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Death Matters - Dead Matter

Materialität und Immaterialität des Todes im Mittelalter

by Romedio Schmitz-Esser (Volume editor) Katharina Zeppezauer-Wachauer (Volume editor)
©2023 Edited Collection 244 Pages
Series: Beihefte zur Mediaevistik, Volume 28

Summary

Die Materialität des Todes ist ein besonders lohnendes Studienobjekt und verbindet Forschungsdiskurse, deren Austausch neue Perspektiven auf Tod und Sterben in der lateineuropäischen Vormoderne eröffnet. Dieser interdisziplinäre Sammelband geht den Möglichkeiten nach, die sich durch die intensive Erforschung eines Objekts (Grabkrone Konrads II. in Speyer) oder die Verbindung von Schriftquellen und anthropologischer Fundsituation (Philipp von Schwaben) ergeben. Er fragt nach Grabgestaltung und Grabdenkmälern, nutzt germanistische, epigraphische, mentalitätsgeschichtliche und Digital Humanities-Methodiken. Wie sterben Frauen in der mittelalterlichen Literatur, wie spricht man im Mittelhochdeutschen über den Tod? Und wie geht man damit um, wenn der Leichnam fehlt, weil der Kaiser fern seines Reiches in Kleinasien auf dem Kreuzzug verstirbt? Zusammen ergeben sich damit neue Perspektiven auf ein erforschtes, aber längst nicht erschöpfend verstandenes, allgegenwärtiges Phänomen des menschlichen Lebens: Unser Sterben.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung in Death Matters – Dead Matter. Materialität und Immaterialität des Todes im Mittelalter
  • Die Speyrer Funeralkrone Konrads II. und ihre Inschrift: Eine hochmittelalterliche Grabbeigabe in der Perspektive des „Material Turn“
  • Alte Knochen, alte Schriften. Was uns die sterblichen Überreste König Philipps „von Schwaben“ (nicht) über seinen Tod sagen können
  • Friedrich Barbarossa – Zur imaginären Präsenz eines verschollenen Kaisers
  • „Let’s talk of graves, of worms, and epitaphs…“. Zu mentalitätsgeschichtlichen Aspekten der Grabgestaltung vornehmlich im mittelalterlichen Nordeuropa
  • HIC IACET HONESTUS DOMINUS. Grabplatten und Epitaphe in Salzburg als Beispiele mittelalterlichen Totengendenkens
  • Gesichter des Todes: Signa Mortis und Genesungsproben in ausgewählten medizinischen Texten des Mittelalters
  • Wenn Frauen sterben, oder: Todesursache Tod. Trauer, Zorn und Liebestod in der Epik des Hochmittelalters
  • Wortschatz des Todes. Studie zum Wortgebrauch von Totschlag-Narrativen mit der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB)
  • Materialitäten des Todes, des Sterbens und der Lebenden: Zugänge und Perspektiven

Romedio Schmitz-Esser und Katharina Zeppezauer-Wachauer

Einführung in Death Matters – Dead Matter. Materialität und Immaterialität des Todes im Mittelalter

Wer das Lapidarium im Untergeschoss des Kurpfälzischen Museums in Heidelberg besucht, der wird sich unter den vielen Grabdenkmälern und Statuen aus der Geschichte der Kurpfalz auch einer kleinen, aber sehr feinen Marmortafel nähern, die schon durch ihre weiße Farbe hervorsticht (Abb. 1). Das Relief, das man einem barocken Grabmal für Kurfürst Friedrich den Siegreichen (gest. 1476) zuschreibt,1 bietet einen hervorragenden, objektbezogenen Einstieg in unseren Sammelband – und das gleich auf mehreren Ebenen.

Abb. 1:Barockes Marmorrelief aus dem Heidelberger Franziskanerkloster, vermutlich vom Grabmal Friedrichs des Siegreichen (gest. 1476), Lapidarium im Kurpfälzischen Museum Heidelberg (Foto: Claudia Schmitz-Esser)

Abb. 1:Barockes Marmorrelief aus dem Heidelberger Franziskanerkloster, vermutlich vom Grabmal Friedrichs des Siegreichen (gest. 1476), Lapidarium im Kurpfälzischen Museum Heidelberg (Foto: Claudia Schmitz-Esser)

Die Darstellung eines liegenden Skeletts zeigt uns die sehr physische und reale Ebene, die der Tod in allen Gesellschaften hatte und hat: Der Leichnam bleibt als materieller Überrest von den Verstorbenen übrig. Spezifisch für das europäische Mittelalter und die Frühe Neuzeit ist allerdings das Interesse für und an diesen sterblichen Überresten, die entsprechend häufig ins Bild gesetzt werden.2 Sie waren nicht nur im Bild, sondern auch ganz real im Lebensumfeld der mittelalterlichen Siedlungen greif- und sichtbar. Auch hier wird der Blick in ein solches Beinhaus freigegeben: Am oberen Rand, zwischen zwei angedeuteten Mauern, ist gleich eine ganze Reihe von Totenschädeln zu erkennen.3 Unser Thema der Materialität des Todes, von „Dead Matter“, lässt sich also zunächst einmal ganz wörtlich verstehen. Die naturwissenschaftliche Wende in der Archäologie, die eine ganze Palette neuer Methoden der modernen Forensik nutzt, hat den Leichnam selbst zur historischen Quelle gemacht. Gerade die Geschichtswissenschaft bleibt dabei aber oftmals im Hintergrund und ignoriert zu stark die neuen Befunde, die doch zugleich mit historischer Quellenkritik erst noch fruchtbar gemacht werden müssen, damit aus Geschichten und Einzelbefunden tatsächlich Geschichte wird.4 Dieser Band möchte dazu einen weiteren Beitrag leisten.

Auf einer zweiten Ebene geht es um Dinge, die mit dem Tod zu tun haben, also Objekte des Todes. Auch sie sind auf dem Heidelberger Relief ungewöhnlich erzählfreudig abgebildet, auch wenn man sie im Flachrelief schon ein wenig genauer mit dem Auge suchen muss: Das Skelett liegt vor einem Sarg, der auf die Aufbahrung des Toten verweist. Gut zu sehen ist das Tuch, das auf dem Sarg liegt und ein einfaches Kreuz zeigt. Die Knochen selbst ruhen auf einem „cilicium“, einem Tuch aus rauer Faser, auf das man einem monastischen Brauch zufolge die Sterbenden legte, um ein letztes Zeichen der Demut zu setzen.5 Und schließlich ist das Relief selbst Teil eines verlorenen Grabdenkmals, das seine eigene Objektbiographie hat und seinerseits auf die Memorialpraxis und Herrschaftsrepräsentation im Angesicht des Todes zurückverweist. Aussagen über die liturgischen Handlungen, die mit der Leichenbehandlung und Bestattung zusammenhingen, lassen sich an den Objekten, die mit den Toten vergesellschaftet oder assoziiert wurden, feststellen. Dies ist ein zweites Anliegen des Bandes, der den Zusammenhängen von Objekt und Mensch sein Augenmerk schenkt.6

Ein dritter Punkt schließlich betrifft die Assoziation von Objekten mit den Toten. Auch hier ist das Marmorrelief aus dem Kurpfälzischen Museum interessant, denn die Darstellung des Toten verweist allzu offensichtlich auf die Sterblichkeit des Menschen, auch des politisch einflussreichen Kurfürsten, und die Vergänglichkeit aller Dinge. Wer das nicht beim ersten oder zweiten Blick verstanden haben sollte, dem wird durch die kleine Schildkröte unten links, die auf dem Rücken liegt, noch ein weiteres Vanitas-Symbol angeboten. Damit aber ist die Diskursivierung des Todes angesprochen, und gerade diesem dritten Aspekt sind wichtige Beiträge des Bandes gewidmet. Uns ist bewusst, dass in der interdisziplinären, breiten Anlage der Anthologie keine Vollständigkeit hergestellt werden kann, es hier also nicht um „den“ Tod in „dem“ Mittelalter geht, sondern um verschiedene Perspektiven, die sehr unterschiedliche Zugänge wählen – einmal aus der Mikroperspektive des Objekts, einmal aus der Makroperspektive des Sprachgebrauchs. Doch gerade hierin glauben wir eine Stärke unseres Ansatzes für einen künftigen Dialog über den Tod und seine sehr materielle Rolle im Leben der Menschen des mittelalterlichen Lateineuropas zu erkennen.

Blickt man auf die stets breite Bibliographie von Neuerscheinungen zu Sterben und Tod im Mittelalter, so wird rasch deutlich, wie zentral das Thema für die Erforschung gerade dieser Epoche nicht nur stets gewesen, sondern auch aktuell ist. Allein in den letzten zehn Jahren sind zahlreiche Arbeiten zu nennen, die wir hier nur kurz anschneiden können. Sie betreffen Themen wie die Vorbereitung auf den „guten Tod“,7 Todes-Narrative in Texten,8 das Sterben im Kontext des mittelalterlichen Klosters9 oder am fürstlichen Hof,10 Fragen der Bestattung wie das Verbrennen11 oder den Tod auf See,12 den Vampir-13 und Wiedergängerglauben,14 die Verbindung der Sektion mit der spätmittelalterlichen Gerichtspraxis15 oder dem Heiligenkult,16 und schließlich auch Krankheit und Sterben.17 Vor allem der Herrschertod hat wichtige Neubearbeitungen erfahren, die insbesondere auf die Rolle der mittelalterlichen Historiographie für ein Verständnis der damaligen Einstellungen zum Tod verwiesen haben.18 Verwandte Felder, wie vor allem die Anwendung des Interdikts19 und der Exkommunikation,20 die das Aussetzen der Bestattung zur Folge haben konnten, sind ebenfalls neuen Perspektiven zugeführt worden. Auch die archäologische Forschung macht stete Fortschritte.21 Eine Reihe von Monographien und Sammelbänden, die das Thema allgemeiner angehen, sind ebenso zu nennen.22

Unser Sammelband verfolgt einen dieser Ansätze weiter, der sich mit der materiellen Seite des Sterbens, dem physischen Schicksal des Leichnams beschäftigt. Zugleich aber verbindet er diese objektzentrierte Sicht mit dem Diskurs über den Tod und schließt damit die Brücke zu zentralen Feldern der gegenwärtigen Diskussion im Fach. In dieser Einführung werden wir die interdisziplinäre Genese des Bandes schildern und knapp die folgenden Beiträge einordnen. Die Zusammenfassung von Christina Antenhofer am Schluss wird schließlich neue Perspektiven eröffnen, von denen wir hoffen, dass sie auch künftig reiche Erträge in diesem spannenden und dynamischen Feld der Forschung anregen werden. Nicht erst beim Besuch des Heidelberger Lapidariums, sondern bei jeder Beschäftigung mit der mittelalterlichen Geschichte sind der Tod und die Toten, sind „Dead Matters“ schließlich allgegenwärtig.

Zur Genese des Sammelbands – oder: wo man sich trifft

Auf dem International Medieval Congress (IMC) Leeds kommen bekanntlich seit 1994 unter Berücksichtigung jährlicher thematischer Themenkreise Forschende zusammen. 2019 lautete das Kongressthema „Materialities“. Dieser zentralen Aufmerksamkeit für Objekte, Artefakte, Material, Materie und materielle Kultur ist es zu verdanken, dass – unabgesprochen und zunächst ohne voneinander in Kenntnis zu sein – mehrere Sektionen angeboten wurden, die das Thema „Materialität des Todes“ in den Fokus nahmen. Unter dem Titel „Dead Matter – Death Matters“ organisierten Katharina Zeppezauer-Wachauer und Jan Cemper-Kiesslich zwei Sessions mit den Untertiteln „Written Remains“ und „(Non)-Mortal Remains“. Drei Sessions, organisiert von Romedio Schmitz-Esser, standen unter dem Titel der „Materiality of Death“.

Die letztgenannten drei Sessions reflektierten die Beziehung zwischen materieller Kultur und Tod, die derzeit in Archäologie, mittelalterlicher Geschichte und Literaturwissenschaft intensiv diskutiert wird, mit einem interdisziplinären Ansatz. Sie zielten darauf ab, Perspektiven auf das Thema über kulturelle, religiöse und geografische Grenzen hinweg zu eröffnen, die in der aktuellen Forschung immer noch überbetont werden. Sektion I kombinierte die Sichtweise eines Historikers auf Grabbeigaben, mit Einblicken eines Kunsthistorikers in das mittelalterliche Sterbebett und der Frage der tödlichen Winde in der byzantinischen Literatur. Sektion II lieferte eine Neubewertung des Konzepts der „Abweichung“ in der Archäologie, eine vergleichende Studie zur Verwendung von Materialität und hagiografischen Modellen in mittelalterlichen jüdischen Gemeinden sowie einen Überblick über die Behandlung von Leichen in der mittelalterlichen deutschsprachigen Literatur. In Sektion III wurden die Verwendung von Epigraphik in der mittelalterlichen Kunstförderung, eine anthropologische Neubewertung von Bauchbestattungen und die Beziehung zwischen den Konzepten von Natur und Tod in einem prominenten Beispiel spätmittelalterlicher deutscher Ratgeberliteratur präsentiert.

Die beiden Sessions des Salzburger Duos Zeppezauer-Wachauer und Cemper-Kiesslich untersuchten sowohl textuelle als auch non-textuelle Bereiche. Neben anderen Forschungsgegenständen sind Texte aller Formate seit jeher Quellen für die Untersuchung mittelalterlicher Wahrnehmungen von sterblichen Überresten, die die vergangene und aktuelle Rezeption z. B. in der Populärkultur beeinflussen. Ihre Rolle besteht nicht nur in der Bewahrung und Aufbewahrung geschriebener Geschichten, sondern auch in der (Wieder-)Erschließung der aufgezeichneten Muster, Topoi und Spuren narratologischer Manifestationen sowie der durch die schriftliche Überlieferung vermittelten (toten) Personen. In „Written remains“ wurde erörtert, wie schriftliche Materialien dazu beitragen, die Erinnerung an das Mittelalter zu schaffen, zu lenken und zu bewahren. Ein Vortrag gab Einblick in die Wiederauferstehung toter Dichter und Figuren durch erzählte Stoffe, der zweite beschäftigte sich mit der Darstellung toter Stoffe auf und in (schriftlichen) Schlachtfeldern und Leichen von Herrschern. Das dritte Paper befasste sich mit Grabdenkmälern bis in die Frühen Neuzeit hinein und konzentrierte sich auf mittelalterliche Epitaphien im Fürsterzbistum Salzburg. Die Session „(Non)-mortal remains“ wollte eine Brücke schlagen von Erkenntnissen zur mittelalterlichen Sterbeprognose und Todeszuweisung auf der Grundlage mittelalterlicher medizinischer Literatur zur Zwielichtzone der wandelnden Toten, gefolgt von einem Beitrag zur Bioarchäologie der (wirklich) toten menschlichen Überreste.

Genau wie die Sektionen von Schmitz-Esser hatte der heuristische Ansatz der beiden Sessions die Absicht, die kanonisierte Trennung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften zu verlassen und ein synoptisches Bild mittelalterlicher Wahrnehmungen von sterblichen und nicht sterblichen Überresten zu zeichnen. Darüber hinaus wurde versucht, die Möglichkeiten der methodischen Kreuzvalidierung verschiedener Ansätze im Zuge der Interpretation historischer und archäologischer Quellen zu evaluieren.

Auf den wechselseitigen Besuchen der Veranstaltungen zeigte sich schnell eine ähnliche methodische und theoretische Herangehensweise – und das trotz der eigentlich relativ unterschiedlichen Kernfächer Mittelalterliche Geschichte (Schmitz-Esser), Mediävistische Germanistik (Zeppezauer-Wachauer) und Forensische Molekularbiologie (Cemper-Kiesslich). Alle drei Organisator:innen durften bereits in der Vergangenheit positive fachliche Verschränkungen und die hohen Synergie- und Innovations-Effekte von Interdisziplinarität erfahren: Im Rahmen der universitären Lehre begegnete man einander beispielsweise schon 2017 im Grazer Seminar- Tandem „Einbalsamierung, Forensik und medizinische Sektion im Mittelalter“ von Schmitz-Esser und „Cold Cases: Der Leichnam als mittelalterliches Erzählmotiv“ von Andrea und Wernfried Hofmeister, in dem Zeppezauer-Wachauer literarischen Leichen mit der Hilfe der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB) auf die Spur ging. Cemper- Kiesslich und Schmitz-Esser hatten (nicht nur) über die Internationale Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Mittelalterarchäologie 2018, „Leben mit dem Tod – Der Umgang mit Sterblichkeit in Mittelalter und Neuzeit“, in St. Pölten miteinander zu tun. Zeppezauer-Wachauer und Cemper-Kiesslich sind beide Mitglieder des Interdisziplinären Zentrums für Mittelalter und Frühneuzeit der Universität Salzburg, für das sie in der näheren Zukunft eine gemeinsame Veranstaltung zu Tod und Sterben im Mittelalter zwischen Germanistik und Molekularbiologie planen.

Es sind genau diese inter- und transdisziplinaren Ansätze, die in einem konstruktiven Austausch die Weichen für eine offene, kreative und interessante Forschungslandschaft mitgestalten.

In der retrospektiven Nachbetrachtung des Leedser Kongresses wurden dann Nägel mit Köpfen gemacht: Schmitz-Esser ermöglichte die Beheimatung des Bandes in den von ihm und Peter Dinzelbacher herausgegebenen Beiheften zur Mediaevistik. Aus Gründen der Zeitressourcenknappheit nahm die Konzeption dieses Bandes seinen weiteren Verlauf leider ohne Cemper-Kiesslich, wenngleich wir ihm hier ausdrücklich für den freundschaftlichen Austausch, seine hohe Professionalität in der Wissenschaftskommunikation und den stets anregenden Input danken möchten.

Die Referent:innen, die Interesse an einer Publikation ihrer Vorträge bekundeten, wurden gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten zum „Todesthema“ mit an Bord geholt. Bereits beim IMC Leeds dabei waren Ylva Schwinghammer mit ihrer Arbeit zur Todesprognostik, Wolfgang Neuper zu Epitaphen, Katharina Zeppezauer-Wachauer mit einer semantischen Wortschatzuntersuchung und Romedio Schmitz-Esser, der für diesen Band seinen Beitrag zur Krone Konrads II. gemeinsam mit Thomas Meier ausgebaut hat. Auch Christina Antenhofer und Manuel Kamenzin nahmen 2019 in Leeds mit einem Vortrag zu historischen Inventaren und einem zu den „vielen Toden“ von Friedrich II. teil – und wie es am IMC eben so ist, ergab sich auch hier in der Aufarbeitung der angeregten Diskussionen eine fruchtbare Zusammenarbeit. Manuel Kamenzin schrieb für den vorliegenden Band einen Beitrag über die sterblichen Überreste König Philipps „von Schwaben“; Christina Antenhofer bereicherte um eine perspektivische Zusammenschau im Sinne eines abschließenden Diskussions- und Reflexionsbeitrags. In weiterer Folge konnten schließlich auch noch Tina Terrahe zu literarischen Frauentoden, der Reihen-Mitherausgeber Peter Dinzelbacher zu mentalitätsgeschichtlichen Aspekten der Grabgestaltung, Jennifer Marie Liebsch zur imaginären Präsenz Friedrich Barbarossas und Thomas Meier mit seiner archäologischen Expertise zur Speyrer Funeralkrone Konrads II. gewonnen werden. Wir freuen uns sehr, dass es nach langer Bearbeitungszeit nun gelungen ist, den Band endlich herauszugeben. Ganz herzlich möchten wir den Heidelberger Hilfskräften danken, die uns dabei unterstützt haben: Leo Groll, Simon Heyne, Gianni Pignone, Mascha Radisch, Jennifer Siebel und Patrick Wintermantel. In der heißen Phase der Finalisierung hat uns schließlich noch Peter Färberböck aus Salzburg als Troubleshooter unterstützt. Auch ihm sei an dieser Stelle auf das Herzlichste gedankt.

Interdisziplinarität als Schlüsselkriterium

Ein Blatt einer Handschrift des früheren 15. Jahrhunderts, die heute in der Salzburger Universitätsbibliothek aufbewahrt wird und wohl ursprünglich aus Basel stammt,23 zeigt in Form eines Planetenkinderbildes Luna, das Sternzeichen Krebs und das Alter, „senectus“, das mit der Komplet als letzter Gebetszeit des Tages verbunden wird. Das untere Medaillon zeigt eine Tochter bei ihrem Vater – oder eine jüngere Ehefrau bei ihrem Gatten –, der auf dem Sterbebett liegt. In seiner galenischen Komplexität als feucht und kalt charakterisiert, werfen Krankheit und der nahende Tod den Mann nieder – und doch bettet das Bild den Tod nur in einen großen Kreislauf ein, zeigt die neue Generation und die makrokosmischen Dimensionen des Lebens auf, in denen auch der Abschluss wesentlicher und unvermeidlicher Teil jeder Existenz auf dieser Erde ist. Zugleich deutet sich der Neuanfang, die Weitergabe an. Ganz ähnlich geht es unserem Nachdenken über den Tod – auch hier kommt es stets zu einem vorläufigen Abschluss, so dass wir immer wieder neu von diesem größten Enigma unseres Lebens – seiner Endlichkeit – herausgefordert werden können. Der Neuanfang ist dem vorläufigen Schluss stets bereits inhärent, und auch dieser Sammelband versucht, wie die Tochter/Ehefrau im Bild des spätmittelalterlichen Illuminators, aus der Reflexion über den Tod einen Ansatzpunkt für neue Überlegungen zu diesem grundlegenden Thema zu finden.

Der Tod im Mittelalter erfreut sich nach wie vor größter Beliebtheit unter den Themen der gegenwärtigen, interdisziplinär ausgerichteten Mediävistik – eine kleine Auswahl der aktuellen Forschungspublikationen haben wir bereits eingangs zitiert. Dabei wurde insbesondere unterstrichen, dass das Phänomen des Todes und der Wahrnehmung der Toten nur verstanden werden kann, wenn sowohl die physische Präsenz als auch die kulturellen Zuschreibungen untersucht werden. Das kann nur aus multidisziplinärer Perspektive gelingen, und je weiter die Fortschritte in einer Disziplin gehen (so wie etwa derzeit in der Paläopathologie und Osteoarchäologie), umso wichtiger wird auch das Gegengewicht der stärker auf den Schriftquellen basierenden mediävistischen Teildisziplinen. Dieser Band möchte in seinen Beiträgen genau diesen Brückenschlag herstellen und einen Dialog ermöglichen, der frische Blickwinkel auf die Geschichte des Todes im Mittelalter eröffnet. Im Zentrum aller Beiträge steht deshalb die Frage nach dem Verhältnis von Objektforschungen im Sinne des „material turn“ und den immateriellen, kulturell geprägten Vorstellungen vom Tod und von den Toten im Sinne der modernen Kulturgeschichte.

Schon den Auftakt des Bandes macht eine Kooperation von archäologischer und historischer Seite. Thomas Meier und Romedio Schmitz-Esser diskutieren hier die Speyrer Grabkrone Konrads II. Die Studie, die sich einer Technik der Konzentration auf ein einzelnes Objekt bedient,24 stellt erstmals klar heraus, welch weitreichende Konsequenzen eine genaue Beachtung des Materiellen für die Geschichte der Grabbeigaben hat – wahrscheinlich können wir mit Konrads Grabkrone tatsächlich einen Neubeginn und eine Innovation in der Grabbeigabensitte in Lateineuropa greifen, da es sich überhaupt um die erste Grabkrone handeln dürfte. Der improvisierte Charakter der Krone, der schon bei Konrads Frau, Gisela, wenige Jahre später nicht mehr erkennbar ist, macht das wahrscheinlich. Die Forschung zur Grabkrone Konrads und zu den Grabbeigaben am Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter allgemein wird damit auf eine neue Basis gestellt.

Einen ähnlich prominenten Fall greift Manuel Kamenzin in seinem Beitrag mit der Bestattung Philipps von Schwaben auf. Ihm gelingt es dabei, zu zeigen, dass eine Untersuchung der Knochen Philipps letztlich keine Lösung für die offenen Fragen bietet, die die Historiographie uns zur spektakulären Ermordung des Königs stellt. Gerade in dem hier ersichtlichen Widerspruch zwischen osteoarchäologischem Befund und den Schriftquellen wird deutlich, welche Grenzen der Auswertung sowohl des materiellen als auch des textlichen Befunds gesetzt sind. Eine reine Euphorie über die neuen naturwissenschaftlichen Perspektiven verschenkt in dieser Lesart letztlich die Chancen, die sich durch eine genaue, quellenbasierte Lesung der Vergangenheit in interdisziplinärer Perspektive erst ergeben.

Details

Pages
244
Publication Year
2023
ISBN (PDF)
9783631886557
ISBN (ePUB)
9783631899564
ISBN (Hardcover)
9783631833797
DOI
10.3726/b20684
Language
German
Publication date
2023 (August)
Published
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 244 S., 26 farb. Abb., 8 s/w Abb.

Biographical notes

Romedio Schmitz-Esser (Volume editor) Katharina Zeppezauer-Wachauer (Volume editor)

Romedio Schmitz-Esser studierte in Innsbruck Geschichte und Kunstgeschichte. Nach einer Tätigkeit als Stadthistoriker von Hall in Tirol führte ihn sein Lebensweg über die LMU München 2015 nach Venedig, wo er als Direktor des Deutschen Studienzentrums tätig war. Auf eine Professur in Graz folgte 2020 der Wechsel an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Katharina Zeppezauer-Wachauer studierte Germanistik an der Karl-Franzens-Universität Graz und ist Senior Scientist am Interdisziplinären Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Sie ist dort u.a. auch Koordinatorin der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank.

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