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Die Rolle der BaFin bei der Durchsetzung des versicherungsrechtlichen Zivilrechts

von Marco Berger (Autor:in)
©2023 Dissertation 354 Seiten

Zusammenfassung

Spätestens seit dem die BaFin auch zum kollektiven Verbraucherschutz (§ 4 Abs. 1a FinDAG) verpflichtet ist, stellt sich die Frage, inwieweit die BaFin zur Durchsetzung des Zivilrechts berufen ist. Es wird aus Sicht der Versicherungsaufsicht untersucht, ob und an welchen Stellen die BaFin als Verwaltungsbehörde neben den Zivilgerichten zur effektiven Durchsetzung zivilrechtlicher – insbesondere verbraucherschutzrechtlicher – Vorschriften beitragen kann. Der Autor geht darauf ein, wann und in welcher die BaFin zur entsprechenden Durchsetzung verpflichtet ist und in welchem Verhältnis die administrative und zivilgerichtliche Rechtsdurchsetzung zueinanderstehen. Basis für diese Untersuchung ist die Annahme, dass es an materiell-rechtlichen Vorschriften zum Schutz der Verbraucher nicht mangelt, sondern an deren effektiver Rechtsdurchsetzung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einführung
  • I. Anlass der Untersuchung
  • II. Fragestellungen und Gang der Untersuchung
  • B. Durchsetzung des Zivilrechts durch die BaFin im Umfeld der Ziele und Aufgaben der Versicherungsaufsicht
  • I. Einfluss der Solvency II-Richtlinie auf die Ziele und Aufgaben
  • 1. Ziele und Strukturmerkmale
  • 2. Harmonisierungsgrad
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Ziele der BaFin im Rahmen der Versicherungsaufsicht
  • 1. Hauptziel
  • a) Schutz der Versicherungsnehmer und Begünstigten von Versicherungsleistungen nach § 294 Abs. 1 VAG
  • b) Kollektiver Verbraucherschutz nach § 4 Abs. 1a FinDAG
  • aa) Motive und Charakter
  • bb) Inhalt und Reichweite
  • (1) Verbraucherschutz innerhalb des gesetzlichen Auftrags der BaFin
  • (2) Begriff der Kollektivität
  • (3) Definition des Missstands
  • (a) Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz
  • (b) Qualifizierter Verstoß
  • (4) Gebotenheit genereller Klärung
  • cc) Zwischenergebnis
  • c) § 4 Abs. 1a S. 1 FinDAG im Verhältnis zu § 294 Abs. 1 VAG
  • aa) Versicherungsnehmer und Verbraucher
  • bb) Kollektiver Verbraucherschutz im System der Versicherungsaufsicht
  • cc) § 4 Abs. 1a FinDAG und Solvency II
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Nebenziele
  • a) Weitere Ziele der Versicherungsaufsicht?
  • aa) Vorgaben der Solvency II-Richtlinie
  • bb) Schutz der Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens im Allgemeinen
  • b) Verhältnis zur Hauptzielsetzung
  • 3. Ziele der Versicherungsaufsicht und Durchsetzung des Zivilrechts
  • a) Beitrag des Zivilrechts zum kollektiven Verbraucherschutz
  • aa) Schutzbedarf der Verbraucher im Versicherungsverhältnis
  • (1) Gründe für den Verbraucherschutz
  • (a) Ausgleich struktureller Ungleichgewichte
  • (b) Ungleichgewichte im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis
  • (aa) Informationsdefizite der Verbraucher
  • (bb) Intellektuelles, psychologisches und wirtschaftliches Ungleichgewicht
  • (c) Zwischenergebnis
  • (2) Strukturelles Ungleichgewicht im Versicherungsverhältnis
  • (a) Informationsdefizit der Versicherten
  • (b) Erhebliches Machtgefälle zwischen Versicherer und Versicherten
  • (c) Besondere Bedeutung für die persönliche Lebensführung
  • (d) Zwischenergebnis
  • bb) Durchsetzung des Zivilrechts und kollektiver Verbraucherschutz
  • b) Beitrag des Zivilrechts zum Schutz der Versicherten insgesamt
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Aufgaben der BaFin im Rahmen der Versicherungsaufsicht
  • 1. Rolle des Zivilrechts innerhalb der laufenden Aufsicht
  • a) Beobachtungs- und Berichtigungsaufgabe
  • b) Rechts- und Finanzaufsicht
  • aa) Reichweite des Aufgabenbereichs
  • (1) Rechts- und Finanzaufsicht im Einzelnen
  • (2) Legalitätsaufsicht in Abgrenzung zur allgemeinen Missstandsaufsicht
  • (a) Reichweite der Missstandsaufsicht
  • (b) VGH Kassel, Urteil vom 30.04.2020 (6 A 2158/18): Europarechtswidrigkeit der materiellen Staatsaufsicht
  • bb) Vorrang der Finanzaufsicht?
  • cc) Zwischenergebnis
  • c) Durchsetzung des Zivilrechts innerhalb der laufenden Aufsicht
  • aa) Durchsetzung des Zivilrechts als Gegenstand der laufenden Aufsicht
  • bb) Durchsetzungskompetenz im Verhältnis zum BKartA
  • cc) Durchsetzung des Zivilrechts als Teil der Rechtsaufsicht
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Rolle des Zivilrechts innerhalb der Zulassungsaufsicht
  • IV. Gesetzliches Schutzniveau im Anwendungsbereich des VAG
  • 1. Allgemeines Schutzniveau: Optimierungsverbot
  • a) Ausformung
  • b) Optimierungsverbot und Solvency II
  • 2. BVerfG, Urteil vom 26.07.2005 (1 BvR 782/94 + 957/96): Erhöhtes Schutzniveau
  • a) Ausformung
  • b) Begründung
  • c) Erhöhtes Schutzniveau und Solvency II
  • 3. Schutzniveau bei Durchsetzung des Zivilrechts
  • a) Grundsatz: Optimierungsverbot
  • b) Ausnahme: Erhöhtes Schutzniveau
  • 4. Zwischenergebnis
  • C. Rechtlicher Rahmen für die BaFin bei der Durchsetzung des Zivilrechts
  • I. Eingriffsermächtigung zur Durchsetzung des Zivilrechts
  • 1. § 298 Abs. 1 S. 1 VAG im System der laufenden Aufsicht
  • a) Versicherungsaufsichtliche Generalklausel zur Durchsetzung des Zivilrechts
  • b) Rechtliche Ausformung
  • 2. Vorrang des § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG?
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage bei der Durchsetzung des Zivilrechts
  • 1. Grenzen auf Tatbestandsebene
  • a) Der Missstandsbegriff
  • b) Öffentlich-rechtlicher Bezug als restriktives Anwendungskriterium?
  • aa) Begründung und Folgen
  • bb) Bedarf im Durchsetzungssystem der Solveny II-Richtlinie?
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Grenzen auf Rechtsfolgenebene
  • a) Ermessensleitende Kriterien der Versicherungsaufsicht
  • aa) Rechtlicher Rahmen bei der Ermessenausübung
  • (1) Vorgaben des VAG und des allgemeinen Verwaltungsrechts
  • (2) Einfluss höherrangiger Rechtsquellen
  • bb) Einfluss grundrechtlicher Schutzpflichten
  • (1) Verpflichtungen auf Ermessensebene
  • (2) Schutzniveau
  • (3) Grundrechte im Einzelnen
  • (a) Recht auf versicherungsvertragliche Absicherung und Vorsorge
  • (b) Schutz versicherungsvertraglicher Ansprüche
  • (4) Zivilrechtliche Regelungen und grundrechtliche Schutzpflichten
