Mindestvorschriften gemäß Art. 83 AEUV im Spannungsverhältnis zwischen intergouvernementalem und supranationalem Handeln
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- § 1 Gegenstand und Ziel der Arbeit
- § 2 Aufbau der Untersuchung
- Teil 1: Gegenstand und Grundzüge der Strafrechtsharmonisierung
- § 1 Begriffe
- A. Europäisches Strafrecht
- I. Europäisches Strafrecht als Unionsrecht
- II. Europäisches Strafrecht als Kriminalstrafrecht
- B. Harmonisierung
- I. Begriff der Harmonisierung
- II. Methoden der Harmonisierung
- § 2 Zur Entwicklung der Harmonisierung im Strafrecht
- § 3 Grundlegendes zur Strafrechtsharmonisierung
- A. Gründe für die Strafrechtsharmonisierung
- B. Ziele der Strafrechtsharmonisierung
- C. Harmonisierungsmethode
- I. Strafrecht als Kern staatlicher Souveränität
- II. Mindestharmonisierung als Konzept für das Strafrecht
- Teil 2: Die Harmonisierung materiellen Strafrechts vor Lissabon
- § 1 Strafrechtsetzungskompetenz
- A. Vorrang der ersten gegenüber der dritten Säule
- B. Kompetenzen im Rahmen der dritten Säule
- C. Kompetenzen im Rahmen der ersten Säule
- I. Keine originäre Strafrechtsetzungskompetenz
- II. Anweisungskompetenz
- 1. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
- 2. Meinungen im Schrifttum und abschließende Betrachtung
- § 2 Harmonisierung im materiellen Strafrecht
- A. Vorüberlegungen
- B. Bereiche der Strafrechtsharmonisierung
- C. Voraussetzungen der Harmonisierung
- I. Erforderlichkeit der Harmonisierung
- II. Harmonisierung durch Mindestvorschriften
- D. Kriminalpolitische Vorgaben – vom Wiener bis zum Haager Programm
- E. Erlassene Rechtsakte zur Strafrechtsharmonisierung
- § 3 Intergouvernementaler Rahmen
- A. Befugnisse der Organe
- I. Rat als wesentliches Entscheidungsorgan
- II. Initiativrecht der Kommission
- III. Beteiligung des Europäischen Parlaments
- IV. Europäischer Rat als spezifisches Unionsorgan
- B. Einstimmigkeit als Grundregel im Rechtsetzungsverfahren
- C. Handlungsinstrumente
- I. Allgemeines
- II. Rahmenbeschluss als wesentliches Instrument der Harmonisierung
- 1. Rahmenbeschluss und Richtlinie
- 2. Durch Richterrecht entwickelte Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung
- 3. Meinungen in der Literatur und bewertende Aussagen
- D. Rechtskontrolle durch den EuGH
- I. Vorabentscheidungsverfahren
- 1. Erfordernis einer Zuständigkeitsunterwerfung
- 2. Keine Vorlagepflicht und kein vorgegebenes Vorlagerecht
- 3. Wirkungen der Auslegungs- und Ungültigkeitsentscheidungen
- II. Nichtigkeitsklage
- § 4 Fazit: Defizitäre Strafrechtsetzung vor Lissabon
- A. Kompetenzrechtlicher Konflikt
- B. Geringe demokratische Legitimation
- C. Langwierige Beschlussfassung
- D. Eingeschränkte Justiziabilität
- Teil 3: Die Harmonisierung materiellen Strafrechts nach Lissabon
- § 1 Entscheidende Aspekte der Harmonisierungskompetenz
- A. Strafrecht im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
- I. Rechtliche Grundstruktur des RFSR
- II. Inhaltliche Reichweite des RFSR
- B. Geteilte Zuständigkeit im Strafrechtsbereich
- C. Kriminalpolitische Leitlinien
- I. Allgemeine Orientierungspunkte für die Strafgesetzgebung
- II. Stockholmer Programm und Post-Stockholm-Programm
- D. Allgemeine Voraussetzungen für die Harmonisierung
- I. Erforderlichkeit
- II. Beachtung der Grundrechte, Freiheiten und allgemeinen Grundsätze
- § 2 Rechtlicher Rahmen der Strafrechtsharmonisierung
- A. Integrative Elemente
- I. Verstärkte demokratische Legitimation in der Europäischen Union
- 1. Demokratische Grundsätze in der Union
- 2. Stärkere Beteiligung des EU-Parlaments
- 3. Einbindung nationaler Parlamente
- 4. Perspektive über die unionale demokratische Legitimation
- 5. Nationale Grundsätze des Demokratieprinzips am Beispiel Deutschlands
- a. Demokratische Legitimation parlamentarischer Gesetzgebung
- b. Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 GG
- 6. Demokratische Legitimation der Strafrechtsgesetzgebung und die Europäische Union
- II. Ordentliches Gesetzgebungsverfahren als Regelverfahren im Strafrecht
- 1. Ordentliches Gesetzgebungsverfahren
- 2. Ausnahme: besonderes Gesetzgebungsverfahren
- a. Anwendung
- b. Folgeprobleme des besonderen Gesetzgebungsverfahrens
- III. Straffere Beschlussfassung
- IV. Supranationale Handlungsformen
- 1. Richtlinie als Handlungsinstrument
- a. Allgemeine Überlegungen
- b. Umsetzung im Strafrechtsbereich
- c. Auswirkungen der (strafrechtlichen) Richtlinie auf nationales Recht
- (1) Unmittelbare Wirksamkeit
- (2) Richtlinienkonforme Auslegung
- i. Rechtsgrundlage der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung
- ii. Inhalt der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung
- iii. Grenzen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung
- (i.) Spezielle Auslegungsgrenzen im Strafrechtsbereich aus dem nationalen Recht
- (ii.) Spezielle Auslegungsgrenzen im Strafrechtsbereich aus dem Unionsrecht
- iv. Strafbarkeitserweiternde Auslegung
- 2. Exkurs: Rahmenbeschlüsse der dritten Säule
- V. Stärkung des Rechtsschutzes durch den EuGH
- 1. Allgemeines
- 2. Umsetzungskontrolle
- B. Souveränitätsbezogene Aspekte
- I. Sonderregelungen im Gesetzgebungsverfahren
- 1. Geteiltes Initiativrecht der Kommission
- 2. Einbindung des Europäischen Rats
- 3. Einstimmigkeit im Rat
- 4. Der „Notbremse-Mechanismus“ in Art. 83 Abs. 3 AEUV
- a. Rechtsnatur und Anwendung
- b. Berührung „grundlegender Aspekte der nationalen Rechtsordnung“
- c. Ausübung des Vetorechts
- 5. Opt-out-Regelungen
- II. Sonderregelungen auf der judikativen Ebene
- 1. Einschränkungen in Bezug auf die sicherheitspolitischen Aufgaben des Staates
- 2. Besonderheiten für die vor dem Vertrag von Lissabon erlassenen Rechtsakte
- 3. Opt-out-Regelungen
- C. Fazit: integrationsfreundliche Harmonisierung unter mitgliedstaatlichem Vorbehalt
- § 3 Reichweite der Harmonisierungskompetenz
- A. Allgemeine Grenzen der Strafrechtsharmonisierung
- I. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung
- II. Subsidiaritätsprinzip
- 1. Subsidiaritätsprinzip als Kompetenzausübungsgrenze
- 2. Einbindung der nationalen Parlamente als Hüterinnen des Subsidiaritätsprinzips
- III. Verhältnismäßigkeitsprinzip
- B. Bereichsspezifische Grenzen – strafrechtsspezifisches Schonungsgebot
- § 4 Harmonisierungskonstellationen nach Art. 83 AEUV
- A. Grundstruktur und Auslegung
- B. Harmonisierung im Bereich schwerer grenzüberschreitender Kriminalität (Art. 83 Abs. 1 AEUV)
- I. Voraussetzungen für die Kriminalisierung
- 1. Besondere Schwere
- 2. Grenzüberschreitende Dimension
- II. Kriminalitätsbereiche
- 1. Abschließender Katalog von Kriminalitätsbereichen
- 2. Andere Kriminalitätsbereiche
- a. Allgemeines zur Erweiterungsklausel
- b. Erweiterung der Straftatbestände um den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen
- (1) Beschluss des Rates zur Erweiterung der EU-Straftatbestände
- i. Einstimmiger Beschluss
- ii. Deutscher Sonderweg: Zustimmung des Bundestages zum Ratsbeschluss
- (2) Voraussetzungen für die Erweiterung des Strafbestandskatalogs
- i. Entwicklung des Kriminalitätsbereichs
- ii. Bereich besonders schwerer Kriminalität
- iii. Grenzüberschreitende Dimension
- (3) Zusammenfassung und Bewertung
- 3. Substanzielle Ausweitung von Harmonisierungskompetenzen?
- 4. Fazit
- III. Überblick über die erlassenen Rechtsakte auf Grundlage von Art. 83 Abs. 1 AEUV
- 1. Terrorismus
- 2. Menschenhandel
- 3. Sexuelle Ausbeutung von Kindern und Frauen
- 4. Geldwäsche
- 5. Korruption
- 6. Fälschung von Zahlungsmitteln
- 7. Computerkriminalität
- 8. Organisierte Kriminalität
- C. Strafrechtliche Harmonisierung in den bereits harmonisierten Bereichen (Art. 83 Abs. 2 AEUV)
- I. Gegenstand der Neuregelung
- 1. Allgemeines
- 2. Voraussetzungen der Annexkompetenz
- a. Harmonisierte Rechtsbereiche
- b. Zu den einzelnen harmonisierten Bereichen
- c. Unerlässlichkeit der Strafrechtsharmonisierung
- (1) Unterschiedliche Ansätze zur Bestimmung des Begriffs der Unerlässlichkeit
- (2) Stellungnahme und Fazit
- II. Überblick über die auf der Grundlage von Art. 83 Abs. 2 AEUV erlassenen Rechtsakte
- 1. Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation
- 2. Richtlinie über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug
- D. Harmonisierung durch Mindestvorschriften
- I. Mindestvorschriften
- II. Mindestvorschriften zu Straftaten
- 1. Harmonisierung von Straftaten
- 2. Harmonisierungstiefe
- 3. Zur Harmonisierung des Allgemeinen Teils des Strafrechts
- III. Mindestvorschriften zu Strafen
- IV. Mindestvorschriften im Fall der Annexzuständigkeit
- § 5 Mindestvorschriften nach Art. 83 AEUV als alleinige Rechtsetzungsmöglichkeit im Strafrecht?
- A. Historische und systematische Auslegung des Art. 83 AEUV
- B. Das Verhältnis zu potenziellen Strafrechtsetzungsnormen
- C. Ausnahmefall: Art. 325 Abs. 4 AEUV
- I. Art. 325 Abs. 4 AEUV als Sondernorm mit strafrechtlicher Relevanz
- II. Das Verhältnis von Art. 325 Abs. 4 AEUV zu Art. 83 AEUV
- III. Fazit
- D. Exkurs: Erlass supranationaler Strafrechtsnormen
- I. Meinungen in der Literatur
- 1. Bereichsspezifische Strafgesetzgebungskompetenz
- 2. Keine Ermächtigung zur Schaffung supranationalen Strafrechts
- II. Stellungnahme
- 1. Zum Erlass supranationaler Strafnormen
- 2. Supranationale Tatbestände und die Europäischen Staatsanwaltschaft
- 3. Supranationale Strafrechtsnormen nach Art. 325 Abs. 4 AEUV
- 4. Analoge Anwendung des Art. 83 Abs. 3 AEUV?
- III. Fazit: keine allgemeine supranationale Kompetenz im Strafrecht
- Teil 4: Weiterentwicklungsmöglichkeiten des Strafrechts auf europäischer Ebene
- § 1 Strafrechtsharmonisierung nach Lissabon
- A. Überlegungen zur Rechtsetzungstätigkeit
- B. Problematische Tendenzen
- I. Nicht hinreichende Beachtung der grundlegenden Prinzipien des materiellen Strafrechts
- 1. Missachtung des Bestimmtheitsgebots
- 2. Missachtung des Subsidiaritätsprinzips
- 3. Mangelhafte Wahrung der Kohärenz
- II. Bedenklichkeit bezüglich der Aktivitäten des europäischen Gesetzgebers im Bereich des Allgemeinen Teils des Strafrechts
- III. Bedenkliche Entwicklung in Bereich der Harmonisierung von Strafen
- § 2 Perspektiven der Strafrechtsharmonisierung
- A. Entwicklung einer europäischen Kriminalpolitik
- B. Europäische Standards ohne ein europäisches Strafgesetzbuch
- C. Harmonisierung von Strafen mittels eines klaren europäischen Systems
- D. Ein Allgemeiner Teil des Strafrechts der Europäischen Union?
- Schlussbetrachtung
- Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
a.A. |
andere Auffassung |
ABl. |
Amtsblatt |
Abs. |
Absatz |
AEUV |
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
AfB |
Archiv für Begriffsgeschichte |
AöR |
Archiv des öffentlichen Rechts |
Art. |
Artikel |
Aufl. |
Auflage |
Band |
Bd. |
BGBl. |
Bundesgesetzblatt |
BT-Drs. |
Bundestagsdrucksache |
BVerfG |
Bundesverfassungsgericht |
BVerfGE |
Entscheidung des Bundesgerichtshofes |
bzw. |
beziehungsweise |
CMLRev. |
Common Market Law Review |
DÖV |
Die Öffentliche Verwaltung |
EG |
Europäischen Gemeinschaft |
EGMR |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte |
EGV |
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft |
EMRK |
(Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 |
ERA Forum |
Europäische Rechtsakademie Forum |
EU |
Europäische Union |
Eucrim |
The European Criminal Law Associations’ Forum |
EuCLR |
European Criminal Law Review |
EuConst |
European Constitutional Law Review |
EuGH |
Gerichtshof der Europäischen Union |
EuGRZ |
Europäische Grundrechte-Zeitschrift |
EuR |
Europarecht |
EurJCrimeCrLCrJ |
European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice |
EUV a.F. |
Vertrag über die Europäische Union in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon |
EUV |
Vertrag über die Europäische Union in der Fassung nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon |
EuZW |
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht |
EWG |
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft |
EWS |
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht |
ff. |
folgende Seiten |
Fn. |
Fußnote |
GA |
Goltdammer’s Archiv für Strafrecht |
GASP |
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik |
GG |
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland |
HRRS |
Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht |
Hrsg. |
Herausgeber(in/nen) |
IES |
Institut for European Studies |
i.V.m. |
in Verbindung mit |
JA |
Juristische Arbeitsblätter |
Jura |
Juristische Ausbildung |
JuS |
Juristische Schulung |
JZ |
Juristenzeitung |
Kap. |
Kapitel |
KritV |
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft |
lit. |
litera |
MLR |
Modern Law Review |
m.w.N. |
mit weiteren Nachweisen |
NJW |
Neue Juristische Wochenschrift |
NK |
Neue Kriminalpolitik |
Nr. |
Nummer |
NStZ |
Neue Zeitschrift für Strafrecht |
NVwZ |
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht |
New J. Eur. Crim. Law |
New Journal of European Criminal Law |
PJZS |
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen |
RB |
Rahmenbeschluss |
RFSR |
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts |
RIW |
Recht der Internationalen Wirtschaft |
RL |
Richtlinie |
Rn. |
Randnummer(n) |
Rs. |
Rechtssache |
sog. |
so genannte(n/r/s) |
StGB |
Strafgesetzbuch |
StV |
Strafverteidiger |
TREVI |
Terrorisme, Radicalisme, Extrémisme et Violence Internationale |
u.a. |
unter anderem |
vgl. |
vergleiche |
ZaöRV |
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht |
z.B. |
zum Beispiel |
ZBJI |
Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres |
ZEuS |
Zeitschrift für europarechtliche Studien |
ZIS |
Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik |
ZStW |
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft |
ZUM |
Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht |
Einleitung
§ 1 Gegenstand und Ziel der Arbeit
Strafrecht galt traditionell – und gilt nach wie vor – als wesentliche Ausprägung der staatlichen Souveränität. In diesem Kontext kann gefragt werden, was unter Staatssouveränität zu verstehen ist. Die Souveränität ist als bestimmendes Merkmal der Staatsgewalt definiert und umfasst die „tatsächlich und rechtlich unbeschränkte Möglichkeit zur Selbstorganisation des Staatswesens“1. Es handelt sich um die Fähigkeit, letztverbindlich innerhalb des Staates entscheiden zu können. Im demokratisch verfassten Rechtsstaat liegt die Souveränität beim Volk2 und deren Ausübung wird allein durch eine staatliche Ordnung ermöglicht.3 Das Strafrecht ist durch seine Rechtsnatur Teil mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten,4 d.h., die Mitgliedstaaten allein besitzen die Kompetenz, Straftatbestände zu normieren und strafrechtliche Sanktionen zu verhängen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass diese Materie „unionsfrei“ ist und durch europarechtliche Vorgaben nicht beeinflusst werden kann.5
Entscheidend wurden zuletzt nationale Rechtsordnungen von außen im Mittelalter bestimmt, und zwar durch den Einfluss des römischen Rechts. Heutzutage findet die externe Bestimmung grundsätzlich in einer progressiven Form statt, indem die Staaten ihre staatliche Hoheitsgewalt teilweise auf die Europäische Union als supranationale6 Organisation übertragen und sich der Gesetzgebung ihrer Organe unterwerfen. Mit der Übertragung von Staatsgewalt beschränkt sich der übertragende Mitgliedstaat selbst in seiner Souveränität.7 Dies bedeutet, dass das vom Volk gewählte Repräsentationsorgan an Einfluss auf den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess verliert.
Die europäische Zusammenarbeit zielte ursprünglich insbesondere auf die Verwirklichung eines Binnenmarktes ab, in dem sich die Waren, Personen, Dienstleistungen und das Kapital frei bewegen können. Die Abschaffung der Kontrollen, einschließlich der Personenkontrollen, an den Binnengrenzen führte jedoch nicht nur zu mehr wirtschaftlicher Freiheit, sondern erleichterte auch die organisierte und grenzüberschreitend operierende Kriminalität. Prävention und Bekämpfung von Kriminalität ließen sich deshalb nicht mehr allein durch nationale Strafrechtssysteme erreichen. Die Idee einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts geriet daher immer stärker in den Fokus der EU-Politik, sodass sich in den letzten drei Jahrzehnten schrittweise und zum Teil sogar rasant ein integriertes System europäischer Strafrechtspflege entwickelt hat.
Im Gegensatz zu den Bereichen des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts, die sehr früh durch das europäische Recht beeinflusst wurden, ist das Strafrecht erst viel später ein Bestandteil der europäischen Politikfelder geworden. Die Entwicklung des Strafrechts auf europäischer Ebene fand in einem eigenen Rahmen statt, in dem anfangs die traditionelle Ebene des Zusammenwirkens souveräner Staaten nicht wirklich verlassen wurde:
– Ausgangspunkt war die Zusammenarbeit im Rahmen der TREVI-Gruppen,8 außerhalb der Europäischen Verträge und ursprünglich mit wirtschaftlicher Ausrichtung;
– es folgte die erste vertragliche Verankerung 1992 im Vertrag von Maastricht, der die Europäische Union als einen Tempel mit drei Säulen strukturierte und die Justiz und Innenpolitik der dritten, intergouvernemental9 organisierten Säule (Justiz und Inneres – JI) zurechnete;
Details
- Seiten
- 296
- Erscheinungsjahr
- 2024
- ISBN (PDF)
- 9783631912379
- ISBN (ePUB)
- 9783631912386
- ISBN (Hardcover)
- 9783631912294
- DOI
- 10.3726/b21417
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2024 (Mai)
- Schlagworte
- Europarecht Europäisches Strafrecht nach Lissabon Strafrecht Europäisches Strafrecht Supranationales europäisches Strafrecht Strafrechtsetzungskompetenz der Europäischen Union Europäische Kriminalitätsbereiche
- Erschienen
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 296 S.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG