Akteure und Institutionen visueller Medien im deutsch-tschechischen Kontext
Historische Perspektiven und praktische Einblicke
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Title
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- ZEHN JAHRE BESCHÄFTIGUNG MIT VISUELLEN MEDIEN IM DEUTSCH-TSCHECHISCHEN KONTEXT
- Schöpfer
- KARIKATURISTEN UND IHR HANDWERK
- NETZWERK SATIRE. Adolf Hoffmeister, John Heartfield und die Internationale Karikaturenausstellung in Prag, 1934
- Archive
- BILDER DES BÖHMERWALDES IM ARCHIV DES FOTOATELIERS SEIDEL
- DIE ABTEILUNG FÜR AUDIOVISUELLE DOKUMENTE DES TSCHECHISCHEN NATIONALARCHIVS
- Verleger
- DIE BILDFABRIK. ZUR VISUELLEN KOMMUNIKATION DER SKODA-WERKE AUS PILSEN/PLZEŇ IN BÖHMEN (1876–1917)
- DIE SUDETeDENDEUTSCHEN BILDBÄNDE DES ADAM KRAFT VERLAGS
- Vermittler
- MITTLER ZWISCHEN VERGANGENHEIT UND GEGENWART? ZUM VISUELLEN ‚DEKOR‘ DER BILDUNGS- UND BEGEGNUNGSSTÄTTE HEILIGENHOF IN BAD KISSINGEN
- DER DOKUMENTARFILM ALS AKTEUR IM DEUTSCH-TSCHECHISCHEN KONTEXT
- Verzeichnisse
- Abkürzungsverzeichnis
- Personenverzeichnis
- Verzeichnis der Autorinnen, Autoren und Herausgeberinnen
Sarah Scholl-Schneider
ZEHN JAHRE BESCHÄFTIGUNG MIT VISUELLEN MEDIEN IM DEUTSCH-TSCHECHISCHEN KONTEXTEINE EINLEITUNG
Es ist rund zehn Jahre her, dass die Historische Kommission für die böhmischen Länder e.V. (HKBL) ihre Jahrestagung dem Thema „Bildpolitik – Grenzen des Darstellbaren. Fotografie und Karikatur in den böhmischen Ländern und in Deutschland“ gewidmet hat. Aber keine Sorge, dieser Tagungsband stellt mitnichten die Dokumentation einer weit zurückliegenden Veranstaltung dar. Im Gegenteil – die genannte Tagung, die vom 23. bis 25. November 2012 in Mainz stattgefunden hat, war der Ausgangspunkt einer in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Entwicklung. Diese soll hier im Rahmen einer ausführlichen Einleitung skizziert und damit auch erstmals dokumentiert werden. Denn die in diesem Band versammelten Aufsätze spiegeln nur einen Bruchteil der Ergebnisse der über zehnjährigen Beschäftigung mit visuellen Medien im deutsch-tschechischen Kontext wider. Und sie geben selbstredend keine Auskunft über den fruchtbaren und vertrauensvollen Kontext, in dem diese Forschungen haben stattfinden können.
