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Verfassungsrechtliche Anforderungen an nichtsteuerliche Umweltabgaben am Beispiel des Brennstoffemissionshandels

Eine finanzverfassungsrechtliche Untersuchung der nationalen CO2-Zertifikate

von Sebastian Fernkorn (Autor:in)
©2022 Dissertation 162 Seiten

Zusammenfassung

Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an nichtsteuerliche Abgaben sind insbesondere im Zusammenhang mit Umweltabgaben schon lange umstritten. Durch das seit 2021 geltende Brennstoffemissionshandelsgesetz werden Inverkehrbringer von Brennstoffen zum Erwerb von CO<SUB>2-Zertifikaten verpflichtet. Dieser Zertifikatshandel soll durch steigende Preise der jeweils betroffenen Produkte zu einem sparsameren Umgang mit Benzin, Heizöl etc. anregen. Diese Arbeit widmet sich der Frage, welche finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen sich für Umweltabgaben ergeben, und zeigt dann auf, dass der Gesetzgeber in der Einführungsphase dieser nationalen Zertifikate seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat und die Abgaben in ihrer Erhebungsform bis einschließlich 2026 nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sind.
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Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Dissertation
  • Kapitel 1: Einführung
  • § 1 Das BEHG und die Problematik um nichtsteuerliche Abgaben
  • Kapitel 2: Finanzverfassungsrechtliche Anforderungen an nichtsteuerliche Umweltabgaben
  • § 2 Abgrenzung von nichtsteuerlichen Abgaben zu Steuern
  • A. Gegenleistungsunabhängigkeit
  • B. Einnahmeerzielungszweck
  • C. Abgrenzung der Sonderabgabe von der Steuer
  • I. Abgrenzung nach der Finanzierung eines allgemeinen oder besonderen Finanzbedarfs
  • II. Abgrenzung nach der Einstellung in den Haushalt oder in einen Sonderfonds
  • III. Abgrenzung nach der Art der Zweckbindung
  • IV. Stellungnahme: Sonderabgabe als „Bereichsausnahme“ der Steuer
  • V. Zwischenergebnis
  • D. Fazit
  • § 3 Bestehen finanzverfassungsrechtlicher Anforderungen an nichtsteuerliche Abgaben (Steuerstaatsprinzip)
  • A. Streitstand in der Literatur
  • B. Auffassung des Bundesverfassungsgerichts
  • I. Argumentation des BVerfG zum Wasserpfennig
  • II. Einordnung der Entscheidung
  • 1. Besondere sachliche Rechtfertigung und hinreichende Unterscheidbarkeit von der Steuer
  • 2. Berücksichtigung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen
  • 3. Beachtung der Grundsätze der Vollständigkeit des Haushaltsplans
  • 4. Abschließende Beurteilung der Kriterien
  • C. Entscheidung
  • § 4 Kategorien nichtsteuerlicher Abgaben und ihre jeweilige sachliche Rechtfertigung
  • A. Erfordernis einer Kategorisierung
  • B. Erfordernis einer Differenzierung zwischen Begriffsmerkmalen und Rechtmäßigkeitsanforderungen
  • C. Verleihungsgebühr
  • I. Meinungsstand
  • II. Sachliche Legitimation
  • 1. Rechtsverleihung als Anknüpfungspunkt der Abgabenerhebung
  • 2. Rechtfertigung als Vorzugslast
  • a) Einordnung der Entscheidungen des BVerfG
  • b) Erfordernis der Orientierung an staatlichen Kosten
  • c) Folgerungen für Verleihungsgebühren
  • 3. Ergebnis
  • III. Ergebnis
  • D. Ressourcennutzungsgebühr
  • E. Sonderabgabe
  • I. Sonderabgaben-Rechtsprechung des BVerfG
  • II. Rezeption in der Literatur und Stellungnahme
  • III. Eignung als Umweltabgabe
  • F. Vorteilsabschöpfungsabgabe
  • I. Meinungsstand
  • II. Bedarf für eine weitere Abgabekategorie
  • 1. Einordnung als Gebühr
  • 2. Einordnung als Sonderabgabe
  • III. Voraussetzungen einer sachlichen Legitimation durch Vorteilsabschöpfung
  • 1. Individueller Sondervorteil
  • a) Knappes Gut der Allgemeinheit
  • b) Kollision von Nutzungsinteressen
  • c) Erfordernis einer öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftung
  • aa) Bedeutung einer „öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftung“
  • bb) Erfordernis für Vorteilsabschöpfungsabgaben
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Abschöpfung
  • 3. Zwischenergebnis
  • IV. Ergebnis
  • G. Sonstige nichtsteuerliche Abgaben
  • H. Zwischenfazit
  • Kapitel 3: Verfassungsmäßigkeit der CO2-Bepreisung nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz
  • § 5 Regelungen des Brennstoffemissionshandelsgesetzes
  • § 6 Verfassungsmäßigkeit des BEHG
  • A. Formelle Verfassungsmäßigkeit
  • I. Kompetenztitel aus der Finanzverfassung
  • 1. Einordnung als Abgabe
  • 2. Einordnung als Steuer
  • a) Meinungsstand
  • b) Stellungnahme
  • c) Anwendung auf die Abgaben nach dem BEHG
  • 3. Exkurs: Verfassungsmäßigkeit als Steuer
  • a) Unterscheidung von Unternehmensteuern
  • b) Indirekte Steuer
  • c) Verbrauch eines Guts des ständigen Bedarfs
  • aa) Besteuerungsgegenstand
  • bb) Gut des ständigen Bedarfs
  • cc) Verbrauch dieses Guts
  • dd) Zwischenergebnis
  • d) Übergang aus einem steuerlichen Nexus in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr
  • e) Zwischenergebnis
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Kompetenz aus Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 24 GG
  • III. Ergebnis
  • B. Materielle Verfassungsmäßigkeit
  • I. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen für die Erhebung einer nichtsteuerlichen Abgabe
  • 1. Rechtfertigung als Gebühr
  • 2. Rechtfertigung als Sonderabgabe
  • 3. Rechtfertigung als Vorteilsabschöpfungsabgabe
  • a) Einführungsphase von 2021 bis 2025
  • aa) Meinungsstand
  • bb) Stellungnahme
  • (1) Individueller Sondervorteil
  • (a) Knappes Gut der Allgemeinheit
  • (b) Kollision von Nutzungsinteressen
  • (c) Öffentlich-rechtliche Bewirtschaftung
  • (d) Zwischenergebnis
  • (2) Abschöpfung
  • cc) Zwischenergebnis
  • b) Preiskorridor im Jahr 2026
  • c) Versteigerungsphase ab dem Jahr 2027
  • d) Zwischenergebnis
  • 4. Rechtfertigung als Abgabe sui generis
  • a) Legitimation durch Verhaltenslenkung
  • b) Legitimation als Einführungsphase
  • aa) Zulässigkeit einer Legitimation als Einführungsphase
  • bb) Zwingende Erforderlichkeit zur Einführung des CO2-Handels
  • c) Zwischenergebnis
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 1, 3 GG)
  • III. Ergebnis
  • § 7 Folgen der Verfassungswidrigkeit
  • Kapitel 4: Schluss
  • § 8 Zusammenfassung und Schlussthesen
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Kapitel 1: Einführung

§ 1 Das BEHG und die Problematik um nichtsteuerliche Abgaben

Die Problematik um die verfassungsrechtlichen Grenzen nichtsteuerlicher Abgaben ist in den letzten Jahrzehnten immer akuter geworden. Konnte sich das BVerfG anfangs noch damit begnügen, bei der verfassungsrechtlichen Prüfung von Abgaben für die Gesetzgebungskompetenz eine Abgrenzung von Steuern und nichtsteuerlichen Abgaben vorzunehmen, wobei teilweise noch eine Einordnung der Abgabe in entsprechende Kategorien erfolgte, stets aber ohne auf materieller Ebene der Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben Grenzen zu ziehen1, war das BVerfG später mehr darauf bedacht, die Voraussetzungen für die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben strenger zu begrenzen.2 Hintergrund dieser Entwicklung ist neben einem bei der Abgabenerhebung immer kreativer werdenden Gesetzgeber3 auch das immer mehr in den gesellschaftlichen Fokus rückende Problem des Umweltschutzes, bei dem neben dem Ordnungsrecht auch das Abgabenrecht Lösungen bieten soll.4 Mit der immer größeren ←17 | 18→Popularität5 von Umweltabgaben6 stellte sich die Frage, ob dem einfachen Gesetzgeber verfassungsrechtliche Grenzen für die Erhebung solcher Abgaben gezogen sind und wo diese Grenzen verlaufen.

Anlass, sich näher mit den finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen an Umweltabgaben auseinanderzusetzen, liefert die Einführung eines nationalen Brennstoffemissionshandels in Deutschland ab dem 01.01.2021. Mit dem am 20.12.2019 in Kraft getretenen Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz)7 wurde erstmals ein Preis für CO2 in den Sektoren Wärme und Verkehr eingeführt, indem Inverkehrbringer von Brennstoffen an einem Emissionshandelssystem teilnehmen müssen.8

Dieser nationale CO2-Zertifikatshandel tritt dabei neben den seit 2005 bestehenden europäischen Zertifikatshandel. Letzterer verpflichtet Betreiber von Anlagen im Stromsektor und in der verarbeitenden Industrie sowie von Luftfahrtunternehmen9 (§ 2 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen [Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz]10 i. V. m. Anlage 1 TEHG) zum Erwerb von Emissionszertifikaten. Ergänzt wird dieser nun für die Sektoren Wärme und Verkehr durch den Brennstoffemissionshandel.

Bevor beim Brennstoffemissionshandel jedoch ab 2027 die Menge der CO2-Zertifikate verknappt wird und diese Zertifikate dann versteigert werden (§ 10 Abs. 1 S. 2 BEHG), um eine CO2-Preisbildung am Markt zu ermöglichen, gibt ←18 | 19→es ab 2021 eine Einführungsphase.11 In dieser Einführungsphase findet noch keine Versteigerung und auch keine Verknappung der Zertifikate statt, sondern es werden unbegrenzt viele Zertifikate (§ 5 Abs. 1 BEHG) zum Festpreis (§ 10 Abs. 2 S. 1 BEHG) ausgegeben. Diese Einführungsphase soll einen verlässlichen Preispfad entstehen lassen, der es Bürgern und Wirtschaft ermöglichen soll, sich auf die Entwicklung einzustellen.12

Gleichwohl rief gerade (aber nicht nur13) die Ausgestaltung dieser Einführungsphase schnell verfassungsrechtliche Bedenken auf den Plan. In verschiedenen Gutachten14 und Aufsätzen15 äußerte sich das Schrifttum überwiegend negativ zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Erhebung dieser CO2-Abgaben.

Die umstrittene Einführung des Brennstoffemissionshandels nimmt diese Arbeit zum Anlass, die finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen an Umweltabgaben zu untersuchen. Die Arbeit gliedert sich in einen allgemeinen Teil, in dem abstrakt die Anforderungen an Umweltabgaben untersucht werden (Kapitel 2), und einen Teil, in dem diese Anforderungen dann auf die CO2-Zertifikate nach dem BEHG angewendet werden (Kapitel 3). Anschließend werden die zentralen Thesen der Arbeit zusammengefasst (Kapitel 4).

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1 So in BVerfGE 4, 7 (13 ff.) zur Investitionshilfeabgabe; in BVerfGE 9, 291 (294 ff.) ließ das BVerfG eine Einordnung des Abgabencharakters der Feuerwehrabgabe Baden-Württemberg offen, da bei jedem Anknüpfungspunkt einer Abgabenerhebung ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorläge; auch in BVerfGE 13, 167 (170 ff.) begnügte es sich mit der Einordnung selbiger Abgabe als Ausgleichsabgabe eigener Art; in BVerfGE 18, 274 (286 f.) ordnete es die Wertzuwachsausgleichsabgabe als Beitrag oder beitragsähnliche Zahlungspflicht ein; ebenfalls als Ausgleichsabgabe eingeordnet wurde die Ausgleichsabgabe nach dem Milch- und Fettgesetz (BVerfGE 18, 315 [328 f.]); als Abgabe besonderer Art wurde die Heranziehung des Troncaufkommens eingeordnet (BVerfGE 28, 119 [150 f.]); gar nicht eingeordnet wurde der Konjunkturzuschlag 1970 (BVerfGE 29, 402 [408 f.]) und die Weinwirtschaftsabgabe (BVerfGE 37, 1 [16 f.]); eine Prüfung materieller Voraussetzungen erfolgte zu keiner der Abgaben.

2 Besonders bedeutsam insoweit BVerfGE 55, 274 (298 ff.), wo erstmalig strenge Voraussetzungen für die Erhebung von Sonderabgaben formuliert wurden; in BVerfGE 93, 319 (342 ff.) wurde erstmals allgemein für nichtsteuerliche Abgaben dargestellt, wieso deren Erhebung Grenzen unterworfen ist; zu materiellen Grenzen von Gebühren siehe BVerfGE 108, 1 (13 ff.).

3 So Friauf, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 679 (679).

4 Zum Vergleich zwischen Abgaben und dem Ordnungsrecht als Instrumente des Umweltschutzes siehe Sacksofsky, Umweltschutz, S. 18 ff; allgemein zu den Vor- und Nachteilen der Nutzung von Steuern als Lenkungsinstrument Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 119 ff.

5 Siehe beispielhaft aus der jüngeren Judikatur des BVerfG die Abfallabgaben (BVerfGE 98, 83), die kommunale Verpackungsteuer (BVerfGE 98, 106) oder die Ökosteuer (BVerfGE 110, 274).

6 Umweltabgaben im Sinne dieser Untersuchung meint Abgaben, die externe Kosten internalisieren, so und mit weiteren Ausführungen zu dieser Definition auch Vogel/Waldhoff, in: Bonner Kommentar, GG, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 469.

7 Brennstoffemissionshandelsgesetz vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2728), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. November 2020 (BGBl. I S. 2291) geändert worden ist. Im Folgenden: BEHG.

8 Pressemitteilung vom Umweltbundesamt vom 20.12.2019, abrufbar unter https://www.dehst.de/SharedDocs/news/DE/BEHG-in-kraft.html (Stand: 21.05.2022).

9 https://ec.europa.eu/clima/eu-action/eu-emissions-trading-system-eu-ets/emissions-cap-and-allowances_de (Stand: 21.05.2022).

10 Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz vom 21. Juli 2011 (BGBl. I S. 1475), das zuletzt durch Artikel 18 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist. Im Folgenden: TEHG.

11 Zu der zwischen Einführungsphase und Versteigerungsphase bestehenden Phase des Preiskorridors im Jahr 2026 siehe unten § 5, auf diese Übergangsphase wird hier aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht eingegangen.

12 Begründung des Regierungsentwurfs für ein Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz – BEHG), BT-Drs. 19/14746, S. 22.

Details

Seiten
162
Erscheinungsjahr
2022
ISBN (PDF)
9783631877685
ISBN (ePUB)
9783631884522
ISBN (Hardcover)
9783631884041
DOI
10.3726/b19945
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Juli)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 162 S.

Biographische Angaben

Sebastian Fernkorn (Autor:in)

Sebastian Fernkorn studierte Rechtswissenschaft an der Universität Passau. Seit Abschluss des Studiums arbeitet er am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht, Europäisches Privatrecht und Europäische Rechtsgeschichte. Seine Promotion legte er am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere Finanz- und Steuerrecht ab. Derzeit ist er Rechtsreferendar im Oberlandesgerichtsbezirk München.

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Titel: Verfassungsrechtliche Anforderungen an nichtsteuerliche Umweltabgaben am Beispiel des Brennstoffemissionshandels