts in der Europäischen Union blockierende Auswirkungen haben.29 Existiert in der Europäischen Union kein einheitlicher europäischer Werkbegriff, sind die Mitgliedstaaten gezwungen, bei der Bestimmung des Urheberrechtsschutzes einer Gestaltung allein ihre nationalen Regelungen und Vorgaben zum Werkbegriff heranzuziehen, die durchaus unterschiedlich ausgestaltet sind. Dies kann dazu führen, dass in einem Mitgliedstaat die Werkqualität einer Schöpfung bejaht wird, in einem anderen Mitgliedstaat dagegen nicht und die Schöpfung dort gemeinfrei bleibt, d.h., in dem einen Mitgliedstaat die urheberrechtlichen Bestimmungen zur Anwendungen gelangen können, in dem anderen Mitgliedstaat hingegen nicht. Dieser mögliche unterschiedliche Schutz ein und derselben Schöpfung in verschiedenen Mitgliedstaaten kann Wettbewerbsverzerrungen sowie einen „Run“ auf bestimmte Mitgliedstaaten zur Folge haben und damit das Binnenmarktziel behindern. Denn Ziel der Verwirklichung des Binnenmarkts ist der Abbau von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen („negative Integration“30). Der europäische Gesetzgeber hat bereits mehrfach festgehalten, dass „ein effektiver unionsweiter Schutz geistigen Eigentums für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Binnenmarktes von größter Bedeutung [ist]“.31 Mithin ist ein einheitlicher Werkbegriff „als Einstiegskriterium“ zur Anwendbarkeit des Urheberrechts auch für die Verwirklichung des Binnenmarkts und den freien Warenverkehr ein bedeutendes Kriterium.32 Andernfalls lässt sich angesichts unterschiedlich hoher Schutzstandards im Bereich des Urheberrechts ein „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“33 nicht vermeiden.

← 6 | 7 → Solange in der EU kein einheitlicher europäischer Werkbegriff existierte, konnte die Herabsenkung der Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst zwar mit Blick auf das Binnenmarktziel (politisch) gefordert werden. Verbindliches aus europäischen Rechtsvorgaben zu ziehen, erschien hingegen tendenziell eher schwierig. Nunmehr hat sich dies geändert. Denn – wie im Rahmen dieser Arbeit gezeigt werden wird – in der Europäischen Union existiert mittlerweile ein einheitlicher europäischer Werkbegriff, der von den mitgliedstaatlichen Gerichten verbindlich zu beachten ist und der es gebietet, für sämtliche Werkarten einheitliche, tendenziell eher niedrige Schutzvoraussetzungen anzusetzen. Folglich ist es der deutschen Rechtsprechung künftig nicht mehr erlaubt, je nach Werkart unterschiedliche Anforderungen für einen Urheberrechtsschutz zu stellen. Insbesondere hat sie dabei auch das Erfordernis der deutlich überragenden Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst aufzugeben und die von ihr hier angelegten Maßstäbe herabzusenken.

Wenngleich die vorliegende Arbeit vor allem die wirtschaftlichen Aspekte des Urheberrechts und deren Bedeutung im Rahmen der europäischen Integration berücksichtigen wird, so soll gleichwohl die kulturelle Komponente des Urheberrechts samt Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für schützenswerte geistige Güter nicht vergessen werden (als Teil der „positiven Integration“34).35

So heißt es bereits in den „Initiativen zum Grünbuch“ der Kommission vom 17. Januar 1991:

„Das Urheberrecht ist ein Eckpfeiler des geistigen Schöpfungsprozesses. Das Urheberrecht schützen heißt die Gegenwart und die Zukunft der schöpferischen Tätigkeit im Interesse der Urheber, der Unternehmen des Kultursektors, der Verbraucher und letztlich der ganzen Gesellschaft sichern.“36

Auch die Informations-Richtlinie nimmt etwa in ihren Erwägungsgründen 11 und 12 auf die kulturelle Bedeutung des Urheberrechts Bezug.37

Die derzeit (noch) herrschende deutsche Rechtsprechungspraxis im Hinblick auf die Handhabung des Merkmals der Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst verfehlt demnach nicht nur wie beschrieben die Intention des Urheberrechtsgesetzes. ← 7 | 8 → Sie blockiert letztlich auch die Ziele der Europäischen Union und steht nicht im Einklang mit den europäischen Urheberrechtsentwicklungen.

B. Ziel der Arbeit und Gang der Darstellung

Im Rahmen dieser Arbeit soll nun dargetan werden, weshalb die von der Rechtsprechung bei Werken der angewandten Kunst nach wie vor erhobenen erhöhten Anforderungen an die Gestaltungshöhe nicht – jedenfalls nicht mehr – vertretbar sind.

Zunächst werden kurz die Voraussetzungen des Werkbegriffs im deutschen Recht – einschließlich des Merkmals der Gestaltungshöhe – sowie deren Handhabungen bei den einzelnen Werkarten dargestellt.

Sodann werden die oftmals für die erhöhten Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst angeführten Argumente dargetan und kritisch gewürdigt.

In der Folge werden die sich aus dem urheberrechtlichen acquis communautaire ergebenden Vorgaben – insbesondere die Vorgaben einer Reihe von urheberrechtsspezifischen Richtlinien sowie jüngeren EuGH-Entscheidungen – dargestellt und erläutert. Darin wird auch eine kurze Darstellung des gegenwärtigen Stands des urheberrechtlichen acquis communautaire eingeschlossen sein. Dargetan wird zudem, weshalb diese Vorgaben für den deutschen Rechtsanwender verbindlich sind. Im Anschluss daran wird eine Auseinandersetzung mit der oftmals in diesem Zusammenhang vorgebrachten Kritik erfolgen.

Daran anschließend werden die Entscheidungsfolgen noch einmal zusammengefasst, eine die europäischen Urheberrechtsentwicklungen aufgreifende Entscheidung des BGH dargestellt und mögliche daraus zu ziehende langfristige Konsequenzen aufgezeigt. Die Arbeit wird mit der Anregung einer langfristig ausdrücklichen Regelung des einheitlichen europäischen Werkbegriffs in einem EU-Rechtsakt als Teil einer dauerhaft unumgänglichen Vollharmonisierung des Urheberrechts auf EU-Ebene schließen.

__________

1 Darauf verweist auch Hackenberg, in: FS Nordemann, 2004, S. 25, 34.

2 Handig, UFITA Bd. 1 (2009), 55, 66; Koelman, IIC 2004, 603.

Details

Pages
XLVI, 211
Publication Year
2014
ISBN (PDF)
9783653045413
ISBN (MOBI)
9783653983074
ISBN (ePUB)
9783653983081
ISBN (Hardcover)
9783631653487
DOI
10.3726/978-3-653-04541-3
Language
German
Publication date
2014 (September)
Keywords
Geburtstagszug Urheberrechtsschutz EuGH Infopaq
Published
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XLVI, 211 S.
Product Safety
Peter Lang Group AG

Biographical notes

Kathrin-Lena Kriesel (Author)

Kathrin-Lena Kriesel studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und der University of Sheffield (UK). Sie absolvierte zudem den Masterstudiengang Europawissenschaften in Berlin (M.E.S.). Sie promovierte an der Universität Münster und arbeitet als Rechtsanwältin und Justiziarin in Berlin.

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