Loading...

Das Gebot fairen Verhandelns beim Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags

by Fabian Gräf (Author)
©2021 Thesis 456 Pages
Series: Zivilrechtliche Schriften, Volume 80

Summary

Diese Arbeit untersucht das Gebot fairen Verhandelns. Dabei handelt es sich um ein erst seit kurzem im Fokus der Fachöffentlichkeit stehendes Instrument zum Willensschutz im Zivilrecht. Das Gebot fairen Verhandelns soll über die culpa in contrahendo einen Überrumpelungsschutz bieten, indem es ein Lösungsrecht im Falle der unzulässigen Beeinflussung der Willensbildung im vorvertraglichen Stadium schafft. Exemplarisch wird der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag in den Vordergrund gerückt. Es wird die Notwendigkeit, die Ausgestaltung auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite sowie die Zulässigkeit einer solchen Rechtsfigur ergründet, welche Ausdruck der fortschreitenden „Materialisierung" des Privatrechts ist.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • Kapitel 1: Einleitung
  • § 1 Gang und Gegenstand der Untersuchung
  • A. Gegenstand der Untersuchung und Problemstellung
  • B. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 2: Die rechtstheoretischen Voraussetzungen der Privatautonomie im Überblick
  • § 2 Selbstverantwortung und Selbstbestimmung
  • A. Verfassungsrechtliche Ausgangslage der Privatautonomie
  • B. Der Inhalt der Privatautonomie
  • C. Der ideale Vertragsschluss vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit
  • I. Der Grundsatz der sog. „Richtigkeitsgewähr“ von Verträgen
  • II. Einschränkungen der sog. „Richtigkeitsgewähr“ von Verträgen
  • D. Die Bindung an den Vertrag als Folge der Vertragsfreiheit
  • E. Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit im Rechtsverkehr
  • F. Das Problem der Fremdbestimmung bei formeller und materieller Vertragsfreiheit
  • I. Formelle Betrachtungsweise der Vertragsfreiheit
  • II. Materielle Betrachtungsweise der Vertragsfreiheit
  • III. Der Schutzmaßstab für die Grenze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung
  • Kapitel 3: Der etablierte Schutz des BGB
  • § 3 Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7.2.2019 zum Gebot fairen Verhandelns
  • A. Der Sachverhalt vor dem Bundesarbeitsgericht
  • B. Der Sachverhalt in den Vorinstanzen
  • C. Die Entscheidungen der Gerichte
  • § 4 Aufhebungsverträge im Arbeitsrecht
  • A. Allgemeines zu Aufhebungsverträgen im Arbeitsrecht
  • B. Übereilungsgefahr beim Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags
  • I. Nachträglicher Lösungswunsch durch den Arbeitnehmer
  • II. Mangelnde Information des Arbeitnehmers vor dem Vertragsschluss
  • III. Überrumpelung des Arbeitnehmers zur Herbeiführung des Vertrags
  • § 5 Der zivilrechtliche Schutz der Willensfreiheit vor Überrumpelungen
  • A. Entscheidungsfreiheit als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Willenserklärung
  • B. Geschäftsunfähigkeit nach den §§ 104 ff. BGB
  • C. Fehlendes Erklärungsbewusstsein
  • D. Totaldissens
  • E. Nichtigkeit wegen geheimen Vorbehalts gem. § 116 S. 2 BGB
  • F. Schutz durch die Schriftform
  • G. Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. §§ 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312b, 312 BGB
  • I. Entstehungshintergrund
  • II. Widerrufsrecht bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen
  • 1. Gesetzliches Widerrufsrecht bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen
  • a) Verbrauchervertrag beim Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags
  • aa) Unternehmereigenschaft des Arbeitgebers
  • bb) Verbrauchereigenschaft des Arbeitnehmers
  • b) Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag
  • c) Die problematische Entgeltlichkeit des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags
  • d) Anwendungsbereich des Widerrufsrechts bereits nicht eröffnet
  • aa) Wortlaut
  • bb) Telos: Schutz vor typischen Überrumpelungssituationen
  • cc) Systematik: „Besondere Vertriebsformen“
  • dd) Unionsrechtskonforme Auslegung
  • ee) Historie des Widerrufsrechts
  • ff) Zwischenergebnis
  • e) Ergebnis
  • 2. Analogie des Widerrufsrechts bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen
  • 3. Konkludente Vereinbarung eines vertraglichen Widerrufsrechts
  • III. Ergebnis
  • H. Rücktrittsrecht nach §§ 323 f. BGB
  • I. Rücktritt wegen nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung, § 323 Abs. 1 BGB
  • II. Rücktritt wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB gem. § 324 BGB
  • III. Konkludente Abbedingung des Rücktrittsrechts
  • I. Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB
  • J. Anfechtungsrecht nach den §§ 119 ff. BGB
  • I. Anfechtung wegen Inhalts-, Erklärungs- oder Eigenschaftsirrtum gem. § 119 BGB
  • 1. Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB
  • 2. Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB
  • 3. Eigenschaftsirrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB
  • 4. Ergebnis zu § 119 BGB
  • II. Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB
  • 1. Arglistige Täuschung gem. § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB
  • 2. Widerrechtliche Drohung gem. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB
  • a) Der feststehende und abschließende Begriff der Drohung
  • aa) Kündigung, Strafanzeige, Geltendmachung von Ansprüchen als Drohung
  • bb) Zeitdruck als Drohung
  • b) Widerrechtlichkeit der Drohung
  • aa) Die Rechtsfigur des verständigen Arbeitgebers
  • bb) Über die Zweck-Mittel-Relation zum fairen Verhandeln
  • (1) Vorschlag von M. Benecke
  • (2) Ähnliche Vorschläge aus der Literatur
  • (3) Rezeption der Vorschläge in der Literatur
  • (4) Stellungnahme
  • cc) Ergebnis zur Widerrechtlichkeit der Drohung
  • c) Kausalität der widerrechtlichen Drohung für die Erklärung
  • d) Subjektive Voraussetzungen
  • e) Darlegungs- und Beweislast
  • f) Analogie des § 123 Abs. 1 BGB im Fall einer Überrumpelung
  • 3. Ergebnis zur Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB
  • III. Anfechtungsfrist, §§ 121, 124 BGB
  • IV. Wirkungen der Anfechtung, § 142 Abs. 1 BGB
  • V. Ergebnis
  • K. Schutz vor Überrumpelung durch eine AGB-Kontrolle
  • L. Wucher gem. § 138 Abs. 2 BGB
  • I. Umstandsmoment des Wuchers
  • 1. Zwangslage bei Abschluss des Geschäfts
  • 2. Unerfahrenheit eines Vertragspartners
  • 3. Mangel an Urteilsvermögen eines Vertragspartners
  • 4. Erhebliche Willensschwäche eines Vertragspartners
  • II. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
  • III. Ergebnis zum Wucher
  • M. Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB
  • I. Allgemeines zur Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB
  • II. Inhaltssittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts
  • III. Umstandssittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts wegen Überrumpelung
  • 1. Keine Abschlusskontrolle durch § 138 Abs. 1 BGB
  • 2. Möglichkeit der Berücksichtigung der Abschlusssituation in § 138 Abs. 1 BGB
  • a) Die Gesamtbetrachtung der herrschenden Meinung
  • b) Das weite Verständnis der Umstandssittenwidrigkeit von Fischinger
  • c) Die weite Ansicht des LAG Thüringen zum Schuldanerkenntnis
  • d) Andere abweichende Teile der Literatur
  • e) Ergebnis
  • IV. Rechtsfortbildung des § 138 Abs. 1 BGB zur Abschlusskontrolle
  • V. Ergebnis zu § 138 Abs. 1 BGB
  • N. Schutz vor Überrumpelungen durch das Deliktsrecht
  • I. Überrumpelungsschutz durch § 823 Abs. 1 BGB
  • II. Überrumpelungsschutz durch § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Schutzgesetz
  • III. Überrumpelungsschutz durch § 826 BGB
  • IV Ergebnis zum Deliktsrecht
  • O. Treuwidrigkeit der Berufung auf den Vertrag nach § 242 BGB
  • I. Die Entscheidung des LAG Hamburg vom 3.7.1991
  • 1. Der Sachverhalt vor dem LAG Hamburg
  • 2. Das Urteil des LAG Hamburg
  • II. Die Ablehnung des Urteils des LAG Hamburg durch die weitere Rechtsprechung
  • III. Rezeption des Urteils des LAG Hamburg in der Literatur
  • 1. Gegen die vom LAG Hamburg behauptete unzulässige Rechtsausübung
  • 2. Gegen das vom LAG Hamburg vorgeschlagene Widerrufsrecht
  • 3. Zugeständnisse an die Entscheidung des LAG Hamburg
  • IV. Stellungnahme
  • P. Schutz der Willensbildung durch das UWG
  • I. Unzulässige Einflussnahme auf die Willensbildung im UWG
  • II. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das UWG
  • Q. Zusammenfassung des Schutzniveaus der untersuchten Vorschriften
  • Kapitel 4: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts
  • § 6 Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Vertragsfreiheit
  • A. „Handelsvertreterentscheidung“ vom 7.2.1990, BVerfGE 81, 242 ff.
  • I. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
  • II. Bedeutung der „Handelsvertreterentscheidung“
  • B. „Bürgschaftsentscheidung“ vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214 ff.
  • I. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
  • II. Rezeption der „Bürgschaftsentscheidung“ in der Literatur
  • III. Würdigung der „Bürgschaftsentscheidung“
  • IV. Relevanz der „Bürgschaftsentscheidung“ für das Gebot fairen Verhandelns
  • 1. Direkte Anknüpfung an die Entscheidung durch das Gebot fairen Verhandelns
  • a) Ungewöhnlich belastender Inhalt bei ordinärem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag
  • b) Strukturelle Unterlegenheit bei Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags
  • aa) Allgemeines zur strukturellen Unterlegenheit
  • bb) Keine strukturelle Unterlegenheit nach Ansicht der Rechtsprechung
  • cc) Der Rechtsprechung zustimmende Literatur
  • dd) Ablehnende Literatur
  • (1) Kritik am Formalismus der hM
  • (2) Unzureichender Schutz durch Kündigungsschutz
  • (3) Bedrohung der Eigenverantwortung
  • (4) Überlegenheit kraft Direktionsrecht
  • ee) Stellungnahme
  • c) Ergebnis
  • 2. Die beschränkte Anknüpfung an die „Bürgschaftsentscheidung“
  • a) Weiterhin keine Anknüpfung an das Kriterium des ungewöhnlich belastenden Inhalts möglich
  • b) Indirekte Anknüpfung an das Kriterium der strukturellen Unterlegenheit
  • c) Bedeutung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für das Gebot fairen Verhandelns
  • V. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs bei Anerkennung des Gebots fairen Verhandelns
  • Kapitel 5: Das Gebot fairen Verhandelns
  • § 7 Der Schutz durch §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB
  • A. Ausgangslage für das Gebot fairen Verhandelns
  • B. Die Bedeutung von Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB
  • I. Allgemeiner Inhalt von Nebenpflichten
  • II. Nebenpflichten vor dem Vertragsschluss
  • III. Das Gebot fairen Verhandelns als vorvertragliche Rücksichtnahmepflicht
  • 1. Entscheidungsfreiheit als Interesse i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB
  • 2. Rücksicht auf die Entscheidungsfreiheit als „Fairness“
  • a) Der zugrunde gelegte „Fairness“-Begriff
  • b) Die begriffliche Eingrenzung des Gebots fairen Verhandelns
  • c) Der Vergleich zu den vorvertraglichen Aufklärungspflichten
  • d) Der „Fairness“-Maßstab
  • 3. Anknüpfungspunkt bei bestehenden Vertragsverhältnissen
  • § 8 Entwicklung des Gebots fairen Verhandelns im deutschen Recht
  • A. Zögerliche Anfänge für die Rechtspflicht des fairen Verhandelns
  • B. Dogmatische Erarbeitung des Gebots fairen Verhandelns
  • § 9 Die „undue influence“ als Vorbild für einen materielleren Willensschutz im Rahmen der Vorschläge zur Privatrechtsvereinheitlichung
  • A. „Undue influence“
  • I. Einführung zur „undue influence“
  • 1. Allgemeines zur „undue influence“
  • 2. Entwicklung der „undue influence“
  • II. Die Unterscheidung zwischen „actual“ und „presumed undue influence“
  • 1. Die „actual undue influence“
  • 2. Die „presumed undue influence“
  • III. Sorgfaltspflichten und Zurechnung bei der „undue influence“
  • IV. Beispiel: Odorizzi v. Bloomfield School District
  • V. Weiterer Schutz
  • VI. Erkenntnisse für das Gebot fairen Verhandelns
  • 1. Anforderungen an einen Rechtsvergleich
  • 2. Gemeinsamkeiten zwischen „undue influence“ und dem Gebot fairen Verhandelns
  • 3. Bedeutung der „undue influence“ für das Gebot fairen Verhandelns
  • B. UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts („PICC“)
  • C. Principles of European Contract Law („PECL“)
  • D. Entwurf zum Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht („GEK-E“)
  • E. Ergebnis
  • § 10 Anwendbarkeit des Gebots fairen Verhandelns über den arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag hinaus
  • A. Anwendbarkeit des Gebots fairen Verhandelns im Arbeitsrecht insgesamt
  • B. Anwendbarkeit des Gebots fairen Verhandelns im allgemeinen Zivilrecht
  • § 11 Die Verletzung des Gebots fairen Verhandelns
  • A. Die problematische Begründung des Haftungsrahmens der Pflicht fair zu verhandeln
  • B. Parallele zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten
  • I. Keine konkrete gesetzliche Regelung von Aufklärungspflichten möglich
  • II. Funktion der vorvertraglichen Aufklärungspflichten
  • III. Maßstab bei vorvertraglichen Aufklärungspflichten
  • 1. Interessenabwägung als maßgebendes Kriterium
  • 2. Indikatoren für vorvertragliche Aufklärungspflichten
  • a) Vertretung oder Beratung der möglicherweise aufklärungsbedürftigen Partei
  • b) Bedenkzeit oder Widerrufsrecht der möglicherweise aufklärungsbedürftigen Partei
  • c) Tatsächliche Unterlegenheit der möglicherweise aufklärungsbedürftigen Partei
  • d) Initiative für den Vertragsschluss
  • e) Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien
  • f) Höhe und Vermeidbarkeit des drohenden Schadens
  • g) Ergebnis
  • C. Orientierung am UWG
  • I. Beschränkung des Schutzes des UWG auf den Leistungswettbewerb
  • II. Das moderne Schutzziel des UWG: Schutz der Selbstbestimmung
  • III. Stellungnahme
  • D. Typische Merkmale unfairer Verhandlungsmethoden
  • I. Überrumpelung einer Vertragspartei
  • 1. Überraschung einer Vertragspartei
  • a) Bedeutung einer Überraschung für die Willensbildung
  • b) Ankündigung des Gesprächs
  • aa) Vage Ankündigung des Gesprächs
  • bb) Keine Ankündigung des Gesprächs
  • c) Zeitpunkt des Gesprächs
  • d) Ort des Gesprächs
  • aa) Gewöhnlicher Ort
  • bb) Ungewöhnlicher Ort
  • e) Zwischenergebnis
  • f) Effektive Wahrnehmung eigener Interessen
  • g) Der Ansatz Kamanabrous für das Arbeitsverhältnis
  • aa) Beruflicher Kontextbezug als Rücksichtnahmepflicht
  • bb) Stellungnahme
  • h) Würdigung einer Überraschung
  • i) Wirkung des Fehlens einer Überraschung
  • 2. Ausübung von Zeitdruck durch eine Vertragspartei
  • a) Bedeutung von Zeitdruck
  • b) Wertung des § 147 Abs. 1 BGB
  • aa) Die Ansicht von Weiler: Irrelevanz der Wertung des § 147 Abs. 1 BGB
  • bb) Stellungnahme
  • c) Würdigung von Zeitdruck
  • d) Wirkung einer gewährten Bedenkzeit
  • 3. Keine Beratungsmöglichkeit einer Vertragspartei
  • a) Bedeutung einer Beratung mit Dritten
  • b) Würdigung des Fehlens einer Beratungsmöglichkeit
  • c) Wirkung einer Beratung
  • 4. Drohungen in der Verhandlungssituation
  • a) Bedeutung von Drohungen
  • b) Würdigung von Drohungen
  • aa) Unbeachtliche Drohungen
  • bb) Beachtliche Drohungen
  • 5. Kein Verhandlungsspielraum
  • 6. Numerisch-personelles Ungleichgewicht in der Verhandlungssituation
  • 7. Gesprächsatmosphäre
  • 8. Initiative zum Vertragsschluss
  • 9. Ergebnis: Kumulation der Merkmale
  • II. Abwägung der Wirkung der Überrumpelungsmethoden im Einzelfall
  • 1. Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien
  • 2. Wichtigkeit des Geschäfts
  • 3. Zustand der Vertragspartner
  • a) Konkrete, der Einflussnahme entzogene Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit
  • b) Generelle Defizite einer Seite
  • c) Anforderungen für die Vorteilsnahme an Defiziten und Auswirkungen
  • aa) Die Ansicht des Bundesarbeitsgerichts zur Ausnutzung von Defiziten
  • bb) Ähnliche Ansichten in der Literatur
  • cc) Stellungnahme
  • 4. Abwägungsmaßstab für das Gebot fairen Verhandelns
  • III. Typusbegriff für die Feststellung einer Verletzung des Gebots fairen Verhandelns
  • Kapitel 6: Einbettung in die culpa in contrahendo als Schadensersatzanspruch
  • § 12 Der Tatbestand der vorvertraglichen Pflichtverletzung
