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Monotheismus zwischen Rhetorik und Philosophie bei Tertullian, Minucius Felix, Laktanz und Augustinus

by Peter Lötscher (Author)
©2018 Thesis 298 Pages

Summary

Ein zentrales Thema der lateinischen Apologetik ist der Erweis der Existenz des einen Gottes und der Inexistenz der vielen Götter. Die Studie zeigt durch eine Analyse der Rhetorik der Texte, wie Tertullian, Minucius Felix, Laktanz und Augustinus bei dieser Argumentation auf ihre Adressaten Bezug nehmen und dabei die Überlegenheit des Christentums über die «pagane Umwelt» untermauern. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf Debatten um den Monotheismus diskutiert, die von Jan Assmann, Michael Frede und Erik Peterson angeregt wurden.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Streit um „Monotheismus“
  • 1.2 Gegenstand der Untersuchung
  • 1.3 Methode der Untersuchung
  • 1.3.1 Rhetorische Analyse
  • 1.3.2 Systematische Analyse
  • 1.3.3 Apologien als Kommentare
  • 1.4 Biblische Argumentationsziele der christlichen Apologeten
  • 1.5 Eigenheiten der Texte und Aufbau der Arbeit
  • 2. Gott und die Götter in der Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der laesa religio: Tertullians Apologeticum
  • 2.1 Das Apologeticum als apologetische Schrift und Hauptwerk Tertullians
  • 2.2 Das testimonium animae und die Begründung des einen Gottes
  • 2.3 Kontexte einer Rhetorik des unicus deus bei Tertullian
  • 2.4 Die euhemeristische Argumentation als sanfte Polemik gegen die Götter?
  • 2.5 Bissige Polemik gegen die Götter als bösartige Dämonen
  • 2.6 Die Frage nach dem eigenen Vielgötterglauben und die Gottesvokabel
  • 2.7 Zusammenfassung
  • 3. Christlich-dogmatischer Monotheismus gegen heidnisch-skeptische Vielgötterei? Die Rhetorik des Minucius im Octavius
  • 3.1 Christliche Protreptik und urbanitas: Der Octavius als Gegenentwurf zum Apologeticum bei gleichzeitiger Rezeption
  • 3.2 Die Begründung des einen Gottes im Kontext von Röm 1,20: Die opera dei
  • 3.3 Vom testimonium animae zur auctoritas Platos
  • 3.4 Die Einzigkeit Gottes in der Systematik des Minucius: ein kurzes Kapitel
  • 3.5 Eine Denkform mit Wachstumspotential: Christlicher Euhemerismus bei Minucius Felix
  • 3.6 Christliche Dämonologie ohne Polemik? Ein Versuch
  • 3.7 Zusammenfassung
  • 4. Christliche Apologetik mit dem Anspruch auf Vollständigkeit: Die Divinae institutiones des Laktanz
  • 4.1 Die Divinae institutiones im (apologetischen) Gesamtwerk des Laktanz
  • 4.2 Der logische Erweis (der providentia) des einen Gottes aus den Werken Gottes
  • 4.3 Dichter und Philosophen und ihre testimonia für den einen Gott
  • 4.4 Divina testimonia als Schwerpunkt der Argumentation bei Laktanz
  • 4.5 Die eigene Pluralität und eine erweiterte Auseinandersetzung mit Argumentationen bei den vielen Göttern
  • 4.6 Fortschreibungen des euhemeristischen Arguments bei Laktanz
  • 4.7 Fortschreibungen der Dämonologie bei Laktanz
  • 4.8 Zusammenfassung
  • 5. Zwischen Rhetorik und Philosophie: Augustins Argumentation mit der Einzigkeit Gottes in De civitate dei
  • 5.1 De civitate dei als apologetischer Text und als Text über (frühere) Apologien
  • 5.2 Das Hauptthema der civitates und die Einzigkeit Gottes
  • 5.3 Gott, die Götter und der Staat
  • 5.4 Gegen die Verteidigung der vielen Götter bei Varro
  • 5.5 Philosophiegeschichte: Die Argumentation für die Platoniker
  • 5.5.1 Relativierung der Wichtigkeit: Die These von der controversia verborum
  • 5.5.2 Interpretation der eigenen Texte: Polytheismus in den Psalmen
  • 5.5.2.1 Psalm 96 in der Argumentation Augustins
  • 5.5.2.2 Psalm 82 in der Interpretation Augustins
  • 5.5.3 Die Identifizierung der christlichen Vorstellungen mit den platonischen im Timaios
  • 5.6 Zeugnisse für die Existenz Gottes bei Augustinus im Vergleich zu den testimonia seiner Vorgänger
  • 5.7 Zusammenfassende Sicht zum einen Gott bei Augustinus zwischen platonischer Philosophie und Bibel
  • 6. Zusammenfassung und Fazit
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Antike Quellen
  • Sekundärliteratur
  • Register
  • 1. Bibel
  • a. Altes Testament
  • b. Neues Testament
  • c. Apokryphen
  • 2. Antike Autoren und Werke
  • 3. Moderne Autoren
  • 4. Namen und Sachen
  • Reihenübersicht

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 2016 vom Fachbereich 2 (Katholisch-Theologische Fakultät) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter dem Titel „Monotheismus in den lateinischen Apologien zwischen Rhetorik und Systematik“ als Dissertation angenommen. Die Rigorosa fanden am 8./9. Dezember 2016 statt.

Dass diese Arbeit entstehen konnte, verdanke ich insbesondere meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. Alfons Fürst. Er hat das DFG-Projekt „Die Rhetorik des Monotheismus im Römischen Reich“ (03/2012–02/2015) beantragt, mich bei der Arbeit immer hilfreich unterstützt und das Erstgutachten verfasst. Das Zweitgutachten wurde von Prof. Dr. Thomas Bremer übernommen.

