Slawische Sprachen unterrichten
Sprachübergreifend, grenzüberschreitend, interkulturell
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Slawische Sprachen unterrichten: Einführung in den Sammelband (Anastasija Kostiučenko, Agnieszka Zawadzka & Tamara Münzer)
- I Interkulturelle Kompetenz
- Interkulturelle Kompetenz im Unterricht slawischer Sprachen: Was lernen? Wie lehren? Eine Anregung für mögliche Lehr-/Lernszenarien im Russischunterricht (Caroline Bader, Anna Dreher & Wolfgang Stadler)
- Zwischen Wahrnehmen und Hinnehmen? Die Macht von Stereotypen und die Möglichkeiten eines didaktischen Umgangs damit – ein Überblick am Beispiel des Polnischen und Russischen in Deutschland (Anastasija Kostiučenko)
- Interkulturelle Kompetenz im Polnischunterricht. Bestehende Hindernisse und mögliche Auswege (Agnieszka Putzier)
- II Medieneinsatz beim Fremdsprachenlehren und -lernen
- Mediengestütztes interkulturelles Lernen im Russischunterricht (Sonja Bacher)
- Untertitel als eine aussichtsreiche Ressource für den Russischunterricht (Vira Makovska)
- III Herkunftssprecher*innen im Fokus: Strategiennutzung & Sprachtransfer
- Moderner Polnischunterricht für Kinder mithilfe der Sprachlernsoftware KIKUS digital (Justyna Hryniewicz-Piechowska)
- Herkunftssprachen als Ressource im Tertiärspracherwerb? Eine Pilotstudie zum L3-Erwerb des Russischen (Bernhard Brehmer)
- „Wir understand svenska i srpski!“ – Spontane Interkomprehension bei Herkunftssprecher*innen des Russischen in Deutschland (Vladimir Arifulin & Bernhard Brehmer)
- Strategien von Herkunftssprecher*innen bei Lösung lexikalischer Probleme am Beispiel der deutsch-polnischen Sprachmittlung (Dominika Steinbach)
- Erschließungspotentiale im Bereich der lexikalischen Wortbildung – eine empirische Studie zu Polnisch als Fremdsprache (Katrin Bente Karl)
- IV Binnendifferenzierung im Fremdsprachenunterricht
- Texte zum Sprachenlernen auswählen (Anka Bergmann, Maria Dorbert, Viktoria Pečnikova & Alina Sherstyuk)
- Differenzieren, aber wie und wann? Ein Unterrichtskonzept als Anregung für die Praxis (Magdalena Wiażewicz & Ewa Krauß)
- Autor*innenverzeichnis
- Reihenübersicht
Anastasija Kostiučenko, Agnieszka Zawadzka & Tamara Münzer
Slawische Sprachen unterrichten: Einführung in den Sammelband
Die slawischen Sprachen sind ein fester Bestandteil der bunten Sprachenlandschaft Europas. Auch in Deutschland gehören sie unverkennbar zum Alltag, insbesondere in Ballungsräumen. Am häufigsten begegnet man hier dem Russischen und Polnischen. Aber auch Sprecher*innen anderer west- und ostslawischer sowie von südslawischen Sprachen sind nicht selten anzutreffen; so z. B. Sprecher*innen des Tschechischen, Slowakischen, Ukrainischen, Weißrussischen, Bulgarischen oder Bosnischen / Kroatischen / Serbischen. Das verwundert kaum, denn zum einen ist Deutschland ein attraktives Einwanderungsland und zum anderen bestehen durch die Nähe zu den Nachbarländern Polen und Tschechien zahlreiche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Kontakte dorthin. In Teilen Sachsens und Brandenburgs wird darüber hinaus Sorbisch gesprochen, das in beiden Bundesländern den Status einer offiziellen Minderheitensprache genießt.
Während in der Öffentlichkeit nahezu alle Sprachen der Welt zu hören sind, werden in der deutschen Bildungspolitik traditionell bestimmte Sprachen ohne Rücksicht auf die komplexe faktische Sprachensituation bevorzugt behandelt. In erster Linie werden an Schulen die Lingua franca Englisch1 und die beliebten Fremdsprachen Französisch und Spanisch (ggf. auch Latein) angeboten, während die Mehrsprachigkeit, die sich in der deutschen Gesellschaft realiter aus den Herkunfts- und Nachbarsprachen sowie den Minderheitensprachen ergibt, zu wenig beachtet und als intellektuelles und wirtschaftliches Potenzial übersehen wird. Das betrifft insbesondere die slawischen Sprachen, die in Deutschland seltener unterrichtet und gelernt werden, obwohl sie im Alltag, ←9 | 10→wie eingangs skizziert, häufig in authentischer Kommunikation auftreten.2 Ihre Vernachlässigung verwundert, weil sie nicht im Einklang mit der „paneuropäischen Dreisprachigkeit“ (Schröder 2003: 269) steht,3 die seitens der Europäischen Union und ihrer Politik individueller Mehrsprachigkeit und lebenslangen Lernens gefördert wird. Und selbst wenn slawische Sprachen in bildungspolitischen Debatten auftauchen, so führt dies nicht automatisch zum gesteigerten Interesse an ihnen oder zu mehr Unterrichtsangeboten. So ist beispielsweise das Institut für Slawistik der Universität Greifswald eine der wenigen Einrichtungen in Deutschland, die ein Studium von Russisch und Polnisch auf Lehramt anbieten. Während Russisch an einigen weiteren Standorten auf Lehramt studiert werden kann, bieten deutschlandweit nur drei Universitäten eine Ausbildung zur Polnischlehrkraft an: Greifswald, Leipzig und Potsdam.4
Auch in der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung liegt der Fokus auf dem Englischen, den romanischen Sprachen und dem Fach DaF/DaZ, während die slawischen Sprachen unterrepräsentiert sind. So stellen Bergmann, Caspers & Stadler (2018: 7) fest, dass die Didaktik der slawischen Sprachen über wenig Forschungskapazität verfüge.5 Die vergleichsmäßig schwache Repräsentanz der slawischen Sprachen hängt nicht zuletzt mit einer problematischen Stellensituation zusammen, da es in Deutschland nur wenige slawistische Didaktik-Professuren gibt und sich deren Forschung weitgehend aus Drittmittelprojekten speisen muss, sodass eine kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung der Didaktik der slawischen Sprachen nicht gewährleistet ist. Zwar lassen sich einige Erkenntnisse aus den anderen Fachdidaktiken auch auf die Didaktik der slawischen Sprachen übertragen (und umgekehrt) – vor allem, wenn es um sprachenübergreifende Themen wie interkulturelle Kompetenz, Medieneinsatz ←10 | 11→oder Binnendifferenzierung im Fremdsprachenunterricht geht –, allerdings bedarf es auch hier fachspezifischer (einzelsprachlicher) Forschung.6
Diese Publikation ordnet sich in eine Reihe von Veröffentlichungen aus dem deutschsprachigen Raum ein, die sich mit der Fachdidaktik des Russischen, Polnischen und der anderen slawischen Sprachen beschäftigen (siehe Mehlhorn & Heyer 2011, Bergmann 2014, 2016, Bergmann, Caspers & Stadler 2018, Drackert & Karl 2019 und Mehlhorn 2019); speziell für das Polnische siehe die Reihe Polnisch als Fremd- und Zweitspräche, in der die Tagungsbände von Stolarczyk & Merkelbach 2018 oder von Bagłajewska-Miglus & Vogel 2018 erschienen sind, sowie die Fachzeitschrift Polnisch in Deutschland (online). Ein Thema, das in besonderer Weise die slawischen Sprachen betrifft und welches in den letzten Jahren in Deutschland an Bedeutung gewonnen hat, ist die Herkunftssprachendidaktik. Wegweisende Arbeiten in diesem Bereich sind die Monografie von Brehmer & Mehlhorn (2018) und der Sammelband von Mehlhorn & Brehmer (2018). Die Herkunftssprachen Polnisch und Russisch (sowie Türkisch) sind auch Gegenstand eines weiteren Sammelbandes von Stolarczyk & Merkelbach (2020). Mit unserem Band möchten wir einen Beitrag zur bestehenden Diskussion leisten und dem interessierten Publikum Themen präsentieren, die aktuell in der Didaktik der slawischen Sprachen behandelt werden.
Zum Aufbau des Sammelbandes
Der vorliegende Sammelband mit dem Titel Slawische Sprachen unterrichten: sprachübergreifend, grenzüberschreitend, interkulturell vereint zwölf Beiträge zur Vermittlung der slawischen Sprachen und bezieht sich auf den deutschsprachigen Raum. Das Rahmenthema ergab sich aus der Rezeption aktueller Tendenzen in der Fremdsprachendidaktik und aus der Rezeption bildungspolitischer Diskurse rund um die Förderung von individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit in Deutschland.
Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes sind ein Beleg dafür, wie vielfältig sich die Didaktik der slawischen Sprachen in Deutschland darstellt. Dementsprechend ist auch die Zielgruppe der Publikation breitgefächert. Der Sammelband richtet sich somit an alle, die in Schulen, Universitäten, privaten Bildungsinstitutionen oder Kulturvereinen unterrichten und die slawischen Sprachen vermitteln, sei es an Fremdsprachenlernende oder an Herkunftssprecher*innen. Die Beiträge ←11 | 12→beziehen sich zwar hauptsächlich auf das Russische und Polnische, die präsentierten Konzepte sind jedoch auch auf andere (insbesondere slawische) Sprachen übertragbar, die im deutschsprachigen Raum unterrichtet werden.
Die Publikation bedient ein breites Spektrum an unterschiedlichen Themen, die sich auf vier Blöcke verteilen lassen. Im ersten Block wird die Förderung der interkulturellen Kompetenz in den Fokus gerückt. Anschließend werden Beiträge zum Medieneinsatz im Unterricht präsentiert. Im dritten Teil werden die Zielgruppe der Herkunftssprecher*innen, die Strategiennutzung durch Lernende und der Sprachtransfer ins Auge gefasst. Zuletzt wird die Binnendifferenzierung als didaktische Antwort auf die Heterogenität von Lernenden erörtert. Die einzelnen Themenblöcke sowie die dazugehörigen Aufsätze werden jetzt einleitend vorgestellt.
I Interkulturelle Kompetenz
Aus der untrennbaren Verflechtung von Sprache und Kultur ergibt sich bei Fremdsprachendidaktiker*innen die Überzeugung, dass im Sprachunterricht auch die ‚Kultur‘ der Zielländer zu vermitteln sei, wobei es, das sei gleich gesagt, keine fächerübergreifend einheitliche und allgemein akzeptierte Definition von Kultur gibt. Umso verwirrender ist es dann, wenn zusätzliche Begriffe, die „Kultur“ in sich führen wie bspw. „Interkulturalität“ (siehe IKUD: online), in den einschlägigen Diskursen Berücksichtigung finden. Bezogen auf ganze Gesellschaften ist häufig von „Multikulturalität“ die Rede, die eine parallele Existenz von mehreren ‚Kulturen‘ (ihre Vielzahl) zum Ausdruck bringen soll. Die „Plurikulturalität“ meint ebenfalls das Vorhandensein vieler ‚Kulturen‘ in einer Gesellschaft, will aber deren Unterschiedlichkeit (ihre Vielfalt) in den Vordergrund rücken; außerdem, dass die vielen Kulturen aufeinandertreffen, ohne zwangsläufig einander zu durchdringen. Die Kontakte zwischen den beteiligten ‚Kulturen‘ und (in Folge der Globalisierung) eine ggf. zusätzliche Beeinflussung dieser ‚Kulturen‘ von außen, welche zur Vermischung und Verschmelzung von verschiedenen kulturellen Elementen führen, sind dagegen Gegenstand des Begriffs der „Transkulturalität“. Anders als Multi-, Pluri- und Interkulturalität geht Transkulturalität davon aus, dass es keine voneinander abgrenzbaren, homogenen kulturellen Einheiten gibt. Transkulturalität konstatiert eine Entwicklung von ‚Einzelkulturen‘ hin zu einer ‚Globalkultur‘. Dies ist, was „Transkulturalität“ von „Interkulturalität“ unterscheidet, die ebenfalls Kulturkontakte und ihre gegenseitige Beeinflussung voraussetzt. Der in diesem Band diskutierte Begriff der Interkulturalität und folglich der interkulturellen Kompetenz betont den Aspekt der Handlungsfähigkeit in ←12 | 13→Begegnungssituationen zwischen Personen oder Personengruppen, die zwei verschiedenen ‚Kulturen‘ angehören und die ggf. auch auf pluri- und transkulturelle Erfahrungen zurückgreifen. So wird unter „interkultureller Kompetenz“ in der Fachdidaktik die Fähigkeit verstanden, „multikulturelle Situationen zu verstehen sowie kulturelle Ähnlichkeiten und Unterschiede für die sprachliche und strategische Bewältigung dieser Situationen nutzen zu können“ (Mehlhorn 2014: 214). Trotz aller kulturellen Unterschiede kommt es beim wechselseitigen Austausch zu einem (Fremd-)Verstehen, das ein ‚harmonisches‘ Miteinander in einem sog. Dritten Ort (third space) ermöglicht. Damit ist eine ‚Zwischenposition‘ gemeint, die weder eindeutig den beteiligten ‚Kulturen‘ zuzuordnen ist noch eine Kombination aus ihnen darstellt (siehe IKUD: online). Die Beiträge, die im vorliegenden Band diesen Themenblock bedienen, gehen auf ausgewählte Aspekte der interkulturellen Kompetenz ein.
Caroline Bader, Anna Dreher & Wolfgang Stadler beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit der Frage, wie man beim Unterrichten slawischer Sprachen im Allgemeinen und des Russischen im Besonderen interkulturelle Kompetenz vermitteln kann, und dabei geht es ihnen hauptsächlich um die sozio- und pragmalinguistischen Aspekte. Die Autor*innen thematisieren die Rolle nationaler und kultureller Stereotype bzw. Klischees und machen darauf aufmerksam, dass der Umgang mit diesen eine besondere Herausforderung für den Fremdsprachenunterricht darstelle. Anhand von authentischen Videosequenzen und literarischen Erzählungen zeigen Bader, Dreher & Stadler auf, wie rezeptive Fertigkeiten bei Russischlernenden gefördert werden können. Dabei stellen sie ein eigenes didaktisches Konzept vor, das der Arbeit mit den genannten Medienarten zugrunde gelegt werden könnte. Dafür entwickeln sie eine Reihe von Aufgaben zur Förderung rezeptiver Fertigkeiten für den Russischunterricht. Abschließend konstatieren die Autor*innen, dass es diskutabel bleibe, ob interkulturelles Lernen letztendlich messbar und mit traditionellen Bewertungs- und Beurteilungsmethoden erfassbar sei.
Die Macht der Stereotype und Vorurteile sowie der Umgang mit ihnen im Hochschulkontext stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Anastasija Kostiučenko. Die Autorin schildert die aktuelle Lage des Polnischen und Russischen in Deutschland und geht auf die gesellschaftliche Wahrnehmung der beiden slawischen Sprachen und ihrer Sprecher*innen sowie auf die geläufigen Stereotype ihnen gegenüber ein. Dabei nimmt sie an, dass für die allgemeine Wahrnehmung der beiden Ethnien und ihrer Sprachen in Deutschland der aktuelle politische Kontext maßgeblich sei. Anschließend diskutiert Kostiučenko mögliche Strategien, wie man Stereotypen im Hochschulunterricht begegnen ←13 | 14→könnte. Dabei unterscheidet sie fünf Zugänge bzw. Aspekte, die in der Didaktik berücksichtigt werden sollten: Transparenz, Perspektivenwechsel, (Re-)Framing, Kontextualisieren und Humor. Am Beispiel von Internet-Memes veranschaulicht die Autorin, welches Potential ein solches authentisches Material für den Unterricht haben und wie hilfreich der Einsatz von Humor für die Auseinandersetzung mit Stereotypen sein kann.
Eine andere Perspektive auf die interkulturelle Kompetenz nimmt Agnieszka Putzier ein. Sie weist vorab auf die „unklaren Konturen“ des Begriffs „interkulturelle Kompetenz“ (im Vergleich zur „kommunikativen Kompetenz“) und auf den ungleichen Stellenwert der beiden Kompetenzen im fachdidaktischen Diskurs hin. Die Autorin hinterfragt zudem die unreflektierte, traditionelle Verwendung des Begriffs der Kultur in der Unterrichtspraxis, unter dem dort eine homogene und statische Ganzheit verstanden werde. In ihrem Beitrag geht Putzier dann der Frage nach, inwieweit im Polnischunterricht interkulturelle Kompetenz anhand literarischer Texte (weiter-)entwickelt werden könne. Den Fokus legt sie dabei auf drei Komponenten dieser vielschichtigen Kompetenz: auf die affektive, die kognitive und die konative Komponente. Zur Förderung der interkulturellen Kompetenz bzw. zum Erreichen von interkulturellen Lernzielen formuliert die Autorin konkrete Text- und Aufgabenvorschläge für den schulischen Polnischunterricht.
Weitere Möglichkeiten, auf welche Weise sich Fremdsprachenlernende dem Ziel „interkulturelle Kompetenz“ annähern können, präsentiert Sonja Bacher. In ihrem Beitrag befasst sie sich mit den Schlüsselkonzepten des mediengestützten inter- und transkulturellen Lernens im Russischunterricht und gewährt in diesem Zusammenhang einen Einblick in österreichische und deutsche Bildungsstandards. Bacher diskutiert Möglichkeiten der neuen Medien und der Nutzung von Ressourcen wie bspw. Youtube, Google Translate oder Chat für einen zeitgemäßen Unterricht des Russischen. Sie zeigt auch das Potenzial von Videobegegnungen mit Zielsprachensprecher*innen auf und geht folglich der Frage nach, wie man internetbasiert interkulturelle Inhalte vermitteln kann. Die Autorin sieht im mediengestützten interkulturellen Lernen zahlreiche Vorteile, z. B. eine schnelle Verfügbarkeit authentischer Sprachmaterialien oder einen Abbau von Sprechangst bei Lernenden.
II Medieneinsatz beim Fremdsprachenlehren und -lernen
Ein zielorientierter Medieneinsatz im Fremdsprachenunterricht setzt Medienkompetenz voraus, und zwar sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden. Wapenhans (2014: 256) weist in diesem Zusammenhang darauf ←14 | 15→hin, dass Mediennutzung und Mediengestaltung zentrale Dimensionen der Medienkompetenz seien, auch wenn Medienkunde und Medienkritik ebenfalls vermittelt werden sollten. Somit stehen die aktive Arbeit mit und die Nutzung von Medien im Allgemeinen und der neuen Medien im Besonderen im Mittelpunkt aktueller fachdidaktischer Diskussionen rund um das Fremdsprachenlernen. Die zwei Beiträge des vorliegenden Sammelbandes widmen sich ausgewählten Aspekten der Mediennutzung im Unterricht slawischer Sprachen: der Untertitelung von russischsprachigen Kurzfilmen und dem Einsatz einer Sprachlernsoftware für Polnisch. Das Potenzial der neuen Medien und des mediengestützten Lehrens und Lernens ist zudem ein Querschnittsthema in anderen Beiträgen.
Mit einer „aussichtsreichen Ressource“ für den Russischunterricht, den Filmuntertiteln, beschäftigt sich Vira Makovska. Am Beispiel von Zeichentrick- und Kurzfilmen geht sie auf die Frage ein, inwieweit der Einsatz von Untertiteln den Fremdsprachenerwerb unterstützen kann. Basierend auf Erkenntnissen aus der Fachliteratur und auf ihren eigenen Erfahrungen aus Projekten mit Studierenden und Schüler*innen diskutiert die Autorin das didaktische Potenzial der Untertitel. Bei ihren praxisbezogenen Projekten ging es darum, dass die Schüler*innen unter Anleitung von Studierenden für ausgewählte Zeichentrick- oder Kurzfilme deutsche Untertitel erstellen sollten. Die Studierenden des Fachs Lehramt Russisch haben darüber hinaus Kriterien für ‚unterrichtstaugliche‘ Filme erstellt und diese didaktisiert. Die Autorin schlussfolgert, dass der Einsatz von Untertiteln im Fremdsprachenunterricht bei den Lernenden zu einer Verbesserung der rezeptiven wie auch der produktiven Teilkompetenzen und der Entwicklung der interkulturellen Kompetenz führen kann.
In ihrem Beitrag zum modernen Polnischunterricht für Kinder stellt Justyna Hryniewicz-Piechowska die neue polnische Version der Sprachlernsoftware KIKUS digital7 vor. Die Autorin zeigt exemplarisch auf, wie mithilfe dieser Software Grammatik- und Vokabelvermittlung erfolgen kann und welche Vorteile sich dadurch für den Unterricht von Polnisch als Fremd- und Herkunftssprache ergeben. Neben audiovisuellen Impulsen (ansprechenden Bildern und Tonaufnahmen) und interaktiven Übungsformaten, die das Lernen begünstigen, gehöre zu den Vorteilen der Software auch die Option, mehrere Sprachen zugleich (kontrastiv) zu nutzen. Auf diese Weise kann die Zielsprache auf der Basis verschiedener Sprachen erworben oder aber mehrere Sprachen können ←15 | 16→parallel gelernt werden. Das KIKUS-Angebot umfasst nur eine beschränkte Anzahl von Bildkarten, mithilfe des Karteneditors können aber weitere, eigene Karten erstellt werden. Für die anvisierte Zielgruppe der Kinder (im Alter von 3 bis 10 Jahren) ist bekanntlich spielerisches Lernen besonders attraktiv. Durch KIKUS digital stehen den Nutzer*innen bekannte (z. B. Paare finden) und neue Spiele in computerbasierter Form zur Verfügung.
III Herkunftssprecher*innen im Fokus: Strategiennutzung & Sprachtransfer
Wie eingangs erwähnt, sind slawische Sprachen längst Bestandteil des sprachlichen Alltags in Deutschland, nicht zuletzt wegen der personenreichen Gruppen von Herkunftssprecher*innen. Im engeren Sinne handelt es sich dabei um Personen, die im frühen Alter oder im familiären Umfeld eine andere Sprache erworben haben als die, die in ihrer aktuellen Wohnumgebung gesprochen wird (Brehmer & Mehlhorn 2018: 17). In Deutschland sind gerade diejenigen, die an einem Studium der Slawistik interessiert sind, oft slawische Herkunftssprecher*innen. Die sehr heterogenen Kompetenzen, die diese Personengruppe in ihrer Herkunftssprache in der Regel aufweist, im Unterricht zu berücksichtigen stellt Lehrende vor Herausforderungen. Zielführender ist es allerdings, die Perspektive zu ändern und Herkunftssprache als wertvolle Ressource für persönlichen und beruflichen Erfolg der Herkunftssprecher*innen aufzufassen. Den Erwerb bzw. den Lernprozess einer Herkunftssprache zu erforschen und Faktoren zu identifizieren, die ihn begünstigen oder behindern, ist deshalb von großem Interesse für die sprachpraktische Ausbildung, in der neue Erkenntnisse und empirisch fundierte Empfehlungen stets berücksichtigt werden sollten. Die vier Forschungsbeiträge dieses Sammelbandes, die sich mit der Strategiennutzung durch Lernende und den verschiedenen Arten von Sprachtransfer auseinandersetzen, legen ihren Fokus auf die Zielgruppe der Herkunftssprecher*innen bzw. auf linguistische Aspekte im Unterricht der slawischen Sprachen.
Ausgehend von der Annahme, dass Bilingualismus im Allgemeinen und Herkunftssprachen im Besonderen eine wertvolle Ressource für den Fremdsprachenunterricht darstellen können, befasst sich Bernhard Brehmer mit der Frage, ob und inwieweit Russischlerner*innen ihre Kenntnisse der zuvor erworbenen Sprachen, darunter auch ihrer Herkunftssprache, für den (Wieder-)Erwerb von Russisch als dritter oder weiterer Sprache nutzen. Der Fokus seiner empirischen Untersuchung liegt auf der russischen Flexionsmorphologie und hier auf der Kasusmorphologie. Mithilfe eines Lückentests und ←16 | 17→eines Multiple-Choice-Tests befragte der Autor drei Gruppen: Herkunftssprecher*innen des Russischen, Lernende mit einer anderen slawischen Erstsprache als Russisch und ‚monolinguale‘ Lernende mit Deutsch als Erstsprache. Im Ergebnis stellt Brehmer fest, dass die Gruppe der russischen Herkunftssprecher*innen in beiden Tests tatsächlich besser abschneidet als die beiden anderen Lerner*innengruppen. Die Kenntnis einer weiteren slawischen (Herkunfts-)Sprache, auch einer typologisch mit dem Russischen eng verwandten Sprache, scheint hierbei keine hilfreiche Ressource zu sein.
Vladimir Arifulin & Bernhard Brehmer stellen eine empirische Studie zu spontanen Interkomprehensionsfähigkeiten von Herkunftssprecher*innen des Russischen in Deutschland vor. In ihrem Beitrag analysieren sie, ob und inwiefern Texte von Herkunftssprecher*innen des Russischen erschlossen werden können, die in den ihnen unbekannten Sprachen Schwedisch und Serbisch verfasst sind, und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Um diese Fragen beantworten zu können, wurden den Proband*innen drei Aufgaben vorgelegt: Eine zum allgemeinen Textverständnis, eine zweite, bei der ausgewählte Wörter zu Wortarten zugeordnet werden sollten, und drittens eine, in der es um eine schriftliche Zusammenfassung des schwedischen bzw. serbischen Ausgangstextes auf Deutsch ging. Im Ergebnis stellen die beiden Autoren fest, dass Schwedisch für Herkunftssprecher*innen des Russischen in Deutschland besser erschlossen werden kann als Serbisch. Neben Faktoren wie Quantität und Qualität des Russischunterrichts oder Nutzung der Herkunftssprache im Alltag scheinen die typologische Nähe des Deutschen zum Schwedischen und Kenntnisse des Englischen entscheidend für dieses Ergebnis zu sein.
Details
- Seiten
- 366
- Erscheinungsjahr
- 2021
- ISBN (ePUB)
- 9783631702147
- ISBN (MOBI)
- 9783631702154
- ISBN (PDF)
- 9783653032277
- ISBN (Hardcover)
- 9783631611937
- DOI
- 10.3726/978-3-653-03227-7
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2021 (August)
- Schlagworte
- Slawistik Fremdsprachenunterricht Kompetenz Interkulturalität Didaktik und Methodik Mehrsprachigkeit
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 366 S., 2 farb. Abb., 36 s/w Abb., 18 Tab.
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