Kultur im Transfer
Komparatistik in der Slowakei
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Vorwort
- Róbert Gáfrik - Zur Rezeption indischer Stoffe in der deutschen Literatur
- Mária Bátorová - Der europäische Roman der literarischen Moderne „Das Feld des Möglichen“ in der Moderne des 20. Jahrhunderts
- Milan Žitný - Zur Rezeption Franz Kafkas in der Tschechoslowakei zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Wende. Einige Anmerkungen
- Judit Görözdi - Ungarische Gegenwartsliteratur in slowakischer und anderssprachiger Rezeption
- Roman Mikuláš - Konzepte der Literatur als Kommunikation im System
- Katarína Bednárová - Auto-narration à deux visages (Annie Ernaux et Rudolf Sloboda)
- Dobrota Pucherová - Intertextuality in African Literature as a Response to the European Literary Tradition
- Ladislav Franek - La poétique dans l’espace interlittéraire
Vorwort
Literatur im Kulturtransfer könnte eine Umschreibung für eines der klassischen Forschungsfelder von KomparatistInnen lauten. Die Kulturtransferforschung beschäftigt sich mit den Prozessen der Übernahme kultureller Phänomene zwischen verschiedenen Kulturen, z. B. zwischen Ländern oder zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Dieser relativ junge kulturwissenschaftliche Forschungszweig wurde in den 1980er Jahren von Michel Espagne und Michael Werner begründet, die sich vor allem mit dem kulturellen Transfer zwischen Deutschland und Frankreich beschäftigten.1 Literatur im Kulturtransfer weist nun auf die Rolle der Literatur in solchen Prozessen hin und beleuchtet, was wann wie und durch wen im Kontext von Literatur übertragen wurde. – Die Analyse solcher ‚Wechselbeziehungen’ ist eine der ureigenen Aufgaben der Vergleichenden Literaturwissenschaft, die damit prädestiniert dafür ist, den literaturwissenschaftlichen Bereich der Kulturtransferforschung zu übernehmen. Der Begriff ,Kulturtransfer‘ deckt sich zudem auf bemerkenswerte Weise mit der Auffassung der Rezeptionsforschung, wie sie sich innerhalb der slowakischen Komparatistik seit den 1970er Jahren durchgesetzt hat. Rezeption wird dabei nicht als passive Übernahme einer literarischen oder kulturellen Erscheinung gesehen; die slowakische Komparatistik betont vielmehr die Kreativität jeder Rezeption. Sie wird als kreativer Kulturtransfer verstanden und erforscht.
Literatur im Kulturtransfer war außerdem der Titel einer Ringvorlesung, die im Sommersemester 2012 an der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien abgehalten wurde. Die mehrsprachige Ringvorlesung wurde von Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Weltliteratur der Slowakischen Akademie der Wissenschaften gestaltet, alle Vortragenden kamen ebenfalls von der Akademie in Bratislava, ihre Beiträge finden sich im vorliegenden Band in gedruckter Fassung. Die Veranstaltung war eines der Ergebnisse der Kooperation zwischen den beiden Institutionen, die 2011 ins Leben gerufen wurde und auf ← 7 | 8 → die gemeinsame Durchführung von Lehrveranstaltungen und wissenschaftlichen Projekten zielt. Bereits im Dezember 2011 fand ein gemeinsamer Doktorandentag in Wien statt, bei dem DoktorandInnen beider Institutionen ihre Projekte vorstellten und diskutierten.
Literatur im Kulturtransfer in Form des vorliegenden Bandes vereint diese Facetten des Begriffs und geht noch darüber hinaus: er gibt einerseits in acht Studien Beispiele für die Erforschung literarischen kulturellen Transfers. Andererseits stellt er die Bandbreite der komparatistischen Forschungen am Institut für Weltliteratur der Slowakischen Akademie der Wissenschaften vor. Außerdem dokumentiert er den wissenschaftlichen Austausch zwischen der Bratislavaer und der Wiener Institution, ein weiteres Beispiel eines Transferprozesses. Kulturtransfer ist nicht vorstellbar ohne die entsprechenden Vermittler; so gründet der zuletzt genannte Austausch vor allem auf der Aktivität bestimmter Personen: Adam Bžoch, Direktor des Instituts für Weltliteratur in Bratislava, und Norbert Bachleitner, Professor an der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien, haben die Begegnung auf wissenschaftlicher Ebene ins Leben gerufen, den Anstoß dazu gab Stephan-Immanuel Teichgräber, Leiter der Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur (DomL) in Wien, der mit beiden Institutionen vertraut ist.
Die Geschichte des Instituts für Weltliteratur der Slowakischen Akademie der Wissenschaften beginnt 1964, als sein Vorgänger, das Institut für Literatur und Sprachen, gegründet wurde. Vergleichende Literaturforschung war seit den Anfängen ein wichtiger Bestandteil der wissenschaftlichen Aktivitäten des Instituts. Mikuláš Bakoš befasste sich intensiv mit der historischen Poetik. Dionýz Ďurišin schuf in Anlehnung an die Arbeiten von Mikuláš Bakoš und Viktor Žirmunskij eine starke theoretische Grundlage für die komparatistische Forschung in der Slowakei. Ďurišins Bestrebungen kulminierten in dem viel beachteten internationalen Projekt Osobitné medziliterárne spoločenstvá/ Les communautés interlittéraires spécifiques.2 Die slowakische Komparatistik versteht sich, auch dank Ďurišin, nicht als bloße vergleichende Methode, sondern als Erforschung der sogenannten Interliterarität. Sie verfügt zudem über eine starke, international beachtete Tradition. So galt Ďurišin vor allem in den 1970er und 80er Jahren als einer der führenden Komparatisten nicht nur im damaligen Ostblock. Seine Leistung auf dem Gebiet der Theorie der Vergleichenden Literaturwissenschaft gewann weltweit besondere Aufmerksamkeit. In Deutschland fand vor allem sein ← 8 | 9 → in den 1970er Jahren im Akademie-Verlag aufgelegtes Buch Vergleichende Literaturforschung Beachtung.3 Die Forscher am Institut für Weltliteratur beschäftigen sich mit europäischen sowie außereuropäischen Literaturen. Europäische Literaturen sind momentan gut mit dänischer, deutscher, estnischer, französischer, ungarischer, lettischer, litauischer, niederländischer, österreichischer, polnischer, rumänischer, russischer, schwedischer, Schweizer, slowakischer und spanischer Literatur vertreten. Die Literaturen aus Lateinamerika, Afrika und Asien werden auch teilweise berücksichtigt. Das Institut für Weltliteratur ist so ein einzigartiger Standort für Literaturforschung. Der Bogen der Forschungsinteressen reicht von der Balkanistik oder slawistischer Forschung über theoretisch und methodologisch ausgerichtete Forschungsprojekte, lexikografische Werke bis zu literarhistorischen, interpretativen und interdisziplinären Arbeiten.
Zurzeit sind die drei Säulen der Forschung am Institut für Weltliteratur drei Gebiete: Literaturtheorie, Vergleichende Literaturwissenschaft und Translationswissenschaften. Die drei Gebiete werden nicht als getrennte Forschungslinien verstanden. Sie entwickeln sich in ständiger Wechselbeziehung. Literaturtheorie liefert wichtige Impulse für Vergleichende Literaturwissenschaft und umgekehrt. Außerdem wird neben praktischen Studien großer Wert auch auf die theoretische Reflexion der komparatistischen Arbeit gelegt. Übersetzung wiederum bildet einen schon traditionellen Bestandteil der Vergleichenden Literaturwissenschaft.
Die Komparatistik als Disziplin hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die traditionelle, auf Literaturgeschichte gerichtete Forschung, machte neuen theoretischen Ansätzen Platz. Vergleichende Literaturwissenschaft hat sich weltweit zu einer umfassenden Kulturwissenschaft entwickelt. Slowakische Komparatistik, besonders wie sie am Institut für Weltliteratur gepflegt wird, reflektiert auch die neuen Entwicklungen in den Cultural studies, versucht dabei aber die Betonung auf Literatur beizubehalten.
Die vorliegende Publikation bietet einen Einblick in die Forschung am Institut für Weltliteratur: So reicht die Bandbreite von der Rezeption Kafkas in der Tschechoslowakei über die ungarische Gegenwartsliteratur in Übersetzung bis zur Intertextualität in afrikanischer Literatur als Antwort auf europäische Literaturtraditionen. Dass die Rezeptions- sowie die Übersetzungsforschung einer literaturwissenschaftlichen Kulturtransferforschung am nächsten stehen, zeigen die Themen der Beiträge. So beschäftigt sich Róbert Gáfrik in seinem Aufsatz mit der Rezeption indischer Stoffe in der deutschen Literatur. Er diskutiert dabei ← 9 | 10 → sowohl die Frage des Fremd- und Eigenbildes in der Literatur(-wissenschaft) und gibt eine kurze Übersicht der Rezeption indischer Stoffe seit Johann Gottfried Herder. Als konkrete Beispiele analysiert Gáfrik Johann Wolfgang von Goethes Ballade „Der Gott und die Bajadere“ (1797/1798) sowie Hermann Hesses Roman Siddharta (1922). Eine weitere Rezeptionsstudie präsentiert Milan Žitný, der sich mit der Rezeption Franz Kafkas in der Tschechoslowakei zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Wende beschäftigt. Er weist dabei auf die Unterschiede bzw. die Besonderheiten der Rezeption in der Slowakei hin. Judit Görözdi geht in ihrem Beitrag ebenfalls Fragen der Rezeption nach und interessiert sich für die Aufnahme der ungarischen Gegenwartsliteratur im deutschen, tschechischen und slowakischen Kontext, wobei die tschechische von der Rezeption im deutschsprachigen Raum ausgeht, während die slowakische direkt und selbstständig die zu übersetzenden Werke auswählt. Görözdi diskutiert dabei verschiedene Aspekte der Literaturvermittlung wie die unterschiedlichen Bedingungen im ursprünglichen und im aufnehmenden Kontext, ideologische Hintergründe, die Vermittlungsstrukturen (wie Förderungen und Verlage) oder die Frage der Übersetzung und illustriert diese anhand des Beispiels der ungarischen Gegenwartsliteratur. Intertextualität als Form eines literarischen kulturellen Transfers behandelt Dobrota Pucherová in ihrem Aufsatz. Sie nimmt eine postkoloniale Perspektive ein und analysiert Werke afrikanischer AutorInnen als Antwort (als ein ‚writing back‘) auf die europäische Literaturtraditionen und konkrete Werke. Pucherová stellt zahlreiche Texte als Beispiele vor, beginnend mit Solomon Plaatjes Roman Mhudi (1917/1930), in dem gattungstypische Konventionen des britischen Abenteuerromans mit afrikanischer mündlicher Erzähltradition, der Bibel, Shakespeare und der Tradition europäischer Ritterromane vermischt werden, über Chinua Achebe, der mit seinem Roman Things Fall Apart (1958) einen postkolonialen Gegenentwurf zu Joseph Conrads Heart of Darkness (1899) präsentiert, bis zu Dambudzo Marecheras Roman Black Sunlight (1980), der ebenfalls auf Conrads Klassiker anspielt, aber genauso auf postkoloniale Antworten darauf, wie Achebes Text. Ladislav Franek schließlich beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit dem Transfer auf theoretischer Ebene und diskutiert die Möglichkeiten der Analyse sowie der didaktischen Vermittlung von Poetik. Er weist dabei vor allem auf die Probleme hin, die sich bei einem vergleichenden Zugang sowohl auf sprachlicher als auch auf theoretischer Ebene ergeben, sowie auf die daraus entstehenden Herausforderungen auch in Bezug auf die Übersetzung.
Drei weitere Beiträge sind nicht unmittelbar der Rezeptions- bzw. Übersetzungsforschung zuzurechnen und behandeln Literatur im Kulturtransfer in anderer Hinsicht. Mária Bátorová betrachtet den europäischen Roman der Moderne ← 10 | 11 → in komparatistischer Manier und kommt zu einer eigenen zusammenfassenden Charakterisierung der Werke, die durch Themen und Motive wie die Erschütterung der klassischen Werte, die Absurdität und Relativierung der Existenz, totalitäre politische Systeme, Emigration, aber auch formale Besonderheiten gekennzeichnet sind. Mit der ‚Auto-narration‘ in autobiographischen Texten betrachtet Katarína Bednárová ein weiters Genre. In ihrer komparatistischen Studie zu Annie Ernaux und Rudolf Sloboda stellt sie zuerst die entsprechenden literarischen Kontexte, d.h. den französischen und den slowakischen, vor, erläutert dann Begriffe wie den autobiographischen Raum, autobiographisches Schreiben, Auto-narration etc., um schließlich damit die konkreten Texte zu analysieren. Ein weiterer theoretischer Beitrag betrachtet Konzepte der Literatur als Kommunikationssystem, d.h. Literatur als System von Bereichen, in denen literarische Inhalte kommuniziert werden. Der Autor Roman Mikuláš stellt die Nitraer Schule vor, die sich seit Ende der 1970er Jahre intensiv der Erforschung der literarischen Kommunikation widmet, diskutiert den Begriff der Kommunikation (bzw. der Information) an Niklas Luhmann anknüpfend und geht auf die Arbeiten von František Miko und Anton Popovič ein. Da die Rezeption der Semiotiker von Nitra im deutschsprachigen Raum noch aussteht, könnte dies eine Anregung für die europäische Komparatistik insgesamt sein. Die HerausgeberInnen bedanken sich an dieser Stelle bei Adam Bžoch und Norbert Bachleitner für ihre Unterstützung dieser Publikation. Danke außerdem an Martin Schnirzer, der die Zitierweise vereinheitlicht hat.
Das Herausgeberteam
Details
- Seiten
- 156
- Erscheinungsjahr
- 2016
- ISBN (PDF)
- 9783653034271
- ISBN (MOBI)
- 9783653995756
- ISBN (ePUB)
- 9783653995763
- ISBN (Hardcover)
- 9783631643488
- DOI
- 10.3726/978-3-653-03427-1
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2016 (April)
- Schlagworte
- Imagologie Europäische Moderne Franz Kafka Ungarische Literatur
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 156 S., 1 s/w Abb.
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