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,Migration' beobachten

Eine Studie zu personenbezogenen Umweltbeobachtungen durch Weiterbildungsorganisationen vor dem Hintergrund differenzierungsreflexiver Organisationsentwicklung

von Eva Humt (Autor:in)
©2024 Dissertation 298 Seiten

Zusammenfassung

Im Kontext des Themas Migration sind Weiterbildungsorganisationen zu ihrer kontinuierlichen Entwicklung aufgefordert. Deren Richtung hängt auch davon ab, wie die Organisationen das Thema Migration wahrnehmen und verarbeiten. Eine differenzierungsreflexive Organisationsentwicklung stellt dabei den Anspruch, migrationsbezogene Unterscheidungen nicht zu reproduzieren, sondern sie als sozial konstruiert sowie hinsichtlich ihrer Folgen zu reflektieren. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Arbeit die Frage, mit Hilfe welcher Unterscheidungen Weiterbildungsorganisationen ihre Adressat:innen, Teilnehmer:innen und (potenziellen) Mitarbeiter:innen im Kontext des Themas Migration beobachten. Die systemtheoretische Rahmung der Studie führt eine organisationstheoretische Perspektive mit solchen Phänomenen der Differenzierung zusammen, bietet methodische Orientierung für die mit Leitungspersonen von Weiterbildungsorganisationen durchgeführten Interviews und deren Auswertung mit Hilfe der dokumentarischen Methode und informiert schließlich auch die Ergebnisdiskussion.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Ausgangspunkte des Erkenntnisinteresses im erziehungswissenschaftlichen Diskurs
  • 2.1 Differenzierungsreflexive Organisationsentwicklung in der Weiterbildung im Kontext des Themas Migration
  • 2.1.1 Rezeption und Differenzierungsreflexivität interkultureller Öffnung
  • 2.1.2 Rezeption und Differenzierungsreflexivität des Diversity Managements
  • 2.1.3 Differenzierungsreflexive Organisationsentwicklung
  • 2.2 Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen im Kontext des Themas Migration
  • 2.2.1 Differenz, Differenzierung und Kategorisierung in sozialkonstruktivistischer Perspektive
  • 2.2.2 Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen
  • 2.2.2.1 Differenzierungen von Teilnehmenden und Adressat:innen
  • 2.2.2.2 Differenzierungen von (potenziellen) Mitarbeitenden
  • 2.3 Forschungsdesiderat und Fragestellung
  • 3 Systemtheoretische Rahmung
  • 3.1 Organisationen und Weiterbildungsorganisationen in der Systemtheorie
  • 3.2 Systemtheoretische Rahmung von Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen
  • 3.2.1 Differenzierungen in systemtheoretischer Perspektive
  • 3.2.2 Klassifikation, Askription und Beobachtung
  • 3.2.3 Inklusion/Exklusion, Leistungs- und Publikumsrollen
  • 3.2.4 Reformulierung der Fragestellung
  • 3.3 Theoriegeleitete Beobachtungen: Epistemologischer Rahmen
  • 4 Methodisches Vorgehen
  • 4.1 Empirischer Zugang und Erhebungsmethode
  • 4.1.1 Expert:inneninterviews als Erhebungsmethode
  • 4.1.2 Ausgestaltung der Erhebungsmethode
  • 4.2 Fallauswahl und Durchführung der Datenerhebung
  • 4.2.1 Fallauswahl anhand eines qualitativen Stichprobenplans
  • 4.2.2 Durchführung der Datenerhebung
  • 4.3 Auswertungsmethode und Vorgehen bei der Datenauswertung
  • 4.3.1 Dokumentarische Methode
  • 4.3.2 Dokumentarische Interpretation der Expert:inneninterviews
  • 5 Darstellung der empirischen Erträge
  • 5.1 Handlungsorientierungen in Weiterbildungsorganisationen im Kontext des Themas Migration
  • 5.1.1 Handlungsorientierungen im Handlungsfeld der Etablierung neuer Kursangebote
  • 5.1.1.1 Interview 4 – Passage Ankommen: Beziehungsform zwischen Kindern und den für sie verantwortlichen Erwachsenen
  • Formulierende Interpretation
  • Reflektierende Interpretation
  • 21–25: UT – Einschreibung in die Kurse
  • Handlungsorientierung in der Passage Ankommen
  • Verlauf der Passage Ankommen (Zeile 25–40)
  • 5.1.1.2 Interview 6 – Passage Geld verdienen: Lenkungsbedarf
  • Handlungsorientierung in der Passage Geld verdienen
  • Verlauf der Passage Geld verdienen (Zeile 6–40)
  • 5.1.1.3 Interview 5 – Passage Kennenlernen: Expertise für eine Problemgruppe
  • Handlungsorientierung in der Passage Kennenlernen
  • Verlauf der Passage Kennenlernen (Zeile 23–44)
  • 5.1.1.4 Interview 10 – Passage Klassenverband: Bedarf der Akzeptanz von Diversität
  • Handlungsorientierung in der Passage Klassenverband
  • Verlauf der Passage Klassenverband (Zeile 31–44)
  • 5.1.1.5 Interview 8 – Passage Interkulturell: Besonderer Zuwendungsbedarf
  • Handlungsorientierung in der Passage Interkulturell
  • Verlauf der Passage Interkulturell (Zeile 1–62)
  • 5.1.2 Handlungsorientierungen im Handlungsfeld der Personalakquise
  • 5.1.2.1 Interview 6 – Passage Kein Problem und Passage Chance: Zwischenmenschliche Beziehungen
  • Handlungsorientierung in den Passagen Kein Problem und Chance
  • Verlauf der Passage Kein Problem (Zeile 1–85)
  • Fallinterner Vergleich: Passage Chance (Zeile 16–71)
  • 5.1.2.2 Interview 1 – Passage Erfolgsgeschichte: Mangel an Weltoffenheit
  • Handlungsorientierung in der Passage Erfolgsgeschichte
  • Verlauf der Passage Erfolgsgeschichte (Zeile 17–58)
  • 5.1.3 Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse
  • 5.2 Entwicklung einer Analyseheuristik für die theoriegeleitete Beobachtung der Handlungsorientierungen
  • 5.3 Theoriegeleitete Beobachtung
  • 5.3.1 Beobachtungen hinsichtlich der Hilfsbedürftigkeit
  • 5.3.2 Beobachtungen hinsichtlich des Problempotenzials
  • 5.3.3 Beobachtungen hinsichtlich der Andersartigkeit
  • 5.3.4 Beobachtungen hinsichtlich der persönlichen Bekanntschaft
  • 5.4 Erträge der theoriegeleiteten Beobachtung
  • 6 Rückbindung an den Forschungsdiskurs: Bezugspunkte, Desiderate und Ausblicke
  • 6.1 Bezugspunkte der empirischen Erträge zum erziehungswissenschaftlichen Diskurs um personenbezogene Differenzierungen im Kontext des Themas Migration
  • 6.2 Grundlagentheoretische Anschlussperspektiven
  • 6.3 Gegenstandstheoretische Ausblicke für die differenzierungsreflexive Organisationsentwicklung von Weiterbildungsorganisationen
  • Literaturverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Anhang

1 Einleitung

Für die Weiterbildungsforschung wird zunehmend die Anforderung formuliert, sich problematisierend mit Kategorisierungen im Kontext des Themas Migration auseinanderzusetzen. So weist bspw. Ebner von Eschenbach (2016) in seinem gleichlautenden Beitrag auf die epistemologischen Risiken eines essentialistischen Migrationsbegriffs in der Erwachsenenbildung hin. Auch für die Migrationsforschung wird das Desiderat einer machtkritischen Reflexion solcher Konstrukte formuliert. „[I]‌nsbesondere im Blick auf die potenzielle Reproduktion von Diskursen […], mit denen Unterordnungen, Ausschlüsse und/oder Diskriminierungen einhergehen“ (Behrens, 2019, S. 64), seien Kategorisierungen wie jener des „Migrationshintergrunds“ (Re-)Konstruktionen des Eigenen und des Anderen, bzw. des Fremden inhärent, mit denen zugleich Fragen der Anerkennung oder des Verwehrens von Zugehörigkeit verbunden seien (vgl. ebd., S. 63 f.). Einen Vorschlag zur Adressierung dieser Desiderate entwerfen Lang, Pott und Shinozaki (2021) in ihrem einleitenden Beitrag zu einer Sonderausgabe der Zeitschrift Comparative Migration Studies. Darin schreiben die Autor:innen der Organisationsforschung das Potential zu, Migrationsforschung zu de-essentialisieren und zu de-migrantisieren: „Scrutinising organisations helps to shift our research focus away from migration and migrants as seemingly given and taken-for-granted objects of research. What it allows instead is a rigorous and stimulating analysis of the social production of migration.“ (ebd., S. 12)

