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Alternde Einfamilienhausgebiete: Bedeutung und Perspektive eines unerforschten Siedlungstyps

Demographische Analyse, ökonomische Prozesse und Entwicklungspotenziale suburbaner Wohngebiete

by Höger Uwe (Author)
©2024 Monographs 354 Pages

Summary

Im Eigenheim zu wohnen ist nach wie vor der meistgenannte Wohnwunsch in Deutschland, die aktuelle Politik und die Baulandnachfrage sind eindeutige Indizien hierfür. Zugleich sind Einfamilienhausgebiete als Siedlungstyp unspektakulär, als gesellschaftlicher Ort terra incognito und als Teil des Wohnungsmarktes für die großen Player uninteressant. Obwohl die Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern die Hälfte des Bestandes in den alten Bundesländern ausmachen, liegen die sozialen und demographischen Veränderungen ebenso im Windschatten der Forschung wie die Mechanismen von Generationenumbruch und Verkauf. Dieser Band fügt Mosaiksteine aus verschiedenen Untersuchungen und Perspektiven zusammen, überprüft – unter anderem gestützt auf empirische Daten der Stadt Oldenburg i.O. seit 1984 – Schlagworte der wissenschaftlichen Debatte auf ihre Substanz und macht Vorschläge zur planerischen Perspektive der Einfamilienhausgebiete aus der ersten und größten Welle, den 1960er bis 1980er Jahren.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kurzfassung: Alternde Einfamilienhausgebiete
  • Abstract: Ageing Single Family Home Areas
  • 0. Prolog
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Ausgangssituation und Arbeitshypothesen
  • 1.2 Stand der Forschung und Begrifflichkeiten
  • 1.3 Methodisches Konzept
  • 2. Das Einfamilienhaus
  • 2.1 Von der Villeggiatura zur Reichheimstätte
  • 2.1.1 Die Entwicklung des Typs seit dem 16. Jahrhundert
  • 2.1.2 Einzelhaus und Gartenstadt als Reformidee
  • 2.1.3 Institutionalisierung in der Weimarer Republik
  • 2.2 Wohnungspolitik als Eigenheimpolitik (1945 bis 2006)
  • 2.2.1 Wohnungsnot und Einfamilienhaus
  • 2.2.2 Förderung des Eigenheimbaus
  • 2.3 Resümee: Wohnungsversorgung für die Mittelschicht
  • 3. Leben und Altern im Eigenheim
  • 3.1 Suburbanes Wohnen als Lebensweise: Annäherungen
  • 3.1.1 Bedeutung des Eigenheims
  • 3.1.2 Lebenszyklus und Eigenheim
  • 3.1.3 Standortwahl: Kriterien und Vorgehen
  • 3.1.4 Sozialstruktur des Eigenheimbesitzes
  • 3.1.5 Wohnen im Eigenheim als eigene soziale Praxis
  • 3.2 Das Altern im Eigenheim
  • 3.2.1 Differenzierung des Alterns
  • 3.2.2 Gesundheit und Mobilität im Alter
  • 3.2.3 Wohnsituation und Wohnwünsche im Alter
  • 3.2.4 Umzugsbereitschaft im Alter
  • 3.2.5 Biographische Entscheidungsmuster
  • 3.3 Resümee: Eine eigene soziale, ergänzungsbedürftige Wohnform
  • 4. Generationsumbruch und Segregationseffekte in den Eigenheimgebieten
  • 4.1 Der Bestandswohnungsmarkt für Ein- und Zweifamilienhäuser in den alten Bundesländern
  • 4.1.1 Eigenheime als Verkaufsobjekte
  • 4.1.2 Marktentwicklung von gebrauchten Ein- und Zweifamilienhäusern
  • 4.1.3 Prognose
  • 4.2 Das Konzept der Segregation
  • 4.2.1 Zum Begriff der Segregation
  • 4.2.2 Alterssegregation
