Die Entwicklung des Verantwortungseigentums anhand der Carl-Zeiss-Stiftung unter Ernst Abbe
Summary
Der Begriff des Verantwortungseigentums wird seit einigen Jahren in der rechtspolitischen Debatte zu alternativen Unternehmens- und Eigentumsformen diskutiert. Dabei wird die Einführung einer eigenen Gesellschaftsform gefordert.
Die Dissertation widmet sich diesen Forderungen und den Entwicklungen des Verantwortungseigentums anhand der Carl-Zeiss-Stiftung und ihrer Stiftungsbetriebe Zeiss und Schott.
Dort wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine Form dessen, was Jurist:innen heute unter Verantwortungseigentum verstehen, kautelar-juristisch eingeführt und geprägt.
Ziel und Zweck der Arbeit war es, die Überschneidungen, Parallelen und Unterschiede der Rechtssubjekte zu untersuchen und der Frage auf den Grund zu gehen, ob das Verantwortungseigentum einer längeren Rechtstradition folgt oder eine rein zeitgenössische Idee ist.
Excerpt
Table Of Contents
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- A. Einleitung
- I. Gang der Arbeit
- II. Stand der Forschung
- B. Die Entwicklung des Verantwortungseigentums
- I. Vorgehensweise und Ziel
- II. Einführung
- 1. Frühe Entwicklungstendenzen
- 2. Die Familienfideikommisse
- 3. Der Ehrbare Kaufmann
- III. Das 19. Jahrhundert
- 1. Kodifizierungsbestrebungen
- 2. Die Einführung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung
- 3. Die Genossenschaften
- 4. Stiftungen im BGB
- IV. Das 20. Jahrhundert
- 1. Folkert Wilken –Pionier des Verantwortungseigentums?
- 2. Wirtschaftsrecht in der DDR
- V. Das 21. Jahrhundert
- 1. Gegenwärtige und aktuelle politische Rezeptionen
- 2. Studien zum Verantwortungseigentum
- 3. Kritik am Verantwortungseigentum
- VI. Fazit
- C. Das Verantwortungseigentum
- I. Definition
- II. Verantwortungseigentum de lege lata
- 1. Die GmbH
- 2. Stiftungen
- a. Die Einzelstiftungslösung
- b. Das Doppelstiftungsmodell
- c. Zwischenergebnis
- 3. Genossenschaften
- 4. Aktiengesellschaften
- 5. Personengesellschaften
- 6. Das Veto-Anteil-Modell
- 7. Ausländische Rechtsformen
- 8. Fazit
- III. Verantwortungseigentum de lege ferenda
- 1. Einführung
- 2. Der Gesetzesentwurf der GmbH-gebV als Beispiel
- a. Einbindung in das GmbHG
- b. Gesellschafter:innen
- c. Übertragung und Vererbung von Gesellschaftsanteilen
- d. Gesellschaftszweck
- e. Die dauerhafte Vermögensbindung
- (1) Sicherstellung der Vermögensbindung
- (2) Kontrollmechanismen der Vermögensbindung
- (3) Das Problem der Verbandssouveränität
- f. Auflösung, Austritt, Liquidation und steuerliche Aspekte
- g. Fazit
- IV. Zwischenergebnis
- D. Die Carl-Zeiss-Stiftung
- I. Einführung
- II. Vorbemerkungen zur Rechtslage
- 1. Das Stiftungsrecht im ausgehenden 19. Jahrhundert
- 2. Das Bürgerliche Recht im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach
- III. Vorgeschichte der Carl-Zeiss-Stiftung
- 1. Die Stadt Jena
- 2. Die Gründung der Optischen Werkstätte unter Carl Zeiss
- 3. Zur Person: Ernst Abbe
- 4. Zur Person: Otto Schott
- 5. Abbes Einstieg in die Firma Zeiss
- 6. Gründung des Ministerialfonds
- 7. Weitere Ereignisse
- IV. Die Denkschrift Abbes
- 1. Das Vermögen und die Verwaltung
- 2. Die Rolle der Firmen und der Universität Jena
- 3. Der vorläufige ‚Zeitrahmen‘
- 4. Die Gesellschafter
- 5. Der entscheidende rechtliche Vorstoß
- 6. Fazit
- V. Die Gründung der Carl-Zeiss-Stiftung 1889
- 1. Inhalt des Stiftungsstatuts von 1889
- 2. Der Erbeinsetzungsvertrag von 1889
- 3. Fazit
- VI. Die Übertragung der Unternehmensanteile
- 1. Das Ausscheiden von Roderich Zeiss
- 2. Vollendung der Übertragung
- VII. Das Stiftungsstatut der Carl-Zeiss-Stiftung von 1896