Zur Entstehung der Arbeitsgemeinschaft „Visuelle Medien im deutsch-tschechischen Kontext“
Die Mainzer Tagung wurde federführend von der Passauer Doktorandin Theresa Langer (mittlerweile Langer-Asam) in Zusammenarbeit mit dem langjährigen Kommissionsvorsitzenden Robert Luft organisiert. Langer forschte zu einem Thema im Bereich visueller Medien und bekam gewissermaßen die Chance, ein Programm rund um ihr Forschungsfeld zu gestalten. In den Blick genommen wurden die Bildmedien Fotografie und Karikatur, ihre politische Indienstnahme in den böhmischen Ländern und in Deutschland sowie ihre Rolle in öffentlichen Diskursen. Die Keynote zu Bildmedien und Propaganda hielt Jens Jäger (Köln), die weiteren Beiträge stammten allesamt von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus Deutschland und Tschechien. Bereits in der Schlussdiskussion kristallisierte sich heraus, dass das Thema nach Austauschraum verlangt. Während dies ein häufiges Fazit von Tagungen ist, dem aber außer einem Tagungsband selten mehr folgt, wurde hier die weitsichtige Entscheidung getroffen, keinen Tagungsband zu produzieren, sondern eine Arbeitsgemeinschaft (AG) unter dem Titel „Visuelle Medien im deutsch-tschechischen Kontext“ zu etablieren. In einem Schreiben der aus der Tagung hervorgegangenen Kerngruppe an die HKBL mit der Bitte um Übernahme der Schirmherrschaft vom 8. März 2013 hieß es:
Auf den Workshops sollen neben der Diskussion eigener Thesen, Konzepte und Texte auch die Wissenschaftsdiskurse der Visual Culture, Bildgeschichte etc. im deutschen Sprachraum und in Tschechien erörtert werden. Wir beabsichtigen, aktuell vorhandene Forschungsschwerpunkte herauszustellen und Desiderata zu benennen. Zu den Interessensgebieten der Arbeitsgruppe zählen unter anderem Themenkreise wie: Bildmedien im privaten Gebrauch, Bildjournalismus und Propaganda, visuelle Diskurse, kollektive Bildgedächtnisse, Bildpolitik und ihre Steuerungsinstanzen. Für unsere Arbeitsgruppe Visuelle Medien im deutsch-tschechischen Kontext bitten wir Sie um die Übernahme der Schirmherrschaft durch die Historische Kommission für die böhmischen Länder.
Mit der rasch folgenden Zusage (auch zur Übernahme finanzieller Unterstützung) der HKBL erhielt die Gruppe unter der Federführung von Theresa Langer und Sarah Scholl-Schneider die Möglichkeit, in einen engen Austausch zu treten – und das, ohne dass dazu handfeste Ergebnisse in Form klassischer wissenschaftlicher Outputs vorgelegt werden mussten. In der Folge trafen sich in zunächst regelmäßigen, später dann unregelmäßigen Abständen zahlreiche deutsche und tschechische/slowakische Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu jeweils im Konsens erarbeiteten Leitfragen, die häufig auch methodischer Natur waren. Und manches Mal ersetzte ein AG-Treffen ein Kolloquium, es wurden Kapitel von Dissertationen besprochen oder gemeinsam Fotografien analysiert. Inhalte der Arbeitstreffen waren vor allem die Diskussion eigener Thesen, Konzepte und Texte, die sich mit visuellen Medien im deutsch-tschechischen Kontext befassen. Dabei war der Begriff Medium weit gefasst, bisher standen Bildbände, Reiseführer, Periodika, Werbeprospekte, Fotografien, Karikaturen, Grafiken, Film und Fernsehen im Fokus. Da sich ein großer Teil der AG-Mitglieder in der Qualifikationsphase befand, bildete die Vorstellung und anschließende Diskussion von Kapiteln einen festen Bestandteil der Arbeitstreffen. So geschehen beispielsweise beim Treffen im Mai 2013 in Mainz durch Frauke Wetzel über bebilderte Reiseführer und heimatkundliche Publikationen der Region Ústí nad Labem/Aussig1 sowie durch Eva Palivodová über Feindbilder in tschechischen Zeitschriftenfotografien. Weiterer fester Programmbestandteil der Treffen war die Vorstellung und Diskussion angedachter oder bereits laufender Forschungsprojekte: zum Beispiel durch Johanne Lefeldt zu einem ethnografischen Dokumentarfilmprojekt über die St.-Anna-Wallfahrt an der bayerisch-böhmischen Grenze in Mähring im Oktober 2014 in Freiburg oder durch Jiří Riezner zu sudetendeutschen Bildbänden im März 2015 in München. Mitunter werden relevante methodisch-theoretische Ansätze anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erörtert: beispielsweise die Visuelle Diskursanalyse nach Silke Betscher, die Theresa Langer im März 2015 in München besprach. Einen Bestandteil der Treffen bildeten jedoch immer auch klassische Vorträge zur Präsentation von Ergebnissen, so etwa durch Martin Klement zur Visualisierung der Stadt Hirschberg/Doksy in der Werbung der Zwischenkriegszeit und deren Nachwirkungen in den Erinnerungen der zwangsausgesiedelten Deutschen 2014 in Freiburg.2 Anlass zu weitergreifenden Überlegungen gaben schließlich Professor Rudolf Jaworskis Einblicke in seine langjährigen Erfahrungen mit visuellen Medien in den deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Beziehungen (im 19. und 20. Jahrhundert). Nicht zuletzt sein Erfahrungsbericht machte deutlich, dass die zunehmende Präsenz von visuellen Medien immer noch in einem gewissen Missverhältnis zur historischen und ethnologischen Erforschung von Fotos, Plakaten, Karten etc. im deutsch-tschechischen Kontext steht. Forschungen in diesem Bereich anzustoßen beziehungsweise zu intensivieren – dies war auch das Ziel des Arbeitstreffens im Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa in Freiburg (IVDE) 2014.
Zur reibungslosen Kommunikation auch über die Grenzen hinweg und vor allem auch zum Austausch gemeinsamer (Bild-)Dokumente nutzte die Gruppe bereits ab 2015 eine digitale Lernplattform, in der sich nach kurzer Zeit beispielsweise eine beachtliche ‚Bibliothek‘ mit einschlägiger Literatur befand. Diese innovativen Wege der Zusammenarbeit führten dazu, dass auch trotz Auslandsaufenthalten, Elternzeiten oder Sprachbarrieren eine kontinuierliche Arbeit stattfinden konnte, was es auch denjenigen, die nicht an den Treffen teilnehmen konnten, ermöglichte, Kontakt zu wahren. Neben Treffen in Mainz und München (jeweils anlässlich des „Bohemisten-Treffens“, das konstituierende Treffen der AG fand dort am 8. März 2013 statt), die sozusagen die Basis der Arbeit darstellten, fand das oben erwähnte große Treffen am IVDE in Freiburg statt (26.–27. Oktober 2014). Mit jedem Treffen erweiterte sich der Kreis der Aktiven. Einige, bisher im Text noch nicht genannte, seien an dieser Stelle erwähnt: Elke Bauer, Petra Dombrowski, Petr Karlíček, Tilman Kasten, René Küpper, Ralf Pasch, Eva Pluhařová-Grigienė, Nora Schmidt, Hildegard Schmoller, Darina Volf. Eine große organisatorische Hilfe stellte es dar, dass die AG jeweils am Tag nach dem Bohemisten-Treffen in den Räumen des Collegium Carolinum tagen konnte, so dass oftmals auch spontan über die Einladungen, die jeweils auf dem Bohemisten-Treffen ausgesprochen wurden, der/die ein/eine oder andere zu den Sitzungen dazu stieß.
Die Tagung „Akteure und Institutionen visueller Medien im deutsch-tschechischen Kontext“
Genau fünf Jahre nach dem ersten Treffen der Kerngruppe fand dann erneut in Mainz vom 23. bis 25. November 2017 eine weitere Tagung der HKBL statt, die dem Thema des vorliegenden Sammelbandes gewidmet war. Der Tagung war ein öffentlicher Call for Papers (CfP) vorausgegangen und es konnte ein nicht nur inhaltlich vielfältiges Programm zusammengestellt werden, sondern auch eines, das die methodischen Kernfragen der AG ins Zentrum rückte und damit die Vielfältigkeit der Zugänge spiegelte. Dieses anspruchsvolle und auch nicht aktiv Teilnehmende inkludierende Programm weckte Interesse auch bei Mitgliedern der Kommission, die teils jahrelang nicht mehr an Jahrestagungen und Mitgliederversammlungen teilgenommen hatten. Erneut zeigte sich, dass ein Zugang über methodische und praktische Fragen Möglichkeiten der Teilhabe auch für jene bot, deren Forschungen eigentlich nicht im Bereich visueller Medien liegen, die sich aber in ihrer täglichen wissenschaftlichen Arbeit zum Beispiel dennoch mit Fragen von Bildrechten oder Bildarchiven auseinandersetzen. Da das von dialogorientierten Formaten bestimmte Konzept der Tagung auch vorgesehen hatte, ein Panel der Vorstellung von Akteuren und deren Beständen zu widmen, fanden auch diejenigen Aufmerksamkeit, die sonst eher auf der Seite der ‚Dienstleister‘ stehen. Auch die ausgesprochen lebhaften Diskussionen sprachen dafür, dass hier ein Dialog zwischen Forschung und Praxis begonnen wurde, der durchaus von einer Fortsetzung profitieren könnte. Es kann an dieser Stelle nicht nochmals der Inhalt der Tagung wiedergegeben werden,3 aber zumindest das im Rahmen der Tagung veranstaltete Format eines World-Cafés soll im Folgenden kurz Erwähnung finden. Sein vorrangiges Ziel war ein Erfahrungsaustausch, besonders zwischen Vermittlern und Nutzern visueller Medien, es sollte ferner bestenfalls zu weiterer Forschung zu visuellen Medien im deutsch-tschechischen Kontext anregen und schließlich für einen verantwortungsvollen Umgang der Akteure mit diesem Material sensibilisieren.
An drei Tischen mit jeweils eigenen Moderatorinnen waren drei unterschiedliche Fragenkomplexe zur Diskussion vorbereitet, die von zufällig zusammengestellten Gruppen aller Teilnehmenden der Tagung besucht wurden. Am ersten Tisch wurden unter der Überschrift „Sammeln – Ist-Zustand und Potentiale“ folgende Fragen diskutiert: Wie gestaltet sich die Sammlungspolitik meiner Institution (oder von mir als Privatperson) hinsichtlich visueller Medien im deutsch-tschechischen Kontext? Was wird/wurde nicht aufgenommen? Welche Themenfelder fragen Nutzerinnen und Nutzer meiner Sammlung besonders häufig an? Welche deutsch-tschechischen Themenfelder habe ich als Nutzerin beziehungsweise Nutzer bei einer Sammlung bereits angefragt? Worin liegen ungenutzte Potentiale bestehender Sammlungen visueller Medien im deutsch-tschechischen Kontext? Aus der breiten Palette an Beiträgen zu diesen Fragen kann hier exemplarisch hervorgehoben werden, dass viele für deutsch-tschechische Fragestellungen interessante Bildbestände bei Privatpersonen liegen und noch geborgen werden können. Ferner wurde betont, dass die Nutzung von visuellen Medien im Zusammenspiel mit anderen Quellen breitere Perspektiven auf Zusammenhänge liefern und helfen kann, bestimmte Forschungsfragen besser zu bearbeiten. Schließlich wurde auch erwähnt, dass methodisch die Einbeziehung von Betrachtenden und Nutzenden der Bilder sehr reizvoll ist, sie kann (Archivaren, Sammlern) bei der Erschließung der Bildbestände helfen (ein Beispiel dafür liefert der Beitrag von Jana Detscher und Sarah Scholl-Schneider in diesem Band). Und nicht zuletzt wurde betont, dass Bildbestände in den Archiven öfter genutzt würden, wären sie der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit bekannt (auch diesem Aspekt will der vorliegende Band Rechnung tragen, etwa mit dem Beitrag von Pavel Baudisch zur Abteilung für Foto-, Phono- und Kinodokumente im Nationalarchiv Prag).
Der zweite Tisch unter der Überschrift „Vermitteln und Präsentieren – Schwierigkeiten und best practice“ lud zur Diskussion folgender Fragen ein: Welche visuellen Medien im deutsch-tschechischen Kontext habe ich (beziehungsweise hat meine Institution) bereits vermittelt oder öffentlich präsentiert und nach welchen Kriterien wurden die Medien ausgewählt? Welche rechtlichen Schwierigkeiten (zum Beispiel mit Urheber- und Nutzungsrechten) stellten sich mir bei der Vermittlung und Präsentation visueller Medien im deutsch-tschechischen Kontext? Welche bisherigen Präsentationen visueller Medien im deutsch-tschechischen Kontext halte ich für gelungen/vorbildlich und warum? Problematisch wurde von vielen Teilnehmenden empfunden, dass die schwierige rechtliche Situation häufig zum Auswahlkriterium für die Verwendung werde. Während Pressearchive meist durch eigene Fotografinnen und Fotografen die Rechte an ihren Bildern besitzen und hier Klarheit besteht, sei dies bei privaten Sammlungen deutlich schwieriger. Betont wurden auch die unterschiedlichen Rechtsrahmen in Deutschland und der Tschechischen Republik, die die Arbeit nicht erleichtern. Rege wurden am Tisch auch Beispiele von Ausstellungen diskutiert, die auch den deutsch-tschechischen Rahmen verließen. Best-Practice-Beispiele fielen aber vielen direkt ein (darunter Antikomplex, aber auch das hier im Band thematisierte Fotoarchiv Seidel).
Der dritte Tisch schließlich unter der Überschrift „Forschen – Herausforderungen und Hilfen“ bot den Teilnehmenden noch eine weitere Möglichkeit, ihre eigenen Projekte zu thematisieren. Die Fragen lauteten: An welchen Forschungsprojekten mit/über visuelle/n Medien im deutsch-tschechischen Kontext bin oder war ich/meine Institution beteiligt? Welche Herausforderungen stellen oder stellten sich mir bei der inhaltlichen Erschließung von Beständen mit deutsch-tschechischem Kontext? Welchen Einfluss hat das Internet auf mein Forschen zu visuellen Medien im deutsch-tschechischen Kontext? Hier zeigte sich, dass viele der Anwesenden sich zwar eigentlich nicht direkt als mit dem Thema verbunden sahen, im Laufe der Diskussionen aber dennoch zahlreiche Beispiele anbringen konnten, in denen sie direkt und indirekt mit visuellen Medien gearbeitet haben. Spätestens bei der Suche nach Umschlagbildern zu wissenschaftlichen Publikationen stellt sich für die meisten dann eben doch die Frage, wie man sich zum Medium Fotografie positioniert und wie man es einsetzt.
In der Schlussdiskussion stellten die Moderatorinnen der Tische, an denen fleißig dokumentiert worden war, zunächst die zentralen Ergebnisse und offenen Fragen vor, um dann schließlich im Plenum folgende Fragen gemeinsam zu diskutieren: Welche Akteure (Sammelnde, Forschende, Vermittelnde) haben den stärksten Einfluss auf das Bild der deutsch-tschechischen Beziehungen in der Öffentlichkeit; wie können wir dazu beitragen, sie zu unterstützen, dass sie ihr Handeln verantwortlich gestalten? Wo liegen ungenutzte Potentiale bestehender Archive/Sammlungen deutsch-tschechischer Bildmedien; wie können diese Potentiale genutzt und ausgeschöpft werden? Intensive Diskussionen kamen hier unter anderem deswegen zustande, da unter den Teilnehmenden einige Kuratorinnen und Kuratoren geplanter (und inzwischen eröffneter) Museen waren, so des Museums in Ústí nad Labem mit der Dauerausstellung „Unsere Deutschen“/„Naši Němci“, des Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin sowie des Sudetendeutschen Museums in München. Sie konnten Einblicke in ihre aktuellen Überlegungen zum Einbezug von Fotografien und anderen visuellen Medien gewähren. Ein weiteres alle Teilnehmenden aktivierendes Format stellte das anschließende Round-Table-Gespräch mit den drei Filmemacherinnen Lenka Ovčáčková, Jana Cisar und Johanne Lefeldt dar. Deren Filme – „Böhmische Dörfer“ (2013) von Peter Zach und Jana Cisar, „In einem Alles, im All nur Eines“ (2017) von Lenka Ovčáčková und „Lass dir die Fremde zur Heimat, aber die Heimat nicht zur Fremde werden. 62 Jahre St. Anna-Fest in Mähring – eine filmische Begegnung“ (2014), ein wissenschaftliches Filmprojekt unter der Leitung von Michael Simon unter Mitarbeit von Thomas Schneider und Johanne Lefeldt – tangieren jeweils sehr unterschiedliche erinnerungspolitische Rezeptionsweisen. Daher wurde ihnen in der Diskussion abschließend das Potenzial zugeschrieben, einen Raum zu schaffen, der einen Dialog zwischen unterschiedlichen historischen Perspektiven zu eröffnen vermag (siehe hierzu auch den Beitrag von Hildegard Schmoller in diesem Band).
Synergien und Zukunftsperspektiven
Neben den zahlreichen wissenschaftlichen Austauschformaten und den Forschungsergebnissen, die nun auch in Form dieses Bandes vorliegen, ist mit der Gründung und Unterstützung der AG aber auch auf einer anderen Ebene etwas geschehen: Nach und nach wurden die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der AG in die Kommission beziehungsweise in deren Vorstand gewählt. Dadurch, dass die AG der Kommission über die vielfältigen Aktivitäten nach außen sowie nach innen Dynamik verlieh, regelmäßig Bericht erstattete, gewissenhaft mit der finanziellen Unterstützung durch die Kommission wirtschaftete und mit der Ausrichtung der Tagung 2017 Verantwortung übernahm, gewannen die ‚jungen Leute‘ das Vertrauen der langjährigen Mitglieder und es setzte ein Prozess der gegenseitigen Annäherung ein. Dazu gehörte Offenheit auf allen Seiten, und diese bestand zweifelsohne insbesondere seitens des langjährigen Vorsitzenden Robert Luft. Inzwischen kann man wohl vom Erfolgsmodell ‚Generationswechsel HKBL‘ sprechen, denn die neuen, Verantwortung tragenden Köpfe haben sich durch den Vertrauensvorschuss gut in die Vereinsarbeit einarbeiten können und entlasten so heute diejenigen, die lange Jahre ehrenamtlich im Vorstand tätig waren. Die Umsichtigkeit, mit der dieser – vor zehn Jahren ja noch völlig ergebnisoffene – Prozess in Gang gebracht wurde, ist dem ehemaligen Vorstand hoch anzurechnen. Ohne diese Offenheit gäbe es weder den vorliegenden Band noch einen deutlich verjüngten (und deutlich weiblicheren) Vorstand der HKBL und damit die Aussicht auf eine Fortführung der wichtigen Arbeit der Kommission. Es verwundert daher auch nicht, dass eine weitere Jahrestagung der HKBL im Mai 2022 dem Thema der Bildrechte gewidmet war. Auf Einladung des IVDE in Freiburg konnten sich die Mitglieder einem der auf der Tagung 2017 in Mainz festgestellten Desiderat widmen, nämlich der schwierigen Frage der rechtlichen Situation, mit der wir als visuelle Quellen nutzende Forschende konfrontiert sind – was die unterschiedlichen Länderkontexte selbstredend nicht vereinfachen. Es zieht sich die Frage nach visuellen Medien also seit vielen Jahren durch die HKBL und der vorliegende Band soll somit auch weniger Abschluss denn neuer Impuls für weitere Forschung in diesem Bereich sein.
Zu Konzept und Aufbau dieses Bandes
Ein Blick in die Gliederung des vorliegenden Bandes zeigt, dass er mit seinen Inhalten bewusst über die bei den erwähnten Tagungen und Workshops thematisierten Bereiche hinausgeht und weitere Felder öffnet. Gleichzeitig haben einige der bei den genannten Anlässen Vortragenden ihre Texte aus diversen Gründen nicht für die Drucklegung dieses Bandes vorbereitet oder sie für die Publikation an anderen Orten vorgesehen. Die erste Sektion widmet sich den Schöpfern visueller Medien und damit den Hauptakteuren des Feldes. Petr Karlíček, der von Beginn an Mitglied der AG ist und in den Jahren der Aktivität dort an einem (in der Zwischenzeit auf Tschechisch erschienenen) Buchmanuskript zum Thema gearbeitet hat, hat seinen Beitrag „Karikaturisten und ihr(em) Handwerk“ gewidmet. Er zeigt darin die nicht immer einfachen Umstände auf, unter denen diese Künstler im deutsch-tschechischen Kontext im 20. Jahrhundert ihrem Handwerk nachgingen. Der Blick auf die Vielzahl der Akteure in diesem Feld verdeutlicht – bei aller politischen Unterschiedlichkeit – auch deren enge Vernetzungen. Julia Secklehner war über den CfP auf die AG aufmerksam geworden und hatte sich mit einem Beitrag zu „Netzwerk Satire. Adolf Hoffmeister, John Heartfield und die Internationale Karikaturenausstellung in Prag, 1934“ beworben, den sie in Mainz 2017 vorgestellt hat. Auch in ihrem Beitrag geht es viel um das Thema der Vernetzung, was sie anhand der Verbindung von Adolf Hoffmeister (Prag 1902–Říčky u Brna 1973) und John Heartfield (Schmargendorf 1891–Berlin/Ost 1968) deutlich macht. Das Beispiel zeigt, wie politische Gegennarrative durch visuelle Medien wirksam werden können. Denn die ausgestellten Werke der beiden bei der Karikaturenausstellung in Prag 1934 nahmen eine dezidiert antifaschistische und anti-nationalsozialistische Position ein.
Die zweite Sektion nimmt mit den Archiven eine zentrale Institution in den Blick. Für die AG stellten diese die gesamten zehn Jahre hinweg durchgehend eines der Hauptthemen dar und immer wieder haben Archivarinnen und Archivare die Treffen bereichert oder auf anderen Wegen Informationen geteilt. Im vorliegenden Band werden zwei tschechische Archive vorgestellt, die für den deutsch-tschechischen Kontext von besonderer Bedeutung sind und zu deren vermehrter Nutzung die Texte aufrufen wollen. Eliška Borovková und Petr Hudičák stellen in ihrem Text „Bilder des Böhmerwaldes im Archiv des Fotoateliers Seidel“ jenes Archiv und Museum in der Linzer Gasse (heute Linecká ulice) in Krumau/Český Krumlov vor. Neben den knapp 160 000 erhaltenen Glas- und Zelluloid-Negativen, die größtenteils digitalisiert sind, können auch die Auftragsbücher aus den Jahren 1884 bis 1953 als Quellen herangezogen werden. Es folgt ein Text von Pavel Baudisch über die Rolle der Abteilung für audiovisuelle Dokumente des Tschechischen Nationalarchivs bei der Auswahl und dem Zugang zu Medien tschechischer (und deutscher) Geschichte. Baudisch, selbst seit 2006 Mitarbeiter dieser Abteilung, gibt hier praktische Hinweise zur Nutzung, lässt hinter die Kulissen der Akquisition blicken und stellt besondere visuelle, akustische und audiovisuelle Dokumente für den deutsch-tschechischen Kontext vor, so etwa den Bestand des Fotoarchivs des NS-Funktionärs Karl Hermann Frank.
Der dritte Abschnitt wendet sich der Gruppe der Verleger zu, wobei hier die Produktion von Bildinhalten weit gefasst wird. So zeigt Giovanni Dellantonio in seinem Text „Die Bildfabrik. Zur visuellen Kommunikation der Firma Skoda-Werke aus Pilsen/Plzeň in Böhmen (1876–1917)“ die Entwicklung und den Erfolg der Firma Skoda/Škoda zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert anhand der von ihr verwendeten visuellen Kommunikation auf. Seine Quellen stellen Anzeigen, illustrierte Postkarten, Fotos, aber auch Bedienungsanleitungen für die verschiedenen Waffentypen und illustrierte Kataloge dar. Neben Designern und Fotografen wurden auch Künstler wie Koloman Moser, Carl Otto Czeschka, Vilém Kreibich oder Alexander Demetrius Goltz für diesen Zweck engagiert und trugen zum internationalen Erfolg der Firma bei. Einen klassischen Verleger nimmt Jiří Riezner in den Blick: In seinem Text „Die sudetendeutschen Bildbände des Adam Kraft Verlages“ greift er die wichtige erinnerungspolitische Dimension visueller Medien auf. Riezner zeichnet die Entwicklung des Verlages von Adam Kraft (Wildstein/Skalná 1898– Augsburg 1976) nach und thematisiert die (unterbrochenen) Kontinuitäten in der finanziellen, personellen und verlagsprogrammatischen Situation. Gerade die Bildbände über Böhmen gewannen für den Verlag an Bedeutung und sind teils noch heute fest im visuellen Gedächtnis vieler Vertriebener verankert. In seiner differenzierten Analyse, die sowohl die Text- als auch Bildteile der Publikationen in den Blick nimmt, stellt er deutlich den Konstruktionscharakter einer ‚guten alten Heimat‘ und damit spezifische Intentionen des Verlegers heraus.
Die letzte Sektion ist schließlich den Vermittlern gewidmet. Sarah Scholl-Schneider und Jana Detscher widmen sich in ihrer Studie einem Ort, der mit visuellen Medien Spuren in die Vergangenheit legt und damit seine eigene, durchaus ambivalente Rolle offenbart und gleichzeitig zur Diskussion stellt. Ihr Text „Mittler zwischen Vergangenheit und Gegenwart? Zum visuellen ‚Dekor‘ der Bildungs- und Begegnungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen“ basiert auf der Analyse einer Kombination aus empirischen Quellen, die im Rahmen einer großangelegten Feldforschung erhoben wurden, mit visuellen Quellen wie Fotografien, Gemälden und Flaggen sowie deren Beschriftungen, die sich vor Ort an unterschiedlichen öffentlich zugänglichen Stellen befinden. Den Band beschließt ein Beitrag von Hildegard Schmoller über den „Dokumentarfilm als Akteur im deutsch-tschechischen Kontext“. Mit einem kategorisierenden Zugang zeigt sie die immens wichtige Rolle von Dokumentarfilmerinnen und -filmern für die Produktion von (Geschichts-)Bildern auf. Kern ihres Beitrags ist eine quantitative Analyse der tschechischen Produktionen zwischen 1989 und 2020, die sich im weitesten Sinne deutschen Themen widmen. Auffällig ist hier die Fülle an Produktionen, die sich sicherlich bei einer Analyse im umgekehrten Länderkontext ganz anders darstellen würde.
Dieser Befund mag abschließend auch noch einmal die Stoßrichtung des vorliegenden Bandes und der nunmehr zehnjährigen Tätigkeit der AG aufzeigen: Es wäre wünschenswert, das Missverhältnis der jeweiligen Wahrnehmung der anderen Seite auf Dauer auszugleichen. Gerade visuelle Medien bieten dazu in ihren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten als historische wie auch gegenwartsbezogene Quellen eine hervorragende Chance, zu deren Nutzung wir4 mit der AG und diesem Band anregen möchten.
1 Die daraus hervorgegangene Doktorarbeit erschien 2021: Wetzel, Frauke: Heimisch werden durch Geschichte. Ustí nad Labem 1945–2017. (VCC 144) Göttingen 2021.
2 Später publiziert in Klement, Martin/Mauserová, Renata: „Vom Hirschberger Stadtimage zum Erinnerungsort der nordböhmischen Deutschen“. In: Prague Papers on the History of the International Relations 22/2 (2018) 92–111.
3 Siehe hierzu im Detail die Tagungsberichte von Miriam Braun in der Bohemia 58 (2018) 1, 141–155 sowie Elisabeth Fendl und Judith Schmidt im Jahrbuch kulturelle Kontexte des östlichen Europa. Münster 2018, 127–134.
Details
- Seiten
- 384
- Erscheinungsjahr
- 2024
- ISBN (PDF)
- 9783631916995
- ISBN (ePUB)
- 9783631917008
- ISBN (Hardcover)
- 9783631898802
- DOI
- 10.3726/b21704
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2024 (Oktober)
- Schlagworte
- Tschechien Sudetenland Visual History Historische Bildforschung Bildwissenschaft Bild-Anthropologie Ethnologische Bildforschung Visual Studies Bildmedien Karikatur Fotografie Film Dokumentarfilm Bildband Bildpublikation Satire Zensur Propaganda Werbung Verlag Archiv Waffen Rüstung Böhmen Tschechoslowakei
- Erschienen
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024., 384 S., 57 s/w Abb., 8 Tab.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG