Lade Inhalt...

Die Regulierung von Online-Plattformen und der kartellrechtliche Missbrauchstatbestand

von Anna Chub (Autor:in)
©2024 Dissertation 272 Seiten

Zusammenfassung

(Online-)Plattformen spielen im Zeitalter des digitalen Wandels eine immer größere Rolle. Durch die Implementierung u.a. des Digital Markets Acts hat sich dabei der Begriff des "Plattformkartellrechts" herausgebildet. Die Besonderheiten von Plattformen der digitalen Wirtschaft geben daher im Bereich der Missbrauchsaufsicht Anlass zu einem Überdenken hergebrachter Beurteilungsmaßstäbe. Wenn einzelne große Online-Plattformen ein solches Erfolgsmodell darstellen, so stellt sich unweigerlich die Frage, aus welchem Grund ihr Erfolgsmodell nicht bestreitbar zu sein scheint, obwohl der Internetzugang allen uneingeschränkt freisteht. Das besondere Augenmerk der Abhandlung liegt daher auf den aktuellen normativen Tendenzen und einschlägiger Regulatorien, in Erwartung der bleibenden Dynamik in diesem Bereich.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kapitel 1: Einführung
  • A. Einleitung
  • B. Ziele der Untersuchung
  • C. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 2: Digitale Ökonomie
  • A. Plattformökonomik
  • I. Digitale Plattformen
  • II. Analoge und digitale Plattformen
  • B. Die Bedeutung von Netzwerkeffekten im Internet und ihre Auswirkungen
  • I. Allgemeines
  • II. Direkte Netzwerkeffekte
  • III. Indirekte Netzwerkeffekte, Daten-Netzwerkeffekte und externe Informationseffekte
  • Kapitel 3: Wettbewerbsschutz in der EU und Plattformdienste
  • A. Das Missbrauchsverbot im Europäischen Kartellrechtssystem
  • B. Bestimmung des sachlich relevanten Marktes
  • I. Traditionelle (einseitige) Märkte
  • 1. Einleitung
  • 2. Bedarfsmarktkonzept – funktionale Austauschbarkeit
  • 3. Hypothetischer Monopolistentest – SSNIP-Test
  • II. Marktnachfrage auf Online-Plattformen unter Berücksichtigung von Netzwerkeffekten und der Theorie zweiseitiger/mehrseitiger Märkte
  • 1. Einleitung
  • 2. Zweiseitige/mehrseitige Märkte
  • 3. Weitere Folgen der Gewinnung von Netzwerkeffekten für zweiseitige Märkte unter Berücksichtigung der kritischen Masse
  • a. Preisdifferenzierung
  • b. Negative Netzwerkeffekte, Umstellungskosten und Multi-Homing
  • c. Negative Netzwerkeffekte: Pfadabhängigkeit und Lock-in-Effekt
  • 4. Plattformseitenübergreifender Markt – „single-market approach“
  • 5. Marktseitenspezifische Marktabgrenzung – „multiple-markets approach“
  • 6. Zwischenergebnis und Stellungnahme
  • a. „Mehrseitige Einzelmarktbeherrschung“
  • b. Loslösung vom starren Preisgefüge
  • C. Das „Ob“ der Marktabgrenzung in der Missbrauchskontrolle für Online-Plattformdienste
  • I. Marktabgrenzung als normativ unverzichtbarer Bestandteil der Missbrauchskontrolle
  • II. „Theory of Harm“ – Missbrauchsrecht als reine Schadenstheorie
  • III. Bewertung und Stellungnahme
  • D. Marktmacht
  • I. Allgemeines
  • II. Grundsätze der Marktmachtbestimmung
  • III. Marktmacht eines mehrseitigen Plattformdienstes
  • IV. Zusammenfassung und Stellungnahme
  • E. Missbräuchliche Verhaltensweisen
  • I. Ausbeutungsmissbrauch
  • 1. Preis- und Konditionenmissbrauch
  • a. Erzwingung unangemessener Bedingungen – datenschutzrechtswidrige AGB von Facebook
  • b. Anwendung und Zwischenergebnis
  • 2. Kopplungsverbot in Sinne eines Ausbeutungsmissbrauchs
  • a. Einführung
