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Das Multilaterale Instrument im System des internationalen Steuerrechts

by Jan Luis Lemli (Author)
©2024 Thesis 310 Pages

Summary

Das Multilaterale Instrument verheißt als mehrseitiges Umsetzungsabkommen des BEPS-Projekts einen Epochenumbruch im internationalen Steuerrecht. Zunächst widmet sich das Werk der Konzeption, Funktionsweise und den Herausforderungen des internationalen Steuerrechtssystems. Nach eingehender Beschäftigung mit der Struktur des Multilateralen Instruments werden dessen Auswirkungen auf das bestehende System beschrieben. Dabei wird beleuchtet, inwiefern sich das Multilaterale Instrument als neue Koordinationsebene in das bilateral geprägte System des internationalen Steuerrechts einfügt.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Untersuchungsgegenstand
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Das System des internationalen Steuerrechts
  • I. Systemkonzeption des internationalen Steuerrechts
  • 1. Die internationale Aufteilung der Besteuerungsrechte
  • a) Historischer Kontext
  • b) Völkerrechtlicher Ausgangspunkt des Besteuerungsrechts
  • c) Prinzipien der Zuordnung von Besteuerungsrechten
  • aa) Die Quellenbesteuerung
  • bb) Besteuerung im Ansässigkeitsstaat
  • cc) Das Verhältnis von Quellen- und Ansässigkeitsprinzip
  • 2. Koordinationsbedürfnis im internationalen Steuerrecht
  • a) Doppelbesteuerung
  • aa) Juristische Doppelbesteuerung
  • bb) Wirtschaftliche Doppelbesteuerung
  • cc) Virtuelle Doppelbesteuerung
  • dd) Ursachen der Doppelbesteuerung
  • ee) Auswirkungen der Doppelbesteuerung
  • b) Nichtbesteuerung
  • 3. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
  • 4. Ebenen koordinativer Maßnahmen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung
  • 5. Konvergenzbegründende Faktoren im System des internationalen Steuerrechts
  • a) Musterabkommen
  • aa) Historischer Kontext
  • bb) Rechtsnatur
  • cc) Prinzipien der Musterabkommen
  • (1) Das Prinzip der Einmalbesteuerung
  • (2) Das Verhältnis von Quellen- und Ansässigkeitsprinzip
  • (3) Nichtdiskriminierung
  • (4) Fremdvergleichsgrundsatz
  • (5) Fazit
  • dd) Auslegung der nach Musterabkommen entworfenen Doppelbesteuerungsabkommen
  • (1) Generelle Auslegungsprinzipien internationalen Rechts
  • (2) Anwendung der Auslegungsgrundsätze auf Doppelbesteuerungsabkommen
  • (a) Die Bedeutung der Musterkommentare
  • (b) Die Bedeutung nationalen Rechts
  • (c) Die Bedeutung von Parallelabkommen
  • (3) Entscheidungsharmonie
  • (4) Fazit
  • b) Völkergewohnheitsrecht
  • aa) Sachlicher Anknüpfungspunkt zur Begründung eines Besteuerungsrechts
  • bb) Prinzipien der Aufteilung der Besteuerungsrechte
  • cc) Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
  • dd) Nichtdiskriminierung
  • ee) Fremdvergleichsgrundsatz
  • ff) Fazit
  • c) Rechtliche Transplants
  • aa) Entstehungsgründe rechtlicher Transplants
  • bb) Ebenen rechtlicher Transplants
  • cc) Grenzen der internationalen Übertragbarkeit von Recht
  • dd) Fazit
  • d) Fazit
  • 6. Zusammenfassung
  • II. Die Funktionsweise des internationalen Steuerrechtssystems
  • 1. Das internationale Steuerrecht im Kontext der internationalen Beziehungen
  • 2. Grundlagen der Regimetheorie