  • 4.2.3 Modelle der sekundären Segregation
  • 4.2.4 Übertragbarkeit der Segregationskonzepte auf Eigenheimgebiete
  • 4.2.5 Schemata der Eigentumsbildung und Wohnstandortwahl
  • 4.3 Gebietsumbrüche
  • 4.3.1 Quartiersbezogene Angebotsentwicklung
  • 4.3.2 Quartiersbezogene Nachfrageaspekte
  • 4.3.3 Systematisierungen
  • 4.3.4 Schlussfolgerungen
  • 4.4 Resümee: Besondere Bedingungen der Neusortierung
  • 5. Alternde Quartiere: Demographische und Kauffallentwicklung anhand von zwei Fallbeispielen
  • 5.1 Empirische Untersuchungen: Fallbeispiele, Modellannahmen, Methodik
  • 5.2 Empirische Untersuchungen: Sechs Thesen
  • 5.3 Befragungsergebnisse
  • 5.4 Oldenburg: Alternde Quartiere
  • 5.5 Oldenburg: Kauffallanalyse in acht Auswahlgebieten
  • 5.5.1 Kurzbeschreibung der Auswahlgebiete
  • 5.5.2 Verkaufsfälle im Stadtgebiet: Perioden und Quantitäten
  • 5.5.3 Verkaufsfälle in den Auswahlgebieten: Perioden und Quantitäten
  • 5.5.3.1 Erwarteter Verlauf in den Auswahlgebieten
  • 5.5.3.2 Verkaufsquoten
  • 5.5.3.3 Kauffälle nach Baualter
  • 5.5.3.4 Fazit
  • 5.5.4 Preisentwicklung im Stadtgebiet
  • 5.5.5 Preisentwicklung in den einzelnen Auswahlgebieten
  • 5.5.5.1 Merkmale der Auswahlgebiete
  • 5.5.5.2 Bodenrichtwerte (BRW)
  • 5.5.5.3 Vergleich der Preise nach gebietsbezogenen Kriterien
  • 5.5.6 Wanderungen und Arbeitslosigkeit
  • 5.6 Eschwege: Alternde Quartiere
  • 5.6.1 Altersentwicklung in der Stadt und den Zählbezirken
  • 5.6.2 Auswahlgebiete
  • 5.6.3 Demographische Entwicklung der Auswahlgebiete
  • 5.7 Eschwege: Kauffallanalyse für vier Auswahlgebiete
  • 5.7.1 Wohnungsbestand und Grundstücksmarktbericht
  • 5.7.2 Kauffall- und Preisanalyse in den Auswahlgebieten
  • 5.8 Resümees
  • 5.8.1 Resümee I: Demographischen Veränderungen
  • 5.8.2 Resümee II: Entwicklungen der Kauffälle
  • 5.8.3 Resümee III: Das Modell kleinräumiger Entwicklungen
  • 5.8.4 Resümee IV: Segregation
  • 6. Strategien für den Umbruch
  • 6.1 Zwischenfazit
  • 6.2 Handlungsnotwendigkeiten
  • 6.2.1 Voraussetzungsvolles Altern
  • 6.2.2 Alltagsarrangements
  • 6.3 Entwicklungsstrategien für Einfamilienhausgebiete
  • 6.3.2 Post-Suburbanisierung: Reorganisation des suburbanen Raumes
  • 6.4 Exkurs: Sozialraumorientierte Ansätze in der Altenhilfe
  • 6.4.1 Organisationmodelle von Altenhilfe und Altenpflege
  • 6.4.2 Sozialraumbezogene Beispiele: Typ Sozialträger
  • 6.4.3 Sozialraumbezogene Beispiele: Typ Wohnungsunternehmen
  • 6.4.4 Sozialraumbezogene Beispiele: Typ Städtebau
  • 6.4.5 Resümee
  • 6.5 Maßnahmenbereiche und Instrumente der Quartiersentwicklung
  • 6.5.1 Koordination und Partizipation
  • 6.5.2 Unterstützung älterer Haushalte
  • 6.5.3 Entwicklungsmaßnahmen
  • 6.6 Resümee: Neue Anforderungen für neue Strategien
  • 7. Zusammenfassung: Alternde Quartiere, neue Strategien, offene Forschungsfragen
  • Nachwort: Zeitenwende für das Einfamilienhaus?
  • 8. Quellen und Literatur
  • 8.1 Verwendete Literatur
  • 8.2 Verwendete Internetseiten
  • 8.3 Persönliche Informationen
  • 8.4 Datenquellen
  • 9. Anhang
  • 9.1 Tabellenverzeichnis
  • 9.2 Abbildungsverzeichnis
  • 9.3 Abkürzungsverzeichnis

Kurzfassung: Alternde Einfamilienhausgebiete

Die Hälfte des Wohnungsbestands in Deutschland liegt in Ein- und Zweifamilienhäusern, von den Einfamilienhäusern sind über 80 % selbst genutzte Eigenheime. Die vorliegende Arbeit fokussiert den Blick auf die Prozesse in den Gebieten der 1960er und 1970er Jahre der alten Bundesländer, die sich im Umbruch befinden: Welche Bedeutung hat der Generationswechsel? Mit welcher Geschwindigkeit verläuft er? Führt die Alterssegregationen vor der Umbruchphase zu sozialen Problemen der alternden Bewohner*innen, und setzt danach eine verstärkte soziale Segregation der Gebiete ein?

Die Arbeit stellt die – gemessen an der wohnungswirtschaftlichen Bedeutung und dem Alltag vieler Menschen – wenigen und stark fragmentierten wissenschaftlichen Aussagen zu Einfamilienhausgebieten und zum Altern im Eigenheim zusammen. Im empirischen Teil werden demographische Daten, Kauffälle sowie eigene Befragungen ausgewertet, die sich auf zwölf weitgehend homogene Einfamilienhausgebiete in den zwei Städten Oldenburg i.O. (zum Untersuchungszeitraum 165.000 Einw., wachsend) und Eschwege (19.000 Einw., schrumpfend/stagnierend) beziehen.

Die Analyse zeigt, dass sich auch kleinräumig der Zusammenhang von kontinuierlichem Einwohner*innenrückgang und Alterssegregation nachweisen lässt. Die Phase eines überdurchschnittlichen Anteils älterer Personen dauert 10 bis 20 Jahre. Dennoch sinkt die Einwohner*innenzahl nicht auf die Hälfte, wie durch den Wechsel vom Familien- zum Zweipersonenhaushalt zu erwarten wäre, sondern um max. 23 %. Dies weist ebenso auf einen verwischten Generationenumbruch hin wie der Verlauf der Kauffallzahlen, der vor der Welle 40 bis 50 Jahre nach dem Hausbau bereits eine kleinere nach etwa 15 Jahren zeigt. Es ist zu vermuten, dass dieser erste Wechsel durch das empty nest veranlasst ist, in dessen Folge die Wohnsituation durch berufliche Veränderung, Scheidung oder Wohnflächenanpassung verändert wird. Im Lebensalter von etwa 60 bis 75 Jahren finden dagegen wenige Umzüge statt.

Die Verkaufspreise der Eigenheime steigen oder sinken entsprechend der regionalen Marktbedingungen, bleiben jedoch im gebietsbezogenen Verhältnis stabil. Ihr zentraler Bestimmungsfaktor ist die Wohnfläche, Lage und Image des Gebiets sind nachrangig. Auch soziale Indikatoren oder Migration können keinen bestimmten Gebietstypen zugeordnet werden. In jedem Gebiet existiert eine deutliche Spreizung der Preise, die den Zugang verschiedener Einkommensschichten ermöglicht. Zudem ziehen Eigenheimbesitzer zehn Mal seltener als Mieter um. Aufgrund dieser Faktoren ist eine soziale Neusortierung der Einfamilienhausgebiete nach dem Umbruch nicht erkennbar, vielmehr bleibt die mit der Entstehung verbundene Position über Jahrzehnte erhalten. Die in älteren Studien gezeigte geringe Segregationsneigung der Mittelschicht wird bestätigt.

Einfamilienhausgebiete sind also sozial überwiegend robust genug, um keine Problemgebiete zu werden: ihre Bewohner*innen besitzen in der Regel ausreichendes ökonomisches und soziales Kapital, um individuelle Anpassungsstrategien zu verfolgen. Gleichwohl ist diese Wohnform zu bedeutend, um ihre Probleme zu ignorieren und ihre Potenziale zu verschenken: Es bedarf sowohl für den Alterungsprozess als auch für die Zeit nach dem Umbruch lebensweltorientierter Strategien, die bisher fehlen.

Fast alle älter werdenden Menschen wollen aufgrund der Nachbarschaft, des Gartens, der barrierearmen Wohnung, des Autos vor der Tür sowie des aus der Mietfreiheit resultierenden Konsumspielraums im eigenen Haus bleiben. Zugleich wachsen die Nahraumorientierung, der Bedarf an Alltagshilfen und später an Pflege. Einige wenige Modellvorhaben zeigen Lösungsansätze für ein voraussetzungsvolles Altern im Wohnquartier auf, denen aber die Organisationsform und finanzielle Ausstattung fehlen.

Zugleich entsprechen die postfordistisch geprägten Einfamilienhausgebiete nicht mehr der Größe und Zeitorganisation vieler heutiger Haushalte. Statt einer Konservierung der Raumstrukturen wird eine postsuburbane Strategie vorgeschlagen, die für einen Teil der Gebiete neue Wohnformen und Verdichtung zulässt, wodurch neue Anforderungen an die Partizipation, Bauleitplanung und Verkehrskonzeption entstehen. Hierzu ist eine Gebietskoordination erforderlich, die den Umbruch begleitet. Entsprechende Modellvorhaben sind dringend nötig, um die aktuellen Entwicklungen nicht zu verschlafen.

Die Mechanismen der Wohnungsmarktentwicklung auf Bundesebene werden auf der kleinräumigen Ebene von Einfamilienhausgebieten nur gebrochen gespiegelt. Hier wirken zusätzliche individuelle, biographische und nicht primär ökonomische Entscheidungen. Die Wirkungszusammenhänge sind komplex, uneindeutig und lokal differenziert. Ein theoretisches Konzept hierfür fehlt noch.

Abstract: Ageing Single Family Home Areas

Half of dwelling stock in Germany is located in one and two-family homes. 80 % of single-family homes are owner-occupied. The current study focuses on the transition process in 1960s and 1970s housing areas in the former West Germany. What is the relevance of the generational change? At what rate is the transition occurring? Does the age-related segregation before the transition lead to social problems of the ageing inhabitants, after which occurs an enhanced social segregation of the area?

The dissertation collects the few and deeply fragmented scientific data about single-family house areas and ageing in private homes as measured by their importance to the residential real estate market and the everyday world of many people. The empirical section analyses demographic facts, transactions and self-performed interviews, relating to twelve substantial homogeneous single- family home areas in two cities, Oldenburg i.O. (at the time of investigation 165,000 inh., growing) and Eschwege (19,000 inh., shrinking/stagnating).

Analysis shows that on small-spatial level a correlation can be proven between a steady decrease of inhabitants and age-related segregation. The period for a higher than average development of older persons takes 10 to 20 years. However the population does not fall to the median, as expected by changing from a family to a two-person household, but falls only by a maximum of 23 %. This points to a blurred changing generation and includes data that reveals a smaller decrease in inhabitants after approximately 15 years, but before the wave 40 to 50 years, after house building. This first change can be assumed to be induced by the ‘empty nest’ syndrome whereas subsequent housing changes are caused by professional shifts, divorce or living space adaption. Between the ages of 60 and 75, few decrease in inhabitants occur.

Sale prices of single-family homes rise or sink according to the regional market conditions, but remain stable in the local context. Their central determinant is the living space. Residential area and the quality of address are subordinate. Social indicators or migration do not match a particular type of area. Rather, in each area there exists a distinct range of sales prices to accommodate access of different income brackets. Moreover, homeowner changes occur ten times less than occupant changes. Given these factors, a social resorting of a single familiy home area after its generation change is not identifiable. Instead an area’s building (housing? construction?) profile is maintained over decades. This confirms the low tendency of segregation of the middle class, as shown in previous studies.

Single-family home areas are generally socially resilient enough to avoid becoming urban distressed areas. Their inhabitants usually own sufficient economic and social capital to pursue an individual adaption strategy. Nevertheless, this type of housing is too significant to ignore its problems and to waste its potential. It requires a global strategy to accommodate the ageing process and its aftermath, that is still lacking.

Most ageing population would prefer to stay in their house because of the neighbourhood, the garden, the low-barrier dwelling, parking situated near or in front of the door and higher disposable income resulting from staying rent-free. Unanimously increase the relevance of the nearer environment, the need for daily help and later of care. Some single model projects provide solutions that favour ageing in existing living quarters, but lack organisation and financial endowment.

At the same time the post-fordism shaped single-family home areas do not correspond to the size and temporal organisation of many modern households. Instead of preserving spatial structure a post-suburban strategy is proposed that allows new types of housing and urban density for these areas, including new participation requirements, land-use planning and traffic concepts. Therefore coordination is needed to accompany this transition. Appropriate models are urgently required to avoid lagging behind this current trend.

A dwelling market development policy at a Federal level is only brokenly reflected in small-spatial single-family home areas which operate from additional individual, biographical and not primarily economical factors. The casual relations are complex, inconclusive and locally differentiated. A theoretical model is therefore lacking.

0. Prolog

„Eine durchschnittliche Biographie im Bürgertum: Auszug bei den Eltern, wohnen in einer Innenstadt, Studium, wilde Zeit, der Vater spricht von ‚Hörner abstoßen‘, die Mutter warnt, ‚sich nicht zu früh zu binden‘, dann feste Freundin, Zusammenziehen, Heirat, Kinder. Jetzt wird es Zeit für ein Eigenheim. Das muss neu gebaut werden, weil dann die Wärmedämmwerte besser sind, die Fenster isoliert und die Wasserleitungen modern. Ein Neubaugebiet. Nicht besonders schön, aber praktisch, ein Edeka mit großem Parkplatz ist ganz in der Nähe, eine Schule auch, und so zieht eine junge Familien nach der anderen auf den ehemaligen Acker, Reihenhaus reiht sich an Doppelhaus, dazwischen viel aufgeworfene Erde, mickrige Heckchen, winzige Bäumchen. In den nächsten zwanzig Jahren wächst alles schön zu, ein richtig nettes Wohngebiet ist entstanden, die Bäume sind stattlich, die Hecken bieten Sichtschutz, und nun ziehen die Kinder eines nach dem anderen in irgendeine Innenstadt. Der Vater stirbt, kurz nachdem das Haus abbezahlt ist, und in den Häusern mit ausgebauten Dachböden und Partykellern wohnen alte Witwen, die die nächsten zwanzig Jahre ihre Gärten behüten. Eine Art friedliches Großraumaltersheim, möchte man meinen.“

Heiko Werning: In Bed With Buddha. Berlin 2007, S. 128

Es ist nicht allein diese nur wenig überspitzte satirische Darstellung, die die Beschäftigung mit Einfamilienhausgebieten aus sozialwissenschaftlicher und stadtplanerischer Sicht wenig sexy macht. Auch wenn ich mir das Fotomaterial ansehe, das ich während der Erstellung meiner Dissertation gesammelt habe, muss ich trotz eines ganz guten Ortsgedächtnisses häufig nachlesen, in welcher Straße ich diese Aufnahme gemacht habe: Für andere Menschen als ihre Bewohner*innen sind Eigenheime unspektakulär, sie sind anders als ihre Zuschreibung nur begrenzt individuell (um nicht zu sagen: langweilig), die Straßennetze vor ihrer Tür laden zum Verirren ein.

Selbst der berühmteste Film über einen Bungalow, Mon Oncle von Jacques Tati, stellt der perfekten, technischen, isolierten, auf Moderne und Repräsentation getrimmten Welt des Eigenheims das lebendige, nachbarschaftliche Sanierungsgebiet der Belle Époque gegenüber.

Dennoch wohnt mehr als ein Drittel aller Menschen in Deutschland in Ein- oder Zweifamilienhäusern, zum größten Teil als Eigentümer. Und die meisten wollen dort auch alt werden.

Genügend Grund, sich endlich damit auch wissenschaftlich zu beschäftigen.

1. Einleitung

1.1 Ausgangssituation und Arbeitshypothesen

Seit der Jahrtausendwende drängen sich die alten „Neubaugebiete“, also die in zeitlich und räumlich homogenen Abschnitten entstandenen Eigenheimbestände aus den 1950 bis 1970er Jahren, verstärkt in den Wohnungsmarkt der Gebrauchtimmobilien und die Fachdiskussionen. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung schätzte 2007, dass in den nächsten Jahren jährlich 200.000 Eigentümerobjekte allein aufgrund des Alters der Eigentümer frei werden, davon 160.000 Eigenheime, von denen 145.000 aus den 1950er bis 1970 Jahren stammen (BBR 2007: 215). Diese Entwicklung ist eine Spätfolge der bundesdeutschen Wohnungspolitik der Nachkriegszeit: Nach der anfänglichen Notwendigkeit, die durch Kriegsschäden und Flüchtlingszustrom bedingte Wohnungsnot nach dem 2. Weltkrieg zu beseitigen, verlagerte sich der Schwerpunkt schnell vom Geschosswohnungs- zum Eigenheimbau. Schon 1956 wurde mit dem II. Wohnungsbaugesetz der Schwerpunkt auf die Förderung von Familienheimen (Eigenheime, Kaufeigenheime und Kleinsiedlungen) gelegt. Von 1961 bis 1980 wurden 4,7 Mio. Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern hergestellt, dies war nahezu die Hälfte aller neuen Wohnungen.

Solch ein Wohnungssegment in der Form des Kleineigentums und in einer so dispersen Raumstruktur ist für Deutschland historisch einmalig. Die Besonderheit der Eigenheimgebiete resultiert aus einer mehrfach starren Struktur:

  • Die Eigenheimgebiete stellen – bisher – einen weitgehend autarken Sozialraum dar: Sie sind sozialstrukturell stabil, die auf kommunaler Ebene zu beobachtenden Trends der Einwohnerzahlen und Altersstrukturen bilden sich hier kaum ab. Ihre demographischen Veränderungen hängen stattdessen stark mit dem Baualter der Gebäude und der Entstehungszeit des Siedlungsteils zusammen. Damit sind große Teile der Wohnungen in Eigenheimen über Jahrzehnte dem Wohnungsmarktgeschehen entzogen worden.
  • Eigenheime stellen ein relativ diffuses und zugleich beharrendes Segment auf dem Wohnungsmarkt dar: Statt klarer Wohnungsmarktakteure, die wirtschaftliche Ziele verfolgen und Wohneinheiten akkumulieren, gibt es zahllose Einzeleigentümer*innen mit starker emotionaler Bindung an das eigene Heim. Für jede Wohnung auf einem Grundstück scheint ein im Detail kaum vorhersehbarer Wohnungsmarktprozess stattzufinden, der erhebliche Steuerungsprobleme mit sich bringt.
  • Einfamilienhausgebiete bilden ein disperses räumliches Muster geringer Dichte: Einzelne Wohnungen auf abgegrenzten Parzellen, Abstandsflächen auf allen Seiten, oft ohne infrastrukturelle Quartiersmitte. Alle Versorgungsstrategien, die auf Dichte und Zentralität ausgelegt sind, greifen hier nicht.
  • Das Altern im Eigenheim stellt sich als wenig wahrgenommenes und als relativ neues quantitativ bedeutendes Problem dar, dem bisher kein aktiver Lösungsansatz gegenübersteht.

Der Alterungsprozess dieser Quartiere, ihrer Bewohner und der seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachtende Umbruch sind nicht so deutlich wahrzunehmen wie der damalige Bau der Gebiete, da diese Prozesse nicht nur baualter-, sondern auch biographieabhängig sind. Gleichwohl wirft er allein durch die noch nie dagewesenen Quantitäten neue Fragen auf: Kann eine altersgerechte „Ertüchtigung“ der Einfamilienhausgebiete nicht nur eine sozial gebotene, sondern auch eine sinnvolle politische Strategie sein, die durch die steigende Zahl älterer, immer länger lebender, hilfebedürftiger Menschen notwendig wird? Können Konzepte zur Verbesserung der Bedingungen für den Alltag die Zeiten in betreuten Einrichtungen und Pflegeheimen verkürzen – kongruent mit dem Wunsch, dass die überwiegende Zahl der Eigenheimbesitzer möglichst lange in ihrer Immobilie wohnen bleiben möchten?

Es ist zu erwarten, dass der aktuelle Umbruch der Quartiere aus den 1960er und 1970er Jahren kein singuläres Kapitel der Stadtentwicklung bleiben wird. In den 1990er Jahren ist eine zweite Welle des Einfamilienhausbooms auf niedrigerem Niveau zu verzeichnen, hier liegt die Zahl der fertiggestellten Ein- und Zweifamilienhäuser bei ca. 165.000 im Jahr oder 70 % des Schnitts der 1960er und 1970er Jahre. In diesen Gebieten ist ein vergleichbarer Generationenwechsel für den Zeitraum 2030 bis 2040 zu erwarten. Zugleich werden die geburtenstarken Jahrgänge in das Pflegealter kommen. Hier können die Konzepte und Instrumente, die für die erste Phase entwickelt werden sollten, wiederum zur Abmilderung der Problematik beitragen.

Die zentralen Fragen sind hiermit:

  • Unter welchen konkreten lebensweltlichen Bedingungen (Potenzialen und Restriktionen) finden das Leben und die Alterung im Eigenheim und in Einfamilienhausgebieten statt, was sind die Besonderheiten dieser Wohnform und dieses Gebietstyps?
  • Unter welchen Rahmenbedingungen, mit welchen Mechanismen und welchen sozialräumlichen und wohnungswirtschaftlichen Folgen erfolgt der (Generationen-)Umbruch der Eigenheimbestände? Ist dies als singulärer oder als periodischer Vorgang zu bewerten?
  • Welche sozialpolitischen und stadtplanerischen Strategien sind für die Bewältigung des Umbruchs bisher erprobt worden, welche sind erforderlich?

Diese Veröffentlichung beruht auf der Dissertation „Alternde Einfamilienhausgebiete – Standortanalyse und Entwicklungspotenziale“ (2018), die auf den Aspekt der Alterung umfassender beleuchtet als es hier möglich ist.

Details

Pages
354
Publication Year
2024
ISBN (PDF)
9783631911082
ISBN (ePUB)
9783631911099
ISBN (Hardcover)
9783631911075
DOI
10.3726/b21441
Language
German
Publication date
2024 (July)
Keywords
Eigenheime und Einfamilienhausgebiete Bedeutung der Ein- und Zweifamilienhäuser für den Wohnungsmarkt Generationenumbruch Untersuchung der Segregation Zukunftsoptionen der postsuburbanen Einfamilienhausgebiete
Published
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 354 S., 48 s/w Abb.

Biographical notes

Höger Uwe (Author)

Uwe Höger 1977-84 Studium der Stadt- und Regionalplanung (TU Berlin, Gh Kassel). 1984-87 Aufbau einer Regionalberatung in Hessen. Seit 1988 Teilhaber des Planungsbüros akp, Kassel. Seit 1988 Lehraufträge an der Universität Kassel, Wintersemester 2019/20 Gastprofessur FH Erfurt. 2018 Promotion (Dr. rer. pol.), Thema „Alternde Einfamilienhausgebiete“.

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