  • b. Kopplungsstrategien der Plattformbetreiber im Rahmen des Ausbeutungsmissbrauchs
  • c. Aufgedrängte Leistungserweiterung – Fall „Facebook“
  • aa. Anwendung der Grundsätze der BGH-Entscheidung
  • bb. Stellungnahme
  • II. Behinderungsmissbrauch
  • 1. Übertragung von Marktmacht durch Plattformdienste, „Leveraging“
  • a. Einführung
  • b. Weitergehende Besonderheiten eines „Leveraging“ bei Plattformdiensten
  • c. Plattformumhüllung am Beispiel von Facebook-Marketplace und Amazon
  • aa. Grundsätze der Untersuchung der Kommission
  • bb. Folgerungen und Stellungnahme
  • 2. Geschäftsverweigerung – Nichtaufnahme von Geschäftsbeziehungen – Essential-Facility-Doktrin
  • a. Einleitung
  • b. Natürliche Monopole
  • c. Essential-Facility-Doktrin
  • aa. Datenzugang
  • bb. Stellungnahme
  • III. Selbstbevorzugung – „self preferencing“
  • 1. Einleitung
  • 2 Google-Shopping-Entscheidung
  • a. Allgemeines
  • b. Selbstbevorzugung als mögliche Verdrängungspraktik
  • aa. Feststellung von Wettbewerbsnachteilen
  • bb. Vorgehensweise in der Google-Shopping-Entscheidung
  • c. Stellungnahme und Folgeprobleme
  • aa. Stellungnahme
  • bb. Folgeprobleme
  • F. Lösungsansätze
  • I. Selbstregulierung – insbesondere durch Algorithmen der Privatakteure
  • II. Nachbesserung des bestehenden Wettbewerbsrechts – Auslegung und Methodik
  • III. Regulierung der Online-Plattformdienste
  • IV. Stellungnahme
  • Kapitel 4: Versuch eines regulatorischen Rahmens für Plattformen – „Neue Regeln für neue Macht“
  • A. Grundmechanismen der Marktregulierung
  • I. Einleitung
  • II. Digitale Plattformökonomie als Gegenstand des Regulierungsrechts
  • B. Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs durch die P2B-Verordnung
  • I. Einführung
  • II. Gegenstand, wesentlicher Inhalt der Zielsetzungen der P2B-VO und Einsetzung einer EU-Beobachtungsstelle
  • III. Normativer Regulierungsrahmen der P2B-VO
  • 1. Anwendungsbereich
  • 2. Art. 4 Abs. 1, 5 P2B-VO und das interne Beschwerdemanagementsystem Art. 11 Abs. 1, 2 P2B-VO
  • 3. Art. 5 P2B-VO – Auswahl und Reihung innerhalb eines Rankings und Datenzugang, Art. 9 P2B-VO
  • 4. Art. 7 P2B-VO Selbstbevorzugung bei vertikal integrierten Plattformmärkten
  • a. Regelungsgegenstand – „Hilfe zur Selbsthilfe“
  • b. Bewertung
  • aa. Vorteile des gewählten Ansatzes
  • bb. Schwächen des gewählten Ansatzes
  • IV. Abschließende Stellungnahme zum Regelungsansatz der P2B-VO
  • V. Künftige Ausrichtung
  • C. Digital Market Acts
  • I. Einführung
  • II. Regulierungsrahmen und Regelungsgehalt
  • 1. Zielsetzungen
  • a. Einleitung – Fairness und Bestreitbarkeit der Märkte
  • b. Bestreitbarkeit der Märkte – aus ökonomischer Perspektive
  • c. Rechtliche Zielsetzungen der Bestreitbarkeit im Regulierungssektor der digitalen Plattformökonomik
  • 2. Rechtsgrundlage, Art. 114 AEUV
  • a. Legitimation einer Sektorregulierung des digitalen Binnenmarktes
  • aa. Art. 114 AEUV
  • bb. Art. 103 AEUV
  • b. Stellungnahme
  • 3. Anwendungsbereich – „Gatekeeper Stellung“
  • 4. Normative Verpflichtungen für Gatekeeper
  • a. Kopplungsverbot, Art. 5 Abs. 2 lit. b) DMA
  • b. Datennutzung zu Wettbewerbszwecken
  • c. Datenzugang, Art. 6 Abs. 10 u. 11 DMA
  • d. Zwischenergebnis
  • III. Abschließende Stellungnahme/Ergebnis
  • IV. Zusammenfassung
  • Kapitel 5: Ein Regulierungsrahmen im digitalen Sektor – eine Abkehr von starren Sanktionsregulierungen
  • Literaturverzeichnis

Kapitel 1: Einführung

A. Einleitung

„Alle Wege führen nach Luxemburg“, so oder so ähnlich dürften die „Plattformgiganten“ den Weg ihrer Geschäftsmodelle1 künftig außerhalb der „All-IP-Welt“2 begreifen. Aber auch auf nationaler Ebene sind Online-Plattformen seit Jahrzehnten im Blickpunkt des Bundeskartellamts: Corint Media legte im Jahr 2021 gegen den neuen Google Dienst „Google News Showcase“ Beschwerde beim Bundeskartellamt ein. In dem eingeleiteten Verfahren wurde untersucht, ob mit der angekündigten Einbindung des Google-News-Showcase-Angebots (GNS3) in die allgemeine Suche eine Selbstbevorzugung Googles bzw. eine Behinderung konkurrierender Angebote Dritter droht. Ausschlaggebend war in diesem Zusammenhang insbesondere, wie die Bedingungen für den Zugang zu dem GNS-Angebot ausgestaltet waren.4 Das Bundeskartellamt hat entschieden, dass Google der erweiterten Missbrauchsaufsicht nach § 19a GWB durch die Kartellbehörde unterfällt.5

Aus Sicht des Verbrauchers könnte dieses Ergebnis zunächst überraschen,6 werden sog. Onlineplattformdienste, wie im Falle der Suchmaschine Google oder des sozialen Netzwerks Facebook7, dem Nutzer vermeintlich ohne eine monetäre Gegenleistung8 zur Verfügung gestellt.9 Nichtsdestotrotz erwirtschaften diese Unternehmen derart hohe Gewinne, dass sie zu den wertvollsten Unternehmen gezählt werden.10

Das Geschäftsmodell der so genannten „Internetgiganten“11 basiert auf einem Erkenntnishorizont algorithmenbasierter Klassifikationen auf Grundlage von enormen Big-Data-Archiven.12 Google ist in der Lage, alle zwei Tage etwa fünf Exabyte an Daten zu erzeugen, was der Menge an Informationen entspricht, die von den Anfängen der Zivilisation bis zum Jahr 2003 erzeugt wurden.13 Die Analyse der gesammelten Nutzerdaten ermöglicht eine dynamische Anpassung der zur Verfügung gestellten Dienste.14 Gewonnene Erkenntnisse können zur besseren Personalisierung einer Dienstleistung genutzt werden:15

Die Suchmaschine Google beispielsweise kann aufgrund eines immensen Aufkommens an Suchanfragen bessere Trefferlisten als konkurrierende Suchmaschinen für Nutzer erstellen. Ihre automatisierte Auswertung der generierten Klicks von Trefferlisten erlaubt es ihr, den Service für die Nutzer stetig zu verbessern.16 Für datengetriebene Geschäftsmodelle der Internetgiganten, die zu weiten Teilen auf der Vermarktung zielgerichteter Online-Werbung basieren, ist die Auswertung von Nutzerdaten zur Anzeige personalisierter Werbung für die Monetisierung der gesamten Plattform von großer Bedeutung.17