  • (a) Vorbehalt des Gesetzes und Solvency II
  • (b) Beitrag des Zivilrechts zur Verwirklichung grundrechtlicher Schutzpflichten
  • (c) Bindungswirkung für die BaFin
  • (d) Einfluss grundrechtlicher Schutzpflichten auf die versicherungsaufsichtliche Durchsetzung des Zivilrechts
  • cc) Zwischenergebnis
  • b) Grundrechte der Versicherer als Durchsetzungshindernis?
  • aa) Bindung der BaFin an die EU-Grundrechte nach Umsetzung der Solvency II-Richtlinie
  • bb) Grundrechte im Einzelnen
  • (1) Eigentumsgarantie
  • (2) Berufsfreiheit
  • (3) Unternehmerische Freiheit
  • (a) Verfassungsrechtlicher Schutz
  • (b) Europarechtlicher Schutz
  • (aa) Unternehmerische Freiheit nach Art. 16 GRC
  • (bb) Unternehmerische Freiheit im Solvency II-System
  • cc) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Solvency II
  • (1) Europa- oder verfassungsrechtliches Verständnis?
  • (2) Grundsatz der Proportionalität
  • dd) Zwischenergebnis
  • c) Gebundene Entscheidungen infolge Ermessensreduzierung
  • aa) Ermessensreduzierung im Allgemeinen
  • (1) Begriff und Ausformungen
  • (2) Kriterien
  • bb) Ermessensreduzierung und Durchsetzung des Zivilrechts
  • (1) Intensive Gefährdung der Ziele der Versicherungsaufsicht
  • (2) Intendiertes Ermessen bei rechtswidrigen Zuständen
  • (3) Ausnahmen vom Regelfall
  • (4) Reduzierung bei mehreren geeigneten Mitteln
  • cc) Zwischenergebnis
  • D. Das Verhältnis der versicherungsaufsichtlichen zur zivilgerichtlichen Rechtsdurchsetzung
  • I. Subsidiäre Durchsetzungskompetenz
  • 1. Umfang
  • a) Meinungsstand in der Literatur
  • b) Enge Durchsetzungskompetenz nach Bähr
  • c) Weite Durchsetzungskompetenz nach Winter
  • 2. Begründung
  • a) Wertungen der Dritten Versicherungsrichtlinien
  • aa) Besondere Betonung der Erforderlichkeit
  • bb) Ausfluss des Verbots der Vorabkontrolle
  • b) Weitere Argumente
  • 3. Primat des ordentlichen Rechtswegs nach Gurlit
  • II. Das Verhältnis in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung
  • 1. Relevante Entscheidungen
  • a) BVerwG, Urteil vom 24.09.1998 (4 CN 2.98)
  • b) VG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.03.2011 (9 K 566)
  • 2. Zustimmende Literaturstimmen
  • III. Das Durchsetzungsverhältnis im Solvency II-System
  • 1. Subsidiäre Durchsetzungskompetenz im Lichte der VAG-Reform 2016
  • a) Fehlende Erforderlichkeit der versicherungsaufsichtlichen Durchsetzung des Zivilrechts
  • aa) Besondere Vorgaben der Solvency II-Richtlinie?
  • bb) Erforderlichkeit aufsichtsbehördlicher Maßnahmen
  • (1) Gleiche Eignung
  • (a) Prüfungsmaßstab
  • (b) Defizite zivilgerichtlicher Rechtsdurchsetzung
  • (2) Weniger intensive Betroffenheit
  • b) Nachrang als Ausfluss des Verbots der Vorabkontrolle
  • aa) Keine Umgehungsgefahr
  • bb) Wille zur Erhaltung einer wirksamen Aufsicht
  • c) Verstoß gegen Demokratieprinzip und materielle Gesetzgebungskompetenz
  • aa) Durchsetzungskompetenz keine Frage des materiellen Rechts
  • bb) Gesetzesbindung der Verwaltung
  • d) Aufgabenwahrnehmung im öffentlichen Interesse nach § 294 Abs. 8 VAG
  • aa) Telos: Ausschluss von Amtshaftungsansprüchen
  • bb) Aufgabe von öffentlichem Interesse
  • e) Subsidiarität als allgemeiner Grundsatz des Polizeirechts
  • f) Verfassungsrechtliches Gebot funktionsgerechter Zuordnung
  • aa) Keine Kompetenzstreitigkeit zwischen Exekutive und Judikative
  • bb) Gebot funktionsgerechter Zuordnung nicht einschlägig
  • cc) Beste Voraussetzungen bei den Zivilgerichten?
  • 2. Doppelspurigkeit der Rechtsdurchsetzung im Solvency II-System
  • a) Bewusste Entscheidung des Gesetzgebers
  • b) Effektivität der Versicherungsaufsicht
  • aa) Gesetzgeberischer Wille
  • bb) Anspruch auf effektiven Rechtsschutz
  • cc) Effektivitätsbeeinträchtigung bei nur nachrangiger Durchsetzungskompetenz
  • (1) Zufälligkeit der zivilgerichtlichen Rechtsdurchsetzung
  • (2) Rechtsunsicherheit als Durchsetzungshindernis
  • c) Weitere Wertungen der Solvency II-Richtlinie
  • aa) Flexibilität der Rechtsdurchsetzung
  • bb) Wahrung der Aufsichtskonvergenz
  • IV. Zusammenfassung
  • E. Effektivität des BaFin-Instrumentariums zur Durchsetzung des Zivilrechts
  • I. Arten von Maßnahmen nach § 298 Abs. 1 S. 1 VAG
  • II. Ermittlungsbefugnisse der BaFin
  • 1. Die BaFin als Ermittlungsbehörde
  • 2. Prüfung von Beschwerden nach § 4b FinDAG
  • a) Rechtsrahmen des Beschwerdeverfahrens
  • b) Beitrag zur Durchsetzung des Zivilrechts
  • 3. Auskunfts- und Vorlagerecht nach § 305 Abs. 1 VAG
  • a) Rechtliche Voraussetzungen
  • b) Beitrag zur Durchsetzung des Zivilrechts
  • aa) Reichweite des Auskunfts- und Vorlagenrechts
  • bb) Einsatz zur Aufdeckung zivilrechtlicher Verstöße
  • 4. Örtliche Prüfungen nach § 306 VAG
  • a) Rechtsrahmen bei örtlichen Prüfungen
  • aa) Voraussetzungen
  • bb) Grenzen auf Ermessensebene
  • (1) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
  • (2) VG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.10.2009 (1 K 4182/08.F); VGH Kassel, Urteil vom 08.02.2010 (6 A 3240/09.Z): Willkürverbot
  • cc) Befugnisse bei der Durchführung örtlicher Prüfungen
  • (1) Betretungs- und Durchsuchungsrecht
  • (2) Beschlagnahmerecht
  • b) Beitrag zur Durchsetzung des Zivilrechts
  • aa) Wirksamkeit örtlicher Prüfungen
  • bb) Einsatz zur Aufdeckung zivilrechtlicher Verstöße
  • 5. Zwischenergebnis
  • III. Rechtsdurchsetzung in Form von Verwaltungsakten
  • 1. Rechtsrahmen für den Erlass von Verwaltungsakten
  • a) Bestimmtheit aufsichtsbehördlicher Verwaltungsakte
  • b) Einsatz von Allgemeinverfügungen
  • 2. Beitrag zur Durchsetzung des Zivilrechts
  • a) Schnelligkeit der Rechtsdurchsetzung
  • aa) Vollstreckungs- oder Titelfunktion
  • bb) Möglichkeit der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO)
  • b) Beitrag von Verwaltungsakten mit konkretem Regelungsinhalt
  • aa) Unterlassungsanordnungen
  • (1) Einsatzmöglichkeiten
  • (a) Wirkungsweise
  • (b) Verwendung unwirksamer AVB-Klauseln
  • (2) Rechtliche Anforderungen im Einzelfall
  • bb) Beseitigungsanordnungen
  • (1) Einsatzmöglichkeiten
  • (2) Rechtliche Anforderungen im Einzelfall
  • cc) Rückzahlungsanordnungen
  • (1) Einsatzmöglichkeiten
  • (a) Wirkungsweise
  • (b) Rückzahlungsanspruch im Lauterkeitsrecht
  • (2) Rechtliche Anforderungen im Einzelfall
  • (a) Erforderlichkeit
  • (aa) Übertragung der Grundsätze des Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG?
  • (bb) Fehlende Erforderlichkeit aufgrund zivilrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs?
  • (cc) Fehlende Erforderlichkeit nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben
  • (b) Angemessenheit
  • 3. Zwischenergebnis
  • IV. Rechtsdurchsetzung in Form von schlicht-hoheitlichem Handeln
  • 1. Rechtsrahmen für das schlicht-hoheitliche Handeln
  • 2. Information der Versicherungsunternehmen
  • a) Beitrag zur Rechtsdurchsetzung
  • aa) Besondere Rolle im System der Versicherungsaufsicht
  • bb) Durchsetzungskraft aufgrund faktischer Bindungswirkung
  • b) Materiell-rechtliche Anforderungen
  • aa) Rechtliche Folgen informatorischen Handelns
  • (1) Grundsätze zur Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften
  • (2) Normkonkretisierende oder -interpretierende Bedeutung?
  • bb) Rechtliche Anforderungen im Einzelfall
  • (1) Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes
  • (a) Grundrechtseingriff?
  • (b) Weitere Anforderungen
  • (2) Vorrang gegenüber anderen Instrumenten der Versicherungsaufsicht?
  • c) Zwischenergebnis
  • 3. Information der Versicherten
  • a) Staatliches Informationshandeln
  • aa) Beitrag zur Rechtsdurchsetzung
  • (1) Stellenwert im System der Versicherungsaufsicht
  • (2) Formen der Informationsvermittlung
  • (a) Allgemeine Unterrichtung der Öffentlichkeit
  • (b) Berichte zu einzelnen Fällen
  • (3) Verhaltenssteuernde Wirkung der Information
  • (a) Funktionen und Formen
  • (b) Folgen und Risiken für die Versicherer
  • bb) Materiell-rechtliche Anforderungen
  • (1) Grundrechtseingriff aufgrund staatlichen Informationshandelns
  • (a) Allgemeine Informationen zu Rechtsfragen
  • (b) Informationen unter Nennung der betroffenen Versicherer/Versicherungsprodukte
  • (2) Rechtliche Anforderungen im Einzelfall
  • (a) Allgemeine materielle Anforderungen an die staatliche Informationstätigkeit
  • (b) Vorrang gegenüber anderen Instrumenten der Versicherungsaufsicht?
  • cc) Zwischenergebnis
  • b) Anordnung der Information der Betroffenen
  • aa) Beitrag zur Rechtsdurchsetzung
  • (1) Anordnung der Information im Lauterkeitsrecht
  • (2) Einsatz im Bereich des Aufsichtsrechts
  • (a) Anordnung der Information und staatliche Informationstätigkeit
  • (b) Einsatzmöglichkeiten
  • bb) Materiell-rechtliche Anforderungen
  • cc) Zwischenergebnis
  • c) Öffentliche Bekanntmachung von Maßnahmen nach § 319 VAG
  • aa) Beitrag zur Rechtsdurchsetzung
  • bb) Materiell-rechtliche Anforderungen
  • (1) Reichweite der Veröffentlichungspflicht
  • (a) Maßnahmen im Sinne des § 319 Abs. 1 S. 1 VAG
  • (b) Verstöße im Sinne des § 319 Abs. 1 S. 1 VAG
  • (2) Ausnahmen von der Veröffentlichungspflicht
  • (3) Anonymisierte Veröffentlichung
  • cc) Zwischenergebnis
  • V. Zusammenfassung
  • F. Effektivitätsvergleich zwischen zivilgerichtlicher und aufsichtsbehördlicher Durchsetzung des Versicherungsrechts
  • I. Effektivitätsvergleich anhand der zivilgerichtlichen Durchsetzungsdefizite
  • 1. Informationsdefizit als Durchsetzungshindernis
  • a) Strukturelle Schwäche der privaten Rechtsdurchsetzung
  • aa) Ermittlungs- und Beweisschwierigkeiten
  • (1) Defizite bei intransparenten Geschäftsmodellen
  • (2) Beispiel: Rechtsverletzungen im Umfeld von Algorithmen
  • (a) Intransparenz algorithmenbasierter Entscheidungsprozesse
  • (b) Zivilprozessualer Schutz von Algorithmen
  • (aa) Algorithmen = Geschäftsgeheimnisse
  • (bb) Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess
  • bb) Entstehen von Prinzipal-Agent-Situationen
  • b) Durchsetzungsdefizite im Versicherungsrecht?
  • aa) Informationsdefizite der Versicherungsnehmer
  • bb) Einsatz von Algorithmen in der Versicherungsbranche
  • c) Durchsetzungsmöglichkeiten der BaFin
  • aa) Instrumente der BaFin zur Information der Versicherten
  • (1) Staatliches Informationshandeln
  • (2) Weitere Instrumente zur Information
  • bb) Beitrag behördlicher Ermittlungen
  • (1) Stellenwert behördlicher Ressourcen
  • (2) Weitreichende Ermittlungsbefugnisse der BaFin
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Fehlendes Durchsetzungsinteresse der Berechtigten
  • a) Strukturelle Schwäche der privaten Rechtsdurchsetzung
  • aa) Defizite bei Streuschäden
  • (1) Gründe
  • (2) Effektivität zivilprozessualer Instrumente
  • (a) Musterfeststellungsklage
  • (b) Weitere Instrumente
  • bb) Defizite bei Massenschäden
  • (1) Gründe
  • (2) Effektivität zivilprozessualer Instrumente
  • b) Durchsetzungsdefizite im Versicherungsrecht?
  • aa) Einheitliche Ausformung der Rechtsverhältnisse
  • bb) Beispiele
  • c) Möglichkeiten der BaFin
  • aa) Behördliche Durchsetzung von Streuschäden
  • (1) Auswirkungen der Geringfügigkeit
  • (2) Instrumente zur Schadenskompensation
  • bb) Behördliche Durchsetzung von Massenschäden
  • (1) Vorteile administrativer Rechtsdurchsetzung
  • (2) Instrumente zur Schadenskompensation
  • d) Zwischenergebnis
  • 3. Fehlende Breitenwirkung zivilgerichtlicher Urteile
  • a) Strukturelle Schwäche der privaten Rechtsdurchsetzung
  • aa) Nachteile der eingeschränkten Durchsetzungskraft
  • (1) Erfordernis zahlreicher Parallelprozesse
  • (2) Gefahr divergierender Entscheidungen
  • bb) Effektivität zivilprozessualer Instrumente
  • (1) Rechtskrafterstreckung nach § 11 Abs. 1 UKlaG
  • (2) Faktische Bindungswirkung von Präzedenzurteilen
  • b) Durchsetzungsdefizite im Versicherungsrecht?
  • c) Möglichkeiten der BaFin
  • aa) Einsatz von Allgemeinverfügungen
  • (1) Allgemeinverbindlicherklärung von Entscheidungen
  • (a) Breitenwirkung von Allgemeinverfügungen
  • (b) Untersagung der Verwendung unwirksamer AVB
  • (2) Materiell-rechtliche Anforderungen
  • (a) Grenzen der Allgemeinverbindlicherklärung
  • (b) Kernbereichstheorie bei Verstößen gegen das UWG
  • bb) Einsatz informatorischer Instrumente
  • d) Zwischenergebnis
  • II. Zusammenfassung
  • G. Ergebnisse
  • I. Auswirkungen privater Durchsetzungsdefizite auf die Aufsichtstätigkeit der BaFin
  • 1. Ermessensreduzierung
  • 2. Erhöhtes Schutzniveau
  • a) Erhöhtes Schutzniveau aufgrund zivilgerichtlicher Durchsetzungsdefizite
  • b) Beispiel: Schäden aufgrund unterbewerteter Rückkaufswerte bei Kapitallebens- und Rentenversicherungen
  • II. Fazit
  • Literaturverzeichnis

