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Kompetenzorientierung im islamischen Religionsunterricht

Eine Analyse ausgewählter Curricula als Beitrag zur Fachdidaktik des islamischen Religionsunterrichts

von Annett Abdel-Rahman (Autor:in)
©2022 Dissertation 348 Seiten

Zusammenfassung

Islamischer Religionsunterricht ist ein junges Fach. Religiöses Wissen allein reicht nicht aus, um sich als religiöser Mensch im Leben orientieren und erfolgreich handeln zu können. Welche Kompetenzen müssen sich muslimische Schülerinnen und Schüler also aneignen, um religiöses Wissen lebendig werden zu lassen? In ausgewählten Curricula des Faches wird daher das Verständnis von Kompetenzorientierung und religiöser Bildung untersucht, eingebettet in Entwicklungen und Rahmenbedingungen des islamischen Religionsunterrichts und Diskussionen um die Kompetenzorientierung in der christlichen Religionspädagogik. Die Ergebnisse dieser Arbeit geben einen Einblick in das Verständnis islamisch-religiöser Bildung in der Schule und erhellen Stärken und Schwächen des Instruments der Kompetenzorientierung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhalt
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Ziel- und Fragestellung dieser Arbeit
  • 1.2 Methodisches Vorgehen
  • 2 Islamischer Religionsunterricht in Deutschland – ein Überblick
  • 2.1 Rahmenbedingungen für islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen
  • 2.1.1 Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
  • 2.1.2 Institutionelle Rahmenbedingungen
  • 2.1.3 Schulorganisatorische Rahmenbedingungen
  • 2.2 Erwartungen, Anfragen und Ansprüche im Hinblick auf den islamischen Religionsunterricht in Deutschland
  • 2.2.1 Ansprüche und Erwartungen muslimischer Repräsentanten zum islamischen Religionsunterricht
  • 2.2.2 Erwartungen und Haltungen der Eltern zum islamischen Religionsunterricht
  • 2.2.3 Anmerkungen und Anfragen aus katholischer und evangelischer Sicht zu islamischem Religionsunterricht
  • 2.2.4 Die Lebenswelten muslimischer Schülerinnen und Schüler
  • 2.3 Islamischer Religionsunterricht als neues Fach an öffentlichen Schulen in Deutschland – eine Bestandsaufnahme
  • 2.3.1 Ein Überblick über Modelle und Entwicklungen in den Bundesländern
  • 2.3.2 Der Weg des Landes Niedersachsen als Beispiel für die Implementierung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen
  • 2.4 Außerschulische islamisch-religiöse Bildungsangebote in Deutschland
  • 2.4.1 Kategorien des Lernens
  • 2.4.2 Akteure organisierter non-formaler islamisch-religiöser Bildung
  • 2.4.3 Non-formale islamisch-religiöse Bildung in Moscheegemeinden
  • 2.5 Fazit
  • 3 Kompetenzorientierung im christlichen Religionsunterricht – eine Annäherung an bisherige Entwicklungen
  • 3.1 Ziele schulischer Bildung
  • 3.1.1 Die Klieme-Expertise: Grundlegende Aussagen
  • 3.1.2 Bildungspolitische Konsequenzen für den Religionsunterricht
  • 3.2 Religiöse Kompetenz als Bildungsziel im Fach Religion: Kompetenzmodelle und Standards aus katholischer und evangelischer Perspektive
  • 3.2.1 Religiöse Kompetenz als Bildungs- und Erziehungsziel des Religionsunterrichts – das Kompetenzmodell von Ulrich Hemel
  • 3.2.2 Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht – das Kompetenzmodell im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz
  • 3.2.3 Das Modell der Bildungsplankommission Baden-Württemberg für den evangelischen Religionsunterricht (2004)
  • 3.2.4 Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung – das Modell des Comenius-Instituts für den evangelischen Religionsunterricht (2006)
  • 3.2.5 Katholische und evangelische Religion: Standards für das Abitur (2006)
  • 3.2.6 Kompetenzen und Standards für den evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I (2010)
  • 3.2.7 Das Berliner Modell religiöser Kompetenz (2003 – 2011)
  • 3.2.8 Reflexion der Entwicklung der Kompetenzmodelle für katholischen und evangelischen Religionsunterricht
  • 3.3 Fazit
  • 4 Kompetenzorientierung im islamischen Religionsunterricht – eine Analyse ausgewählter Kerncurricula
  • 4.1 Religiöse Bildung im islamischen Religionsunterricht
  • 4.1.1 Perspektiven religiöser Bildung im Islam
  • 4.1.2 Beiträge der islamischen Religionspädagogik zur Kompetenzorientierung im islamischen Religionsunterricht
  • 4.1.3 Der Bildungsauftrag des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen
  • 4.2 Kerncurricula für den islamischen Religionsunterricht
  • 4.2.1 Ausgewählte Aspekte zum Begriff und zur Entstehung von Kerncurricula
  • 4.2.2 Entstehungsweg eines Kerncurriculums am Beispiel des Bundeslandes Niedersachsen
  • 4.3 Methodisches Vorgehen der Analyse
  • 4.3.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring
  • 4.3.2 Darlegung der Analyseschritte des geplanten Vorhabens
  • 4.3.3 Beschreibung der Leitfragen und Ankerbeispiele
  • 4.4 Analyse ausgewählter Kerncurricula für den islamischen Religionsunterricht
  • 4.4.1 Das Kerncurriculum islamische Religion für die Schulformen des Sekundarbereichs I in Niedersachsen
  • 4.4.2 Kernlehrplan Islamischer Religionsunterricht für die Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen
  • 4.4.3 Der Bildungsplan für die Sekundarstufe I für Islamische Religionslehre sunnitischer Prägung in Baden-Württemberg
  • 4.5 Fazit
  • 5 Zusammenfassung und Reflexion der Ergebnisse
  • 5.1 Kompetenzorientierung in den untersuchten Curricula
  • 5.2 Das Verständnis religiöser Bildung in den Curricula
  • 6 Rückblick und Ausblick
  • 7 Quellenverzeichnis
  • 7.1 Abbildungen
  • 7.2 Literatur
  • Reihenübersicht

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1 Einleitung

„Mein Bestreben ist‚ Erkenntnis über die Wahrheiten der Dinge zu erlangen. Deshalb muss danach gefragt werden, wie das Wesen der Erkenntnis ist. Alsdann schien es mir, dass die sichere Erkenntnis diejenige ist, in der sich das Erkannte in der Weise enthüllt, daß es keinen Zweifel mehr zulässt, noch darf diese Erkenntnis von der Möglichkeit des Irrtums oder der des Argwohns begleitet werden […] Eine Erkenntnis aber, durch die keine Gewissheit entsteht, ist keine sichere Erkenntnis.“1

An der Gesamtschule, an der ich islamische Religion unterrichtet habe, fand eines Tages das Sportfest der Schule statt. Ich hatte die Aufgabe, eine der fünften Klassen zur Tribüne zu begleiten, von der aus sie ein Fußballspiel ansehen wollten. Einige Schülerinnen und Schüler kannte ich aus meinem islamischen Religionsunterricht. An diesem Vormittag war es sehr warm und laut und die Schülerinnen und Schüler waren unruhig und aufgeregt. Als ich sie daraufhin ermahnte und darum bat, rücksichtsvoller miteinander umzugehen, drehte sich einer meiner Schüler aus meinem Religionskurs zu mir um und sagte nachdenklich: „Ah, du meinst, wir sollen so sein, wie der Prophet Muhammad2 gewesen ist, zu seiner Familie und seinen Freunden?“ Ich war überrascht und erfreut, denn offensichtlich hatte der Schüler verstanden, warum wir uns mit dem Charakter des Propheten Muhammad im Unterricht auseinandergesetzt hatten, und konnte seine Erkenntnis auf sich und die vorhandene Situation übertragen. Diese Situation spiegelt das Anliegen des islamischen Religionsunterrichts gut wider. Denn idealerweise sollte er muslimische Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, ihre Lebensweise und ihre Religion in der sie umgebenden Realität in einen reflektierten Zusammenhang zu stellen und sich zu den daraus gewonnen Erkenntnissen ins Verhältnis zu setzen.

Der islamische Religionsunterricht ist in allen Bundesländern noch ein junges Fach. Jahrelang, teilweise über Jahrzehnte haben Vertreterinnen und Vertreter der Muslime und die jeweiligen Landesregierungen darüber verhandelt, ←13 | 14→dieses Fach für muslimische Schülerinnen und Schüler an öffentlichen Schulen einzuführen. Diese Verhandlungen sind oft mit viel Engagement, wenig Wertschätzung füreinander, wenig Vertrauen miteinander und wenig Wissen übereinander geführt worden. Geeint hat aber beide Seiten der Wille, muslimischen Schülerinnen und Schülern an der öffentlichen Schule ein Angebot zu machen, in dem es um ihre Lebensrealität geht. Mittlerweile sind einige Bundesländer auf einem guten Weg und viele muslimische Schülerinnen und Schüler haben auf ihrem Stundenplan das Fach islamische Religion stehen. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung. Leider ist Niedersachsen bislang das einzige Bundesland, das den Modellversuch für das Fach abgeschlossen hat und islamischen Religionsunterricht als reguläres Unterrichtsfach anbietet.

Fast zeitgleich haben die Ergebnisse der TIMSS-Studie 1997 und der PISA-Studie 2000 die Bildungspolitik in Deutschland zum Nachdenken und Handeln gezwungen. Fast ein Viertel der Jugendlichen war kaum in der Lage, sinnerfassend zu lesen oder mathematische Kenntnisse auf andere Problemlösestrategien zu übertragen. Deutschland lag in der Liste der teilnehmenden Länder im unteren Drittel. Die Studien zeigten, dass die bisher praktizierten Konzepte des Bildungserwerbs im Sinne von Lehrplänen, die auflisten, welches Wissen gelernt werden muss, zu keinen überzeugenden Ergebnissen geführt haben. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung reagierte darauf, indem es das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung unter Leitung von Eckhard Klieme mit einem Gutachten beauftragte. Die Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, die kurz darauf der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, entwickelte mit der Kompetenzorientierung ein Instrument, mit dem Aussagen darüber getroffen werden sollten, über welches Wissen, welche Fähigkeiten und welches Können Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn in den entsprechenden Fächern verfügen sollten, um vielfältige Lebenssituationen bewältigen zu können. Die Fragen nach dem Ergebnis und der Evaluierbarkeit unterrichtlicher Interaktionen standen jetzt im Fokus. In der Folge wurden auf Beschluss der Kultusministerkonferenz in vielen Fächern Kompetenzmodelle und daraufhin Kerncurricula erstellt. Die Vertreterinnen und Vertreter für katholischen und evangelischen Religionsunterricht reagierten sofort und entwickelten ihrerseits Kompetenzmodelle, begleitet von einer virtuosen und vielfältigen Fachdiskussion über Sinn und Unsinn eines kompetenzorientierten Religionsunterrichts. Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts fand in einigen Bundesländern nahezu zeitgleich mit dieser bildungspolitischen Entwicklung statt, durch die Aushandlungsprozesse seiner Implementierung hat die islamische Religionspädagogik bislang an diesem ←14 | 15→Prozess eher marginal kommentierend, aber nicht bildungstheoretisch gestaltend teilgenommen. Mittlerweile verschieben sich die Fragen zum islamischen Religionsunterricht, es geht nicht mehr (so oft) darum, ob er eine Berechtigung hat, sondern darum, was aus ihm einen guten islamischen Religionsunterricht macht. Diese Arbeit möchte dazu einen Beitrag leisten.

Die vorliegende Arbeit ist eine kritische Würdigung der bisherigen Erarbeitungen kompetenzorientierter Curricula für den islamischen Religionsunterricht. Allen Beteiligten, die an der Erarbeitung der Curricula in allen Bundesländern gearbeitet haben, gebührt höchster Respekt. Unter genauester gesellschafts- und bildungspolitischer Beobachtung zu stehen, rechenschaftspflichtig gegenüber Eltern und Gemeindemitgliedern, auch als religiöser Mensch den eigenen religiösen Grundlagen verpflichtet zu sein, ein Curriculum zu erstellen ohne vorliegenden bildungstheoretischen Referenzrahmen – das ist eine sehr anspruchsvolle und manchmal sicherlich auch kräftezehrende Angelegenheit. Alle Beteiligten aller Bundesländer haben hier Pionierarbeit geleistet, die Anerkennung und Wertschätzung verdient. Das Anliegen meiner Arbeit ist es, auf der bereits geleisteten Vorarbeit aufzubauen, indem kritisch, aber konstruktiv, betrachtet wird, wie bisher Geleistetes verbessert werden kann – mit Blick auf diejenigen, die dieser Unterricht etwas angeht: die muslimischen Schülerinnen und Schüler.

1.1 Ziel- und Fragestellung dieser Arbeit

Diese Arbeit möchte einen Beitrag zur Fachdidaktik des Faches islamische Religion leisten. Bislang gibt es kein schlüssiges Kompetenzmodell, welches Bildungsziele für islamischen Religionsunterricht spezifiziert und definiert und damit für weitere Entwicklungen grundlegend wäre. Es gibt auch für die Fachdidaktik bislang keine einheitlichen Festlegungen, an welchen Inhalten welche Kompetenzen erworben werden sollen. Einige wenige Veröffentlichungen beziehen sich eher auf den Erwerb einzelner, spezifischer Kompetenzen, auf die Entwicklung spezifischer Modelle in den Bundesländern oder aber auf Vorschläge im Bereich unterrichtspraktischen Handelns. Andererseits gibt es bereits Curricula in einigen Bundesländern, die eine Vorgabe zur Erstellung schuleigener Arbeitspläne sind und an denen sich Lehrkräfte orientieren, um ihren Unterricht zu planen und durchzuführen. Curricula sind ebenso Orientierung nicht nur für Eltern und Religionsgemeinschaften, sondern auch für Schulbuchverlage oder Studienseminare, um den Kern eines Faches zu bestimmen.←15 | 16→

Es ist das Anliegen dieser Arbeit, das Verständnis von Kompetenzorientierung in ausgewählten Curricula zu analysieren. Die beiden Fragestellungen, denen die Analyse nachgehen will, sind:

1.Entspricht das vorliegende Curriculum der Kompetenzorientierung?

2.Welcher Vorstellung religiöser Bildung in der Schule, bezogen auf den islamischen Religionsunterricht, folgen die Curricula?

Die Untersuchung ist eingebettet in die Entwicklungen und Rahmenbedingungen des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland einerseits und in die Diskussionen um die Kompetenzorientierung in der christlichen Religionspädagogik andererseits. Beide Faktoren beeinflussen religionspädagogische und fachdidaktische Entscheidungen mit Bezug auf den islamischen Religionsunterricht. So wird deutlich, dass das Vertrauen in ministerielle Instanzen, das durch die jahrelangen Aushandlungsprozesse teilweise sehr gelitten hat, einen Schatten auf die konzeptionelle Arbeit in der islamischen Religionspädagogik wirft. Andererseits sind viele der Diskussionen, die innerhalb der christlichen Religionspädagogik stattgefunden haben, weniger theologisch als fachdidaktisch mit der Frage verbunden, welche Bildungsprozesse im Religionsunterricht allgemein von Bedeutung sind und welche Instrumente oder Faktoren ihn zu einem guten Religionsunterricht machen. Von dieser Diskussion kann auch die islamische Religionspädagogik profitieren und sie kann sich daran beteiligen.

Die Ergebnisse dieser Arbeit sind von Bedeutung für die Entwicklung eines Kompetenzmodells für dieses Fach. Welche Kompetenzen sollen Schülerinnen und Schüler erwerben, um sich zu ihrer Wahrnehmung der Realität ins Verhältnis zu setzen und sich ihre Religion zu erschließen? Auf welche Gegenstandsbereiche sollte dieser Kompetenzerwerb ausgerichtet sein und mit welchen konkreten Inhalten sollten sie sich dazu auseinandersetzen? Gibt es einen grundlegenden Konsens, auf den sich alle Curricula beziehen, und was ist ihr theologischer Kern? Welchen Beitrag leistet der islamische Religionsunterricht damit auch zur allgemeinen Bildung? Die Ergebnisse dieser Arbeit vermitteln ebenso einen Einblick in das Verständnis islamisch-religiöser Bildung für den Lernort Schule. Das erleichtert die notwendige inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche Aufgabe religiöser Bildung außerschulische Bildungsorte erfüllen können und sollen und welche Aufgaben in den Bereich der Schule gehören. Des Weiteren erhellen die Ergebnisse dieser Arbeit Stärken, aber auch Schwächen des religionspädagogischen Umgangs mit dem Instrument der Kompetenzorientierung, die mit dem Ziel der Verbesserung im konstruktiven Vergleich mit der christlichen Religionspädagogik diskutiert werden können.←16 | 17→

Für die universitäre Ausbildung, für das Referendariat sowie für Fort- und Weiterbildungen sind die Ergebnisse gewinnbringend, da die Voraussetzung für einen gelingenden Unterricht vor allem gut ausgebildete Lehrkräfte ist. Wenn sie die Kompetenzorientierung nicht verstanden haben oder von ihrer Anwendung nicht überzeugt sind, bleiben Kompetenzmodelle wirkungslos.

Die in dieser Arbeit vorgenommene Analyse der Kerncurricula ermöglicht keine Aussage darüber, ob kompetenzorientierter Unterricht tatsächlich stattfindet und welche Qualität er hat. Dies muss in anderen Forschungsarbeiten untersucht werden. Die Analyse gibt aber Auskunft darüber, ob das jeweilige untersuchte Curriculum durch seine inhaltliche Struktur und Ausgestaltung kompetenzorientiert ist und damit entsprechendem Unterricht zugrunde liegen kann.

1.2 Methodisches Vorgehen

Die Analyse der Curricula ist eingeordnet in ihre Entstehungsbedingungen. Kapitel 2 geht auf die Rahmenbedingungen für die Einführung des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland ein. Dabei werden verschiedene Perspektiven der Erwartungen dargestellt, sie seine inhaltliche Ausgestaltung beeinflussen. Die Erläuterung der verschiedenen Modelle und Entwicklungen in allen Bundesländern lassen die Anstrengungen und teilweise widersprüchlichen Haltungen zu diesem Fach deutlich werden. Dieses Verständnis ist notwendig, um zu verstehen, wie politische Entscheidungen auch inhaltliches Arbeiten beeinflussen können. Auch außerschulische Bildungsangebote werden in den Blick genommen, da sie gerade in den letzten Jahren neben dem Unterricht in den Moscheen immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Kapitel 3 stellt ausgewählte Aspekte der Entwicklungen innerhalb der christlichen Religionspädagogik nach der Klieme-Expertise in den Fokus der Betrachtungen, um die Ergebnisse aus Prozessen und Diskussionen um die Kompetenzorientierung im Religionsunterricht für die islamische Religionspädagogik zu nutzen. Im Kapitel 4 werden Curricula der Sekundarstufe I des islamischen Religionsunterrichts analysiert. Ausgewählte Bundesländer sind Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Der Analyse geht eine Begriffsbestimmung für den Begriff der religiösen Bildung voraus, da eine inhaltliche Standortbestimmung aus islamisch-theologischer Sicht notwendig ist, um die Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung der Curricula einordnen zu können.

Diese Arbeit orientiert sich an der strukturierenden Inhaltsanalyse, einem Teilbereich der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring. Sie wird anhand ausgewählter Leitfragen durchgeführt, die begründet und ausführlich ←17 | 18→erläutert werden. Eine abschließende Diskussion der Erkenntnisse aus der Analyse der Curricula erfolgt in Kapitel 5 in Verbindung mit den Rahmenbedingungen des islamischen Religionsunterrichts und den Entwicklungen zur Kompetenzorientierung.

In dieser Arbeit wird der Begriff des „islamischen Religionsunterrichts“ benutzt, da er sich auf den bekenntnisorientierten Religionsunterricht am Lernort Schule bezieht. Die Begriffe Islamkunde oder Islamunterricht sind für diesen Kontext und generell ungeeignet, da sich der erste Begriff auf einen religionskundlichen Unterricht bezieht und der zweite Begriff eine Verengung suggeriert, die dem Unterricht nicht gerecht wird. Die Curricula werden in den Bundesländern unterschiedlich bezeichnet, in Niedersachsen wird der Begriff Kerncurriculum verwendet, in Nordrhein-Westfalen Kernlehrplan und in Baden-Württemberg Bildungsplan. Oft wird für den Begriff Curriculum auch Bildungsplan benutzt. Da sich die Klieme-Expertise auf Kerncurricula bezieht, wird auch in dieser Arbeit vorwiegend der Begriff Curriculum benutzt. Die Konkretisierung der Curricula erfolgt in den Schulen durch sogenannte schuleigene Arbeitspläne, oft auch Schulcurriculum bezeichnet. Da diese oft mehr als ein Curriculum sind, wird in dieser Arbeit der Begriff des schuleigenen Arbeitsplans favorisiert.

Arabische Begriffe werden mit der Umschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft wiedergegeben, da sie so auch in vielen wissenschaftlichen Kontexten verwendet werden. Eine Ausnahme bilden die Zitate aus den ausgewählten Curricula der Analyse, hier wird die Umschrift beibehalten, die auch in den Curricula verwendet wird.

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2 Islamischer Religionsunterricht in Deutschland – ein Überblick

„In Deutschland bestimmt die Aushandlung und nicht die Unterrichtspraxis die Debatte um den islamischen Religionsunterricht.“3

„‚Und du, in welchen Unterricht gehst du?‘ – ‚Ich hab Restreligion, ich gehe mittwochs immer in die Reste-Klasse.‘“4

Das vorliegende Kapitel dieser Arbeit gibt einen Überblick über die Rahmenbedingungen der Entwicklung des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland. Es bildet die Grundlage für das Verständnis und die Einordnung, inwiefern der islamische Religionsunterricht den an ihn gestellten religionspädagogisch-fachdidaktischen Anforderungen bisher gerecht geworden ist.

Der Schwerpunkt liegt auf den verfassungsrechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für den islamischen Religionsunterricht, der bundesweiten bildungspolitischen Situation des Faches mit besonderem Blick auf das Land Niedersachsen und auf den außerschulischen Bildungsangeboten, insbesondere dem religiösen Unterricht in Moscheegemeinden.

2.1 Rahmenbedingungen für islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen

Entwicklung und Akzeptanz des islamischen Religionsunterrichts sind in den einzelnen Bundesländern äußerst unterschiedlich. Alle Bundesländer unterliegen bundesweiten Rahmenbedingungen, aber auch länderspezifischen Besonderheiten. Bundesweit gelten die verfassungsrechtlichen Grundlagen. Wenn die Einführung des islamischen Religionsunterrichts gewollt ist, muss geprüft ←19 | 20→werden, unter welchen Umständen und mit welchem Modell er eingeführt werden kann. Damit sind institutionelle Herausforderungen verbunden, wie beispielsweise die Ausbildung der entsprechenden Lehrkräfte. Voraussetzung für die Umsetzung der auf Kultusminister-Ebene getroffenen Entscheidung, islamischen Religionsunterricht einzuführen, ist der Umsetzungswille der einzelnen Schulen, der nicht zuletzt mit den schulorganisatorischen Anforderungen zusammenhängt. Für eine fachdidaktische Besprechung und Analyse der bisherigen Entwicklung des Faches islamische Religion im Kontext der Kompetenzorientierung, die in den weiterführenden Kapiteln vorgenommen wird, ist ein Verständnis der äußeren Rahmenbedingungen seiner Einführung unerlässlich.

2.1.1 Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

Religionsunterricht ist das einzige Unterrichtsfach in Deutschland, dessen Berechtigung konkret im Grundgesetz verankert ist.

„Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“5

Details

Seiten
348
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631877777
ISBN (ePUB)
9783631877784
ISBN (Hardcover)
9783631872864
DOI
10.3726/b19805
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (April)
Schlagworte
Religionspädagogik Muslime Religiöse Bildung Schule Unterricht Islam Theologie Kerncurriculum Religiöse Kompetenz Moscheepädagogik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 348 S., 5 farb. Abb., 4 s/w Abb., 29 Tab.

Biographische Angaben

Annett Abdel-Rahman (Autor:in)

Annett Abdel-Rahman ist Lehrerin und islamische Religionspädagogin. Sie ist Landeskoordinatorin für das Netzwerk der Lehrkräfte islamische Religion im Auftrag des Kultusministeriums Niedersachsen, kommissarische Fachseminarleiterin, sowie Mitglied verschiedener Kommissionen zur Erstellung von Kerncurricula und Materialien für den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen. Am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück ist sie Lehrbeauftragte für Fachdidaktik islamische Religion.

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