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Übersetzungsprobleme und -strategien

Der Einfluss von Mehrsprachigkeit auf den Übersetzungsprozess

by Alice Wachira (Author)
©2024 Thesis 258 Pages
Series: Sprach-Vermittlungen, Volume 4

Summary

Der Band untersucht den Einfluss der Beherrschung von mehr als zwei Sprachen auf den kognitiven Sprachverarbeitungsprozess eines Sprechers. Ausgangspunkt sind zwei Gruppen mehrsprachiger Personen mit unterschiedlichem Sprachhintergrund, die einen Kiswahili-Text ins Deutsche übersetzen sollen. Es zeigt sich, dass auch andere bekannte Sprachen, die nicht in der Aufgabenstellung vorkamen, eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Aufgabe spielen. Der Sprachgebrauch, die Situiertheit und die Art und Weise des Erwerbs des Deutschen sind entscheidende Faktoren – sie beeinflussen sowohl den Sprachverarbeitungsprozess als auch das Endprodukt.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • 0  Einleitung
  • Kapitel I Ein Überblick über die soziolinguistische Situation in Kenia
  • 1.0 Zum Begriff „Multilingualismus“
  • 1.1 Zum historischen Hintergrund der kenianischen soziolinguistischen Situation
  • 1.1.1 Die ethnischen Sprachen
  • 1.1.2 Kiswahili
  • 1.1.3 Englisch
  • 1.1.4 Deutsch
  • 1.2 Zum Sprachgebrauch in Kenia
  • 1.2.1 Zum allgemeinen Sprachgebrauch in Kenia
  • 1.2.2a Codeswitching
  • 1.2.2b Gründe für Codeswitching
  • 1.2.2c Codeswitching in Nairobi
  • Kapitel II Methodik
  • 2.1 Ziel der Feldforschung
  • 2.2 Vorannahmen
  • 2.2.1 Leitende Erwartungen und Annahmen bei der Feldforschung
  • 2.3 Untersuchungsmaterialien
  • 2.3.0 Inhalt der empirischen Aufgaben
  • 2.3.1 Ausgangstext der Übersetzung
  • 2.3.1a Übersetzungsrichtung Kiswahili-Deutsch
  • 2.3.1b Thema und Struktur des Übersetzungstextes
  • 2.3.1c Der Originalwortlaut des Übersetzungstextes
  • 2.3.1d Eine deutsche Version des zu übersetzenden Textes
  • 2.3.2 Fragebogen
  • 2.4 Ort und Probanden der Feldforschung
  • 2.5 Die Rolle der Forscherin
  • 2.6 Probleme bei der Durchführung der Feldforschung und ihre Lösungen
  • 2.7 Zur Auswertung und Analyse der Daten aus der Feldforschung
  • 2.8 Zur Vorgehensweise bei der Auswertung und Analyse der übersetzten Texte
  • Kapitel III Forschungsergebnisse Teil I – Allgemeine Beobachtungen
  • 3.0 Allgemeine Bemerkungen
  • 3.1 Verständlichkeit der übersetzten Texte
  • 3.1.1 Übersetzungseinheit
  • 3.1.2 Spracherwerbsumstände und Sprachgebrauch
  • 3.2 Beobachtungen zur Rolle der verschiedenen Sprachen beim Übersetzen
  • 3.2a Situiertheit und Sprachdominanz
  • 3.2b Mentale Repräsentation und der Versprachlichungsprozess
  • 3.2.1 Die Rolle der Muttersprache im Übersetzungsprozess
  • 3.2.2 Die Rolle von Kiswahili im Übersetzungsprozess
  • 3.2.2a – bei der Nairobigruppe
  • 3.2.2b – bei der Mombasagruppe
  • 3.2.3 Die Rolle des Deutschen im Übersetzungsprozess
  • 3.2.4 Die Rolle des Englischen im Übersetzungsprozess
  • 3.3 Beobachtungen zum Übersetzungsprozess bei beiden Probandengruppen
  • 3.3.1 Einheit der Übersetzung und Schwierigkeit des Übersetzungsauftrags
  • 3.3.2 Übersetzungsprobleme und ihre Lösungen
  • 3.4 Zusammenfassung der Beobachtungen und Schlussfolgerungen
  • Kapitel IV Forschungsergebnisse Teil II – Interferenzerscheinungen in den übersetzten Texten
  • 4.0 Einleitende Bemerkungen
  • 4.0a Allgemeine Beobachtungen
  • 4.0b Zum Interferenz-Begriff
  • 4.0c Ursachen von Interferenzfehlern
  • 4.1 Phonologische Interferenzen
  • Kapitel V Schlussfolgerungen und Ausblick
  • 5.1 Überprüfung der Annahmen bzw. Erwartungen
  • 5.2 Schlussfolgerungen
  • 5.2.1 Situiertheit
  • 5.2.2 Sprachgebrauch
  • 5.2.2a Häufigkeit des Sprachgebrauchs
  • 5.2.2b Art und Weise des Sprachgebrauchs
  • 5.2.3 Spracherwerb
  • 5.2.4 Sprachtypologischer Unterschied zwischen Ausgangs- und Zieltext
  • 5.2.5 Schwierigkeit des Übersetzungsauftrags
  • 5.3 Bedeutung des Befunds für die Übersetzungswissenschaft
  • Bibliographie
  • Anhang

0  Einleitung

Es ist schwierig irgendetwas einzubüßen, wenn man einem fremden Text Zeile für Zeile folgt, und es ist schwer zu erreichen, dass ein gelungener Ausdruck in einer anderen Sprache dieselbe Angemessenheit in der Übersetzung beibehält. Da ist etwas durch die besondere Bedeutung eines einzigen Wortes bezeichnet: in meiner Sprache habe ich aber keines, womit ich es ausdrücken könnte, und, während ich den Sinn zu treffen suche, muss ich einen langen Umweg machen und lege kaum ein kurzes Wegstück zurück.

(Störig 1969, zit. nach Stolze 1994, 16)

0.1  Zu Übersetzungstheorien und zum Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit

Diese Worte – sie gehen auf Hieronymus zurück – sind ein Beispiel dafür, wie sich Übersetzer in früheren Zeiten zu ihren Übersetzungen geäußert haben. Solche einzelfallbezogenen Hinweise zeigten die Übersetzungsschwierigkeiten des jeweiligen Übersetzers und den von ihm gewählten Lösungsweg auf. Sie dienten der Rechtfertigung der eigenen Herangehensweise und bildeten die Grundlage für eine Übersetzungstheorie. Koller (1992) bezeichnet sie als „explizite Übersetzungstheorien“: „Bei den theoretischen Äußerungen zu Übersetzungsmethoden, -prinzipien und -verfahren, mit denen Übersetzer ihre Übersetzungsarbeit begleiten, handelt es sich um explizite Übersetzungstheorie“ (Koller 1992, 35). Diesen stellt er die impliziten Übersetzungstheorien gegenüber: Unter „impliziter Übersetzungstheorie werden die Übersetzungsentscheidungen verstanden, die sich aus der Übersetzung selbst bzw. aus dem Vergleich von Übersetzung und Original erschließen lassen“ (ebd.).

Stolze (2003) argumentiert, dass es immer noch keine allgemeine Übersetzungstheorie als solche gibt, da es in den Theorien eher um die Entwicklung neuer Ansätze geht. Es wird meist jeweils ein Gedanke besonders hervorgehoben, der an anderer Stelle zu wenig oder noch nicht gesehen worden war. Diese Tatsache lässt sich auch in der Bemerkung von Reiß und Vermeer bei der Erstellung der Skopostheorie erkennen: „Hier wird keine in sich geschlossene und abgeschlossene Theorie versprochen. Es werden eher einige Gesichtspunkte neu angeführt, als dass neue Gesichtspunkte eingeführt werden“ (Reiß & Vermeer 1984, 1). Bei den meisten Übersetzungstheorien wird entweder der Text, die Sprache selbst, das Thema oder die Intention in den Mittelpunkt gestellt.

Das Fehlen einer allgemeinen Übersetzungstheorie erklärt Stolze damit, dass die Übersetzungswissenschaft eine relativ junge Disziplin ist: „Erst in der Mitte des 20. Jh. entstand eine ‚Übersetzungswissenschaft‘ dergestalt, dass versucht wurde, den Übersetzungsvorgang als solchen geistig zu durchdringen und modellhaft darzustellen“ (Stolze 2003, 14).

Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der Übersetzungstheorien, so zeigt sich ein sehr enger Zusammenhang zwischen den Übersetzungstheorien und den linguistischen, insofern der Entwicklung von Übersetzungstheorien fast immer neue linguistische Theorien vorausgingen, da diese nämlich zu neuen Einsichten im übersetzungswissenschaftlichen Bereich führten.

Der Übersetzungsvorgang wurde zuerst als interlingualer Transfer dargestellt, da er vor allem als ein Vorgang betrachtet wurde, in dem sich Sprachsysteme begegnen. In diesem theoretischen Ansatz steht die sogenannte „stylistique comparée“ (vgl. Stolze 2003, 69 f.) im Mittelpunkt, bei der eine wissenschaftliche Beschreibung der vorwiegend praktischen Lösungen beim Übergang von einer Sprache zur anderen angesichts der verschiedenen potenziellen Entsprechungen in einem Sprachenpaar betrachtet wurde. Ein grammatikorientierter Sprachvergleich diente als eine Art „Technik des Übersetzens“ (ebd.).

Mit der pragmatischen Wende in den 1980er-Jahren, bei der sprachliches Verhalten als ein zielgerichtetes Handeln betrachtet wurde, erfolgte auch in der Übersetzungstheorie eine Umorientierung, wobei das Ziel der Übersetzungstätigkeit eine zentrale Rolle einnahm und der Übersetzer sich nach dem Skopos des Übersetzungsauftrags richten musste (vgl. Stolze 1994, 155). Der essenziell kulturelle Aspekt konnte dadurch viel angemesser als in rein linguistischen Modellen berücksichtigt werden. Nach Reiß und Vermeer sieht man im Translat „ein Informationsangebot in einer Zielkultur und -sprache über ein Informationsangebot aus einer Ausgangskultur und – sprache“ (Reiß & Vermeer 1984, 119).

Mit der jüngsten linguistischen Disziplin, der kognitiven Linguistik, die auf interdisziplinäre Weise den Sprachverarbeitungsprozess erforscht, folgte auch der Übersetzungsansatz, der die Bedeutung des Übersetzers als kognitives sprachverarbeitendes Wesen sieht und ihn deshalb in den Mittelpunkt des Übersetzungsprozesses stellt:

Erst spät wurde anerkannt, dass der Translator als die übersetzende Person in die Analyse mit einbezogen werden sollte, dass es nicht ausreicht, nur ‚objektiv‘ linguistische Oberflächenstrukturen und Texttypen zu beschreiben, oder den textpragmatischen Hintergrund aufzuhellen. (Stolze 2003, 19)

Nida erkannte bereits 1964 die Wichtigkeit dieser Tatsache für die Behandlung von Übersetzungstheorien, als er Folgendes anmerkte:

We actually do not know precisely what takes place in the translator’s mind when he translates, for psychologists and neurologists do not know the manner in which language data are stored in the brain. (Nida 1964, 145)

Heute, da schon weitaus mehr Forschungen im psycholinguistischen Bereich in der kognitiven Wissenschaft unternommen wurden, kann auf deren Befunde zugegriffen werden, um die kognitiven Vorgänge beim Übersetzen besser zu verstehen. Wie die Vertreter des kognitiven Ansatzes stellt auch die vorliegende Arbeit den Übersetzer in den Mittelpunkt der Forschung. Er wird als sprachverarbeitendes System aufgefasst; demzufolge lässt sich der Übersetzungsprozess vor allem im Rahmen der kognitiven Wissenschaft verstehen und erklären.

Die Arbeit bezieht sich auf den holistischen Ansatz der kognitiven Linguistik: „Im Gegensatz zu der modularen Konzeption betrachten Vertreter einer holistischen [Kognitionstheorie] Sprache nicht als ein autonomes Subsystem, sondern eher als ein Epiphänomen der Kognition“ (Schwarz 1992a, 17), wobei „das sprachliche Wissenssystem […] durch allgemeine Kognitionsprinzipien erklärt [wird]“ (ebd.). Es wird „[i]‌m Holismus […] die These vertreten, daß der Geist ein unteilbares Ganzes darstellt, das von einer Reihe fundamentaler Prinzipien determiniert wird“ (ebd. 18). Das kognitive System des Menschen scheint nicht nur einen spezifischen Teil, sondern das Gesamte zu verarbeiten (Schnelle & Rickheit, 1988; Felix, Kanngießer & Rickheit, 1990; Schwarz, 1992a; Felix, Habel & Rickheit, 1993). Strohner (1995) deutet darauf hin, dass „Leben, Geist und Gesellschaft […] drei für die Beschreibung und Erklärung von Kognition relevante Kategorien [sind], die nicht untereinander austauschbar oder aufeinander reduzierbar sind“ (Strohner 1995, 9). Diese drei Ebenen des menschlichen kognitiven Systems entsprechen den wissenschaftlichen Disziplinen der Biologie, Psychologie und Soziologie (ebd.).

Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Ebenen im Lebewesen als kognitives System veranschaulicht Strohner 1995 anhand folgender Abbildung:

Abb. 1:Die neuronale, psychische und soziale Ebene der Kognition (nach Strohner 1995, 8)

Abb. 1:Die neuronale, psychische und soziale Ebene der Kognition (nach Strohner 1995, 8)

Details

Pages
258
Year
2024
ISBN (PDF)
9783653040005
ISBN (ePUB)
9783631713334
ISBN (Softcover)
9783631646304
DOI
10.3726/978-3-653-04000-5
Language
German
Publication date
2024 (July)
Keywords
Sprachverarbeitung Kognition Übersetzung Spracherwerb Sprachgebrauch Mehrsprachigkeit Codeswitching
Published
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2024. 258 S., 4 farb. Abb., 33 S/W-Abb.

Biographical notes

Alice Wachira (Author)

Alice Wachira hat an der Universität München promoviert und ist Dozentin in der Abteilung Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Nairobi. Sie unterrichtet sowohl Germanistik als auch Übersetzungstheorie und die Praxis des Dolmetschens der Sprachen Deutsch, Englisch und Kiswahili. Darüber hinaus ist sie am Goethe-Institut in Kenia tätig.

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