Viele gute Anregungen während des Arbeitsprozesses kamen von Doktorierenden und Studierenden in den Ober- und Hauptseminaren am Lehrstuhl für Alte Kirchengeschichte und Patristik. Ich nenne stellvertretend für viele Christian Gers-Uphaus und Dr. Luise Ahmed, die mit mir in der Projektzeit am Lehrstuhl für Alte Kirchengeschichte und Patristik gearbeitet haben.

Zu danken habe ich auch Prof. Dr. Dr. Dr. Hubertus Drobner für die Aufnahme in die Reihe „Patrologia“ und Dr. Hermann Ühlein vom Peter-Lang-Verlag für die Betreuung bei den letzten Schritten zur Publikation.

Für das engagierte Korrekturlesen und Motivationshilfen bedanke ich mich bei Martin Senn, Anne Lötscher, Yvonne Eichmann und Svenja Brockert. Der letzte Teil meiner Arbeit ist entstanden, als ich an der Kantonsschule Wohlen (CH) unterrichtet habe. Deswegen gilt mein Dank auch den Schulangehörigen für ihre Toleranz.

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1.  Einleitung

1.1  Streit um „Monotheismus“

„Ist denn Gott nur der Gott der Juden, nicht auch der Heiden? Ja gewiss, auch der Heiden, da doch gilt: Gott ist ‚der eine‘.“1 Die Aussage, dass Gott einer ist, bezeugt für Paulus an angeführter Stelle die Universalität des christlichen Bekenntnisses – der eine Gott ist sowohl derjenige der Juden als auch der Heiden – und ist ein Vorzug des Christentums. Was für Paulus selbstverständlich scheint, kann bei einer Untersuchung im 21. Jahrhundert in Bezug auf den sogenannten „Monotheismus“2 nicht vorausgesetzt werden. Schaut man sich in der aktuellen Debatte um, so dominiert dem Gedanken der Einzigkeit Gottes gegenüber ein Unbehagen,3 das sich etwa in einem Gewaltverdacht äußert. Von den verschiedenartigen Debatten, die sich um diesen Begriff ranken, können hier nur drei genannt und kurz ausgeführt werden. In der Wissenschaft sind bezüglich Öffentlichkeitswirksamkeit an erster Stelle die diesbezüglichen Thesen in den Publikationen des Ägyptologen Jan Assmann zu nennen, in denen das Thema von Anfang an mit der Gewalt- und Toleranzthematik in Beziehung gesetzt wurde. Für den englischsprachigen Raum ist die Diskussion um einen sogenannten „pagan monotheism“ (Michael Frede) anzuführen, der die Monotheismus-Thematik mit der Geschichte der antiken Philosophie in Beziehung setzt. In der Patristik wurde auch aufgrund des einsetzenden Interesses an der Monotheismus-Thematik das Werk Erik Petersons, insbesondere sein Aufsatz zum „Monotheismus als politisches Problem“, wo die Gewalt- und Toleranzthematik mit philosophischen Fragen vereint erscheint, unter neuen Bedingungen diskutiert.

Assmanns erste Publikation zum Thema aus dem Jahr 1997 versteht sich als Studie der „Gedächtnisgeschichte“ des religiösen Antagonismus als „symbolische Konfrontation von Israel und Ägypten“, die er mit dem Begriff der ← 11 | 12 → „mosaischen Unterscheidung“ bezeichnet.4 Darin finden sich zahlreiche Thesen auch zum Monotheismus, insbesondere aber die Charakterisierung monotheistischer Religionen als Gegenreligionen.5 Aus dem Titel der zweiten Veröffentlichung, „Der Preis des Monotheismus“, kann man eine Wertung des Monotheismus der abrahamitischen Religionen herauslesen: Er hatte seiner Meinung nach entscheidende Nachteile.6 Durch den religiösen (gemeint ist: sich aus göttlicher Offenbarung speisenden) Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriff dieser drei Religionen wurde nach Assmann ein antiker, natürlicher Zugang verdrängt, den er im Alten Ägypten verwirklicht sieht.7 Bezüglich des Gottesverständnisses steht damit ein geoffenbarter Monotheismus gegenüber einem Welt und Gott nicht unterscheidenden Kosmotheismus, wobei nur für Ersteren „die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Religion“ und damit von wahrem Gott und falschen Göttern gelte.8 Die Folge dieses Wahrheitsbegriffs, der Andersgläubigen nicht erklärbar sei, sei Intoleranz im Umgang mit fremden religiösen Traditionen gewesen. Dass die abrahamitischen Religionen als monotheistisch gruppiert werden können, setzt Assmann insofern voraus, als er sich für eine Differenzierung des Gottesbildes,9 ← 12 | 13 → im Gegensatz etwa zum unterschiedlichen Umgang mit der Gewalt in den verschiedenen Traditionen,10 wenig interessiert.11

Bereits in einer Vorlesungsreihe in Heidelberg hat er den Begriff „Monotheismus“ als Bestandteil für seine Thesen scheinbar neu beurteilt12 und dem Begriff eine neue Bedeutung gegeben.13 Was blieb, war die Behauptung des Antagonismus, der sich aus dem Wahrheitsbegriff der abrahamitischen Religionen ergab.14 In einer weiteren größeren Publikation im Jahr 2015 unter dem Titel „Exodus“ gelangte der Begriff aber insofern wieder ins Zentrum seiner Thesen, als dass er nun die Unterscheidung zwischen einem Monotheismus der Treue und einem Monotheismus der Wahrheit einführte. Geht es beim einen um die Einhaltung eines Bundes mit dem einen Gott, so geht es beim zweiten um die Unterscheidung von wahrem Gott und falschen Göttern. Assmann behauptet, dass der Monotheismus der Wahrheit sich zwar auch in biblischen Texten finde, aber nur der Monotheismus der Treue „das Spezifische“ sei, was die Bibel zu bieten habe, da die spätere Form auch bei den Philosophen anzutreffen sei.15

Leider analysierte Jan Assmann nie systematisch jüdische oder christliche apologetische Texte. So führt er etwa Laktanz insbesondere dann an, wenn er nach Gründen für eine Wiederaufnahme der antik-ägyptischen Religiosität sucht.16 Augustinus wird zwar häufig zitiert, seine Zitate werden aber kaum in den Kontext gestellt.17 So haben sich von theologischer Seite selten Patristiker mit ← 13 | 14 → Assmanns Thesen beschäftigt.18 Mit dem Thema Intoleranz im Zusammenhang mit Monotheismus nimmt er aber ein Thema wieder auf, das für die Erforschung der Epoche der Spätantike traditionell von großer Bedeutung war, die er bezüglich Zerstörung heidnischer Tempel auch erwähnt.19 Bereits Eduard Gibbon hatte, als einen von fünf Gründen für die Durchsetzung des Christentums in dieser Zeit dessen Intoleranz gegenüber dem heidnischen Polytheismus postuliert,20 der den Christen vor Konstantin die Möglichkeit gab, ihre Zugehörigkeit zur Gruppe stets zu bekräftigen.21 Historische Untersuchungen zu Auswirkungen der Intoleranz gegenüber anderen religiösen Gruppen nach Konstantin halten seither an.22 Wenn man diese Fragestellung für die Apologien ernst nehmen möchte, gilt es, die religionspolitischen Intentionen der Texte herauszuarbeiten und die Verknüpfung mit „Gott und den Göttern“ zu prüfen.23 Mit der Ausgangshypothese, dass dies besonders bei Augustinus in De civitate dei möglich ist, soll dem Thema bei der Untersuchung dieses Textes ein Kapitel gewidmet werden. Hier gilt es ebenso, die These zu überprüfen, dass Argumentationen zur Begründung der Monarchie und für den einen Gott miteinander verknüpft seien.24

Wichtiger für die Fragestellung der Arbeit ist die These des „heidnischen Monotheismus“ („pagan monotheism“), für die Michael Frede als „moderner Vater“ gilt.25 Hier geht es direkt darum, in was für ein Verhältnis zu ihrer ← 14 | 15 → nichtchristlichen Umwelt sich die Apologeten bezüglich des Monotheismus stellten. Diese Fragestellung beschäftigte im Jahr 1996 ein Seminar in Oxford, zu dem der vieldiskutierte Band „Pagan Monotheism in Late Antiquity“ publiziert wurde.26 In diesem vertritt insbesondere Michael Frede die These, dass die Christen sich bezüglich des Monotheismus von allen Philosophengruppen außer den Epikureern in keiner Weise unterschieden hätten und sich selbst die Vorstellung der Gottesverehrung nicht grundlegend von der platonischen unterscheidet.27 Dies führt er zunächst bezüglich der heidnischen Philosophie, dann aber christlicher Positionen aus.28 Aus den hier besprochenen apologetischen Texten fehlen Tertullian,29 Arnobius und bezüglich der Einzigkeit Gottes auch Augustinus.30 Die Argumentation setzt auf Stellen bei Laktanz,31 insbesondere aber auf den Octavius des Minucius Felix, wo sich aus Fredes Sicht die Gleichsetzung mit den Philosophen in der Rede des Octavius belegen lässt,32 Caecilius dann jedoch aus rein rhetorischen Gründen als typischer heidnischer Vertreter geschildert werde.33 Bezüglich des Verhältnisses zur Pluralität in der Götterwelt wird einzig Augustinus zu den Platonikern in den Büchern VIII–X von De civitate Dei angeführt.34 ← 15 | 16 →

Die restlichen Texte des Bandes bieten einerseits unterstützende Argumente: Polymnia Athanassiadi gibt eine mögliche Erklärung für diese Übereinstimmungen und nennt die historische Situation der Spätantike ein religiöses Commonwealth,35 in dem der Monotheismus ein universelles religiöses Idiom, Offenbarung aber ein an Bedeutung zunehmendes Mittel der in der Art zu kommunizieren war.36 Mit der These des Kultes des Theos Hypsistos führt auch Stephen Mitchell die Thematik in den Kontext konkreter religiöser Praxis. Die Interpretationen der christlichen Autoren gilt es in dieser Arbeit zu prüfen,37 auch wenn hier nicht Praktiken, sondern die Texte selbst im Vordergrund stehen.

Es finden sich aber nicht nur unterstützende Beiträge, sondern auch weiterführende Gedanken: So hinterfragt Martin Litchfield West den allzu einfachen Umgang mit dem Begriff Monotheismus insofern, als dass dann erst einmal Gott definiert werden müsste.38 Er gibt einen breiten Überblick über die Entwicklung des Monotheismus mit dem Schwerpunkt auf der griechischen Philosophie und deutet diesen Prozess auch für das Umfeld der Bibel an.39 Im Gegensatz zu Frede lässt er auch nicht-monistische Positionen nicht ganz weg und findet für die Tendenz zur Rückführung auf eine Wirkursache eine Erklärung: „The philosophers’ search for economical explanations of the universe naturally led to economy in the assumption of divine principles, with in some cases a single divine element or entity being identified as responsible for the formation, design, or direction of the world. (…) It was a small step from here to dogmatic monotheism.“40

Die Rezeption des Bandes insbesondere in den Disziplinen, die sich mit der Spätantike beschäftigen, war beträchtlich.41 Der Einfachheit halber seien hier zwei exemplarisch herausgegriffen, die die fundamentalste Kritik lieferten. Im Hinblick auf das erste Glied in der These der Gleichsetzung heidnischer Monotheisten mit christlichen Monotheisten greift Marc Edwards Fredes Thesen zunächst in einer direkten Besprechung,42 dann aber in einer weiterführenden Publikation an.43 Er bezweifelt den Wert des Wortes „Monotheismus“ aufgrund ← 16 | 17 → der nicht zwingenden Vermengung von Monismus und Theismus44 und führt direkte Differenzierungen beim höchsten Prinzip Plotins und den vielen Göttern bei den Neuplatonikern im Vergleich zu den Christen an. So könne etwa „Das Eine“ Plotins nicht angebetet werden.45

In eine ganz andere Richtung gehen die Ausführungen von Martin Wallraff. Er bescheinigt Frede zwar ein differenziertes Bild spätantiker Philosophie, wirft ihm aber vor, keine Differenzierung bei „den Christen“ vorzunehmen.46 „What is true for the bishop of Hippo is not necessarily true for a Christian pilgrim to Jerusalem.“47 Vor allem aber habe sich auch bei den philosophisch gebildeten Christen biblisches Erbe bewahrt.48 Um für Unterschiede zu sensibilisieren, führt er in einem späteren Beitrag Erik Peterson an, der das antike Christentum gerade nicht als monotheistisch, sondern trinitarisch geschildert habe.49

Damit spricht er eine dritte Auseinandersetzung um den Monotheismus der frühen Christen an, die vom katholischen Theologen Erik Peterson ausging.50 Petersons Thesen in der Publikation „Monotheismus als politisches Problem“ im Jahr 1935, mit denen er der damaligen „Reichstheologie einen Stoss“ geben wollte und sich gegen die Säkularisierung der Reich-Gottes-Erwartung wandte,51 scheinen wie eine Antwort auf die beiden vorher genannten Debatten: Der Monotheismus gerät als Staatsideologie, mit der die römische Herrschaft begründet wurde, tatsächlich in die Gefahr der Gewaltausübung aus religiösen Gründen. Auch im Christentum sieht er die Gefahr einer solchen Vereinnahmung, er führt problematische Stellen etwa bei Tertullian, vor allem aber bei Eusebius an, stellt dem aber die trinitarische Theologie der Kappadozier und den Friedensbegriff Augustins gegenüber.52 ← 17 | 18 →

Zu diesen drei Positionen von Assmann, Frede und Peterson wurden in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche Publikationen veröffentlicht, die häufig aus Vorlesungsreihen, Tagungen, aber auch aus ganzen Forschungsprojekten hervorgingen.53 Von großer Bedeutung für die Fragestellung sind die beiden Bände zu nennen, die aus der Tagung vom 17.–20. Juli 2006 in Exeter hervorgingen54 mit verschiedenen weiterführenden Beiträgen, die auch die hier untersuchten apologetischen Texte betreffen.55

1.2  Gegenstand der Untersuchung

Diese Arbeit soll sich der Monotheismus-Thematik in den christlichen Apologien lateinischer Sprache widmen. Das Thema „Gott und die Götter“ soll auf der Basis dieser Texte entwickelt werden, um eine differenzierte Darstellung der Argumentation zu erhalten, die in einem zweiten Schritt immer wieder mit den Diskussionen der Forschung in Verbindung gebracht werden. Die Besprechung der Thesen, wie sie bei Jan Assmann oder Erik Peterson aufgestellt werden, bleibt dabei einzelnen Kapiteln vorbehalten.56 Die Thematik, die Michael Frede aufwirft, wie sich christliche Autoren in Bezug auf den einen Gott und die vielen Götter zu ihrer nichtchristlichen Kultur stellen, ist fundamental für die Texte, wobei auf die konkreten Thesen nur dann eingegangen wird, wenn eine Stelle in ← 18 | 19 → der Diskussion um den „pagan monotheism“ Eingang gefunden hat,57 um dann im Fazit noch einmal darauf zu sprechen zu kommen.

Für den Begriff der „christlichen Apologie“ muss zuerst einige definitorische Arbeit geleistet werden,58 um aus den vorhandenen Texten der lateinischen Tradition dann diejenigen zur Analyse auszuwählen, in der eine christliche Rhetorik und Verortung bezüglich Eingottglaube und Vielgötterei in der Welt des Römischen Reiches geleistet wird.59 Es besteht ein Konsens darüber, dass es keine Gattung Apologie gibt, dass sich die Autoren der Texte, die gewöhnlich unter diesem Begriff gefasst werden, vielmehr an verschiedenen Textgattungen orientierten.60 Die Definition muss sich also auf Themen und Adressaten der Argumentation richten. Das Thema kann dadurch abgegrenzt werden, dass zur Hauptsache eine Verteidigung des eigenen Christlichen gegenüber bestimmten Angriffen erfolgen soll,61 wobei im Fall der Kontroverse um Gott und die Götter solche von römisch-heidnischer Seite zu untersuchen sind.62 Ein Argument soll bei dieser Untersuchung dann besonders in Betracht gezogen werden, wenn es dazu gebraucht wird, das Christentum im Hinblick auf nichtchristliche Vorstellungen zu verteidigen oder zu profilieren.

Es stellt sich die Anschlussfrage, ob es sich um eine Profilierung in eigenen Kreisen oder gegenüber außen handelt und inwiefern reale Angriffe hinter einer ← 19 | 20 → Verteidigungsschrift stehen müssen. Diese Diskussion wird dadurch ausgelöst, dass sich die Texte vordergründig an Heiden, in einigen Fällen sogar an die nichtchristlichen Entscheidungsträger richten,63 dass eine heidnische Rezeption jedoch zumindest bei den lateinischen Texten umstritten oder gar unwahrscheinlich ist.64 So sollten apologetische Argumente immer in zwei Richtungen bewertet werden. Einerseits muss analysiert werden, inwiefern sie einen heidnischen Adressaten überzeugen können, andererseits aber auch, inwiefern sie für einen Christen ein annehmbares Bild des Eigenen gegenüber der Umwelt liefern können.65 Hinter der Darstellung von Adressaten und Gegnern ist immer auf die Rhetorik des Textes zu achten.66 Dies gilt bei den lateinischen Apologien insbesondere auch für die angeführten Angriffe auf das Christentum. Die wichtigsten Schriften diesbezüglich bei Celsus, Porphyrios und Julian Apostata spielen vermutlich keine oder nur eine geringfügige Rolle,67 während die Frage, ob der Rhetor Fronto überhaupt das Christentum kritisiert hat, anhand von Quellentexten nicht zu klären ist.68 Deswegen ist für die vorkonstantinischen Apologien der Status des Christentums als illicita religio (unerlaubte Religion) der wichtigste Anlass für das Verfassen einer Apologie.69 ← 20 | 21 →

Eine Verortung im Hinblick darauf, dass Apologien vom Namen her in der Tradition einer Verteidigungsrede vor Gericht standen, wobei diejenige des Sokrates bei Weitem am bekanntesten war,70 findet in der lateinischen Tradition nur bei Tertullian indirekt in Bezug auf Titel und Argumentation mit Sokrates statt, woran er aber letzten Endes keinen positiven Anschluss findet.71 Die restlichen lateinischen Texte tragen keinen entsprechenden Titel. Auch eine Verortung derselben in einer Texttradition, die über ein hellenistisches Judentum72 zu Paulus und von dort zunächst zu griechischen Autoren führt, erscheint wenig sinnvoll. Von den jüdisch-hellenistischen Autoren verwendet Tertullian gerade die apologetischen Texte nicht,73 während die anderen Apologeten diese jüdische Tradition gänzlich auslassen. Aus der griechisch-christlichen Tradition werden zwar Argumente übernommen, jedoch in einem sehr viel geringeren Ausmaß als aus der eigenen lateinischen Tradition in Bezug auf die jeweiligen Vorgänger und einen allgemeinen Bildungskanon.74 Einige kurze Paulusstellen liefern die Grundlagen für die Diskussion bezüglich Gott und den Göttern und sollen einführend angesprochen werden, insofern sie in den Texten rezipiert werden.75 Am stärksten ist die Verortung der Texte jedoch in der eigenen Tradition der lateinischen Apologetik selbst zu sehen, sodass Tertullian als Begründer der ← 21 | 22 → lateinischen Apologetik zu gelten hat und die restlichen Apologeten stets Anleihen bei ihm und seinen Nachfolgern nehmen.

Diesen Bezug auf Tertullians Apologeticum und die vorhergehenden Apologeten nehmen Minucius Felix mit dem Octavius, Laktanz mit seinen sieben Büchern der Divinae institutiones und Augustinus mit seinen 22 Büchern De civitate Dei. Alle vier Texte haben außerdem den Anspruch, beim Thema Monotheismus und Polytheismus die wichtigsten Themen und Argumente zum Vorteil des Christentums zu besprechen.76 So sollen sie als eine Art Hauptlinie der Argumentation um Gott und die Götter im Fokus dieser Untersuchung stehen. Wo analoge Argumente in anderen Schriften derselben Autoren auftauchen, sollen diese insbesondere dann besprochen werden, wenn sie Aufschluss für die Argumentation in ihrem wichtigsten apologetischen Werk geben. Eine Ausnahme ist hier Augustinus, wo das frühe Werk nur eine marginale Berücksichtigung finden soll, da eine Behandlung uferlos wäre und die These von einem Bruch mit seiner denkerischen Vergangenheit zu diskutieren wäre.77 Sämtliche weiteren Texte, die als „apologetisch“ gelten, sollen nur dann in die Untersuchung einbezogen werden, wenn das Verständnis der gewählten Schriften dadurch einen bedeutenden Zugewinn erhält.

Dies gilt nicht für die Carmina Commodians, die zwar ebenfalls etwa Topoi von den Göttern als Dämonen enthalten, dabei aber keine Systematik in einem ähnlichen Sinn wie die großen lateinischen Apologien entwickeln, und als poetische Texte vor allem mit einer anderen Methodik untersucht werden müssten.78

Das Werk Cyprians, der in der Wahrnehmung des Laktanz zwar als gebildeter und einflussreicher Christ, aber gerade nicht als Apologet galt, zeigt, dass nicht nur Schriften mit apologetischen Motiven etwas zur Erklärung der Argumente in den Apologien beitragen können. Sowohl Cyprians erstes Werk Ad Donatum, ← 22 | 23 → das insbesondere pastoral wirksame Dichotomien in Form einer Konversionserzählung enthält, als auch Ad Demetrianum enthalten immer wieder Topoi der apologetischen Götterkritik, wobei die Argumente nicht systematisch entfaltet werden.79 Für ein bestimmtes Argument von Interesse ist das von Michael Fiedrowicz nicht erwähnte Werk Ad Fortunatum, wo im fünften Kapitel das Monolatrie-Gebote eingeschärft wird und wo die relevanten Bibelstellen rezipiert werden, die dafür noch bei Augustinus, jedoch bei keinem der anderen Apologeten, eine wichtige Rolle spielen. Quod idola dii non sunt hingegen gilt als Kompilation aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, in der neben dem Octavius des Minucius auch die Divinae institutiones des Laktanz eingebaut wurden. Dieser Text kann den vorgestellten Autoren als Kommentar hinzugefügt werden.80

Die Schrift des Arnobius Adversus nationes gilt nicht als Apologie im engeren Sinne, da sie – offensichtlich auf Veranlassung durch einen Bischof geschrieben – insbesondere eine Polemik als Absage an das Heidentum enthält.81 Eine Begründung der Existenz des einen Gottes findet nicht statt und die Schrift wird bei den anderen Apologeten nicht rezipiert, was gerade bei Laktanz auffällig ist.82 Außerdem kann die Apologie von ihrer Qualität her ausgeschieden werden,83 ← 23 | 24 → was auch bei der unvollständigen Schrift Ad nationes von Tertullian geschieht.84 Im Hinblick auf früheste Erwähnung von Argumentationsformen in der lateinischen Apologetik ist jedoch seine Auseinandersetzung mit der Götterallegorese kurz anzusprechen.85

Läge der Schwerpunkt dieser Arbeit auf den Thesen Jan Assmanns, müssten auf jeden Fall auch die Texte des Firmicus Maternus untersucht werden. Seine zweite Schrift, De errore profanarum religionum, richtete sich an die Söhne Konstantins und zeigt eine bisher unbekannte Form der Intoleranz gegenüber nichtchristlichen Kulten.86 Ein Bezug auf frühere Apologien lässt sich aber nur schwer feststellen, auch wenn die geläufigen Argumente gegen die Götter vorhanden sind.87 Zusammen mit der Mathesis, in der Einzigkeitsmotive eine wichtige Rolle spielen, könnte man seine Schriften zusammengefügt im Bereich Einzigkeit und Pluralität der Götter als vollständige Apologien ansehen. Allerdings stellt sich das Problem, dass die erste Schrift gar nicht christlich gemeint ist, sondern sich auf Sol als höchsten Gott bezieht.88 ← 24 | 25 →

Nicht weniger wichtig wären aus der Sicht einer politischen Geschichte des christlichen Monotheismus Texte in der Auseinandersetzung um den Victoria-Altar. Die religionspluralistischen Vorstellungen des Symmachus in der dritten relatio und insbesondere deren christlichen Entgegnungen wären allerdings im Kontext dieser Auseinandersetzung zu kommentieren und können nicht wie die zu besprechenden Texte als konstruierte Apologie in den Blick genommen werden.89 Man kann dabei zum ersten Mal im apologetischen Kontext zeigen, wie sich die Voraussetzungen von Angriff und Verteidigungen verschieben, wenn Brief 17 des Ambrosius etwa gleich mit einem Psalmzitat als entscheidende auctoritas (Beglaubigung) beginnt.90

Ebenfalls in diesen Kontext gehören das Carmen contra paganos, das Carmen ad quendam senatorem und das Poema ultimum.91 Sie richten sich in ihrer jeweils eigenen Form gegen den Götterkult, ohne darin über Einzelkulte hinaus eine Systematik zu entwickeln. Sie führen auch in historische Kontexte, die bezüglich der Einzigkeitsthematik zwar eine gewisse Relevanz haben, das Feld aber zu weit öffnen würden.92 Das gilt auch für die Historiae adversus paganos des Orosius, der die Ausführungen darin mit dem Werk Augustins verknüpft.93 ← 25 | 26 →

1.3  Methode der Untersuchung

1.3.1  Rhetorische Analyse

Für die Frage, wie die Argumentation bezüglich der Einzigkeit Gottes und der Vielfalt der Götter zu interpretieren ist, drängt sich sowohl von der Kontroverse zur Thematik „Monotheismus“ als auch vom Gegenstand der Untersuchung her eine Analyse auf dem Hintergrund der (antiken) Rhetorik auf, in der die Funktion der Argumente und Vorstellungen zur positiven Darstellung der eigenen Gruppe im Fokus steht. Es stellt sich im Hinblick auf Assmanns Thesen die Frage, inwiefern Gott und die Götter im Kontext einer „Rhetorik der Gewalt“ als direkter Aufruf zur Gewalt oder als Argumentation, die in irgendeiner Form in Gewalt umschlagen kann oder konnte, eine Rolle spielen. Fredes These eines „pagan monotheism“ impliziert aber genauso eine rhetorische Fragestellung, wenn er christlichen und heidnischen Monotheismus gleichsetzen möchte und keine Erklärung dafür geben kann, warum die Christen dennoch auf ihrem Monotheismus als Distinktionsmerkmal beharrten.94 Will man nicht einfach bei dieser Unschlüssigkeit stehen bleiben, bedarf es der rhetorischen Untersuchung.95

Die Apologien selbst sprechen noch eindeutiger für einen zu klärenden rhetorischen Hintergrund. Mit Tertullian gibt uns der Begründer der lateinischen Apologetik diesen Interpretationsschlüssel selbst. Er beschreibt seine apologetische Arbeit als Sammeln von testimonia (Zeugnissen) für die veritas Christiana (christliche Wahrheit) aus den Schriften der Gegner selbst, um bei ihnen einen Irrtum in se (gegenüber sich selber) zu erweisen.96 Daraus ergibt sich ein Vorgehen, bei dem die Argumente darauf hin analysiert werden müssen, inwiefern sie beim heidnischen Leser überzeugend sein können. Auch Laktanz verortet sich selbst, aber auch seine beiden Vorgänger, in der rhetorischen Tradition und kann dafür seine Berufstätigkeit als ← 26 | 27 → Rhetoriklehrer in Bithynien anführen.97 Bei Augustinus, der denselben beruflichen Hintergrund hat,98 lässt sich gar ein eigener Text zur Rhetorik finden.99

Die rhetorische Gestaltung der Texte ist immer mit Blick auf das gebildete Publikum zu interpretieren. Die Apologeten argumentieren nicht nur innerhalb dieser Tradition, sie stellen es für den gebildeten Adressaten auch auffällig so dar. Tertullian verwendet gleich zu Beginn eine Anrede an die Romani imperii antistites (Statthalter des Römischen Reiches) und lehnt sich auffällig an die forensische Rhetorik an,100 Minucius bildet in seiner Einleitung diejenige von Cicero nach101 und Augustinus nennt sein Werk ebenfalls mit deutlichem Bezug auf Cicero ein magnum opus et arduum (großes und schwieriges Werk).102 Dies ist so zu interpretieren, dass die Bildung als Kenntnis des gemeinsamen Literaturkanons gezeigt werden soll. Grundsätzlich kann hierzu jeglicher Text, der in der antiken Schule eine Rolle spielte, mit diesem Ansinnen zitiert werden.103 Am besten geschieht dies allerdings durch Texte aus der rhetorischen Tradition, ist doch der Rhetorikunterricht die höchste Stufe der antiken Schule.104 ← 27 | 28 →

Obwohl nur wenig dagegen spricht, die Texte auf dem Hintergrund der antiken Rhetorik zu lesen, sind die Gründe besonders prominent. Es kann vor allem angeführt werden, dass es Stellen gibt, in denen sich die Apologeten explizit von Rhetorik abgrenzen möchten, indem etwa Tertullian einer ars verborum (Kunst der Worte) die veritas (Wahrheit) entgegenzustellen versucht105 oder Augustinus abgrenzend auf den sermo piscatorius (Fischerrede) der frühen Christen verweist.106 Bei Minucius umfasst dieser Gedanke ein ganzes Kapitel, in dem er verborum lenocinio (durch den verführerischen Prunk der Worte) eine Ablenkung des Lesers von der Wahrheit feststellt.107 Die Entkräftung dieses Argumentes scheint allerdings nicht schwer: Die faktische Verwendung derselben macht eine wörtliche Deutung der Rhetorikkritik unmöglich. Ganz im Gegenteil: Man muss denjenigen sicher Recht geben, die diese Art der Argumentation als rhetorica contra rhetoricam (Rhetorik gegen Rhetorik) bezeichnen, also einer Zuhilfenahme einer philosophischen Kritik an der Rhetorik bei gleichzeitiger Verwendung.108 Eine solche Argumentation wird dadurch ermöglicht, dass die Philosophie als höchste Stufe der Bildung gilt, bei der allein es um die Suche nach der Wahrheit geht.

Der Sachverhalt, dass die Apologien sich in eine rhetorische Tradition stellen, ist seit Geffcken grundsätzlich bekannt.109 Äußerungen zum eigenen rhetorischen Vorgehen finden sich bei den Apologeten allerdings zu wenig, und diese haben häufig selbst eine bestimmte Tendenz, als dass darin ein Analyseinstrumentarium gefunden werden könnte. Einzig Augustinus hat sich ausführlich zu einer eigenen rhetorischen Theorie geäußert, allerdings mit dem Vorhaben, damit die Bibelverkündigung zu fördern.110 Die wichtigste Hilfe zur Analyse bieten deswegen die Rhetorik-Lehrbücher, die in der Spätantike allgemein verbreitet waren. In allen Texten (außer bei Tertullian) wird hier insbesondere Cicero als ← 28 | 29 → Vorbild genommen oder zumindest angegeben.111 Von seinen Texten zur Rhetorik ist aber einzig De oratore eine breit gefächerte Einführung, alle anderen Werke umfassen nur einen begrenzten Gegenstand.112 Umfassendere Hilfestellung bietet Quintilian in der Institutio oratoria.113 Da bereits bei ihm ein Lob Ciceros zu finden ist,114 ist diese Wertung des früheren Rhetorikers selbst wieder zu einer Tradition geworden, und die Darstellung bei den Apologeten kann auch unter diesem Vorzeichen gelesen werden. Für die Erklärung ihrer Texte muss für die antike Theorie auch die aristotelische Rhetorik herangezogen werden, ohne die die lateinische Tradition gar nicht verständlich wird.115

Gerade aus diesen Texten ergibt sich ein zweites Problem für einen rhetorischen Zugriff, das sich aber nicht auf Apologien als Texte, sondern auf Argumentationen mit Gott und den Göttern bezieht. Gehört die Frage nach Gott nicht zur philosophischen Betrachtung und entzieht sich der rhetorischen Verwendung? Diesem Vorwand kann man nur mit einem Blick in die rhetorische Tradition begegnen: Aristoteles führte eine Trennung durch zwischen der Dialektik, die sich mit der Wissenschaft beschäftigt, und der Rhetorik, deren Ort die Politik, das Recht und feierliche Veranstaltungen sind.116 Der Gottesbegriff gehört bei ihm zur Wissenschaft. Er betont sogar, dass es Dinge gebe, die die Rhetorik nicht behandeln soll, wozu insbesondere die Frage gehört, ob die Götter zu verehren ← 29 | 30 → sind oder nicht.117 Bei Cicero verschiebt sich das Interesse hin zur Rhetorik und er vertritt den Gedanken, dass eine cognitio rerum (Erkenntnis der Dinge) nur dann von Bedeutung sei, wenn sich damit eine ethische Frage verbinde.118 Wie bereits Quintilian bemerkte, hat er in seiner ersten Schrift De inventione die sogenannten quaestiones infinitae (unbegrenzte Fragestellungen)119 deswegen nicht in den Arbeitsbereich des Rhetorikers eingeordnet.120 In seinen späteren Schriften aber erhielten diese insofern eine Bedeutung, als sie für die jeweiligen spezifischen Fragen von wichtiger Bedeutung sind. Der perfekte Redner Ciceros kennt sich somit in philosophischen Fragen aus.121 Diese Sichtweise spielte auch eine Rolle für die Staatstheorie. So ist es zu verstehen, dass die Verknüpfung des Arguments der kosmischen providentia (Vorsehung) des einen Vorsehenden mit der Staatsgewalt des einen Herrschenden zu einem der klassischen Beispiele römischer Rhetorik wird.122

Die Frage nach Gott ist vor diesem Hintergrund als philosophische Thesis123 auszuführen, und es ist zu fragen, ob es Gott gibt, was er ist und wie er beschaffen ist.124 Für den ersten Schritt ist mit der gleichen Art der Auffindung von Argumenten vorzugehen, die Cicero im Rekurs auf Aristoteles als Topik bestimmt hat.125 Der Gottesbegriff kann vom Begriff her entweder etymologisch oder nach seiner Funktion und Relevanz bestimmt werden.126 Die restlichen Argumente für diese Vorstellungen sind von eben diesen Ausführungen abhängig, es lassen sich aber noch einmal Möglichkeiten finden, diese allgemein zu kategorisieren. Laktanz geht mit der rhetorischen Tradition konform, wenn er als die drei Typen von Argumentation den Gebrauch der auctoritas, der ratio (Grund) und ← 30 | 31 → der inductio (induktiven Beweisführung) unterscheidet.127 Die beiden letzten Typen gehen direkt auf Aristoteles zurück, der in der Rhetorik zwischen einem Enthymema (Schluss) und einem Paradigma (Beispiel) unterscheidet, wobei Ersteres als aussagekräftiger betont wird.128 Dies wird von Quintilian insofern weitergeführt, als er von der ratio als certa quaedam comprensio sententiae, quae ex tribus minime partibus constat (eine gewisse Gedankenverbindung, die aus wenigstens drei Teilen besteht) spricht.129 Aus zwei allgemeingültigen Aussagen soll eine dritte geschlossen werden. Das exemplum (Beispiel) kann bei Quintilian sowohl einen induktiven Syllogismus als auch eine reine Illustration einer These meinen.130 Hier soll aus (möglichst vielen) Beispielen eine allgemeingültige Aussage gezogen werden.131

Inwiefern die formalen Argumente ohne rhetorischen Bezug auf eine auctoritas überhaupt formuliert werden sollen, wird in der Antike anders gesehen als heute.132 Aristoteles etwa schreibt, dass Argumente erst dann von Bedeutung sind, wenn ein gewichtiger Philosoph ihnen zugestimmt hat.133 Bei ihm liegt die auctoritas nicht beim Logos, sondern beim Ethos eines Redners. Quintilian schließt aus, dass mit einem neuen Argument irgendetwas glaubwürdig gemacht ← 31 | 32 → werden könne, da doch etwas Unsicheres nicht mit etwas Unsicherem zu bestätigen ist.134 So ist damit zu rechnen, dass auch die Apologeten anerkannte Argumente für ihre Position anführen möchten. Aufgrund der wichtigen Bedeutung des Ethos ist außerdem die Vorliebe für Angriffe ad personam zu erklären.135

Eine Einführung in die möglichen Rekurse auf Argumente der verschiedenen philosophischen Traditionen soll hier nicht gegeben werden, da diese im Gegensatz zu biblischen Vorstellungen in den Texten direkt angeführt werden. Insbesondere diejenigen aus Ciceros Dialog De natura deorum bieten sich aus rhetorischer Sicht an.136 Für die Götterthematik ist die Schrift aber nicht ausreichend, da die platonische Sicht unberücksichtigt bleibt. Die drei klassischen hellenistischen Interpretationsansätze, der Euhemerismus, der Dämonismus und die Allegorese, boten sich deswegen an,137 wobei nur der letzte Erklärungsversuch nicht bei allen lateinischen Apologeten auftritt. Weniger geläufige Theorien wie etwa diejenige, dass die Götter eine Erfindung der Herrscher waren, werden kaum diskutiert.138 ← 32 | 33 →

Die Argumentation um die Götter in rhetorischer Tradition stellt sich bei den Apologeten auch der Aufgabe, nicht nach dem mos philosophorum (Art der Philosophen) knapp zu bleiben, sondern der copia rhetorum (Reichtum der Rhetoren) als Ideal zu folgen und eine gewisse amplificatio (Ausweitung) zu erreichen.139 Da die Existenz Gottes bei den lateinischen Apologeten gerade nicht in Unsicherheit gezogen werden soll, stellt die Argumentation eine nicht unbeträchtliche Schwierigkeit dar. Sehr viel einfacher stellt sich die Aufgabe bei den vielen Göttern. Hier kann die Argumentation durch eine Art (fiktiver) Argumentation gegen die Götter ad Personam ergänzt werden, wobei deren Moralität und die Moralität ihres Kultes in Zweifel gezogen werden. Im Gegensatz zur Frage nach dem einen Gott können dadurch Emotionen besser angesprochen werden.140 Nicht selten scheinen die Texte zu einer neuen Gattung, der Satire, überzugehen.141 All dies erlaubt eine für unsere heutigen Vorstellungen weitschweifige Argumentation, was aber in der Antike nicht kritisiert wurde.142

Details

Pages
298
Publication Year
2018
ISBN (PDF)
9783631758342
ISBN (ePUB)
9783631758359
ISBN (MOBI)
9783631758366
ISBN (Hardcover)
9783631747575
DOI
10.3726/b14234
Language
German
Publication date
2018 (September)
Keywords
Gottesbilder Gottesbeweise Götterpolemik Augustinus Tertullian Nouvelle Rhétorique
Published
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. 298 S.

Biographical notes

Peter Lötscher (Author)

Peter Lötscher studierte katholische Theologie und Geschichte an der Universität Luzern. Von 2012–2015 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt «Die Rhetorik des Monotheismus im Römischen Reich» am Seminar für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und christliche Archäologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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Title: Monotheismus zwischen Rhetorik und Philosophie bei Tertullian, Minucius Felix, Laktanz und Augustinus