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Deutsche und chinesische Gaststättennamen

Eine kontrastive und sprachhistorische Untersuchung

by Cairen Lin (Author)
©2022 Thesis 390 Pages

Summary

Finalist ICAS Book Prize 2023 German Language Edition

Gaststättennamen sind nicht nur ‚Schall und Rauch‘, sondern sie haben bis in die phonologische, graphische, morphologische und semantische Ebene hinein eine multiple Funktion. Ihnen wird allerdings nach wie vor nur wenig Beachtung geschenkt. Das Buch behandelt Gegenwart und Geschichte deutscher und chinesischer Gaststättennamen umfassend und auf theoretischer wie praktischer Ebene. Die Aufbereitung erfolgt mittels einer synchronen und diachronen linguistischen Analyse, ergänzt durch kulturgeschichtliche Aspekte. Die empirische Untersuchung basiert auf einem eigens zusammengestellten Korpus von 1.000 deutschen und 1.000 chinesischen Gaststättennamen.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Fragestellung und Zielsetzung
  • 1.2 Forschungsüberblick
  • 1.3 Aufbau der Arbeit
  • 1.4 Datenbasis und Methodik
  • 1.5 Kleiner Überblick über die chinesische Sprache
  • 1.6 Namenübersetzung
  • 2 Theoretische Grundlagen
  • 2.1 Zur Theorie der Eigennamen
  • 2.1.1 Diskussionen in der Antike
  • 2.1.1.1 Platon – Über die Richtigkeit der Namen
  • 2.1.1.2 Konfuzius – Über die Richtigstellung der Namen
  • 2.1.2 Bedeutung der Eigennamen
  • 2.1.2.1 Wichtige Auffassungen über die Bedeutung der Eigennamen
  • 2.1.2.2 Bedeutungsdimensionen der Eigennamen nach Burkhardt
  • 2.1.2.3 Benennungsmotiv und Motivbedeutung
  • 2.1.2.4 Namenbedeutung
  • 2.1.3 Funktionalität der Gaststättennamen
  • 2.1.4 Methoden zur Namendeutung
  • 2.2 Gaststättennamen als mehrteilige Eigennamen
  • 2.2.1 Gaststättennamen als Mischform von Eigennamen und Gattungsnamen
  • 2.2.1.1 Gattungseigennamen
  • 2.2.1.2 Phrasen oder Wörter?
  • 2.2.2 Grammatik der Gaststättennamen
  • 2.2.3 Kategorisierung der Gaststättennamen: Toponyme und Ergonyme
  • 2.2.4 Gaststättennamen als Geschäftsbezeichnungen: juristischer Aspekt
  • 2.2.4.1 Namensrecht in Deutschland
  • 2.2.4.2 Namensrecht in China
  • 3 Geschichte der Gaststättennamen
  • 3.1 Deutsche Gaststättennamen in der Vergangenheit
  • 3.1.1 Gaststättennamen im Mittelalter
  • 3.1.2 Historische Gaststättennamen des 17. und 18. Jahrhunderts in Magdeburg
  • 3.1.3 Entwicklung der Magdeburger Gaststättennamen seit dem 19. Jahrhundert: von der Standardisierung zur Individualisierung
  • 3.1.3.1 Neue Namenmoden
  • 3.1.3.2 Neue Mikro-Gattungsnamen
  • 3.1.4 Magdeburger Gaststättennamen in der DDR-Zeit
  • 3.2 Chinesische Gaststättennamen in der Vergangenheit
  • 3.2.1 Allgemeine Geschichte
  • 3.2.2 Chinesische Gaststättennamen in der Tang-Dynastie (618–907)
  • 3.2.3 Chinesische Gaststättennamen in der Song-Dynastie (960–1279)
  • 3.2.3.1 Mikro-Gattungsnamen
  • 3.2.3.2 Benennungsmotive
  • 3.2.4 Chinesische Gaststättennamen in der Ming-Dynastie (1368–1644)
  • 3.2.5 Chinesische Gaststättennamen in der Qing-Dynastie (1636–1912)
  • 3.2.5.1 Mikro-Gattungsnamen
  • 3.2.5.2 Benennungsmotive
  • 3.2.6 Von der Staatsgründung bis zum Anfang der Reform- und Öffnungspolitik (1949–1978)
  • 3.3 Zusammenfassung
  • 4 Morphologie I: Makrostruktur
  • 4.1 Bestandteile der Gaststättennamen
  • 4.2 Namenparadigma
  • 4.3 Mehrnamigkeit
  • 5 Morphologie II: Mikrostruktur
  • 5.1 Deutsche Namen
  • 5.1.1 Übernahme
  • 5.1.2 Neubildung
  • 5.1.2.1 Wörter
  • 5.1.2.2 Phrasen
  • 5.1.2.3 Satznamen
  • 5.1.3 Neuschöpfung
  • 5.2 Chinesische Namen
  • 5.2.1 Übernahme
  • 5.2.2 Neubildung
  • 5.2.3 Neuschöpfung
  • 5.3 Verwendung von Satz- bzw. Sonderzeichen
  • 5.4 Zusammenfassung
  • 6 Semantik der Gaststättennamen
  • 6.1 Motivbedeutung
  • 6.1.1 Benennungsmotive
  • 6.1.2 Zusammenfassung
  • 6.2 Expressive Bedeutung
  • 6.2.1 Lexikalische Expressivität
  • 6.2.2 Strukturelle Expressivität
  • 6.3 Stilistische Bedeutung
  • 6.3.1 Metonymie
  • 6.3.2 Metapher
  • 6.3.3 Personifikation
  • 6.3.4 Wortspiel
  • 6.3.5 Schriftzeichenspiel
  • 6.3.6 Klangspiel
  • 6.3.7 Reduplikation
  • 6.3.8 Antithese
  • 6.3.9 Diminutive
  • 6.3.10 Archaismen
  • 6.3.11 Okkasionalismen/Neologismen
  • 6.3.12 Dialektismen
  • 6.3.13 Fremdwörter
  • 6.3.14 Fachwörter
  • 6.3.15 Zusammenfassung
  • 7 Interlinguale Allonymie
  • 7.1 Übertragungsmöglichkeiten der Namenpaarglieder
  • 7.2 Benennungsmotive der transnationalen Restaurants
  • 7.2.1 Benennungsmotive der China-Restaurants in Deutschland
  • 7.2.2 Benennungsmotive der deutschen Restaurants in China
  • 7.2.3 Zusammenfassung
  • 8 Fazit und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Gedruckte Quellen
  • Ungedruckte Quellen
  • Namenregister
  • Anhang
  • Anhang 1: Auszüge aus den Interviews mit den Besitzern der Gaststätten
  • Anhang 2: Auszug aus der Umfrage zu den Namen der China-Restaurants in Deutschland 2014
  • Reihenübersicht

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Gaststättenname 局气 (júqì ‚großzügig und hilfsbereit‘)

Abbildung 2: Stadtplan von Magdeburg im Jahr 1829

Abbildung 3: Hausstein Zur goldenen Rose

Abbildung 4: Hausstein Zum goldenen Apfel

Abbildung 5: Hausstein Zum goldenen Kürbis

Abbildung 6: Hausstein Zum weißen Lamm (Zum weißen Lam)

Abbildung 7: Hausstein Zum Pelikan (Zum Pilickan)

Abbildung 8: Hausstein Zu den zwei Tauben (Zum zweien Tauben)

Abbildung 9: Haus Zur großen Tasche an der Hartstraße 6

Abbildung 10: Hausstein Zum goldenen Arm

Abbildung 11: Haus Zum Winkelmaß an der Neustädter-Straße 43

Abbildung 12: Proportionalität der Farben bei Magdeburger Hausnamen bis ins 18. Jh.

Abbildung 13: Gaststätte 孙羊店 (sūnyáng diàn) auf der Qingming-Rolle

Abbildung 14: 16 Gaststätten auf dem Stadtplan von Nanjing um 1396

Abbildung 15: Namenschild 都一处 (dū yī chù)

Abbildung 16: Namenschild des Restaurants Selma & Rudolph

Abbildung 17: Bildungsverfahren der deutschen Gaststättennamen

Abbildung 18: Bildungsverfahren der chinesischen Gaststättennamen

Abbildung 19: Logo der Gaststätte Wolfs Junge

Abbildung 20: Benennungsmotive mit Prozentzahl

Abbildung 21: Logo der Gaststätte der freiBurger

Abbildung 22: Klassifikation von Wortspielen

Abbildung 23: Wortspiel mit 潮汕 (cháoshàn)

Abbildung 24: Schriftzeichenspiel mit 風月 (fēng yuè)

Abbildung 25: Frequenz der im Korpus vertretenen Stilmittel

Abbildung 26: Übertragungsmöglichkeiten der Namenpaarglieder

Abbildung 27: Benennungsmotive der China-Restaurants in Deutschland

Abbildung 28: Benennungsmotive der deutschen Restaurants in China

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1 Einleitung

Der Namengeber der chinesischen Gaststätte 新冠 (xīn guàn ‚neuer Champion‘) hat sicherlich nicht geahnt, dass eines Tages eine Coronavirus-Pandemie mit dem homonymen Namen bezeichnet wird: 新冠 (xīn guàn ‚neuartiges Coronavirus‘). Seitdem ist die Gaststätte geschlossen, weil keine Kunden sie besuchen möchten, denn selbst die Stammgäste fürchten, dass ein Besuch dieser Gaststätte Unglück bringen könnte. Der Gastwirt ist nun gezwungen, den Namen seines Restaurants zu wechseln. Diese Begebenheit zeigt, wie wichtig ein gut funktionierender Gaststättenname ist. In der Linguistik finden Gaststättennamen aber nur wenig Interesse. Auf der Suche nach sprachwissenschaftlichen Forschungen zu ihren Bildungsgesetzen, Bedeutungsinhalten und Wirkungen stößt man nur auf Aufsätze, die sich mit einzelnen Aspekten der Gaststättennamen beschäftigen. Es lohnt sich daher, Gaststättennamen systematischer und näher zu betrachten.

1.1 Fragestellung und Zielsetzung

In der vorliegenden Arbeit soll eine kontrastive Untersuchung zu chinesischen und deutschen Gaststättennamen durchgeführt werden. Es wird von der Annahme ausgegangen, dass die chinesische und deutsche Namengebung unter dem Einfluss von sprachlichen und außersprachlichen Faktoren sowohl formal-linguistische als auch semantische Unterschiede aufweisen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht daher die Fragestellung, wie und warum sich die Namengebungen in beiden Ländern voneinander unterscheiden. Die Fragen werden auf synchronischer und diachronischer Ebene untersucht und aus morphologischer, semantischer, stilistischer und juristischer Sicht beantwortet.

Die Auswahl dieses Themas beruht auf dem Phänomen, dass fast alle sogenannten China-Restaurants in Deutschland zwei Namen tragen – einen chinesischen und einen deutschen –, die sehr oft semantisch miteinander nicht übereinstimmen. Die deutschen Gaststätten in China haben ebenfalls zwei Namenformen. Während die chinesischen Namen sich an das chinesische Publikum richten, orientieren sich ihre deutschen Varianten an den Bedürfnissen der deutschen Rezipienten. Auf Basis der kontrastiven Untersuchung sollen die Beziehungen der deutschen und chinesischen Namenformen bzw. deren Übertragungsmöglichkeiten erforscht werden. Die Forschungsergebnisse sollen nicht nur ein Leitbild für die interlinguale Namengebung der Gaststätten ←19 | 20→bieten, sondern können analog auch bei anderen Namenarten angewendet werden, wie z. B. bei der Übertragung chinesischer Waren- und Firmennamen ins Deutsche oder der Benennung chinesischer Firmen in Deutschland und umgekehrt.

Ziel dieser Arbeit ist es nicht nur, dem Leser1 eine Einführung und einen Überblick über chinesische und deutsche Gaststättennamen zu verschaffen, sondern auch, dass Gastwirte nach der Lektüre dieses Textes eventuell inspiriert werden und in der Lage sind, ihre Gaststätten mit positiv konnotierten Namen zu benennen.

1.2 Forschungsüberblick

Nach Friedhelm Debus ist das Interesse an der Namendeutung schon in der Antike bzw. in der Bibel bezeugt.2 In der Bibel findet man zahlreiche Beispiele für eine Namengebung bzw. -deutung, die dem lateinischen Sprichwort nomen est omen3 entspricht.4 Hier sind einige Beispiele zu nennen:

1.Mose 26,32 u. 33: Am selben Tag kamen Isaaks Knechte und sagten ihm von dem Brunnen, den sie gegraben hatten, und sprachen zu ihm: Wir haben Wasser gefunden. Und er nannte ihn »Schwur«; daher heißt die Stadt Beerscheba [d. h. ‚Schwurbrunnen‘] bis auf den heutigen Tag.

2.Mose 32,31: Und Jakob nannte die Stätte Pnuël [‚Angesicht Gottes‘]; denn, sprach er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und dort wurde mein Leben gerettet.

3.Mose 34,14: […] denn du sollst keinen anderen Gott anbeten. Denn der HERR heißt ein Eiferer; ein eifernder Gott ist er.5

In der „vorwissenschaftliche[n]‌“ Namendeutung wurde versucht, einen Namen so zu deuten, dass die „vermeintlich ‚wahre‘ Bedeutung“, d. h. die in dem Namen fixierten Eigenschaften des Namenträgers, herausgefunden wird, wobei ←20 | 21→eine falsche Deutung nicht unüblich war.6 Personen- und Ortsnamen wurden oft nach Überlieferungen erklärt. Erst im 19. Jahrhundert, genauer gesagt um 1840, begann das Zeitalter der methodischen Namenforschung.7 Seither entwickelte sich die Namenkunde unter dem Einfluss von Jacob Grimm zu einer wissenschaftlichen Disziplin, welche zu der Erweiterung der linguistischen Theorien beiträgt.8 Bis zum 20. Jahrhundert interessierten sich die Namenforscher vorwiegend für die geschichtlich, landes- und volkskundlich orientierte Deutung der semantisch schon verdunkelten Personen- und Ortsnamen. Dies ist erkennbar aus Buchtiteln wie Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen: nach der Überlieferung des klassischen Altertums (Moritz Schönfeld 1911) oder Ortsnamen als Geschichtsquelle (Hans Krahe 1949). Adolf Bach erkannte schon 1952 das Problem, dass bei der Personennamenforschung „die jenseits des etymologischen Interesses stehenden Probleme von ihr allzulange vernachlässigt worden sind“9. In einer wissenschaftlichen Namenforschung geht es „in erster Linie um die Frage nach den allgemeinen Bildungsgesetzen und Inhalten der Namen, nach der Entstehung, dem Gebrauch und der Eigenart unseres gesamten Namenschatzes“10, so Bach. Im Weiteren schlug er fünf Problemkreise vor, die in der Namenkunde noch nicht ausreichend abgehandelt wurden: sprachwissenschaftliche, historische, geographische, soziologische und psychologische Fragen.11

Eine umfassend-systematische Betrachtung der Eigennamen mit sprachwissenschaftlichen Ansätzen auf gegenwartssprachliche Aspekte bezogen ←21 | 22→begann erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.12 Einige Namenforscher wandten sich in ihren Forschungstätigkeiten namentheoretischen Problemen unterschiedlicher Ebenen zu. Ein Teil der Forschung versuchte, Eigennamen verschiedener Arten aus pragmatischer Sicht zu erfassen.

Die Frage nach der Bedeutung des Eigennamens wurde zuerst von Logikern versucht zu beantworten, z. B. Mill (1875), Frege ([1892] 2008) und Russell ([1918] 1986), dann auch von Linguisten und Philosophen, z. B. Jespersen (1924), Searle (1969), Wimmer (1973 u. [1978] 1989), Hilgemann (1974 u. 1978), Wotjak ([1976] 1989), Kripke (1981), Hansack (1990 u. 2000), Willems (1996), Burkhardt (2005 u. 2015) und Wolf (2015).

Einen guten Überblick über die Eigennamentheorie bieten die Werke von Bach (1952 u. 1953), Wimmer (1973), Kalverkämper (1978), Eichler u. a. (1995 u. 1996), Harweg (1997 u. 1998), Bauer (1998), Blanár (2001), Koß (2002), Brendler/Brendler (2004), Gottschald (2006), Šrámek (2007), Debus (2012) und Nübling/Fahlbusch/Heuser (2015). Mit dem 1964 veröffentlichten Buch Grundbegriffe der Namenkunde bietet Teodolius Witkowski den Namenforschern ein grundlegendes Nachschlagewerk, das sich spezifisch mit der onomastischen Terminologie beschäftigt. Trotzdem werden namenkundliche Begriffe nicht immer einheitlich verwendet, sodass in dieser Arbeit Begriffe wie Benennungsmotiv oder Namendeutung eingegrenzt werden müssen. Komposita, die das Morphem Namen als Erstglied haben, werden je nach Interessen der Linguisten mit oder ohne Fugenelement -s- gebildet. Während Debus und Nübling/Fahlbusch/Heuser das Kompositum Namenform verwenden, benutzt Gerhard Koß die Variante Namensform.13 Bei Witkowski ist beides erlaubt.14 In dieser Arbeit wird die Schreibweise ohne Fugenelement -s- bevorzugt. Eine Ausnahme bildet das Wort Namensrecht, weil in der rechtswissenschaftlichen Literatur immer nur diese Schreibweise gebraucht wird.←22 | 23→

Im Kern der Namenforschung stehen nach wie vor Personen- und Ortsnamen. In der jüngeren Vergangenheit widmen sich einige Forscher auch den vernachlässigten Namentypen, wie z. B. den Straßen-, Institutions-, Kunstwerks-, Unternehmens- und Warennamen. Besonders Warennamen, die im Alltagsleben eine immer wichtigere Rolle spielen, ziehen viel Aufmerksamkeit auf sich. Zu diesem Thema haben Platen (1997), Ronneberger-Sibold (2004) und Koß (2002 u. 2008) mehrere Arbeiten publiziert, die in der Namenforschung vielfach zitiert werden. Im Vergleich zu Waren- und Produktnamen erfreuen sich Gaststättennamen geringerer Beliebtheit in der Onomastik. Im Bereich der Heimatforschung werden eine Menge Projekte durchgeführt, die sich mit der Etymologisierung der Gasthaus- bzw. Hausnamen beschäftigen. Im Laufe der Zeit sind aber auch einige Studien entstanden, die sich aus der linguistisch-theoretischen und pragmatischen Perspektive mit gegenwärtigen Gaststättennamen befassen.

Zur Geschichte der Gaststättennamen sind vor allem zwei Werke zu nennen, die für die späteren Forschungen den Grundstein gelegt haben. 1878 hatte der Genfer Kulturhistoriker Jean D. Blavignac in seinem Werk Histoire des Enseignes d’Hôtellerie, dAuberges et de Cabarets zahlreiche Gaststättennamen aus verschiedenen Jahrhunderten und europäischen Ländern erläutert und die Entwicklung dieser wiedergegeben. In der 1912 veröffentlichten umfassenden Untersuchung Die Hausnamen und Hauszeichen, ihre Geschichte, Verbreitung und Einwirkung auf die Bildung der Familien- und Gassennamen widmete sich Ernst Grohne der Entstehung und Entwicklung der deutschen Hausnamen (einschließlich Gasthausnamen) im Mittelalter und in der Neuzeit sowie ihren Verhältnissen zu Familien- und Gassennamen. Außerdem ist Wallners (1970) Werk zu nennen, in dem mit reichlichen Bildern die Geschichte der Gaststätten in Europa, ihre Namen und Schilder systematisch präsentiert werden. Besonders in der Schweiz wurden viele Aufsätze zu Gaststättennamen veröffentlicht. Schmid (1934), Steiger (1948) und Wäber (1977) bemühten sich um eine Erläuterung der historischen Gaststättennamen in einigen Städten oder Regionen. Nägeli (1979) widmete sich den beliebten Tieren bei der Namengebung. Die sprachgeschichtlichen Untersuchungen ergeben Sinn, denn es gibt heutzutage viele Gaststättennamen, deren Entstehungen auf das Mittelalter zurückzuführen und nur aus diachronischer Sicht zu erklären sind.

Mit der Entwicklung der Marktwirtschaft und der Steigerung der Konkurrenz übernimmt ein Gaststättenname mehr Verantwortung. Er soll den Namenträger nicht nur von anderen abgrenzen, sondern ihn von den Konkurrenten abheben und valorisieren. In der Werbeforschung gilt die Gestaltung ←23 | 24→der Warennamen als wichtiger Teil der Werbestrategie.15 Analog dazu spielen Gaststättennamen auch eine unentbehrliche Rolle im Marketing, denn sie zeigen den Rezipienten in sprachökonomischer Weise die Konzeption und Philosophie der Betriebe an. Etymologische, landes- und volkskundliche Interpretationen sind überhaupt nicht in der Lage, die vielfältigen Funktionen der Gaststättennamen im Alltags- und Wirtschaftsleben zu erläutern, weshalb weitere Forschungsperspektiven herangezogen werden müssen.16 So hat Irina Wolk (2005) auf Basis eines Korpus aus 418 Namen die Wirksamkeit der Gaststättennamen aus pragmatischer und wirtschaftlicher Sicht interpretiert.

Ein Überblick über die Namengrammatik findet sich bei Kolde (1995) und Nübling/Fahlbusch/Heuser (2015). Wichtige Beiträge, die sich mit den morphosyntaktischen Eigenschaften der Eigennamen beschäftigen, bieten noch Wimmer (1973), Kalverkämper (1978), Harweg (1983) und Gallmann (1989, 1990 u. 1997). In dem 2017 von Helmbrecht/Nübling/Schlücker herausgegebenen Sammelband Namengrammatik werden sieben Aufsätze gesammelt, die die spezifische Grammatik von Eigennamen (vorwiegend Personennamen) beschreiben, die von der allgemeingültigen Grammatik der Appellative abweichen kann. Laut Helmbrecht/Nübling/Schlücker befasste sich die Onomastik noch nicht genügend mit dem „Sonderstatus von Eigennamen“17. Einer Auseinandersetzung mit der Grammatik der Gaststättennamen widmete sich Gisela Zifonun (2009). Als mehrteiliger Name soll ein Gaststättenname einerseits „möglichst an seiner unverwechselbaren Gestalt wiedererkennbar sein und sich daher z. B. gegenüber flexivischen Veränderungen resistent zeigen, andererseits soll er wie jeder andere Ausdruck syntaktisch in seine Umgebung eingepasst werden.“18 Um diesen Konflikt zu lösen, hat Zifonun unterschiedliche Strategien demonstriert und diskutiert. Außerdem findet man in der Duden-Grammatik (2016) nützliche Hinweise zu den Gebrauchsweisen der Gaststättennamen.←24 | 25→

Die morphologische Bildung eines Eigennamens kann einerseits den Regeln der appellativischen Morphologie folgen, andererseits kann der Namengeber seiner Phantasie freien Lauf lassen und einen eigenen Namen schaffen. Es gibt kaum Forschungen, die sich systematisch mit der speziellen Morphologie der Gaststättennamen befassen, während im Rahmen der allgemeinen Eigennamenforschung und insbesondere zum Thema Warennamen mehrere Forschungsprojekte zu finden sind. Harweg (1983) widmete sich solchen Namen, die aus einem Gattungsnamen und einem Eigennamen gebildet werden, wie z. B. Straßennamen und Gaststättennamen, und bezeichnete sie als „Gattungseigennamen“19. Platen (1997) und Ronneberger-Sibold (2004) haben die Bildungsweisen der Warennamen zusammengefasst und klassifiziert. Ihre Ergebnisse werden in dieser Arbeit angepasst auf Gaststättennamen übertragen.

Bezüglich der Methodik weisen die Aufsätze von Polenz (1957), Debus (1967), Witkowski (1973) und Fleischer (1985) auf ordentliche Methoden zur Namendeutung hin. Im Gegensatz zur Namenetymologie, die sich mit der Aufdeckung der verblassten Bedeutung des Namenkörpers beschäftigt, bemüht sich die Namendeutung um die „Aufhellung des Benennungsmotivs“20. Eine umfassend-systematische Untersuchung zu Gasthausnamen hat Lorenz Jehle (1986) durchgeführt, in der auf Basis eines Korpus die Gasthausnamen aus dem Fürstentum Liechtenstein, Österreich und der Schweiz nach 15 Benennungsmotiven klassifiziert und vergleichend dargestellt werden. In dieser Forschung wurden sozioökonomische Faktoren berücksichtigt, die bei der Namengebung eine Rolle spielen. Zwar hat Jehle die Benennungsmotive der Gaststättennamen ausführlich interpretiert, aber die formalen Eigenschaften und funktionalen Aspekte wurden nicht berücksichtigt. Auch bei Wolk (2005) wurde die formale Beschaffenheit der Gaststättennamen nur nebenbei behandelt.

Hinsichtlich der Namengeographie veranschaulichte Kunze (2011) die Verbreitung der Gasthausnamen im schwachen Dativ (z. B. Zum Schwanen) mit ←25 | 26→17 Karten, die zeigen, dass Namengebung und -verbreitung stark regional geprägt sind.

Mit kontrastiver Perspektive wird keine Publikation gefunden, die Gaststättennamen in der deutschen und einer anderen Sprache systematisch vergleicht. Zwar werden eine Reihe von Arbeiten zum Thema Kontrastivität der deutschen und chinesischen Sprache auf unterschiedlichen Sprachebenen publiziert, aber ein Vergleich im onomastischen Bereich fehlt noch. Insgesamt gehört die kontrastive Untersuchung nicht zur Tradition der Namenkunde.21 Um kontrastive onomastische Erkenntnisse zu erschließen,22 entstand der von Eckkrammer/Thaler (2013) herausgegebene Sammelband Kontrastive Ergonymie, der mehrere kontrastive onomastische Studien im Kontext der Ergonymie beinhaltet.

Details

Pages
390
Year
2022
ISBN (PDF)
9783631875254
ISBN (ePUB)
9783631875261
ISBN (Hardcover)
9783631871775
DOI
10.3726/b19561
Language
German
Publication date
2022 (August)
Keywords
Gaststättennamen Namenforschung Onomastik Gaststätten Namengebung Namenübersetzung Hausnamen und Zeichen Geschichte Benennungsmotiv Semantik
Published
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 390 S., 13 farb. Abb., 17 s/w Abb., 6 Tab.

Biographical notes

Cairen Lin (Author)

Cairen Lin studierte Germanistik an der Otto von Guericke Universität Magdeburg, wo auch ihre Promotion erfolgte. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Onomastik, der Semantik des Deutschen und des Chinesischen sowie der Sprachlandschaft.

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Title: Deutsche und chinesische Gaststättennamen