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Die Hinzurechnungsbesteuerung nach der ATAD

Vereinbarkeit mit europäischem Primärrecht und nationale Umsetzung

von Jochen Gerbracht (Autor:in)
©2024 Dissertation 370 Seiten

Zusammenfassung

Die Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), die Richtlinie zur Bekämpfung missbräuchlicher Steuergestaltungen der Europäischen Union, stellt eine Zäsur im Europäischen Steuerrecht dar. Hatten Richtlinien zuvor größtenteils der steuerlichen Liberalisierung gedient, schreibt die ATAD einen Mindeststandard an Abwehrregeln gegen grenzüberschreitende Steuergestaltungen vor. Die Richtlinie als Instrument wurde somit vom Freund des Steuerzahlers zum Verbündeten der Finanzverwaltungen. Dieser Paradigmenwechsel wirft im Steuerrecht vielfältige neue Probleme auf, die der Autor in diesem Buch untersucht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Kapitel: Einleitung
  • A. Steuerumgehung – Zwischen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung
  • I. Der legitime Steuerwiderstand
  • II. Grenzen der Steuervermeidung
  • B. Controlled Foreign Corporations: Ein Problem des deutschen Außensteuerrechts?
  • C. Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung im Licht aktueller Entwicklungen im internationalen und europäischen Steuerrecht
  • D. Forschungsfragen und Problemabgrenzung
  • E. Ansatz und Gang der Arbeit
  • 2. Kapitel: Ausgangslage – Von internationaler „Best Practice“ zu europäischer Verbindlichkeit
  • A. Die deutsche Ausgangssituation de lege abrogata
  • I. Historische Entwicklung und Grundkonzeption
  • a) Historische Entwicklung
  • aa) Insuffizienz der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift
  • bb) Die Entwicklung der Hinzurechnungsbesteuerung
  • b) Grundkonzeption von Hinzurechnungsbesteuerungsregelungen
  • II. Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung vor dem ATAD-Umsetzungsgesetz
  • 1. Tatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung
  • a) Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft
  • aa) Adressat der Hinzurechnungsbesteuerung
  • bb) Potenzielle Zwischengesellschaft
  • cc) Beteiligung
  • (1) Beteiligungskriterien und Beteiligungszeitpunkt
  • (2) Grundkonzeption: Inländerbeherrschung
  • (3) Mittelbare Beteiligungen
  • b) Passive Einkünfte
  • aa) Grundkonzeption
  • bb) Einkünftekatalog
  • c) Niedrigbesteuerung
  • d) Substanztest
  • e) Freigrenze
  • 2. Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung
  • a) Grundkonzeption: Ausschüttungsunabhängiger Transactional Approach
  • b) Ermittlung der Zwischeneinkünfte
  • c) Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags und Zuordnung zum Steuerpflichtigen
  • aa) Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags
  • bb) Zuordnung zum Steuerpflichtigen
  • d) Qualifizierung und Besteuerung des Hinzurechnungsbetrags
  • e) Vermeidung von Doppelbesteuerung
  • aa) Anrechnung und Abzug ausländischer Steuern
  • bb) Freistellung bei Ausschüttung und Veräußerung
  • 3. Die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung für Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter
  • III. Erste Bündelung: Never change a running system?
  • B. Internationale „Vorgaben“ durch die OECD?
  • I. Der BEPS-Aktionspunkt 3
  • 1. Die Anti-BEPS Maßnahme der OECD
  • a) Historischer Umriss und Zielsetzung
  • b) Verbindlichkeit
  • 2. Bausteine einer effektiven Hinzurechnungsbesteuerung
  • a) Beherrschung einer ausländischen Gesellschaft
  • aa) Potenzielle Zwischengesellschaft
  • bb) Beherrschungskriterium
  • b) Definition der Zwischeneinkünfte
  • aa) Katalogisierende Methode
  • bb) Substanzanalyse
  • cc) Mehrgewinnansatz
  • c) Niedrigbesteuerung und weitere Anwendungsgrenzen
  • aa) Niedrigbesteuerungsgrenze
  • bb) Motivtest und Freigrenzenregelung
  • 4. Berechnung der Zwischeneinkünfte
  • 5. Zurechnung der Zwischeneinkünfte
  • 6. Vermeidung von Doppelbesteuerung
  • II. Zweite Bündelung: Internationale Impulse, überschaubare Auswirkungen
  • C. Europarechtliche Vorgaben (ATAD I)
  • I. Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie der EU
  • 1. Historischer Umriss und Zielsetzung
  • 2. Verbindlichkeit
  • a) Umsetzungspflicht
  • b) Sachlicher Anwendungsbereich: Mindestschutzniveau
  • c) Persönlicher Anwendungsbereich der Richtlinie
  • II. Die Hinzurechnungsbesteuerung nach der ATAD
  • 1. Tatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung
  • a) Beherrschung eines ausländischen Unternehmens
  • aa) Adressat der Hinzurechnungsbesteuerung und potenzielles beherrschtes ausländisches Unternehmen
  • bb) Beherrschung
  • (1) Beherrschungskriterien und Beherrschungszeitpunkt
  • (2) Grundkonzeption: Gesellschafterbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung nahestehender Personen
  • (3) Mittelbare Beteiligungen
  • b) Niedrigbesteuerung
  • c) Passive Einkünfte
  • aa) Grundkonzeption
  • bb) Passivkatalog oder Funktionsanalyse
  • d) Substanztest
  • e) Freigrenze
  • 2. Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung
  • aa) Grundkonzeption: Ausschüttungsabhängiger Transactional Approach
  • bb) Ermittlung der einzubeziehenden Einkünfte und Zuordnung zum Steuerpflichtigen
  • (1) Ermittlung der einzubeziehenden Einkünfte
  • (2) Zuordnung zum Steuerpflichtigen
  • cc) Qualifizierung und Besteuerung des Hinzurechnungsbetrags
  • dd) Vermeidung von Doppelbesteuerung
  • (1) Anrechnung ausländischer Steuern
  • (2) Nachfolgende Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinne
  • III. Dritte Bündelung: Gut gemeint, schlecht gemacht?
  • D. Zusammenfassung der Ausgangslage: Das tropische Paradies nach einem Orkan?
  • 3. Kapitel: Vereinbarkeit der Art. 7 und 8 ATAD mit EU-Primärrecht
  • A. Primärrechtliche Immunisierung von Richtlinien?
  • B. Auslegung von Unionsrecht und ATAD-spezifische Besonderheiten
  • I. Allgemeine Auslegungsmethoden des Unionsrechts
  • II. ATAD-spezifische Besonderheit: OECD-Materialien als Auslegungshilfe
  • C. Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union
  • I. Voraussetzungen des Art. 115 AEUV
  • 1. Formelle Voraussetzungen
  • 2. Materielle Voraussetzungen
  • a) Gegenstand der Rechtsangleichung: Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten
  • b) Erforderlichkeit der Rechtsangleichung: Unmittelbare Auswirkung auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes
  • II. Allgemeine Kompetenzausübungsgrenzen
  • 1. Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 EUV)
  • a) Anwendungsbereich
  • b) Voraussetzungen: Nationale Insuffizienz und europäischer Mehrwert
  • aa) Prüfungsmaßstab
  • (1) Konkretisierung durch die Zusatzprotokolle
  • (2) (Fehlende) Konkretisierung durch die EuGH-Rechtsprechung
  • (3) Konkretisierungsansätze in der Literatur
  • bb) Anwendung auf die ATAD
  • (1) Prozedurale Vorgaben
  • (2) Insuffizienzkriterium: „von den Mitgliedstaaten [nicht] ausreichend verwirklicht“
  • (3) Effizienzkriterium: „auf Unionsebene besser zu verwirklichen“
  • 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 EUV)
  • a) Anwendungsbereich
  • b) Voraussetzung: „nicht […] über das erforderliche Maß hinaus“
  • aa) Prüfungsmaßstab
  • (1) Konkretisierung durch die Zusatzprotokolle
  • (2) (Fehlende) Konkretisierung durch die Rechtsprechung
  • (3) Konkretisierungsansätze in der Literatur
  • bb) Anwendung auf die ATAD
  • (1) Prozedurale Vorgaben
  • (2) Inhaltliche Vorgaben: „nicht […] über das erforderliche Maß hinaus“
  • III. Zusammenfassung: (K)ein rein akademisches Problem?
  • D. Grundfreiheiten
  • I. Bestandsaufnahme: Hinzurechnungsbesteuerung im Lichte der Grundfreiheiten
  • 1. Unmaßgebliche Grundfreiheiten für die Hinzurechnungsbesteuerung
  • 2. Maßgebliche Grundfreiheiten für die Hinzurechnungsbesteuerung
  • a) Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit
  • b) Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit
  • c) Verhältnis von Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit
  • 3. Grundfreiheitsbeeinträchtigung durch Hinzurechnungsbesteuerung und ihre Rechtfertigung
  • a) Grundfreiheitsbeeinträchtigung
  • b) Rechtfertigung
  • aa) Die Anfänge des unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff
  • bb) Cadbury Schweppes: Konkretisierung der rein künstlichen Gestaltung
  • cc) Bestätigung der Cadbury Schweppes Rechtsprechung
  • dd) Danish Beneficial Ownership: Der unionsrechtliche Missbrauchsbegriff bekommt schärfere Konturen
  • ee) Systematisierung der Erkenntnisse
  • ff) X GmbH: Übertragbarkeit der Missbrauchsgrundsätze auf die Kapitalverkehrsfreiheit und insb. Drittstaatensachverhalte?
  • II. Beurteilung der Art. 7 und 8 ATAD
  • 1. Option A (Art. 7 Abs. 2 lit. a ATAD)
  • a) Abweichender Wortlaut der Substanzausnahme zur EuGH-Rechtsprechung
  • b) Substanzausnahme in Drittstaatenfällen nur optional
  • 2. Option B (Art. 7 Abs. 2 lit. b S. 1 ATAD)
  • 4. Kapitel: Richtlinienkonformität der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung
  • A. Auslegung und Anwendung der nationalen Umsetzungsmaßnahme
  • I. Umsetzungspflicht und Normenkollision bei Richtlinien
  • II. Auflösung von Normenkollisionen im europäischen Mehrebenensystem
  • B. De lege lata: Die deutsche Umsetzungsmaßnahme und ihre Vereinbarkeit mit der ATAD
  • I. Das ATAD-Umsetzungsgesetz – Eine unendliche Geschichte
  • II. Beherrschung einer ausländischen Gesellschaft
  • 1. Umsetzungsmaßnahme
  • a) Adressat der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 Abs. 1 S. 1 und 4 AStG)
  • b) Potenzielle Zwischengesellschaften
  • c) Beherrschung
  • aa) Beherrschungskriterien und Beherrschungszeitpunkt
  • bb) Grundkonzeption: Gesellschafterbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung nahestehender Personen
  • (1) Definition des Nahestehens (§ 7 Abs. 3 AStG) – Verbundenheit statt zufälliger Inländerbeherrschung
  • (2) Erweiterung des Nahestehens (§ 7 Abs. 4 AStG) – Ein unbestimmter Rechtsbegriff, viele offene Fragen
  • cc) Mittelbare Beteiligungen
  • 2. Sekundärrechtliche Bewertung
  • a) Adressat der Hinzurechnungsbesteuerung
  • aa) Anwendung auf natürliche Personen richtlinienkonform
  • bb) Anwendungsbereichserweiterung auf beschränkt Steuerpflichtige – Der deutsche Gesetzgeber geht auf „Nummer sicher“
  • b) Potenzielle Zwischengesellschaften
  • c) Beherrschung
  • aa) Beherrschungskriterien und Beherrschungszeitpunkt
  • bb) Grundkonzeption: Gesellschafterbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung nahestehender Personen
  • III. Passive Einkünfte
  • 1. Umsetzungsmaßnahme
  • a) Grundkonzeption
  • b) Detailbetrachtung
  • aa) Katalogtatbestände ohne Änderungen
  • bb) Katalogtatbestände mit marginalen Änderungen
  • cc) Katalogtatbestände mit erheblichen Änderungen
  • 2. Sekundärrechtliche Bewertung
  • a) Konzeptionelle Anpassung erforderlich?
  • b) ATAD-konforme Umsetzung hinsichtlich der nicht vom Passivkatalog der ATAD erfassten Einkünften
  • c) Zinseinkünfte richtlinienkonform umgesetzt
  • d) Keine uneingeschränkte Passivität von Lizenzeinkünften – sehenden Auges in die Sekundärrechtswidrigkeit?
  • e) Dividenden und Anteilsveräußerungen
  • f) Einkünfte aus dem Betrieb von Kreditinstituten oder Versicherungsunternehmen nicht richtlinienkonform ausgestaltet?
  • g) Finanzierungsleasing
  • h) Abrechnungsunternehmen – ein Neologismus mit Übersetzungsproblem
  • IV. Niedrigbesteuerung
  • 1. Umsetzungsmaßnahme
  • 2. Sekundärrechtliche Bewertung
  • a) Absenkung der Niedrigbesteuerungsgrenze erforderlich?
  • b) Gesamtbetrachtung sekundärrechtlich verpflichtend?
  • V. Substanztest
  • 1. Umsetzungsmaßnahme
  • a) Anforderungen und Voraussetzungen für den Substanznachweis
  • b) Territoriale Reichweite des Substanztests
  • 2. Sekundärrechtliche Bewertung
  • a) Anforderungen und Voraussetzungen für den Substanznachweis
  • b) Territoriale Reichweite des Substanztest
  • VI. Freigrenze
  • 1. Umsetzungsmaßnahme
  • 2. Sekundärrechtliche Bewertung
  • VII. Rechtsfolgen
  • 1. Umsetzungsmaßnahme
  • a) Grundkonzeption: Ausschüttungsunabhängiger Transactional Approach
  • b) Ermittlung der Zwischeneinkünfte
  • c) Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags und Zuordnung zum Steuerpflichtigen
  • aa) Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags
  • bb) Zuordnung zum Steuerpflichtigen
  • d) Qualifizierung und Besteuerung des Hinzurechnungsbetrags
  • e) Vermeidung der Doppelbesteuerung
  • (aa) Anrechnung ausländischer Steuern
  • (bb) Nachfolgende Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinne – Kürzungsbetrag statt Steuerbefreiung
  • 2. Sekundärrechtliche Bewertung
  • a) Grundkonzeption
  • b) Ermittlung der Zwischeneinkünfte
  • c) Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags und Zuordnung zum Steuerpflichtigen
  • d) Qualifizierung und Besteuerung des Hinzurechnungsbetrags
  • e) Vermeidung der Doppelbesteuerung
  • (aa) Anrechnung ausländischer Steuern
  • (1) Steueranrechnung statt Steuerabzug zwingend geboten?
  • (2) Anrechnungsmöglichkeit auf die Gewerbesteuer erforderlich?
  • (3) Anrechnung ausländischer Hinzurechnungsbesteuerungen sekundärrechtlich geboten?
  • (bb) Nachfolgende Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinne
  • VIII. Kapitalanlagegesellschaften
  • 1. Umsetzungsmaßnahme
  • 2. Sekundärrechtliche Bewertung
  • IX. Überblick: Familienstiftungen und Verfahrensvorschriften
  • 1. Umsetzungsmaßnahme
  • a) Hinzurechnung bei Familienstiftungen
  • b) Verfahrensvorschriften
  • 2. Sekundärrechtliche Bewertung
  • C. Zwischenergebnis: ATAD-konforme „kleine Lösung“ statt zeitgemäßer und rechtssicherer Ausgestaltung
  • 5. Kapitel: Primärrechtskonformität der deutschen Umsetzungsmaßnahme
  • A. Primärrechtliche Immunisierung der Umsetzungsmaßnahmen?
  • B. Grundfreiheiten
  • I. Unionsrechtswidrigkeit der alten Rechtslage
  • 1. Substanztest auch für Drittstaatensachverhalte erforderlich
  • 2. Anforderungen an den Substanztest zu restriktiv
  • II. Europarechtskonforme Ausgestaltung durch das ATADUmsG?
  • 1. Substanztest in Drittstaatenfällen bei der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung
  • 2. Kein Substanztest in Drittstaatenfällen bei der allgemeinen Hinzurechnungsbesteuerung unionsrechtskonform?
  • 3. Anforderungen an den Substanztest weiterhin zu restriktiv?
  • C. Beihilfenverbot
  • I. Das Beihilfenrecht erreicht die Hinzurechnungsbesteuerung
  • II. Prüfungsmaßstab
  • III. Beihilfenrechtliche Überlegungen
  • 1. Begünstigung (eines Unternehmens)
  • 2. Staatlichkeit
  • a) Belastung des Staatshaushaltes
  • b) Zurechenbarkeit zum Mitgliedstaat
  • aa) Keine Zurechenbarkeit der ATAD als solcher
  • bb) Nur beschränkte Zurechenbarkeit der nationalen Umsetzungsmaßnahme
  • 3. Selektivität
  • 4. Wettbewerbsverzerrung und Handelsbeeinträchtigung
  • 5. Ausnahmetatbestände, Rechtsfolgen und Beihilfeverfahren
  • 6. Kapitel: Schlussbetrachtung
  • A. Ergebnisse der Arbeit in Stichpunkten
  • B. Ausblick: Globale Mindestbesteuerung
  • Anhang
  • Literaturverzeichnis
  • Verzeichnis der zitierten Entscheidungen

2. Kapitel: Ausgangslage – Von internationaler „Best Practice“ zu europäischer Verbindlichkeit

„Das Internationale Steuerrecht in der Welt nach BEPS ist ein tropisches Paradies nach einem Orkan.“36

A. Die deutsche Ausgangssituation de lege abrogata

I. Historische Entwicklung und Grundkonzeption

a) Historische Entwicklung
aa) Insuffizienz der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift

Der steuerliche Anreiz, Kapitalgesellschaften im niedrig besteuerten Ausland zu gründen und die Einkunftsquellen auf diese Gesellschaften zu übertragen um von der niedrigen Besteuerung zu profitieren, reicht bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück.37 Im Jahr 1962 nahm die USA mit der „Subpart F-Legislation“38 – einem Maßnahmenpaket gegen Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer – eine Vorreiterrolle ein. Zwei Jahre später schilderte die Bundesregierung dem Bundestag im „Steueroasenbericht“39 diese Entwicklungen.40 Als Konsequenz erging 1965 der „Steueroasenerlass“41, der jedoch nicht ausreichte, die als ungerechtfertigt angesehenen Steuervorteile vollumfänglich zu eliminieren, da viele Gestaltungen gerade nicht als Rechtsmissbrauch zu qualifizieren waren42.

Bereits vor der Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung hatte die deutsche Finanzverwaltung mit der allgemeinen Anti-Missbrauchsvermeidungsvorschrift in § 42 AO im Grundsatz eine Möglichkeit, der Ausnutzung des internationalen Steuergefälles durch die Gründung einer ausländischen Kapitalgesellschaft entgegenzutreten.43 Gemäß dem seit seiner Einführung unveränderten § 42 Abs. 1 S. 1 AO kann das Recht des Steuergesetzes nicht durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten umgangen werden. Dabei versteht die Rechtsprechung unter „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten“ die Wahl einer rechtlichen Gestaltung, die gemessen an dem angestrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und nicht durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nicht steuerliche Gründe zu rechtfertigen ist.44 Konsequenterweise liegt ein solcher Gestaltungsmissbrauch bei der Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft im niedrig besteuernden Ausland nach ständiger Rechtsprechung gerade dann vor, wenn für ihre Zwischenschaltung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen.45 Für den Steuerpflichtigen besteht die Möglichkeit, einen Gegenbeweis zu führen und darzulegen, dass es für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe gibt, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind. Dabei ist bei der Ermittlung der Gründe nicht allein der festgelegte Gesellschaftszweck ausreichend, sondern dieser muss auch tatsächlich vollzogen worden und die behaupteten Gründe müssen auch in Erscheinung getreten sein.46

Mithin fehlen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe bei der Errichtung reiner Briefkastengesellschaften. Denn der festgelegte Gesellschaftszweck wird dann nicht tatsächlich durch die ausländische Gesellschaft vollzogen, wenn diese keine eigenen Geschäftsräume, Betriebs- und Geschäftsausstattung, Kommunikationsmittel und eigenes Personal hat. Mithin kommt in diesen Fällen § 42 AO zur Anwendung.47 Als Rechtsfolge sieht § 42 Abs. 1 S. 3 AO das Entstehen des Steueranspruchs so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehen würde, vor. Die Einkünfte der Briefkastengesellschaft werden den hinter der Gesellschaft stehenden Gesellschaftern zugerechnet.48

Auch bei rein vermögensverwaltenden ausländischen Gesellschaften nahm die Rechtsprechung vor Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten an.49 In diesen Fällen gäbe es keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe: Der einzige Grund für die Verlagerung von Einkünfte erzielendem Vermögen auf eine Gesellschaft im niedrig besteuernden Ausland sei der aus der Abschirmwirkung resultierende Steuerspareffekt und damit ein rein steuerlicher Grund. Sobald die ausländische Gesellschaft allerdings auch teilweise gewerbliche Einkünfte erzielte fand § 42 AO keine Anwendung, weil aktive und passive Einkünfte nach der Rechtsprechung gerade nicht aufzuteilen waren und auf die Gesellschaft als solche und nicht auf die Geschäftsvorfälle isoliert abgestellt wurden.50 Die allgemeine Anti-Missbrauchsvorschrift des § 42 AO stieß damit an ihre Grenzen, wenn die ausländische vermögensverwaltende Gesellschaft auch teilweise einer gewerblichen Tätigkeit nachging, weil der steuerrechtliche Missbrauchsvorwurf durch die (teilweise) aktive Tätigkeit entkräftet werden konnte.51

bb) Die Entwicklung der Hinzurechnungsbesteuerung

1970 ergingen die Leitsätze der Bundesregierung „für ein Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen“52, ehe 1972 das Außensteuergesetz53 in Kraft trat, welches schon damals in den §§ 7 ff. eine Hinzurechnungsbesteuerungsregelung beinhaltete. Dieses Regelungssystem blieb über einen langen Zeitraum unberührt bestehen. Erst 20 Jahre später erfolgten die ersten systematischen Anpassungen durch das Steueränderungsgesetz 199254 und das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz 199355. Als Reaktion auf die Gestaltungsmöglichkeiten bei International Finance & Service Center (IFSC), bei denen Dividenden durch Doppelbesteuerungsabkommen ohne Aktivitätsvorbehalt schachtelbefreit nach Deutschland ausgeschüttet wurden, untersagte der mittlerweile weggefallene § 10 Abs. 6 AStG die Berufung auf Doppelbesteuerungsabkommen für „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“. Durch das Steuersenkungsgesetz 200156 sollte die Hinzurechnungsbesteuerung zum 01.01.2001 einen grundsätzlichen Systemwechsel erfahren.57 Die Regelungen kamen allerdings nie zur Anwendung, da das knapp ein Jahr später verabschiedete Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts 200158 vorsah, dass die dort enthaltenen Änderungen des AStG rückwirkend für Zwischeneinkünfte, die die ausländische Gesellschaft ab dem 01.01.2001 erzielt hat anwendbar waren.59

In den Jahren 2002, 2003 und 2007 wurde die bestehende Rechtslage sukzessive verschärft: Zunächst wurde die erforderliche Mindestbeteiligung bei Einkünften mit Kapitalanlagecharakter auf 1 % abgesenkt, beziehungsweise sogar gänzlich auf das Erfordernis einer Mindestbeteiligung verzichtet.60 Danach erfolgte mit der Einführung des Treaty override in § 20 Abs. 1 AStG die Aufhebung des Schutzes durch Doppelbesteuerungsabkommen.61 Und schließlich wurden durch das REIT-Gesetz62 die §§ 7 Abs. 8 und §§ 14 Abs. 2 AStG eingefügt.

Bis zu diesem Zeitpunkt bestanden für den Gesetzgeber keine großen Änderungspflichten: Sowohl die nationale, als auch die europäische Rechtsprechung konnten aufgrund mangelnder Verfahren im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung kaum auf das Regelungssystem einwirken. Dieser Befund lässt sich hauptsächlich auf drei Gründe zurückführen: Erstens hat die Hinzurechnungsbesteuerung im Ausgangspunkt zumindest eine gewisse abschreckende Wirkung auf den Steuerpflichtigen. Zweitens bleiben viele Fälle aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Unkenntnis unentdeckt oder sie werden drittens im Rahmen der Betriebsprüfung verhandelt.63

Nachdem der EuGH 2006 in seiner Cadbury Schweppes Entscheidung64 grundlegend entschied, unter welchen Bedingungen ein Mitgliedstaat Gewinne von Tochtergesellschaften im niedrig besteuernden Ausland bei der Bemessung der Körperschaftsteuer hinzurechnen darf, wurde in der Folge durch das JStG 200865 in § 8 Abs. 2 AStG ein Substanztest eingeführt. Während die Hinzurechnungsbesteuerung zuvor den Missbrauch nur anhand einzelner Tatbestandsmerkmale typisierte, besteht seitdem für den inländischen Steuerpflichtigen die Möglichkeit, mittels eines Gegenbeweises zu belegen, dass die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft aus wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründen erfolgt und nicht nur rein steuerlich motiviert ist. Gleichzeitig wurde die Anwendung des Motivtests für § 20 Abs. 2 AStG ausgeschlossen, indem der Passus „ungeachtet des § 8 Abs. 2 AStG“ eingefügt wurde.66

Im Oktober 2009 fand durch den BFH die „Columbus Container Services“-Odyssee ein Ende. Während das FG Münster Zweifel an der Vereinbarkeit der switch-over-Klausel des § 20 Abs. 2 AStG mit den Grundfreiheiten hatte,67 urteilte der EuGH, dass die Hochschleusung der Steuerbelastung auf das deutsche Steuerniveau durch den Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode mittels nationalem Treaty-override68 mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei.69 Der BFH folgte nach der Wiederaufnahme des Verfahrens der Argumentation der Klägerin vor dem FG Münster und weiten Teilen der Literatur: Der EuGH habe lediglich die Vorlagefrage beantwortet, welche ihm zur Vorabentscheidung gestellt worden sei, aber nicht darüber befunden, ob die Hinzurechnung der Auslandseinkünfte nach §§ 7 ff. AStG a.F. als solche europäisches Primärrecht verletze. Dies sei aber gerade aufgrund der tatbestandlichen Verknüpfung der Umschaltregelung in § 20 Abs. 2 AStG mit dem Grundtatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung erforderlich. Im Ergebnis dürfe § 20 Abs. 2 AStG dann keine Anwendung finden, wenn die Anwendung der §§ 7–14 AStG infolge Verstoßes gegen die Grundfreiheiten versagt werden muss.70 Warum sollten diese Grundsätze also nicht auch für die – nicht streitgegenständliche – Rechtslage nach 2008 gelten?

Nach den beiden EuGH-Entscheidungen sorgte 2015 der BFH für einen nächsten Impuls. Er judizierte, dass es sich bei dem Hinzurechnungsbetrag um einen Teil des Gewerbeertrages eines inländischen Unternehmens handele, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfiele und daher der Gewinn des inländischen Unternehmens gemäß § 9 Nr. 3 GewStG um diesen Betrag zu kürzen sei.71 Die obersten Finanzbehörden der Länder reagierten auf die Gewerbesteuerfreiheit des Hinzurechnungsbetrags mit einem gleichlautenden Nichtanwendungserlass72, indem sie bekanntgaben, die BFH-Entscheidung nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden. Der Gesetzgeber fügte schließlich § 7 S. 7 GewStG ein73, der den Hinzurechnungsbetrag i.S.d. § 10 Abs. 1 AStG zur inländischen Betriebsstätte zuordnet und damit die Möglichkeit einer Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG versperrt.

Schließlich wurden in jüngster Zeit vor allem zwei Entscheidungen mit Spannung erwartet: Aus dem „Zypern-Fall“74 erhoffte man sich insbesondere eine Konkretisierung der Anforderungen für den Gegenbeweis des § 8 Abs. 2 AStG. In der Rechtssache X GmbH75 hatte sich der EuGH nach Vorlage des BFH76 mit der Frage der Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit bei der Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatensachverhalt zu befassen. Ob diese Rechtsprechung die Erwartungen erfüllen konnte wird sich im Laufe der Arbeit zeigen.

b) Grundkonzeption von Hinzurechnungsbesteuerungsregelungen

Wie soeben gesehen tritt der deutsche Gesetzgeber der Ausnutzung der Abschirmwirkung von Kapitalgesellschaften im niedrigbesteuernden Ausland bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Hinzurechnungsbesteuerung entgegen. Abstrahiert man dieses komplexe Regelungssystem, so lässt sich festhalten, dass Hinzurechnungsbesteuerungssysteme im Allgemeinen trotz dieser Abschirmwirkung unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Besteuerung im Ansässigkeitsstaat der Steuerpflichtigen, die die Handlungen der ausländischen Gesellschaft kontrollieren oder die zumindest an den Erträgen von dieser beteiligt sind, führen. Diese Begründung eines Besteuerungsrechts kann konzeptionell auf verschiedene Arten erreicht werden77:

Die Hinzurechnungsbesteuerung kann so ausgestaltet werden, dass entweder lediglich nur die schädlichen Einkünfte („transactional/tainted income approach“) oder aber sämtliche Einkünfte („entity approach“) der ausländischen Gesellschaft dem inländischen Steuerpflichtigen zugerechnet werden. Sodann stellt sich die Frage, wie eine Besteuerung rechtstechnisch erfolgen kann. Denkbar ist es zum einen, bei der ausländischen Kapitalgesellschaft anzusetzen, deren Steuersubjekteigenschaft zu verneinen und diese stattdessen als transparentes Gebilde anzusehen („look-through approach“). In der Folge werden die Einkünfte den hinter der Gesellschaft stehenden Gesellschaftern bereits zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zugerechnet. Alternativ kann auch eine Ausschüttung der ausländischen Kapitalgesellschaft an ihre inländischen Anteilseigner zum frühestmöglichen Zeitpunkt fingiert werden („deemed dividend approach“). Es erfolgt dann in einem zweiten Schritt die Besteuerung der fiktiven Dividende beim inländischen Anteilseigner. Schließlich können die Einkünfte beim Anteilseigner auch als Einkünfte sui generis behandelt und separat besteuert werden („seperate taxation approach“). Anknüpfungspunkt kann zum Beispiel der Wertzuwachs beim Anteilseigner durch die erzielten Gewinne der ausländischen Gesellschaft sein.78 Dabei haben alle zuvor genannten Regelungstechniken das gemeinsame Problem, dass dem Gesellschafter die für die Begleichung der Steuerschuld notwendige Liquidität fehlen kann.79 Es lässt sich mit einem rechtsvergleichenden Blick festhalten, dass die meisten Staaten nicht strikt einer Regelungstechnik folgen, sondern Mischsysteme anwenden. In Deutschland ist dies nicht anders, weswegen die rechtssystematische Erklärung der Hinzurechnungsbesteuerung Probleme bereitet.80

Doch nicht jede Installation einer ausländischen Kapitalgesellschaft löst die Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung aus. Vielmehr sieht die deutsche Regelung tatbestandsseitig – untechnisch gesprochen und ohne an dieser Stelle ins Detail zu gehen – vor, dass die Hinzurechnungsbesteuerung (nur) bei den Gestaltungen zur Anwendung kommt, bei denen die Gesellschaft lediglich eine passive Tätigkeit ausübt, im Ansässigkeitsstaat nur eine niedrige Besteuerung vorliegt und die Gesellschaft über die Beteiligung von inländischen Steuerpflichtigen noch eine gewisse Verbindung zum Inland aufweist.

Aus der zuvor vorgenommenen rechthistorischen Betrachtung lassen sich weitere Erkenntnisse für den Grundgedanken und die Grundkonzeption der Hinzurechnungsbesteuerung gewinnen. Ursprünglich war der Zweck der §§ 7 ff. AStG, der durch die Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaften hervorgerufenen „Steuerstundung“ entgegenzuwirken.81 Die Hinzurechnungsbesteuerung sollte aber keinen sanktionierenden Charakter haben, sondern nur die grenzüberschreitenden Steuervorteile eliminieren und den inländischen Sachverhalten gleichstellen. Eine darüberhinausgehende Steuererschwernis für den Steuerpflichtigen war nicht vorgesehen.82 Die Konturen der Hinzurechnungsbesteuerung werden schärfer: Sie ist im Kern als Missbrauchsabwehrregelung konzipiert und zielt laut Gesetzesbegründung darauf, die ungerechtfertigten steuerlichen Vorteile, die aus der rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung des internationalen Steuergefälles durch die Abschirmwirkung ausländischer Kapitalgesellschaften resultieren, zu verhindern.83 Die Regelung geht aber bewusst über ihre Missbrauchsabwehrfunktion hinaus und sorgt auch für eine Ersatzbesteuerung im Inland, wenn als ungerechtfertigt empfundene Steuervorteile ohne Rechtsmissbrauch erlangt werden. Seit der Einführung des Halb- bzw. Teileinkünfteverfahrens dient die Hinzurechnungsbesteuerung auch der Sicherstellung einer entsprechenden steuerlichen Vorbelastung der ausgeschütteten Gewinne um die Entlastung zu rechtfertigen.84

II. Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung vor dem ATAD-Umsetzungsgesetz

1. Tatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung
a) Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft
aa) Adressat der Hinzurechnungsbesteuerung

Hinsichtlich der Anteilseigner muss bei der deutschen Regelung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge differenziert werden: Rechtsfolgenseitig knüpft die Hinzurechnungsbesteuerung gemäß § 7 Abs. 1 AStG an die unbeschränkte Steuerpflicht des Gesellschafters an. Dabei kann es sich nach den allgemeinen Regeln sowohl um eine natürliche Person (§ 1 EStG), als auch um eine juristische Person (§ 1 i.V.m. § 2 KStG) handeln.85 Nicht von der Hinzurechnungsbesteuerung erfasst werden demnach beschränkt Steuerpflichtige und erweitert unbeschränkt Steuerpflichtige im Sinne des § 2 AStG. Letztere müssen jedoch auf Tatbestandsebene gemäß § 7 Abs. 2 AStG bei der Ermittlung der Beherrschungsbeteiligung berücksichtigt werden, auch wenn sie selber nicht von den Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung betroffen werden.86 Trotz der Pluralform „Steuerpflichtige“ kann auch ein einzelner Steuerpflichtiger Subjekt der Hinzurechnungsbesteuerung werden.87 Eine Umgehung durch das Zwischenschalten einer oder mehrerer (auch ausländischer) Personengesellschaften ist durch § 7 Abs. 3 AStG ausgeschlossen.88

bb) Potenzielle Zwischengesellschaft

§ 7 Abs. 1 AStG definiert die „ausländische Gesellschaft“89 als eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist. Was den ersten Teil der Definition betrifft, so wird für die Bestimmung der Gesellschaft also unmittelbar auf das KStG verwiesen. Da die Gesellschaft jedoch in der Regel nicht nach deutschem, sondern nach ausländischem Recht gegründet wird, ist zu fragen, ob es sich bei dem ausländischen Rechtsgebilde um eine Gesellschaft im Sinne des § 1 KStG handelt. Der durch den Reichsfinanzhof in seiner „Venezuela-Entscheidung“90 entwickelten Rechtstypenvergleich findet auch hier Anwendung.91 Anhand einer wertenden Gesamtbetrachtung von diversen Kriterien92 muss entschieden werden, welcher deutschen Rechtsform das ausländische Rechtssubjekt vergleichbar ist.93 Kommt der Rechtstypenvergleich zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem vorliegenden ausländischen Unternehmen um eine Kapitalgesellschaft handelt, so sind die §§ 7 ff. AStG maßgeblich.

Liegt hingegen eine ausländische Personengesellschaft oder Betriebsstätte vor, so muss gerade kein Besteuerungsrecht begründet werden. Vielmehr ist nach der Switch-over-Klausel des § 20 Abs. 2 AStG die Freistellungsmethode zu versagen und stattdessen die Anrechnungsmethode anzuwenden. Mit anderen Worten: Es wird zwar nicht die Hinzurechnungsbesteuerung angewandt, im Ergebnis wird durch die „Hochschleusung“ auf das deutsche Steuerniveau jedoch das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erreicht.

cc) Beteiligung
(1) Beteiligungskriterien und Beteiligungszeitpunkt

Wann eine Beteiligung „zu mehr als der Hälfte“ im Sinne des § 7 Abs. 1 AStG vorliegt, regelt § 7 Abs. 2 AStG. Ein oder mehrere unbeschränkt Steuerpflichtige94 sind zu mehr als der Hälfte an der ausländischen Gesellschaft beteiligt, wenn ihnen allein oder zusammen mit erweitert beschränkt steuerpflichtigen Personen im Sinne des § 2 AStG95 mehr als 50 % der Anteile oder der Stimmrechte an der ausländischen Gesellschaft zuzurechnen sind, § 7 Abs. 2 S. 1 AStG. Dabei ist mit „Anteilen“ die Beteiligung am Nennkapital96 und mit „Stimmrechten“ nur das mit der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung verbundene und aus der Mitgliedschaft fließende Mitwirkungsrecht97 gemeint. In der Regel stimmen die Anteile und die Stimmrechte quotal überein.98 Für den Fall, dass weder Anteile noch Stimmrechte vorliegen, sieht § 7 Abs. 2 S. 3 AStG als subsidiären Anknüpfungspunkt die Beteiligung am Vermögen der Gesellschaft vor. Maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen der Beteiligungsvoraussetzung ist gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 AStG das Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft, in dem sie die Zwischeneinkünfte bezogen hat.

(2) Grundkonzeption: Inländerbeherrschung

Konzeptionell sieht die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung eine Inländerbeherrschung vor: Ein unbeschränkt Steuerpflichtiger muss allein oder zusammen mit anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen oder erweitert unbeschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des § 2 AStG eine Beherrschungsquote von 50 %99 erreichen, damit die Hinzurechnungsbesteuerung zur Anwendung kommt. Dabei kommt es nicht auf ähnlich gerichtete Interessen oder eine gewisse Verbundenheit an. Bei den Steuerpflichtigen muss es sich nicht um nahestehende Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG handeln; sie können sich vielmehr einander völlig fremd sein. Dieser Umstand ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch:100 Zum einen findet die Hinzurechnungsbesteuerung auch bei Steuerpflichtigen Anwendung, die nur eine Kleinstbeteiligung an der ausländischen Gesellschaft halten, solange diese Gesellschaft in der Addition inländerbeherrscht ist. Des Weiteren kann die Überschreitung der Beteiligungsschwelle vom Zufall abhängen, da sich die unbeschränkt Steuerpflichtigen nicht kennen müssen. Beteiligt sich ein weiterer unbeschränkt Steuerpflichtiger in Unkenntnis der Gesellschaftsverhältnisse101 an einer bereits fast überwiegend inländerbeherrschten ausländischen Gesellschaft und wird dadurch die Beteiligungsschwelle überschritten, so löst dies bei allen Beteiligten – ohne ihr Wissen und ohne den Steuertatbestand gemäß § 38 AO selber aktiv verwirklicht zu haben – die Hinzurechnungsbesteuerung aus. Zudem kann auch unter dem Gesichtspunkt, dass ein steuerlicher Missbrauch bei Mehrpersonenverhältnissen grundsätzlich eine Form des gemeinschaftlichen Zusammenwirkens voraussetzt, kritisch hinterfragt werden, warum kein „Nahestehen“ erforderlich ist.102

(3) Mittelbare Beteiligungen

Gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 AStG kann die Beherrschungsquote auch durch mittelbare Beteiligungen erreicht werden, indem Anteile oder Stimmrechte Berücksichtigung finden, die durch eine andere ausländische103 Gesellschaft vermittelt werden. Diese sind dem Steuerpflichtigen anteilig zuzurechnen und tragen somit zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals bei, sie lösen aber rechtsfolgenseitig nicht unmittelbar die Hinzurechnungsbesteuerung aus: Denn gemäß § 7 Abs. 1 AStG greift die Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung nur, wenn der unbeschränkt Steuerpflichtige direkt an der Zwischengesellschaft beteiligt ist. Aus diesem Grund regelt § 14 AStG, dass die Zwischeneinkünfte der mittelbar gehaltenen ausländischen Zwischengesellschaft für die Hinzurechnung auf eine unmittelbar gehaltene Gesellschaft hochgerechnet wird („übertragene Zurechnung“).

b) Passive Einkünfte
aa) Grundkonzeption

Die Hinzurechnungsbesteuerung soll nur dann und insoweit zur Anwendung kommen, wenn die beherrschte ausländische Gesellschaft für die Erzielung ihrer Einkünfte keinen eigenen wesentlichen Wertschöpfungsbeitrag leistet.104 Der deutsche Gesetzgeber hat sich für die Differenzierung von Einkünften aus unschädlicher aktiver und schädlicher passiver Tätigkeit105 konzeptionell für einen Aktivkatalog in § 8 Abs. 1 AStG entschieden: Die passiven Einkünfte werden negativ definiert, indem im Ausgangspunkt ein Katalog unschädlicher Einkünfte aufgestellt wird, die von der Hinzurechnungsbesteuerung ausgenommen sind (Einkünfte, die […] nicht stammen aus…). Der Katalog ist abschließend, sodass alle dort nicht genannten Einkünfte – insbesondere auch Einkünfte aus neuen Geschäftsmodellen – eine Hinzurechnungsbesteuerung auslösen können. In der Literatur ist sich diese Regelungskonzeption daher erheblicher Kritik ausgesetzt.106 Diese Regel wird durch Ausnahmen durchbrochen, sodass in diesen Fällen passive Einkünfte vorliegen. Teilweise werden jedoch wiederrum Rückausnahmen gemacht: Die Einkünfte aus passiven Tätigkeiten sind dann doch wieder unschädliche, aktive Einkünfte.

Der Aktivkatalog knüpft nicht an die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG an.107 Zudem ist es unerheblich, wo das Einkommen erzielt wird. Folglich können auch in Deutschland erzielte Einkünfte einer nach § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 EStG beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Gesellschaft als passive Einkünfte im Sinne des § 8 Abs. 1 AStG qualifizieren.108 Unter Umständen kann die Tätigkeit der ausländischen Gesellschaften auch unter mehrere Nummern des Aktivkatalogs subsumiert werden, da diese sich überschneiden. Im Falle einer solchen Idealkonkurrenz ist die Qualifizierung als passiv unschädlich, solange die Tätigkeit nach einer anderen Nummer des Katalogs als aktiv qualifiziert wird.109

Für den Fall, dass ein ausländisches Unternehmen verschiedene Tätigkeiten parallel ausübt, sind diese gesondert zu betrachten.110 Die ausländische Gesellschaft kann nur Zwischengesellschaft für die Einkünfte sein, die als passiv qualifizieren. Zudem besteht Einigkeit darüber, dass eine funktionelle Betrachtungsweise anzuwenden ist:111 Fallen bei einer ausländischen Gesellschaft, die einer aktiven Tätigkeit nachgeht, Einkünfte an, die für sich betrachtet passive Einkünfte darstellen, so sind diese Nebenerträge den aktiven Einkünften zuzuordnen, solange sie wirtschaftlich zu der Haupttätigkeit gehören; ihnen mithin nach der Verkehrsauffassung kein eigenständiges wirtschaftliches Gewicht im Rahmen der Gesamtleistung zukommt.

bb) Einkünftekatalog

An dieser Stelle soll keine Detailbetrachtung des Aktivkatalogs, sondern lediglich eine grobe Klassifizierung erfolgen: Einerseits kann sich die Unschädlichkeit einer Tätigkeit bereits aus dem Wirtschaftszweig ergeben, dem sie angehört.112 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und verschiedenen industriellen Tätigkeiten sind daher vorbehaltlos aktiv gestellt (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AStG). Auch die Einkünfte aus dem Betrieb von Kreditinstitutionen und Versicherungsunternehmen, die für ihre Geschäfte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb unterhalten, sind grundsätzlich ebenfalls aktiv, § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG. Sie werden jedoch dann als passiv angesehen, wenn die Geschäfte überwiegend – also zu mehr als der Hälfte113 – mit unbeschränkt steuerpflichtigen Beteiligten im Sinne des § 7 AStG oder ihnen nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG betrieben werden.

Andererseits kann sich die Unschädlichkeit der Tätigkeit auch aus einem Funktionsnachweis ergeben:114 So sind Einkünfte aus dem Handel (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG) und Dienstleistungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG) zwar grundsätzlich als aktiv anzusehen. Die Einkünfte aus diesen Tätigkeiten werden jedoch dann als passiv qualifiziert, wenn die Handels- bzw. Dienstleistungstätigkeit konzernintern und mit Inlandsbezug durchgeführt wird. Mit anderen Worten: Es ist schädlich, wenn über die ausländische Gesellschaft deutscher Export oder Import Nahestehender abgewickelt wird.115 In Fällen dieser inlandsbezogenen, konzerninternen Tätigkeiten werden die Einkünfte nur dann doch als aktiv angesehen, wenn durch den Steuerpflichtigen ein Funktionsnachweis vorgenommen wird:116 Die ausländische Gesellschaft muss einen für die Tätigkeit in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unterhalten und die Tätigkeiten müssen ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen oder einer ihm nahestehenden Person ausgeübt werden.117

Für die im Grundsatz ebenfalls aktiven Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sieht § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG in lit. a bis c weitreichende Ausnahmen vor, sodass die Regel hier de facto selbst zur Ausnahme wird.118 So ist die entgeltliche119 Rechteüberlassung (lit. a), die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (lit. b) und die Vermietung und Verpachtung von beweglichen Gegenständen (lit. c) passiv. Allerdings kann auch hier ein Funktionsnachweis erbracht werden, sodass die Einkünfte schlussendlich doch als aktiv angesehen werden: Bei der Rechteüberlassung kann der Steuerpflichtige nachweisen, dass die ausländische Gesellschaft die Ergebnisse eigener Forschungs- und Entwicklungstätigkeit auswertet, die ohne Mitwirkung eines Beteiligten im Sinne des § 7 AStG oder einer nahestehenden Person im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG unternommen worden ist. Bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken kann der Steuerpflichtige nachweisen, dass die Einkünfte nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerbefreit wären, wenn sie von einem Beteiligten im Sinne des § 7 AStG unmittelbar bezogen worden wären. Und schließlich ist bei der Vermietung und Verpachtung von Gegenständen – wie schon bei § 8 Abs. 1 Nr. 5 lit. b – der Nachweis möglich, dass die ausländische Gesellschaft einen Geschäftsbetrieb gewerbsmäßiger Vermietung oder Verpachtung unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unterhält und alle zu einer solchen gewerbsmäßigen Vermietung oder Verpachtung gehörenden Tätigkeiten ohne Mitwirkung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, der gemäß § 7 an ihr beteiligt ist, oder einer einem solchen Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 2 nahestehenden Person ausübt.

Die Aufnahme und darlehensweise Vergabe von Kapital ist gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG zwar im Grundsatz ebenfalls aktiv, allerdings nur dann, wenn der Steuerpflichtige mehrere Voraussetzungen kumulativ nachweisen kann: Zunächst muss die Kapitalbeschaffung ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärkten und darüber hinaus nicht bei einer nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG erfolgen. Des Weiteren darf auf Kapitalvergabeseite das Darlehen ausschließlich Betrieben oder Betriebsstätten zugeführt werden, die im Inland belegen sind oder die im Ausland belegen sind und ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich120 aus aktiven Tätigkeiten der § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG beziehen. De facto führt diese restriktive Definition dazu, dass Einkünfte aus Darlehensgewährung – entgegen der übrigen Systematik des Aktivkatalogs – im Grundsatz als passiv anzusehen sind, sofern sie nicht funktional einer anderen Tätigkeit zuzuordnen sind.121 Im Ergebnis werden damit die Tätigkeiten ausländischer Finanzierungsgesellschaften passiv gestellt.

Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften (§ 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG) sind vorbehaltlos aktiv gestellt, Veräußerungsgewinne werden gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG grundsätzlich ebenfalls als aktiv qualifiziert und Einkünfte aus Umwandlungsvorgängen sind unter den dort genannten Voraussetzungen122 ebenfalls aktiv.123 Die beiden zuerst genannten Nummern wurden mit dem UntStFG 2001 eingefügt124 und sind vor dem Hintergrund des Systemwechsels vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren (bzw. seit 2009 Teileinkünfteverfahren) zu sehen.125 Das im StSenkG126 eingeführte Dividendenprivileg (§ 8b Abs. 1 KStG) bzw. die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen (§ 8b Abs. 2 KStG) wird durch § 8 Abs. 1 Nr. 8 und 9 AStG mitvollzogen.

c) Niedrigbesteuerung

Schließlich kann eine ausländische Gesellschaft gemäß § 8 Abs. 1 1. Hs AStG nur Zwischengesellschaft für die passiven Einkünfte sein, die auch einer niedrigen Besteuerung unterliegen. An dieser Tatbestandsvoraussetzung wird die Wertung des Gesetzgebers deutlich: Nicht jede Verlagerung passiver Einkünfte ist schädlich; eine staatliche Abwehrmaßnahme ist erst dann gerechtfertigt, wenn ansonsten Steuervorteile gegenüber anderen Steuerpflichtigen entstehen würden.127 Gemäß § 8 Abs. 3 S. 1 AStG liegt eine Niedrigbesteuerung vor, wenn die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft einer Belastung durch Ertragssteuern von weniger als 25 % unterliegen128, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht129.

Dabei ist die Niedrigbesteuerungsgrenze in Höhe von 25 % in der Literatur erheblicher Kritik ausgesetzt130 und eine Absenkung der Schwelle wird aus mehreren Gründen gefordert. Zum einen hat sich die Niedrigsteuergrenze, historisch betrachtet, am Körperschaftsteuersatz orientiert, was mittlerweile nicht mehr der Fall ist.131 Die unangepasste Niedrigbesteuerungsgrenze führt dabei in Kombination mit der in § 12 Abs. 1 AStG vorgesehenen Anrechnungsmethode, bei der die ausländische gezahlte Steuer nur auf die Körperschaftsteuer anrechenbar ist, zu Anrechnungsüberhängen und damit zu einer Überbesteuerung, wenn die ausländische Steuer zwischen 15 % und 25 % beträgt.132 Zum anderen hat der Gesetzgeber nicht dem internationalen Trend von immer weiter sinkenden Körperschaftsteuersätzen – die „US Tax Reform“ sei erwähnt – Rechnung getragen, sodass es kaum noch Länder gibt, die nicht unter die Niedrigbesteuerung fallen.133 Und schließlich qualifiziert sich Deutschland auch selber als Niedrigsteuerland, sodass eine Hinzurechnungsbesteuerung bei in Deutschland erzielten Einkünften einer nach § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 EStG beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Gesellschaft zur Anwendung kommt.134

Gemäß § 8 Abs. 3 S. 2 AStG sind in die Belastungsberechnung Ansprüche einzubeziehen, die der Staat oder das Gebiet der ausländischen Gesellschaft im Fall einer Gewinnausschüttung der ausländischen Gesellschaft dem unbeschränkt Steuerpflichtigen oder einer anderen Gesellschaft, an der der Steuerpflichtige direkt oder indirekt beteiligt ist, gewährt. Die mit dem JStG 2010 eingefügte Regelung wird als eine direkte Antwort des Gesetzgebers auf das sog. „Malta-Modell“ greifbar, bei dem durch die Ausnutzung einer formalen Normalbesteuerung, die Tatbestandsvoraussetzung der Niedrigbesteuerung und damit die Hinzurechnungsbesteuerung umgangen wurde.135

Schließlich liegt eine Niedrigbesteuerung auch dann vor, wenn die Ertragssteuern von mindestens 25 % zwar rechtlich geschuldet werden, aber nicht tatsächlich erhoben worden sind, § 8 Abs. 3 S. 3 AStG.136

d) Substanztest

Wie im Abschnitt zur historischen Entwicklung schon angedeutet, reagierte zunächst das BMF mit den Hinzurechnungsbesteuerungs-Grundsätzen137 und sodann der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 8 Abs. 2 AStG138 auf die Cadbury Schweppes Entscheidung des EuGH139. Seitdem kann der Steuerpflichtige – mittlerweile auch für Einkünfte auf Kapitalvermögen140 – nachweisen, dass die ausländische Gesellschaft eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und damit die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung ausschließen. Konkret ist der Substanznachweis gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 AStG nur für inländisch beherrschte Gesellschaften eröffnet, die den Sitz oder die Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens haben. Bei Drittstaatenfällen bleibt die Möglichkeit des Gegenbeweises damit verschlossen. Keine Möglichkeit des Gegenbeweises besteht gemäß § 8 Abs. 2 S. 3 AStG auch für Zwischeneinkünfte von Untergesellschaften aus Drittstaaten, die im Rahmen der übertragenen Zurechnung des § 14 AStG zuzurechnen sind und gemäß § 8 Abs. 2 S. 4 AStG für in einem Drittstaat belegene Betriebsstätten einer EU-/EWR-Gesellschaft.

Damit die Finanzbehörden das Vorliegen einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachprüfen können, müssen gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 AStG zwischen Deutschland und dem entsprechenden ausländischen Staat auf Grund der Amtshilferichtlinie141 oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung142 Auskünfte erteilt werden, die für die Durchführung der Besteuerung erforderlich sind. Sodann zielt die zentrale Frage im Rahmen des Gegenbeweises dahin, welche konkreten Anforderungen an die Substanz der ausländischen Gesellschaft zu stellen sind. Sie wird im dritten und fünften Kapitel im Detail beleuchtet und an dieser Stelle nur aus nationaler Perspektive skizziert: In dem BMF-Schreiben aus dem Jahr 2007, das als unmittelbare Reaktion auf die Feststellung der Unionsrechtswidrigkeit der britischen Hinzurechnungsbesteuerung noch vor Inkrafttreten des § 8 Abs. 2 AStG erging, wird von dem Steuerpflichtigen ein Nachweis darüber gefordert, dass die Gesellschaft eine „wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“ ausübt.143 Es müsse insbesondere dargelegt werden, dass (a) die Gesellschaft in dem Staat am dortigen Marktgeschehen im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, selbstständig und nachhaltig teilnimmt, (b) die Gesellschaft dort für die Ausübung ihrer Tätigkeit ständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Personal beschäftigt und (c) das Personal der Gesellschaft insoweit auch über die entsprechenden Qualifikationen verfügt, um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich und selbstständig zu erfüllen.144 Darüber hinaus habe der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass (d) die Einkünfte der Gesellschaft ursächlich aufgrund eigener Aktivitäten der Gesellschaft erzielt werden und (e) den Leistungen der Gesellschaft, sofern sie ihre Geschäfte überwiegend mit nahe stehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG betreibt, für die Leistungsempfänger wertschöpfende Bedeutung zukommt und die Ausstattung mit Kapital zu der erbrachten Wertschöpfung in einem angemessenen Verhältnis steht.145

Demgegenüber weicht § 8 Abs. 2 AStG bereits begrifflich von dem BMF-Schreiben ab, indem er auf die „tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“ der Gesellschaft abstellt und diesbezüglich einen Nachweis durch den Steuerpflichtigen verlangt. Gleichzeitig unterbleibt jedoch eine genaue Definition dieses Merkmals. Auch die Gesetzbegründung ist als Auslegungshilfe nur bedingt fruchtbar: Erforderlich sei die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in dem Staat auf unbestimmte Zeit – mithin eine tatsächliche Ansiedlung der Gesellschaft und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit.146 Objektive, von dritter Seite nachprüfbare Anhaltspunkte seien insofern Geschäftsräume, Personal und Ausrüstungsgegenstände.147 An einer stabilen und kontinuierlichen Teilnahme am Wirtschaftsleben fehle es dann, wenn die Kernfunktionen, die die Gesellschaft hat, nicht von ihr selbst ausgeübt werden.148 Aus dem Wortlaut der Norm („insoweit“) lässt sich aber jedenfalls eine segmentierende Betrachtungsweise herleiten: Für den Gegenbeweis kann nicht auf die Gesamttätigkeit der Gesellschaft abgestellt werden, sondern es muss jede einzelne Tätigkeit der Gesellschaft gesondert bewertet werden.

e) Freigrenze

Schließlich sieht § 9 AStG eine Freigrenze149 für ausländische Gesellschaften mit gemischten – aktiven wie passiven – Einkünften vor. Die Vorschrift soll der Vereinfachung dienen und Gesellschaften mit aktivem Gesamtcharakter von der Hinzurechnungsbesteuerung befreien.150 Die Hinzurechnungsbesteuerung unterbleibt daher, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Die passiven Einkünfte dürfen nicht mehr als 10 % der gesamten Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft betragen (gesellschaftsbezogene relative Freigrenze) und die aufgrund der relativen Freigrenze außer Acht zu lassenden Beträge übersteigen sowohl bei der Gesellschaft als auch bei einem Steuerpflichtigen insgesamt nicht 80.000 € (gesellschafts- und gesellschafterbezogene absolute Freigrenze).

2. Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung
a) Grundkonzeption: Ausschüttungsunabhängiger Transactional Approach

Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung vor, so besteht die Rechtsfolge nach § 7 Abs. 1 a.E. AStG darin, die Steuerpflicht von unbeschränkt Steuerpflichtigen auf passive Einkünfte zu erstrecken, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen.151 Konkret sind die Einkünfte, für die die Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, bei jedem unbeschränkt Steuerpflichtigen152 mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital entfällt. Die deutsche Regelung folgt damit nicht dem „Entity Approach“, bei dem entweder alle oder keine Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen153, sondern dem „Transactional Approach“154, indem für Besteuerungszwecke zwischen aktiven und passiven Einkünften differenziert.155

Rechtstechnisch werden in einem ersten Schritt auf der Ebene der ausländischen Gesellschaft die Einkünfte ermittelt, auf deren Basis sodann ein Hinzurechnungsbetrag gebildet und bei dem unbeschränkt Steuerpflichtigen angesetzt wird. In einem zweiten Schritt erfolgt auf Ebene des unbeschränkt Steuerpflichtigen die Einkünftequalifikation und Besteuerung, wobei die Hinzurechnungsbesteuerung ungeachtet einer tatsächlichen Ausschüttung erfolgt.156

Details

Seiten
370
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631913079
ISBN (ePUB)
9783631913086
ISBN (Paperback)
9783631913062
DOI
10.3726/b21469
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Juni)
Schlagworte
Steuerrecht Europa Richtlinie Steuergerechtigkeit Briefkastengesellschaften Steuervermeidung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2024. 370 S.

Biographische Angaben

Jochen Gerbracht (Autor:in)

Jochen Can Gerbracht wurde 1994 in Essen geboren. Er studierte von 2012 bis 2017 Rechtswissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Anschließend war er dort bis 2021 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Steuerrecht tätig. Sein Rechtsreferendariat absolvierte er am Landgericht Duisburg.

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Titel: Die Hinzurechnungsbesteuerung nach der ATAD