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Theologie der Religionen

Gesammelte Schriften

von Gerhard Gäde (Autor:in)
©2021 Monographie 484 Seiten
Reihe: Berliner Bibliothek, Band 9

Zusammenfassung

Der Band setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich der christliche Glaube zu den nichtchristlichen Religionen und deren Wahrheitsansprüchen verhält. Der Autor versammelt seine religionstheologischen Aufsätze der letzten 25 Jahre und ordnet sie nach systematischen Gesichtspunkten. In unterschiedlichen Argumentationszusammenhängen und unter verschiedenen Aspekten entwickelt er eine Methode der Religionstheologie, die sich vom Mainstream unterscheidet und von der Problematik des Offenbarungsbegriffs ausgeht und wie sie von der christlichen Botschaft beantwortet wird. Hierzu entwickelt der Autor einen „interioristischen“ Zugang zu den Religionen, der auf der Basis des christlichen Glaubens anderen Religionen – anders als im Inklusivismus – unüberbietbare Wahrheit zuerkennen kann, ohne dabei – wie im Pluralismus – die christliche Wahrheit zu relativieren. Damit setzt dieser Band auch neue Akzente im christlich-jüdischen wie im christlich-islamischen Verhältnis.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • I. Interiorismus – ein christlicher Blick auf die Religionen jenseits von Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus
  • Von Ernst Troeltsch zu Hans Küng Religionstheologie zwischen Toleranz und Wahrheitsanspruch und ein kleines Stück Neuland
  • Anselms Denkregel der Unüberbietbarkeit und die pluralistische Religionstheologie
  • Interiorismus Ein Vorschlag für einen Ausweg aus der religionstheologischen Sackgasse
  • „Extra Ecclesiam nulla salus“? Ein patristisches Axiom und der heutige religiöse Pluralismus
  • „Strahl jener Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet“ Für eine interioristische Lesart der Konzilserklärung Nostra aetate
  • „Die katholische Kirche verwirft nichts von dem, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“ (Nostra aetate 2) Auf dem Weg zu einer neuen Einschätzung nichtchristlichen religiösen Kultes
  • II. Methode und Hermeneutik
  • „Einseitig bezogen …“ Zur Methode der Theologie der Religionen
  • „Bevor Abraham wurde, bin ich“ (Joh 8,58) Überlegungen zur Biblischen Theologie im Zeitkontext des Verstummens Gottes
  • Neuer Inklusivismus und Interiorismus Erkenntnistheoretische und methodologische Überlegungen zur Theologie der Religionen
  • Theozentrisch oder christozentrisch? Überlegungen zu einer falschen Alternative in religionstheologischer Absicht
  • Trinität und Theologie der Religionen
  • Der Zumutungscharakter der christlichen Botschaft Seine Bedeutung für eine Theologie der Religionen
  • Λόγος ἄσαρκος und λόγος ἔνσαρκος Zu einer religionstheologisch relevanten Unterscheidung im Werk Jacques Dupuis’
  • „Instanz des Dritten“? Interiorismus und Komparative Theologie
  • III. Christentum – Judentum
  • „Altes“ oder „Erstes“ Testament? Fundamentaltheologische Überlegungen zu Erich Zengers Vorschlag einer christlichen Neubenennung der Schrift Israels
  • Der religionstheologische Interiorismus und das jüdisch-christliche Verhältnis
  • Trinitarischer Bund Systematische Überlegungen zur Bundestheologie der Bibel
  • Judentum – Christentum Eine Antwort an Gunther Fleischer und Werner Höbsch
  • IV. Interioristische Islamtheologie
  • Menschwerdung oder Buchwerdung des Wortes Gottes? Zur Logozentrik von Christentum und Islam
  • Der Koran als Selbstmitteilung Gottes? Theologische Anmerkungen zu Mouhanad Khorchides Theologie der Barmherzigkeit
  • Ist der Koran vom Heiligen Geist inspiriert? Fundamentaltheologische Überlegungen zum Wort-Gottes-Charakter des Koran
  • Mit Muslimen beten? Theologische Aspekte interreligiöser Spiritualität
  • Anhang
  • Nachweis der Erstveröffentlichungen
  • Weitere Veröffentlichungen zum Interiorismus
  • Religionstheologische Aufsätze, die aus Platzgründen nicht in diesen Band aufgenommen wurden
  • Rezensionen und Stellungnahmen zum biblischen und religionstheologischen Interiorismus
  • Personenregister
  • Reihenübersicht

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Vorwort

Dieser Band enthält – außer einem bisher unveröffentlichten Text – die meisten meiner Aufsätze zur Theologie der Religionen, die ich in den vergangenen gut zwei Jahrzehnten zu Papier gebracht und veröffentlicht habe. Ich habe mich zu diesem Sammelband entschlossen, weil die Artikel über einen längeren Zeitraum und weit verstreut in verschiedenen Zeitschriften und Sammelbänden im In- und Ausland erschienen sind. Mit dieser Bündelung verfolge ich die Absicht, diese Aufsätze leichter zugänglich zu machen. Auch hege ich den Wunsch, den religionstheologischen Interiorismus als Alternative zum Mainstream der Theologie der Religionen bekannter werden zu lassen. Denn tatsächlich steckt diese Hauptströmung ja fest in der Sackgasse des Dreierschemas aus Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus, sowie deren Varianten und Kombinationen. Das ist natürlich für alle unbefriedigend. Und schließlich hoffe ich auf eine gerechtere Einschätzung meiner religionstheologischen Position.

Bislang gibt es nämlich noch viel Zurückhaltung gegenüber dem interioristischen Ansatz. In zahlreichen veröffentlichten Stellungnahmen wird er in einer Weise dargestellt, dass ich ihn und die mit ihm verbundene Intention darin kaum wiedererkennen kann. Ich frage mich deshalb, wie das möglich ist. Vielleicht liegt es am Vorverständnis, das dazu führt, den Interiorimus gleich in die herkömmlichen Schubladen von Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus einzuordnen, anstatt zu versuchen, ihn wirklich zu verstehen. Es scheint noch wenig Bereitschaft zu geben, sich auf ein anderes Paradigma einzulassen, das die bisherigen Modellbildungen hinter sich lässt. Auch scheint es nicht selten zu sein, dass Theologen ihren Kolleginnen und Kollegen Auffassungen zuschreiben, die diese gar nicht haben. Und so drängt sich mir der Eindruck auf, dass viele Einwände einfach nur Vorwände sind.

Selbstverständlich haben die drei herkömmlichen Klassifikationsmodelle alle auch ihren Wahrheitskern. Ich nehme diese Wahrheitskerne gerne auf. Doch alle drei vermögen das Verhältnis des christlichen Glaubens zu den anderen Religionen nicht in befriedigender Weise zu bestimmen. Im Grunde ist der interioristische Zugang zu den Religionen einfach nur ein christlicher Blick auf die nichtchristlichen Religionen, ihre Wahrnehmung und Einschätzung aus durchgängig christlicher Perspektive. Pate steht dabei der bereits interioristische neutestamentliche Blick auf die Bibel Israels, mit der die erste christliche Generation völlig vertraut war und die sie dann aber neu verstand als Christuszeugnis. Im interioristischen Verständnis lässt sich auf der Basis des Glaubens an ←9 | 10→Christus – dies ist meine Grundthese – nicht nur der Schrift Israels, sondern auch anderen Religionen unüberbietbare Wahrheit und universale Verkündbarkeit zuerkennen, ohne dabei Abstriche am Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens machen zu müssen.

Inspiriert sind meine Aufsätze von der Fundamentaltheologie meines Lehrers Peter Knauer SJ. Ihm verdanke ich die philosophische und gut begründete Einsicht in die völlige Einseitigkeit des Bezogenseins der Welt auf Gott. Als ich als Student im Wintersemester 1971/72 in Frankfurt-St. Georgen die Vorlesung Professor Knauers zur theologischen Erkenntnislehre hörte, ging mir sofort – obwohl es damals noch nicht Thema war – die religionstheologische Tragweite dieser in der Theologie vielfach verdrängten und weitgehend vergessenen, jedoch schon von Thomas von Aquin gelehrten Einsicht auf; denn mit dieser wird der Offenbarungsbegriff überaus problematisch und damit sind auch die Wahrheitsansprüche der Religionen zunächst äußerst fragwürdig. Doch die christliche Botschaft beantwortet die damit gegebene Widerspruchsproblematik, die in den Religionen steckt, und macht damit auch den Wort-Gottes-Charakter der Bibel Israels definitiv und universal verständlich. Auch hat Knauer schon in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die religionstheologische Relevanz des kanonischen Verhältnisses des Neuen Testaments zur Schrift Israels erkannt und in einem Artikel zur Diskussion gestellt.1 Seine These fand damals jedoch wenig Beachtung. Zum einen lag der Fokus der theologischen Diskurse noch nicht auf dem Feld der Religionstheologie. Andere Religionen schienen nicht nur fremd, sondern auch noch fern zu sein. Zum anderen war das Denken Knauers vielen ungewohnt, und sein innovativer Charakter wurde nur von wenigen wahrgenommen und begrüßt. Von sehr vielen wurde es hingegen missverstanden und nicht selten völlig verdreht und verzerrt wiedergegeben.

Erst ein stärkeres In-Erscheinung-Treten fremder Religionen bei uns im Westen, dann das Phänomen des religiösen Fundamentalismus und religiös motivierten Terrorismus sowie schließlich die Herausforderung durch die pluralistische Religionstheologie weckten die Theologie auf und rückten die religionstheologische Auseinandersetzung in den Vordergrund. Die Veröffentlichungen von Paul F. Knitter und John Hick in deutscher Sprache in den achtziger und ←10 | 11→neunziger Jahren stimulierten die Auseinandersetzung um die Frage, wie aus christlicher Sicht fremde Religionen mit ihren Wahrheitsansprüchen theologisch einzuschätzen sind. Die letzten Jahrzehnte sahen eine außergewöhnliche Flut von Veröffentlichungen zur Theologie der Religionen.

Es war die pluralistische Religionstheologie John Hicks, die auch mein Interesse am Thema weckte und mich zur Auseinandersetzung und schließlich zum Widerspruch reizte. Meine Münchener Habilitationsschrift aus dem Jahre 1998 stellt das Ergebnis dieser Auseinandersetzung dar.2 Im dritten Teil dieser Arbeit habe ich versucht, eine Alternative zu Hicks Theologie zu entwickeln, da diese andere Religionen nur wertschätzen kann, weil sie den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens relativiert und insbesondere die christologischen Aussagen zur Gottessohnschaft Jesu und zu dessen Heilsmittlerschaft in unerträglicher Weise auf eine bloß bildhafte, metaphorische Größe reduziert. In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich an die Gotteslehre Anselms von Canterbury im Proslogion, wonach Gott „quo maius cogitari nequit“ ist. Mit Karl Barth sehe ich in diesem unum argumentum Anselms eine Denkregel der Unüberbietbarkeit, eine Anweisung für das Denken und Sprechen von Gott. Alles Sprechen von Gott spricht nur dann wirklich von Gott, wenn das Gesagte (wohlgemerkt: nicht unser Sprechen) unüberbietbar und keiner Steigerung mehr fähig ist. Das verträgt sich nicht mit dem Gedanken einer Relativierung der christologischen Wahrheit.

Ich entsann mich dann auch der elementaren Theologie Knauers und dessen frühen religionstheologischen Artikels. Es reizte mich, das dort Gesagte bibeltheologisch zu vertiefen, auf seine Stimmigkeit zu prüfen und weiter zu entwickeln. Der dritte Teil meiner Habilitationsschrift enthält das, was ich Jahre später während meiner Zeit in Rom „Interiorismus“ genannt habe. Einen Namen hatte ich dafür zunächst noch nicht gehabt. Wenn ich mich recht erinnere, war es ein Student in einem Seminar an der Gregoriana in Rom, der anregte: „Warum nennen Sie das nicht ‚Interiorismus’?“ Ich musste an das Dictum Augustins denken: „interior intimo meo“. Ja, das passte; der Begriff gibt wieder, was ich meinte. Die göttliche Christuswirklichkeit ist den Religionen innerlicher als ihr Innerstes. Der christliche Blick erkennt sie, auch wenn sie dort „anders“ ist.

Die Aufsätze des ersten Teils dieses Bandes möchten diesen christlichen Blick auf die Religionen in verschiedenen Kontexten und theologischen Diskurszusammenhängen verständlich machen.

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Nach der Veröffentlichung meiner Habilitationsschrift erhielt ich im Jahre 2000 eine Einladung von der Facoltà Teologica di Sicilia in Palermo, an einem internationalen Kongress zur Theologie der Religionen teilzunehmen und den Interiorismus in einem Vortrag zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Das Ergebnis war, dass mir eine Gastprofessur in Palermo angetragen wurde und ich von 2002 bis 2008 jedes Jahr die zweite Hälfte des Sommersemesters an der dortigen Fakultät Kurse auch zur Religionstheologie für das Aufbaustudium gab. Anfragen und Missverständnisse vonseiten von Kollegen und Studenten und Studentinnen zeigten mir die Notwendigkeit auf, den Interiorismus weiter zu entfalten und methodologisch abzusichern. Dem sind die Aufsätze im zweiten Teil gewidmet. Vor allem galt es, dem Einwand etwas zu entgegnen, der Interiorismus sei nur eine Spielart des Inklusivismus; andere halten ihn für einen epistemischen Exklusivismus (was auch immer das sein soll). Ich kenne allerdings keine Inklusivisten, die einer anderen Religion mehr als eine defizitäre Wahrheit zuerkennen. Und jetzt warte ich darauf, dass jemand meine Position auch als verkappten Pluralismus einschätzt. Auch das wäre aus Sicht und Vorverständnis des Mainstreams nämlich durchaus möglich. Aber anscheinend ist bisher noch niemand darauf gekommen. Ein bisher unveröffentlichter Aufsatz in diesem Teil setzt sich sodann aus interioristischer Sicht mit einigen methodischen Aspekten der deutschsprachigen Komparativen Theologie auseinander.

Weil der Interiorismus im hermeneutischen Verhältnis der christlichen Botschaft zur Bibel Israels das Modell sieht, um auch das Verhältnis zu anderen Religionen zu bestimmen, wird auch das christlich-jüdische Verhältnis berührt. Dies ist ein besonders sensibles Thema. Ich traf vor allem auf den Einwand, die theologische Besonderheit des christlich-jüdischen Verhältnisses lasse es nicht zu, dieses in einen allgemeinen religiösen Horizont einzubetten und so seiner Einzigartigkeit zu berauben. Der Interiorismus sei deshalb „israeltheologisch problematisch“.3 Zudem musste ich deutlicher machen, dass der Interiorismus keineswegs die Wahrheit der Schrift Israels relativiert, sondern Christus als die unüberbietbare Wahrheit darin erblickt. Und es galt schließlich auch, problematische Begriffe der Bibel Israels wie „Wort Gottes“, „Volk Gottes“ und „Bund“ ←12 | 13→mit Gott verständlich zu machen. Der dritte Teil dieses Bandes möchte auf diese Fragen eingehen.

Bei einer späteren religionstheologischen Tagung sprach mich der italienische Islamwissenschaftler Giuseppe Rizzardi (Mailand) an. Er habe die italienische Version meines Buches Christus in den Religionen mit Interesse gelesen, und er regte mich nun dazu an, den Interiorismus einmal konkret auf das Verhältnis zum Islam anzuwenden. Dies könnte so etwas wie eine Nagelprobe für den Interiorismus sein. Die Fakultät in Palermo bat mich dann auch in diesem Sinne um eine Monographie zur Islamtheologie als Beitrag zu einem von der Italienischen Bischofskonferenz finanzierten Forschungsprojekt. Diese Anstöße waren für mich eine besondere Herausforderung, zumal ich kein Islamologe bin und auch zunächst unsicher war. Gerne habe ich mich dann jedoch in die Literatur zum Islam sowie in den Koran eingearbeitet und versucht, diese Religion kennenzulernen. Am Istituto Tevere in Rom, einem Zentrum für christlich-islamischen Dialog und mit Prof. Adnane Mokrani, einem muslimischen Kollegen, der an der Gregoriana in Rom islamische Theologie lehrt, hatte ich zudem Gelegenheit auch zur Begegnung und zum Gespräch mit Muslimen. Das Ergebnis meiner Bemühungen um eine interioristische Islamtheologie war dann mein Islambuch, das zuerst (2008) in Italien unter dem Titel „Adorano con noi il Dio unico“ (LG 16) im Verlag Borla in Rom erschien. Die deutsche Übersetzung erschien ein Jahr später als Islam in christlicher Perspektive im Paderborner Verlag Schöningh. Bei der Vorstellung des Buches im Istituto Tevere konnte ich erleben, dass Muslime nachdenklich wurden in Bezug auf den Offenbarungsbegriff und wie sehr sie andererseits ihre Religion durch den Interiorismus gewürdigt sahen. Professor Mokrani bedankte sich nach der Lektüre des Buches und schrieb, dieses habe ihn intellektuell wie spirituell sehr bereichert.

In den folgenden Jahren reizte es mich, mich weiterhin mit der Islamtheologie zu beschäftigen und mich mit den innovativen Beiträgen Mouhanad Khorchides (Münster) dazu auseinanderzusetzen und auch ein positives christliches Verständnis des Wort-Gottes-Charakters des Koran zu entwickeln. Dem sind die Aufsätze im letzten Teil dieses Bandes gewidmet.

Leider war es nicht zu vermeiden, dass sich manches in den Aufsätzen wiederholt. Das betrifft vor allem die schon erwähnte philosophische Einsicht in die Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott und die damit gegebene Problematik des Offenbarungsbegriffs. Diese Einsicht ist nämlich der Dreh- und Angelpunkt meiner Argumentation und das heuristische Kriterium, das ich an jeden Offenbarungsanspruch anlege. In immer neuen Argumentationszusammenhängen versuche ich die religionstheologische Relevanz dieses Kriteriums aufzuzeigen. An ihm zeigt sich, ob ein solcher Anspruch sich selbst ←13 | 14→vor der Vernunft verständlich macht. Leider werden meine Ausführungen dazu in erstaunlicher Weise in den meisten Rezensionen und Stellungnahmen überlesen und praktisch gar nicht zur Kenntnis genommen. Dann aber versteht man natürlich nicht, warum es sich überaus nahelegt, interioristisch zu denken. Auch wenn in den meisten Artikeln des vorliegenden Bandes wiederholt von dieser Einsicht die Rede ist, so geschieht das immer neu in unterschiedlichen Kontexten und unter verschiedenen Aspekten.

Ich danke meinem Freund Prof. Dr. Thomas Brose, Berlin, für die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe Berliner Bibliothek, sowie Herrn Dr. Hermann Ühlein vom Peter Lang-Verlag und dessen Mitarbeitern für die verlagsseitige Betreuung. Mein Dank geht auch an die Verlage der Sammelbände und Zeitschriften, die mir die Rechte an meinen Artikeln für diese Publikation zurückgegeben haben.

Osnabrück, im September 2021 Gerhard Gäde

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Von Ernst Troeltsch zu Hans Küng

Religionstheologie zwischen Toleranz und Wahrheitsanspruch und ein kleines Stück Neuland*

Der Weg der Theologie angesichts des religiösen Pluralismus

Die derzeitige religionstheologische Situation, die bestimmt ist von religiöser Pluralität und von der Notwendigkeit eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Religionen im „global village“, erfordert ohne Zweifel ein neues theologisches Denkmodell. Für das Christentum und seine Theologie bedeutet das den Auftrag, ein Selbstverständnis zu finden, das gegenüber den Wahrheitsansprüchen anderer Religionen geeignet ist, sowohl den eigenen aufrecht zu erhalten als auch die Wahrheit der anderen angemessen zu würdigen und sich als dialogfähig zu erweisen. Das Verhältnis der christlichen Botschaft zu den anderen Religionen muss neu definiert werden, ohne dabei den eigenen Wahrheitsanspruch zu beschädigen und ohne zugleich Dialog und Respekt zu gefährden.

Dies ist nicht erst deshalb der Theologie aufgegeben, weil die pluralistische Theologie der Religionen, wie sie von ihren führenden Köpfen John Hick1 und Paul F. Knitter2 entworfen wird und die sich einer wachsenden Zahl von Anhängern und Sympathisanten erfreut3, ernsthaft die Substanz des christlichen Glaubens aushöhlt. Diese Aufgabe ergibt sich bereits deshalb, weil die traditionellen ←17 | 18→Modelle der Bestimmung unseres Verhältnisses zu den anderen Religionen, und zwar sowohl der religionstheologische Exklusivismus wie der Inklusivismus, nicht mehr in der Lage sind, dieses Verhältnis in zufriedenstellender Weise zu bestimmen. Nicht nur der Exklusivismus, auch der Inklusivismus mit seinem bleibenden Superioritätsanspruch behindert den interreligiösen Dialog. Beide stellen Versuche dar, den christlichen Wahrheitsanspruch auf Kosten von Dialogfähigkeit und Toleranz zu sichern.

Mehr als anderswo hat sich die deutschsprachige Theologie indes mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Auschwitz steht für die unermessliche Schuldgeschichte, die auf unserem Volk lastet. Somit trifft die Herausforderung durch die pluralistische Religionstheologie unsere Theologie in einer geschichtlichen Phase, in der wir vordringlich damit beschäftigt sind, unser Verhältnis zum jüdischen Volk und dessen Religion neu zu bestimmen.4 An dieser Stelle steht unsere Theologie vor einer echten Schwierigkeit. Wie nämlich kann man den anderen Religionen Recht widerfahren lassen ohne das besondere und einzigartige Verhältnis, das wir als Christen zum Judentum haben, einzuebnen und in ein allgemeines Verhältnis zu den Weltreligionen zu integrieren? Nicht wenige Theologen sind sich dieses Problems bewusst.5 Vermutlich ist dies ausgesprochen oder unausgesprochen der Horizont, in dem die deutschsprachige Theologie die Debatte mit der pluralistischen Religionstheologie angloamerikanischer Herkunft führt.

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Der Titel nun dieses Beitrags – Von Ernst Troeltsch zu Hans Küng – markiert zwei bedeutsame Stationen der deutschsprachigen Religionstheologie, nämlich am Anfang und am Ende des 20. Jahrhunderts. Zwischen diesen beiden Namen geht die Theologiegeschichte einen wechselvollen Weg.6 Exklusivismus und Inklusivismus wechseln einander ab.

Es war in Wahrheit nicht das Denken Troeltschs, das den Weg der Religionstheologie durch das letzte Jahrhundert beherrscht hat. Troeltschs liberale Theologie ist bestimmt von einem starken Bewusstsein für die Geschichte sowie für die Relativität und Prozessualität aller geschichtlichen Manifestationen.7 Sie ist jedoch zunächst nicht in Deutschland weiterentwickelt worden, sondern gewissermaßen nach Übersee ausgewandert – vielleicht mit Paul Tillich? – und hat dort im Bereich der angloamerikanischen Theologie neue Freunde gefunden. Nicht von ungefähr beruft sich die pluralistische Religionstheologie Hickscher und Knitterscher Prägung gerne auf das Denken Troeltschs und sieht in ihm einen ihrer Vordenker.8

Der deutsche Weg der Religionstheologie wurde im 20. Jahrhundert vor allem von zwei anderen Namen beherrscht, die eine enorme Wirkung auf die deutschsprachige Theologie und darüber hinaus ausgeübt haben und noch ausüben: Karl Barth und Karl Rahner. Der schweizerische Protestant und der deutsche Jesuit stehen für die beiden Modelle, die lange Zeit dominierend waren, um das Verhältnis des christlichen Glaubens zu den nichtchristlichen Religionen zu bestimmen und zu verstehen. Barth betrachtet die Religionen, alle Religionen einschließlich des Christentums, als sündigen Ausdruck kollektiver menschlicher Selbstrechtfertigung. Gegen die Religion stellt er die biblische Offenbarung als einzig gültige Rechtfertigung des Sünders.9 Rahner hingegen wendet seine Lehre vom „anonymen Christentum“ auf das Verhältnis zu den nichtchristlichen ←19 | 20→Religionen an und gewinnt damit eine weitaus positivere Einstellung zu den Religionen.10

Auch wenn das Misstrauen Barths gegen die Religionen und dessen daraus folgende negative Einstellung ihnen gegenüber sich in der Nachfolgetheologie Barths nicht zu einem starken Mainstream fortentwickelt hat, bleibt der Gedanke Barths dennoch eine Herausforderung. Für viele ist er wie ein Leuchtturm, den man weiträumig umfahren muss. Das Barthsche Denken hat also nicht selten eine negative Funktion für die eigene theologische Standortgewinnung innerhalb der Religionstheologie.11

Im Zusammenhang mit Barth ist auch der Versuch Dietrich Bonhoeffers nicht zu vergessen. Auf seine Weise würdigt dieser das Denken Barths und radikalisiert es.12 Bonhoeffer stellt nicht nur die Religion in Frage, sondern auch die menschliche Religiosität, indem er sie als geschichtlich-kontingentes Phänomen qualifiziert und nicht mehr als wesentlich anthropologisches Datum. Bonhoeffer erwartet für die Zukunft ein „nicht-religiöses Christentum“ und will dem christlichen Glauben eine „nicht-religiöse Interpretation“ geben. Was geschieht, wenn das Christentum sein religiöses Gewand verliert? Wie ist ein christlicher Glaube ohne Religion zu denken? Wie kann jemand zum christlichen Glauben finden, ohne deshalb religiös werden zu müssen? Bonhoeffer war es nicht vergönnt, sein Denken zur Reife zu führen. Es wartet darauf, wiederaufgenommen zu werden gerade auch im Kontext der modernen Religionskritik.13

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Auch wenn die Postmoderne das Christentum nicht würdigt, ist sie doch von einer relativ positiven Einstellung gegenüber den Religionen als menschlichen Phänomenen gekennzeichnet. Sie unterscheidet sich jedenfalls grundsätzlich von der negativen und misstrauischen Haltung Barths gegenüber der Religion als solcher.

Rahner hat im Unterschied zu Barth mit seiner Lehre vom „anonymen Christentum“ mehr Erfolg gehabt und mehr Anhänger gefunden, auch wenn er zuweilen heftige Kritik auszuhalten hatte. Mit seiner Theorie hat er versucht, der inklusivistischen Position ein tragfähiges Fundament zu geben. Damit wollte er den theologischen Exklusivismus überwinden, der die Anhänger anderer Religionen nicht nur von der Wahrheit, sondern auch vom Heil ausschließt. Rahner hat beträchtlichen Einfluss auch auf die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils in dessen Dokument Nostra aetate über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen ausgeübt.

Mittlerweile aber bröckelt die Akzeptanz gegenüber dem Inklusivismus. Er wird von nicht wenigen als unzureichend betrachtet, um das Verhältnis zu den anderen Religionen zu bestimmen. Wenn man sich von Barth abgrenzt und das Christentum als Religion unter anderen einschätzt, entsteht unausweichlich das Problem, wie man das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen theologisch bestimmen soll. Auf der einen Seite steht der positive Wert der Toleranz, auf der anderen die geschichtliche Erfahrung mit religiösem Imperialismus und politischem Totalitarismus. Beides ist Veranlassung genug, um auch nur jeden Schein einer arroganten Superiorität des Christentums gegenüber anderen Religionen zu vermeiden. Und auch der Inklusivismus, der anderen Religionen nur eine partielle Teilhabe an der Wahrheit zugesteht, erweist sich als religionstheologische Position, die sich einen Superioritätsanspruch über die anderen anmaßt.

Wie eingangs erwähnt, wurde eine Alternative zu den beiden klassischen Positionen, zu Exklusivismus und Inklusivismus, nicht in der deutschsprachigen Theologie entwickelt, aber – auch unter Berufung auf Troeltsch – im angloamerikanischen Bereich. Die pluralistische Religionstheologie, die sich als solche Alternative präsentiert, hat jedoch bei uns im Bereich der Universitätstheologie nur ein verhaltenes Echo gefunden. Die deutschsprachige Theologie reagiert ←21 | 22→eher zurückhaltend auf diese scheinbare Versöhnung von Toleranz und Wahrheitsanspruch. Im wesentlichen gibt es nur zwei bekannte theologische Vertreter der Theologie pluralistischen Typs: Reinhold Bernhardt14 und Perry Schmidt-Leukel.15

Letzterer beschäftigt sich vor allem mit den epistemologischen Problemen, die die pluralistische Hypothese aufwirft. Schmidt-Leukel hält diese Hypothese für die stärkste unter allen Modellen christlicher Verhältnisbestimmung zu den anderen Religionen und folgt der Theologie Hicks mit großer Überzeugung. Er kann geradezu als Sprachrohr des britischen Theologen gelten, das dessen Denken im deutschsprachigen Kontext zu vermitteln sucht. Seine zahlreichen Veröffentlichungen versuchen zu demonstrieren, dass sich die Theorie Hicks und der christliche Glaube miteinander vereinbaren.

Details

Seiten
484
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631857069
ISBN (ePUB)
9783631857076
ISBN (Hardcover)
9783631856994
DOI
10.3726/b18521
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (November)
Schlagworte
Interreligiöser Dialog Judentum Islam Biblische Theologie Religionen Interiorismus Komparative Theologie Jacques Dupuis Offenbarungsbegriff Trinität
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 484 S.

Biographische Angaben

Gerhard Gäde (Autor:in)

Gerhard Gäde studierte Katholische Theologie und Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt a. M sowie an der Universität Innsbruck. Er promovierte 1987 mit einer Arbeit zur Erlösungslehre Anselms von Canterbury. Seine Habilitation erfolgte 1997 an der Ludwig-Maximilians-Universität München für das Fach Dogmatik mit einer Arbeit zur Kritik der Pluralistischen Religionstheologie. Er war viele Jahre als Hochschullehrer in Rom und Palermo tätig und ist seit 2009 apl. Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU München.

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Titel: Theologie der Religionen