  • a) Definition eines Regimes
  • b) Entstehung eines Regimes
  • aa) Strukturalistische Herangehensweise
  • bb) Spieltheoretische Herangehensweise
  • cc) Funktionale Theorie
  • dd) Kognitive Theorien
  • c) Regimeveränderung
  • d) Regimeauswirkungen
  • 3. Anwendung der Regimetheorie auf das internationale Steuerrecht
  • a) Definition eines internationalen Steuerregimes
  • b) Entstehungsfaktoren des internationalen Steuerregimes
  • c) Veränderungsfaktoren des internationalen Steuerregimes
  • 4. Fazit
  • III. Herausforderung des internationalen Steuerrechtssystems durch die Digitalisierung der Wirtschaft
  • 1. Entwicklung und Bedeutung der Digitalwirtschaft
  • a) Innovation bestehender Geschäftsmodelle
  • b) Entwicklung neuer Geschäftsmodelle
  • 2. Auswirkung der Digitalisierung auf das internationale Steuerrecht
  • a) Grenzüberschreitende Mobilität
  • b) Einsatz immaterieller Wirtschaftsgüter
  • c) Nutzerbeteiligung
  • d) Folgen für das internationale Steuerrecht
  • 3. Die Entwicklung des BEPS-Projekts der OECD/G20
  • a) Entstehungsgeschichte des Projekts
  • b) Status quo der Umsetzung des Projekts
  • C. Das Multilaterale Instrument
  • I. Die Entwicklung des Multilateralen Instruments
  • II. Anwendungsbereich des Abkommens
  • 1. Definition eines Covered Tax Agreement
  • a) Die Erfassung der Abkommen
  • aa) „agreement“
  • bb) „for the avoidance of double taxation“
  • cc) „with respect to taxes of income“
  • b) Die Erfassung der Vertragsparteien
  • c) Notifikationspflicht
  • 2. Prinzip der Reziprozität
  • III. Funktionsweise des Multilateralen Instruments
  • 1. Das Verhältnis der Doppelbesteuerungsabkommen zum Multilateralen Instrument
  • a) Normkonkurrenz zwischen Doppelbesteuerungsabkommen und Multilateralem Instrument
  • aa) Die Behandlung von Vertragskollisionen im Völkerrecht
  • bb) Kollisionregeln in völkerrechtlichen Verträgen
  • cc) Generelle Kollisionregeln
  • dd) Die Kompatibilitätsklauseln des Multilateralen Instruments
  • (1) Kategorisierung der unterschiedlichen Kompatibilitätsklauseln
  • (a) „in place of“
  • (b) „in absence of“
  • (c) „in place or in absence of“
  • (d) „applies to“/„modifies“
  • (2) Völkerrechtliche Bedeutung der Kompatibilitätsklauseln
  • ee) Schlussfolgerungen für das Verhältnis des Multilateralen Instruments zu den Doppelbesteuerungsabkommen
  • b) Die rechtliche Wirkung des Multilateralen Instruments in die Zukunft
  • aa) Zukünftige Doppelbesteuerungsabkommen
  • bb) Die Möglichkeit eines bilateralen override des Multilateralen Instruments
  • 2. Notifikationen
  • a) Völkerrechtlicher Hintergrund
  • b) Notifikationen im multilateralen Instrument
  • c) Das depositary im Multilateralen Instrument
  • d) Form der Notifikation
  • e) Bindungswirkung der Notifikationsentscheidung für die Parteien
  • aa) Spätere Erklärung von Notifikationen
  • bb) Widerruf von Notifikationen
  • 3. Vorbehalte
  • a) Völkerrechtlicher Hintergrund
  • b) Vorbehalte im Multilateralen Instrument
  • aa) Regelung des Art. 28 MLI
  • bb) Vorbehalte zum Mindeststandard
  • cc) Darüber hinaus gehende Vorbehalte
  • dd) Vorbehalte in Bezug auf die Regelungen zum Schiedsverfahren
  • ee) Vorbehalte und Reziprozität
  • c) Bindungswirkung für die Parteien
