TY - JOUR AU - Jos Schnurer PY - 2024 CY - Berlin, Germany PB - Peter Lang Verlag JF - Pädagogische Rundschau IS - 1 VL - 78 SN - 2365-8142 TI - N DO - 10.3726/PR012024.0011 UR - https://www.peterlang.com/document/1452667 N2 - Die aus der römischen Staatslehre stammenden Begriffe „auctoritas“ und „potestas“, übersetzt als „Autorität“ und „Macht“, haben im pädagogischen Diskurs immer schon eine herausragende und für die Theorie und Praxis von Bildung und Erziehung prägende Bedeutung. Sie stellt sich dar in der Entwicklung und Darstellung von Erziehungsstilen und -maßnahmen, wie sie z.B. mit dem Repertorium von Klaus Schaller 1968 ganze Lehrergenerationen beeinflusst haben. Legitime und illegitime Autoritäten stehen auf dem pädagogischen Prüfstand, legitime Machtausübung im Schaufenster und Machtmissbrauch am Pranger. Wie nicht anders zu erwarten, unterliegen die Vorstellungen von und Forderungen an die individuellen und kollektiven Einstellungen und Haltungen gesellschaftlichen Wandlungs- und Veränderungsprozessen. Der Streit um Auctoritas und Potestas bleibt und drückt sich in den Forderungen Selbstständigkeit versus Unterordnung, Anpassung versus Widerstand, Selbst- oder Fremdbestimmung, Frontal- oder Gruppenunterricht… aus. Die Positionsbestimmungen in den Erziehungswissenschaften chargieren eher unversöhnlich denn ausgleichend und kooperierend zwischen den geisteswissenschaftlichen, transzendental-philosophischen und -kritischen, prinzipienwissenschaftlichen Disziplinen (Marian Heitger, 2003) einerseits und den empirisch-natur- und gesellschaftswissenschaftlichen andererseits (Reinhard Mehring, 2018). Der „systemische Blick“, wie er von der Systemischen Pädagogik beansprucht wird, richtet sich „ganzheitlich“ auf das Bildungs- und Erziehungsgeschehen. Der Educandus, insbesondere das Kind, wird sowohl in seinem individuellen, insbesondere aber auch in seinem kollektiven Dasein betrachtet. Im Eingebundensein in Familie, Verwandtschaft, Freundeskreis, Kita und Schule vollziehen sich gegenseitig wirkende Einflüsse und Prägungen und bewirken Identitätsbildung und Veränderung. Der israelische Psychologe Haim Omer hat das Erziehungskonzept „Neue Autorität“ entwickelt. Dabei wird Erziehungsverantwortung nicht mehr mit den Prinzipen Distanz, Kontrolle, Strafe und direktes Handeln verstanden, sondern durch Präsenz, Selbstkontrolle, Transparenz, Beharrlichkeit und Standhaftigkeit ersetzt. Der Psychologe und Therapeut Martin Lemme und der Sozialpädagoge und Familientherapeut Bruno Körner, die beide im Systemischen Institut für Neue Autorität (SyNA) in Bramsche bei Osnabrück tätig sind, praktizieren das Omersche Konzept der Präsenz und variieren es für die praktische Anwendung mit der Theorie des „Adultismus“, der Forderung, die Machtungleichheit zwischen Kindern und Erwachsenen aufzuheben und damit Diskriminierung, Hierarchisierung und Ungleichbehandlung zu verhindern. Es sind die pädagogischen Kriterien „Schutz und Sicherheit“, die im Erziehungsprozess bedeutsam sind. Es sind die dialogischen, individuellen und kollektiven Ansprüche wie z. B. „Aufmerksamkeit“, „Achtsamkeit“, „Aufrichtigkeit“, „Resilienz“, „Nachhaltigkeit“, „Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit“, die sich als „antinomische Deutungen“ (Schlömerkemper, 2017) darstellen, und im lokalen und globalen gesellschaftspolitischen Diskurs als „Mythen“ entlarvt ER -