  • A. Vorvertragliches Schuldverhältnis
  • B. Pflichtverletzung durch Missachtung des Gebots fairen Verhandelns
  • C. Vertretenmüssen der Pflichtverletzung
  • I. Eigenes Vertretenmüssen
  • II. Zurechenbarkeit der Handlungen Dritter
  • 1. Erfüllungsgehilfen und gesetzliche Vertreter
  • 2. Organe juristischer Personen
  • 3. Außenstehende Dritte
  • D. Schaden
  • I. Vermögensschaden im Rahmen der culpa in contrahendo erforderlich
  • II. Kein Vermögensschaden bei culpa in contrahendo erforderlich
  • III. Ergebnis
  • E. Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden
  • I. Ausschluss der Kausalität
  • II. Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens und das Gebot fairen Verhandelns
  • F. Ergebnis
  • § 13 Die Rechtsfolge einer Verletzung des Gebots fairen Verhandelns
  • A. Zulässigkeit der schadensrechtlichen Rückabwicklung bei Verletzung des Gebots fairen Verhandelns
  • I. Kein Verbot der vertraglichen Rückabwicklung über die culpa in contrahendo
  • II. Teilweise keine Rückabwicklung bei vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzungen
  • 1. Begründung für die Nichtrückabwicklung bei Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten beim arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag
  • 2. Keine Übertragbarkeit auf das Gebot fairen Verhandelns
  • B. Umsetzung der Rückabwicklung bei der Verletzung des Gebots fairen Verhandelns
  • I. Nichtigkeit des Vertrags und Wiederaufleben eines beendeten Verhältnisses (BAG)
  • II. Anspruch auf Rückabwicklung und Neubegründung eines beendeten Vertrags
  • 1. Keine „ipso iure“ Wirkung des § 249 Abs. 1 BGB
  • 2. Alternative zur Rückabwicklung: „Kleiner Schadensersatz“
  • 3. Besonderheiten bei Aufhebungsverträgen in der Naturalrestitution
  • a) Umgang mit dem Aufhebungsvertrag
  • aa) Gestaltungswirkung des Aufhebungsvertrags noch ausstehend
  • bb) Gestaltungswirkung des Aufhebungsvertrags bereits eingetreten
  • b) Ersetzbarkeit von zwischenzeitlich entstandenen Schäden
  • aa) Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB
  • bb) Fortbestehen der Schuld nach § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB
  • cc) Stellungnahme
  • c) Die Beachtlichkeit von Kündigungen im Rahmen der Naturalrestitution
  • aa) Wirkung einer Drohung mit Kündigung in der Naturalrestitution
  • bb) Wirkung einer bereits erfolgten Kündigung in der Naturalrestitution
  • d) Besonderheit im Arbeitsrecht: Bereits anderweitig besetzter Arbeitsplatz
  • 4. Besonderheiten im Familienrecht für die Rückabwicklung
  • C. Mitverschulden und Schadensminderungspflicht des Überrumpelten
  • D. Ergebnis
  • § 14 Darlegungs- und Beweislast im Prozess
  • A. Schuldverhältnis
  • B. Pflichtverletzung
  • I. Vermutung der Pflichtverletzung aufgrund einer Nähebeziehung
  • II. Darlegungs- und Beweislasterleichterung für die Pflichtverletzung bei Geltendmachung einer Verletzung des Gebots fairen Verhandelns
  • 1. Gründe für eine Darlegungs- und Beweislasterleichterung im Rahmen der Pflichtverletzung
  • 2. Keine fruchtbare Parallele zur Darlegungs- und Beweislasterleichterung bei vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzungen
  • 3. Keine Übertragung der Rechtsprechung zur Angehörigenbürgschaft
  • 4. Abgestufte Darlegungs- und Beweislast für das Geltendmachen einer Pflichtverletzung
  • C. Vertretenmüssen
  • D. Schaden
  • E. Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden
  • I. Beweislasterleichterung bei vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzungen
  • II. Übertragbarkeit auf das Gebot fairen Verhandelns
  • III. Rechtmäßiges Alternativverhalten
  • F. Schadensminderung
  • G. Ergebnis
  • § 15 Die Frist des Schadensersatzanspruchs bei Verletzung des Gebots fairen Verhandelns
  • A. Die Problematik der Fristbestimmung
  • B. Regelmäßige Verjährung nach § 195 BGB
  • C. Analoge Anwendung der Anfechtungsfrist des § 124 BGB
  • D. Analoge Anwendung der Anfechtungsfrist des § 121 BGB
  • E. Differenzierte analoge Anwendung der Anfechtungsfristen von § 124 BGB oder § 121 BGB
  • F. Analoge Anwendung der Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 2 BGB
  • G. Fristbestimmung durch Einzelfallbetrachtung
  • H. Stellungnahme
  • I. Die Beachtlichkeit besonderer Ausschlussfristen
  • J. Besonderheit arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag: § 4 KSchG
  • § 16 Abdingbarkeit des Gebots fairen Verhandelns
  • Kapitel 7: Zulässigkeit des Gebots fairen Verhandelns neben bestehenden Rechtsinstituten
  • § 17 Konkurrenzen zu einzelnen Schutzvorschriften
  • A. Problemstellung
  • B. Konkurrenz zu den Regeln über Willenserklärungen
  • C. Konkurrenz zur Geschäftsunfähigkeit nach den §§ 104 ff. BGB
  • D. Konkurrenz zum Formzwang
  • E. Konkurrenz zum geheimen Vorbehalt nach § 116 S. 1 BGB
  • F. Konkurrenz zur Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB
  • I. Konkurrenz zu § 119 BGB
  • II. Konkurrenz zu § 123 Abs. 1 BGB
  • 1. Die grundsätzliche Vereinbarkeit von § 123 Abs. 1 BGB und der culpa in contrahendo
  • 2. Spannungsfeld zur culpa in contrahendo beim Gebot fairen Verhandelns
  • a) Keine Zulässigkeit des Gebots fairen Verhandelns neben § 123 Abs. 1 BGB
  • b) Keine abschließende Wirkung des § 123 Abs. 1 BGB
  • aa) Keine generelle abschließende Wirkung des § 123 Abs. 1 BGB
  • bb) Keine spezielle ausschließende Wirkung gegenüber dem Gebot fairen Verhandelns
  • (1) Systematische Stellung des § 123 Abs. 1 BGB
  • (2) Kein Schutz der Willensbildung „unterhalb der Schwelle“ des § 123 Abs. 1 BGB
  • (3) Vergleich zur anerkannten fahrlässigen Täuschung
  • (4) Schutz der Selbstbestimmung statt striktes Vorsatzdogma
  • (5) Unterschiede in der Zurechnung
  • (6) Andere Schutzrichtung von Anfechtungsrecht und dem Gebot fairen Verhandelns
  • (7) Historie der culpa in contrahendo
  • (8) Irrelevanz einer faktisch zu weiten Anwendung des Gebots fairen Verhandelns
  • 3. Ergebnis zu § 123 Abs. 1 BGB
  • III. Konkurrenzen im konkreten Fall
  • IV. Ergebnis zur Anfechtung
  • G. Konkurrenz zu den Widerrufsrechten
  • I. Einführung zu den Widerrufsrechten
  • II. Konkurrenz zu dem Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge
  • III. Konkurrenz zu dem Widerrufsrecht für den Verbraucherkredit
  • IV. Konkurrenz zu dem Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen
  • 1. Abschließende Wirkung des Widerrufsrechts bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen
  • 2. Keine abschließende Wirkung des Widerrufsrechts bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen
  • V. Konkurrenz zum Widerrufsrecht des § 8 VVG
  • VI. Wirkung des Fehlens eines Widerrufsrechts bei tatsächlichen Drucksituationen
  • VII. Konkurrenzen im konkreten Fall
  • VIII. Ergebnis
  • H. Konkurrenz zu den Rücktrittsrechten
  • I. Konkurrenz zur Störung der Geschäftsgrundlage
  • J. Konkurrenz zur Inhaltskontrolle im AGB-Recht
  • K. Konkurrenz zur Sittenwidrigkeit
  • I. Keine Zulässigkeit des Gebots fairen Verhandelns neben § 138 Abs. 1 und Abs. 2 BGB
  • II. Zulässigkeit des Gebots fairen Verhandelns neben § 138 Abs. 1 und Abs. 2 BGB
  • III. Konkurrenzen im konkreten Fall
  • L. Konkurrenz zu den Vorschriften des Deliktsrechts
  • M. Konkurrenz zu § 242 BGB (Treu und Glauben)
  • N. Konkurrenz zu § 4a UWG
  • O. Ergebnis zu speziellen Konkurrenzen
  • § 18 Gesamtbetrachtung des Regelungssystems des BGB
  • A. Keine Zulässigkeit des Gebots fairen Verhandelns im System des BGB
  • B. Zulässigkeit des Gebots fairen Verhandelns im System des BGB
  • I. Keine grenzenlose Verfolgung der Eigeninteressen
  • II. Kein Widerspruch zu „pacta sunt servanda“ und der Privatautonomie
  • III. Keine Systemfeindlichkeit des Gebots fairen Verhandelns
  • IV. Ausgleich der Defizite im Schutz des historischen BGB
  • V. Keine unzulässige Beeinträchtigung der Rechtssicherheit durch das Gebot fairen Verhandelns
  • C. Ergebnis
  • § 19 Widerrufsrecht beim arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag de lege ferenda und Gebot fairen Verhandelns
  • Kapitel 8: Schluss
  • § 20 Resümee
  • § 21 Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis

←24 | 25→

Kapitel 1: Einleitung

§ 1 Gang und Gegenstand der Untersuchung

„Schrankenlose Vertragsfreiheit zerstört sich selbst. Eine furchtbare Waffe in der Hand des Starken, ein stumpfes Werkzeug in der Hand des Schwachen, wird sie zum Mittel der Unterdrückung des Einen durch den Anderen, der schonungslosen Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher Übermacht.“ 1

A. Gegenstand der Untersuchung und Problemstellung

Mit diesen Worten plädierte Otto von Gierke im Jahre 1889 für eine materielle Absicherung der Vertragsfreiheit. An dieser Mahnung setzt das Gebot fairen Verhandelns an. Es soll ein Mindestmaß an Fairness in der Verhandlungssituation vor Abschluss eines Vertrags sicherstellen, um vor unzulässiger Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit durch die Gegenseite zu schützen.2 Kürzlich erfuhr das Gebot fairen Verhandelns große Aufmerksamkeit durch eine bemerkenswerte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2019.3 Das ←25 | 26→Urteil und seine Rezeption zeigen das Bedürfnis der Untersuchung und Weiterentwicklung dieser Rechtsfigur auf. Das Gebot fairen Verhandelns nimmt sich der komplexen Frage an, wann eine unzulässige Einflussnahme auf die Willensbildung der Gegenseite während Vertragsverhandlungen vorliegt, welche nicht mehr im Einklang mit den Grundsätzen der Privatautonomie steht und welche Konsequenzen aus einer solchen unzulässigen Einflussnahme zu ziehen sind.

Es werden mithin Grundfragen der deutschen Vertragsrechtsordnung berührt. Das Gebot fairen Verhandelns sichert die Abschlussfreiheit, also die Frage, ob überhaupt und mit wem ein Vertrag geschlossen werden soll. Es ist demnach ein Instrument der weniger untersuchten Abschlusskontrolle und nicht der viel diskutierten Inhaltskontrolle. Ausschlaggebend ist infolgedessen die konkrete Verhandlungssituation als solche und nicht der Inhalt des Vertrags. Bydlinski bietet eine wertvolle Orientierungshilfe, wenn er feststellt: „Je unmittelbarer die Rechtsfolge vom Willen getragen ist und je besser die Willensbildung qualifiziert ist, umso weniger kommt es auf die Äquivalenz der Leistungen und Rechtspositionen an“4.

Die Abschlusssituation wird in diesem Sinne vielfach auch in einer Inhaltskontrolle berücksichtigt5 (vgl. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB) und erweist sich dort als wichtiges Element einer ausgewogenen Vertragskontrolle. Bei dem Einsatz von unfairen Verhandlungsmethoden wird der Druck jedoch ausschließlich in der Abschlusssituation ausgeübt, ohne dass der Inhalt des Vertrags nachteiliger Natur sein muss. Es wird bereits die Willensbildung der überrumpelten Seite „überschrieben“, weshalb im logischen Umkehrschluss dem konkreten Inhalt des Vertrags in einer Abschlusskontrolle keine Relevanz mehr zuzumessen ist. Anzusetzen ist daher bei der Entscheidungsfreiheit im Sinne einer selbstbestimmten Ausübung der Privatautonomie.

Aufgrund der Vielzahl von möglichen Lebenssachverhalten, in denen eine Verhandlungsseite der anderen in irgendwie gearteter Weise in der Abschlusssituation überlegen ist und diese Vorteile ausnutzt, indem sie die andere Seite gezielt unter Druck setzt, ist das Gebot fairen Verhandelns von hoher praktischer Relevanz. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts6 stellt insofern einen ←26 | 27→Meilenstein für mehr tatsächliche Gerechtigkeit dar. Sei es insbesondere bei Aufhebungs- oder Änderungsverträgen,7 Schuldanerkenntnissen,8 Immobilienkäufen,9 der Beteiligung an Immobilienfonds,10 familienrechtlichen Verträgen,11 wozu auch erbrechtliche Verzichtserklärungen (§§ 2346 ff. BGB)12 gehören, der Übernahme von Bürgschaften13 oder auch Zuliefererverträgen, beziehungsweise einfachen Kaufverträgen – in diesen alltäglichen Bereichen kann und soll das Gebot fairen Verhandelns der schwächeren Seite eine Absicherung bieten und ein Mindestmaß an freier Willensbildung und Äußerung garantieren. Unfaire Verhandlungsmethoden können in vielerlei Gewandung auftreten. Einleitend seien typischerweise insbesondere Überraschung, Zeitdruck, fehlende Beratung, autoritatives Verhalten und Druckausübung durch Drohungen genannt. Ob diese Methoden bereits nach den anerkannten Schutznormen des BGB berücksichtigt werden und inwieweit die Berücksichtigung jenseits dieser Normen überhaupt zulässig ist, ist Frage dieser Arbeit.

←27 | 28→

B. Gang der Untersuchung

Durch diese Arbeit soll eine ausführliche und einheitliche dogmatische Auseinandersetzung mit dem Gebot fairen Verhandelns vorgenommen werden. Die nachfolgende Arbeit bezieht sich auf das den Diskurs auslösende Feld des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags, ordnet das Gebot fairen Verhandelns aber auch im allgemeinen Zivilrecht ein und betrachtet dort seine Zulässigkeit als allgemeine Maxime. Dafür werden arbeitsrechtliche Anknüpfungen gewählt. Dies hat seinen Grund nicht nur in der das Thema anstoßenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts,14 sondern ist auch der vornehmlich arbeitsrechtlichen Entwicklung des Gebots fairen Verhandelns geschuldet.15 Denn im Arbeitsrecht finden sich regelmäßig Verhandlungsungleichgewichte gepaart mit strengeren Nebenpflichten als bei anderen Vertragsverhältnissen.16 Ziel der Arbeit ist es, die grundsätzliche Notwendigkeit und Zulässigkeit des Gebots fairen Verhandelns, dessen Tatbestandsvoraussetzungen und die Rechtsfolge anhand der Lage beim arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag zu ergründen.

Als Erstes werden dafür rechtstheoretisch die Grundlagen der Vertragsfreiheit und ihre anerkannten Voraussetzungen in den Blick genommen. Im Anschluss erfolgt eine kurze Darstellung der wegweisenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts17 und eine Bestandsaufnahme der Situation beim arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag, welcher der Entscheidung zugrunde liegt. Zunächst werden dann die bestehenden Schutzmechanismen des BGB in Hinblick auf ihre Tauglichkeit zum Schutz vor Überrumpelungen untersucht. Hierbei wird der Schwerpunkt auf den der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde liegenden Fall des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags gelegt. Die Prüfung der bestehenden Schutzmechanismen ist notwendig, um eventuelle Schutzlücken und damit das potenzielle Anwendungsfeld und die Notwendigkeit des Gebots fairen Verhandelns zu ermitteln.

Danach erfolgt eine Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherung der Vertragsfreiheit. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang die Konsequenzen der Unterscheidung von Inhalts- und ←28 | 29→Abschlusskontrolle einzuordnen. Dort ist außerdem die Frage zu klären, ob eine strukturelle Unterlegenheit für die Anwendbarkeit des Gebots fairen Verhandelns vorauszusetzen ist und inwiefern für das Gebot fairen Verhandelns an die Vorgaben der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts18 angeknüpft werden kann.

Sodann wird das Gebot fairen Verhandelns mit der culpa in contrahendo verknüpft. An dieser Stelle wird der dogmatische Ansatzpunkt für das Gebot fairen Verhandelns auch in bereits bestehenden Vertragsverhältnissen festgestellt. Es folgt eine Darstellung der Entwicklung des Gebots fairen Verhandelns im deutschen Recht. Daran schließt sich eine Beleuchtung der englischen Rechtsfigur der „undue influence“ und einiger Vorschläge im Rahmen der Bestrebungen einer Privatrechtsvereinheitlichung als mögliche Vorbilder eines materielleren Willensschutzes an. Danach wird die Anwendbarkeit des Gebots fairen Verhandelns im allgemeinen Zivilrecht ergründet.

Um Erkenntnisse über die Ausgestaltung des Gebots fairen Verhandelns zu gewinnen, wird anschließend eine Untersuchung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten vorgenommen, welche ebenfalls als Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB über § 311 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden können. Weiterhin wird das Lauterkeitsrecht auf Anhaltspunkte für die tatbestandliche Ausgestaltung des Gebots fairen Verhandelns in Augenschein genommen. Nachfolgend werden die Voraussetzungen für eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns ausführlich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und den zahlreichen punktuellen Ansätzen der Forschung als Typusbegriff erarbeitet.

Alsdann erfolgt eine Einbettung des Gebots fairen Verhandelns in den allgemeinen Rahmen der culpa in contrahendo. Unter umfangreicher Berücksichtigung aller Probleme wird der gesamte Tatbestand der vorvertraglichen Haftung wegen Verletzung des Gebots fairen Verhandelns erörtert. Hiernach erfolgt eine kritische Prüfung der Rechtsfolge einer Verletzung des Gebots fairen Verhandelns. Im Anschluss ist die Darlegungs- und Beweislast für die einzelnen Tatbestandsmerkmale sowie die problematische Verjährungsdauer Gegenstand der Betrachtung.

Zuletzt wird sich der Frage der Zulässigkeit des Gebots fairen Verhandelns in abstrakter sowie konkreter Konkurrenz zu den im BGB bereits bestehenden Schutzmechanismen angenommen. Dafür werden die jeweiligen Normen sowohl einzeln als auch in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung ←29 | 30→der Rechtssicherheit, der Vertragstreue und der historischen Konzeption des BGB in ihrer Beziehung zum Gebot fairen Verhandelns betrachtet. Die Arbeit schließt mit Überlegungen zu den Auswirkungen der Anerkennung des Gebots fairen Verhandelns für das diskutierte, aber de lege lata nicht existente Widerrufsrecht bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen und einem Resümee.


1 Gierke S. 28 f.

2 BAG 7.2.2019, NZA 2019, 688 Rn. 34; LAG Mecklenburg-Vorpommern 19.5.2020, NZA-RR 2020, 520 Rn. 24; Heinkel ZTR 2020, 261 (266); Reinecke FS Düwell, 410 (410); Thüsing RdA 2005, 257 (268); Formulierung „Mindestmaß an Fairneß“ bereits in BGH 10.3.1982, NJW 1982, 1457 (1457).

3 BAG 7.2.2019, NZA 2019, 688 Rn. 30 ff.; dazu folgende Entscheidungsbesprechungen: Adam EzA § 312 BGB 2002 Nr. 4, S. 18 (18 ff.); Bachmann/Ponßen NJW 2019, 1966 (1969 f.); Bauer ArbRAktuell 2019, 93 (93); ders./Romero ZfA 2019, 608 (608 ff.); Boemke JuS 2019, 1204 (1204 ff.); Däubler NZA 2020, 10 (11); Eckert DStR 2019, 1213 (1218); Esser ArbRB 2019, 164 (164 f.); Fischer jurisPR-ArbR 23/2019 Anm. 5; Fischinger NZA 2019, 729 (730 ff.); Frank AuA 2019, 616 (616); Gundel/Sartorius ZAP 2019, 1241 (1241 ff.); Heinkel ZTR 2020, 261 (264 ff.); Holler NJW 2019, 2206 (2206 ff.); Hördt ArbRAktuell 2019, 289 (289 ff.) „wird die Praxis nachhaltig beeinflussen“; Kamanabrou RdA 2020, 201 (201 ff.); Langkamp/Ruckh RÜ 2019, 485 (485 ff.); Ley BB 2019, 1600 (1600); Lingemann/Chakrabarti NJW 2019, 2445 (2447); Martin IBR 2019, 1118 (1118); S. Müller DB 2019, 1792 (1792 ff.); Notzon öAT 2020, 4 (5 f.); Ostermaier GWR 2019, 350 (350); Petersen NWB 2019, 1682 (1691 f.); Plum MDR 2020, 69 Rn. 1 ff.; Reufels/Pütz ArbRB 2020, 253 ff.; Roos/Wulf notar 2019, 389 (393); Schmidt AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 50, S. 1180 (1183 ff.); Schmitt-Rolfes AuA 2019, 207 (207); Schubert EWiR 2019, 537 (537 f.); Schwarze JA 2019, 789 (789 ff.); Spilger NZA 2020, 357 (357 f.); Spitz jurisPR-ITR 13/2019 Anm. 5; Steinau-Steinrück/Benkert NJW Spezial Heft 12/2019, 370 (371); Tiedemann ArbRB 2020, 61 (61 ff.); Zimmer JZ 2019, 897 (897 ff.); Zimmermann/Völkerding DB 2019, 1628 (1628); vgl. auch zu einer danach ergangenen instanzgerichtlichen Entscheidung Eufinger DB 2020, 2695 (2695); Fischinger NZA-RR 2020, 516 (516 ff); Hamann jurisPR-ArbR 30/2020 Anm. 4.

4 Bydlinski S. 174.

5 Lorenz S. 4 sieht dies als gängigen Anknüpfungspunkt für Inhaltskontrollen an.

6 BAG 7.2.2019, NZA 2019, 688 Rn. 30 ff.

7 Vgl. an dieser Stelle nur BAG 7.2.2019, NZA 2019, 688 Rn. 30 ff.

8 Für das Arbeitsrecht LAG Mecklenburg-Vorpommern 4.12.2018 – 2 Sa 143/18, BeckRS 2018, 46462; Zimmer JZ 2019, 897 (900).

9 OLG München 11.4.2002 – 24 U 428/01, BeckRS 2002, 30252535 zu A. 3. der Gründe; Lorenz FS Canaris, 777 (789 f.). Beachte dort aber § 17 Abs. 2a Nr. 2 BeurkG. Bei einem Verstoß ist die Folge jedoch nur die Amtshaftung des Notars und eine disziplinarrechtliche Ahndung, vgl. §§ 19, 93 ff. BNotO, Zimmer JZ 2019, 897 (899).

10 Lorenz FS Canaris, 777 (790).

11 Lettmaier FS Koch, 375 (384 ff.); Zimmer JZ 2019, 897 (899 f.); allg. Röthel NJW 2012, 337 (338).

12 An einer überzeugenden Lösung fehle es im Rahmen dieser Konstellation noch. Deshalb für das Gebot fairen Verhandelns Lettmaier FS Koch, 375 (375, 384 ff.); Zimmer JZ 2019, 897 (899); ähnlich Plum MDR 2020, 69 Rn. 7; siehe dazu auch allg. Röthel NJW 2012, 337 (338), die hier zurecht „situationstypische Durchsetzungsgefälle und verzichtstypische Rationalitätsdefizite“ sowie eine in hohem Maße bestehende Gefahr von „Rücksichtslosigkeit“ und „Übervorteilung und Überforderung“ (341) sieht.

13 BGH 16.1.1997, NJW 1997, 1980 (1981 f.) löste die „Überrumpelung“ über § 138 Abs. 1 BGB. Möglicherweise wäre auch über das Gebot fairen Verhandelns eine Lösung zu erzielen gewesen, da die Bank den Bürgen „in eine Lage brachte, in der […] eine eigenverantwortliche Abwägung der für und gegen eine Bürgschaftsübernahme sprechenden Gründe nicht möglich war“.

14 BAG 7.2.2019, NZA 2019, 688 Rn. 30 ff.

15 Vgl. Fischinger NZA 2019, 729 (734); Holler NJW 2019, 2206 (2206 f.); s. zur Entwicklung Kap. 5 § 8.

16 Andere Vertragsverhältnisse, in denen häufig Verhandlungsungleichgewichte vorliegen, sind beispielsweise Mietverträge, Kreditverträge oder Zuliefererverträge.

17 BAG 7.2.2019, NZA 2019, 688 Rn. 30 ff.

18 BVerfG 19.10.1993, BVerfGE 89, 214 ff.

←30 | 31→

Kapitel 2: Die rechtstheoretischen Voraussetzungen der Privatautonomie im Überblick

Die Privatautonomie ist der dem Gebot fairen Verhandelns zugrunde liegende rechtstheoretische Ausgangspunkt. Aus diesem Grund werden die Privatautonomie und ihre zentralen Komponenten Selbstverantwortung und Selbstbestimmung einführend dargestellt.

§ 2 Selbstverantwortung und Selbstbestimmung

Im Mittelpunkt der rechtstheoretischen Herleitung eines Schutzes vor Einflussnahme auf die Willensbildung und der Bindung an den Vertrag stehen die Gedanken der Selbstverantwortung und Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsverkehr.

A. Verfassungsrechtliche Ausgangslage der Privatautonomie

Das Grundgesetz enthält im Gegensatz zu Art. 152 WRV keine ausdrückliche Anerkennung des Grundrechts der Privatautonomie. Es bietet aber mit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG dessen Grundlage.19 Eine Ausnahme hiervon ist dann anzuerkennen, wenn in bestimmten Konstellationen bereits andere Grundrechte einen entsprechenden Schutz gewähren, denn dann tritt Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht hinter diesen zurück.20 Im Bereich der Arbeitsverhältnisse ist beispielsweise Art. 12 GG ←31 | 32→spezieller, sodass dort vorrangig dieser die Privatautonomie des Arbeitgebers und Arbeitnehmers schützt.21 Da im Folgenden nur die Vertragsfreiheit als Unterfall der Privatautonomie22 thematisiert wird, werden die Begriffe Vertragsfreiheit und Privatautonomie teilweise synonym zueinander verwendet.23

B. Der Inhalt der Privatautonomie

Die Privatautonomie ist das „Prinzip der eigenen Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“24. Sie räumt dem Einzelnen im Wege der Vertragsfreiheit das Recht ein, Verträge abzuschließen oder nicht abzuschließen und über ihren Inhalt, die Form und eine etwaige Auflösung oder Änderung selbstbestimmt zu entscheiden.25 Privatautonomie bedeutet insoweit Freiheit von Fremdbestimmung.26 Die Vertragsfreiheit betrifft immer beide Kontrahenten und kann deshalb auch als Freiheit beider Seiten bezeichnet werden.27

←32 | 33→

C. Der ideale Vertragsschluss vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit

Das grundsätzliche Instrument zur freien Gestaltung der eigenen Verhältnisse ist der Vertrag. In diesem bringen die Vertragspartner ihre individuellen Interessen in einen Ausgleich zueinander.28 Der Vertrag soll deshalb Folge beiderseitig in Anspruch genommener Selbstbestimmung sein.29

I. Der Grundsatz der sog. „Richtigkeitsgewähr“ von Verträgen

Da die Vertragsparteien den Vertrag selber ausgehandelt und geschlossen haben, ist grundsätzlich von einem sachgerechten Interessenausgleich auszugehen.30 Dies bedeutet eine grundsätzliche „Richtigkeitsvermutung“ zugunsten des Vertrags, das heißt, dass der Vertrag unter Würdigung aller relevanten Umstände gerecht für die Parteien ist.31 Diesen privaten Interessenausgleich hat der Staat ←33 | 34→zu respektieren, indem er die Gültigkeit des Vertrags grundsätzlich nicht infrage stellt.32 In der Vielzahl der Fälle, in denen die Privatautonomie funktioniert, bedarf es keiner Kontrolle des Vertrags.33 Die individuellen Präferenzen der Kontrahenten werden von der Privatautonomie dadurch berücksichtigt, dass sie einen weitläufigen Gestaltungsspielraum lässt. Dieser wird inhaltlich lediglich eingegrenzt durch Normen wie §§ 134, 138 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Die umfassende Gestaltungsfreiheit hat ihren Grund in dem der Privatautonomie zugrunde liegenden Gedanken der Selbstbestimmung.

II. Einschränkungen der sog. „Richtigkeitsgewähr“ von Verträgen

Wegen der enormen Gestaltungsfreiheit ist die Vertragsfreiheit jedoch wiederum anfällig für ungleiche Verhandlungslagen und Ergebnisse aufgrund einer unterschiedlichen Machtverteilung.34 Deshalb wird für die „Richtigkeitsvermutung“ des Vertrags vielfach noch ein annäherndes Machtgleichgewicht bei der Verhandlung vorausgesetzt.35 Im durch die Verfassung legitimierten Wirtschafts- und Rechtssystem Deutschlands ist eine völlige Machtgleichheit allerdings weder zwingend vorgeschrieben noch möglich, vielmehr sind gewisse Unterschiede zwingende Folge.36 Nicht jede Störung vermag deshalb die Vermutung des voll privatautonomen Handelns zu erschüttern,37 denn ein tatsächliches ←34 | 35→Gleichgewicht ist kaum herstellbar.38 Daraus folgt, dass nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Situationen, in denen eine strukturelle Unterlegenheit vorliegt und der Inhalt des Vertrags besonders belastend ist, das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) und die Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) es gebieten, dass der schwächere Vertragsteil geschützt wird.39 Die Anknüpfung an das Sozialstaatsprinzip ist nur durch das typische Machtgefälle zu begründen.

D. Die Bindung an den Vertrag als Folge der Vertragsfreiheit

Die einseitige Beendigung eines Vertragsverhältnisses ist, mit Ausnahme bei Dauerschuldverhältnissen, genauso wie der einseitige Schluss eines Vertrags grundsätzlich nicht möglich.40 Das folgt bereits aus dem Erfordernis der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes41 und findet seinen Ausdruck in dem für das Vertragsrecht essenziellen Prinzip „pacta sunt servanda“.42 Ein allgemeines Reuerecht ist dem deutschen Schuldrecht dadurch naturgemäß fremd.43 Üblicherweise überwiegt aufgrund des gegebenen Wortes das Interesse des Erklärungsadressaten an dem Fortbestand des Vertrags das Lösungsinteresse des Erklärenden.44 Ist dies nicht der Fall, so kann der Vertrag ausnahmsweise ←35 | 36→beseitigt werden.45 Dabei ist zu beachten, dass auch das Vertrauen des Erklärenden, nicht gegen seinen Willen in Rechtsgeschäfte gedrängt zu werden, schutzwürdig ist.46 Gleichzeitig kann eine überrumpelnde Partei nicht auf den Bestand des von ihr pflichtwidrig herbeigeführten Vertrags vertrauen.47

Die theoretische Grundlage für die Bindung an getätigte Willenserklärungen liegt primär aber im fundamentalen Verständnis von Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. Das Korrelat zur Privatautonomie ist die Selbstverantwortung der Person.48 Aufgrund der Selbstverantwortung sind die Vertragspartner im Nachhinein jeweils an den Vertrag gebunden.49 Weil das rechtsverbindliche Wort gegeben wurde, muss es grundsätzlich Bestand haben. Die Selbstverantwortung erwächst allerdings erst aus erfolgter Selbstbestimmung. Privatautonome Bindung ist konzeptionell nur dann gerechtfertigt, wenn diese aus Selbstbestimmung folgt.50 Vertragstreue kann demnach von der Rechtsordnung grundsätzlich nicht ohne vorherige Selbstbestimmung, also einer freien, selbstbestimmten Entscheidung beim Vertragsschluss verlangt werden.51 Selbstverantwortung ←36 | 37→kann deshalb nicht ohne Berücksichtigung der Selbstbestimmung bedacht werden.52

E. Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit im Rechtsverkehr

Der Gedanke der Verantwortlichkeit für eigenes Handeln ruht jedem Rechtssystem inne.53 Die Privatautonomie beinhaltet deshalb den Grundsatz, dass jeder selbst für die von ihm geschlossenen Verträge verantwortlich ist und dafür Sorge zu tragen hat, sich vor dem Vertragsschluss ausreichend zu informieren und abzuwägen, welche Folgen der Vertragsschluss hat und ob dieser vorteilhaft ist.54 Bei später nicht mehr gewollten Erklärungen ist darum zwischen solchen, die schlicht unüberlegt und unvernünftig gefallen sind und solchen, die aus einer Fremdbestimmung, beziehungsweise unzulässigen Beeinflussungen resultieren, zu unterscheiden. Erstere müssen ihre Geltung behalten,55 Letztere hingegen sind mit der Privatautonomie nicht zu vereinbaren und bedeuten eine Beschneidung der Grundrechte.56

Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sind insofern die entscheidenden Pfeiler der Privatautonomie.57 Es ist deshalb festzuhalten, dass es legitim ist, sich mittels geschickter Verhandlungsführung Vorteile zu verschaffen.58 So ←37 | 38→wie einer allumfassenden vorvertraglichen Aufklärungspflicht des Arbeitgebers Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und möglicherweise auch 14 Abs. 1 GG entgegenstehen,59 ist eine völlig neutrale und vorteilslose Verhandlungspflicht nicht mit der Privatautonomie zu vereinbaren.

Das Vorliegen von Ungleichgewichtslagen, aus denen eine Seite bis zu einem gewissen Maße im Einzelfall Vorteile ziehen kann und dadurch das vorteilhaftere Geschäft abschließt, ist vielmehr prägendes Merkmal der Privatautonomie.60 Eine Einschränkung der Privatautonomie soll nach der Konzeption des BGB, welches die freiheitliche Selbstbestimmung zugrunde legt, deshalb die Ausnahme bleiben.61 Das zeigt sich auch daran, dass der Gesetzgeber in bestimmten Bereichen auf typisierbare Ungleichgewichtslagen reagiert hat, sei es mit dem AGB-Recht, dem Arbeitnehmerschutzrecht, dem sozialen Mietrecht oder auch den verschiedenen Verbraucherschutzrechten und dem AGG.62 Die Privatautonomie ist in diesen Bereichen weiterhin das Leitbild, sie wird jedoch von den schützenden Gesetzen gelenkt.63

In Gebieten, in denen ebenfalls ein großes Risiko von Ungleichgewichtslagen besteht, der Gesetzgeber sich aber gegen die Normierung spezifischer Schutzmechanismen entschieden hat, besteht ein besonderes Spannungsverhältnis zwischen der Privatautonomie und der Schutzbedürftigkeit des schwächeren Teils.64 Zur Lösung dieses Konflikts ist vornehmlich auf die allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln abzustellen.65 Neben speziellen Schutzregeln sind deshalb unter anderem auch die §§ 123 Abs. 1, 138 Abs. 1 und 2, 241 Abs. 2 BGB als Grenzen der legitimen Verhandlungsführung zu beachten.66

←38 | 39→

F. Das Problem der Fremdbestimmung bei formeller und materieller Vertragsfreiheit

Vertragsfreiheit als Unterfall der Privatautonomie garantiert nach alledem für sich genommen noch nicht, dass der spezifische Vertragsschluss tatsächlich frei erfolgt.67

I. Formelle Betrachtungsweise der Vertragsfreiheit

Durch das historische BGB wird der Gedanke der formellen Selbstbestimmung vorgezogen.68 Im Regelfall soll die formelle Privatautonomie in Form des Konsens deshalb bereits ausreichen, um auch die materielle Verwirklichung der Privatautonomie zu sichern.69 Wird ein formeller Maßstab zugrunde gelegt, stimmen der Wille und die Rechtsfolge trotz intensiver Beeinflussung der Willensbildung überein. Es ergibt sich bei formeller Betrachtungsweise kein Problem bei der Selbstbestimmung.70 Nach Singer gilt deshalb bezüglich Störungen bei der Willensbildung im Grundsatz: „Die Selbstbestimmung ist zwar möglicherweise fehlerhaft, hört aber darum noch nicht auf, Selbstbestimmung zu sein.“71

II. Materielle Betrachtungsweise der Vertragsfreiheit

Allerdings setzt die Privatautonomie wie oben gezeigt die freie Willensbildung und Betätigung in gewissen Grenzen voraus. Ohne Selbstbestimmung fehlt dem rechtlichen Handeln letztlich die Legitimation zur Geltung.72 Es darf infolgedessen nicht nur formal auf den erzielten Konsens der Willenserklärungen abgestellt werden.73 Vielmehr gilt es, materiell auch das Stadium der Willensbildung selbst ←39 | 40→miteinzubeziehen.74 Denn wer infolge des Einsatzes unfairer Verhandlungsmethoden einen Vertrag schließt, hat unter Umständen nicht selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt gehandelt.75 Dann liegt nur scheinbar ein Vertrag vor, der Ausdruck freier Willensbildung ist.76

Zum Schutze davor reicht das Konsensprinzip nicht aus,77 geht es doch gerade um eine Beeinträchtigung vor der Abgabe der Willenserklärung, also eine Störung der Willensbildung. Nach allgemeiner Ansicht besteht ein Bedürfnis zum korrigierenden Eingriff deshalb dann, wenn einer Seite der Vertrag aufgrund einer erheblich ungleichen Verhandlungslage trotz formal gültigem Vertragsschluss faktisch oktroyiert wird.78 Dann handelt es sich nicht mehr um Selbstbestimmung, sondern um Fremdbestimmung, welche mit der Privatautonomie nicht mehr zu vereinen ist.79 Die Vertragsfreiheit wäre nur noch formell, nicht mehr materiell verwirklicht.80

←40 | 41→

Es ist die Aufgabe des Staates sicherzustellen, dass der Bürger nicht unter dem Diktat eines anderen steht.81 Vertragsfreiheit darf nicht zum „Instrument zur Unterdrückung“82 werden. Ansonsten kann Freiheit zur „Unfreiheit“83 werden. Privatautonomie und Zwang stehen aber im Widerspruch zueinander.84 Die pauschale Aussage „Vertrag ist Vertrag“ ist dann nicht möglich.85 Darum braucht es eine Möglichkeit in diesen Fällen, die Freiheit des Beeinträchtigten wiederherzustellen.86 Die Entfaltung der materiellen Vertragsfreiheit des einen Teils kann deshalb eine Beschränkung der formellen Vertragsfreiheit des anderen Teils bedeuten.87 Es wird letztlich die Vertragsfreiheit der einen Seite geschützt, indem die der anderen Seite eingeschränkt wird.88 Die materielle Vertragsfreiheit wird vom BGB primär im Anfechtungsrecht, der Störung der Geschäftsgrundlage, der Sittenwidrigkeit und durch andere Schutzgesetze wie das AGB-Recht berücksichtigt.89 In diese Kategorie fällt auch die culpa in contrahendo.

III. Der Schutzmaßstab für die Grenze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung

Ein großes Problem des Vertragsrechts im Allgemeinen und auch des Gebots fairen Verhandelns im Speziellen ist, inwieweit der positive Inhalt der Vertragsfreiheit des einen Teils durch Eingriff in die negative Vertragsfreiheit ←41 | 42→des anderen Teils gesichert werden muss und kann.90 Die Frage, wann Fehler im Bereich der materiellen Selbstbestimmung eine Berücksichtigung trotz des formell erzielten Konsens finden können oder müssen, ist jeder Rechtsordnung immanent.91 Das Stadium der Willensbildung unterliegt stets verschiedenen Einflüssen, anhand derer der Wille gebildet wird.92 Störungen der Willensbildung können nach der liberalen Konzeption des BGB nur in schwerwiegenden Ausnahmefällen beachtet werden.93 In diesen Ausnahmefällen darf der Beeinträchtigte dann aber nicht an der formell fehlerfreien Selbstbestimmung festgehalten werden.94

Die Anforderungen an die Selbstverantwortung dürfen nicht utopisch sein, sondern müssen den tatsächlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Vertragsparteien entsprechen.95 Das Bundesverfassungsgericht sieht im Ausgleich von Schwankungen der Parität eine der „Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts“96. Der Schutz der Schwachen ist somit ein grundlegendes Ziel der Rechtsordnung, welches im Vertragsrecht vorsichtig unter Berücksichtigung der stark zu gewichtenden Selbstbestimmung beider Parteien realisiert werden muss.97 Dies wird von Flume treffend als „ewiges Dilemma der Privatautonomie“98 bezeichnet, da der formale Konsens regelmäßig durch unterschiedliche Machtverteilung materiell infrage zu stellen ist.99 Aufgrund des Ursprungs der Privatautonomie ←42 | 43→in Art. 2 Abs. 1 GG, geht es letztlich um die Wahrung der Grundrechte.100 Die Freiheit des Einen, wirksame Verträge abschließen zu können, stellt schließlich stets auch eine Freiheitsbeschränkung des Anderen dar, sich an diese halten zu müssen.101

Der Ausgleich der Interessen geschieht im Rahmen der „praktischen Konkordanz“, bei welcher die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu betrachten sind und eine möglichst weitreichende Verwirklichung der Interessen beider Parteien erfolgt.102 Deshalb gilt es nur dort Schutz zuzusprechen, wo die Selbstbestimmung tatsächlich nicht mehr gegeben ist.103 Es ist mithin dem Grundsatz „Soviel Freiheit wie möglich, so wenig Begrenzung wie nötig“104 zu folgen, um weder ein Übermaß noch ein Untermaß der Vertragskontrolle105 zu erreichen.106 Es darf darum nicht vorschnell wegen einer leichten Schieflage in Sachen Verhandlungsmacht einer Seite die Fähigkeit, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, abgesprochen werden.107 Dagegen spricht bereits die Rechtssicherheit.108 Das Untermaßverbot wird wiederum erst verletzt, wenn durch die Rechtsordnung kein dem Grundgesetz entsprechender Mindestschutz vor der einseitigen Durchsetzung überlegener Vertragsmacht gewährt wird.109

Die Vertragsfreiheit und ihre Kontrolle befinden sich nach alledem nicht in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern der Schutz der ←43 | 44→Selbstbestimmung durch Kontrolle bedingt das Funktionieren der Vertragsfreiheit.110 Aufgrund der berührten Grundprinzipien muss im Rahmen des Gebots fairen Verhandelns sensibel nach den Grenzen der Selbstbestimmung, beziehungsweise der Selbstverantwortung111 und damit nach dem Beginn der unzulässigen Einflussnahme112 getastet werden.


19 BVerfG 12.11.1958, BVerfGE 8, 274 (328); BVerfG 16.5.1961, BVerfGE 12, 341 (347); BVerfG 19.10.1983, BVerfGE 65, 196 (210); BVerfG 23.4.1986, BVerfGE 73, 261 (270); BVerfG 19.10.1993, BVerfGE 89, 214 (231); BVerfG 2.5.1996, NJW 1996, 2021 (2021); BVerfG 26.7.2005, BVerfGE 114, 1 (34); Barnert S. 6; Becker S. 32; Boemke NZA 1993, 532 (532); Burkardt S. 33; MüKoBGB/Busche Vor § 145 Rn. 3; Ernst S. 14; Franz S. 16; Flume FS DJT I, 135 (140); MD/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 108; Gamillscheg S. 42 f.; Glahe S. 18; Heinrich S. 80; Höfling S. 18 f.; Junker NZA 1997, 1305 (1306); Lorenz S. 18; Rehm S. 105; Ritgen JZ 2002, 114 (116); Schmidt-Westphal S. 34; Weiler S. 109; Wendland S. 17, 30; Wolf S. 21; Zeller-Müller S. 42.

20 BVerfG 12.11.1958, BVerfGE 8, 274 (328); BVerfG 16.5.1961, BVerfGE 12, 341 (347); BVerfG 4.6.1985, BVerfGE 70, 115 (123); Barnert S. 6; Becker S. 32; Franz S. 16; Gamillscheg S. 42 f.; Heinrich S. 80, 85; Höfling S. 18 f. mit Aufzählung der Sonderfälle ab S. 14; Lorenz S. 19; Ritgen JZ 2002, 114 (116); Ruffert S. 301; Schmidt-Westphal S. 34; Weiler S. 109; Zeller-Müller S. 42.

21 BVerfG 7.2.1990, BVerfGE 81, 242 (253 f.); BAG 30.9.1993, NZA 1994, 209 (211); Becker S. 32 f.; Bengelsdorf NZA 1994, 193 (194); Boemke NZA 1993, 532 (534); Ernst S. 16; Franz S. 17 ff.; Glahe S. 19; Heinrich S. 85 ff.; Höfling S. 17; Junker NZA 1997, 1305 (1306); Lorenz S. 19 Fn. 23; Ritgen JZ 2002, 114 (116); Schacht S. 37; Söllner RdA 1989, 144 (147 f.); Zeller-Müller S. 42; abweichend auf Art. 2 Abs. 1 GG stützend: BVerfG 19.5.1992, BVerfGE 86, 122 (130);.

22 Andere Fälle der Privatautonomie sind die Testierfreiheit, die Vereinigungsfreiheit und das Eigentumsrecht, Barnert S. 3 f.; MüKoBGB/Busche Vor § 145 Rn. 2; Palandt/Ellenberger Überbl v § 104 Rn. 1; Rehm S. 106.

23 Vgl. Barnert S. 7 „Privatautonomie bedeutet […] in erster Linie Vertragsfreiheit“; ähnlich Flume § 1/8; MüKoBGB/Busche Vor § 145 Rn. 2; krit. Glahe S. 18.

24 BVerfG 13.5.1986, BVerfGE 72, 155 (170); BVerfG 19.10.1993, BVerfGE 89, 214 (231); BVerfG 2.5.1996, NJW 1996, 2021 (2021); BAG 23.6.1994, NJW 1995, 275 (277); vgl. auch Barnert S. 3; Dieterich RdA 1995, 129 (130); Fastrich S. 36; Flume § 1/1; ders. FS DJT I, 135 (136); Franz S. 15; Hillgruber Selbstverantwortung S. 168; Junker NZA 1997, 1305 (1305); Knobel S. 17; Lorenz S. 15; Neuner § 2 Rn. 14; Rehm S. 106; Ruffert S. 55; Singer S. 1; Thies S. 30; Weiler S. 191; Wendland S. 16; Wiedenmann S. 93; Winter S. 27 f.; Wolf S. 19; Zeller-Müller S. 41.

25 Barnert S. 7; Becker S. 69; Staudinger/Feldmann (2018) § 311 Rn. 1; Franz S. 15, 19 ff.; Heinrich S. 55 ff.; Höfling S. 3 Fn. 18; Hönn S. 134 f.; Lorenz S. 15, 17; Ruffert S. 56; Schmidt-Westphal S. 34; Wendland S. 85 ff.; Zeller-Müller S. 45 f.

Details

Pages
456
Year
2021
ISBN (PDF)
9783631871737
ISBN (ePUB)
9783631871744
ISBN (MOBI)
9783631871751
ISBN (Hardcover)
9783631870587
DOI
10.3726/b19332
DOI
10.3726/b19406
Language
German
Publication date
2021 (December)
Keywords
Privatautonomie Überrumpelung Vertragsschluss Arbeitsrecht vorvertragliche Pflichtverletzung Schadensersatz Konkurrenzen Willensschutz
Published
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 456 S.

Biographical notes

Fabian Gräf (Author)

Fabian Gräf studierte Rechtswissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Im Anschluss war er dort wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, wo er auch promovierte.

Previous

Title: Das Gebot fairen Verhandelns beim Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags