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Pflichten und Haftung des Leiters der GmbH-Gesellschafterversammlung

by Felix Dörrenbächer (Author)
©2022 Thesis 250 Pages

Summary

Die Publikation befasst sich mit dem Amt des Leiters der GmbH-Gesellschafterversammlung aus dem Blickwinkel der mit ihm verbundenen Pflichten und der aus diesen Pflichten folgenden Möglichkeit zur Haftbarmachung des Versammlungsleiters. Im ersten Teil der Arbeit werden die Pflichten des Versammlungsleiters behandelt, wobei der Autor besonderes Augenmerk auf die Rechtsstellung des Versammlungsleiters sowie seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Beschlussfeststellung legt. Im zweiten Teil der Arbeit werden sodann mögliche Anspruchsgrundlagen einer Inanspruchnahme des Versammlungsleiters und Möglichkeiten zur Haftungsbeschränkung erörtert.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Teil A: Der Versammlungsleiter in der GmbH und seine Pflichten
  • A. Der Versammlungsleiter in der GmbH
  • I. Allgemeines
  • 1. Funktion des Versammlungsleiters
  • 2. Notwendigkeit des Amtes
  • a. Amt in GmbH nicht zwingend vorgesehen
  • b. Zulässigkeit der Versammlungsleitung
  • c. Zweckmäßigkeit der Versammlungsleitung
  • 3. Rechtliche Stellung des Versammlungsleiters in der Gesellschaft
  • a. Keine Organqualität des Versammlungsleiteramtes
  • aa. Gesellschaftsrechtlicher Organbegriff
  • bb. Aktienrechtlicher Diskurs zur Organqualität des Hauptversammlungsleiters
  • cc. Übertragbarkeit auf die GmbH
  • dd. Stellungnahme
  • b. Weisungsabhängigkeit des Versammlungsleiters
  • c. Entstehung eines korporationsrechtlichen Rechtsverhältnisses zur Gesellschaft
  • 4. Mögliche Amtsträger
  • 5. Zusammenfassung
  • II. Bestellung
  • 1. Arten der Bestellung
  • a. Statutarische Bestellung
  • aa. Regelungen hinsichtlich des Ob der Versammlungsleitung
  • bb. Bestimmung der Person des Versammlungsleiters
  • cc. Entstehung eines Sonderrechts i.S.v. § 35 BGB?
  • b. Bestellung durch (einfachen) Gesellschafterbeschluss
  • c. Bestellung durch Regelung in der Geschäftsordnung der Gesellschafterversammlung
  • d. Bestellung durch (stillschweigendes) Einverständnis der anwesenden Gesellschafter
  • 2. Keine Pflicht zur Übernahme des Amtes
  • 3. Folgen des Handelns durch Schein- Versammlungsleiter
  • a. Fehler unmittelbar bei der Bestellung des Versammlungsleiters
  • b. Sonderfall: Fehler bei der Wahl zum Aufsichtsrat
  • 4. Zusammenfassung
  • III. Beendigung des Amtes
  • 1. Ende der Gesellschafterversammlung
  • 2. Amtsniederlegung durch den Versammlungsleiter
  • 3. Abberufung durch die Gesellschafterversammlung
  • a. Abberufung bei statutarisch bestelltem Versammlungsleiter
  • aa. Abberufung ohne Bestehen eines Sonderrechts
  • (1) Rechtliche Qualifikation von Satzungsregelungen betreffend die Versammlungsleitung
  • (2) Meinungsstand
  • (3) Stellungnahme
  • bb. Abberufung bei Bestehen eines Sonderrechts
  • b. Abberufung bei durch einfachen Gesellschafterbeschluss bestelltem Versammlungsleiter
  • c. Stimmverbot des Gesellschafter-Versammlungsleiters bei seiner Abwahl?
  • aa. Abwahl aus wichtigem Grund
  • bb. Sonderfall: Abwahl aus Anlass eines Interessenkonfliktes in Bezug auf einen Gegenstand der Tagesordnung
  • cc. Abwahl aus sonstigen Gründen
  • d. Folgen der fehlerhaften Abberufung des Versammlungsleiters
  • aa. Amtsausübung durch abzuberufenden Versammlungsleiter
  • bb. Amtsausübung trotz erfolgter Abberufung des Versammlungsleiters
  • cc. Niederlegung des Versammlungsleiteramts aufgrund fehlerhaften Abwahlbeschlusses
  • 4. Zusammenfassung
  • B. Pflichten des Versammlungsleiters
  • I. Allgemeines
  • II. Interne Legalitätspflicht
  • III. Pflicht zur Wahrung der Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter
  • 1. Herleitung und Umfang der Mitgliedschaftsrechte
  • 2. Spannungsverhältnis zwischen Handeln des Versammlungsleiters und Mitgliedschaftsrechten der Gesellschafter
  • IV. Pflicht zur Leitung der Gesellschafterversammlung
  • 1. Allgemeines
  • 2. Eröffnung der Gesellschafterversammlung
  • 3. Feststellung der Anwesenden
  • 4. Überprüfung der Beschlussfähigkeit
  • 5. Änderung der Tagesordnung
  • 6. Behandlung von Wortmeldungen
  • 7. Behandlung von Anträgen
  • 8. Durchführung der Abstimmung
  • 9. Unterbrechung der Gesellschafterversammlung
  • 10. Protokollierung der Gesellschafterversammlung
  • 11. Beendigung der Gesellschafterversammlung
  • 12. Zusammenfassung
  • V. Pflicht zur Ermöglichung eines geordneten Ablaufs der Gesellschafterversammlung
  • 1. Allgemeines
  • 2. Ordnungsruf
  • 3. Beschränkung des Rederechts
  • 4. Wortentzug
  • 5. Saalverweis
  • 6. Ausübung des Hausrechts
  • 7. Zusammenfassung
  • VI. Pflicht zur ordnungsgemäßen Beschlussfeststellung
  • 1. Allgemeines
  • a. Begriff der Beschlussfeststellung
  • b. Keine Notwendigkeit der Beschlussfeststellung in der GmbH
  • c. Beschlussfeststellungskompetenz der Gesellschafterversammlung
  • d. Notarielle Beurkundung als Alternative zur Beschlussfeststellung
  • e. Zusammenfassung
  • 2. Bedeutung der verbindlichen Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter
  • a. Allgemeines
  • b. Exkurs: Beschlussmängelrecht der GmbH
  • aa. Fehlende Kodifizierung
  • bb. Nichtigkeitsklage analog § 249 AktG
  • cc. Anfechtungsklage analog § 246 AktG
  • dd. Allgemeine Feststellungsklage
  • ee. Einstweiliger Rechtsschutz
  • c. Folgen der vorläufigen Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen
  • aa. Klageart im Rahmen von Beschlussmängelstreitigkeiten
  • bb. Umsetzungspflicht der Geschäftsführung?
  • cc. Analoge Anwendbarkeit von § 84 Abs. 3 S. 4 AktG?
  • dd. Pflicht des Registergerichts zur Eintragung in das Handelsregister?
  • ee. Bindungswirkung für einen beteiligten Notar
  • ff. Relevanz für die Kenntnis Dritter gemäß § 15 Abs. 1 HGB
  • d. Zusammenfassung
  • 3. Erwerb der Beschlussfeststellungskompetenz durch den Versammlungsleiter
  • a. Meinungsstand
  • b. Stellungnahme
  • 4. Umfang der Pflicht zur ordnungsgemäßen Beschlussfeststellung
  • a. Keine Pflicht zur Vornahme der Beschlussfeststellung
  • b. Inhaltliche Prüfungspflicht
  • 5. Ausschluss der Beschlussfeststellungskompetenz
  • a. Interessen des Versammlungsleiters durch den festzustellenden Beschluss unmittelbar berührt
  • b. Grundlagenbeschlüsse
  • c. Willkürlich oder vorsätzlich falsche Beschlussfeststellung
  • 6. Verfahren und Form der Beschlussfeststellung
  • C. Mögliche Pflichtverstöße im Rahmen der Ausübung der Versammlungsleitung und ihre Konsequenzen
  • I. Allgemeines
  • 1. Pflichtwidrigkeitsmaßstab bei Maßnahmen der Versammlungsleitung
  • 2. Denkbare (Rechts-)Schutzmöglichkeiten gegen Maßnahmen des Versammlungsleiters
  • a. Herbeiführung eines Gesellschafterbeschlusses
  • b. Abberufung des Versammlungsleiters
  • c. Beschlussmängelklage
  • d. Allgemeine Feststellungsklage gegen Maßnahmen des Versammlungsleiters
  • e. Einstweiliger Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Versammlungsleiters
  • 3. Erforderlicher Zusammenhang zwischen fehlerhaftem Handeln des Versammlungsleiters und gefasstem Beschluss im Rahmen einer Beschlussmängelklage
  • 4. Zusammenfassung
  • II. Verletzung von Mitgliedschaftsrechten der Gesellschafter durch rechtswidrige Leitungs- oder Ordnungsmaßnahmen
  • 1. Unsachgemäße Festlegung der Reihenfolge von Redebeiträgen
  • 2. Rechtswidrige Beschränkung des Rederechts bzw. Wortentzug
  • 3. Rechtswidriger Saalverweis
  • 4. Zusammenfassung
  • III. Herbeiführung der Nichtigkeit eines Beschlusses
  • IV. Vereitelung der Beschlussfassung
  • 1. Unterlassen des zur Abstimmung Stellens eines Beschlussantrags
  • 2. Fehlende Ermöglichung eines geordneten Ablaufs der Gesellschafterversammlung
  • V. Herbeiführung der vorläufigen Wirksamkeit eines Beschlusses durch fehlerhafte Beschlussfeststellung
  • 1. Zählfehler
  • 2. Rechtliche Bewertungsfehler bei der Ermittlung des Beschlussergebnisses
  • 3. Beschlussfeststellung trotz inhaltlich rechtswidrigem Beschluss
  • 4. Sonderfall: Willkürlich oder vorsätzlich falsche Beschlussfeststellung
  • 5. Zusammenfassung
  • VI. Unterlassen der Beschlussfeststellung
  • VII. Unberechtigte Übernahme der Versammlungsleitung
  • Teil B: Die Haftung des Versammlungsleiters in der GmbH
  • A. Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG
  • I. Vorzüge der Organhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG
  • II. Direkte Anwendung
  • 1. Leitung der Gesellschafterversammlung als originäre Aufgabe der Geschäftsführung in der GmbH?
  • 2. Erweiterung der Aufgaben der Geschäftsführung um die Versammlungsleitung durch Satzungsregelung?
  • B. Aufsichtsratshaftung nach §§ 93 Abs. 2 S. 1, 116 S. 1 AktG
  • I. Vorzüge der Organhaftung nach §§ 93 Abs. 2 S. 1, 116 S. 1 AktG
  • II. Entsprechende Anwendung aufgrund Verweisung in § 52 Abs. 1 GmbHG bzw. § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 DrittelbG
  • 1. Aktienrechtlicher Diskurs
  • 2. Leitung der Gesellschafterversammlung als originäre Aufgabe des Aufsichtsrates in der GmbH?
  • 3. Erweiterung der Aufgaben des Aufsichtsrates um die Versammlungsleitung durch Satzungsregelung?
  • C. Analoge Anwendung der Organhaftungsregeln nach § 43 Abs. 2 GmbHG und §§ 93 Abs. 2 S. 1, 116 S. 1 AktG
  • I. Aktienrechtlicher Diskurs
  • II. Planwidrige Regelungslücke
  • III. Vergleichbare Interessenlage
  • 1. Regelungszweck der Organhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG und nach §§ 93 Abs. 2 S. 1, 116 S. 1 AktG
  • 2. Argumente für eine analoge Anwendung
  • 3. Argumente gegen eine analoge Anwendung
  • a. Fehlende Organstellung des Versammlungsleiters
  • b. Kein Treffen von unternehmerischen Entscheidungen durch den Versammlungsleiter
  • c. Keine unmittelbare treuhänderische Verwaltung von Gesellschaftsvermögen
  • d. Kein Auftreten nach außen
  • e. Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG analog passt nicht
  • 4. Überwiegen der Argumente gegen eine analoge Anwendung
  • IV. Zusammenfassung
  • D. Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB
  • I. Bestehen eines Schuldverhältnisses
  • 1. Korporationsrechtliches Rechtsverhältnis
  • a. Meinungsstand
  • b. Stellungnahme
  • 2. (Quasi-)Vertragliches Schuldverhältnis
  • a. Denkbare Arten (quasi-)vertraglicher Schuldverhältnisse
  • aa. Geschäftsbesorgungsvertrag
  • bb. Dienstvertrag
  • cc. Auftrag
  • dd. Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Charakter
  • ee. Geschäftsführung ohne Auftrag
  • b. Zustandekommen einer vertraglichen Bindung
  • aa. Antrag der Gesellschaft
  • bb. Annahme des Versammlungsleiters
  • cc. Rechtsbindungswille
  • c. Stellungnahme zu den verschiedenen Fallkonstellationen
  • aa. Gesellschafter-Versammlungsleiter
  • bb. Aufsichtsrats-/Beirats- Versammlungsleiter
  • cc. Geschäftsführer-Versammlungsleiter
  • dd. Unternehmensfremder Versammlungsleiter
  • 3. Zusammenfassung
  • II. Schadensersatz statt oder neben der Leistung?
  • 1. Fehlerhafte Versammlungsleitung
  • 2. Fehlende Übernahme der Versammlungsleitung
  • 3. Sonderfall: Schutzpflichtverletzung
  • 4. Folgen der Einordnung
  • III. Pflichtverletzung
  • 1. Allgemeines
  • 2. Fehlerhafte Versammlungsleitung
  • a. Volle gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit
  • b. Bindung an Ergebnisse eines vorhergehenden Beschlussmängelstreits
  • c. Zurechenbarkeit des Handelns von Hilfspersonen
  • 3. Fehlende Übernahme der Versammlungsleitung
  • 4. Sonderfall: Schutzpflichtverletzung
  • IV. Vertreten Müssen
  • 1. Allgemeines
  • 2. Schuldausschließender Rechtsirrtum
  • V. Schaden
  • 1. Allgemeines
  • 2. Mitverschulden
  • VI. Haftungsbeschränkung/-ausschluss
  • 1. Verbandsrechtliche Haftungsbeschränkung
  • a. Anwendung von §§ 31a, 31b BGB (analog)
  • b. Anwendung von § 708 BGB analog
  • c. Anwendung der Grundsätze der Girmes-Entscheidung des BGH
  • d. Haftungsausschluss wegen Handelns aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses
  • 2. Gesamtanalogie zu §§ 521, 599, 690 BGB
  • 3. Anwendung der Grundsätze zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung
  • 4. Gewillkürte Haftungsbeschränkung
  • a. Ausdrückliche Parteivereinbarung
  • b. Stillschweigende Haftungsbeschränkung
  • 5. Zusammenfassung
  • E. Haftung wegen unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag
  • F. Deliktsrechtliche Haftung
  • Fazit
  • Literaturverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis

←18 | 19→

Einleitung

Das Thema der Versammlungsleitung erfreut sich in der gesellschaftsrechtlichen Literatur in jüngster Vergangenheit stark zunehmender Beachtung.1 Anstoß für viele Abhandlungen war eine Entscheidung des Landgerichts Ravensburg aus dem Jahr 2014. In dieser wurde, soweit ersichtlich, erstmalig von der Rechtsprechung eine mögliche Haftung des Hauptversammlungsleiters einer Aktiengesellschaft thematisiert.2 Angesichts der – vor allem in häufig hohen Teilnehmerzahlen in Verbindung mit einer strengen Förmlichkeit begründeten – Fehleranfälligkeit von Hauptversammlungen bei der AG dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis es zu neuen Haftungsklagen kommt. Zwar nahm die Zahl von Beschlussmängelklagen bei Aktiengesellschaften und damit auch das Phänomen der sog. Berufskläger3 infolge des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinien (ARUG) im Laufe der letzten Jahre konstant und zuletzt so massiv ab, dass gar die Frage nach dem Aussterben der Spezies der aktienrechtlichen Beschlussmängelklage aufgeworfen wird. Den wenigen erhobenen Beschlussmängelklagen kam jedoch erhebliche (insbesondere wirtschaftliche) Bedeutung für die betroffenen Gesellschaften zu.4 Erleidet eine Aktiengesellschaft aufgrund solcher Klagen wirtschaftliche Schäden, wird sie sich immer häufiger um die Regressnahme bei dem jeweiligen verantwortlichen Leiter der fehlerbehafteten Hauptversammlung bemühen. Das aktienrechtliche Schrifttum hat einem solchen Vorgehen bereits sehr umfassend den Weg vorgezeichnet.

Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung stellt sich im Vergleich hierzu eine vollkommen andere Ausgangslage dar. In ihr vereinen sich die kapitalistische Struktur von Aktiengesellschaften mit der personalistischen Struktur von Personengesellschaften. Die strenge Förmlichkeit der aktienrechtlichen Hauptversammlung kann daher nicht der (alleinige) Maßstab für Gesellschafterversammlungen einer GmbH sein.5 Vielmehr ist ein Ausgleich erforderlich zwischen ←19 | 20→den Bedürfnissen von kapitalistisch geprägten GmbHs mit hoher Gesellschafterzahl und großer Nähe zur AG und denen von stark personalistischen GmbHs mit wenigen oder gar nur einem Gesellschafter. Die formalen Anforderungen an den Ablauf einer Gesellschafterversammlung und insbesondere die Fassung von Gesellschafterbeschlüssen sind im Vergleich zur AG deutlich geringer. Ein Versammlungsleiter ist von Gesetzes wegen nicht vorgesehen – im Gegensatz zum Aktienrecht findet er im GmbHG nirgends Erwähnung; sein Amt ist rein fakultativer Natur.6

Angesichts dessen haben Beschlussmängelklagen bei der GmbH meist einen anderen Hintergrund als bei Aktiengesellschaften. Es geht nicht darum, streng formale Vorgaben (zum Beispiel bei der Einlasskontrolle oder hinsichtlich des Auskunftsrechts von Aktionären7) zu rügen und so etwa – wie im Fall von Berufsklägern – systematisch die Umsetzung von Beschlüssen der Hauptversammlung zu blockieren. Vielmehr sind Beschlussmängelklagen bei der GmbH in der Regel Ausdruck grundlegender Meinungsverschiedenheiten und damit einhergehender Machtkämpfe zwischen den Gesellschaftern. Als zentrales Beispiel sei die Abberufung von Gesellschafter-Geschäftsführern aus wichtigem Grund genannt. Hier entzünden sich Beschlussmängelstreitigkeiten vor allem an der Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes sowie des Eingreifens eines Stimmverbotes.8 Das Amt des Versammlungsleiters ist aus diesem Grund aber keineswegs weniger bedeutend für die Gesellschaft. Vielmehr könnte ihm eine entscheidende Weichenstellung im Rahmen solcher Machtkämpfe in der GmbH obliegen: Analog zur Rechtslage bei der Aktiengesellschaft wird dem GmbH-Versammlungsleiter unter bestimmten (im Einzelnen strittigen) Voraussetzungen die Befugnis zugesprochen, gefasste Gesellschafterbeschlüsse verbindlich ←20 | 21→festzustellen und ihnen so zu vorläufiger Wirksamkeit zu verhelfen.9 Folgt man diesem Ansatz, birgt das Handeln des Versammlungsleiters auch bei der GmbH nicht unerhebliche wirtschaftliche Risiken für die Gesellschaft in sich. Von den Kosten der Wiederholung der betreffenden Gesellschafterversammlung bis hin zu Schäden aufgrund verpasster Geschäftschancen oder wegen der Versäumung wichtiger Strukturmaßnahmen sind zahlreiche Schadensposten denkbar, die sich auf Fehler bei der Beschlussfeststellung zurückführen lassen.

Die vorliegende Abhandlung soll vor diesem Hintergrund das Amt des Leiters der GmbH-Gesellschafterversammlung aus dem Blickwinkel seiner Pflichten und der aus diesen Pflichten folgenden Möglichkeit zur Haftbarmachung beleuchten. Im Rahmen des ersten Teils der Arbeit betreffend die Pflichten des Versammlungsleiters wird dabei besonderes Augenmerk auf seine Rechtsstellung – insbesondere die Frage einer möglichen Organstellung – sowie die Pflicht zur ordnungsgemäßen Beschlussfeststellung gelegt. Im zweiten Teil der Arbeit werden sodann mögliche Anspruchsgrundlagen einer Inanspruchnahme des Versammlungsleiters im Einzelnen erörtert.

Dieser Ansatz ist in mehrfacher Hinsicht ein Novum. Zum einen befassen sich die existierenden Abhandlungen zur Versammlungsleitung in der GmbH weit überwiegend mit den Befugnissen des Versammlungsleiters: Was darf der Versammlungsleiter?10 Vorliegend aber soll es darum gehen, was der Versammlungsleiter einer GmbH muss. Nur wenn sein Pflichtenprogramm klar umrissen ist, lässt sich auch die Frage einer möglichen Inanspruchnahme beantworten. Die vertiefte Befassung mit der Haftung des Versammlungsleiters stellt das zweite Novum der vorliegenden Arbeit dar. Die GmbH-rechtliche Literatur hat sich mit dieser Frage – im Gegensatz zum Aktienrecht11 und dem Recht der ←21 | 22→Personengesellschaften12 – bislang nur äußerst rudimentär befasst.13 In diese Lücke soll nunmehr vorgestoßen werden.


1 Siehe nur die Monografien Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters; Kleemann, Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung; Langenbach, Der Versammlungsleiter in der Aktiengesellschaft: Zurückweisungskompetenz – Abwahl – Haftung; Sauerwald, Der Versammlungsleiter im Aktienrecht; J. Bayer, Versammlungsleitung in Personengesellschaften; Niemz, Der Versammlungsleiter im Aktienrecht.

2 LG Ravensburg, Urt. v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1, NZG 2014, 1233.

3 Vgl. hierzu eingehend Bayer/Hoffmann, AG 2017, R155.

4 Bayer/Hoffmann, AG 2019, R113.

5 Bunz, NZG 2017, 1366, 1366.

6 Siehe nur Römermann, in: Michalski, § 48, Rn. 91; Altmeppen, in: Altmeppen, § 48, Rn. 12; Schindler, in: BeckOK-GmbHG, § 48, Rn. 40; Masuch, in: Bork/Schäfer, § 48, Rn. 8; Hüffer/Schäfer, in: GK-GmbHG, § 48, Rn. 27; Seibt, in: Scholz, § 48, Rn. 32; Drygala/Staake/Szalai, § 11, Rn. 141; Kleemann, S. 26; Noack, GmbHR 2017, 792, 792; Bunz, NZG 2017, 1366, 1366; Lange, NJW 2015, 3190, 3190.

7 Siehe zu letztgenanntem Beispiel etwa LG München I, Urt. v. 14.10.1999 – 5 HKO 8024/98, AG 2000, 139.

8 Siehe zu diesem Problemkreis etwa BGH, Urt. v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701ff.; Grunewald, FS Zöllner, Bd.1, 1998, S. 177ff.; Kubis, FS Winter, 2011, S. 387ff.; Werner, GmbHR 2015, 1185ff.; K. Schmidt, GmbHR 2017, 670ff.; Altmeppen, NJW 2016, 2833ff.; ders., ZIP 2017, 1185ff.; Fischer, BB 2013, 2819ff.

9 Vgl. zur Bedeutung der Beschlussfeststellung bei der Geschäftsführerabberufung Lutz, Rn. 131.

10 Siehe nur Seibt, in: Scholz, § 48, Rn. 36f.; Hüffer/Schäfer, in: GK-GmbHG, § 48, Rn. 31f.; Liebscher, in: MüKo-GmbHG, § 48, Rn. 105ff.; Römermann, in: Michalski, § 48, Rn. 91ff.; Schindler, in: BeckOK-GmbHG, § 48, Rn. 43f.; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 48, Rn. 16ff.; Altmeppen, in: Altmeppen, § 48, Rn. 12ff.; Noack, GmbHR 2017, 792ff.; Bunz, NZG 2017, 1366; Lange, NJW 2015, 3190; Werner, GmbHR 2006, 127ff.; Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086; Altmeppen, GmbHR 2018, 225ff.; Kleemann, S. 68ff.

11 Siehe nur Theusinger/Schilha, BB 2015, 131ff.; Poelzig, AG 2015, 476ff.; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 766ff.; Schürnbrand, NZG 2014, 1211ff.; von der Linden, NZG 2013, 208ff.; Mutter, AG 2013, R161; Marsch-Barner, FS Brambring, 2011, S. 267ff.; Vetter, FS Bergmann, 2018, S. 799, 820ff.; Pliquett, S. 59ff.; Langenbach, S. 151ff.; Sauerwald, S. 343ff.; Niemz, S. 154ff.

12 J. Bayer, S. 153ff.

13 Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 48, Rn. 19; Altmeppen, in: Altmeppen, § 48, Rn. 13; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, § 48, Rn. 14; Noack, GmbHR 2017, 792, 798; Werner, GmbHR 2020, 1168, 1169ff.; Niemz, S. 196f.; Kleemann, S. 154ff., der selbst weiteren Untersuchungsbedarf sieht.

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Teil A: Der Versammlungsleiter in der GmbH und seine Pflichten

A. Der Versammlungsleiter in der GmbH

Im Rahmen dieses ersten Teils der Arbeit soll zunächst ein kurzer Überblick über das Amt des Versammlungsleiters gegeben werden. Insbesondere im Zusammenhang mit der Rechtsnatur des Amtes sowie der Bestellung und der Abberufung des Versammlungsleiters ergeben sich einige sehr kontrovers diskutierte Rechtsprobleme.

I. Allgemeines

1. Funktion des Versammlungsleiters

Primäre Aufgabe des Versammlungsleiters einer GmbH-Gesellschafterversammlung ist es, für einen geordneten Ablauf der Gesellschafterversammlung zu sorgen14 und so insbesondere das Zustandekommen wirksamer Beschlüsse zu gewährleisten. Ordnungsgemäß bedeutet hierbei unter Beachtung sämtlicher Vorgaben des Gesetzes und der Satzung.15

Sämtliche Pflichten und Befugnisse des Versammlungsleiters sind von dieser Aufgabe abzuleiten.16 Etwa muss der Versammlungsleiter die erforderlichen organisatorischen Rahmenbedingungen für einen geordneten Ablauf der GmbH-Gesellschafterversammlung schaffen.17 Keineswegs hingegen darf er auf den Inhalt der von der Gesellschafterversammlung zu treffenden Entscheidungen Einfluss nehmen.18 Zu den Pflichten des Versammlungsleiters im Einzelnen soll jedoch erst an späterer Stelle ausführlich Stellung genommen werden (siehe Teil A Ziff. B).

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2. Notwendigkeit des Amtes
a. Amt in GmbH nicht zwingend vorgesehen

Wie bereits dargelegt wird der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung nicht ausdrücklich gesetzlich erwähnt. Auch wird er nicht mittelbar von Gesetzes wegen vorausgesetzt.19 Einer formalen Beschlussfeststellung wie im Aktienrecht bedarf es in der GmbH gerade nicht (siehe hierzu ausführlich Teil A Ziff. B.VI.1.b). Grund hierfür dürfte sein, dass die GmbH von Seiten des historischen Gesetzgebers gerade als Gegenpol zur zunehmend formalisierten Aktiengesellschaft konzipiert wurde.20 Für eine obligatorische Versammlungsleitung der Gesellschafterversammlung, bzw. das Erfordernis einer formalen Beschlussfeststellung war in diesem Konzept gerade kein Platz. Das Amt des GmbH-Versammlungsleiters ist daher nach absolut herrschender und überzeugender Auffassung rein fakultativer Natur.

b. Zulässigkeit der Versammlungsleitung

Es ist jedoch anerkannt, dass ein Versammlungsleiter in der GmbH eingesetzt werden kann. Dies kann durch eine entsprechende Regelung in der Satzung der Gesellschaft, in der Geschäftsordnung der Gesellschafterversammlung oder durch einfachen Gesellschafterbeschluss geschehen – soweit nicht die Satzung entgegensteht.21 Das Recht zur Einsetzung eines Versammlungsleiters folgt dabei aus der Organisationsfreiheit der Gesellschafterversammlung.22

c. Zweckmäßigkeit der Versammlungsleitung

Eine völlig andere Frage ist, inwiefern eine Versammlungsleitung bei der GmbH zweckmäßig ist. So sollte die GmbH nach der Intention des historischen Gesetzgebers gerade einen Mittelweg zwischen dem „personalistischen Konzept“ der Personengesellschaften und dem „kapitalistischen Konzept“ der Aktiengesellschaft gehen.23 Dieses Konzept mag bei Gesellschaften mit nur kleinem Gesellschafterkreis aufgehen, bei GmbHs mit zwei- oder gar dreistelliger ←24 | 25→Gesellschafterzahl24 geht es jedoch völlig an der Realität vorbei. Hier bedarf es zwingend strenger Förmlichkeiten, um einen geordneten Ablauf der Gesellschafterversammlung zur ermöglichen. Die Benennung eines Versammlungsleiters ist mithin nahezu unumgänglich.

Auch in kleineren Gesellschaften kann jedoch – insbesondere in emotionalen Konfliktsituationen, wie sie bei Familien-Gesellschaften nicht selten sind – eine Moderation durch einen (zweckmäßigerweise nicht aus dem Gesellschafterkreis stammenden) Versammlungsleiter sinnvoll sein. Schließlich wird sogar für Personengesellschaften angenommen, dass in bestimmten Situationen die Bestimmung eines Versammlungsleiters geboten ist.25 In der Praxis werden Gesellschafterversammlungen zumeist unter Leitung eines Versammlungsleiters abgehalten.26

3. Rechtliche Stellung des Versammlungsleiters in der Gesellschaft
a. Keine Organqualität des Versammlungsleiteramtes

Der GmbH-Versammlungsleiter ist nach überwiegender und überzeugender Auffassung kein Organ der Gesellschaft,27 sondern lediglich ein Funktionsgehilfe des Organs Gesellschafterversammlung.28

Details

Pages
250
Year
2022
ISBN (PDF)
9783631887851
ISBN (ePUB)
9783631887868
ISBN (MOBI)
9783631887875
ISBN (Softcover)
9783631876640
DOI
10.3726/b20219
Language
German
Publication date
2022 (September)
Published
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 250 S.

Biographical notes

Felix Dörrenbächer (Author)

Felix Dörrenbächer studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist als Rechtsanwalt in München tätig.

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