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Karl Barth und Isaak August Dorner

Eine Untersuchung zu Barths Rezeption der Theologie Dorners

von Sang Eun Lee (Autor:in)
©2015 Dissertation 269 Seiten

Zusammenfassung

Die Studie befasst sich mit Karl Barths (1886-1968) Rezeption der Theologie Isaak August Dorners (1809-1884). Sie untersucht, wie sich Barth, ein dialektischer Theologe, zu einem in Schleiermachers Tradition stehenden Vermittlungstheologen verhält. Barths Rezeption der Theologie Dorners erfolgte von seiner frühen Münsteraner Zeit (1926) bis zum Ende der 30er Jahre. Einerseits steht Barth in dieser Zeit aufgrund seiner schon vorher feststellbaren Entwicklung als dialektischer Theologe der neuprotestantischen Theologie kritisch gegenüber und er problematisiert Dorners Theologie, da sie die anthropozentrische, spekulative Theologie der Neuzeit nicht überwinden konnte. Andererseits nimmt er in Dorners Theologie eine Möglichkeit zur adäquaten Erfassung der Souveränität Gottes wahr. Das gilt besonders für dessen Trinitätslehre.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort des Autors
  • Vorwort des Reihenherausgebers
  • Inhaltverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Allgemeine Problemstellung
  • 2. Forschungsüberblick und historischer Einleitung: Barths Verhältnis zu Dorner
  • 2.1 Forschungsüberblick
  • 2.1.1 Der Stand der Forschung zu Barths Rezeption I. A. Dorners
  • 2.1.2 Die Wahrnehmung der Rezeption Dorners durch Barth in der bisherigen Forschung
  • 2.2 Historischer Überblick zu Barths Verhältnis zu Dorner
  • 2.2.1 Barths Beschäftigung mit Dorners Texten
  • 2.2.2 Barths erster Kontakt mit Dorners Theologie in seiner Münsteraner Zeit und die Würdigung von Dorners Abgrenzung von der neuprotestantischen Theologie
  • 2.2.3 Einzelne Spuren der breiteteren Rezeption Dorners in Barths Zeit nach Münster
  • 3. Methodisches Verfahren und Auswahl der Quellen
  • I. Karl Barths Rezeption der Theologie Dorners in seiner Münsteraner Zeit (1926–30)
  • 0.1 Problemstellung
  • 0.2 Methodisches Verfahren und Auswahl der Quellen dieses Kapitels
  • 1. Barths Würdigung und Kritik der Theologie Dorners in der Vorlesung „Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert“ (1929)
  • 1.1 Vorbemerkung: Barths Vorlesung über Dorner in der Münsteraner Zeit
  • 1.2 Die materialen Belege der Dorner-Rezeption in Barths Vorlesung und ihre Struktur
  • 1.3 Barths Würdigung und Kritik der Theologie Dorners in der Vorlesung
  • 1.3.1 Barths kurze Darstellung der Theologie Dorners: Die Einleitung in der Vorlesung über Dorner
  • 1.3.2 Barths Würdigung und Kritik von Dorners Pisteologie
  • 1.3.2.1 Barths Beschäftigung mit Dorners Pisteologie in der Vorlesung
  • 1.3.2.2 Barths Wahrnehmung der Abgrenzung Dorners von Schleiermachers Theologie
  • 1.3.2.3 Barths Wahrnehmung von Dorners trinitarischer Theologie
  • 1.3.2.4 Barths Darstellung, Würdigung und Kritik der „Pisteologie“
  • 1.3.2.4.1 Die Aufnahme und Bearbeitung der „Synthese“ Dorners
  • 1.3.2.4.2 Barths Kritik an der „Pisteologie“ Dorners
  • 1.3.3 Barths Würdigung Dorners: „Ein prinzipiell Neues“ „objektive Dogmen“
  • 1.4 Fazit
  • 2. Barths Rezeption der Theologie Dorners in den Münsteraner Werken
  • 2.1 Barths Würdigung von Dorners Theologie in „Das Wort Gottes in der Theologie von Schleiermacher bis Ritschl“ (1927)
  • 2.1.1 Barths Würdigung von Dorners Abgrenzung von der neuzeitlichen Theologie
  • 2.1.2 Das Überwiegen des menschlichen Faktors: Barths grundlegende Kritik an der Theologie des 19. Jahrhunderts
  • 2.1.3 Barths Würdigung Dorners in dessen Abgrenzung von der Problematik der neuzeitlichen Theologie
  • 2.2 Barths Stellungnahme zu Dorner in der Münsteraner Dogmatik (1927)
  • 2.2.1 Barths kritisches Verhältnis zu Dorner in der Münsteraner Dogmatik
  • 2.2.1.1 Barths Polemik gegen die Gotteserkenntnis der neuzeitlichen Theologie und seine kritischen Äußerungen zu Dorner
  • 2.2.1.2 Barths Kritik an der sog. „theozentrischen Theologie“: Dorner und der „Gott unseres Bewußtseins“
  • 2.2.2 Barths Würdigung von Dorners Trinitätslehre in der Münsteraner Dogmatik
  • 2.2.2.1 Barths Würdigung der trinitarischen Theologie Dorners
  • 2.2.2.2 Barths Aufnahme der Problemstellung Dorners in der Trinitätslehre der Münsteraner Dogmatik (1927)
  • 2.3 Fazit
  • 3. Barths Ethik-Vorlesung (1928–29/1930–31) und die Kritik an der „Diastase“ bei Dorner
  • 3.0 Einleitung
  • 3.0.1 Barths Stellungnahme zur Theologie des Wortes Gottes und seine Kritik an Dorner
  • 3.0.2 Überblick zum Verhältnis von theologischer und philosophischer Ethik bei Dorner
  • 3.1 Barths Stellungnahme zur Theologie des Wortes Gottes und das Verhältnis von theologischer und philosophischer Ethik
  • 3.1.1 Das Wort Gottes als Ansatzpunkt der Ethik nach Barth
  • 3.2 Barths Kritik am Verhältnis von theologischer und philosophischer Ethik im modernen Protestantismus und bei Dorner
  • 3.2.1 Die theologische und philosophische Ethik und die drei problematischen Verhältnisbestimmungen
  • 3.2.1.1 Die Kritik an der „Haltung der Apologetik“
  • 3.2.1.2 Die Kritik an der „Haltung der Diastase“
  • 3.3 Barths Bestimmung der Beziehung zwischen theologischer und philosophischer Ethik anhand seiner Stellungnahme zur Theologie des Wortes Gottes
  • 3.4 Fazit: Barths Bewertung des Verhältnisses von theologischer und philosophischer Ethik bei Dorner
  • 4. Fazit: Barths Rezeption der Theologie Dorners in seiner Münsteraner Zeit
  • II. Barths Rezeption von Dorners Trinitätslehre: ein Vergleich der beiden Theologen
  • 1. Vorbemerkung: Problemstellung und Überblick zum Stand der Forschung
  • 2. Dorners Trinitätslehre und ihre erste Rezeption durch Barth
  • 2.1 Überblick zu Barths Beschäftigung mit Dorners Trinitätslehre
  • 2.2 Die Grundstruktur von Dorners Trinitätslehre
  • 2.2.1 Der Ausgangspunkt der Gotteslehre: Die Bestimmung der Gottheit durch die Absolutheit und das Ethische
  • 2.2.2 Übergang zur Trinitätslehre – „wie reimt sich die Absolutheit und die Persönlichkeit?“
  • 2.2.3 Die Konzeption von Dorners Trinitätslehre
  • 2.2.3.1 Die Zusammengehörigkeit von Gottes Selbstunterscheidung und Selbstmitteilung in der Offenbarung in Christus
  • 2.2.3.2 Die Ableitung von Dorners ethischer Trinitätslehre
  • 2.2.3.3 Die absolute Persönlichkeit und die drei Seinsweisen
  • 2.3 Fazit: Die Trinitätslehre von Dorner und Barth
  • 3. Die Trinitätslehre von Barth und Dorner
  • 3.1 Die Trinitätslehre in Barths Münsteraner Dogmatik (1927)
  • 3.1.1 Der Ausgangspunkt von Barths Trinitätslehre: Die Subjektivität Gottes in seiner Offenbarung
  • 3.1.2 Die Lehre von der Einheit, Dreiheit und Dreieinigkeit in Barths trinitarischem Konzept
  • 3.1.2.1 Die Darstellung der Einheit Gottes anhand der Herrschaft Gottes
  • 3.1.2.2 Die „Dreiheit“ Gottes und das Konzept des einen persönlichen Gottes in „drei (Seins-)Weisen“
  • 3.1.2.3 Die „Dreieinigkeit“ und der Begriff „Perichorese“
  • 3.1.3 Fazit: Barths Rezeption der Trinitätslehre von Dorner in der Münsteraner Dogmatik
  • 3.2 Die Trinitätslehre in der Kirchlichen Dogmatik I/1 und Dorners Einfluss
  • 3.2.1 Der Ausgangspunkt der Trinitätslehre in der Kirchlichen Dogmatik I/1: Die Subjektivität Gottes und die drei Gestalten der Offenbarung
  • 3.2.2 Die Lehre von Gottes Dreieinigkeit und Barths Verwendung des trinitarischen Konzepts in der Kirchlichen Dogmatik I/1
  • 3.2.2.1 Die „Einheit in der Dreiheit“ und Barths Beschäftigung mit dem Begriff „Person“
  • 3.2.2.2 „Die Dreiheit in der Einheit“ (§ 9. 2) und der Begriff „Seinsweise“
  • 3.2.2.3 Die Erläuterung der Dreieinigkeit und der Begriff „Perichorese“
  • 3.2.3 Fazit: Barths Rezeption der Trinitätslehre von Dorner in der Kirchlichen Dogmatik
  • III. Die „Unveränderlichkeit Gottes“: Barths Rezeption von Dorners Begriff in KD II/1 (1939)
  • 1. Vorbemerkung: Barths Würdigung von Dorners Begriff der „Unveränderlichkeit“
  • 2. Barths Rezeption des Begriffs „Unveränderlichkeit“ in der Gotteslehre
  • 2.1 Barths Beschäftigung mit Dorners Aufsatz „Über die richtige Fassung des dogmatischen Begriffs Unveränderlichkeit Gottes“
  • 2.2 Überblick zu Dorners Begriff „Unveränderlichkeit“
  • 2.2.1 Der Aufsatz „Über die richtige Fassung des dogmatischen Begriffs Unveränderlichkeit Gottes“
  • 2.2.2 Dorners Polemik gegen die Kenosislehre und seine Kritik an der hergebrachten Bestimmung der „Unveränderlichkeit“
  • 2.2.3 Dorners Versuch, „Unveränderlichkeit“ und „Lebendigkeit“ zu vereinbaren
  • 2.2.3.1 Dorners Rezeption der Ideen Schellings, Hegels und Schleiermachers
  • 2.2.3.1.1 Dorners Kritik an Schleiermachers Idee der „Erhabenheit“
  • 2.2.3.1.2 Die „Lebendigkeit“ Gottes und Dorners Kritik am Pantheismus
  • 2.2.3.2 Dorners Versuch, Unveränderlichkeit und Lebendigkeit Gottes zu vereinbaren
  • 2.2.3.2.1 Der ethische Gottesbegriff und die Kompatibilität von Gottes Unveränderlichkeit und Lebendigkeit
  • 2.2.3.2.2 Dorners Erläuterung des Verhältnisses von Gott und Welt: Gottes Selbstbehauptung und Selbstmitteilung
  • 2.2.3.2.3 Dorners Erläuterung des Verhältnisses zwischen Gott und der Welt angesichts des ethischen Gottesbegriffs und der Menschwerdung Gottes
  • 3. Barths Rezeption des Begriffs „Unveränderlichkeit“ in der Gotteslehre KD II/1
  • 3.1 Der Ansatz von Barths Gotteslehre und seine Rezeption der Unveränderlichkeit im Abschnitt „Gottes Beständigkeit und Allmacht“ (§ 31. 2)
  • 3.1.1 Der Ansatzpunkt der Gotteslehre: Die Bestimmung „Gott ist beständig“ und das Zusammenbringen von „Beständigkeit“ und „Lebendigkeit“ Gottes
  • 3.1.2 Barths Kritik am traditionellen Verständnis der Unveränderlichkeit Gottes
  • 3.1.3 Die Beständigkeit Gottes in Bezug auf die Schöpfung
  • 3.1.4 Die Beständigkeit Gottes und die Geschichte
  • 3.1.5 Die Unveränderlichkeit Gottes und die erste und zweite Schöpfung
  • 3.1.6 Die Erhörung des Gebetes
  • 3.1.7 Die Grundlage des Begriffs „Beständigkeitkeit“ bei Barth: Die Bestätigung der Unveränderlichkeit durch die Offenbarung in Jesus Christus
  • 3.1.8 Dorners Konzept „Freiheit“ und „Notwendigkeit“ und Barths Konzept von „Beschluß“ und „Entschluß“
  • 3.2 Fazit: Barths Rezeption der Konzeption „Unveränderlichkeit“ in seiner Gotteslehre
  • IV. Barths Rezeption der Theologie Dorners in seiner Schöpfungslehre (KD III)
  • 1. Vorbemerkung
  • 2. Barths Kritik an Dorners Theologie in seiner Schöpfungslehre
  • 2.1 Überblick zu Barths Beschäftigung mit Dorners Schöpfungslehre
  • 2.2 Barths Kritik an Dorners Theologie im Abschnitt „Schöpfung und Bund“ (§ 41 KD III/1)
  • 2.2.1 Die Kritik an Dorners Konzept „Liebesgemeinschaft“ in „Schöpfung, Geschichte, Schöpfungsgeschichte“ (§ 41. 1)
  • 2.2.1.1 Barths schöpfungstheologische Stellungnahme
  • 2.2.1.2 Die Kritik an der „jüdische[n] Verkehrung“
  • 2.2.1.3 Barths Stellungnahme zur Schöpfung und ihrer Interpretation bis hin zum Altprotestantismus
  • 2.2.1.4 Fazit: Dorners Konzept der „Liebesgemeinschaft“ und Barths Kritik
  • 2.2.2 Barths Kritik an der Rede von „Lebensgemeinschaft“ in Dorners Darstellung der Gottebenbildlichkeit (§ 41. 2)
  • 2.2.2.1 Barths Bestimmung der Gottebenbildlichkeit des Menschen
  • 2.2.2.2 Barths Kritik an Dorners Verständnis der Gottebenbildlichkeit
  • 2.2.2.3 Fazit: Barths Konzeption der Gottebenbildlichkeit und seine diesbezügliche Kritik an Dorner
  • 2.3 Barths Kritik an Dorners Anthropologie im Abschnitt „Der Mensch im Kosmos“ (§ 43. 2)
  • 2.3.1 Barths Bestimmung des Menschen als Geschöpf „unter dem Himmel auf der Erde“
  • 2.3.2 Barths Kritik an der „Spekulation“ über den Menschen als Mikrokosmos
  • 2.3.3 Fazit: Barth über die Stellung des Menschen im Kosmos und seine Kritik an Dorner
  • 2.4 Barths Kritik an Dorners Angelologie im Abschnitt „Grenzen der Angelologie“ (§ 51. 1)
  • 2.4.1 Grenzen der Angelologie und Barths Stellungnahme zum methodischen Grund der Angelologie
  • 2.4.2 Barths Verständnis des Satzes „credo ut intelligam“ und seine Kritik an Dorners Angelologie
  • 2.4.3 Fazit: Barths Methode in der Angelologie und seine Kritik an Dorner
  • 3. Fazit: Barths Kritik an Dorners Schöpfungslehre und die Frage nach seiner methodischen Grundlage
  • Zusammenfassung und Auswertung
  • 1. Barths Aufmerksamkeit auf die Objektivität Gottes in Dorners Theologie
  • 2. Dorners Theologie als Anstoß zur Entfaltung der Rede von der Souveränität Gottes in Barths Theologie
  • 3. Die Relevanz der Theologie Dorners für Barth: Der Entwurf der christozentrischen Theologie Dorners und seine Auswirkung auf Barths Dogmatik
  • 4. Schlusswort
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis

Einleitung

1. Allgemeine Problemstellung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich eingehend mit Karl Barths Rezeption der Theologie Isaak August Dorners (1809–1884), der als Vermittlungstheologe in Schleiermachers Tradition steht1.

Die Betrachtung dieser Rezeptionsgeschichte bietet uns vor allem einen wichtigen Hinweis darauf, wie Barth sich seit seiner Münsteraner Zeit zur neuzeitlichen Theologie verhält. In der Forschung ist man sich darüber einig, dass Barth seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs von der liberalen Theologie Abschied nahm und in seinem zweiten Römerbrief (1922) einen konsequenten Gegensatz zur liberalen, anthropozentrischen Theologie entwarf2. Damit zeigt Barth auch eine klare Stellungnahme zur neuzeitlichen Theologie, die in ihrer Tendenz in Schleiermachers Tradition steht3. ← 17 | 18 →

Dennoch beschäftigte sich Barth weiterhin in seiner Göttinger Zeit (1921–25) mit verschiedenen Fragestellungen – der historischen, systematischen bzw. methodischen – mit der Theologie des 19. Jahrhunderts. Er ging dazu über, theologische Systeme und Ansatzpunkte zu vergleichen, Erscheinungen in der Theologie auf ihren Ursprung hin zu prüfen und verschiedene Erscheinungsweisen der neuzeitlichen Theologie zu bewerten4. Im Zuge dessen erkennt er bei einigen neuzeitlichen Theologen auch Anknüpfungspunkte verschiedenster Art für seine eigene Theologie. Seine Auseinandersetzung, sowohl die positive als auch die kritisch distanzierte, mit Dorner in der Münsteraner Zeit ist vor diesem Hintergrund seiner Beschäftigung mit der neuzeitlichen Theologie zu verstehen. Im Laufe dessen kommt es immer wieder vor, dass Barth neben würdigenden und hervorhebenden auch kritische Bemerkungen macht. Auf diese Weise lässt sich noch heute sehr gut die produktive Auseinandersetzung Barths insbesondere mit Dorner und seiner Lehre konstatieren.

Was Barth insbesondere an Dorners Theologie wahrnimmt, ist die Tatsache, dass sie sich im theologischen Umfeld des 19. Jahrhunderts auf die Souveränität Gottes als den Ansatzpunkt seiner Theologie richtet. Die Aufmerksamkeit auf Dorner führt zur Rezeption von dessen dogmatischem Konzept, auf das sich Barth in der Kirchlichen Dogmatik und teilweise auch in der Münsteraner Dogmatik bezieht. Dennoch sieht Barth Dorners Theologie andererseits problematisch, insofern er in ihr die Problematik der anthropozentrischen, spekulativen Theologie des 19. Jahrhunderts wiedererkennt5. Dorners Theologie wird von ← 18 | 19 → Barth in diesem Sinne als ein Spiegel der zeitgebundenen und zeitgenössischen neuprotestantischen Theologie bewertet.

Es ist daher ganz offensichtlich, dass die beiden Theologien zwar Gemeinsamkeiten deutlich erkennen lassen, aber ebenso zeigt sich eine unübersehbare Diskontinuität in den Lehren der beiden6: Barth ist ein dialektischer Theologe, der das Wort Gottes für den wesentlichen Ansatzpunkt seiner Theologie hält. Dorner ist im Kontrast dazu ein Vermittlungstheologe, der zwischen Gott und dem Menschen, Offenbarung und Vernunft zu vermitteln versucht7. Barth versucht, Gott als den objektiven Grund aller Theologie wirklichkeitsgerechter zu erfassen, während Dorner – nach Barths Ausdruck – eine ausgeprägte „Dialektik von [sc. dem menschlichen] Subjekt und [sc. dem göttlichen] Objekt“ vertritt8. Aus Barths Sicht führt Dorners Vorgehensweise allerdings in eine Sackgasse.

Trotz dieser Diskontinuität kann man in ihren Theologien bei näherer Betrachtung eine beachtliche und nachweisbare Kontinuität ausmachen. Ohne ← 19 | 20 → gewisse Anknüpfungspunkte und die daraus resultierende Kontinuität wäre Barths Rezeption der Theologie Dorners nicht möglich gewesen.

Es lässt sich also in Barths Verhältnis zu Dorner weder von einer bloßen Kontinuität noch einer bloßen Diskontinuität zwischen den Theologien der beiden sowie der neuzeitlichen Theologie reden. Vielmehr weist Barths Rezeption der Theologie Dorners viele Brüche auf und ist sehr voraussetzungsreich. Diese gilt es im Einzelnen aufzudecken und in den Kontext der Dogmatik Barths zu stellen. Es ist also die Aufgabe dieser Arbeit, diese doppelte Stoßrichtung der Barthschen Auseinandersetzung mit Dorner jeweils für jedes einzelne Theoriestück in jeder einzelnen Schrift von Barth, in der er sich mit Dorner beschäftigt, zu erörtern.

Ein zweiter Gesichtspunkt der vorliegenden Untersuchung besteht im grundlegenden Interesse an der christozentrischen Theologie von beiden Denkern. Beide haben gemeinsam, dass sie anhand ihrer christozentrischen Theologie Antworten auf neue Herausforderungen zu formulieren suchten.

Abgesehen von Barths Bewertung der Theologie Dorners kann man zunächst festhalten, dass Dorner anhand seiner christozentrischen Theologie auf zeitgenössische theologische sowie kirchlich-praktische Probleme einging. Es ist einerseits klar, dass Dorner – erneut in Barths Ausdruck – seine Theologie als ein „Kind“ seiner Zeit entfaltet, wofür ihn Barth an zentralen Punkten kritisiert9. Er ist aber andererseits ein christozentrischer Theologe in der neuprotestantischen Ära, also im Zeitraum des 19. Jhs, der die objektive Offenbarung in Christus für den wesentlichen Grund seiner Theologie hält. Ausgehend von der Offenbarungstheologie versucht er nicht nur die christozentrische Theologie wissenschaftlich zu begründen, sondern auch im kirchlich-praktischen Feld Konsequenzen zu ziehen. Diese Leistung Dorners kann man nicht nur in seinen Werken wahrnehmen, die in großer Anzahl von ihm verfasst wurden, sondern auch in seiner Tätigkeit als Kirchenleiter und als Vertreter der ökumenischen Bewegung10. In allen diesen Tätigkeiten spielt seine christozentrische Theologie ← 20 | 21 → die entscheidende Rolle11. Dadurch bilden Theorie und Praxis bei ihm noch eine Einheit.

Eine ähnliche Einheit von Wissenschaftlichkeit und ausübender Praxis kann man auch in der Theologie und im Leben Barths erkennen. Auch Barth gilt als ein Vertreter der christozentrischen Offenbarungstheologie in seiner Zeit, und er hinterließ ein riesiges Œuvre mit wegweisenden wissenschaftlichen Ergebnissen. Barth war aber zugleich ein Praktiker, der auch im täglichen Handeln und in seiner Offenbarungstheologie angesichts der Herausforderungen seiner Zeit theologisch fundierte Antworten geben wollte12. ← 21 | 22 →

Ihre Theologien zeigen uns also, wie eine Theologie in ihrer lebendigen Tätigkeit eine adäquate Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit geben kann. Folgende Frage ließe sich vor diesem Hintergrund einer aktiven Auseinandersetzung mit Vorläufern stellen: Unter welchen Bedingungen verdient eine Theologie diese Bezeichnung? Wie kann eine Theologie angesichts der Herausforderung ihrer Zeit Stellung beziehen? Kann eine Theologie mittels des Gesprächs mit den vorangehenden Denkern einen Weg zu einer möglichen Antwort auf die für sie gestellte Frage weisen? Wie kann eine Theologie in ihrer Zeit der die Wahrheit suchende Gemeinde einen Dienst leisten? Dies sind wichtige Fragestellungen bei der Betrachtung auf das Verhältnis zwischen beiden Theologen.

2. Forschungsüberblick und historischer Einleitung: Barths Verhältnis zu Dorner

2.1 Forschungsüberblick

2.1.1 Der Stand der Forschung zu Barths Rezeption I. A. Dorners

Es liegen nur wenige Abhandlungen zu Barths Verhältnis zu Dorner vor13. Die Mehrheit davon beschäftigt sich mit Barths Darstellung/Rezeption Dorners in seiner zweiten Vorlesung zur „Geschichte der protestantischen Theologie seit Schleiermacher“, die er 1929 in Münster hielt, aber erst 1946 veröffentlicht wurde14. Diese Vorlesung weckte Barths Interesse an der Theologie Dorners15. Nachdem Barth Dorner in seinen Münsteraner Vorträgen behandelt hatte, erregten ← 22 | 23 → Barths Bemerkungen die Aufmerksamkeit anderer Theologen16. Bis heute ist es unter Dorner-Forschern üblich, sich zunächst an Barths Darstellung der Theologie Dorners zu orientieren, bevor sie auf Dorners Theologie selbst eingehen17. Außerhalb dieser Beschäftigung mit Barths Rezeption Dorners in dieser Vorlesung finden sich kaum Texte zu Barths Rezeption der Theologie Dorners in seiner Münsteraner Zeit. Unter diesen wenigen Texten ist zunächst auf Pannenbergs „Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland“ (1997) zu verweisen, in der er auf Barths Rezeption der trinitarischen Theologie Dorners in der Münsteraner Dogmatik und der Kirchlichen Dogmatik hinweist18. Neben Pannenberg macht auch Moltmann auf Barths Rezeption der trinitarischen Theologie Dorners aufmerksam19. Trotz fehlender direkter Zitate bei Barth sind die beiden Theologen also davon überzeugt, dass Barth seine eigene Trinitätslehre im Anschluss an Dorner entwickelte20. Zu Barths Rezeption der Theologie Dorners in der Kirchlichen Dogmatik liegen ebenfalls wenige Abhandlungen vor, da, wie Rothermundt erwähnt, allgemein angenommen wird, dass Barth nach dem Jahr 1933 außer in der Gotteslehre kaum eine auffallende ← 23 | 24 → Beschäftigung mit Dorner nachzuweisen ist21. Mit dieser Rezeption der Gotteslehre beschäftigte man sich weniger im deutschsprachigen Raum als vielmehr im englischsprachigen. Seit Robert R. Williams’ Einleitung zur Neuauflage der englischen Übersetzung von Dorners Aufsatz „Die richtige Fassung des dogmatischen Begriffs der Unveränderlichkeit Gottes“ (1856–1858) haben sich nur vereinzelt Theologen mit Barths Rezeption der Theologie des genannten Aufsatzes beschäftigt22.

Aufgrund der eingeschränkten Fragestellung dieser Texte kann gesagt werden, dass die genannten Autoren Barths Verhältnis zu Dorner fragmentarisch bzw. einseitig darstellen23. Nachfolgend möchte ich inhaltlich auf die genannten Abhandlungen zum Verhältnis zwischen Barth und Dorner eingehen.

2.1.2 Die Wahrnehmung der Rezeption Dorners durch Barth in der bisherigen Forschung

Die bisherige Forschung zum Verhältnis zwischen Barth und Dorner lässt sich überblicksartig wie folgt zusammenfassen: ← 24 | 25 →

1. In ihrer Beschäftigung mit den jeweiligen Texten übt die Forschung eine voreilige Kritik an Barth. Als Beispiel ist Rothermundt zu nennen. Seine Dissertation behandelt Barths Bewertung Dorners24. Dabei würdigt er zwar einerseits Barths Rezeption der Theologie Dorners als Beginn der Wiederentdeckung von Dorners theologischem Erbe im 20. Jh., aber er wirft Barth andererseits vor, dass er Dorners Theologie „gründlich mißverstanden“ habe25. Den Grund dafür sieht er darin, dass Barth Dorners Theologie auf der Grundlage einer unzureichenden textlichen Basis untersucht und dargestellt habe.

Seine Kritik an Barths Verhältnis zu Dorner ist einerseits zutreffend, weil sich Barth tatsächlich, wie sich in seiner Vorlesung zeigt, auf eine kleine Zahl von Texten Dorners in seiner Darstellung stützt26. Da Barth zudem bei der Behandlung dieser Materialien in seiner Vorlesung keinen umfassenden und systematischen Zugang zu Dorners Theologie aufzeigt, trifft das Urteil zu, dass Barth Dorners Theologie nicht ausreichend wahrgenommen habe, zu.

Neben Rothermundts Kritik an Barth bedarf es jedoch auch der Korrektur durch eine andere Sichtweise, um Barths Verhältnis zu Dorner angemessen zu bewerten. (A) Zunächst gilt es zu beachten, dass der Anlass zur Beschäftigung mit Dorner bei Barth nicht mit dem Anliegen der späteren Barthforscher – einschließend Rothermundt selbst – übereinstimmt. Für Barth ist der erste Anlass zur Untersuchung von Dorners Theologie vermutlich seine Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Theologie seit Schleiermacher27. Barth fand in Dorners ← 25 | 26 → Theologie also eine Abgrenzungsmöglichkeit gegenüber der neuzeitlichen Theologie, er stieß aber zugleich dabei auf die Grenzen der Theologie Dorners. Dies genügte seinem systematischen Anspruch. Es ist anzunehmen, dass Barth mit diesem Anliegen Dorners Werke in Auswahl betrachtete und nach diesem Maßstab bewertet hat. Daher ist die Bewertung, Barth habe Dorner „gründlich mißverstanden“, voreilig. (B) Es ist darüber hinaus anzumerken, dass Barth tatsächlich eine umfassende Untersuchung der Theologie Dorners durchführte. Die Spuren, die Barth in den Werken, die er besaß, hinterließ, zeigen uns, dass Barth sich mit den Werken Dorners ausgiebig beschäftigt hat. Ein wichtiger Beitrag der vorliegenden Arbeit ist die Auswertung von Barths persönlichen Notizen in seinen Werken Dorners. Anhand von Randnotizen und Unterstreichungen kann man auf eine tiefer gehende Beschäftigung Barths mit Dorner in seiner Münsteraner Zeit sowie auch auf seinen weiterführenden Einfluss auf Barth, auch nachdem er Münster verlassen hatte, schließen.

