Toleranz, Fremde und Bildung

Toleranz gilt generell als Tugend sowie als vorrangiges Bildungsziel. Der Grund dafür ist leicht einzusehen; er ergibt sich aus der Antwort auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit dafür, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft sowie verschiedener religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen in einer Gesellschaft kooperieren können. Im Bildungssystem spiegelt sich dieser Pluralismus auf drei Ebenen wider, nämlich einmal auf der praktischen Ebene der Lehr-Lernprozesse, da die kulturelle Heterogenität der Lerngruppen zunimmt, dann auf der Ebene der Lerninhalte, wo die Verschiedenheit der Weltanschauungen und Kulturen zum Thema wird, und schließlich auf der konzeptionell-reflexiven Ebene, auf der die Frage zu bearbeiten ist, wie Bildungsprozesse unter den Bedingungen des Pluralismus ablaufen und worin ihr Ziel besteht. Auf allen drei Ebenen geht es um Toleranz, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Institutionalisierte Lehr-Lernprozesse setzen ein bestimmtes Maß an Bereitschaft zu tolerantem Verhalten bereits voraus, weil sonst eine Kooperation innerhalb heterogener Lerngruppen nicht möglich wäre. Wenn verschiedene Religionen, politische Ideologien oder philosophische Entwürfe zum Thema werden, stellt sich die Frage, ob und wie sie nebeneinander bestehen können, womit sich eine mehr oder minder explizite Vorstellung von Toleranz verbindet. Schließlich ist der Begriff des Lernens bzw. der Bildung selbst in Verbindung mit dem der Toleranz zu bestimmen, da Bildung einerseits, als normativer Begriff, eine orientierende Funktion haben soll, andererseits gegen seine abschließende Bestimmung die Abhängigkeit vom kulturellen Kontext geltend gemacht werden kann.