- 1. Einführung und Vorgehensweise
- 2. Titel I. Konstituierende Bestimmungen
- a. Zwecke der Stiftung
- b. Organe und Organisation
- 3. Titel II. Organisation der industriellen Tätigkeit der Stiftung
- 4. Titel III. Allgemeine Normen für die geschäftliche Tätigkeit der Stiftung
- 5. Titel IV. Reservefonds
- 6. Titel V. Rechtsverhältnisse der Angestellten in den Stiftungsbetrieben
- a. Arbeitnehmerrechte
- b. Pensionsrechte
- c. Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer
- d. Ende der Dienst- und Arbeitsverhältnisse
- 7. Titel VI. Regelung allgemeiner Interessen des Personals der Stiftungsbetriebe
- 8. Titel VII. Verwendung der Überschüsse
- 9. Titel VIII. Weitere Regelungen
- 10. Fazit
- VIII. Ernst Abbe als Gründer: Motive, Gedanken und Hintergründe
- 1. Arbeiter und arbeitsrechtliche Regelungen
- 2. Das Arbeitsmodell
- 3. Die Gewinnbeteiligung
- 4. Die Rolle des Unternehmertums
- 5. Öffentliche Wahrnehmung
- IX. Weitere Entwicklung der Stiftung
- 1. Die ersten Jahre nach Abbes Ableben
- 2. Die Wahrnehmung des Statuts zu Beginn des 20. Jahrhunderts
- 3. Die Zeit vom Kaiserreich bis in die Gegenwart
- a. Die Zeit der Weltkriege und deren Einfluss auf die Stiftungsbetriebe und die Stiftung
- b. Die Zeit der deutschen Teilung bis zur Wiedervereinigung
- c. Die Stiftungsreform 2004
- d. Das Statut der Carl-Zeiss-Stiftung heute
- (1) Die Allgemeine Direktive des Stiftungsstatuts nach der Reform
- (2) Das Arbeitsrecht nach der Reform
- (3) Weitere Regelungen
- 4. Fazit
- E. Ernst Abbe – Verantwortungseigentümer erster Stunde?
- I. Die Methode
- II. Der konkrete Vergleich
- 1. Die Rechts- und Ausgangslage
- 2. Das Erbrecht
- 3. Die Rolle des Vermögens
- 4. Kontrollmechanismen und Organe
- 5. Gesellschafter:innen
- 6. Die Rolle der Arbeitnehmer:innen
- 7. Purpose und Zweckgedanken
- III. Ergebnis
- F. Experteninterviews
- I. Die Rolle der Carl-Zeiss-Stiftung
- 1. Reform der Stiftung und des Stiftungsstatuts
- 2. Das Verantwortungseigentum aus der Perspektive der Carl-Zeiss-Stiftung
- II. Das Verantwortungseigentum
- 1. Die Entwicklung des Verantwortungseigentums
- 2. Weiterentwicklung der Ideen
- III. Das Verantwortungseigentum und die Carl-Zeiss-Stiftung
- 1. Die Einschätzung Streiters
- 2. Die Einschätzung Herbergers
- 3. Die Einschätzung Wagners
- G. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
- I. Ergebnisse in Thesen
- II. Schlussbetrachtung
- Literaturverzeichnis
- Gedruckte Quellen
- Archivquellen
- Internetquellen
Abkürzungsverzeichnis
Abs. |
Absatz |
AG |
Amtsgericht |
AGB |
Allgemeine Geschäftsbedingungen |
AktG |
Aktiengesellschaft |
Aut. |
Autor:in |
Begr. |
Begründer |
BMJ |
Bundesministerium der Justiz |
BMJV |
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz |
BSG |
Bundessozialgericht |
Bsp. |
Beispiel |
bzw. |
beziehungsweise |
ca. |
circa |
CIC |
Corpus Iuris Civilis |
CZS |
Carl-Zeiss-Stiftung |
d.h. |
das heißt |
ders. |
Derselbe |
entspr. |
entsprechend |
Erg. |
Ergebnis |
evtl. |
Eventuell |
gem. |
gemäß |
GmbH-gebV |
Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit gebundenem Vermögen |
GmbH-VE |
Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Verantwortungseigentum |
h.A. |
herrschende Ansicht |
i.d.F. |
in der Fassung |
i.d.R. |
in der Regel |
i.d.S. |
in diesem Sinne |
i.E. |
im Einzelnen |
i.e.S. |
im engeren Sinne |
i.R.d. |
im Rahmen der/des |
i.R.v. |
im Rahmen von |
i.Ü. |
im Übrigen |
i.V.m. |
in Verbindung mit |
i.W. |
im Weiteren |
KMU |
kleine und mittlere Unternehmen |
krit. |
kritisch |
lt. |
laut |
m.E. |
meines Erachtens |
mdl. |
mündlich |
n.F. |
neue Fassung |
s.o. |
siehe oben |
sog. |
sogenannte |
str. |
strittig |
teilw. |
teilweise |
u.a. |
unter anderem |
u.ä. |
und ähnliche |
umstr. |
umstritten |
Vorb. |
Vorbemerkungen |
z.B. |
zum Beispiel |
A. Einleitung
„Jene erste Erwägung geht aus von der Tatsache: daß der Besitz, über den ich gegenwärtig verfüge, und der Erwerb, den ich aufgrund bestehender Verträge in Zukunft erwarten kann, ganz wesentlich nur dadurch zustande gekommen sind, daß es mir und meinen Genossen möglich war, die Tätigkeit vieler anderer Personen dauernd in unseren Dienst zu stellen und den Ertrag ihrer Arbeit uneingeschränkt uns zunutze zu machen.“1
Ernst Abbe, im Jahr 1840 geboren, war im 19. Jahrhundert Reformer, Unternehmer, Wissenschaftler und Philanthrop. Mit der Gründung der Carl-Zeiss-Stiftung im Jahr 1889 und Umwandlung dieser zur ‚Unternehmensträgerin‘ der Betriebe Zeiss und Schott im Jahr 1896 reformierte er die Unternehmen, die Regelungen für die Angestellten und übte maßgeblichen Einfluss auf die Umgebung Jenas aus. Heute gilt er deswegen auch als Pionier des Verantwortungseigentums.2
Sein Einstieg in die Firma Zeiss3, die bis dahin als kleiner Handwerksbetrieb zur Fertigung von Mikroskopen tätig gewesen ist, führte zur rasanten Entwicklung auf dem Gebiet der Optik. Die Gründung der Carl-Zeiss-Stiftung im Jahr 1889 und die Einführung des Stiftungsstatuts 1896 verankerten viele seiner fortschrittlichen und progressiven Gedanken. Dadurch wurde die Stadt zum Forschungs- und Industriestandort für den Mikroskopbau und die optische Industrie.
Noch vor Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Carl-Zeiss-Stiftung so zur Unternehmensträgerin und ‚Eigentümerin‘ der Betriebe Zeiss und Schott4 in Jena. Durch die umfangreichen Regelungen des Stiftungsstatuts von 1896 manifestierten die Betriebe Zeiss und Schott eine Kreislaufwirtschaft, die neben der Beständigkeit und dem Wachstum der Betriebe auch die Belegschaft der Unternehmen sowie die Förderung von Technik und Wissenschaft in den Vordergrund rückte. Gewinnausschüttungen der Betriebe durften durch diese Regelungen ausschließlich der Stiftung zugutekommen und nicht durch Nachfolgegenerationen verändert oder ‚versilbert‘ werden.5
Mit dem Stiftungsstatut führte Abbe auch neue arbeitsrechtliche Regelungen in die Betriebe ein, wie beispielsweise den 8-Stunden-Tag6 oder ein Maximaleinkommen für alle Angestellten. Zusätzlich verankerte er die Förderung von Wissenschaft, Forschung und Gesellschaft durch die Carl-Zeiss-Stiftung im Stiftungsstatut. Das hatte nicht nur auf die Stiftungsbetriebe und die Belegschaft, sondern auch die Bevölkerung Jenas positive Auswirkungen.7
Heute haben die Carl Zeiss AG und die Schott AG gemeinsam mehr als 51.000 Mitarbeiter:innen in über 50 Ländern.8 Der Stiftungsbetrieb Zeiss und seine Tochterunternehmen erreichten in den Jahren 2020/2021 im Vergleich zum Vorjahr und trotz der globalen Pandemie eine Umsatzsteigerung von 20 %. Davon profitieren heute neben den Unternehmen und den Mitarbeiter:innen weiterhin die Stiftung und ihre Destinatäre.9 Das zeigt sich auch daran, dass die Carl-Zeiss-Stiftung in den Geschäftsjahren 2019/2020 rund 57.222.000 Euro und trotz der Pandemiejahre 2020/2021 weiterhin 40.005.000 Euro für Satzungszwecke ausgeschüttet hat.10
Diese bemerkenswerte Entwicklung hängt maßgeblich mit den Gründungs- und Reformgedanken Abbes zusammen, die heute als Vorbild auf dem Gebiet des Verantwortungseigentums gelten.11 Während Ernst Abbe bereits im späten 19. Jahrhundert versuchte, seine Vorstellungen umzusetzen, sind die Forderungen nach Verantwortungseigentum und einer Rechtsform für eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen neuere Entwicklungen.12
Verantwortungseigentum bezeichnet eine Form des Unternehmertums, die sich durch das Halten und Betreiben von Wirtschaftsunternehmen ohne persönliche Gewinnansprüche auszeichnet. Gesellschafter:innen behalten (wie üblich) die Leitungsmacht über das Unternehmen, ohne dabei auf die Unternehmensgewinne zugreifen zu können. Umsätze und Gewinne der Unternehmen in Verantwortungseigentum stellen Mittel zum Zweck dar und dürfen nicht einzelnen Gesellschafter:innen zugutekommen.13
Dazu kommt, dass Verantwortungseigentümer:innen ihre Nachfolge selbst gestalten wollen, sodass die automatische Vererbung von Gesellschaftsanteilen durch eine Entscheidung des Gesellschafterkreises ersetzt wird.14 Die Nachfolge im Unternehmen soll damit nicht von der Erbfolge kraft genetischer Verwandtschaft, sondern der Entscheidung der Gesellschafter:innen abhängen.15
Diese zwei unveränderlichen Prinzipien werden von der Stiftung Verantwortungseigentum16, mittels zweier Prinzipien dargestellt: die Vermögensbindung durch das Sinnprinzip und die sogenannte Werte- und Fähigkeitenfamilie als Selbstbestimmungsprinzip.17
Das Ziel der Verantwortungseigentümer:innen ist es, den Geist und die Leitung von Unternehmen permanent in die Hände motivierter Unternehmer:innen zu legen, die die Unternehmen leiten, gestalten und weiterentwickeln – jenseits persönlicher Vermögensmehrungsinteressen.18 Dennoch sind Unternehmen in Verantwortungseigentum Teil des Wettbewerbs und erzielen Gewinne, die reinvestiert oder gespendet werden. Während die Unternehmen zweckoffen gestaltet werden können, sollen ‚nur‘ die Vermögensbindung und die Nachfolgeregelung als unveränderliche Merkmale des Verantwortungseigentums bestehen bleiben.19
Mittlerweile gibt es in Deutschland über 200 solcher Unternehmen in Verantwortungseigentum, die zusammen mehr als 1,2 Millionen Mitarbeiter:innen beschäftigen und 270 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften.20 Bereits heute können Unternehmer:innen ihre Unternehmen in Verantwortungseigentum umwandeln oder ein solches direkt gründen. Das ist allerdings nur unter den Einschränkungen de lege lata21 möglich.
Die Vertreter:innen des Verantwortungseigentums fordern den Gesetzgeber deswegen dazu auf, den Numerus Clausus der Gesellschaftsformen durch die Einführung einer neuen Gesellschaftsform für Verantwortungseigentum zu erweitern. Sie meinen, dass die Rechtslage an ihre Grenzen stößt. Stiftungen, GmbHs, Genossenschaften und ausländische Rechtsmodelle würden dem Konzept des Verantwortungseigentums heute nicht mehr entsprechen.22
Unterstützer:innen der neuen Rechtsform haben aus diesem Grund in den Jahren 2020 und 2021 Gesetzesentwürfe veröffentlicht, zuletzt zur Einführung einer GmbH mit gebundenem Vermögen, der GmbH-gebV.23
Die Debatten zum Verantwortungseigentum gehen mittlerweile sogar über die Rechtswissenschaft hinaus: Auf politischer Bühne wird der Begriff immer häufiger besprochen und seit dem Jahr 2021 Inhalt des Koalitionsvertrages von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP.24
Auch Unternehmer:innen sprechen sich immer wieder öffentlich für die Einführung einer neuen Rechtsform für Verantwortungseigentum aus, jüngst im Juni 2023.25 Das Institut für Demoskopie Allensbach befragte im Jahr 2021 mehr als 400 Familienunternehmen zum Verantwortungseigentum. Die Studie ergab, dass bereits die Hälfte aller befragten Familienunternehmen mit dem Konzept des Verantwortungseigentums vertraut war und eine Umsetzung sogar in Betracht ziehen würde.26 Das zeigt, dass das Verantwortungseigentum nicht nur ein Konzept für junge Unternehmen und Start-ups ist, sondern auch für Familienunternehmen, wie die im Jahr 1846 gegründete Firma Zeiss, Alternativen bietet.
Obwohl das Verantwortungseigentum die Unterstützung prominenter Politiker:innen aus fast allen Parteien erhalten hat27, entsteht immer wieder der Eindruck, dass Kritiker:innen versuchen, eine Umsetzung zu verhindern, indem sie das Konzept politisieren.
Neben durchaus nachvollziehbaren Kritikpunkten28, wie Bedenken hinsichtlich verdeckter Gewinnausschüttungen, steuerlichen Fragen und Vermögen- sbindungsproblematiken, finden auch Scheindebatten statt29: Kritiker:innen negieren den Bedarf einer solchen Rechtsform für Verantwortungseigentum, da sie das Konzept als rein „zeitgenössisch“ und „en vogue“ betrachten.30 Solche Argumente hindern zielführende Debatten und missachten, dass das Verantwortungseigentum nicht nur ein zeitgenössischer Gedanke sein muss, sondern möglicherweise historische Vorläufer wie Ernst Abbe hat.
Ob Abbe bereits vor mehr als 130 Jahren Verantwortungseigentum implementierte, soll im Rahmen der Untersuchung beantwortet werden. Die Gründung der Carl-Zeiss-Stiftung könnte ein früher Beleg dafür sein, dass das rechtliche Konzept des Verantwortungseigentums bereits im 19. Jahrhundert eingeführt wurde.31
Bereits auf den ersten Blick tritt deutlich hervor, dass trotz der unterschiedlichen institutionellen Gestaltungen und Rahmenbedingungen sowohl die Carl-Zeiss-Stiftung unter Ernst Abbe als auch das Verantwortungseigentum heute ähnliche Ziele verfolg(t)en: Beide Ansätze streb(t)en nach langfristiger Unternehmensführung und dem Schutz vor externen Interessen. Die Transformation der vormals kleinen Werkstatt in Jena zum Weltmarktführer könnte dabei eng mit ihrer Umwandlung in die erste Unternehmensträgerstiftung32 und möglicherweise in Verantwortungseigentum zusammenhängen.
Die Stiftung und ihre Stiftungsbetriebe Zeiss und Schott sind nicht nur ein Zeugnis für weitreichende Regelungen in einer Zeit, in der die Kapitalisierung und Industrialisierung immer weiter voranschritt. Bis heute nehmen sie eine singuläre Rolle im Recht und in der Wirtschaft ein. Die Feststellung, ob und in welchem Umfang das Verantwortungseigentum durch Abbe rechtlich implementiert wurde, kann auch einen Beitrag zu der gegenwärtigen Diskussion über die Einführung einer solchen Gesellschaftsform leisten.
Inwiefern die Regelungen des Verantwortungseigentums und die der Carl-Zeiss-Stiftung miteinander vergleichbar sind und Parallelen aufweisen, muss die Überprüfung der rechtlichen Konzepte beider zeigen. Fragen zur Vergleichbarkeit möglicher Vermögensbindungen, der Nachfolgeregelungen und des Unternehmenszwecks sind aus einer rechtlichen Perspektive zu beleuchten und im Anschluss miteinander zu vergleichen.33
Details
- Pages
- 238
- Publication Year
- 2024
- ISBN (PDF)
- 9783631922682
- ISBN (ePUB)
- 9783631922699
- ISBN (Softcover)
- 9783631922552
- DOI
- 10.3726/b22044
- Language
- German
- Publication date
- 2024 (July)
- Keywords
- Gesellschaft mit gebundenem Vermögen Verantwortungseigentum Alternative Unternehmensformen Unternehmensrecht Gesellschaftsrecht Rechtsgeschichte Ernst Abbe Stiftungsrecht Carl-Zeiss-Stiftung Nachfolgeregelungen
- Published
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 238 S., 1 s/w Abb., 1 Tab.