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Territorialkonflikte im arktischen Raum aus seerechtlicher Sicht und unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen aufgrund der klimatischen Veränderungen

by Stephanie Wurnitsch (Author)
©2024 Thesis 472 Pages

Summary

Die Effekte der Klimaerwärmung sind in der geografisch nördlichsten Erdregion sehr stark ausgeprägt. Durch das Auftauen der Polkappen und des dadurch entstehenden „neuen Weltmeeres" wird die Exploration von vermuteten Bodenschätzen möglich. Die erwartete Exploration von Bodenschätzen welche im arktischen Meeresboden potenziell zu erwarten sind, veranlasst alle arktischen Anspruchsberechtigten ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in der Arktis zu intensivieren. Dementsprechend hat sich die Arktis nicht nur klimatologisch verändert. Vielmehr hat die arktische Region im vergangenen Vierteljahrhundert in rechtlicher, politischer, als auch wirtschaftlicher Hinsicht eine starke Modernisierung erfahren.
In dieser Arbeit werden die wesentlichen Einflüsse und realen Auswirkungen der mehrschichtigen arktischen Transformation erarbeitet und analysiert. Dabei steht die (see-) völkerrechtliche Aufteilung des arktischen Ozeans im Mittelpunkt. Zudem werden mögliche Koordinierungsformen der arktischen Völkerrechtssubjekte, die realpolitische Interessen verfolgen, aufgezeigt. Die Steigerung menschlicher Aktivitäten im arktischen Ozean können, neben dem Klimawandel selbst und der Luft- und Wasserverschmutzung aus weit entfernten Gebieten, die arktische Umwelt nachhaltig verändern. Damit ist der arktische Lebensraum insgesamt und insbesondere die traditionelle Lebensweise der arktischen Bevölkerung sowie das Überleben der dort lebenden Tierarten gefährdet. Entsprechend ist ein strukturiertes internationales Regime gefordert, um die zunehmenden Umweltschäden und Gefahren abzuwehren bzw. zumindest einzudämmen. Mit dieser Arbeit beabsichtigt die Autorin Grundzüge eines bewahrenden arktischen Umweltschutzregimes aufzeigen.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • II. Die arktische Transformation
  • III. Der seevölkerrechtliche Status der Arktis
  • IV. Die verschiedenen Ebenen des arktischen Rechts
  • V. Umweltvölkerrecht in der Arktis
  • VI. Conclusio
  • Rechtsprechungsübersicht
  • Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Die Effekte der Klimaerwärmung sind in der geografisch nördlichsten Erdregion sehr stark ausgeprägt.7 Durch das Auftauen der Polkappen und des dadurch entstehenden „neuen Weltmeeres“ wird die Exploration von vermuteten Bodenschätzen möglich.8 Diese Hoffnung veranlasst alle arktischen Anspruchsberechtigten ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in der Arktis zu intensivieren.9 Dementsprechend hat sich die Arktis nicht nur klimatologisch verändert. Vielmehr hat die arktische Region im vergangenen Vierteljahrhundert in rechtlicher, politischer, als auch wirtschaftlicher Hinsicht eine starke Modernisierung erfahren:

  • Nutzungsansprüche und Kontrollrechte des arktischen Ozeans und daran anschließende Gewässer sind im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ)10 völkerrechtlich aufgeteilt. Nach dem SRÜ haben Staaten mit ozeanischer Küste prinzipiell das Recht, Ressourcen der Wassersäule und des darunterliegenden Festlandsockels bis zu einer Entfernung von 200 Seemeilen von der Basislinie auszubeuten.11 Im Rahmen des Abkommens können daher sechs arktische Anrainerstaaten begrenzte souveräne Rechte in Teilen des Nordpolarmeeres ausüben.12 Da Island nach geografischen Maßstab als subarktischer Staat eingeordnet wird,13 verbleiben in einem engeren Sinne als arktische Anrainerstaaten das Königreich Dänemark (in der Folge Dänemark genannt), Kanada, das Königreich Norwegen (in der Folge Norwegen genannt), die Russische Föderation (in der Folge Russland genannt) und die Vereinigten Staaten von Amerika (in der Folge USA genannt).14 Die letztgenannten Staaten werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit auf ihre (teils selbst zugesprochene15) potenzielle Vormachtstellung untersucht.
  • Nach Nilsson und Koivurova sind politische Bedingungen, die den Frieden begünstigen und die Zusammenarbeit fördern, erforderlich, um wirtschaftlich Chancen in der Arktis realisieren zu können. Ein maßgebliches Ereignis zur erfolgreichen Institutionalisierung multidimensionaler Zusammenarbeit in der Arktis sehen sie im Ende des Kalten Krieges und der damit verbundenen politischen Öffnung ehemaliger Ostblockstaaten zu den Westmächten.16 Als Paradebeispiel der Bestrebungen für einen Interessenausgleich zwischen den Arktischen und nicht-arktischen Staaten sowie den indigenen Völkern ist der Arktische Rat17 zu nennen. Somit ist die nördlichste Region der Erde heutzutage von einer stabilen und institutionalisierten Kooperation der arktischen Völkerrechtssubjekte geprägt.
  • Ökonomische Entwicklungen und die absehbare Erschöpfung südlich gelegener Rohstoffreserven in Verbindung mit der Steigerung des intra- und interregionalem Warenverkehrs, lenken vermehrt den Blickwinkel auf die Arktis und deren Schifffahrtsstraßen.18 Insgesamt erleichtert das Auftauen der nördlichen Polkappe den Zugang zu dieser geografisch exponierten Region und schafft die stabile politische Lage in der Arktis. Dies geschieht seit Ende des Kalten Krieges und bietet weitere Anreize, um den Ressourcenabbau in diesem Fördergebiet voranzutreiben.19 Allerdings stellen wirtschaftliche Aktivitäten in der Region, beginnend vom Ressourcenabbau, bis hin zur Erschließung neuer Schifffahrtsrouten, eine eklatante Bedrohung für das arktische Ökosystem dar.20