2. Im Kontext ihres eigenen Anliegens der Bewertung der dogmatischen Themen Barths sind andere Autoren zu voreilig in der Beantwortung der Frage, inwieweit Barth Dorner in zentralen Punkten gefolgt sei. Als Beispiel ist Moltmanns Kritik zu nennen. Moltmann schreibt pauschal, dass die trinitarische Theologie Dorners im Hintergrund der Trinitätslehre Barths stehe28. Deshalb nennt er in seiner Kritik die Trinitätslehre Barths oft zusammen mit Dorners Theologie, die er für den theologischen Hintergrund der seiner Meinung nach „subjektivistischen“ trinitarischen Theologie Barths hält. Das bietet Moltmann den Vorteil, mit einer Kritik gleich zwei Theologen zu treffen. Aber Moltmann verliert dabei oft den Kontext der Auseinandersetzung Barths mit der neuzeitlichen Theologie aus den Augen, nämlich seine Polemik gegen die subjektivistische Theologie der Neuzeit, sowie den Hintergrund, der Barth zur Betonung seiner objektiven Trinitätslehre geführt hat29.

Am Ende dieses kurzen Überblicks ist zu sagen, dass für die Untersuchung des Verhältnisses Barths zu Dorner auf verschiedene Elemente Rücksicht zu ← 26 | 27 → nehmen ist, insbesondere auf den Hintergrund und Zusammenhang der Rezeption sowie auf die Rezeption des jeweils behandelten Themas.

2.2 Historischer Überblick zu Barths Verhältnis zu Dorner

2.2.1 Barths Beschäftigung mit Dorners Texten

Barth beschäftigt sich mit einigen wichtigen Werken Dorners und zentralen Themen dieser Werke in der Münsteraner Zeit. Nach 1933 – das heißt auch in der Kirchlichen Dogmatik – behandelt Barth weitere Werke Dorners, die er in der Münsteraner Zeit noch nicht erwähnte. Deshalb ist zu vermuten, dass Barth nach seiner Münsteraner Zeit auf einige neue Themen der Theologie Dorners einging30. Unter diesen hat Barth einige ohne Verwendung von Zitaten in seinen Werken rezipiert31.

Um einen Einblick in Barths Rezeption der Theologie Dorners zu gewinnen, ist es hilfreich, Barths Beschäftigung mit Dorners Literatur anhand der nachweisbaren Spuren, die er in seinen heute noch erhaltenden und einsehbaren Exemplaren von Dorners Werken hinterlassen hat, zu untersuchen. Das gibt einen Hinweis darauf, wie Barth Dorners Theologie tatsächlich auffasste und worauf er besondere Aufmerksamkeit legte. Aufgrund dieser Betrachtung sind folgende Beobachtungen festzuhalten:

Details

Seiten
269
Erscheinungsjahr
2015
ISBN (PDF)
9783653050233
ISBN (MOBI)
9783653999570
ISBN (ePUB)
9783653999587
ISBN (Hardcover)
9783631622063
DOI
10.3726/978-3-653-05023-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Trinitätslehre Neuprotestantismus Seinsweise spekulative Theologie Unveränderlichkeit Gottes
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 269 S.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Sang Eun Lee (Autor:in)

Sang Eun Lee studierte Theologie in Seoul, Gießen und Heidelberg. Er ist Außerordentlicher Professor an der Seoul Jangsin Universität in Gwangju, Gyeonggi (Südkorea).

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Titel: Karl Barth und Isaak August Dorner