Die vorliegende Arbeit greift diese Impulse auf spezifische Weise unter dem thematischen Ausgangspunkt der differenzierungsreflexiven Organisationsentwicklung auf. Während die Thematik der Organisationsentwicklung in der Weiterbildungsforschung beginnend in den 1990er Jahren zuerst im Rahmen gestiegener Anforderungen an Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit bearbeitet wurde, können aktuell vielfältige und auch widersprüchliche Erwartungen an Weiterbildungsorganisationen im Kontext des Themas Migration beobachtet werden, die ebenfalls im Hinblick auf Organisationsentwicklung diskutiert werden (vgl. Öztürk & Humt, 2021, S. 76). In der Weiterbildungsforschung werden in diesem Rahmen unterschiedliche Ansätze der Organisationsentwicklung rezipiert, die mit einem Rückgriff auf den erziehungswissenschaftlichen Diskurs um Differenz systematisierend entlang defizitorientierter, differenzorientierter und sozialkonstruktivistischer Perspektiven (vgl. Walgenbach, 2017, S. 94 ff.) nachgezeichnet werden können. Wie die anfangs genannten Perspektiven aus Weiterbildungs- und Migrationsforschung illustrieren, ist dieser Differenzdiskurs der Thematisierung von Migration inhärent. Er spiegelt sich daher auch in den unterschiedlichen Ansätzen der Organisationsentwicklung und ihrer Rezeption durch die Weiterbildungsforschung wider.

So entwickelte sich der Ansatz der sog. interkulturellen Öffnung in Ablehnung einer defizitorientierten Perspektive auf Migration, die bis in die 1970er Jahre den erziehungswissenschaftlichen Diskurs prägte (vgl. Walgenbach, 2017, S. 94 f.). Die zunächst in der Sozialpädagogik durch Handschuck und Schröer (2002) ausgearbeitete interkulturelle Öffnung griff die Beobachtung auf, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen von öffentlichen Organisationen und deren Dienstleistungen ausgeschlossen waren (vgl. H. Schröer, 2018, S. 774). In Ablehnung einer Defizitorientierung nahmen die Vertreter:innen der interkulturellen Öffnung jedoch einen Perspektivwechsel von den zu erreichenden Adressat:innen auf die Institutionen und deren exkludierende Strukturen vor (vgl. Handschuck & Schröer, 2013, S. 32). Durch die gezielte interkulturelle Öffnung sollen solche Zugangsbarrieren auf organisationaler Ebene abgebaut werden, was in der Weiterbildungsforschung bspw. durch Fischer, Krumpholz und Schmitz (2007) für die Familienbildung aufgegriffen wurde. Mit der Abgrenzung zu defizitorientierten Perspektiven kann zugleich eine dezidierte Differenzorientierung der interkulturellen Öffnung festgehalten werden, welche die Anerkennung von Unterschiedlichkeit einfordert (vgl. Walgenbach, 2017, S. 95) und sich im Rahmen interkultureller Öffnung in der sog. interkulturellen Orientierung verdichtet. Diese ist definiert als „eine Haltung, die anerkennt, dass unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen in einer Stadtgesellschaft leben und dass diese Gruppen sich in ihren Kommunikations- und Repräsentationsmitteln unterscheiden.“ (Handschuck & Schröer, 2013, S. 31) Auch das zunehmend in der Weiterbildungsforschung rezipierte sog. Diversity Management (s. u. a. Sprung, 2011; Dollhausen & Muders, 2016; Öztürk & Reiter, 2017) weist durch seine explizit wertschätzende Perspektive auf Differenz und seine Ressourcenorientierung eine solche Differenzorientierung auf (vgl. Walgenbach, 2017, S. 97).

Im erziehungswissenschaftlichen Diskurs werden differenzorientierte Perspektiven wiederum aus sozialkonstruktivistischer Perspektive dahingehend problematisiert, dass sie Differenz, bzw. Differenzierungen1 reproduzieren, die als konstruierte Unterschiede zu reflektieren wären (vgl. Mecheril & Plößer, 2009, S. 199 f.). Im Kontext des Themas Migration wird bspw. die historische und soziale Entstehung und Legitimierung von „kulturellen“ Differenzen in den Blick genommen (vgl. Walgenbach, 2017, S. 96 f.), sowie der Konstruktcharakter von Kategorisierungen wie dem „Migrationshintergrund“ (bspw. Elrick & Farah Schwartzman, 2015; Stošić, 2017; Behrens, 2019). Auch in der Weiterbildungsforschung wird kritisch diskutiert, dass mit der Anerkennung „kultureller“ oder anderer migrationsbezogener Unterschiede diese zugleich reproduziert werden, was auch auf damit einhergehende Zuschreibungen der Nicht-Zugehörigkeit zur „deutschen“ Gesellschaft, Essentialisierungen von Differenz und Diskriminierung zutrifft (s. u. a. Sprung, 2011; Sprung, 2016; Heinemann, 2013; Öztürk, 2014; Ebner von Eschenbach, 2016; Ebner von Eschenbach, 2020).

Diese sozialkonstruktivistische Perspektive auf Differenz lässt sich nun ebenfalls im Diskurs der Weiterbildungsforschung um Organisationsentwicklung nachzeichnen, in dessen Rahmen neuere Ansätze der Organisationsentwicklung den Konstruktcharakter und die Wirkungen von Differenzierungen in den Vordergrund stellen. Diese Ansätze werden in der vorliegenden Arbeit unter dem Begriff der differenzierungsreflexiven Organisationsentwicklung zusammengefasst, der auf Ausführungen von Heinemann (2018b) zur Entwicklung von Differenzreflexivität im Rahmen von Organisationsentwicklung zurückgreift, welche hier erstmals definiert wird als „die Fähigkeit zu reflektieren, wie und mit welchen Folgen für wen gesellschaftlich Differenz konstruiert wird“ (ebd., S. 11). Und bereits Sprung (2011) fordert in ihrer Arbeit Weiterbildung in der Migrationsgesellschaft im Hinblick auf die Entwicklung von Weiterbildungsorganisationen, „ein offenbar verbreitetes Bild von MigrantInnen als einer homogenen sowie negativ konnotierten Gruppe (nicht finanzkräftig genug, verschlechtern das Image der Einrichtung etc.) zu hinterfragen.“ (ebd., S. 272) Während interkulturelle Öffnung und Diversity Management also Differenzierungen anhand der „Kultur“, eines „Migrationshintergrunds“ oder weiterer migrationsbezogener Differenzierungen aufgreifen und somit reproduzieren, stellen differenzierungsreflexive Ansätze der Organisationsentwicklung diese Differenzierungen zur Disposition und weisen auf ihre Folgen für die so kategorisierten Teilnehmenden, Adressat:innen und Mitarbeitenden in der Weiterbildung hin, die in nach wie vor defizitorientierten Perspektiven, Zuschreibungen der Nicht-Zugehörigkeit und Diskriminierung bestehen.

Mit diesem Blick auf die Folgen von Differenzierungen verweist differenzierungsreflexive Organisationsentwicklung auch auf die Anreicherung von Differenzierungen mit weiteren Zuschreibungen, die in der vorliegenden Arbeit im Fokus stehen sollen. Diese Zuschreibungen – bspw. von Defiziten oder von Fremdheit – werden anhand einer systemtheoretischen Rahmung des Untersuchungsgegenstands in der vorliegenden Arbeit ebenfalls als kategorisierende Differenzierungen begriffen, die mit Zuschreibungen bspw. eines Migrationshintergrundes kombiniert werden können. Das Erkenntnisinteresse richtet sich damit nicht auf die Frage, inwiefern Personen durch Weiterbildungsorganisationen bspw. ein „Migrationshintergrund“, eine bestimmte „ethnische Zugehörigkeit“ oder „Kultur“ zugeschrieben wird, sondern auf die mit diesen Differenzierungen verknüpften Zuschreibungen, die in der erwachsenenpädagogischen Praxis machtvoll Wirkung entfalten können. Den Untersuchungsgegenstand bilden somit Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen im Kontext des Themas Migration2, die weiter gefasst sind als Kategorisierungen wie jene des „Migrationshintergrunds“. Zugleich bildet die Thematik der differenzierungsreflexiven Organisationsentwicklung damit lediglich den Ausgangspunkt des Erkenntnisinteresses. Im Vordergrund der empirischen Untersuchung stehen somit nicht Prozesse der Organisationsentwicklung, wie sie bspw. durch Ruhlandt (2016) für den Ansatz der interkulturellen Öffnung untersucht wurden, sondern die in den Weiterbildungsorganisationen bereits zum Tragen kommenden Differenzierungen als Ausgangssituation eines solchen Organisationsentwicklungsprozesses. Angesichts des geringen Kenntnisstands zu diesem Thema besteht die Zielsetzung in der Exploration von Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen im Kontext des Themas Migration. Auch fokussiert der Weiterbildungsdiskurs um differenzierungsreflexive Organisationsentwicklung bislang v. a. die Folgen und Wirkungen von Differenzierungen für die so kategorisierten Personen. Die vorliegende Arbeit nimmt demgegenüber die Perspektive der Differenzierenden und Kategorisierenden, d. h. der Weiterbildungsorganisationen selbst in den Blick und fragt, welche Differenzierungen Weiterbildungsorganisationen für ihre Teilnehmenden, Adressat:innen und (potenziellen) Mitarbeitenden verwenden.

Diese hier vorläufig formulierte forschungsleitende Fragestellung wird wie folgt bearbeitet. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit wird zunächst anhand seiner Ausgangspunkte im erziehungswissenschaftlichen Diskurs um Organisationsentwicklung und Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen verdeutlicht (Kap. 2). Wie bereits in diesem einleitenden Kapitel geschehen, vollzieht die Darstellung den Entwicklungsprozess dieses Erkenntnisinteresses ausgehend von der Thematik differenzierungsreflexiver Organisationsentwicklung (Kap. 2.1) über die Auseinandersetzung mit sozialkonstruktivistischen Perspektiven auf Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen (Kap. 2.2) bis zur Formulierung des Forschungsdesiderates und der forschungsleitenden Fragestellung (Kap. 2.3) nach.

Anschließend wird eine theoretische Rahmung für den Untersuchungsgegenstand der Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen als Ausgangssituation differenzierungsreflexiver Organisationsentwicklung entworfen (Kap. 3). Mit diesem Gegenstand greift die vorliegende Arbeit nicht nur die Desiderate einer sozialkonstruktivistischen Perspektive auf kategorisierende Differenzierungen in der Weiterbildungsforschung und der De-Essentialisierung und De-Migrantisierung von Migrationsforschung (vgl. Lang et al., 2021, S. 12) auf, sondern entwickelt auch einen Vorschlag für die organisationstheoretische Rahmung jener Ausgangssituation. Die Rezeption der zuvor genannten Ansätze der Organisationsentwicklung in der Weiterbildungsforschung zeichnet sich demgegenüber durch eine geringe organisationstheoretische Anbindung aus und nimmt überwiegend weder eine begrifflich-theoretische Fundierung des zugrundeliegenden Organisationsverständnisses, noch des Prozesses der Organisationsentwicklung sowie der in differenzierungsreflexiven Ansätzen der Organisationsentwicklung im Vordergrund stehenden sozial konstruierten Differenzierungen vor. Die vorliegende Arbeit greift für eine solche organisationstheoretische Rahmung auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns zurück. Diese erweist sich insofern als besonders geeignet, als sie ein „differenziertes Begriffsnetz für die Analyse komplexer interdependenter Phänomene“ (Hartz, 2011, S. 13) bereitstellt, das die theoretische Zusammenführung von Organisationen und Differenzierungen ermöglicht. Dazu wird zunächst der Phänomenbereich der (Weiterbildungs-)Organisation in systemtheoretischer Perspektive umrissen (Kap. 3.1), anschließend werden ausgewählte systemtheoretische Begrifflichkeiten zur Rahmung des Untersuchungsgegenstandes behandelt, und auf dieser Grundlage schließlich die Fragestellung der vorliegenden Arbeit reformuliert (Kap. 3.2). Differenzierungen durch Weiterbildungsorganisationen werden dabei in systemtheoretischer Perspektive als personenbezogene Umweltbeobachtungen der Organisationen gefasst. In Vorbereitung auf die Darlegung des methodischen Vorgehens werden schließlich epistemologische Grundannahmen einer systemtheoretischen Perspektive beschrieben, welche empirische Forschung als theoriegeleitete Beobachtung begreift (Kap. 3.3).

Die in diesem theoretischen Rahmen getroffenen forschungsmethodischen Entscheidungen orientierten sich an der Herausforderung systemtheoretisch informierter Forschung, die Empirie trotz der ex ante gewählten theoretischen Begrifflichkeiten für überraschende Ergebnisse offenzuhalten, sodass sie nicht lediglich theoriebestätigend wirkt (vgl. John, Henkel & Rückert-John, 2010b, S. 321 ff.). Als dahingehend besonders geeignet wird ein methodisches Vorgehen präsentiert (Kap. 4), das die Erhebungsmethode leitfadengestützter Expert:inneninterviews (Kap. 4.1) mit der Fallauswahl anhand eines qualitativen Stichprobenplans (Kap. 4.2) und der für die Datenauswertung gewählten dokumentarischen Methode (Kap. 4.3) kombiniert.

Die empirischen Erträge dieses Vorgehens werden entlang mehrerer aufeinanderfolgender Schritte dargelegt (Kap. 5). Zunächst werden im Rahmen der dokumentarischen Interpretation rekonstruierte Handlungsorientierungen im Handlungsfeld der Etablierung neuer Kursangebote präsentiert, welches Aufschlüsse über Differenzierungen von Teilnehmenden und Adressat:innen verspricht, sowie Handlungsorientierungen im Handlungsfeld der Personalakquise, das auf die Personengruppen der Mitarbeitenden und potenziellen Mitarbeitenden verweist (Kap. 5.1). Um einen empirischen Zugang nicht nur zu diesen Handlungsorientierungen, sondern auch zu den personenbezogenen Umweltbeobachtungen der Weiterbildungsorganisationen zu finden, wird anschließend eine Analyseheuristik für die theoriegeleitete Beobachtung der Handlungsorientierungen entworfen (Kap. 5.2), deren Anwendung mehrere distinktive Beobachtungen von Teilnehmenden, Adressat:innen und (potenziellen) Mitarbeitenden erbringt (Kap. 5.3). Zum Abschluss dieser Präsentation der empirischen Erträge werden diese Beobachtungen schließlich hinsichtlich ihrer Anwendung auf die verschiedenen Personengruppen, ihrer Abgrenzungsmerkmale zueinander und ihres zum Teil beobachtbaren gemeinsamen Auftretens resümiert (Kap. 5.4).

Im abschließenden Kapitel der vorliegenden Arbeit werden die Erträge der empirischen Untersuchung an den Forschungsdiskurs rückgebunden (Kap. 6). Nach einer Darstellung der Bezugspunkte dieser Erträge zu dem in Kap. 2 referierten erziehungswissenschaftlichen Diskurs und der Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellung in Form unterschiedlicher Beobachtungsperspektiven (Kap. 6.1) werden verschiedene Forschungsdesiderate ausgewiesen, die sich grundlagentheoretisch aus dem systemtheoretischen Rahmen der Arbeit ableiten lassen (Kap. 6.2). Schließlich wird in gegenstandstheoretischer Perspektive3 der Ausgangspunkt des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit wieder aufgegriffen, der im Diskurs um die differenzierungsreflexive Organisationsentwicklung von Weiterbildungsorganisationen zu verorten ist und mit einigen ersten Impulsen zur weiterführenden systemtheoretisch informierten Untersuchung und praktischen Umsetzung differenzierungsreflexiver Organisationsentwicklung in der Weiterbildung einlädt.

Details

Seiten
298
Erscheinungsjahr
2024
ISBN (PDF)
9783631911198
ISBN (ePUB)
9783631911204
ISBN (Hardcover)
9783631909782
DOI
10.3726/b21614
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Mai)
Schlagworte
Weiterbildung Erwachsenenbildung Weiterbildungsorganisation Organisationsentwicklung Migration Systemtheorie
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 298 S., 4 s/w Abb., 7 Tab.

Biographische Angaben

Eva Humt (Autor:in)

Eva Humt absolvierte ihr Studium der Erziehungswissenschaft an der Universität Münster und ist dort seit 2016 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft in der Arbeitsgruppe Erwachsenen- und Weiterbildung tätig. Sie lehrt und forscht zu den Themen Migration, Diversität und Organisationsentwicklung. Ihre Dissertation, die dieser Arbeit zugrunde liegt, wurde 2023 mit dem Wolfgang-Schulenberg-Preis ausgezeichnet.

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