Vorbehaltlich dieser Ausführungen zielt das Dissertationsvorhaben auf die wissenschaftliche Ausarbeitung nachfolgender Forschungsfragen ab:

  • Grundsätzlich gilt zu klären, wie der arktische Ozean völkerrechtlich aufgeteilt wird und welche Anspruchsberechtigten in diese Aufteilungsthematik einzubeziehen sind. Ist eine territoriale Gebietsabgrenzung nach dem internationalen Seevölkerrecht zielführend?
  • Wie hoch ist das tatsächliche Konfliktpotenzial im arktischen Raum? Welche Arten von Streitbeilegungsmethoden können bestehende territoriale Konflikte lösen und kann sich ein generelles System von territorialen Durchsetzungsmethoden etablieren?
  • Was ist arktisches Recht und wie wird er gebildet? Inwiefern reguliert die arktische Regierungsführung (Arctic-Governance) den betreffenden Raum? Welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen den verschiedenen Ebenen? Was sind die Hauptherausforderungen für die Verwirklichung und Umsetzung von Arctic-Governance-Normen in der Arktis? Inwieweit wirkt der Arktische Rat auf den legistischen Entscheidungsprozess ein? Sind die erlassenen (größtenteils) Soft Law Instrumente ausreichend, um allen Interessen der Anspruchsberechtigten im arktischen Raum gerecht zu werden?
  • Welche aktuellen Probleme bestehen und sind bereits potenzielle Herausforderungen für die Arktis identifizierbar? Kann etwaigen Vorzeigemodellen ein Lösungsansatz entnommen werden? Insbesondere richtet sich der Blickwinkel auf das südliche Pendant der Arktis. Welche Grundüberlegungen können dem Antarktis-Vertrag entnommen werden und in adaptierter Form in das arktische Rechtsregime implementiert werden?
  • Sind die indigenen Völker in ihrer traditionellen Lebensweise durch das arktische Recht ausreichend geschützt? Können sie die ihnen zustehenden Rechte durchsetzen? Wie groß ist die indigene Teilhabe am Entscheidungsprozess im arktischen Raum? Welche Faktoren fördern die Entwicklung der indigenen Vertretung in den nationalen und regionalen Regierungsführungen? Grönland strebt die volle Souveränität an, wodurch sich im Rahmen dieser Arbeit die Frage stellt, inwieweit diese Abspaltungsversuche völkerrechtskonform sind. Existieren parallele Abspaltungstendenzen im arktischen Raum?
  • Welche konkrete Bedrohung für die Umwelt geht vom Klimawandel für den arktischen Raum aus? Sind die aktuell geltenden Regelungen des Umweltvölkerrechts ausreichend, um die Umwelt im arktischen Raum zu schützen? Können die arktischen Rechtsnormen das arktische Ökosystem schützen?

Um diese Forschungsfragen zielführend beantworten zu können, teilt die Autorin die vorliegende Arbeit in vier Teilbereiche ein. Einführend dient eine räumliche Begriffsabgrenzung der Ermittlung des zu untersuchenden völkerrechtlichen Regimes. Die wesentlichen Einflüsse und realen Auswirkungen der mehrschichtigen arktischen Transformation werden erarbeitet und analysiert. Daran anschließend widmet sich der zweite Teilbereich einer umfassenden Darstellung der arktischen maritimen Meereszonen in einem seevölkerrechtlichen Kontext, um in einem Zwischenergebnis die seevölkerrechtliche Raumaufteilung in der Arktis darstellen zu können. Der dritte Teilbereich behandelt explizit das arktische Recht, als ein komplexes System von Interdependenzen. Mögliche Koordinierungsformen der arktischen Völkerrechtssubjekte, die realpolitische Interessen verfolgen, wollen gefunden werden. Dabei soll insbesondere der Untersuchungsgang indigene Territorialansprüche der arktisch-indigenen Völker die vorliegende Arbeit um eine menschenschutzrechtliche Komponente erweitern. Der letzte Teilbereich flankiert die völkerrechtliche Darstellung der Arktis aus einem umweltvölkerrechtlichen Blickwinkel. Die voranschreitende Klimaerwärmung bedingt ein Abtauen der nördlichen Polkappe und führt zu einem zunehmend eisfreien arktischen Ozean, welcher die Erschließung neuer Seewege für den Schifffahrtsverkehr ermöglicht als auch die Zugänge zu den arktischen Rohstoffgebieten erleichtert.21 Die Steigerung menschlicher Aktivitäten im arktischen Ozean kann, neben dem Klimawandel selbst und der Luft- und Wasserverschmutzung aus weit entfernten Gebieten die arktische Umwelt nachhaltig verändern. Damit ist der arktische Lebensraum insgesamt und insbesondere die traditionelle Lebensweise der arktischen Bevölkerung sowie das Überleben der dort lebenden Tierarten gefährdet. Entsprechend ist ein strukturiertes internationales Regime gefordert, um die zunehmenden Umweltschäden und Gefahren abzuwehren bzw. mindestens einzudämmen. Grundzüge eines bewahrenden arktischen Umweltschutzregimes will die Autorin mit dieser Arbeit aufzeigen.


7 Siehe Kapitel: II.4 Auswirkung der Klimaerwärmung.

8 Siehe Kapitel: II.5.1 Der arktische Rohstoffsektor und seine Exporte auf externen Märkten: Chancen und Risiken.

9 Siehe beispielsweise die Kapitel: II.5.2 Zwischenergebnis, IV Die verschiedenen Ebenen des arktischen Rechts, insbesondere IV.5.2 China.

10 United Nations Convention on the Law of the Sea, Montego Bay, 10.12.1982, 1833 United Nations Treaty Series No. 31363; Vgl. dazu die deutsche Fassung: Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, BGBl. 1995/885.

11 Marboe, Polargebiete, in: Reinisch (Hg), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts5, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung: Wien 2013, 504.

12 Ibid., 504.

13 König/Neumann, Streit um die Arktis, in: 56 Vereinte Nationen 1/2008, 20.

14 Scott/VanderZwaag, Introduction to Polar Law, in: Scott/VanderZwaag (Hg), Research Handbook on Polar Law, Edward Elgar Publishing: Cheltenham–Northampton 2020, 7.

15 Siehe Kapitel: III.3 Die Stellung der Arktischen Anrainerstaaten zum SRÜ.

16 Nilsson/Koivurova, Transformational Change and Regime Shifts in the Circumpolar Arctic, in: 7 Arctic Review on Law and Politics 2/2016, 184 f.

17 Siehe Kapitel: IV.4.1 Der Arktische Rat.

18 Humrich, Sicherheitspolitik im Arktischen Rat? Lieber nicht!, in: 33 Sicherheit & Frieden 3/2015, 143.

19 Girshovich, Wem gehört eigentlich der Nordpol?, in: Neue Zürcher Zeitung, 14.3.2007, https://www.nzz.ch/articlee3az2-1.38130 (22.9.2020).

20 Siehe Kapitel: II.5 Die arktische Wirtschaft: Chancen und Risiken.

21 Siehe Kapitel: II.4 Auswirkung der Klimaerwärmung, II.5 Die arktische Wirtschaft: Chancen und Risiken.

II. Die arktische Transformation

Eine genaue räumliche Definition der arktischen Region und ein historischer Abriss sollen neben der Behandlung der aktuellen klimatischen Entwicklung und dessen Einfluss auf die betreffende Wirtschaftsregion die Formulierungen der Transformation der Arktis „von einer Eiswüste zur machtpolitischen Arena“22 und einem „New Cold War“23 auf dessen Gültigkeit untersuchen.

II.1 Die geografische Eingrenzung der Arktis

325 vor Christus sind griechische Seefahrer erstmals in das nördlichste Gebiet der Erde vorgestoßen und bezeichneten die Region nach dem griechischen Wort árktos (übersetzt: Bär) als Land unter dem Sternbild des Großen Bären.24 Allerdings ist die geografische Eingrenzung des arktischen Raumes, entgegen der eindeutigen Wortherkunft, mehrschichtig und es existiert keine allgemein verbindliche Definition. Vielmehr haben sich, je nach Fokussierung, unterschiedliche räumliche Begriffsbestimmungen entwickelt.

Die Arktis ist eine Meeresfläche, umgeben von Kontinentalflächen mit teils engen Meeresverbindungen und Inseln.25 Eine rein nach landschaftlichen Merkmalen definierte Raumabgrenzung ist aufgrund der unterschiedlichen Verteilung der Landmassen ungeeignet. Vielmehr ist eine Abgrenzung nach individuellen Merkmalen gefordert.

Die mathematisch-astronomische Begrenzung durch den nördlichen Polarkreis steckt das Gebiet nach Einstrahlungs- und Energieverhältnissen ab.26 Dadurch wird der geografisch nördlichste Teil der Erde im Süden durch den nördlichen Polarkreis (66° 33’ nördliche Breite27) abgegrenzt. Nach dieser Begrenzungsmethode besteht die Arktis aus der nördlichen Polkappe, dem arktischen Ozean, sowie den angrenzenden souveränen Staaten: Russland, Kanada, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und den USA.28 Obwohl jedem Staat und jeder Arbeitsgruppe des Arktischen Rates freigestellt wurde die südlichste Abgrenzungslinie individuell zu bestimmen, legt die arktisweite Zusammenarbeit im Rahmen des Arktischen Rates den nördlichen Polarkreis als Kriterium für die Vollmitgliedschaft fest und werden damit nur jene Staaten zur Teilnahme an den Kooperationsförderungsmaßnahmen eingeladen, deren territorial zurechenbaren Gebiete, über den nördlichen Polarkreis liegen.29 Sinnvoll erscheint eine klimageografisch-landschaftsökologische Abgrenzung der Arktis. Die Entwicklung von Baumwuchs, die bei einem sommerlichen Energieertrag nach der 10 °C-Juli-Isotherme fehlt, dient hierbei als Maßstab.30 Die sogenannte Nordenskjöld-Linie hat unter den Wissenschaftlern eine gewisse Anerkennung erlangt, indem die Linie auf dem Land die 10 °C-Juli-Isotherme und die Waldgrenze kombiniert und für die Meeresflächen eine maximale Eisgrenze im Winter festlegt.31 Island liegt südlich des Polarkreises, jedoch nördlich der 10 °C-Juli Isotherme.32 Das „hegemoniale geopolitische Narrativ der Arktischen Fünf und deren geografische Darstellung der arktischen Region“ wird von Island abgelehnt und eine Umdeutung zu einer Aufnahme in den arktischen Kreis wird versucht, indem sich Island diskursiv als arktischer Küstenstaat behauptet.33 Als einziger subarktischer Staat34 bildet Island, zusammen mit den arktischen Nichtküstenstaaten Finnland und Schweden und den arktischen Küstenstaaten die Arktischen Acht. Diese Staaten schaffen eine politische Ordnung, die durch institutionelle Mechanismen in der Region bestätigt wurden.35

Bei der Zusammenführung der verschiedenen Abgrenzungsmethoden ergibt die geografische Darstellung der Arktis „ein asymmetrisches Bild mit relativ polnaher Lage im nordostatlantischen Sektor und relativ südlichen Lagen im ostkanadischen und beringschen Bereich“.36 Damit erstreckt sich die arktische Region auf ungefähr ein Sechstel der gesamten Erdoberfläche.37 Für die vorliegende Arbeit erscheint es angemessen die Arktis als eine Berührungszone zwischen den Kontinenten Europa, Asien und Nordamerika zu verstehen. Welche kontinentalen Gebiete nicht mehr zur Arktis gerechnet werden, ist in der vorliegenden Abhandlung bedeutungslos, da die definierten Forschungsfragen die seewärtige Gebietsabgrenzung des arktischen Ozeans behandeln.

II.2 Physiografie des arktischen Ozeans38

Im Zentrum des abgegrenzten arktischen Gebiets liegt der arktische Ozean, der mit einer Fläche von rund 14 Millionen km2 der kleinste und flachste Ozean des Planeten ist.39 Der arktische Ozean ist nahezu ringförmig von den Festlandsockeln umschlossen und in dessen Mitte werden die beiden Haupt-Tiefseebecken, das eurasische-Becken und das amerasische-Becken, durch den Lomonossow-Rücken getrennt.40 Die einzige Tiefenwasserverbindung zu den Weltmeeren ist die Framstraße.41 Damit setzt sich der Meeresboden des arktischen Ozeans zu etwa einem Viertel aus den jeweiligen Festlandsockeln zusammen und ist dieser prozentuelle Wert der höchste unter allen Weltmeeren.42 Anhand ebendieser Darstellung in Kombinationen mit den nachfolgenden Ausführungen zur möglichen Inanspruchnahme eines erweiterten Festlandsockels43 ist erkennbar, wie umfangreich die küstenstaatliche Souveränität im arktischen Ozean sein könnte.

Um rechtmäßige territoriale Inanspruchnahmen erweiterter Festlandsockel im arktischen Ozean identifizieren und auf potenzielle Überschneidungen untersuchen zu können, ist eine physiografische Darstellung der arktischen Rückensysteme gefordert.

Der Lomonossow-Rücken verläuft zwischen den Neusibirischen Inseln in Russland quer über dem Nordpol bis zur Ellesmere-Insel nahe Grönland über eine Länge von 1.800 Kilometern und erreicht eine Höhe von bis zu 3.700 Meter über den Tiefseeboden.44 Der Lomonossow-Rücken ist ein charakteristisches Merkmal des arktischen Ozeans, indem er ihn gewissermaßen teilt.

Da sich das Gebirge durch das gesamte arktische-Becken zieht, versuchen die arktischen Anrainerstaaten Russland, Dänemark und Kanada nachzuweisen, dass der betreffende Gebirgsrücken eine geologische Fortsetzung des jeweiligen Festlandsockels ist.45 In den Jahren 2011–2014 konzentrierten sich seismische Untersuchungen von Russland, insbesondere auf den Lomonossow-Rücken.46 Die gesammelten Daten der bedeutendsten Strukturkomplexe belegen nach Kaminsky, Piskarev, Poselov und Mosher überzeugend die ununterbrochene Fortsetzung des Lomonossow-Rückens durch das eurasische-Becken bis zum Kontinentalrand von Grönland und der Ellesmere-Insel, da die Struktur der Formationen des Meeresbodens in die nur wenig oder gar keine seismische Energie eindringen kann, sich wesentlich von Regionen mit ozeanischen Krusten, wie beispielsweise im Amundsen-Becken, unterscheiden.47 Auch folgern Kaminsky, Piskarev, Poselov und Mosher, dass das Podvodnikov-Becken, dessen Außengrenzen an den Lomonossow- und Mendelejew-Rücken anschließen, sich nach den russischen Forschungsergebnissen auf dessen Kontinentalkruste befindet.48

Parallel zum Lomonossow-Rücken liegt im eurasischen-Becken der Gakkel- Rücken, welche somit die beiden Subbecken schaffen: Das Nansen-Becken und das Amundsen-Becken.49 Anhand der gewonnenen Forschungsergebnisse, die im Rahmen eine interdisziplinäre Expedition mit zwei Eisbrechern unter anderem Gesteinsproben des Gakkel-Rückens entnommen hat, schließt Schlindwein, dass die Erdkruste des untersuchten Bereichs stark von einer dünnen Kruste mit vielen vulkanischen Strukturen, bis hin zu Erdmantelgestein, das sich direkt am Meeresboden befindet, variiert. Die Ergebnisse belegen, dass die ungleiche Verteilung von Schmelze des Gakkel-Rückens geophysikalisch bewiesen werden konnten.50

Der Komplex des Alpha-Mendelejew-Rückens teilt den amerasischen Teil des arktischen Ozeans in das Makarov-Becken und das kanadische-Becken.51 Ergebnisse von Rayleigh-Wellen-Gruppengeschwindigkeitsbestimmungen im südlichen Alpha- und im Mendelejew-Rücken deuten nach Jackson und Chian auf eine intermediäre Natur zwischen kontinentaler und ozeanischer Kruste hin.52 Allerdings weisen die geologischen Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des Alpha-Mendelejew-Rückens nach Oakey und Saltus große Unterschiede auf, da das Basaltmaterial, welches aus Gesteinsproben des Alpha- und Mendelejew-Rückens entnommen wurden, grundsätzlich zwei Altersgruppen belegen, die zwischen 130 und 120 Megaanum (Ma) oder zwischen 90 und 80 Ma liegen. Insgesamt schlussfolgern Oakey und Saltus, dass dieser Teil des arktischen Ozeans noch nicht in befriedigender wissenschaftlicher Weise erforscht worden ist, um gesicherte Forschungsergebnisse zu erhalten.53

Der Northwind-Rücken befindet sich im arktischen Ozean zwischen dem 73. und 79. Breitengrad und ist Teil der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Vereinigten Staaten.54 Der Hang des Northwind-Rückens wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit Fächerecholot-Systemen kartiert und diese Daten belegen, dass die Steigung des Northwind-Rückens in Richtung der kanadischen Tiefseeebene sehr steil ist und mehrere Abschnitte eine Neigung von größer 10 Grad über einen Tiefenunterschied von 3.000 Metern aufweisen.55

Die USA, Russland, Kanada und Dänemark messen der Abgrenzung ihrer arktischen Festlandsockel eine nationale Bedeutung bei.56 Trotz alledem ist nach Brosnan, Leschine und Miles speziell bei geologischen Forschungsmissionen ein Weg internationaler Zusammenarbeit zu finden, da die Kartierung der Topografie der Festlandsockel und deren Sedimenteigenschaften sowie die Aufbereitung der technischen Daten eine teure und herausfordernde Aufgabe ist, welche neben mehreren Techniken zur Gewinnung von seismografischen Daten im arktischen Ozean auch typischerweise zwei Schiffe erfordert, von denen eines Kartierungsaufgaben übernimmt und das andere Eisbrecherdienste leistet.57 Um wirtschaftlich und wissenschaftlich effizient zu arbeiten, müssen nach Brosnan, Leschine und Miles die arktischen Staaten ihre Forschungsaktivitäten koordinieren und insbesondere kooperative Lösungen zu Vermessungsgeräten und Schiffsausrüstungen finden. Gleichzeitig weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die eisfähigen Forschungsflotten der meisten arktischen Staaten in die Jahre gekommen sind und die Schiffszeit ein knappes wirtschaftliches Gut ist.58 In diesem Kontext ist auf die großen russischen Investitionen in den Bau von Eisbrechern zu verweisen.59

II.3 Historischer Abriss

Der Mensch erschloss die arktischen Gebiete größtenteils zu Fuß, indem er vor etwa 45.000 Jahren, aus Nordafrika kommend, Sibirien besiedelte und von dort über eine Landbrücke nach Nordamerika wanderte.60 Im hohen Norden Europas wird vermutet, dass Wanderungsströme von Kontinentaleuropa erfolgten, nachdem die großen Eisschilde der jüngsten Eiszeit geschmolzen waren.61 Auch in Grönland erfolgte eine Besiedelung nach Ende der jüngsten Eiszeit.62

Jahrhundertelang fehlten die wissenschaftlichen Kenntnisse und eine geeignete technische Ausrüstung, um die Arktis und speziell den geografischen Nordpol erreichen und erforschen zu können. Erst im späten 19. Jahrhundert war der technische Fortschritt so weit vorangeschritten, dass ernsthafte Versuche unternommen werden konnten, den geografischen Nordpol zu erreichen.63 Zuvor beharrten renommierte Wissenschaftler, darunter auch der deutsche Kartograf Petermann64 darauf, dass sich ein schiffbares Polarmeer hinter einem Treibeisgürtel befände.65

Wie der derzeit medial beschriebene Wettlauf um arktische Ressourcen und die Vormachtstellung in der Region,66 wird auch die Entdeckung des Nordpols zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Wettlauf tituliert.67 Die polaren Expeditionsreisen wurden von einem aufkeimenden Nationalismus angetrieben,68 wobei die Amerikaner Cook (1908) und Peary (1909), ohne ernstzunehmende Beweise und mit unrealistischen Angaben, jeweils behaupteten den Nordpol als Erster erreicht zu haben.69 Schlussendlich erklärte der amerikanische Kongress Peary aufgrund seiner höheren gesellschaftlichen Stellung als „Sieger“.70 Der erste Überflug der Arktis erfolgte bereits 1926 durch das Luftschiff Norge, unter der Führung des Norwegers Amundsen und seinen Begleitern, den Italiener Nobile und den Amerikaner Ellsworth.71 Das amerikanische atomar betriebene U-Boot Nautilus 1958 unter Kapitän Anderson erreichte erstmals den geografischen Nordpol bei der Unterquerung der Arktis.72 Schlussendlich betraten erst am 20. April 1968 nachweislich die ersten Menschen unter der Führung des Amerikaners Plaisted den geografischen Nordpol auf dem Land.73

Während der ehemalige US-Präsident Taft, der zur Zeit des Wettlaufs zum Nordpol zwischen Peary und Cook staatliches Oberhaupt der beiden Amerikaner war, keine Verwendungsmöglichkeit für den Nordpol sah,74 ist die Arktis nunmehr in den Mittelpunkt des globalen Wettkampfs um größtenteils arktische Ressourcen gerückt.75 Die Autorin kommt zum Ergebnis, dass sich ein Entwicklungsprozess von einer unbedeutenden Eiswüste zu einem politisch und wirtschaftlich umkämpften Gebiet vollzogen hat.

Internationale Aufmerksamkeit hinsichtlich der arktischen Sicherheitsfrage erlangte das Jahr 2007 mit dem russischen Flaggenhissen auf dem Meeresgrund des geografischen Nordpols.76 Obwohl die russische Aktion ohne praktische Auswirkung war, symbolisiert dieser Akt den Wendepunkt geopolitischer Gegebenheiten des arktischen Gebiets, in dem das Interesse an der Arktis unter den politischen Entscheidungsträgern verschoben wurde und neue politische Erklärungen und Initiativen von den Arktischen Acht, als auch der Europäischen Union (EU) und der Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO) veröffentlicht beziehungsweise ergriffen wurden.77 Seit 2013 heizen wachsende Spannungen zwischen Russland und dem Westen, insbesondere wegen des Ukraine-Konflikts, die geopolitische Situation in der Arktis aufgrund westlicher Sanktionen gegen Russland weiter an.78 Beispielsweise wurde 2015 die russische Verteidigungsbereitschaft unter dem Oberbefehl des Arctic Joint Strategic Command, welches Teil der russischen Streitkräfte ist, in der Arktis demonstriert und dienten die neu entstandenen Bedrohungen und Risiken im Hohen Norden laut Haftendorn als russische Begründung für das große Militärmanöver.79

Die Autorin kommt zusammenfassend zum Ergebnis, dass sich der arktische Raum von einer unerschlossenen und uninteressanten Region, zu einem umkämpften Gebiet globalen Interessens gewandelt hat. Die wesentlichen Treiber dieser Transformierung sollen die nachstehenden Abschnitte dieses Kapitels aufzeigen.

II.4 Auswirkung der Klimaerwärmung

Als eine der am stärksten gefährdeten Teile der Welt und als wichtiger Faktor des Klimasystems, wird die Arktis daher als Frühwarnsystem und lebendiges Labor für die Auswirkungen des Klimawandels eingesetzt.80 Die polaren Eismassen verringern sich aber nach Summerhayes, Zalasiewicz, Vidas und Williams nicht nur aufgrund der erhöhten Lufttemperatur an der Oberfläche, sondern führen zu einer Erwärmung des Meerwassers und auch auf der Unterseite der Eismassen zu dessen Schmelze. Damit erwärmen sich die Ozeane bedeutend schneller und diese Wärme kann schwerer entweichen als dies in der Atmosphäre der Fall ist. Anhand dieser Forschungsergebnisse gehen die genannten Wissenschaftler davon aus, dass die Ozeane in den letzten Jahrzehnten rund 90 % der zusätzlichen Erdwärme absorbiert haben und schätzen die Angleichung der so entstandenen unterschiedlichen Temperaturschichten in den Ozeanen bis zur vollen Meerestiefe auf tausend Jahre.81 Sobald sich die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre stabilisiert haben wird es nach Summerhayes, Zalasiewicz, Vidas und Williams dementsprechend ähnlich lange dauern, bis sich die Ozeantemperatur und die Atmosphärentemperatur angeglichen hat und verlängert sich dieser Prozess in der arktischen und antarktischen Kryosphäre entsprechend.82

Bereits 2004 berichtete das Arctic Climate Impact Assessment, dass die durchschnittliche flächenmäßige Ausdehnung des arktischen Eispanzers im Sommer während der letzten dreißig Jahre um 15–20 % abgenommen hat und dass sich die Masse des verbleibenden Eises damit um 10–15 % reduziert hat.83 Die jährlich geringste Meereiskonzentration ist prinzipiell im Monat September gegeben und erreichte vergleichsweise im Jahr 2021 die geringste Meereiskonzentration im September eine mittlere Ausdehnung von 5,04 Mio. km2, im September 2020 4,01 Mio. km2 und 2019 4,44 Mio. km2.84 Jedoch weisen die Massenbilanzen der Coupled Model Intercomparison Project phase 3 climate models nach Holland, Serreze und Stroeve eine große Streuung zwischen den Modellen auf, da das jährliche Eiswachstum und der Schmelzbereich um einen Faktor von zwei bis drei abweichen und die Länge der Schmelzsaison zwischen drei und fünf Monaten variiert bzw. bei einigen Modellen sogar bis in den November hineinreicht.85 Gemeinsam ist den Modellen jedenfalls, dass im Laufe des 21. Jahrhunderts alle Modelle eine Abnahme des Eisvolumens infolge einer erhöhten jährlichen Nettoschmelze aufzeigen.86 Holland, Serreze und Stroeve gehen davon aus, dass das relative Gleichgewicht zwischen der Veränderung der Eisschmelze und des Eiswachstums eng mit der Entwicklung der Eisdicke im Spätsommer verbunden ist, da Modelle mit kleinerem Sommereisrückzug typischerweise eine größere Streuung in der Eisdickenverteilung im Frühjahr aufweisen und sprechen damit dicken Eisregionen einen stabilisierenden Effekt zu.87 Damit kommen die Wissenschaftler zum Ergebnis, dass sich Zeitpunkt des Übergangs von der mehrjährigen zur saisonalen Eisdecke in der Arktis, aufgrund die unterschiedlichen Entwicklungsfaktoren der Eisdichte, schwer prognostizieren lässt.88

II.5 Die arktische Wirtschaft: Chancen und Risiken

Die formelle marktorientierte Wirtschaft in der arktischen Region ist eng begrenzt auf natürliche Ressourcen, die erneuerbare und nicht erneuerbare Art sind.89 Demgegenüber sichert die arktische Bevölkerung ihre Existenzgrundlage zu erheblichen Teilen im informellen Marktsegment, welches die traditionellen Wirtschaftsformen der Jagd, des Fallenstellens und des Sammelns beinhaltet und hält die Subsistenzwirtschaft einen nicht zu verkennenden Anteil der arktischen Wirtschaft, da die arktischen Einzelhaushalte ihr Einkommen aus einer Mischung von Lohnbeschäftigungen und Subsistenzaktivitäten beziehen.90 Insbesondere in der nordamerikanischen und russischen Arktis sind die Gemeinden von relativ autonomen Subsistenzwirtschaften geprägt, die nicht in die formellen Marktsegmente integriert sind und nur im geringen Maße Produkte herstellen, die in anderen Regionen nachgefragt werden.91 Dahingehend beschreibt der Arctic Human Development Report von 2014 die Arktis in ökonomischer Hinsicht als Region unterschiedlicher Wirtschaftssysteme mit ähnlichen Merkmalen.92

Vorausschickend auf den folgenden Abschnitt ist einer der wichtigsten Impulse für die arktische formelle Marktwirtschaft zu nennen: der primäre Rohstoffsektor und seine Exporte auf externen Märkten. Die vorliegende Arbeit fokussiert sich in wirtschaftlicher Hinsicht auf ebendiese Marktsegmente und lässt die übrigen arktischen Industriezweige grundsätzlich außer Acht. Trotzdem will ein kurzer Verweis auf die arktische Fischerei und Tourismusbranche einer umfassenden Darstellung des arktischen Wirtschaftsraums gerecht werden.

Die erweiterten Chancen durch das Auftauen von meterdicken Packeisflächen und die nach Norden ziehenden Fischschwärme implizieren große wirtschaftliche Chancen.93 Bereits zum jetzigen Zeitpunkt fischen Fangflotten auf dem 80. Breitengrad und sollte der Nordpol künftig im Spätsommer eisfrei sein, könnte auch dort gefischt werden.94 Jedoch sind die Auswirkungen der Klimaerwärmung, wie das vorangegangene Kapitel belegt, ungewiss und schwierig zu prognostizieren. Eine gewisse Übereinstimmung der Forschungsergebnisse besteht dahingehend, dass kommerzielle Fischbestände und Aquakulturen durch den Temperaturanstieg begünstigt werden und diese Entwicklung zu geografischen Verschiebungen der Fischfänge führt.95 Daneben profitiert die Tourismusbranche von den erweiterten Möglichkeiten in der Arktis aufgrund des Abtauens der nördlichen Polkappe. Luxuskreuzfahrten werden angeboten und die Nachfrage ist exponentiell.96 Denkt man an die erheblichen Risiken, die der Massentourismus für die sozialen Gefüge und für die Umwelt mit sich bringt, ist auf die negativen Auswirkungen der Touristenströme hinzuweisen.97 Auch ist zu bedenken, dass die Tourismusbranche im arktischen Raum unterschiedlich ausgeprägt ist und dementsprechend die wirtschaftlichen Chancen und Risiken ungleich verteilt sind.98

II.5.1 Der arktische Rohstoffsektor und seine Exporte auf externen Märkten: Chancen und Risiken

Insgesamt ist die Bergbauindustrie ein wichtiger Industriezweig für alle arktischen Staaten.99 Diese Arbeit legt den wirtschaftlichen Fokus auf die potenzielle Offshore-Förderung der Energiestoffreserven von Kohlenwasserstoffe und vernachlässigt die Bergbauindustrie auf dem arktischen Festland. Nachstehend soll die Sachverhaltsdarstellung der arktischen Erdöl- und Erdgasindustrie Prognosen über ein außergewöhnliches wirtschaftliches Potenzial im arktischen Ozean (rund 13 % der weltweit unentdeckten Erdöl- und 30 % der unentdeckten Erdgasressourcen100) auf ihre Gültigkeit untersuchen und etwaige Herausforderungen aufzeigen.

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt finden rund 10 % der weltweiten Erdöl- und 25 % der weltweiten Erdgasförderung nördlich des Polarkreises statt.101 Mit mehr als 400 Förderfeldern bezieht sich dieser prozentuelle Wert jedoch überwiegend auf die Onshore-Förderung von Erdöl und -gas.102 Im arktischen Ozean selbst ist demgegenüber nur ein geringes Ausmaß an wirtschaftlicher Aktivität messbar.103 Die zukünftige Offshore-Fördermenge werden, nach dem Gutachten der US-Geological Survey, auf bis zu 90 Milliarden Barrel technisch förderbares Erdöl, 1.669 Billionen Kubikfuß Erdgas und 44 Milliarden Barrel Erdgaskondensate geschätzt.104 Die größten unerschlossenen Erdölressourcen werden nach Gautier u. a. um die Küste Alaskas, sowie in dessen Nähe, im nördlichen Barents-Becken, um die sibirische Insel Nowaja Semlja und nordwestlich und nordöstlich von Grönland erwartet. Auch die größten unerschlossenen Erdgasressourcen konzentrieren sich in geringem geografischer Nähe zu diesen Gebieten in der südlichen Karasee, sowie dem südlichen und nördlichen Barents-Becken und um die Küste Alaskas.105 Damit konzentrieren sich die potenzielle arktischen Erdöl- und Erdgasressourcen größtenteils innerhalb unbestrittener Hoheitsgewässer der arktischen Anrainerstaaten.106 Auch zukünftig bleiben die tiefen ozeanischen Becken im arktischen Ozean ohne Prospektion, da sich die potenziellen Fördergebiete auf die arktischen Festlandsockel konzentrieren.107

Durch die vorangehende Klimaerwärmung und der damit verbunden eklatanten Verringerung der Meereisbedeckung, ist ein erleichterter Zugang zu diesen potenziellen arktischen Ressourcen möglich und verstärken verringerte Explorationskosten und Transportkosten zum Absatzmarkt die Wahrscheinlichkeit eines Aufschwungs der arktischen Erdöl- und Erdgas-Branche.108 Daneben wecken die kontinuierlich hohen Rohstoffpreise das staatliche Interesse neue Fördergebiete zu erschließen.109

Besonders wichtig sind die Erdöl und -gas Ressourcen für die arktischen Länder Russland, Kanada, Norwegen und die USA, wohingegen Island, Finnland und Schweden keine eigene Inlandsproduktion besitzen.110 Grönland wiederum gilt als arktische Region mit dem größten unentdeckten Erdöl- und Erdgasvorkommen.111 Seit den 1970-er Jahren haben Mineralölunternehmen und Forschungsprojekte zahlreiche seismologischen Daten des westgrönländischen Festlandsockel gesammelt und insbesondere die Lizenzierungsrunden der grönländischen Regierung von 2001 bis 2004 haben dazu geführt, dass in den küstennahen Gebieten südwestlichen von Grönland Offshore-Erkundungs- bohrungen durchgeführt wurden.112 Mittlerweile existieren 27 Offshore- Bohrlöcher im Westen von Grönland und weitere 10 Bohrlöcher liegen direkt auf dem Festland.113 Allerdings konnten nach mehreren durchgeführten Probebohrungen und Vergabeverfahren von Explorationslizenzen keine Vorräte in kommerzieller Größenordnung gefunden werden.114

Da Russland den Löwenanteil arktischer Energieressourcen hält115 und die im Oktober 2020 veröffentlichte, neue russische Arktisstrategie bis 2035116 in Art. 12 lit. c insbesondere Investitionen in die Förderung von Erdöl- und Erdgas in der Arktis verfolgt, nützt die Autorin die Gelegenheit die herausragende Stellung ebendieses Industriezweigs für die russische Regierungsführung aufzuzeigen und auf die Kooperationsbemühungen mit Arktischen und nicht- arktischen Staaten hinzuweisen. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit will untersucht, ob die regionalen Behörden im russischen Lizenzierungssystem eine wesentliche Entscheidungskompetenz besitzen und der russische Ausbau der Erdöl- und Erdgasförderung indigene Territorialrechte ausreichend garantiert.117

Allein im westsibirischen-Becken werden Russlands unentdeckte Erdöl- und Erdgasvorkommen nach Angaben des US-Geological Survey auf rund 132,570.00 million barrels of oil equivalant. geschätzt und ist diese Bewertungseinheit mit Abstand die bedeutend größte im arktischen Raum.118 Russische Experten behaupten ferner, dass die potenzielle Offshore-Lagerstätten des russischen arktischen Ozeans rund 52 Milliarden Tonnen and Erdöl und Kondensaten (rund 371 Milliarden Barrel) und 90 Milliarden m3 Erdgas (rund 3.200 Milliarden Kubikfuß) fassen119 und ist dieser Wert bedeutend größer als das amerikanische Pendant.120

2020 war Russland der drittgrößte Rohölproduzent und Erdgasproduzent weltweit.121 Russlands Ziel das derzeitige Produktionsniveau zu halten bzw. zu steigern, erfordert Funde neuer Lagerstätten an Erdöl- und Erdgasressourcen und legt Russland naheliegend seinen Fokus auf die Arktis.122 2020 wurde im Rahmen der Einführung neuer Gesetze hinsichtlich der staatlichen Unterstützung unternehmerischer Tätigkeiten in der russischen Arktis ebendieses Gebiet mit 5 Millionen km2 zur größten Sonderwirtschaftszone der Welt erklärt.123

Da Russland in der Vergangenheit seine Investitionen auf Pipeline Lieferungen nach Europa konzentriert hatte, schloss man sich dem globalen Flüssigerdgas- Boom (Liquified Natural Gas, LNG) nur langsam an.124 Im Kontext dieser Arbeit ist insbesondere das russisch-norwegische Kooperationsbemühen in der Barentssee zur Erdgasförderung interessant. Das bereits 1988 entdeckte Gas-Kondensat-Feld Shtokmanovskoye (Shtokman) befindet sich im zentralen Teil des russischen Sektors der Barentssee, etwa 600 Kilometer nordöstlich von Murmansk und sind dessen Lagerstätten mit 3,9 Billionen Kubikmeter Gas immens.125 Erst 2007 wurde erstmals eine Entscheidung über das Gasfeld getroffen und zum Aushängeschild der russischen LNG Förderung erklärt. Trotzdem sich Gazprom unter anderem mit Norsk Hydro zusammenschloss und dem norwegischen Unternehmen einen Anteil von 24 % übertrug, blieben die Produktionslizenzen und Vermarktungsrechte unter der Kontrolle von Gazprom.126 Allerdings haben weder die amerikanische noch die europäische Wirtschaft die Erträge aus dem Shtokman-Gasfeld abgenommen und konnte daher kein geeigneter LNG Absatzmarkt gefunden werden.127 2013 wurde das Gasfeld schließlich eingestellt und hat das Unternehmen Norsk Hydro die Beteiligungsstruktur zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen.128 Nach Katona erscheint es ist wahrscheinlich, dass das Shtokman-Gasfeld auch in der nahen Zukunft, das größte eingeschlossene Gasfeld der Welt bleiben wird, bis ein geeigneter LNG Absatzmarkt gefunden werden kann.129

Demgegenüber wurde Russlands LNG-Anteil am globalen Markt 2018 auf 8 % angehoben, als das russische Unternehmen Novatek PJSC, welches als größter russischer LNG-Produzent gilt, seine Anlage auf der Jamal- Halbinsel in Betrieb genommen hatte und vorzeitig seine Kapazitäten ausschöpfen konnte.130 Um das hergestellte Produkt an Märkte liefern zu können, die Tausende von Kilometern entfernt in Europa und Asien liegen, benötigt das Unternehmen allerdings die Unterstützung von globalen Investoren.131 Dementsprechend sind die neben dem russischen Unternehmen Novatek PJSC mit 50,01 % und dem französischen Unternehmen Total SE mit 20 %, die chinesischen Unternehmen China National Petroleum Corp. (CNPC) mit 20 % und die Silk Road Fund mit 9,9 % am Joint Venture-Projekt Yamal LNG beteiligt.132 Weitere Projekte sind in Planung: Das russische Unternehmen Gazprom verhandelt mit dem Unternehmen CNPC aktuell ein riesiges Pipeline-Projekt (Sila Sibiri 2), das zukünftige Fördergebiete im Norden Sibiriens mit Westchina verbinden könnte.133

Die Kooperationsbemühungen russischer Unternehmen mit westlichen und asiatischen Partnern, die häufig als Joint Venture-Verbindungen ausgestaltet sind,134 verdienen hinsichtlich ihrer Umsetzung und wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven eine eingehende Untersuchung. Diese Großprojekte mit größtenteils chinesischer Beteiligung, bieten für den russischen Energiesektor, der von US-amerikanischen und europäischen Sanktionen betroffen ist, eine grundlegende Zukunftsperspektive.135 Nach Hoppe und Rogova könnte der asiatische Energiemarkt auf lange Sicht für Russland eine Ergänzung zu den angespannten Wirtschaftsbeziehungen mit europäischen Staaten darstellen. Die Wissenschaftler weisen aber gleichzeitig auf die ungleiche Machtverteilung zwischen den beiden Staaten Russland und China hin, da das Integrationsprojekt einer Eurasischen Wirtschaftsunion für Russland seit seiner Gründung 2015 keine wesentlichen Erfolge liefert.136 Dem wiederum konnte China seinen Einfluss in der Region kontinuierlich ausbauen und wird sich auch in der Zukunft das (ökonomische) Machtgefälle wahrscheinlich zulasten Russland verschieben.137 Als zusätzliche Herausforderung für russische Förderungstätigkeiten ruft die Verwirklichung wirtschaftlicher Großprojekte immer wieder Proteste der lokalen Bevölkerung hervor.138

Details

Pages
472
Publication Year
2024
ISBN (PDF)
9783631921616
ISBN (ePUB)
9783631921623
ISBN (Hardcover)
9783631921609
DOI
10.3726/b21985
Language
German
Publication date
2024 (September)
Keywords
Umweltvölkerrecht arktisches Soft Law indigene Rechte Seerecht Territorialkonflikte
Published
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 472 S.
Product Safety
Peter Lang Group AG

Biographical notes

Stephanie Wurnitsch (Author)

Stephanie Wurnitsch studierte Rechtswissenschaft und Wirtschaftsrecht in Innsbruck und am Arctic Centre in Rovaniemi. Sie erhielt für ihre Dissertation den Kanadapreis 2022 der Universität Innsbruck.

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Title: Territorialkonflikte im arktischen Raum aus seerechtlicher Sicht und unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen aufgrund der klimatischen Veränderungen