  • aa) Widerruf eines Vorbehalts
  • bb) Spätere Erklärung eines Vorbehalts
  • 4. Optionen
  • a) Völkerrechtlicher Hintergrund
  • b) Die Optionsvorschriften des Multilateralen Instruments
  • c) Optionen und Reziprozität
  • d) Bindungswirkung für die Parteien
  • aa) Widerruf von Optionen
  • bb) Wechsel von Optionen
  • 5. Änderung des Multilateralen Instruments
  • a) Völkerrechtlicher Hintergrund
  • b) Die Regelung des Art. 33 MLI
  • c) Entscheidung über die Änderung durch die CoP
  • IV. Die Auslegung des Multilateralen Instruments
  • 1. Die Anwendung der Art. 31 ff. WVK auf das Multilaterale Instrument
  • 2. Die Auslegungsregel des Art. 2 Abs. 2 MLI
  • 3. Die formellen Verfahren zur Lösung von Auslegungsproblemen im Multilateralen Instrument
  • a) Die Anwendung des Verständigungsverfahrens nach Art. 32 Abs. 1 MLI
  • b) Die Durchführung einer CoP nach Art. 32 Abs. 2 MLI
  • V. Fazit
  • D. Das Multilaterale Instrument als neue Koordinationsebene im System des internationalen Steuerrechts
  • I. Rechtliche Transformationswirkung des Multilateralen Instruments
  • 1. Konvergenzverstärkende Wirkung des Multilateralen Instruments
  • a) Die Flexibilitätsmechanismen als Ausgangspunkt
  • aa) Notifikationen
  • bb) Vorbehalte
  • (1) Vorbehalte zum Mindeststandard
  • (2) Sonstige Vorbehalte
  • (3) Vorbehalte zur Schiedsgerichtsbarkeit
  • cc) Optionen
  • dd) Kompatibilitätsklauseln
  • b) Die Abkommensdynamik: Änderungen und Widerrufe
  • 2. Auslegung
  • a) Auslegungsverhältnis zu den CTA
  • b) Die Lösung von Auslegungsfragen im Wege der CoP
  • 3. Gewohnheitsrecht
  • a) Multilaterale Abkommen und Gewohnheitsrecht
  • b) Anwendung auf das Multilaterale Instrument
  • 4. Die Bedeutung des Prozesses innerstaatlicher Umsetzung
  • 5. Fazit
  • II. Institutionelle Transformationswirkung des Multilateralen Instruments
  • 1. Verstärkung des Einflusses der OECD
  • a) Beschleunigter Prozess der Zentralisierung im internationalen Steuerregime
  • b) OECD als Ordnungsinstanz im internationalen Steuerrecht
  • c) Optionserweiterung für die OECD
  • 2. Die CoP als neue Institution
  • a) Rechtsnatur der CoP
  • b) Die CoP – Akteur im internationalen Steuerregime?
  • 3. Entstaatlichung im Wege qualifizierter Veränderungsresistenz des internationalen Steuerregimes
  • 4. Fazit
  • III. Funktionelle Transformationswirkung des Multilateralen Instruments
  • 1. Auswirkungen auf die Verhandlungen von Doppelbesteuerungsabkommen
  • 2. Schiedsverfahren
  • a) Das Schiedsverfahren im Multilateralen Instrument
  • aa) Das Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 MLI
  • bb) Das Verfahren nach Art. 23 Abs. 2 MLI
  • cc) Die Ernennung der Schiedsrichter
  • b) Wahl des Schiedsverfahrens in der Praxis
  • c) Verhältnis zum Verständigungsverfahren
  • 3. Fazit
  • IV. Das Multilaterale Instrument als Umsetzungsvehikel künftiger Maßnahmen
  • 1. Die Nachhaltigkeit des Multilateralen Instruments als Umsetzungsvehikel
  • 2. Kriterien der Umsetzbarkeit von Maßnahmen im Rahmen des Multilateralen Instruments
  • a) Konsensprägung der Maßnahme
  • b) Berücksichtigung des hybriden Charakters des Multilateralen Instruments
  • c) Adaption der Flexibilitätsmechanismen
  • 3. Fazit
  • E. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