←24 | 25→

A. Einführung

I. Anlass der Untersuchung

Ein wirkungsvoller Schutz der Verbraucher ist eines der Kernanliegen der deutschen und europäischen Rechtsordnung.1 Es sind jedoch zunehmend wesentliche Durchsetzungsdefizite bei der Verwirklichung des Verbraucherrechtes erkennbar.2 Gleichwohl ist ein Recht ohne Durchsetzung nur wenig wert3 und dies ist bei systematischen Durchsetzungsdefiziten in einem Rechtsstaat, der auf praktische Wirksamkeit des Rechts angewiesen ist, nicht hinnehmbar4. Prominentestes Beispiel aus der aktuellen Rechtsprechung ist die Dieselabgasthematik, die die Zivilgerichtsbarkeit seit mehreren Jahren bundesweit beschäftigt und bisher nur teilweise höchstrichterlich geklärt worden ist.5 Dabei zeigt sich, dass die Ursachen für die Unzulänglichkeiten primär nicht im Bereich des materiellen Verbraucherrechts zu suchen sind, sondern vielmehr die vorhandenen zivilprozessualen Instrumente stellenweise zur effektiven Rechtsdurchsetzung nicht mehr ausreichen.

Angesichts dessen bestehen in der Literatur seit längerer Zeit umfangreiche Auseinandersetzungen zu der Frage, wie in Zukunft Verbraucherrechte besser durchgesetzt werden können.6 Auf der einen Seite werden neue zivilprozessuale Instrumente erörtert, in deren Folge mit dem Musterfeststellungsgesetz7 das zivilprozessuale Musterfeststellungsverfahren in den §§ 606-614 ZPO implementiert wurde. Auf der anderen Seite wird auch zunehmend eine behördliche Durchsetzung des zivilrechtlichen Verbraucherrechts in Deutschland diskutiert, die in neuen Kompetenzen des Bundeskartellamts (BKartA) zur Durchsetzung von ←25 | 26→Verbraucherrechten resultierten8. Die herausragende Bedeutung der neuen Regelungen zeigt sich daran, dass es in der deutschen Rechtsordnung bisher – mit Ausnahme regulierter Bereiche – keine behördlichen Kompetenzen zur Durchsetzung des Verbraucherrechts gab.9

Dabei nimmt insbesondere das Versicherungsrecht für den Verbraucherschutz eine besondere Rolle ein, da der Versicherungssektor einen im Hinblick auf den Schutz des Verbrauchers als Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten besonders sensiblen Bereich darstellt10. Gleichzeitig hat die unzureichende Durchsetzung des Verbraucherrechts auch eine wesentliche Bedeutung für das Versicherungsrecht. Auch hier stößt die zivilgerichtliche Rechtsdurchsetzung an ihre Grenzen, wie es am Beispiel der Schäden von Versicherungsnehmern aufgrund von unterbewerteten Rückkaufswerten in den Kapitallebens- und Rentenversicherungen deutlich wird, in denen aufgrund einer unzureichenden Rechtsdurchsetzung mit Schäden in Milliardenhöhe für die Versicherungsnehmer zu rechnen ist11. Kann an dieser Stelle möglicherweise die behördliche Rechtsdurchsetzung zum Verbraucherschutz effektiv beitragen?

Die Bundesaufsichtsanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) ist seit dem Inkrafttreten des Kleinanlegerschutzgesetzes12 nach § 4 Abs. 1a des Gesetzes über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht13 (FinDAG) unter anderem auch dem kollektiven Verbraucherschutz verpflichtet. Die Befugnis zur Durchsetzung des Zivilrechts zeigt sich bereits an der Gesetzesbegründung, wonach die Kompetenz der BaFin dann eingreift, wenn ein beaufsichtigtes Unternehmen eine einschlägige Entscheidung des BGH zur Anwendung einer zivilrechtlichen Norm mit verbraucherschützender Wirkung nicht beachtet.14 Dementsprechend stellt sich die Frage, welche Rolle der BaFin bei der Verwirklichung verbraucherrechtlicher und damit auch zivilrechtlicher Vorschriften zukommen kann und muss. Möglicherweise stehen der BaFin hier bereits effektive Instrumente der Rechtsdurchsetzung zur Verfügung, die die Schwachstellen der zivilgerichtlichen Rechtsdurchsetzung kompensieren und so zum Schutz der Verbraucher und Versicherungsnehmer wirksam beitragen können.

←26 | 27→

Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, ob der effektiven Durchsetzung zivilrechtlicher Vorschriften wesentliche rechtliche Gründe entgegenstehen und so die bisher fehlende Wahrnehmung der Aufgabe zum kollektiven Verbraucherschutz seitens der BaFin – jedenfalls im Bereich der Versicherungsaufsicht – gerechtfertigt ist15. Ansonsten könnte sich die BaFin ihrer gesetzlich zugewiesenen Rolle noch nicht hinreichend bewusst geworden sein, sodass in der Praxis für den Schutz der Versicherten nicht hinnehmbare Schutzlücken bestehen. Vor diesem Hintergrund besteht Bedarf für die nähere Untersuchung der bisher noch ungeklärten Rolle der BaFin bei der Durchsetzung des zivilrechtlichen Versicherungsrechts. Diese kann möglicherweise auch einen Ausblick auf eine administrative Durchsetzung zivilrechtlicher Vorschriften in anderen Rechtsgebieten eröffnen.

II. Fragestellungen und Gang der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit wird sich mit der Frage beschäftigen, ob, wie und wann Zivilrecht durch die BaFin innerhalb der Versicherungsaufsicht durchzusetzen ist und an welchen Stellen diese ihre Instrumente effektiv zur Durchsetzung des Zivilrechts einsetzen kann. Zum Gegenstand der Untersuchung gehört dagegen nicht, ob im Einzelfall tatsächlich zivilrechtliche Verstöße der Versicherungsunternehmen gegeben sind. Anders als bei den überwiegenden Erörterungen in der Rechtswissenschaft wird nicht eine mögliche Ausweitung behördlicher Kompetenzen diskutiert, sondern vielmehr die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten der BaFin zur Durchsetzung des Zivilrechts näher beleuchtet (de lege lata). Hierbei wird der Fokus auf den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsrechts liegen, da diese den gesetzlichen Rahmen für die Aufsichtstätigkeit vorgeben, der primär durch die Regelungen des FinDAG sowie des VAG abgesteckt wird, die wiederum maßgeblich durch die europarechtlichen Vorgaben der Solvency II-Richtlinie16 geprägt sind. Weitere rechtliche Vorgaben finden sich auch im allgemeinen Verwaltungsrecht und Polizeirecht17.

Zur Bestimmung des rechtlichen Rahmens wird die Arbeit mit der Beantwortung der Frage beginnen, inwiefern die Durchsetzung des Zivilrechts zur Verwirklichung der Ziele der Versicherungsaufsicht beitragen kann und wie diese im Aufgabenbereich der BaFin einzuordnen ist – hierzu unter B. –. Die Ziele und ←27 | 28→Aufgaben sind zentral für die Ermittlung des gesetzlichen Rahmens der Versicherungsaufsicht und damit auch ganz wesentlich für die Ermittlung der Rolle der BaFin bei der Durchsetzung des Zivilrechts. Mit zunehmender Bedeutung zivilrechtlicher Regelungen für die Verwirklichung der Ziele der Versicherungsaufsicht wird die BaFin auch eine aktivere Rolle bei deren Umsetzung einnehmen müssen, wenn der vorhandene rechtliche Rahmen dies zulässt.

Im weiteren Verlauf werden durch die Bestimmung der Grenzen auf Ebene der Ermächtigungsgrundlage die Handlungsmöglichkeiten der BaFin weiter präzisiert – hierzu unter C. –. Insbesondere werden mögliche Einschränkungen aufgrund des Grundrechtsschutzes und der Grenzen der Ermessensausübung näher erforscht. Im Anschluss daran wird noch zu untersuchen sein, wie das Verhältnis der versicherungsaufsichtlichen zur zivilgerichtlichen Rechtsdurchsetzung tatsächlich ausgeformt ist – hierzu unter D. –. Es ist zu prüfen, ob den Zivilgerichten ein Vorrang einzuräumen ist und so die Kontrollmöglichkeiten der BaFin in diesem Bereich wesentlich eingeschränkt werden.

Nach abstrakter Bestimmung des versicherungsaufsichtlichen Rahmens zur Durchsetzung des Zivilrechts ist konkret zu ermitteln, in welcher Form und an welchen Stellen die BaFin zur Realisierung der zivilrechtlichen Vorschriften tatsächlich effektiv beitragen kann. Zu diesem Zweck wird ermittelt, welches Instrumentarium der BaFin zur Durchsetzung des Zivilrechts zur Verfügung stehen könnte und welche Anforderungen an deren Einsatz zu stellen sind – hierzu unter E. –. An dieser Stelle wird insbesondere auch die Übertragbarkeit der Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess und deren wirksamer Einsatz im Rahmen der Versicherungsaufsicht zu untersuchen sein.

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wird ein Effektivitätsvergleich der zivilgerichtlichen mit der versicherungsaufsichtlichen Rechtsdurchsetzung erfolgen – hierzu unter F. –. Durch diesen Vergleich kann ermittelt werden, in welchen Fällen tatsächlich eine aufsichtsbehördliche Durchsetzung erforderlich und so auch im konkreten Einzelfall die administrative Vollstreckung durch die BaFin legitimiert ist. Diesbezüglich wird untersucht, inwiefern allgemeingültige Schwächen der zivilgerichtlichen Rechtsdurchsetzung auch im Bereich des Versicherungsrechts auftreten und in welchem Umfang die BaFin diesen Durchsetzungshindernissen mit dem ihr zur Verfügung stehenden Instrumentarium begegnen kann. Abschließend ist zu bestimmen, welchen Einfluss die Defizite der zivilgerichtlichen Rechtsdurchsetzung auf die administrative Rechtsdurchsetzung der BaFin haben – hierzu unter G. –.


1 S. nur Barley, NJW-aktuell 15/2018, 12 (13), die den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den Verbraucherschutz legt; Art. 169 AEUV und Art. 38 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC).

2 Auf europäischer Ebene s. nur Augenhofer, EuZW 2019, 5 (9); zum sog. „New Deal for Consumers“ sowie Augenhofer, NJW 2021, 113 zur Europäischen Verbandsklagen-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, Amtsblatt (ABl.) L 409/1, vom 04.12.2020).

3 Maas, Neue Wege in der Durchsetzung des Verbraucherrechts, 1 (2); s.a. Brönneke, Einführung behördlicher Instrumente, 127 (129).

4 Brönneke, Verbraucherverbandsklagen, 113.

5 S. nur BGH, NJW 2019, 1133; Heese, NJW 2021, 887.

6 S. nur Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Studie; Aufsätze in Schulte-Nölke/Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Neue Wege zur Durchsetzung des Verbraucherrechts; Stadler, VuR 2017, 123.

7 Gesetz vom 12.07.2018, Bundesgesetzblatt (BGBl) I 2018, 1151.

8 § 32e Abs. 5 S. 1 GWB, wonach das BKartA bei begründetem Verdacht auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften unterschiedliche Sektoren untersuchen kann.

9 Ost, Bundeskartellamt und Verbraucherinteressen, 189 (192).

10 BVerwG, BeckRS 2021, 21556, Rn. 33.

11 S. Hörmann, VuR 2016, 81 (82).

12 Gesetz vom 03.07.2015, BGBl I 2015, 1114.

13 Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22.04.2002, BGBl I 2002, 1310, zuletzt geändert durch Artikel 21 des Gesetzes vom 03.06.2021, BGBl I 2021, 1568.

14 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3994, 36.

15 Vgl. Brömmelmeyer, VersR 2019, 909 (916); Langenbucher/Bliesener/Spindler/Roth, Bankrechts-Kommentar, VBem § 491, Rn. 31.

16 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. L 335/1, vom 25.11.2009.

17 Das Versicherungsaufsichtsrecht ist dem gewerblichen Polizeirecht zuzuordnen (Kaulbach/Bähr/Pohlmann/Bähr, VAG, § 298, Rn. 8; Brand/Baroch Castellvi/Brand, VAG, § 298, Rn. 14; Prölss/Dreher/Dreher, VAG, § 294, Rn. 18).

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B. Durchsetzung des Zivilrechts durch die BaFin im Umfeld der Ziele und Aufgaben der Versicherungsaufsicht

Die Fragen im Zusammenhang mit der Bestimmung der Rolle der BaFin bei der Durchsetzung des Zivilrechts können ohne das Verständnis der für das Versicherungsaufsichtsrecht geltenden Ziel- und Aufgabenbestimmungen nicht ermittelt werden. Die Aufgabeneröffnung oder Einschlägigkeit einer Zielbestimmung ist Grundvoraussetzung für jedes Tätigwerden einer Behörde.1 Diese besondere Bedeutung der Ziel- und Aufgabensetzungen im System der Versicherungsaufsicht zeigt sich unter anderem an der versicherungsaufsichtlichen Generalklausel, die nach § 298 Abs. 1 S. 2 VAG auf Tatbestandsebene ein gegen die Aufsichtsziele des § 294 Abs. 2 VAG widersprechendes Verhalten (sogenannter Missstand) voraussetzt. Zunächst einmal wird auf die Solvency II-Richtlinie eingegangen, um deren Auswirkungen auf das nationale Versicherungsaufsichtsrecht und in der Folge auf die Ziele und Aufgaben der Versicherungsaufsicht zu ermitteln – hierzu unter I. –. Daran anschließend wird nach Darstellung der Zielsetzungen – hierzu unter II. – und Aufgaben – hierzu unter III. – das aufsichtsrechtliche Schutzniveau innerhalb der Versicherungsaufsicht untersucht – hierzu unter IV. –.

I. Einfluss der Solvency II-Richtlinie auf die Ziele und Aufgaben

1. Ziele und Strukturmerkmale

Der Wechsel des Aufsichtsregimes auf europäischer Ebene zu Solvency II stellt einen der weitreichendsten Wechsel im System der Versicherungsaufsicht dar.2 Nach Art. 310 Solvency II-Richtlinie ersetzt diese alle geltenden europäischen Versicherungsrichtlinien3 und bündelt alle bisher erfassten Bereiche zu einem aufsichtsrechtlichen Gesamtkonzept.4 Die Solvency II-Richtlinie bildet die Grundlage des neuen Aufsichtsregimes, dass durch die Solvency II-Verordnung5 sowie ←29 | 30→eine Vielzahl von Durchführungsverordnungen präzisiert worden ist.6 Die Omnibus II-Richtlinie7 führte im Nachgang zu einzelnen Modifikationen der Solvency II-Richtlinie.8

Fundamentalziel der Solvency II-Richtlinie ist die Schaffung einheitlicher rechtlicher Bedingungen für die Ausübung des Versicherungsgeschäfts im gesamten Binnenmarkt durch Beseitigung der schwerwiegendsten Unterschiede zwischen den nationalen Aufsichtsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten.9 Es soll ein einheitliches „level playing field“ für alle Marktteilnehmer geschaffen und die aufsichtsrechtlichen Anforderungen in einem „single rule book“ kodifiziert werden.10 Erwägungsgrund 40 spricht hier von einer Aufsichtskonvergenz sowohl bei den Aufsichtsinstrumenten als auch bei den Aufsichtspraktiken.11 Die Richtlinie soll insgesamt ein wichtiges Instrument zur Vollendung des Binnenmarkts für den Versicherungsmarkt darstellen.12

Solvency II-Richtlinie verfolgt dabei einen risikobasierten Ansatz, um so das vorrangige Ziel einer risikoadäquaten Eigenmittelausstattung der Versicherer sicherzustellen.13 Dadurch erfolgt der Übergang von einer zuvor weitgehend quantitativen zu einer stärker qualitativen Regulierung und Beaufsichtigung.14 So richten sie die Anforderungen an die Kapitalausstattung zukünftig nach dem ←30 | 31→individuellen Risikoprofil eines jeden Versicherers.15 Im vormaligen Aufsichtssystem blieben entscheidende Risiken im Hinblick auf die Kapitalausstattung noch unberücksichtigt.16 Dies erhöht die Flexibilität, indem der individuellen wirtschaftlichen wie auch rechtlichen Situation eines Versicherers im erhöhten Maße Rechnung getragen wird.17

Daneben wird im neuen versicherungsaufsichtlichen System der Solvency II-Richtlinie ein stärkerer prinzipienbasierter Ansatz verfolgt.18 Durch den Wechsel vom regelbasierten Ansatz wird auf eine detaillierte Regelung von konkreten Vorgaben durch den Gesetzgeber verzichtet und stattdessen generelle Prinzipien als Leitlinien statuiert.19 Insofern geht es nicht mehr um die Einhaltung starrer Regeln, sondern darum einem vorgegebenen Rahmen im Sinne eines Optimierungsgebots gerecht zu werden.20 Danach sind Prinzipien – im Gegensatz zu starren Regeln – einer Abwägung stärker zugänglich und auch bedürftig.21 Dies hat zur Folge, dass die Behörde beim Vollzug der Rechtsvorschriften für den konkreten Einzelfall selbst Prinzipien konkretisiert, ohne – jedenfalls vollständig – durch Regeln determiniert zu sein.22 So wird auch den Unternehmen eine größere Freiheit gewährt, die mit einer wachsenden Verantwortung einhergeht und vermehrt eine Selbsteinschätzung fordert.23

2. Harmonisierungsgrad

Der Einfluss der Solvency II-Richtlinie auf das nationale Versicherungsaufsichtsrecht ist maßgeblich von deren Harmonisierungsgrad abhängig. Ist der Richtlinie ein vollharmonisierender Charakter zuzusprechen, so muss der Normgehalt europäischer Regelungen in gleicher Weise im mitgliedstaatlichen Recht zum ←31 | 32→Ausdruck kommen.24 Denn vollharmonisierende Richtlinien zielen darauf ab, eine vollständige Rechtsvereinheitlichung herbeizuführen.25 Die Mitgliedstaaten dürfen so bei der Umsetzung die europäischen Regelungsvorgaben weder unter- noch überschreiten.26 Aufgrund dessen ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, über die Richtlinienvorgaben hinausgehende Regelungen zu treffen, auch wenn diese zu einem höheren Schutzniveau führen würden (sogenanntes „Gold-Plating“).27 Nationales Recht, das von vollharmonisierenden Vorgaben der Solvency II-Richtlinie abweicht, ist nicht anzuwenden.28

Bei der Solvency II-Richtlinie handelt es sich nach allgemeiner Literaturansicht um eine grundsätzliche Vollharmonisierung.29 In der Rechtsprechung hat dies mittlerweile auch der VGH Kassel bestätigt.30 Auf die ausdrückliche Benennung der Bindungswirkung wird innerhalb der Richtlinie zwar verzichtet,31 jedoch sprechen wesentliche Gründe für eine grundsätzliche Vollharmonisierung. Ein gewichtiger Umstand ist, dass innerhalb der Richtlinie explizite Abweichungsbefugnisse geregelt sind.32 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der europäische Gesetzgeber nur punktuell Abweichungsmöglichkeiten von den sonst vollharmonisierenden Regelungen gewähren will.33 Öffnungsklauseln wären im Falle der Annahme einer grundsätzlichen Mindestharmonisierung überflüssig oder gar sinnwidrig.34

Auch das vorrangige Ziel der Richtlinie zur Vollendung des Binnenmarkts beizutragen, spricht für deren vollharmonisierenden Charakter.35 Dies soll entsprechend Erwägungsgrund 40 mittels einer Aufsichtskonvergenz geschaffen werden, welche ohne eine möglichst weitgehende europaweite Rechtsvereinheitlichung im ←32 | 33→Bereich der Versicherungsaufsicht nicht möglich ist.36 Dies gilt erst recht, wenn man den Wechsel zu einem prinzipienbasierten Ansatz berücksichtigt, wodurch den Aufsichtsbehörden ein erweiterter Handlungsspielraum eröffnet und somit tendenziell die Zersplitterung und zunehmende Unberechenbarkeit begünstigt wird.37 Zusätzlich zielen zahlreiche andere Erwägungsgründe auf eine möglichst vollständige Harmonisierung ab.38 Anders als in den Vorgängerrichtlinien wurden in den Erwägungsgründen – mit Ausnahme von Erwägungsgrund 81 – auch keine Begrifflichkeiten wie „Mindestvorschriften“ beziehungsweise „Mindeststandards“ übernommen, trotz Aufhebung und teilweiser Überführung des Normbestands der Richtlinien in die Solvency-II-Richtlinie.39

Der Harmonisierungsgrad einer Richtlinie muss nicht immer einheitlich sein, wodurch es im Rahmen einer grundsätzlich vollharmonisierenden Richtlinie Regelungen geben kann, die Mindestharmonisierungscharakter haben.40 In dem vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelten Fällen ergibt sich dann der Mindestharmonisierungscharakter gleichfalls im Wege der Auslegung.41 Dabei sind diese besonders durch Öffnungsklauseln und Mitgliedstaatenwahlrechte indiziert.42 Dies gilt daher auch für die Solvency II-Richtlinie an den entsprechenden Stellen.43

3. Zwischenergebnis

Die Solvency II-Richtlinie dient der Verwirklichung des Binnenmarkts und bezweckt die Schaffung einheitlicher rechtlicher Rahmenbedingungen im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts. Dabei verfolgt die Richtlinie einen risiko- und prinzipienbasierten Ansatz der Versicherungsaufsicht, die insgesamt eine hohe Flexibilität der Aufsicht gewährleistet. Hierbei verzichtet der Gesetzgeber zugunsten von generellen Prinzipien auf starre Vorgaben und verlagert so die einzelfallbezogene Konkretisierung auf die Vollzugsbehörde. Auch den Versicherern werden bei der Rechtumsetzung größere Freiheiten gewährt, die eine zunehmende Eigenverantwortung der Unternehmen begründen.

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Aufgrund des grundsätzlich vollharmonisierenden Charakters und nur weniger Öffnungsklauseln hat die Richtlinie den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern nur sehr begrenzte Regelungsräume belassen.44 Für die vollharmonisierende Wirkung der Richtlinie spricht unter anderem, dass nur in der Weise den Zielen der hinreichenden Aufsichtskonvergenz und Verwirklichung des Binnenmarkts hinreichend entsprochen werden kann. Auch die zahlreichen Öffnungsklauseln innerhalb des Regelungswerks machen nur bei einer grundsätzlich vollharmonisierenden Richtlinie Sinn.

Dies hat zur Folge, dass der Normgehalt der Solvency II-Richtlinie in gleicher Weise im nationalen Recht zum Ausdruck kommen muss, und mitgliedstaatliches Recht, welches den Vorgaben der Richtlinie nicht entspricht, nicht anzuwenden ist. Bei der Umsetzung dürfen die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber die europäische Regelungsvorgaben weder unter- noch überschreiten. Dies gilt auch für nationale Regelungen mit einem höheren Schutzniveau als in der Richtlinie vorgegeben. Dementsprechend müssen auch die Ziele und Aufgaben der Versicherungsaufsicht in jeder Hinsicht den Vorgaben der Solvency II-Richtlinie entsprechen.

II. Ziele der BaFin im Rahmen der Versicherungsaufsicht

1. Hauptziel

a) Schutz der Versicherungsnehmer und Begünstigten von Versicherungsleistungen nach § 294 Abs. 1 VAG

Nach § 294 Abs. 1 VAG ist Hauptziel der Beaufsichtigung der Schutz der Versicherungsnehmer und der Begünstigten von Versicherungsleistungen. Zwar legt die Regelung aufgrund deren systematischer Stellung den Anwendungsbereich auf die laufende Aufsicht fest45, allerdings dient auch das Zulassungsverfahren dem Schutz der Versicherten46. Dabei war der Schutz der Versicherten von Anfang an maßgebender Zweck der versicherungsaufsichtlichen Praxis.47 Seit dem 1. Januar 2016 setzt § 294 Abs. 1 VAG nunmehr Art. 27, 28 der Solvency II-Richtlinie um.48 ←34 | 35→Insofern entspricht der Schutz der Versicherungsnehmer als Hauptziel der Versicherungsaufsicht den Vorgaben der Solvency II-Richtlinie.49

Hinsichtlich des geschützten Personenkreises nennt das Gesetz zuerst die Versicherungsnehmer. Das sind die Vertragspartner der Versicherungsunternehmen im Rahmen von Versicherungsverträgen.50 Nach Erwägungsgrund 16 der Solvency II-Richtlinie ist dagegen Begünstigter von Versicherungsleistungen jede natürliche oder juristische Person, die einen Anspruch aufgrund eines Versicherungsvertrags besitzt. Dazu gehören diejenigen, denen im Versicherungsvertrag Leistungen versprochen oder sonst zugewendet werden, unabhängig davon, ob derjenige Vertragspartner ist.51 Neben den vertraglich bestimmten Bezugsberechtigten im Sinne des § 159 Abs. 1 VVG sind unter Umständen auch geschädigte Dritte von der Regelung erfasst, wenn sie einen Anspruch aufgrund eines Versicherungsvertrags haben52.

§ 294 Abs. 1 VAG begründet jedoch nur einen kollektiven Schutz der Versicherungsnehmer und der Begünstigten von Versicherungsleistungen.53 Hierfür spricht ein Gleichlauf zur Zulassungsaufsicht, bei der der Schutz der Versicherten auch nur im Kollektiv angelegt ist.54 Auch vor dem Hintergrund von § 294 Abs. 8 VAG hat die BaFin einen kollektiven Schutz zu verfolgen, da die Aufsichtsbehörde ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahrzunehmen hat.55 Dementsprechend hat die Aufsichtsbehörde nur dann einzugreifen, wenn ein Unternehmen in vielen Fällen gegen Recht und Gesetz verstößt oder die BaFin auf einen systematischen Fehler stößt.56 Somit kann diese nicht wegen singulärer Belange eines einzelnen Versicherungsnehmers Aufsichtsmaßnahmen ergreifen.57

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b) Kollektiver Verbraucherschutz nach § 4 Abs. 1a FinDAG

Mögliche Regelungen zur Versicherungsaufsicht seitens der BaFin lassen sich nicht nur im VAG finden. Es lohnt sich hier auch einen Blick in das FinDAG zu werfen. Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber die vorher getrennte staatliche Aufsicht über Banken, Versicherungsunternehmen und Finanzdienstleistungsinstitute sowie die Aufsicht über den Wertpapierhandel zusammengelegt.58 Demzufolge gelten die Bestimmungen des FinDAG auch im Rahmen der Tätigkeit der BaFin innerhalb der Versicherungsaufsicht. Fraglich ist, wie die Verpflichtung der BaFin zum kollektiven Verbraucherschutz nach § 4 Abs. 1a FinDAG innerhalb der Versicherungsaufsicht einzuordnen ist.

aa) Motive und Charakter

Nach § 4 Abs. 1a S. 1 FinDAG ist die Bundesanstalt innerhalb ihres gesetzlichen Auftrags auch dem Schutz kollektiver Verbraucherinteressen verpflichtet. Diese gesetzliche Regelung wurde nachträglich mit dem sogenannten Kleinanlegerschutzgesetz vom 3. Juli 2015 in das FinDAG aufgenommen.59 Mit diesem Gesetz sollen Verbraucher besser vor unseriösen und intransparenten Finanzprodukten und finanziellen Schäden geschützt werden.60 Anleger haben zuvor durch Investitionen in Vermögensanlagen erhebliche Schäden erlitten, indem sie in Produkte investierten, die nur einer eingeschränkten Aufsicht durch die BaFin unterlagen.61 Nach der Gesetzesbegründung soll die Aufnahme in § 4 FinDAG bewirken, dass der Verbraucherschutz Teil des gesetzlichen Auftrags aller Aufsichtsbereiche der Bundesanstalt wird62 und damit auch für die Versicherungsaufsicht gilt. Dabei soll das FinDAG das geeignete Gesetz für eine solche grundsätzliche Regelung sein, da dieses die wesentlichen Grundlagen der Aufsicht der Bundesanstalt regelt.63

Doch welche Bedeutung hat die Regelung für die Aufsichtstätigkeit der BaFin? Nach der Ansicht von Laars handele es sich bei § 4 Abs. 1a FinDAG mehr um eine „politische Botschaft“ als um eine „belastbare“ Rechtsnorm, wobei der Vorschrift jeglicher Regelungsgehalt fehle.64 Dies wird darauf gestützt, dass die Aufsicht nach § 4 Abs. 4 FinDAG ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrgenommen werde und dass die BaFin vorrangig die Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleistungsinstitute zu beaufsichtigen habe und im Kollisionsfall die Interessen einzelner nachrangig oder gar nicht zu berücksichtigen seien.65 Außerdem wird ←36 | 37→angeführt, dass in den einzelnen Finanzdienstleistungsbereichen spezialgesetzlich unterschiedlich ausgeformte Schutzumfänge für Verbraucherinteressen bestehen, wobei Laars hier insbesondere auf die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten nach § 294 Abs. 2 VAG abstellt.66 Auch der Wortlaut des § 4 Abs. 1a S. 1 FinDAG lasse darauf schließen, dass die Vorschrift keinen Regelungsgehalt aufweise, da der Schutz „innerhalb ihres gesetzlichen Auftrags“ erfolgen solle, wodurch die aufsichtsrechtliche Tätigkeit der BaFin nicht ausgeweitet werden solle.67

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, da § 4 Abs. 1a S. 1 FinDAG unter anderem aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts die Eigenschaft als eigenständige Zielsetzung zuzusprechen ist.68 Insbesondere die Einschränkung auf das Tätigwerden „innerhalb des gesetzlichen Auftrags“ kann nicht als Argument dafür angeführt werden, dass § 4 Abs. 1a S. 1 FinDAG keinen Regelungsgehalt habe. Diese soll nur klarstellen, dass durch die neuen Verbraucherschutzvorschriften die aufsichtsrechtlichen Kompetenzen der Bundesanstalt nicht ausgeweitet werden sollen.69 Der Gesetzgeber wollte durch diese Einschränkung § 4 Abs. 1a S. 1 FinDAG gerade nicht zu einer „politischen Botschaft“ abschwächen.

Des Weiteren ist der Wortlaut der Gesetzesbegründung hinsichtlich der Verankerung des kollektiven Verbraucherschutzes als ein Aufsichtsziel der BaFin mehr als deutlich.70 Demnach solle durch das Aufsichtsziel die Bedeutung des kollektiven Verbraucherschutzes bei der Aufsichtstätigkeit der Bundesanstalt hervorgehoben werden.71 Daneben wird im weiteren Verlauf der Begründung der kollektive Verbraucherschutz erneut als weiteres Aufsichtsziel der Bundesanstalt genannt.72 Auch bei der systematischen Begründung der Verortung der Regelung wird auf den Zusammenhang mit den Aufgaben der Bundesanstalt abgestellt.73 Darüber hinaus nennt die Bundesregierung auch in ihrer Antwort auf die Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 13. Juli 2015 den kollektiven Verbraucherschutz explizit als gesetzlich neu verankertes Aufsichtsziel der Bundesanstalt.74

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bb) Inhalt und Reichweite

Ohne eine Vorstellung des Inhalts und der Reichweite des § 4 Abs. 1a FinDAG ist ein umfassendes Verständnis der Zielvorgabe nicht möglich. Diese bestimmt sich vor allem durch drei Präzisierungen. Die erste findet sich in Satz 1, wonach sich der Verbraucherschutz auf den gesetzlichen Auftrag der BaFin beschränkt – hierzu unter (1) –. Des Weiteren beschränkt sich die Zielsetzung auf den Schutz „kollektiver“ Verbraucherinteressen – hierzu unter (2) –. Daneben ist die Reichweite der Zielregelung davon abhängig, welche Qualität der Verstoß für ein Einschreiten aufweisen muss – hierzu unter (3) – und welche Bedeutung der im Gesetz verankerten Gebotenheit der generellen Klärung im Interesse des Verbraucherschutzes beizumessen ist – hierzu unter (4) –.

(1) Verbraucherschutz innerhalb des gesetzlichen Auftrags der BaFin

Die Verpflichtung der BaFin zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen beschränkt sich dem Gesetzeswortlaut nach auf deren gesetzlichen Auftrag. Hierdurch wird klargestellt, dass die aufsichtlichen Tätigkeiten der BaFin nicht ausgeweitet werden sollen.75 Der BaFin soll gerade keine allgemeine sachliche Zuständigkeit für den kollektiven Verbraucherschutz zugewiesen werden.76 Somit darf die BaFin nur dann eingreifen, wenn sie innerhalb ihrer fachgesetzlich geregelten Aufsichtstätigkeit Verstöße gegen verbraucherschützende Rechtsverstöße feststellt.77 Damit kann die Aufsichtsbehörde im Rahmen der Versicherungsaufsicht nur gegen einen Missstand vorgehen, der einem von der BaFin beaufsichtigten Unternehmen zurechenbar ist, sowie mit einem von der Aufsichtsbehörde zu beaufsichtigenden Finanzdienstleistungsgeschäft im Zusammenhang steht.78

(2) Begriff der Kollektivität

Darüber hinaus ist zu prüfen, was unter dem Begriff „kollektiver Verbraucherinteressen“ zu verstehen ist und in welchen konkreten Fällen die Betroffenheit dieser Interessen anzunehmen ist. Durch diese Einschränkung wird sichergestellt, dass es ein öffentliches Interesse am Einschreiten der BaFin gibt und damit eine Berechtigung für eine behördliche Tätigkeit besteht.79 Nach der Begründung der Bundesregierung darf die BaFin zunächst nicht im Interesse einzelner Verbraucher, sondern nur zum Schutz der Verbraucher in ihrer Gesamtheit tätig werden.80 Nach Ansicht ←38 | 39→von Sasserath-Alberti und Vogelgesang beruht diese Einschränkung auf dem Wesen der Versicherung, wonach diese auf die Risikotragung im Versichertenkollektiv angelegt sei.81

Die kollektiven Interessen dürfen jedoch nicht – wie Brömmelmeyer zutreffend annimmt – mit dem in der Gesetzesbegründung verwendeten Begriff, der Interessen der Verbraucher „in ihrer Gesamtheit“, gleichgestellt werden.82 Hierfür spricht die Tatsache, dass in den meisten Fällen Missstände im Sinne des § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG nur einen Teil der Verbraucher betreffen werden.83 Müssten tatsächlich für einen Fall der kollektiven Betroffenheit die Verbraucher „in ihrer Gesamtheit“ betroffen sein, so würde die Regelung in der Praxis faktisch leer laufen, was dem gesetzgeberischen Willen mit Sicherheit widersprechen würde.

Eine solche Form der Auslegung wäre auch vor dem Hintergrund widersprüchlich, dass die Verbraucherinteressen im Versicherungsrecht nicht immer einheitlich sind.84 Vielmehr sind die Interessen verschiedener Versichertengruppen häufig gegensätzlich, was insbesondere an der Entscheidung des BVerfG zur Übertragung des Bestands von Lebensversicherungsverträgen85 deutlich wird.86 Hier stehen sich beispielsweise die Interessen der Versicherten mit kurzer Laufzeit und die der mit einer längeren gegenüber.87 Versicherte, die kurz vor der Auszahlung der Versicherungssumme stehen, haben ein Interesse an möglichst weitgehender Liquidation, wohingegen Versicherte mit längerer Laufzeit vermutlich auf einen größtmöglichen Erhalt des Vermögens zielen werden.88

Demnach muss die BaFin im Rahmen des § 4 Abs. 1a FinDAG auch dann tätig werden dürfen, wenn nur ein Teil der Versicherten betroffen ist. Die Begründung ist somit dahingehend zu verstehen, dass die BaFin für „eine“ und nicht „die“ Gesamtheit der Verbraucher tätig werden darf.89 Von dieser Ansicht scheint letztendlich auch die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage unter anderem der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auszugehen, indem sie ausführt, dass die Betroffenheit kollektiver Interessen selbst dann angenommen werden kann, wenn ein einziger Fall im Gesamtkontext der Praxis eines einzelnen Unternehmens vorliegt, der jederzeit eine Vielzahl von Verbrauchern betreffen könnte.90

←39 | 40→

Obwohl die Begründung hinsichtlich der konkreten Voraussetzungen des § 4 Abs. 1a FinDAG missverständlich ist, so kann aus dieser jedenfalls der Schluss gezogen werden, dass die BaFin nicht zur Durchsetzung individueller Verbraucherinteressen berechtigt ist.91 Aufgrund dessen kann die BaFin nicht gegen eine im konkreten Einzelfall getroffene Entscheidung eines Versicherungsunternehmens im Verhältnis zum Versicherten vorgehen.92 Dabei besteht für die individuellen Interessen keine Schutzlücke, da in diesen Fällen der Weg zu den Zivilgerichten eröffnet ist.93 Eine ausnahmsweise Befugnis zum individuellen Verbraucherschutz durch die BaFin findet sich allein in den §§ 48 f. Zahlungskontengesetz94 (ZKG), wonach die BaFin entsprechend § 49 Abs. 1 S. 1, 2 ZKG gegenüber dem Verpflichteten den Abschluss eines Basiskontovertrages oder die Eröffnung eines Basiskontos zugunsten des Berechtigten anordnen kann.95

Details

Seiten
354
Erscheinungsjahr
2023
ISBN (PDF)
9783631894170
ISBN (ePUB)
9783631894187
ISBN (Paperback)
9783631894095
DOI
10.3726/b20428
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (März)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 354 S.

Biographische Angaben

Marco Berger (Autor:in)

Marco Berger studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bayreuth und der Europa-Universität Viadrina. Nach der Tätigkeit als Rechtsanwalt bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei arbeitet er seit 2019 als Notarassessor.

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Titel: Die Rolle der BaFin bei der Durchsetzung des versicherungsrechtlichen Zivilrechts