Hinter einer Online-Plattform steht eine hochleistungsfähige digitale Infrastruktur,18 die gewisse Vorteile mit sich bringt: Während in herkömmlichen Einkaufszentren die Aufnahme von Geschäften aufgrund der Platzkapazität nicht endlos ist, können digitale Plattformenanbieter eines Online-Marktplatzes wie Ebay19 aufgrund unbegrenzter Platzkapazität weitaus mehr Anbieter aufnehmen.20 Für den Nutzer sind Wohlfahrtsgewinne21 eine erfreuliche Folge der Senkung von Transaktions- und Suchkosten22, ohne oder gegen einen geringfügigen Preis:23 Die Vielfalt von Informationen im Internet schafft für Internetnutzer Suchkosten eigener Art, indem Verbraucher vor eine kaum überschaubare Informationsfülle des Internets gestellt werden.24 Als Informationsintermediäre erleichtern Online-Plattformen ihren Nutzern das Auffinden, den Vergleich und die Bewertung von Informationen. Online-Plattformen stehen grundsätzlich allen zur Nutzung offen, insbesondere unabhängig vom Ort, an dem sich das Unternehmen oder der Einzelne befindet.25

Es überrascht daher nicht, dass diese datengetriebenen Geschäftsmodelle26 in der Lage sind, eine steigende Anzahl an weiteren Nutzern anzuziehen. Dieser starke Anreiz ermöglicht einen rasanten Aufstieg der digitalen Plattformen.27 Für Unternehmen sind diese hohen Nutzerzahlen für die Erschließung neuer Vertriebskanäle,28 und um einen erleichterten Zugang zu neuen Kundengruppen in der digitalen Welt zu erlangen, mittlerweile unumgänglich,29 um sich von den nicht mehr in allen Segmenten gewinnträchtigen analogen Marktstrukturen zu befreien.30

Grenzüberschreitende Informationsströme sind mittlerweile die am schnellsten wachsende Komponente des Handels in der EU.31 Studien belegen, dass allein zwischen dem Jahr 2008 und 2012 Datenströme um 49 % zugenommen haben, während der Handel mit Waren und Dienstleistungen gleichzeitig nur um 2,4 % wuchs.32 Das algorithmenbasierte Matching-System erlebt eine unendliche Fütterung an neuen Daten, welche die meisten Unternehmen gewillt sind preiszugeben,33 um in die gewinnträchtige digitale „Plattformwirtschaft“34 einzutreten.35 Die Plattformbetreiber können daher diese günstigen Effekte der Plattformwirtschaft für sich nutzen, um den Zugang zu ihren Plattformen davon abhängig zu machen, dass der Informationsaustausch36 zwischen den Nutzern offengelegt wird. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Plattformbetreiber den Zugang zu seinem Plattformdienst verwehrt.37

Diese Stellung der Plattformbetreiber als Zugangstore38 zu erheblichen Datenmengen und Nutzergruppen verwischt die grundlegende Struktur einer freien Marktwirtschaft, die als zentrale Säule der Ökonomie in der analogen Welt gilt. Die Problematik wird auf europäischer Ebene insbesondere im Anwendungsbereich des Art. 102 AEUV verortet, weil der Anwendungsbereich dieser Norm nicht auf bestimmte Formen des Verhaltens begrenzt ist. Als wesentlicher Pfeiler des europäischen Wettbewerbsregimes39 gewann die Missbrauchsaufsicht auf den Online-Plattformmärkten an großer Bedeutung. Verfahren gegen Google und Facebook sind aufgrund der sich entwickelnden Monopolisierungstendenzen allesamt Missbrauchsverfahren.40 Das Wettbewerbsrecht hat dafür Sorge zu tragen, dass Marktstellungen angreifbar bleiben. Neben der Fusionskontrolle bildet insbesondere die Missbrauchsaufsicht bei Monopoltendenzen das Mittel der Wahl.41

Schwierigkeiten bereitet dabei der Aspekt, dass für das kartellrechtliche Normengebilde der Missbrauchsaufsicht des Art. 102 AEUV im Hinblick auf die Markt- und Wettbewerbsrelevanz vielfach auf Preisstrukturen42 abgestellt wird. Der Preis ist für die Abgrenzung des relevanten Marktes im Anwendungsbereich des Art. 102 AEUV ein wesentlicher Faktor, um die Austauschbarkeit von Gütern oder Dienstleistungen zu ermitteln.43 Der Fokus ist auch bei der Anwendung der übrigen Tatbestandsmerkmale des Art. 102 AEUV auf eine Preislage gerichtet. So wird beispielsweise der Marktanteil eines Unternehmens grundsätzlich anhand seines Anteils an verkauften Gütern in Relation zum Gesamtumsatz auf dem gesamten Markt gemessen.44 Bei der Untersuchung, ob ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Marktmacht nach Art. 102 AEUV missbräuchlich ausnutzt, prüft die Kartellrechtspraxis die Angemessenheit einer Verhaltensweise vorwiegend anhand von Preisvergleichen.45 Online-Plattformen konnten aufgrund ihrer (vermeintlich) unentgeltlichen Dienstleistungen von einer kartellrechtlichen Überprüfung daher lange verschont bleiben. Denn bislang wurde die Anwendung des Kartellrechts durch traditionelle Märkte geprägt. Die Besonderheiten von Plattformen der digitalen Wirtschaft geben daher im Bereich der Missbrauchsaufsicht Anlass zu einem Überdenken hergebrachter Beurteilungsmaßstäbe. Wenn einzelne große Online-Plattformen ein solches Erfolgsmodell darstellen, so stellt sich unweigerlich die Frage, aus welchem Grund ihr Erfolgsmodell nicht bestreitbar zu sein scheint, obwohl der Internetzugang allen uneingeschränkt freisteht.46

B. Ziele der Untersuchung

Lange Zeit hatte die Wettbewerbspolitik keine eindeutige Antwort auf die stark wachsende digitale Macht47 der Online-Plattformbetreiber. Erst seit 2019 gibt es ernsthafte regulatorische Bestrebungen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene: Unter dem Stichwort „Wettbewerbspolitik für das digitale Zeitalter“ hat die Kommission das Augenmerk des europäischen Wettbewerbsrechts auf digitale Plattformen vorangetrieben, um datengetriebenen Geschäftsmodellen48 Grenzen zu setzen.49

Änderungen auf europäischer Ebene, wie die Implementierung der Verordnung zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungs- und Onlinesuchdiensten (P2B-VO)50 und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act)51, bilden einen wesentlichen Schnittpunkt der Untersuchung zu dem traditionellen kartellrechtlichen Instrument der Missbrauchsaufsicht.

Regulierungsinitiativen auf europäischer und nationaler Ebene zeigen nicht nur die Aktualität der Thematik auf, sondern auch das bestehende Interesse an einer effektiven Lösung für den digitalen Binnenmarkt im Umgang „mit mächtigen digitalen Plattformen“.52 Der eingeschlagene Weg hat neue Diskussions- und Problemfelder eröffnet, da Sonderregeln in anderen Bereichen immer weiter abgebaut wurden, weshalb die aktuellen Tendenzen nicht kritiklos blieben.53

Das Kartellrecht dient der Förderung und Erhaltung der liberalen Marktwirtschaft und begegnet damit unerwünschten Entwicklungen wie dem Missbrauch der Marktmacht und der Bildung von Kartellen. Das Kartellrecht bildet seinen Ursprung als Reaktion auf diese negativen Folgen des freien Marktes und wird als allgemeine, staatliche Regulierung wettbewerbswidrigen Verhaltens verstanden.54

In der heutigen digitalen Ära haben sich durch Technologieunternehmen und Online-Plattformen neue Herausforderungen für den Wettbewerb ergeben. Inwieweit allein die staatliche Regulierung von digitalen Märkten insbesondere durch die Missbrauchskontrolle dazu beitragen kann, Innovationen weiter voranzutreiben und den Verbraucherschutz zu stärken, soll die nachfolgende Analyse beleuchten.

Schwerpunkt der Analyse soll dabei sein, hinsichtlich welcher (Online-)Aktivitäten55 der Plattformen eine Plattformregulierung56 einen rechtlich effizienteren Rahmen geschaffen hat.57 Hierbei soll das besondere Augenmerk auf den aktuellen normativen Tendenzen auf europäischer Ebene liegen. Zu den vergangenen Bestrebungen, die Missbrauchskontrolle an wirtschaftlichen Bewertungen auszurichten (sog. more economic approach58), haben weitere ökonomische Ansätze normativen Einklang in die juristische Betrachtungsweise gefunden, wie die Theorie der Bestreitbarkeit der Märkte,59 auf die ebenfalls näher eingegangen wird.

Kernfrage ist dabei, inwieweit die Missbrauchskontrolle dennoch ein flexibles und effektives Instrument für neue dynamische Herausforderungen der digitalen Wirtschaft darstellt. Ausschlaggebend ist dabei, inwieweit aufgezeigte Problemstellungen de lege lata oder de lege ferenda auf europäischer Ebene gelöst werden können.

C. Gang der Untersuchung

Der Schwerpunkt der Ausarbeitung liegt auf Online-Plattformen, die auf mehreren Märkten gleichzeitig operieren. Nicht betrachtet wird in dieser Ausarbeitung daher ein möglicher Wettbewerb zwischen den jeweiligen Anbietern auf einer Plattform (Intra-Plattformwettbewerb), die unabhängig von dem Plattformdienstleister agieren. Der besondere Fall von Plattformverboten im Vertrieb ist nicht Gegenstand der Untersuchung.

An die Einführung im ersten Kapitel, werden im zweiten Kapitel zunächst ökonomisch relevante Grundlagen erörtert, die für die Ausformungen mehrseitiger Online-Plattformen relevant sind. Dies soll helfen die grundlegenden Eigenschaften der digitalen Plattformökonomie im Vergleich zu analogen Märkten zu verdeutlichen. Die zentrale Aufgabe der Kartellrechtspraxis besteht im Kern darin, ein zulässiges von einem unzulässigen Verhalten abzugrenzen. Für diese Aufgabe müssen auch die Erkenntnisse der Wettbewerbsökonomie mitberücksichtigt werden. Die Untersuchung wird jedoch auch zeigen, dass die ökonomischen Grundsätze nicht ausnahmslos formal rechtlich übernommen werden können, was beispielweise der nationale Gesetzgeber in der 10. GWB-Novelle gleichwohl getan hat.

Die Bedeutung mehrseitiger Plattformen in der digitalen Ökonomie soll dazu dienen normative Problemfelder in der Missbrauchskontrolle zu identifiziert, die im dritten Kapitel unter Zugrundelegung weitergehender Erkenntnisse im Hinblick auf digitale, mehrseitige Plattformen, vertieft behandelt werden. Ausschlaggebend hierfür ist, dass der Preiswettbewerb in diesen spezifischen Strukturen der Online-Plattformwirtschaft eine nur nachrangige Rolle spielt, um die Wettbewerbsverzerrung zu qualifizieren. Im vierten Kapitel werden einschlägige normative Neuerungen dargestellt und entsprechend bewertet. Grundgedanken des hier bevorzugten Ansatzes einer normativen Neugestaltung und ihre Eckpfeiler, stellt das letzte Kapitel der Ausarbeitung dar. Die Untersuchung schließt daher mit einem eigenen Vorschlag ab.


1 Dewenter/Löw/Rösch, ZfbF-Sonderheft, Band 75/20, 36.

2 Körber, WuW 2015, 120.

3 Pohlmann/Lindhauer/Peter, NZKart 2021, 544.

4 Pressemitteilung des Bundeskartellamtes vom 04.06.2021, abrufbar unter: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2021/04_06_2021_Google_Showcase.html, zuletzt aufgerufen am: 01.03.2024.

5 Pressemitteilung des Bundeskartellamtes vom 05.01.2022, abrufbar unter: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Pressemittei lungen/2022/05_01_2022_Google_19a.pdf?__blob=publicationFile& v=2, zuletzt aufgerufen am: 01.03.2024.

6 Podszun/Kersting, ZRP 2019, 34.

7 OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.12.2020 – 7 U 131/19, GRUR-RS 2020, 41440, Rn. 5, Rn. 70.

8 Topel, in: FS Wiedemann, S. 57.

9 Metzger, AcP 216 (2016), 818; Nagel/Horn, ZWeR 2021, 80 ff.

10 Dewenter/Löw/Rösch, ZfbF-Sonderheft, Band 75/20, 36: 2018 zählen u.a. Apple, Alphabet, Microsoft, Amazon u. Facebook zu den zehn wertvollsten Unternehmen; Satzky, in: FS Schmidt, Band 2, S. 306; Wiebe, in: FS Kirchner, S. 425: Börsenwert von Facebook wird mit 100 Mrd. Dollar geschätzt und damit höher als das größte deutsche Unternehmen Siemens.

11 Podszun/Kersting, ZRP 2019, 34.

12 Martini, Blackbox Algorithmus – Grundfragen einer Regulierung Künstlicher Intelligenz, S. 333; Stender-Vorwachs/Steege, NJOZ 2018, 1361; zum Begriff und Unterscheidungen zwischen deskriptiven Algorithmen und Blackboxalgorithmen siehe näher: Bundeskartellamt/Autorité de la concurrence, Algorithms and Competition, 2019, S. 1.

13 Choi/Jeon/Kim, Journal of Public Economics 2019, Band 173(C), 113 ff.

14 BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – KVR 69/19, GRUR 2020, 1318 Rn. 45 – Facebook; Pohlmann, in: Zimmer, Regulierung für Algorithmen und Künstliche Intelligenz 2021, S. 314.

15 Immenga/Mestmäcker/Fuchs, GWB § 18 Rn. 71.

16 Zimmer, in: FS Schmidt, Band 2, S. 686.

17 Immenga/Mestmäcker/Fuchs, GWB § 18 Rn. 71; Topel, in: FS Wiedemann, S. 57–61.

18 Vgl. Zimmer, in: FS Schmidt, Band 2, S. 685.

19 Zur Funktionsweise eines auf Datensammlung basierten Online-Marktplatzes vgl.: EuGH, Urteil vom 12.7.2011 – C-324/09, GRUR 2011, 1025 – L’Oréal/eBay.

20 Engert, AcP 218 (2018), 307–308.

21 Janal, ZEuP 2021, 237.

22 Vgl. Belleflamme/Peitz, Industrial Organization – markets and strategies, Cambridge, S. 162 ff.

23 Evans/Schmalensee, in: Blair/Sokol, The Oxford Handbook of International Antitrust Economics 2014, Band 1., S. 405–406.

24 Schweitzer/Fetzer/Peitz, ZEW Discussion Paper Nr. 16–042, 29.5.2016, 10.

25 Schweitzer/Fetzer/Peitz, ZEW Discussion Paper Nr. 16–042, 29.5.2016, 4.

26 Dewenter/Löw/Rösch, ZfbF-Sonderheft, Band 75/20, 36.

27 Busch, GRUR 2019, 788–789.

28 Vgl. Kommission, Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel, vom 10.5.2017 COM(2017) 229 final, Rn. 4; Busch, GRUR 2019, 788–789.

29 Voigt/Reuter, DB 2020, 1393: Vor dem Hintergrund, dass „die Masse der verfügbaren Angebote im Markt“ die Erschließung neuer Kunden erschwert.

30 Vgl. Birnstiel/Bauer, in: Internet of Things, Rechtshandbuch 2021, § 14 Rn. 1.

31 Kommission, commission staff working document on the free flow of data and emerging issues of the European data economy, vom 10.1.2017 SWD(2017) 2 final, S. 8.

Details

Seiten
272
Erscheinungsjahr
2024
ISBN (PDF)
9783631908525
ISBN (ePUB)
9783631908532
ISBN (Hardcover)
9783631908488
DOI
10.3726/b21176
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (November)
Schlagworte
Torwächter Gatekeeper Regulierung Selbstregulierung durch Algorithmen Regulierung der Online-Plattformdienste Kartellrecht Wettbewerb Digital Markets Act (Online-) Plattformdienste Plattformökonomie
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 272 S.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Anna Chub (Autor:in)

Anna Chub, geb. 1989, studierte Rechtswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Während ihrer Promotion war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FernUniversität Hagen und der Technischen Universität Dortmund. Ihr Referendariat absolvierte sie im OLG-Bezirk Düsseldorf.

Zurück

Titel: Die Regulierung von Online-Plattformen und der kartellrechtliche Missbrauchstatbestand