Abkürzungsverzeichnis

Aufl.

Auflage

Bd.

Band

bspw.

beispielsweise

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

BEPS

Base Erosion and Profit Shifting

CbCR

Country-by-Country Reporting

CoP

Conference of the Parties

CTA

Covered Tax Agreement

DB

Der Betrieb

DBA

Doppelbesteuerungsabkommen

et al.

et alii

EU

Europäische Union

G7

Group of Seven

G20

Group of Twenty

GAAR

General Anti-Abuse Rule

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade

gem.

gemäß

GloBE

Global Anti-Base Erosion Proposal

ICSID

International Centre for Settlement of Investment Disputes

IFA

International Fiscal Association

IGH

Internationaler Gerichtshof

ILC

International Law Commission

insb.

insbesondere

IP

Intellectual Property

i.S.d.

im Sinne des

i.S.v.

im Sinne von

ISR

Internationale Steuer-Rundschau

IStR

Internationales Steuerrecht

IWF

Internationaler Währungsfonds

krit.

kritisch

LoB

Limitation on Benefits

MERCOSUR

Mercado Común del Sur

MLI

Multilaterales Instrument

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

OECD

Organisation for Economic Co-operation and Development

OECD-MA

OECD-Musterabkommen

OECD-MK

OECD-Musterkommentar

OEEC

Organisation for European Economic Co-operation

Rn.

Randnummer

S.

Seite

SCM

Subsidies and Countervailing Measures

sog.

sogenannte/r

SPS

Sanitary and Phytosanitary Measures

StB

Der Steuerberater

StuW

Steuer und Wirtschaft

SWI

Steuer & Wirtschaft International

u.a.

unter anderem

UN

United Nations

UNCITRAL

United Nations Commission on International Trade Law

v.a.

vor allem

vgl.

vergleiche

Vol.

Volume

WVK

Wiener Vertragsrechtskonvention

A. Einleitung

I. Untersuchungsgegenstand

Der Kontext, in welchem das Verhalten von Staaten auf internationaler Ebene beschrieben wird, ist oftmals vom Eindruck der Anarchie geprägt.1 Dieser Zustand der internationalen Arena als „self-help-system“2 führt zu einem unbestimmten Charakter zwischenstaatlicher Kooperation.3 Das steuerrechtliche Abkommensrecht war hingegen seit seiner Entstehung geprägt von dem Bestreben, drohende Beeinträchtigungen der Wohlfahrt in den beteiligten Staaten, insbesondere in Form von Doppelbesteuerungen, zu beseitigen.4 Die Gleichförmigkeit der so über die Zeit geschaffenen Mechanismen der Zusammenarbeit, allen voran der OECD sowie der Musterabkommen, bestimmten über lange Zeit den Lauf der Rechtsentwicklung des internationalen Steuerrechts.5

Durch zunehmende Globalisierung verstärkte sich jedoch das grenzüberschreitende Element der Wirtschaft in einem Maße, welches umfangreiche Gewinnverlagerungen und anderweitig veranlasste Erosionen des Steuersubstrats ermöglichte.6 Diese Entwicklung verschärfte sich zusätzlich durch das Aufkommen digitaler Geschäftsmodelle sowie der graduellen Digitalisierung traditioneller Geschäftsmodelle.7 Die eindimensionale Ausrichtung des internationalen Steuerrechts auf den Aspekt der Vermeidung der Doppelbesteuerung hatte jedoch eine Struktur geschaffen, welche nicht imstande war, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren.8 Vor diesem Hintergrund unternahm die OECD 2013 auf Ersuchen der G20 mit Entwurf des BEPS-Projekts den Versuch einer umfassenden Neuausrichtung des internationalen Steuerrechts unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung steuerlicher Substanzbeeinträchtigungen und Gewinnverlagerungen.9 Die Umsetzung des Projekts ist angesichts der Notwendigkeit einer Änderung sowohl des nationalen als auch des Abkommensrechts eine komplexe Herausforderung.10 Der Aspekt einer erforderlichen Neuverhandlung der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen veranlasste die OECD dazu, ein multilaterales Abkommen zu planen, um die geplanten Änderungen in das bisherige Abkommensnetzwerk zu überführen.11

Das so geschaffene Multilaterale Instrument, welches am 24.11.2016 verabschiedet wurde und am 1.7.2018 in Kraft trat, bildet ein rechtstechnisches Novum in der über hundertjährigen Geschichte des internationalen Steuerrechts.12 Der völkerrechtlich multilaterale Charakter mutet zunächst als Fremdkörper in dem ansonsten ganz überwiegend bilateral geprägten Abkommensrecht an.13 Die Zweckssetzung als völkerrechtliches Umsetzungsinstrument steht jedoch für die Notwendigkeit einer Rechtstechnik, welche im Verhältnis zum bestehenden Bilateralismus vermittelt und das multilaterale Element systemkomform integriert.14 War der bisherige OECD-Prozess durch Einsatz des empfehlenden Musterabkommens sowie des Musterkommentars von einer Unbestimmtheit und Varianz in der Regelungsübernahme geprägt, trägt die Multilateralität der Abkommensinhalte das Versprechen einer gleichförmigen Umsetzung in sich.15 Auf diese Weise tritt das Multilaterale Instrument in Beziehung zu den gewachsenen rechtlichen und institutionellen Strukturen des internationalen Steuerrechts.

Die Auswirkungen und Konsequenzen dieser systemischen Integration sind mannigfaltig und zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht hinreichend aufgearbeitet. Bisherige Publikationen untersuchen insbesondere die dogmatische Funktionsweise des Abkommens.16 So beschäftigt sich etwa eine Dissertation aus dem Jahr 2020 substanziell mit der dogmatischen Struktur des Multilateralen Instruments.17 Sofern das Multilaterale Instrument in Hinblick auf das System des internationalen Steuerrechts begutachtet wird, geschieht dies in Bezug auf Einzelaspekte18 oder aber in pauschaler Abgrenzung zum bilateral geprägten Abkommensnetzwerk.19

Vor diesem Hintergrund wird das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit offenbar. Einerseits berührt das Abkommen in rechtlicher Hinsicht die bisherigen Parameter des internationalen Steuerrechts, wie etwa den völkerrechtlichen Änderungsprozess oder die Auslegung des internationalen Steuerrechts.20 Andererseits ist auch die Rolle der Institutionen des internationalen Steuerrechts neu zu begutachten. Hieraus ergeben sich zahlreiche Fragen, welche sowohl an die rechtliche, als auch an Fragen der Wirkung auf Institutionen und Funktionsweise des Systems internationalen Steuerrechts anknüpfen. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Frage, inwiefern sich das Multilaterale Instrument als neue Ebene der Koordination in das System des internationalen Steuerrechts einfügt.21 Die Transformationswirkung des Multilateralen Instruments kann sich in diesem Rahmen sowohl rechtlich, institutionell als auch in Hinblick auf die Verfahren und Funktionsweise des internationalen Steuerrechts manifestieren.

In rechtlicher Hinsicht stellt sich aufgrund des multilateralen Charakters die Frage einer konvergenzverstärkenden Wirkung sowie inwiefern Auswirkungen auf die Auslegung sowie die Bildung von Gewohnheitsrecht bestehen. Institutionell ist insbesondere die Entwicklung der Rolle der OECD im System des internationalen Steuerrechts im Verhältnis zu den Nationalstaaten sowie die etwaige Schaffung eigener Abkommensinstitutionen zu betrachten. Aus funktioneller Perspektive ist schließlich die Transformationswirkung auf die Entscheidungsprozesse im System des internationalen Steuerrechts anzudenken. Dies bezeichnet sowohl Verhandlungs- als auch Schiedsverfahrensabläufe. Untersuchungsgegenstand der Arbeit bildet daher die Frage, inwiefern vor diesem Hintergrund durch das multilaterale Instrument eine neue Koordinationsebene im System des internationalen Steuerrechts entstanden ist.

II. Gang der Untersuchung

Zur Ergründung des Untersuchungsgegenstands wird in einem ersten Schritt das System des internationalen Steuerrechts näher beleuchtet. Ausgangspunkt bildet hierbei eine Untersuchung der klassischen Aufteilungsprinzipien des internationalen Steuerrechts. Auf dieser Grundlage wird anschließend das Koordinationsbedürfnis im internationalen Steuerrecht vor dem Hintergrund von Doppelbesteuerung und doppelter Nichtbesteuerung dargelegt. Im Weiteren werden die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung aufgeführt. Im Rahmen der Ebenen der Vermeidung der Doppelbesteuerung wird dann auf das Verhältnis von nationalen und internationalen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eingegangen. Nach Darstellung dieser grundsätzlichen Aspekte wird vor dem Hintergrund der potenziellen Unverträglichkeit eines Systembegriffs mit den national und abkommensrechtlich grundsätzlich pluralen Regelungen im internationalen Steuerrecht eine Systemkonvergenz untersucht. Die hierbei ausgewählten konvergenzbegründenden Faktoren umfassen den Aspekt der Musterabkommen, der Existenz von Gewohnheitsrecht sowie rechtliche „Transplants“. Die Untersuchung der Musterabkommen weist eine kurze historische Einführung auf. Nach knapper Feststellung der Rechtsnatur wird eine Prinzipienanalyse unter dem Gesichtspunkt der Konvergenzwirkung der Musterabkommen vorgenommen. Im Anschluss wird auf den Gesichtspunkt der Auslegung im Zusammenhang mit einer Konvergenzwirkung eingegangen. Zu diesem Zweck werden zunächst die diesbezüglichen rechtlichen Grundlagen der Wiener Vertragsrechtskonvention erarbeitet. In einem nächsten Schritt werden diese Grundlagen dann auf das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen angewandt. Hiernach wendet sich die Untersuchung hinsichtlich des Gesichtspunkts der Konvergenz dem Status des Völkergewohnheitsrechts sowie rechtlicher Transplants zu.

Nach demgemäßen Abschluss der rechtlichen Betrachtung des Systems des internationalen Steuerrechts wird unter den Vorzeichen einer interdisziplinären Untersuchung die Funktionsweise des Systems des internationalen Steuerrechts anhand der Theorie der internationalen Beziehungen erläutert. Im Anschluss an eine knappe Einführung in die Fruchtbarmachung des Forschungsbereichs für das internationale Steuerrecht im Allgemeinen fokussiert sich die Arbeit auf die Regimetheorie. Aufbauend auf der Skizzierung der Regimetheorie wird diese dann auf das internationale Steuerrecht angewandt. Nach Abschluss dieser rechtlichen und politischen Perspektiven auf das System des internationalen Steuerrechts wird auf die Herausforderung des Systems durch die Digitalisierung der Wirtschaft eingegangen.

Diese Betrachtung leitet über zum zweiten Oberabschnitt, der Darstellung des Multilateralen Instruments. Nach kurzer Darstellung der Entwicklungsgeschichte wird in den Anwendungsbereich des Abkommens eingeführt. Hierauf folgend wird die Funktionsweise des Abkommens umfangreich in den Blick genommen. Zu diesem Zweck werden nach eingehender Beschreibung des Verhältnisses der Doppelbesteuerungsabkommen zum Multilateralen Instrument die Flexibilitätsmechanismen des Abkommens sowie der Änderungsprozess erklärt. Zudem findet auch die Auslegung des Multilateralen Instruments Berücksichtigung.

Auf Grundlage der Systemkonzeption in rechtlicher und politischer Hinsicht sowie der Darlegung der Abkommensmechanik des Multilateralen Instruments wird sodann dessen Rolle als neue Koordinationsebene im System des internationalen Steuerrechts beleuchtet. Hierbei wird zwischen unterschiedlichen Transformationswirkungen differenziert. Zunächst wird die rechtliche Transformationswirkung des Multilateralen Instruments in den Blick genommen. Hinsichtlich einer Prüfung des Reichweitepotenzials des Abkommens wird die konvergenzverstärkende Wirkung des Abkommens sowie ferner Auswirkungen auf Auslegung und die Bildung von Gewohnheitsrecht untersucht. Als entgegenstehendes Hemmnis einer Transformationswirkung wird zudem der Prozess innerstaatlicher Umsetzung elaboriert.

Hiernach wird die institutionelle Transformationswirkung analysiert. Fokussiert wird sich dabei auf eine mögliche Steigerung des Einflusses der OECD, die Rolle der CoP als Institution des Multilateralen Instruments sowie auf den Prozess einer Entstaatlichung im Wege qualifizierter Veränderungsresistenz des internationalen Steuerregimes.

In letzter Hinsicht wird sich sodann der auf die funktionalen Abläufe und Verfahren innerhalb des internationalen Steuerrechts bezogenen Transformationswirkung zugewandt. Diese wird in zweierlei Hinsicht untersucht: Einerseits bezüglich der Auswirkungen auf die Verhandlungen von Doppelbesteuerungsabkommen, andererseits hinsichtlich der Bedeutung von Schiedsverfahren im internationalen Steuerrecht.

Auch trotz der fortgeschrittenen Implementierung des BEPS-Projekts durch das Multilaterale Instrument befindet sich das internationale Steuerrecht weiterhin in einer Umbruchs- und Orientierungsphase. In diesem Kontext wird das Multilaterale Instrument auch auf eine Tauglichkeit zur Umsetzung künftiger Maßnahmen überprüft, wobei einerseits die Nachhaltigkeit des Abkommens als Umsetzungsinstrument generell sowie auch Kriterien der Umsetzbarkeit von Maßnahmen im Rahmen des Abkommens angesprochen werden.


1 Etwa Baldwin, Neoliberalism, Neorealism, and World Politics, in Baldwin, (Hrsg.), Neorealism and Neoliberalism, S. 4; Donnelly, 40 International Organization 1986, 599, 601; Stein, 36 International Organization 1982, 299, 300.

2 Grundlegend Waltz, Theory of International Politics, S. 104; aufgegriffen u.a. durch Glaser, 19 International Security 1994–1995, 50, 50; Lebow, Classical Realism, S. 55.

3 Vgl. Glaser, 19 International Security 1994–1995, 50, 56.

4 Vgl. hierzu League of Nations, Report on Double Taxation. Submitted to the Financial Committee by Professors Bruins, Einaudi, Seligman and Sir Josiah Stamp, Geneva: League of Nations, 5 April 1923, E.F.S.73.F.19.

5 Bzgl. der Fortführung der Arbeiten des Völkerbunds durch die OECD Jogarajan, Double Taxation and the League of Nations, S. 243 ff.

6 Vgl. OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Explanatory Statement, 2015 Final Reports, Rn. 2.

7 Vgl. OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Action 1 Final Report, Rn. 109 ff.

8 Vgl. Brauner, Bulletin for International Taxation 2020, 28, 47; vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rn. 1140, welcher eine Einbindung von Missbrauchsklauseln im Kern lediglich bei neueren Doppelbesteuerungsabkommen erkennt. „International taxation is widely perceived to be in shambles“, siehe Kane, 32 Yale Journal on Regulation 2015, 311, 312.

Details

Pages
310
Publication Year
2024
ISBN (PDF)
9783631908860
ISBN (ePUB)
9783631908877
ISBN (Hardcover)
9783631908792
DOI
10.3726/b21195
Language
German
Publication date
2024 (July)
Keywords
BEPS-Projekt Steuerrecht Völkerrecht Doppelbesteuerungsabkommen Musterabkommen OECD
Published
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024., 252 S.
Product Safety
Peter Lang Group AG

Biographical notes

Jan Luis Lemli (Author)

Jan Luis Lemli studierte Rechtswissenschaften in Münster und Madrid und promovierte während seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Steuerrecht Münster. Das anschließende Referendariat absolvierte er im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf mit Stationen bei der Europäischen Kommission, einer internationalen Anwaltskanzlei in Düsseldorf sowie der Deutschen Botschaft Prag.

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Title: Das Multilaterale Instrument im System des internationalen Steuerrechts