Figuren, Räume, Perspektiven – (Re)Konstruktionen literar- und medienästhetischen Lernens
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Danksagung
- Inhaltsverzeichnis
- Figuren, Räume, Perspektiven – (Re-)Konstruktionen literar- und medienästhetischen Lernens (Helen Lehndorf und Volker Pietsch)
- Verknüpfungen üben – literarische Kompetenz neu perspektiviert (Ina Henke)
- Literarische Perspektivenübernahme in Gesprächen von Grundschulkindern zu aktuellen Bilderbüchern – Einblicke in eine qualitativ-rekonstruktive Untersuchung (Anneliese Reiter)
- Figurenverstehen und Perspektivverstehen im Literaturunterricht der Grundschule – Ein Design Research-Experiment (Birgit Schlachter)
- Aufgabentypen zum Perspektivenverstehen – eine exemplarische Analyse an Deutschbüchern für den gymnasialen Unterricht in den Klassen 5 und 8 (Helen Lehndorf)
- Literatur zweiter Klasse? Literarästhetische Qualität von Erstlesebüchern (Sandra Siewert)
- Die Konstruktion des Gegenstandes in der Literaturvermittlung. Am Beispiel der Islamdarstellung im Lesebuch des Kaiserreichs (Christian Dawidowski/Florian Eickmeyer)
- Literar- und medienästhetisches Lernen in Literaturausstellungen (Sebastian Bernhardt)
- Serienräume lesen und erfahren: Entwurf einer medienästhetischen Dimension der Serialitätsdidaktik (Franz Kröber)
- Digitales Erzählen geht anders! Ein Systematisierungsversuch zur Textdynamik interaktiver Literatur und deren literaturdidaktischem Potential (Stefan Emmersberger)
- Meine Spielfigur, ein fiktives Wesen und ich. Eine rezeptionsästhetische Modellierung der Figur im narrativen Computerspiel (Katharina Düerkop)
- Liste der Autor:innen
Figuren, Räume, Perspektiven – (Re-)Konstruktionen literar- und medienästhetischen Lernens
Der vorliegende Band geht aus der Tagung Literarisches und medienästhetisches Lernen im Deutschunterricht – Konstruktionen und Rekonstruktionen hervor, die am 23. September 2020 stattfand. Als geplante Sektionstagung des 23. Symposions Deutschdidaktik sollte die Tagung einen Einblick geben in aktuelle literatur- und mediendidaktische Forschungsprojekte, insbesondere solche, die der theoretischen Modellierung und empirischen Erforschung ästhetischer Rezeptionsprozesse sowie der Reflexion der literaturdidaktischen Bildungsmedien gewidmet sind. Auch wenn das Symposion selbst pandemiebedingt nicht stattfinden konnte, wurden die Beiträge dieser Sektion auf einer eigenständigen digitalen Tagung in einer Videokonferenz präsentiert und diskutiert. Zwei Themenschwerpunkte strukturierten dabei die Tagung und gliedern den vorliegenden Band:
In Hinblick auf die empirische Erforschung und theoretische Modellierung ästhetischer Rezeptionsprozesse zeichnete sich ein genre- und schulstufenübergreifendes Interesse am Figuren- und Perspektivenverstehen und an Prozessen der Perspektivübernahme ab. Das gilt für Perspektiven in der Vielfalt ihrer literar- und medienästhetischen Gestaltung wie auch in der Diversität, in der sie Anteil am gesellschaftlichen Diskurs haben. Die Fragen richten sich dabei auf den Zugang zu Perspektiven, den literarästhetische Gegenstände eröffnen, auf rezeptionslenkende Aufgaben, die Figuren- und Perspektivenverstehen unterstützen sowie auf die Wahrnehmung der Text- und Figurenperspektiven durch Schüler:innen. Zudem werden die literarisch gestalteten und durch Bildungsmedien präsentierten Perspektiven auch in ihrem semantischen Gehalt analysiert und diskutiert.
Einen weiteren Themenschwerpunkt stellt die Reflexion der Potentiale und Spezifika dar, die Medien in ihrer Diversität für literarästhetische Lernprozesse bieten. So verbreitet der semiotische Ansatz zur Modellierung dieser Prozesse und ein weiter Text- und Literaturbegriff in der Deutschdidaktik sind, so vereinseitigend ist mitunter die Fokussierung auf medienübergreifende Äquivalenzen und die Orientierung am Paradigma der Schrift, um Lernprogressionen medienspezifisch zu denken. Die Beiträge in diesem Band setzen sich ←9 | 10→differenzierend damit auseinander, welche besonderen Bedingungen Bilderbücher, illustrierte Erstlesebücher, (Post-)TV-Serien, Games oder die Medien von Literaturausstellungen jeweils setzen, um die Zieldimensionen der Modellierungen zu erreichen. Ob diese dementsprechend auch integrativ modifiziert oder ergänzt werden müssen oder ob es generell einer anderen – zum Beispiel stärker Vernetzungsleistungen berücksichtigenden – Auffassung von literarischer Kompetenz bedarf, sind Fragen, denen mehrere der Autor:innen nachgehen. Im Zusammenhang mit dem Thema der Perspektive rücken gleichsam die diversen medialen Räume nicht nur in ihrer semantischen Dimension, sondern auch in ihren physischen und psychischen Wirkungen in den Fokus. Inwiefern somit Involviertheit ermöglicht, aber auch die Projektion eigener Sichtweisen auf Figuren und Räume kritisch reflektiert werden kann, wird schließlich auch in seiner Bedeutung für die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Literatur- und Mediendidaktik deutlich.
Wir freuen uns, die Beiträge nun hier vorlegen zu können:
Zu Beginn des Buches wirft Ina Henke einen Blick zurück auf die letzten zwanzig Jahre theoretischer Debatten und empirischer Untersuchungen zur Modellierung literarischer Rezeptionsprozesse und stellt eine „Reperspektivierung“ literarischer Kompetenz im Sinne einer stärkeren Orientierung an übergeordneten, kognitionspsychologisch fundierten Kompetenzen zur Diskussion.
Anneliese Reiter gibt in ihrem Beitrag Einblicke in ihr Dissertationsprojekt zu Perspektivübernahmen in einem Bilderbuchrezeptionsgespräch und schlägt dabei vor, den interaktionistischen Konstruktivismus von Charlton und Sutter (1994) für die Analyse von Interaktionen zu Literatur fruchtbar zu machen. Auf Grundlage einer ersten Auswertung eines Rezeptionsgesprächs unterscheidet sie unterschiedliche Zugangsweisen zur Perspektivübernahme.
Birgit Schlachter präsentiert Rezeptionsdaten von Grundschüler:innen zu einem Erzähltext, die im Rahmen eines Design-Research-Experiments zum Figurenverstehen gewonnen wurden. Dabei zeigen sich unterschiedlich produktive Umgangsweisen mit der Perspektivierung der Figuren und des Geschehens, die die Relevanz von unterstützenden Aufgaben zur Strukturierung von literarischen Rezeptionsprozessen aufzeigen.
Helen Lehndorf widmet sich ebensolchen Aufgaben zum Perspektivenverstehen im Deutschbuch für die Klassen 5 und 8 und rekonstruiert unterschiedliche Aufgabentypen sowie die den Aufgaben zugrundliegenden Konzeptualisierungen von Perspektive. Auf Grundlage einer Diskussion unterschiedlicher Perspektivenkonzepte plädiert sie dafür, für die Konstruktion von Erarbeitungsaufgaben einen linguistisch fundierten Begriff von Perspektive ←10 | 11→anzulegen und die Wahrnehmung der narratorialen Perspektivierung durch die Schüler:innen gezielt zu unterstützen.
Auch Sandra Siewert stellt erste Ergebnisse aus ihrem Dissertationsprojekt vor, mit denen sie das Literarizitätspotential von Erstlesebüchern fokussiert. Anhand von theoretisch abgeleiteten Strukturmerkmalen diskutiert sie die literarästhetische Qualität einzelner Texte und plädiert dafür, das Potential von Erstlesebüchern für literarästhetische Erfahrungen zu nutzen.
Christian Dawidowski und Florian Eickmeyer erschließen mit der Analyse von Lesebüchern des Deutschen Kaiserreichs, welche Perspektiven auf den Islam, Muslimas und Muslime die Konstruktionen des „muslimischen Fremden“ in diesen Bildungsmedien prägen. Die Einsichten, die aus dem betreffenden von der DFG geförderten Forschungsprojekt am Georg-Eckert-Institut in Braunschweig und an der Universität Osnabrück hervorgehen, tragen zum Verständnis des gegenwärtigen Islamdiskurses (nicht nur in der Deutschdidaktik) bei.
Sebastian Bernhardt behandelt in seinem Beitrag räumliche Konstruktionen von Literatur anhand literaturmusealer Ausstellungen. Dabei berücksichtigt er gleichermaßen die szenografischen Gestaltungen der Ausstellungsräume und die semantischen Räume der literarischen Texte, denn ein wesentliches Potential von Literaturaustellungen für literarästhetische Lernprozesse verortet er gerade darin, semantische Ordnungen, Analysekategorien oder Rezeptionsvorgänge als immaterielle Dimensionen der literarischen Texte räumlich erfahrbar zu machen.
An der Räumlichkeit der Serie The Hollow macht Franz Kröber seinerseits deutlich, worin die lohnenden Dimensionen einer Serialitätsdidaktik liegen können, die ihren Gegenstand in seinen medienästhetischen Besonderheiten eröffnet. An seinem Beispiel zeigt er auf, wie der Deutschunterricht auch an jüngere und komplexe Entwicklungen von Gattungen in ihren Produktions- und Rezeptionsbedingungen, namentlich den Wandel von TV zum Post-TV, anschließen kann.
Spielen immersive Räume in den vorigen beiden Beiträgen eine zentrale Rolle, so befasst sich Stefan Emmersberger mit der Dramatic Agency von Videospielen als einer anderen Form der Involvierung von Rezipient:innen beziehungsweise Lernenden. Mit seiner Systematisierung differenziert er verschiedene Grade und Potentiale interaktiven Erfahrens, Gestaltens und Reflektierens der Erzählungen in Videospielen.
Die Erforschung medienspezifischer Potenziale literar- und medienästhetischen Lernens treibt schließlich auch Katharina Düerkop mit ihrem Beitrag voran, indem sie in einer qualitativen Studie untersucht, wie Grundschüler:innen ←11 | 12→die Figuren im Computerspiel The Whispered World in ihren ludonarrativen Besonderheiten wahrnehmen.
Welche Möglichkeiten unterschiedliche Medien bieten, um Wahrnehmungen zu artikulieren und reflektieren, ist somit also eine Frage, die die unterschiedlichen Beiträge in diesem Band verbindet. Nicht zuletzt ermöglichen die Beiträge in diesem Band einen perspektivisch vielseitigen Einblick in den Prozess, in dem die Literaturdidaktik selbst fortwährend ihre Gegenstände, ihre Ziele und ihre Modelle von Schüler:innen und Welt konstruiert.
Verknüpfungen üben – literarische Kompetenz neu perspektiviert
Abstract: The article critically reflects upon existing models of literary learning and understanding against the background of (recent) results of the predominantly cognitive-psychologically oriented reception research. As a result, it argues for a shift in perspective away from small-scale differentiated sub-competencies towards three superordinate competencies of literary learning and understanding, for which the creation of links at different levels is of particular relevance and which are often not systematically taken into account in current models.
Keywords: literary learning, literary understanding, literary competence, cognitive psychology
1. Hinführung: Das Forschungsfeld des literarischen Verstehens
Das Forschungsfeld des literarischen Verstehens ist in den letzten Jahren ein hochkomplexes und kaum noch zu überblickendes geworden. So finden hierin nicht nur verschiedene Begrifflichkeiten Verwendung, die jeweils unterschiedliche Aspekte akzentuieren (wie literarisches Lernen, literarisches Verstehen, poetisches Verstehen, literarische Kompetenz usw.),1 sondern literarisches Verstehen bzw. literarische Kompetenz oder auch literarisches Lernen werden vielfach und immer wieder modelliert (vgl. Boelmann 2018: 203). Dabei bleibt jedoch festzuhalten, dass „nach wie vor kein konsensfähiges Modell literarischen Verstehens existiert“ (Odendahl 2018: 31). Bekannte Beispiele für Modellierungen sind u.a. Spinners Elf Aspekte literarischen Lernens (2006), das Bochumer Modell literarischen Verstehens (BOLIVE) von Boelmann/Klossek (u.a. 2013) bzw. Boelmann/König (2021), das Modell literarästhetischer Urteilskompetenz von Frederking ←13 | 14→et al. (u.a. 2013) und das Modell literarischen Lernens auf semiotischer Grundlage von Schilcher/Pissarek (u.a. 2018a).
Details
- Seiten
- 272
- Erscheinungsjahr
- 2022
- ISBN (PDF)
- 9783631886397
- ISBN (ePUB)
- 9783631886403
- ISBN (Hardcover)
- 9783631843819
- DOI
- 10.3726/b20062
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2022 (September)
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 272 S., 7 farb. Abb.