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Conflicts Evolution

Die Restatements of Conflict of Laws und ihre Bedeutung für das US-amerikanische Deliktskollisionsrecht unter besonderer Berücksichtigung des neuen Restatement (Third)

von Vanessa Ludwig (Autor:in)
©2021 Dissertation 390 Seiten

Zusammenfassung

Seit dem Erscheinen des ersten Restatement of Conflict of Laws haben die Regelungswerke des American Law Institute das Deliktskollisionsrecht der USA entscheidend geprägt: Sie sind der zentrale Motor der Kollisionsrechtsevolution. Die Arbeiten am Restatement (Third) geben Anlass, den potenziellen Einfluss der Neuauflage zu untersuchen.
Der erste Teil des Bandes widmet sich der bisherigen Entwicklung des Deliktskollisionsrechts und seiner Methodik und arbeitet den Stellenwerk der Regelungswerke für dieses Rechtsgebiet heraus. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wendet sich die Analyse im zweiten Teil dem Restatement (Third) of Conflict of Laws zu und diskutiert, welche Bedeutung dieses in Zukunft für das Deliktskollisionsrecht haben kann.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • A. Einleitung
  • B. Fragestellung und Themenbegrenzung
  • C. Gang der Untersuchung
  • Teil 1: From Past to Present – Restatements und Methodik im US-amerikanischen Kollisionsrecht
  • A. Restatements als Rechtsquelle des US-amerikanischen Rechts
  • I. Gründung und Entwicklung des American Law Institute
  • II. Die Vision des American Law Institute für die Restatements of Law
  • 1. Die Rolle der Restatements im common law
  • 2. Die Restatements im Spannungsfeld von lex lata und lex ferenda
  • 3. Die Herausforderungen an den Reporter
  • III. Entstehung und Inhalt eines Restatement
  • 1. Die Arbeitsschritte
  • 2. Die Bezugsquellen
  • 3. Der formale Aufbau
  • IV. Der Einfluss der Restatements im US-amerikanischen Recht
  • 1. Einfluss in der Rechtsprechung
  • 2. Einfluss auf den Gesetzgeber
  • 3. Einfluss in der Wissenschaft
  • V. Ergebnis
  • B. Die Restatements of Conflict of Laws
  • I. Conflict of Laws: ein Überblick
  • 1. Grundlagen
  • a. Begriffsverständnis
  • b. Kollisionsrecht im Prozess
  • 2. Die historische Entwicklung
  • a. Die Anfänge
  • b. Das erste Restatement of Conflict of Laws
  • c. Die amerikanische Conflicts Revolution
  • d. Das zweite Restatement of Conflict of Laws
  • e. Zwischenergebnis
  • 3. Der status quo der Rechtsprechung
  • a. Traditional approach
  • b. Significant-contacts approach
  • c. Der most significant relationship-Test des zweiten Restatement
  • d. Interest analysis
  • e. Lex fori approach
  • f. Better law approach
  • g. Combined modern approaches
  • h. Die Kodifikationen
  • i. Zwischenergebnis
  • 4. Ergebnis
  • II. Die Bedeutung der Restatements für das Kollisionsrecht
  • III. Ergebnis
  • C. Methodik im US-amerikanischen Kollisionsrecht
  • I. Die Bedeutung von Methodik im Kollisionsrecht
  • II. Die kollisionsrechtlichen Denkmodelle
  • 1. Orientierung an der Zuständigkeit
  • a. Die historischen Wurzeln
  • b. Prinzipien und Wertungen
  • c. Die methodische Umsetzung
  • 2. Orientierung an der Rechtsfrage
  • a. Die historischen Wurzeln
  • b. Prinzipien und Wertungen
  • c. Die methodische Umsetzung
  • d. Möglichkeiten der Berücksichtigung sachrechtlicher Erwägungen
  • 3. Orientierung am Sachrecht
  • a. Die historischen Wurzeln
  • b. Prinzipien und Wertungen
  • c. Die methodische Umsetzung
  • 4. Orientierung an der Effizienz
  • a. Die historischen Wurzeln
  • b. Prinzipien und Wertungen
  • c. Die methodische Umsetzung
  • aa. Maximierung privater Interessen
  • bb. Maximierung staatlicher Interessen
  • cc. Ergebnis
  • 5. Zwischenergebnis
  • III. Kontextualisierung im Lichte der Denkmodelle
  • 1. Die Restatements
  • a. Das erste Restatement
  • b. Das zweite Restatement
  • aa. Die Kollisionsnormen
  • bb. Die Choice of Law Principles in § 6 (2) als Bruchstelle in der Methodik
  • (1) Regelungsinhalt
  • (2) Entstehungsgeschichte
  • (3) Funktion
  • (4) Methodischer Richtungswechsel
  • cc. Zwischenergebnis
  • 2. Die in der Rechtsprechung vertretenen Ansätze
  • a. Orientierung an der Zuständigkeit
  • b. Orientierung an der Rechtsfrage
  • c. Orientierung am Sachrecht
  • d. Orientierung an der Effizienz
  • IV. Ergebnis: doppelter Methodenpluralismus
  • D. Ein drittes Restatement als Weg aus dem Methodenpluralismus?
  • I. Alternative Lösungsansätze
  • II. Visionen der Wissenschaft für ein drittes Restatement
  • 1. Notwendigkeit einer Neuauflage
  • 2. Restatement-Attribute einer Neuauflage
  • 3. Rules/certainty vs.approach/flexibility
  • 4. Methodik einer Neuauflage
  • 5. Internationalisierung des Conflicts Restatement
  • a. Reimanns Grundgedanken
  • b. Revival in der aktuellen Diskussion
  • 6. Vorschläge für das Deliktskollisionsrecht
  • III. Implikationen für ein drittes Restatement
  • 1. Stellenwert und Charakter einer Neuauflage
  • 2. Das kollisionsrechtliche Denkmodell und seine Prinzipien
  • 3. Die methodische Umsetzung
  • 4. Kollisionsnormen für das Deliktsrecht
  • IV. Ergebnis
  • E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
  • Teil 2: From Present to Future – Das neue Restatement (Third) of Conflict of Laws
  • A. Der two-step-test als „conceptual framework” des Restatement
  • I. Das allgemeine Prinzip des two-step-test
  • II. Die akademischen Ursprünge
  • 1. Larry Kramer
  • a. Grundlagen
  • b. Auslegung des potenziell anwendbaren Sachrechts
  • c. Auswahl des vorrangig anzuwendenden Sachrechts
  • d. Zwischenergebnis
  • 2. Kermit Roosevelt III
  • a. Grundlagen
  • b. Kollisionsnormen im two-step-model
  • c. Verfassungsrechtliche Konsequenzen für die kollisionsrechtliche Analyse
  • d. Zwischenergebnis
  • III. Die Umsetzung des two-step-test im Restatement
  • 1. Funktion des two-step-test
  • 2. Die methodische Vorgehensweise
  • a. Die erste Stufe: scope
  • b. Die zweite Stufe: priority
  • 3. Ursprünge der Methodik im bisherigen Kollisionsrecht
  • 4. Der Einfluss des Tests auf die Normierung der Kollisionsregeln
  • 5. Die Ausweichklausel als Korrekturmechanismus
  • 6. Besonderheiten bei international conflicts
  • IV. Ergebnis
  • B. Regelungen zum allgemeinen Teil des Kollisionsrechts
  • I. Anwendbarkeit des Restatement
  • II. Zulässigkeit der dépeçage
  • III. Grundlagen der Qualifikation
  • IV. Inhalt der Verweisung und Renvoi
  • V. Ergebnis
  • C. Das Deliktskollisionsrecht des neuen Restatement
  • I. Vorbemerkungen
  • 1. Zielsetzung
  • 2. Umsetzung des two-step-test
  • 3. Struktur
  • II. Die Unterscheidung zwischen conduct-regulation und loss-allocation
  • 1. Einordnung
  • 2. Stellungnahme der Reporter
  • III. Kollisionsregeln für conduct-regulating rules
  • 1. Zusammenfallende territoriale Anknüpfung
  • 2. Cross-border torts
  • 3. Punitive damages
  • IV. Kollisionsregeln für loss-allocating rules
  • 1. Zusammenfallende personale Anknüpfung
  • 2. Zusammenfallende territoriale Anknüpfung
  • 3. Cross-border torts
  • V. Die Auffangregel
  • VI. Rechtswahl
  • VII. Produkthaftung als Beispiel für eine besondere Kollisionsregel
  • VIII. Ergebnis
  • D. Evolution statt Revolution – Zukunftsperspektiven des Kollisionsrechts
  • I. Bewertung der Restatement-Entwürfe
  • 1. Der two-step-test als generische Methode
  • a. Methodik im Restatement
  • b. Ursprünge der Methodik
  • c. Ausgestaltung des Tests
  • aa. Adäquanz
  • bb. Probleme der scope-Komponente
  • cc. Fehlende true/false conflicts-Terminologie
  • dd. Priority rules
  • ee. Ausweichklausel
  • d. Zusammenspiel von two-step-test und Kollisionsregeln
  • 2. Der allgemeine Teil
  • 3. Das Deliktskollisionsrecht
  • a. Struktur
  • b. Conduct-regulation und loss-allocation
  • c. Anknüpfung
  • d. „No material conflict“-Ausnahme
  • e. Produkthaftung
  • 4. Internationalität und international conflicts
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Die Bedeutung des Restatement für das US-amerikanische Kollisionsrecht
  • III. Implikationen für das europäische und das deutsche IPR
  • 1. Der bisherige Einfluss der US-amerikanischen Kollisionsrechtsmethodik
  • 2. Potenzielle Auswirkungen und Lehren für die Zukunft
  • IV. Ergebnis: Conflicts Evolution
  • E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
  • Gesamtergebnis in Thesen
  • Literaturverzeichnis
  • Annex: Black Letter der Restatement Drafts

←20 | 21→

Einführung

A. Einleitung

„How does one restate gibberish?“1 – Diese Frage stellte Friedrich Juenger im Jahr 2000, als im Rahmen eines Symposiums diskutiert wurde, ob das US-amerikanische Kollisionsrecht für ein drittes Restatement of Conflict of Laws bereit sei. Die Charakterisierung des Kollisionsrechts als „Kauderwelsch“ mag despektierlich wirken, ist aber noch milde gewählt: Andere Autoren bezeichneten das US-amerikanische Kollisionsrecht bereits als „trostlosen Sumpf“2, „Desaster“3 oder sogar als die „psychiatrische Abteilung der Rechtswissenschaft“4. Worauf basiert die negative Sichtweise? Was ist die Signifikanz der Restatements? Welche Herausforderungen müssen bei der Erstellung einer Neuauflage tatsächlich überwunden werden? Und schließlich: Welche Auswirkungen wird das Restatement (Third) of Conflict of Laws, an dem seit 2014 gearbeitet wird, auf das US-amerikanische Kollisionsrecht haben? Antworten auf diese und weitere Fragen soll die folgende Untersuchung geben.

Die Charakterisierung des Kollisionsrechts als Spielwiese elitärer und exzentrischer Wissenschaftler fußt nicht auf fehlenden Anwendungsfällen – im Gegenteil: Das Kollisionsrecht hat in den USA eine hohe Praxisrelevanz. Es regelt die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei interlokalen Streitigkeiten mit Bezugspunkten zu verschiedenen US-Einzelstaaten genauso wie bei ←21 | 22→international-grenzüberschreitenden Sachverhalten.5 Dementsprechend häufig treten kollisionsrechtliche Fragestellungen auf. Da die Gesetzgebungskompetenz für die meisten Bereiche des Privatrechts bei den Einzelstaaten liegt, unterscheidet sich das jeweilige Sachrecht teilweise grundlegend.6 Welches Recht zur Anwendung kommt, kann den Ausgang eines Rechtsstreits daher auch bei inner-amerikanischen Konstellationen maßgeblich beeinflussen. In der juristischen Ausbildung in den USA wird dem Rechtsgebiet Conflict of Laws aber trotz seiner Bedeutung erstaunlicherweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt.7 Dieses Phänomen und die oben angesprochene Kritik lassen sich wohl am ehesten mit der Komplexität der Materie erklären.

Inhaltlich hat sich das US-amerikanische Kollisionsrecht in den vergangenen 150 Jahren beeindruckend entwickelt. Conflict of Laws gehört zu den wenigen Gebieten im US-Recht, die maßgeblich von der Wissenschaft geprägt wurden.8Joseph Story, Joseph H. Beale, Brainerd Currie und Albert F. Ehrenzweig sind nur einige Juristen, deren Theorien weitreichenden Anklang in Literatur und Praxis gefunden haben und auch dem deutschen Rechtswissenschaftler9 geläufig sein werden. Die Masse an wissenschaftlichem Input über die Jahre führte allerdings auch dazu, dass sich das Kollisionsrecht zu einer unübersichtlichen Thematik entfaltete. Vor allem die Conflicts Revolution in den 60er Jahren bewirkte, dass manche Gerichte im Vertrags- und Deliktsrecht die bisher vorherrschende Anknüpfung an der Rechtsfrage hinter sich ließen und sich bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts stattdessen für eine der vielen Alternativen aus ←22 | 23→der Wissenschaft entschieden, die den Inhalt des Sachrechts berücksichtigten.10 Inzwischen lässt sich die kollisionsrechtliche Methodik der Einzelstaaten im Deliktskollisionsrecht acht verschiedenen Kategorien zuordnen.11 Empirische Studien zeigen, dass diese dogmatischen Unterschiede in der Praxis Auswirkungen auf die Ermittlung des anwendbaren Rechts haben.12 Methodische Erwägungen sind somit zu einem zentralen Bestandteil der kollisionsrechtlichen Analyse geworden. Die föderale Struktur der USA verstärkt die Komplexität des Kollisionsrechts: Ein einheitliches US-amerikanisches Conflicts Law existiert nicht, das Kollisionsrecht wird von jedem Bundesstaat selbstständig geregelt.13

An dieser Stelle tritt die Bedeutung der Restatements des American Law Institute (im Folgenden: ALI) hervor. Die Multidimensionalität der kollisionsrechtlichen Analyse hat dazu geführt, dass die Restatements of Conflict of Laws in der Praxis einen hohen Stellenwert besitzen. Als „Quasi-Kodifikation“ der bisherigen Rechtsprechung mit einer lex ferenda-Komponente haben die Regelungswerke zwar keine Bindungswirkung.14 Nichtsdestotrotz sind die Conflicts Restatements ein maßgeblicher Richtungsweiser für die Gerichte; die Rechtsprechung übernimmt häufig Regelungen aus diesen Texten.15 Zudem waren die Restatements vielfach der Ausgangspunkt wissenschaftlicher Diskussionen, so beispielsweise bei der Conflicts Revolution.16 Die Restatements stellen folglich den Motor einer US-amerikanischen Conflicts Evolution17 dar, die das Rechtsgebiet in den vergangenen 150 Jahren durchlaufen hat. Dieser Einfluss macht die Restatements zum zentralen Untersuchungsgegenstand für das US-amerikanische Kollisionsrecht und gebietet eine detaillierte Analyse der Neuauflage.

←23 | 24→

Im November 2014 gab das ALI bekannt, dass mit der Erstellung eines dritten Restatement of Conflict of Laws begonnen werde.18 Als federführenden Reporter benannte das Institut Kermit Roosevelt III; Laura E. Little und Christopher A. Whytock sollen ihn als Associate Reporters unterstützen. Die Nachricht über die Neuauflage ist in der juristischen akademischen Welt der Vereinigten Staaten auf große Resonanz gestoßen. Während viele die geplante Reform begrüßen und sich in ihrer jahrzehntelangen Kritik am Restatement (Second) bestätigt fühlen,19 gibt es auch Stimmen, die lieber an der aktuellen Version des Restatement festhalten und eine „Verschlimmbesserung“ verhindern wollen.20 Die Anforderungen an die Neufassung sind dementsprechend hoch. Eine besondere Herausforderung liegt darin, der soeben beschriebenen Komplexität des Kollisionsrechts Herr zu werden und die verschiedenen methodischen Strömungen innerhalb der Rechtsprechung zu systematisieren. Aus diesem Grund haben die Reporter bereits zu Beginn ihrer Arbeit klargestellt, dass sie ein besonderes Augenmerk auf die Etablierung einer klaren und benutzerfreundlichen Methodik legen wollen, die sich durch das gesamte Restatement ziehen soll.21

←24 | 25→

In der deutschen Wissenschaft ist die geplante Reform des Restatement bisher weitgehend unbeachtet geblieben.22 Diese Haltung überrascht ein wenig angesichts der Bedeutung der Restatements für die methodische Entwicklung des US-amerikanischen Kollisionsrechts. Allerdings ist anzumerken, dass die Conflicts Restatements als solche meist nur inzidenter Teil wissenschaftlicher Untersuchungen sind.23 Stattdessen konzentriert man sich vorrangig auf die wissenschaftlichen Theorien hinter der Conflicts Revolution.24 Die Arbeit zielt folglich darauf ab, durch ihren Fokus auf die Restatements einen Beitrag für das Verständnis des US-amerikanischen Kollisionsrechts zu leisten. Dies kann auch für das deutsche und europäische Internationale Privatrecht (im Folgenden: IPR) von Relevanz sein: Trotz der dogmatischen Unterschiede der beiden Rechtskreise hat sich der Blick aus Europa über den Atlantik in der Vergangenheit häufig als fruchtbar erwiesen, beispielsweise bei der Erstellung des Europäischen Schuldvertragsübereinkommens (EVÜ).25

B. Fragestellung und Themenbegrenzung

Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, welche Bedeutung die Restatements of Conflict of Laws für das US-amerikanische Kollisionsrecht haben und inwiefern das neue Restatement (Third) das Kollisionsrecht in Zukunft beeinflussen wird. Damit wirft die Untersuchung sowohl einen Blick in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Der Fokus auf die bisherige Entwicklung des Kollisionsrechts ist aus zwei Gründen bedeutsam: Zum einen kann nur so beurteilt werden, ob und inwiefern ein drittes Restatement die Rechtsprechung in Zukunft prägen wird. Zum anderen haben diese Erkenntnisse inhaltliche Relevanz: Die Neufassung soll vor allem das geltende Recht zusammenfassen und systematisieren; um an die bisherige ←25 | 26→Rechtsprechung anknüpfen zu können, müssen folglich auch die Reporter rechtshistorisch arbeiten.26

Zentraler Aspekt der Untersuchung ist die methodische Herangehensweise bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts. Dieser Ansatzpunkt ist nicht zufällig gewählt. Das Kollisionsrecht dient der Koordination verschiedener Rechtsordnungen; um eine Konfrontation zu vermeiden, ist es notwendig, den Vorgang der Rechtsfindung auf schlüssige und strukturierte Art und Weise durchzuführen.27 Im US-Recht, das als common law-Jurisdiktion auf dem Analogieprinzip aufbaut,28 besteht ein besonderes Bedürfnis, Entscheidungen methodisch sauber zu treffen. Hierauf muss folglich auch ein Restatement achten. Des Weiteren ist die kollisionsrechtliche Methodik seit jeher eine zentrale Streitfrage im US-amerikanischen Kollisionsrecht. Die Conflicts Revolution sorgte dafür, dass bis dahin geltende Grundsätze bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts in Frage gestellt wurden.29 Seitdem befindet sich das Kollisionsrecht methodisch in Aufruhr: Ein Blick auf die Rechtsprechung der Einzelstaaten zeigt, dass verschiedene Herangehensweisen bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts existieren.30 Das neue Restatement muss somit einen Weg finden, den Methodenpluralismus im US-amerikanischen Kollisionsrecht zu bewältigen. Nur wenn es den Reportern gelingt, ein methodisch schlüssiges Regelungswerk zu schaffen, wird die Neufassung die US-amerikanische Conflicts Evolution der letzten 150 Jahre weiterführen können.

Bei der methodischen Analyse des Kollisionsrechts bezieht sich die Arbeit vorrangig auf das Deliktskollisionsrecht. Diese thematische Begrenzung ist aus mehreren Gründen zweckmäßig. Einerseits gehören vertrags- und deliktskollisionsrechtliche Fragestellungen zu den häufigsten Anwendungsfällen im Kollisionsrecht.31 Ein neues Restatement wird daher in den beiden Rechtsgebieten ←26 | 27→am ehesten zur Anwendung kommen. Im Verhältnis untereinander ist das Deliktsrecht als Untersuchungsgegenstand geeigneter, da in diesen Fällen in der Regel eine „vollständige“ kollisionsrechtliche Analyse, d.h. die Bestimmung des anwendbaren Rechts anhand der in der Kollisionsregel vorgegebenen Faktoren unter Berücksichtigung des grenzüberschreitenden Bezugs, durchgeführt werden muss. Viele Verträge, insbesondere im internationalen Kontext, enthalten Rechtswahlklauseln, durch die die Bestimmung des anwendbaren Rechts „abgekürzt“ wird.32 Außerdem ist das Deliktskollisionsrecht in methodischer Hinsicht besonders interessant. Torts waren das vorherrschende „battlefield“ der Conflicts Revolution,33 hier haben auch die Gerichte am meisten „ausprobiert“. Dementsprechend beschäftigt sich ein Großteil der methodischen Untersuchungen in der Wissenschaft mit dem Deliktskollisionsrecht.34

Aus deutscher Sicht ist das Deliktskollisionsrecht ebenfalls besonders relevant: Weil die meisten Verträge mit US-amerikanischen Einzelpersonen oder Unternehmen neben Rechtswahl- auch Gerichtsstandsklauseln enthalten, besteht vor allem bei deliktsrechtlichen Ansprüchen für ausländische Beklagte die Gefahr, vor US-amerikanischen Gerichten zu landen und die Anwendung US-amerikanischen Rechts fürchten zu müssen. Welches Deliktsrecht letztlich anwendbar ist, kann vor allem mit Blick auf punitive damages relevant werden;35 die Einzelstaaten haben diesbezüglich verschiedene Standards und Voraussetzungen.36

←27 | 28→

C. Gang der Untersuchung

Die soeben identifizierte Fragestellung, welche Bedeutung die Restatements of Conflict of Laws für das US-amerikanische Deliktskollisionsrechts haben und inwiefern das neue Restatement (Third) dieses Rechtsgebiet in Zukunft beeinflussen wird, wird in zwei Teilen untersucht. Der erste Teil der Arbeit widmet sich der bisherigen Entwicklung des US-amerikanischen Deliktskollisionsrechts und seiner Methodik und arbeitet die potenzielle Bedeutung eines dritten Restatement heraus. Um ein besseres Verständnis für den Untersuchungsgegenstand zu entwickeln, beginnt dieser Teil mit einer kurzen Darstellung der Entstehung des ALI und der Funktion der Restatements im US-amerikanischen Recht (Teil 1, A.). Sodann wird ein Blick auf das US-amerikanische Kollisionsrecht geworfen; der Schwerpunkt liegt auf seiner historischen Entwicklung und den verschiedenen Strömungen in der heutigen Rechtsprechung zum Deliktskollisionsrecht (Teil 1, B.). Der nachfolgende Abschnitt behandelt die methodische Vielfalt innerhalb des US-amerikanischen Kollisionsrechts. Zunächst werden vier kollisionsrechtliche Denkmodelle identifiziert: das zuständigkeitsorientierte, das rechtsfragenorientierte, das sachrechtsorientierte sowie das effizienzorientierte Denkmodell (Teil 1, C.II.). Die anschließende Untersuchung kontextualisiert auf Basis dieser Modelle die methodischen Ansätze der beiden ersten Restatements sowie der Rechtsprechung (Teil 1, C.III.). Sodann widmet sich die Analyse der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das neue Restatement den zuvor aufgezeigten Methodenpluralismus auflösen kann (Teil 1, D.).

Der zweite Teil der Arbeit wendet sich dem Restatement (Third) of Conflict of Laws zu und diskutiert, welchen Einfluss das neue Regelungswerk in Zukunft auf das Kollisionsrecht nehmen kann. Dafür werden die aktuellen Entwürfe des neuen Restatement im Detail untersucht: Zunächst wird der two-step-test als methodisches Grundkonzept des neuen Restatement dargestellt (Teil 2, A.), danach behandelt die Arbeit die Regelungen zum allgemeinen Teil des Kollisionsrechts (Teil 2, B.) und schließlich exemplarisch das Deliktskollisionsrecht (Teil 2, C.). Die Ausführungen bieten die Basis für eine Bewertung der Restatement Drafts und eine Prognose hinsichtlich der Auswirkungen des Restatement (Third) of Conflict of Laws für das US-amerikanische Kollisionsrecht (Teil 2, D.I. + II.). Zuletzt wird untersucht, welche Implikationen das neue Regelungswerk für das deutsche und europäische IPR haben könnte (Teil 2, D.III.).

Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesenform.


1 Juenger, 75 Indiana Law Journal 403 (2000).

2 Prosser, 51 Michigan Law Review 959, 971 (1952-1953): „The realm of the conflict of laws is a dismal swamp, filled with quaking quagmires, and inhabited by learned but eccentric professors who theorize about mysterious matters in a strange and incomprehensible jargon. The ordinary court, or lawyer, is quite lost when engulfed and entangled in it.“

3 Reynolds, 56 Maryland Law Review, 1371 (1997): „Choice of law today, both the theory and practice of it, is universally said to be a disaster. […] Scholars trash every judicial effort, propound theories by the score to resolve the confused situation, and then criti-cize other scholars or judges who choose to follow false gods; even worse, perhaps, some judges are polytheistic, following many gods. […] The poor lawyer who gives advice to clients on choice-of-law matters meets with stares of disbelief.“

4 Dane, in: Companion to Philosophy of Law and Legal Theory, S. 197: „More recently, choice of law has sometimes resembled the law’s psychiatric ward. It is a place of odd fixations and schizophrenic visions. It abounds with purported cures to alleged dis­eases, and questions about which are crazier.“

5 Hay, US-Amerikanisches Recht, 2015, S. 91.

6 Article 10 U.S. Constitution: „The powers not delegated to the United States by the Constitution, nor prohibited by it to the States, are reserved to the States respectively, or to the people […].“; vgl. auch Reimann, in: Amerikanische Rechtskultur und europäisches Privatrecht, S. 135; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, S. 244 f.

7 Vorlesungen zu Conflict of Laws werden nur noch an wenigen Law Schools angeboten, in den meisten Bundesstaaten wird der Bereich nicht mehr in den Zulassungsprüfungen für die Anwaltskammern (bar exam) abgefragt; eine ähnliche Entwicklung ist auch in Deutschland zu erkennen, vgl. Mansel/von Hein/Weller, JZ 2016, 855.

8 Symeonides, Choice of Law, 2016, S. 93; Reynolds sieht daher die Wissenschaft als verantwortlich für das „Debakel“ im Kollisionsrecht, vgl. Reynolds, 56 Maryland Law Review 1371 (1997), Fn. 5.

9 In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit für personenbezogene Bezeichnungen die maskuline Form verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten sind ausdrücklich gleichgestellt.

10 Silberman, in: Encyclopedia of Private International Law, S. 67.

11 Vgl. hierzu die jährlich erscheinende methodische Übersicht von Symeonides, der anhand sieben verschiedener Kategorien differenziert, Symeonides, 69 American Journal of Comparative Law ( im Erscheinen 2021); die nachfolgende Analyse identifiziert allerdings acht Kategorien, vgl. Teil 1, B.I.3.

12 Hierzu vor allem Whytock, 84 New York University Law Review 719, 747 ff. (2009).

13 Silberman, in: Encyclopedia of Private International Law, S. 2637.

14 The American Law Institute, Handbook for ALI Reporters, S. 4 f.

15 Symeonides, in: Encyclopedia of Private International Law, S. 1545.

16 Michaels, in: FS Kronke, S. 389: „[…] the Restatement has always served as both a significant scholarly achievement and a relevant focal point for discussions.“

17 Der Begriff wird schon von Siehr für das europäische IPR verwendet; er möchte hierdurch den Unterschied zur US-Conflicts Revolution deutlich machen, vgl. Siehr, 60 Louisiana Law Review 1353 (2000).

18 Vgl. hierzu die Pressemitteilung des ALI vom 17.11.2014, verfügbar unter https://www.ali.org/news/articles/american-law-institute-announces-four-new-projects/ (zuletzt abgerufen am 12.08.2021).

19 So beispielsweise Michaels, 110 AJIL Unbound 155 (2016); Posnak, 75 Indiana Law Journal 561 (2000); Richman/Reynolds, 75 Indiana Law Journal 417 (2000); Symeonides, 56 Maryland Law Review 1248 (1997).

20 Statt vieler Brilmayer, 110 AJIL Unbound 144 (2016); Simson, 75 Indiana Law Journal 649 (2000).

21 Restatement (Third) of Conflict of Laws, Tentative Draft No. 1, Reporters’ Memorandum, S. xx: „We have two ancillary goals. First, we hope to produce a more user-friendly document than the second Restatement. We seek to be more explicit and transparent about the theoretical framework within which the third Restatement op­erates, about how its rules were derived, and about how to use them. To that end, we include an introductory section on choice of law […] which restates the methodology of modern choice of law, before proceeding to the specific rules. We will also include explicit instruction on how to use the Restatement, and on when exceptional and unforeseen circumstances may justify departure from its rules. Second, we hope to make choice of law intelligible in terms of ordinary legal concepts. Choice of law is often seen as a forbiddingly esoteric subject with its own specialized concepts and vocabulary. We have tried instead to describe it as ordinary legal analysis, which requires courts first to identify the rights that parties can invoke and second, if necessary, to resolve conflicts between those rights.“

22 Es wird lediglich auf die laufenden Reformbestrebungen verwiesen, vgl. beispielsweise MüKo BGB/von Hein, Einleitung zum Internationalen Privatrecht, Rn. 26.

23 In der Regel werden die Regelungen der Restatements im Rahmen rechtsvergleichender Arbeiten behandelt, so beispielsweise Dietrich, Die situative Anwendung von Art. 17 Brüssel Ia-VO und Art. 6 Rom I-VO, 2020; Sammeck, Die internationale Produkthaftung nach Inkrafttreten der Rom II-VO im Vergleich zu der Rechtslage in den USA, 2017; Mennenöh beschäftigt sich mit dem US-amerikanischen Deliktskollisionsrecht, legt aber keinen speziellen Fokus auf die Restatements, vgl. Mennenöh, Das Deliktskollisionsrecht in der Rechtsprechung der Vereinigten Staaten von Amerika, 1990.

24 So beispielsweise V. Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten im deutschen Internationalen Privatrecht, 2012.

25 Statt vieler Jayme, in: Forty Years On - The Evolution of Postwar Private International Law in Europe, S. 15 ff.; näher dazu in Teil 2, D.III.1.

26 Childress beschreibt die Entstehung der Conflicts Restatements als Teil eines Kreislaufs, Childress III, 27 Duke Journal of Comparative & International Law 361, 362 (2017): „A brief history of this dialogic process is as follows: conflict-of-laws rules are identified and (re)stated; conflicts rules beget judicial exceptions; judicial exceptions engender criticism; criticism produces reconceptualization; reconceptualization begets a new attempt to bring order to conflict chaos through the identification and restatement of new standards and rules.“

27 Mills, 23 Duke Journal of Comparative & International Law 445, 474 (2013): „Private international law is thus not only important for what it does, but for how it does it.“

28 Zur Ausgestaltung des common law als Fallrecht vgl. Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, S. 244 ff.

29 Im Überblick dazu Silberman, in: Encyclopedia of Private International Law, S. 66.

30 Vgl. Symeonides, 69 American Journal of Comparative Law (im Erscheinen 2021).

31 Vgl. Symeonides, Choice of Law, 2016, S. 673.

Details

Seiten
390
Erscheinungsjahr
2021
ISBN (PDF)
9783631866511
ISBN (ePUB)
9783631868508
ISBN (MOBI)
9783631868515
ISBN (Hardcover)
9783631867617
DOI
10.3726/b19137
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (November)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 390 S.

Biographische Angaben

Vanessa Ludwig (Autor:in)

Vanessa Ludwig studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg und Luxemburg und absolvierte anschließend ein LL.M.-Studium an der Duke University School of Law. Ihre Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg erfolgte im August 2021.

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