Auswirkungen des European Media Freedom Act (EMFA) auf die deutsche Medienregulierung
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Title
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Dedication
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- Kapitel 1: Hintergrund, Vorbereitung und Annahme durch die Europäische Kommission
- 1.1 Hintergrund des EMFA
- 1.2 Reporters Without Borders (RSF)
- 1.2.1 Rangliste der Pressefreiheit 2022
- 1.2.1.1 Polen (Rang 66)
- 1.2.1.2 Malta (Rang 78)
- 1.2.1.3 Ungarn (Rang 85)
- 1.2.1.4 Bulgarien (Rang 91)
- 1.2.1.5 Griechenland (Rang 108)
- 1.3 Media Pluralism Monitor (MPM)
- 1.3.1 MPM 2022
- 1.3.1.1 Griechenland (64 % Risiko)
- 1.3.1.2 Slowenien (64 % Risiko)
- 1.3.1.3 Bulgarien (66 % Risiko)
- 1.3.1.4 Ungarn (66 % Risiko)
- 1.3.1.5 Polen (67 % Risiko)
- 1.4 Berichte über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der EU
- 1.4.1 Bericht 2022
- 1.4.1.1 Unabhängigkeit der Medienaufsicht
- 1.4.1.2 Transparenz der Eigentumsverhältnisse
- 1.4.1.3 Zuweisung staatlicher Werbemittel
- 1.4.1.4 Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien
- 1.4.1.5 Lizenzbeschränkungen und staatliche Entscheidungen
- 1.4.1.6 Zugang zu Informationen
- 1.4.1.7 Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten
- 1.4.1.8 Strategische Klagen
- 1.4.2 Länderkapitel 2022
- 1.5 Europäischer Aktionsplan für Demokratie
- 1.6 Europäischer Aktionsplan für Medien
- 1.7 Europäisches Parlament
- 1.8 Rat der Europäischen Union
- 1.9 Lage der Union 2021
- 1.9.1 Rede
- 1.9.2 Absichtserklärung
- 1.10 Begleitende Vorschläge und Empfehlungen
- 1.11 Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA)
- 1.12 Konsultationen
- 1.12.1 Sondierung
- 1.12.2 Öffentliche Konsultation
- 1.12.3 Weitere Konsultationsmaßnahmen
- 1.13 Rückmeldungen
- 1.13.1 ERGA
- 1.13.2 Bundesrat
- 1.13.3 ARD
- 1.13.4 Die Medienanstalten
- 1.13.5 VAUNET
- 1.13.6 BDZV und MVFP
- 1.14 Ausschuss für Regulierungskontrolle
- 1.15 Annahme durch die Europäische Kommission
- 1.16 Reaktionen
- 1.16.1 Fraktionen im Europäischen Parlament
- 1.16.2 Bundesrat
- 1.16.3 Deutscher Bundestag
- 1.16.4 Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)
- Kapitel 2: Das Gesetzgebungsverfahren
- 2.1 Ordentliches Gesetzgebungsverfahren
- 2.2 Stellungnahmen europäischer Einrichtungen
- 2.2.1 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)
- 2.2.2 Europäischer Ausschuss der Regionen (AdR)
- 2.2.3 Europäischer Datenschutzbeauftragter (EDSB)
- 2.3 Standpunkt des Europäischen Parlaments
- 2.3.1 Ausschüsse
- 2.3.2 Plenum
- 2.4 Standpunkt des Rates der Europäischen Union
- 2.4.1 Verhandlungsführung im Rat
- 2.4.2 Juristischer Dienst des Rates (CLS)
- 2.4.3 Ratsformation und Vorsitz
- 2.4.4 Allgemeine Ausrichtung
- 2.5 Trilog-Verfahren und Finalisierung des Textes
- 2.6 Letzte formale Schritte
- 2.7 Inkrafttreten und Geltung
- Kapitel 3: Rechtsgrundlage, Subsidiarität, Handlungsform und Verhältnis zum nationalen Recht
- 3.1 Rechtsgrundlage
- 3.1.1 Begründung der Kommission
- 3.1.2 Bundesrat
- 3.1.3 Deutscher Bundestag
- 3.1.4 Die Medienanstalten
- 3.1.5 Literatur zum EMFA-E
- 3.1.6 Europäischer Gerichtshof
- 3.1.7 Juristischer Dienst des Rates (CLS)
- 3.1.8 Ergebnis
- 3.2 Subsidiarität
- 3.2.1 Begründung
- 3.2.2 Bundesrat
- 3.2.3 Parlamente und Parlamentskammern der Mitgliedstaaten
- 3.2.4 Ergebnis
- 3.3 Verhältnismäßigkeit
- 3.4 Wahl der Handlungsform
- 3.4.1 Vorbemerkung
- 3.4.2 Begründung
- 3.4.2.1 Hintergrund
- 3.4.3 Kritik aus Deutschland
- 3.4.4 Ergebnis
- 3.5 Unionsrecht und nationales Recht
- 3.5.1 Europäischer Gerichtshof
- 3.5.2 Bundesverfassungsgericht
- 3.5.3 Anwendungsvorrang des Unionsrechts
- 3.5.3.1 Anwendungsvorrang des EMFA
- Kapitel 4: Auswirkungen des EMFA
- 4.1 Vorbemerkung
- 4.2 Kapitel I Allgemeine Bestimmungen
- 4.2.1 Artikel 1 Gegenstand und Geltungsbereich
- 4.2.2 Artikel 2 Begriffsbestimmungen
- 4.2.2.1 Mediendienst und Sendung
- 4.2.2.2 Presseveröffentlichung
- 4.2.2.3 Redaktionelle Entscheidung und redaktionelle Verantwortung
- 4.3 Kapitel II Rechte und Pflichten von Mediendiensteanbietern und Empfängern von Mediendiensten
- 4.3.1 Artikel 3 Recht der Empfänger von Mediendiensten
- 4.3.1.1 Reichweite des Rechts
- 4.3.1.2 Bewertung
- 4.3.2 Artikel 4 Rechte der Mediendiensteanbieter
- 4.3.2.1 Grundsatz der freien wirtschaftlichen Tätigkeit
- 4.3.2.2 Allgemeines Einmischungsverbot
- 4.3.2.3 Schutz journalistischer Quellen und vertraulicher Kommunikation
- 4.3.2.3.1 Vorbemerkung
- 4.3.2.3.2 Verbot bestimmter Zwangsmaßnahmen
- 4.3.2.3.3 Verbot des Einsatzes intrusiver Überwachungssoftware
- 4.3.2.4 Beauftragung einer unabhängigen Behörde oder Stelle
- 4.3.2.5 Absatz 9 und die „Nationale Sicherheit“
- 4.3.2.6 Ergebnis
- 4.3.3 Artikel 5 Schutzvorkehrungen für die unabhängige Funktionsweise öffentlich-rechtlicher Mediendiensteanbieter
- 4.3.3.1 Amsterdamer Protokoll
- 4.3.3.2 Vielzahl von Informationen und Meinungen
- 4.3.3.3 Ernennung und Entlassung der geschäftsführenden Personen
- 4.3.3.4 Angemessene, nachhaltige und vorhersehbare Finanzierung
- 4.3.3.5 Unabhängige Beobachtung
- 4.3.3.6 Ergebnis
- 4.3.4 Artikel 6 Pflichten von Mediendiensteanbietern
- 4.3.4.1 Anwendungsbereich
- 4.3.4.2 Informationspflichten
- 4.3.4.2.1 Bestehende Informationspflichten
- 4.3.4.3 Offenlegung der Mittel für staatliche Werbung
- 4.3.4.4 Nationale Datenbank zum Medieneigentum
- 4.3.4.5 Unabhängigkeit redaktioneller Entscheidungen
- 4.3.4.6 Ergebnis
- 4.4 Kapitel III Abschnitt 1 Unabhängige Medienaufsichtsbehörden
- 4.4.1 Artikel 7 Nationale Regulierungsbehörden oder -stellen
- 4.4.1.1 Zuständigkeit für die Anwendung von Kapitel III
- 4.4.1.2 Unabhängigkeit der NRB
- 4.4.1.3 Angemessene Ressourcen
- 4.4.1.3.1 Klagebefugnis
- 4.4.1.4 Ermittlungsbefugnisse
- 4.4.2 Ergebnis
- 4.5 Kapitel III Abschnitt 2 Europäisches Gremium für Mediendienste
- 4.5.1 Entwicklung der ERGA
- 4.5.2 Rolle des Boards
- 4.5.3 Unabhängigkeit des Boards
- 4.5.4 Unabhängigkeit der Kommission
- 4.5.4.1 Kritik der Länder
- 4.5.5 Ergebnis
- 4.6 Kapitel III Abschnitt 3 Zusammenarbeit und Konvergenz in Regulierungsfragen
- 4.6.1 Kooperation in der ERGA
- 4.6.2 Artikel 14 Strukturierte Kooperation
- 4.6.3 Ergebnis
- 4.7 Kapitel III Abschnitt 4 Bereitstellung von und Zugang zu Mediendiensten im digitalen Umfeld
- 4.7.1 Artikel 18 Inhalte von Mediendiensteanbietern auf sehr großen Online-Plattformen
- 4.8 Kapitel III Abschnitt 5 Anforderungen an gut funktionierende Medienmarktmaßnahmen und -verfahren
- 4.8.1 Artikel 21 Nationale Maßnahmen, die sich auf Mediendiensteanbieter auswirken
- 4.8.1.1 Allgemeine Anforderungen
- 4.8.1.2 Fristen für jedes nationale Verwaltungsverfahren
- 4.8.1.3 Unabhängige Beschwerdestelle
- 4.8.1.3.1 Medienaufsicht über private bundesweite Veranstalter
- 4.8.1.3.1.1 Fallbeispiel: RTL2 und die Medienanstalt Hessen
- 4.8.1.3.2 Kollision mit § 110 MStV
- 4.8.1.3.3 Pro und Contra Vorverfahren
- 4.8.1.3.4 Medienanstalt Hessen als Widerspruchsbehörde
- 4.8.1.3.5 ZAK als erstinstanzliches Organ
- 4.8.1.3.6 Organzuständigkeit für Widersprüche – Optionen
- 4.8.1.3.7 Fachwissen der Beschwerdestelle
- 4.8.1.4 Stellungnahme des Boards zu nationalen Maßnahmen
- 4.8.1.5 Informationspflicht nationaler Behörden oder Stellen
- 4.8.1.6 Ergebnis
- 4.8.2 Artikel 22 Bewertung von Zusammenschlüssen auf dem Medienmarkt
- 4.8.2.1 Rückblick auf erste Regelungsansätze der EG-Kommission
- 4.8.2.2 Art. 22 EMFA als „hinkende Verordnung“
- 4.8.2.3 Zusammenschluss auf dem Medienmarkt
- 4.8.2.4 Sicherung der Meinungsvielfalt in Deutschland
- 4.8.2.5 Reformdiskussion
- 4.8.2.6 Reformprozess
- 4.8.2.7 Reformimpulse durch den EMFA
- 4.8.2.8 Keine Auswirkungen auf § 63 MStV
- 4.8.2.9 Zuständigkeit oder maßgebliche Einbeziehung der NRB
- 4.8.2.9.1 Optionen des deutschen Gesetzgebers
- 4.8.2.10 Eigenständigkeit der medienrechtlichen Bewertung
- 4.8.2.11 Leitlinien der Kommission zu den „Elementen“
- 4.8.2.12 Konsultationspflicht der NRB zu Entwürfen
- 4.8.2.12.1 Praktische Konsequenzen am Beispiel der KEK
- 4.8.2.13 Ergebnis
- Kapitel 5: Zusammenfassung in Thesen
- 5.1 Rechtsgrundlage, Subsidiarität und Handlungsform
- 5.2 Anwendungsvorrang des Unionsrechts
- 5.3 Verfassungsrechtliche Kontrollkompetenzen
- 5.4 Allgemeine Bestimmungen
- 5.5 Recht der Empfänger von Mediendiensten
- 5.6 Rechte der Mediendiensteanbieter
- 5.7 Schutz öffentlich-rechtlicher Mediendiensteanbieter
- 5.8 Pflichten von Mediendiensteanbietern
- 5.9 Unabhängige Medienaufsichtsbehörden
- 5.10 Europäisches Gremium für Mediendienste (Board)
- 5.11 Strukturierte Kooperation
- 5.12 Inhalte von Mediendiensteanbietern auf VLOPs
- 5.13 Anforderungen an nationale Maßnahmen
- 5.14 Bewertung von Zusammenschlüssen auf dem Medienmarkt
- 6. Anhang
- Literaturverzeichnis
Kapitel 2: Das Gesetzgebungsverfahren
2.1 Ordentliches Gesetzgebungsverfahren
Der EMFA als Maßnahme zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt wurde nach Art. 114 Abs. 1 Satz 2 AEUV von den gleichberechtigten Gesetzgebern Parlament und Rat gemäß dem in Art. 294 AEUV definierten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen.235 Beide Gesetzgeber mussten sich auf den finalen Text der Verordnung verständigen, um den Rechtsakt gemeinsam zu tragen. Im Rat konnte der EMFA mit qualifizierter Mehrheit gemäß Art. 16 Abs. 4 EUV beschlossen werden. Deshalb bestand zumindest rechnerisch die Möglichkeit, dass hier auch ein großer Mitgliedstaat wie Deutschland überstimmt werden konnte. Im Parlament reichte bei der ersten und einer eventuellen dritten Lesung die einfache Mehrheit der Stimmen, während bei der zweiten Lesung eine absolute Mehrheit erforderlich gewesen wäre.236
Zum Zeitpunkt der Einreichung dieser Arbeit als Dissertation hatten sowohl der Rat seine Allgemeine Ausrichtung (21.06.2023) als auch das Parlament seinen Standpunkt in erster Lesung (03.10.2023) festgelegt. In der Sitzung des federführenden Ausschusses CULT am 07.09.2023 betonte die Vorsitzende und Berichterstatterin, dass das „Dossier“ in jedem Fall bis zum Ende der Legislaturperiode237 durch die „Triloge“ gebracht werden solle.238 Das informelle, nicht öffentliche Trilog-Verfahren239 zwischen Parlament, Rat und Kommission hat sich in der Gesetzgebungspraxis der EU etabliert und ist zur Regel geworden.240 Bei besonders gegensätzlichen Ansichten von Parlament und Rat können die Verhandlungen bis zur Einigung auf einen Kompromisstext mehrere Monate in Anspruch nehmen.241 Im Falle des EMFA wurde vor dem ersten Trilog am 19.10.2023 erwartet, dass die Verhandlungen wegen des erwähnten Zeitdrucks spätestens im ersten Quartal 2024 unter belgischer Ratspräsidentschaft erfolgreich abgeschlossen werden.242 Ein Scheitern des EMFA im Trilog war zu diesem Zeitpunkt schon unwahrscheinlich, aber nicht völlig auszuschließen.243
2.2 Stellungnahmen europäischer Einrichtungen
2.2.1 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)
Vor dem Erlass legislativer Maßnahmen zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt ist eine Anhörung des EWSA gemäß Art. 114 Abs. 1 Satz 2 AEUV obligatorisch. Die Stellungnahme zum EMFA-E wurde vom Berichterstatter244 vorbereitet und im Plenum des EWSA bereits am 14.12.2022 verabschiedet.245
Der EWSA verbindet seine grundsätzliche Zustimmung mit einer Reihe von Empfehlungen. Zum Thema Medienkonzentration vertritt der Ausschuss folgende Sichtweise:
Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission anerkennt, dass die Marktkonzentration im Medienbereich, die zu Monopolen führt, eine ernste Bedrohung für die Freiheit und Pluralität der Medien darstellen kann. Die Marktkonzentration kann jedoch auch sinnvoll sein und muss nicht zwangsläufig solche negativen Auswirkungen haben.246
2.2.2 Europäischer Ausschuss der Regionen (AdR)
Eine Anhörung des AdR vor Erlass von Rechtsakten auf der Grundlage von Art. 114 AEUV ist fakultativ möglich und wurde im Falle des EMFA-E von der Kommission für zweckmäßig erachtet. Wie schon beim EWSA wurde auch die Stellungnahme des AdR von einem deutschen Berichterstatter247 vorbereitet und auf der Plenartagung am 15./16. März 2023 beschlossen.248 Der AdR bekräftigt darin ausdrücklich seine Auffassung, dass eine Richtlinie als Rechtsakt den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit besser gerecht würde und die Ziele der Initiative damit ebenfalls erreichbar seien. Eine Überregulierung könne sich möglicherweise negativ auf gut etablierte Mediensysteme in Mitgliedstaaten auswirken. Die Sicherung von Medienfreiheit und Medienpluralismus falle in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und gehe über die bloße Förderung des Binnenmarkts hinaus.
Die Argumentation des AdR erinnert in mehrfacher Hinsicht an die bereits dargestellten Beschlüsse des Bundesrates zum EMFA-E.
2.2.3 Europäischer Datenschutzbeauftragter (EDSB)
Die am 11.11.2022 vorgelegte Stellungnahme des EDSB zum EMFA-E bezweifelt insbesondere die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Regelung zum Einsatz von Spähsoftware.249 Der EDSB hält – unabhängig vom EMFA – ein allgemeines Verbot der Entwicklung hochentwickelter Spähsoftware für die einzige praktikable und wirksame Option.
2.3 Standpunkt des Europäischen Parlaments
2.3.1 Ausschüsse
Am 17.10.2022 wurde im Parlament bekanntgegeben, dass der Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT) mit einer Ausnahme250 zum federführenden Ausschuss für den EMFA bestimmt wurde.251 Die Ausschüsse für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) waren in mitberatender Funktion ebenfalls zuständig. Der CULT-Ausschuss ernannte seine Vorsitzende Verheyen252 am 09.02.2023 zum Rapporteur253 für den EMFA.
Die drei beteiligten Ausschüsse hatten bis zur Abstimmung in erster Lesung im CULT am 07.09.2023 den EMFA mehrfach erörtert und zudem öffentliche Anhörungen mit Experten durchgeführt. Diese einzelnen Verfahrensschritte sollen hier nicht im Detail dargestellt werden.
Vor der erwähnten Abstimmung erläuterte Verheyen, dass die im Mai 2023 begonnene interne „Kompromissarbeit“ bewirkt habe, insgesamt 1785 Änderungsanträge auf nunmehr 53 „Kompromissänderungsanträge“254 konzentrieren zu können.255 Im Ergebnis dieser gut organisierten Vorbereitung einer demokratischen Abstimmung wurde der Entwurf des Standpunktes zum EMFA von CULT mit großer Mehrheit angenommen.256 Am 12.09.2023 legte CULT seinen Bericht zum EMFA dem Plenum des Europäischen Parlaments vor.257
2.3.2 Plenum
Das Europäische Parlament legte gemäß Art. 294 Abs. 3 AEUV seinen Standpunkt zum EMFA in erster Lesung am 03.10.2023 bei einer Plenartagung in Straßburg fest. Nach Einzelabstimmungen über zahlreiche Änderungsanträge wurde der Standpunkt des Parlaments am Ende mit 448 zu 102 Stimmen bei 75 Enthaltungen angenommen.
In der Debatte betonte die führende Berichterstatterin Verheyen den ernsten Hintergrund des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes:
‚Wir dürfen nicht die Augen vor dem besorgniserregenden Zustand der Pressefreiheit weltweit verschließen, ein Trend, der auch Europa betrifft. Der Europäische Medienfreiheitsakt ist ein entscheidendes Instrument, um diesen Herausforderungen zu begegnen. […] Mit dem Europäischen Medienfreiheitsgesetz gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt für den Schutz unserer Medien und unserer Demokratien.‘258
Inhaltlich entsprach der Standpunkt des Parlaments dem Bericht des federführenden Ausschusses und enthielt neben 19 neuen Erwägungsgründen eine Vielzahl von Änderungen, Streichungen und Ergänzungen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht en détail dargestellt werden können.259 In der begleitenden Pressemitteilung260 wurden folgende Schwerpunkte hervorgehoben:
- Einsatz von Spähsoftware nur als letztes Mittel und nach Anordnung durch eine unabhängige Justizbehörde.
- Pflicht zur Transparenz der Eigentumsverhältnisse auch für Kleinstunternehmen.
- Berichtspflicht über Einnahmen aus staatlicher Werbung.
- Außergerichtliche Streitbeilegungsstelle für Konflikte zwischen Medienanbietern und sehr großen Online-Plattformen.
- Das Board soll rechtlich und funktionell unabhängig von der Kommission sein und eigenständig handeln können.
- Das Parlament fordert zusätzlich eine unabhängige „Expertengruppe“, die den Mediensektor und die Zivilgesellschaft vertreten und das neue Board beraten soll.261
2.4 Standpunkt des Rates der Europäischen Union
2.4.1 Verhandlungsführung im Rat
Der Bundesrat hatte die Bundesregierung am 25.11.2022 an seine Forderung erinnert, die Verhandlungsführung im Rat gemäß Art. 23 Abs. 6 GG und § 6 Abs. 2 EUZBLG auf die Länder zu übertragen.262
Diese Position wurde vom Deutschen Bundestag am 01.12.2022 ausdrücklich unterstützt.263 Die Bundesregierung kam dieser Aufforderung „nach langem Warten“ schließlich – mit mehreren Einschränkungen – durch Schreiben des Bundeskanzlers vom 08.12.2022 nach.264 In der Praxis traten in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern allerdings „unnötige(n) Schwierigkeiten“ und „Reibungsverluste“ auf.265 Ratssitzungen zum EMFA wurden von der BKM und der Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder266 gemeinsam wahrgenommen.
2.4.2 Juristischer Dienst des Rates (CLS)
Der CLS war von der AVMWP bereits am 29.09.2022 ersucht worden, die Rechtsgrundlage des EMFA-E zu prüfen.267 Das Gutachten des CLS vom 04.04.2023 wurde vom Rat zunächst als „LIMITE“ eingestuft.268 Im Herbst 2023 wurde dieses offenbar sensible Dokument schließlich doch für die Öffentlichkeit freigegeben und kann nunmehr in der aktualisierten Version dieser Arbeit berücksichtigt werden.269
Bei der Plenardebatte zum EMFA am 03.10.2023 in Straßburg wies Kommissarin Jourová darauf hin, dass der CLS die Gesetzgebungskompetenz der EU für den EMFA bestätigt hatte.270 Das spät vorgelegte Gutachten schwächte die Verhandlungsposition der Länder – wohl auch gegenüber der BKM – und wurde von einem europapolitischen Fachjournalisten hinsichtlich seiner politischen Auswirkungen folgendermaßen bewertet:
Die Hoffnung der deutschen Vertreter lag zuerst auf einem Rechtsgutachten des juristischen Dienstes des Rates. Das sollte die deutsche Auffassung bestätigen – sah aber im Ergebnis keine größeren Probleme mit der gewählten Rechtsgrundlage und der Kompetenz der EU. Eine politische Blamage für die Ländervertreter, die das Argument seitdem nur noch kleinlaut anführen: Man könne das vielleicht auch anders sehen.271
2.4.3 Ratsformation und Vorsitz
Die für den EMFA zuständige Formation war der Rat „Bildung, Jugend, Kultur und Sport“. Den Vorsitz in Ratsformationen übernimmt der jeweilige Fachminister des Mitgliedstaats, der den turnusmäßig wechselnden Ratsvorsitz innehat. Das für den EMFA zuständige Vorbereitungsgremium des Rates war die Gruppe „Audiovisueller Sektor und Medien“272, die bereits im September 2022 mit der Prüfung des Verordnungstextes begonnen hatte.273 Sowohl unter tschechischem als auch unter schwedischem Vorsitz veröffentlichte der Rat sog. Fortschrittsberichte zum EMFA.274
2.4.4 Allgemeine Ausrichtung
Dank dieser straff organisierten Vorbereitung war der Rat bereits am 21.06.2023 in der Lage, dem Ratsvorsitz ein präzise ausformuliertes Mandat für künftige Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zu erteilen.275 Die formale Beschlussfassung erfolgte – ohne Zugangsrecht für einen Ländervertreter276 – im wöchentlich tagenden AStV (1. Teil). Ausweislich der Kurzniederschrift dieser Sitzung277 hatten lediglich Estland und Ungarn ablehnende Statements unterschiedlicher Natur abgegeben.278 Demgemäß stimmten alle anderen Mitgliedstaaten dem Verhandlungsmandat zu, auf das sich im zweiten Halbjahr 2023 die spanische Ratspräsidentschaft stützen konnte.279
Die Allgemeine Ausrichtung des Rates betraf auch die Erwägungsgründe und enthielt eine Fülle von Änderungen, Streichungen und neuen Textpassagen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht im Einzelnen dargestellt werden können. In der begleitenden Pressemitteilung vom 21.06.2023 wurden die wesentlichen Elemente der Ratsposition folgendermaßen zusammengefasst:
- Klarstellung der Verantwortung der Mitgliedstaaten, die Pluralität, Unabhängigkeit und das ordnungsgemäße Funktionieren öffentlicher Medienanbieter, die innerhalb ihrer Grenzen tätig sind, zu gewährleisten.
- Festlegung des Aufgabenbereichs des Europäischen Gremiums für Mediendienste und Stärkung seiner Unabhängigkeit.
- Bestimmungen zur Stärkung des Schutzes von Journalistinnen und Journalisten und journalistischen Quellen und Beschränkung des Einsatzes von Zwangsmaßnahmen wie Spähsoftware zum Zweck der Informationsbeschaffung.
- Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, strengere oder detailliertere Vorschriften als die Vorschriften in den einschlägigen Teilen des EMFA zu erlassen.
- Erweiterung des Anwendungsbereichs der Transparenzanforderungen, sowohl in Bezug auf die Transparenz der Eigentumsverhältnisse, die für alle Mediendiensteanbieter gelten soll, als auch für die Transparenz staatlicher Werbung, bei der die Möglichkeit nationaler Ausnahmen für kleine Unternehmen erheblich eingeschränkt ist.
- Klarere Regeln für die Beziehungen zwischen sehr großen Online-Plattform-Anbietern und Mediendiensteanbietern, die die Regulierungs- oder Selbstregulierungsregelungen der redaktionellen Kontrolle und journalistische Standards in den Mitgliedstaaten einhalten, um sicherzustellen, dass von Mediendiensteanbietern bereitgestellte Inhalte mit besonderer Sorgfalt behandelt werden.280
2.5 Trilog-Verfahren und Finalisierung des Textes
Nachdem die Standpunkte des Rates und des Parlaments festgelegt waren, fanden am 19. Oktober, 29. November und 15. Dezember 2023 nicht öffentliche Triloge zwischen Parlament, Rat und Kommission statt.281 Diese drei politischen Treffen wurden von der technischen Ebene in 16 Meetings intensiv vorbereitet.
Bereits beim dritten Trilog am 15.12.2023 konnten der Rat und das Parlament eine als „Deal“ gefeierte vorläufige Einigung über den EMFA erzielen.282 Wenige Tage danach veröffentlichte ein Brüsseler Fachdienst das sog. 4-column document mit dem vorläufig konsentierten EMFA-Text in der rechten Spalte.283
In den beiden letzten Sitzungen der technischen Ebene am 8. und 9. Januar 2024 wurden weitere Anpassungen am vereinbarten Text vorgenommen.284 Nach Übersetzung des englischen Textes in die anderen 23 Amtssprachen der EU wurden alle Fassungen des EMFA außerdem noch von Rechtslinguisten beider Gesetzgeber sprachlich überarbeitet.285
2.6 Letzte formale Schritte
Am 19.01.2024 billigte wiederum der AStV (1. Teil) die im letzten Trilog zwischen den Verhandlungsführern des Rates und des Parlaments erzielte vorläufige Einigung über den EMFA.286 Wenige Tage später wurde der „Deal“ auch vom federführenden Parlamentsausschuss CULT mit großer Mehrheit angenommen.287
Schließlich wurde der EMFA in seinen 24 Sprachfassungen am 13.03.2024 vom Plenum des Europäischen Parlaments mit 464 zu 92 Stimmen bei 65 Enthaltungen final angenommen.288 Formal betrachtet legte das Parlament den „Standpunkt in erster Lesung“ fest und ersetzte damit seinen früheren Standpunkt vom 03.10.2023. Den neuen Standpunkt des Parlaments billigte der (fachfremde) Rat „Landwirtschaft und Fischerei“ am 26.03.2024 ohne Aussprache bei einer Gegenstimme Ungarns.289 Somit wurde der EMFA als Rechtsakt gemäß Art. 294 Abs. 4 AEUV in der Fassung des Standpunkts des Europäischen Parlaments vom 13.03.2024 erlassen.
Details
- Seiten
- 248
- Erscheinungsjahr
- 2024
- ISBN (PDF)
- 9783631924228
- ISBN (ePUB)
- 9783631924235
- ISBN (Hardcover)
- 9783631924211
- DOI
- 10.3726/b22178
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2024 (Oktober)
- Schlagworte
- Medienkonzentrationsrecht Wettbewerbsrecht VLOP Medienprivileg Board Staatsferne Landesmedienanstalt Transparenz Quellenschutz Spähsoftware Mindestharmonisierung Meinungsvielfalt Mediendienst Pluralismus Medienfreiheit
- Erschienen
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 248 S., 0 farb. Abb., 0 s/w Abb., 0 Tab.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG