Psychologie in Köln
Ein Fach und ein Institut entstehen
Zusammenfassung
Der methodische Ansatz verfolgt drei Stränge: die Entwicklung der Fachdisziplin Psychologie, die konkrete Institutionsgeschichte sowie die Biographien der wichtigsten Protagonisten dieses Zeitraums. Der Jesuit Johannes Lindworsky gründete das Psychologische Institut während der Weimarer Republik; der Wehrpsychologe Robert Heiß belebte es während des Zweiten Weltkrieges erneut. Ihrer beider Assistentin Maria Krudewig gehörte zu den wenigen Frauen, die in der damaligen Zeit studieren durften.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Herausgeberangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Prolog
- 1. Einleitung
- 1.1 Methodisches Vorgehen und Quellenlage
- 2. Psychologie in Köln vor Wiedergründung der Universität im Jahre 1919
- 2.1 Albertus Magnus, der erste Kölner und mitteleuropäische Psychologe
- 2.2 Psychologie an der Handelshochschule Köln (1901–1918)
- 2.2.1 Gustav von Mevissen und die Anfänge der Handelshochschule
- 2.2.2 Kollegiale Hilfe aus Bonn
- 2.2.3 Weitere Psychologie-Lehrende
- 2.3 Psychologie und Frauenhochschulstudium
- 2.4 Vereinigung für rechts- und staatswissenschaftliche Fortbildung
- 3. Die Wiedergründung der Universität zu Köln im Jahre 1919
- 3.1 Im Westen nichts Neues? – Auseinandersetzung um den Standort Köln
- 3.2 Sinnhaftigkeit einer Großstadtuniversität
- 3.3 Selbstbehauptung der Stadt Köln
- 3.4 Wiedergründung und Neugründung
- 4. Psychologie an der Universität zu Köln (vor Lindworsky)
- 4.1 Max Scheler (1874–1928)
- 4.2 Psychologie und die Besetzung des dritten Philosophielehrstuhls durch Driesch
- 5. Johannes Lindworsky (1875–1939)
- 5.1 Stellung der Experimentellen Psychologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts
- 5.2 Lindworskys Habilitation
- 5.3 Psychologie in der Lehrerausbildung und als Hauptfach im Rahmen der Promotion
- 5.4 Eingeschränkte Venia Legendi für Lindworsky
- 5.5 Besetzung des dritten Philosophieordinariates nach Drieschs Weggang
- 5.6 Ernennung Lindworskys zum außerordentlichen Professor
- 5.7 Experimentelle Psychologie außerhalb der Philosophischen Fakultät
- 5.8 Zur Person Lindworskys als Hochschullehrer in Köln
- 5.9 Einheit von Philosophie und Psychologie
- 5.10 Erst Ausbildung, dann Anwendung
- 6. Das Psychologische Institut
- 6.1 Räumlichkeiten und „Gründungsphase“ des Psychologischen Institutes
- 6.1.1 Die erste Bleibe des Psychologischen Institutes, das ehemalige Juristische Seminar
- 6.1.2 Die zweite Bleibe des Psychologischen Institutes, das ehemalige Deutsch-Südamerikanische Institut
- 6.1.3 Bemühungen um eine offizielle Anerkennung
- 6.2 Das Psychologische Institut – „sein“ Institut
- 6.2.1 Gründung der „Psychologischen Gesellschaft“
- 6.2.2 Fragen von Aufsicht und Leitung
- 6.2.3 Einrichtung und Ausstattung des Psychologischen Institutes unter Lindworsky
- 6.2.4 „Alltagsprobleme“ im Institut
- 6.2.5 Assistenz am Psychologischen Institut (in der Zeit Lindworskys)
- 7. Chronologie der Verweigerung eines Lehrstuhls
- 7.1 „Warum ließ man Lindworsky gehen?“
- 7.1.1 Pressekampagne der Kölnischen Volkszeitung
- 7.1.2 Reaktion der Universität
- 7.2 Die Zeit danach
- 7.2.1 Situation der experimentellen Psychologie Ende der zwanziger Jahre
- 7.2.2 Deutsche Universität Prag
- 7.2.3 Psychologisches Institut in der Zeit zwischen Lindworsky und Heiß (1928–1938)
- 8. Maria Krudewig oder Karrieren für Männer, Barrieren für Frauen
- 8.1 Der gesellschaftliche Hintergrund
- 8.2 Exkurs: Edith Stein
- 8.3 Maria Krudewig – Von der Volksschule an die Universität
- 8.3.1 Olga Marum
- 8.3.2 Maria Krudewig als Mitglied in NS-Organisationen
- 8.4 Prekäre Arbeitsverhältnisse und Diskriminierung
- 8.5 Lehrveranstaltungen Maria Krudewigs bis 1945
- 8.6 Exkurs: Lebenslauf Krudewig nach dem Zweiten Weltkrieg
- 9. Institut nach der „Machtergreifung“
- 9.1 Politische Situation in Köln nach der „Machtergreifung“
- 9.2 Universitäre Situation nach der „Machtergreifung“
- 9.2.1 Personelle Veränderungen an der Universität zu Köln
- 9.2.2 Entziehung akademischer Grade
- 10. Robert Heiß (1903–1974)
- 10.1 Psychologisches Institut nach 1937
- 10.2 Forschungsaufgaben
- 10.3 Exkurs: Ausdruck, Gestalt, Ganzheiten
- 10.4 Räumliche Situation des Psychologischen Institutes ab 1934
- 10.5 Personalfragen
- 11. „Manchmal ergibt auch eine schwere Geburt ein schönes Kind“ – Schlussbetrachtung
- Abkürzungsverzeichnis
- Literaturverzeichnis
- Verzeichnis der Archivalien
- Quellen bis 1945 und weitere Primärliteratur
- Quellen nach 1945
- Online-Quellen ohne konkrete Autorenangabe
- Abbildungsverzeichnis
- Anhang 1: Zeittafel zur Orientierung
- Anhang 2: Psychologievorlesungen an der Handelshochschule
- Anhang 3: Lehrveranstaltungen in Psychologie im Rahmen des „Frauen-Hochschulstudiums für soziale Berufe an der Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung“
- Anhang 4: Lehrveranstaltungen in Psychologie bzw. Lehrveranstaltungen mit psychologischen Inhalten von 1919 bis 1945 an der Universität zu Köln
- Anhang 5: Schriften Lindworskys aus seiner Kölner Zeit
- Anhang 6: Dissertationen bei Lindworsky (aus seiner Kölner Zeit)
- Anhang 7: Schriften von Maria Krudewig
- Anhang 8: Schriften von Robert Heiß aus seiner Kölner Zeit
- Anhang 9: Ariernachweis Robert Heiß
- Anhang 10: Diplomprüfungsordnung 1941
Prolog
Die Anregung zu dieser Arbeit geht auf Prof. Dr. Hannes Stubbe zurück. Bereits in seinem Werk über Albertus Magnus, den ersten Kölner und mitteleuropäischen Psychologen, bedauerte Prof. Stubbe das Fehlen einer „Geschichte des Kölner Psychologischen Instituts“ (2012a, S. 104). Danke für diesen Impuls!
Es liegen zwar Darstellungen zur Geschichte der Psychologie im deutschsprachigen Raum vor (vgl. Lück, 1996; Schönpflug, 2016), auch spezifische Darstellungen für den hier einschlägigen Zeitraum bis 1945 (vgl. Geuter, 1984), darüber hinaus Werke zur Geschichte der Universität zu Köln (vgl. Heimbüchel, 1988; Haupts, 2007). Bislang fehlt jedoch ein Werk, das beides miteinander verbindet und sich dezidiert mit der Geschichte der Psychologie an der Universität zu Köln auseinandersetzt. Grund genug, einmal den Blick hierauf zu richten.
2019 jährt sich der Jahrestag der Wiedergründung1 der Universität zu Köln zum einhundertsten Mal. Dieses „kleine Jubiläum“ ist ebenfalls ein Anlass, das Augenmerk ein wenig auf die jüngere Vergangenheit zu lenken.
Besagte jüngere und jüngste Vergangenheit birgt neben den fachlichen auch noch Herausforderungen ganz anderer Art: seit der Jahrhundertwende ist die deutsche Rechtschreibung vielfach verändert worden. Allgemein üblich ist die Kennzeichnung von Formen, die von der aktuell gültigen Fassung des Dudens abweichen, durch ein „[sic]“ (ohne Anführungszeichen). Da die in diese Arbeit mit einbezogenen zeitgenössischen Texte aber so ziemlich jeder Rechtschreibung seit der Jahrhundertwende folgen, würde eine konsequente Kennzeichnung im o.g. Sinne die Arbeit unlesbar machen. Aus diesem Grund wurde darauf verzichtet; lediglich augenscheinliche Tippfehler oder Besonderheiten des Originals (bspw. bzgl. der Grammatik) sind gekennzeichnet.
Ebenfalls eine Eigenheit der jüngsten Geschichte ist die Tatsache, dass Informationen nun auch online verfügbar sind – allerdings gelegentlich ohne Autorenangabe (meist in den Fällen, in denen es sich um öffentliche Quellen handelt). Aus diesem Grund enthält das Literaturverzeichnis einen separaten Abschnitt zu Online-Quellen ohne Autorenangabe.
Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf Binnen-I, Doppelformulierungen, Unter-Striche, Gender-Sternchen o.ä. verzichtet. Angesprochen sind dennoch selbstverständlich immer beide biologischen Geschlechter.
Wann hat man schon einmal die Chance, so viele der eigenen Interessensgebiete miteinander zu verbinden? Die Begeisterung für das eigene Fach, die Vorliebe für die historische Entwicklung dieses Faches im Kontext seiner Zeit, die Freude an juristischen Absurditäten und nicht zuletzt das, was heute ein wenig ← | pageId="12"→pathetisch-ironisch mit dem Begriff „Lokalpatriotismus“ umschrieben wird; dies alles konnte hier Raum finden.
Ohne Unterstützung vielfältiger Art kann ein solches Werk nicht entstehen. Neben institutioneller Unterstützung, etwa durch die diversen Archive oder die bereitwillige Erteilung von Abdruckgenehmigungen für Bilder, sind vor allem einige Menschen zu nennen, die den Weg dieser Arbeit und die Autorin begleitet und auf vielfältige Art unterstützt haben.
Allen voran gebührt an dieser Stelle dem Doktorvater, Prof. Dr. Hannes Stubbe, ganz besonderer Dank: für ein stets offenes Ohr, für großzügiges Teilen seines immensen Fachwissens, viele Anregungen für die Recherche und vor allem für die stets rasche und hilfreiche Reaktion auf Fragen.
Bei Fragen und Unsicherheiten standen ebenfalls stets hilfreich zur Verfügung: Prof. Dr. Egon Stephan und Prof. Dr. Birgit Träuble. Auch ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt, ebenso wie Dr. Gerd Pfeiffer, der bereitwillig nicht nur sein fachliches Know-how zur Verfügung stellte, sondern auch seine persönlichen Eindrücke vom Beginn seiner eigenen Studienzeit. An Prof. Dr. Ellen Aschermann ergeht der Dank darüber hinaus für die Überlassung von Sekundärmaterialien.
Beim „Entknoten von Gedanken“ waren unverzichtbar: Jacqueline Neumann, Karin Frank und Dr. Alexandra Eichler.
Um den nötigen Freiraum zu schaffen, damit diese Arbeit überhaupt entstehen konnte, sind entsprechende zeitliche Rahmenbedingungen notwendig. Der Dank für Unterstützung in diesem Bereich (Stichwort „Rücken freihalten“) geht vor allem an das Team des SSC Psychologie.
Für Argusaugen beim Korrekturlesen und für ganz viel Entlastung von all den organisatorischen Dingen, die „nebenbei“ so anfallen (von der Recherche möglicher Druckereien über das Entziffern schier unlesbarer, handschriftlicher, weil in Sütterlin geschriebener Protokolle, bis hin zum ganz praktischen „Asyl“, das ruhiges Arbeiten auch in unruhigen Zeiten ermöglichte) ist herzlich zu danken: Heike Baller, Anke Wolter sowie Anne und Peter Rapp.
Und nicht zuletzt geht Dank an diejenigen, die für Ablenkung gesorgt haben und dafür, dass die Autorin gelegentlich mal „den Kopf wieder frei kriegen“ und Kraft tanken konnte. In diesem Kontext sind viele der bereits genannten Menschen ebenfalls mit enthalten, auch darüber hinaus wären noch viele Menschen zu nennen. Um den Rahmen nicht zu sprengen, sei hier exemplarisch besonders eine herausgegriffen, die auf Ihre ganz besondere Art ablenken, zum Lachen bringen und „auf den Boden holen“ kann: Antonia Rapp (derzeit zwei Jahre alt), stets begleitet von Martin und Mareike sowie seit Kurzem von Theresa.
Ohne Euch und Sie alle gäbe es diese Arbeit nicht. Von Herzen Danke dafür!
Diese Dissertation wurde von der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Juli 2017 angenommen.
1 Die Fünfjahreschronik von 1925 spricht auch von „Neugründung“ (Universität Köln, 1925, S. 1).
1. Einleitung
„Wissen um Geschichte und Vergangenheit ist essentiell für eine erfolgreiche Zukunft“, sagt Fritz Schramma, der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Köln anlässlich einer Feier im Jahre 2007 im historischen Rathaus der Stadt Köln (Schramma, 2007). Er zitiert in diesem Zusammenhang Theodor Heuss, den ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland: „Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht“.
Die Frage „Woher komme ich?“ hat einen erheblichen Einfluss auf die Frage „Wohin gehe ich?“. Der österreichische Psychologe Giselher Guttmann sagt: „Will man die Gegenwart verstehen oder es wagen, vorsichtig die Entwicklungslinien der nächsten Zukunft vorherzusagen, ist es gut, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen“ (Guttmann, 1995, S. 6). In diesem Sinne soll diese Untersuchung nicht nur als eine die Historie aufarbeitende Studie angesehen werden. Sie soll auch eine Hilfestellung geben in der Einschätzung der gegenwärtigen Einwicklung und in der Einordnung in einen wissenschaftlichen Zusammenhang der Einzelwissenschaft Psychologie. Das Wissen um die eigene Herkunft ist für die Identitätsbildung2 unabdingbar. Das gilt auch für die eigene Fachgeschichte.
Diese hier vorliegende fachhistorische Arbeit, die sich explizit mit der Psychologie an der Universität zu Köln und schwerpunktmäßig mit dem Psychologischen Institut der Universität zu Köln beschäftigt, zeigt u. a. auf, dass der gesellschaftspolitische Hintergrund die Entwicklung der Psychologie an der Kölner Universität entscheidend beeinflusst und geprägt hat. Die historisch-deskriptive Betrachtungsweise nimmt folglich in dieser Arbeit auch einen breiten Raum ein. Dabei wird die Psychologiegeschichte hier weder als „Folge von mehr oder weniger unverbundenen psychologischen Autoren noch als zielstrebiges themengeschichtliches Kontinuum“ gesehen (Benesch et al., 1990, S. 47). Gerade die Entwicklung des Psychologischen Institutes der Universität zu Köln wird wahrscheinlich sogar eher die Assoziation zum Begriff der Diskontinuität wachrufen.
Angesichts des behandelten Zeitraums drängt sich mit Rückblick auf die Geschichte auch die Frage nach der Shoa auf. Überraschenderweise ergab die Recherche hierzu nur eher marginale Ergebnisse; nichtsdestotrotz spielen Wertvorstellungen und Glaubensfragen eine große Rolle. Aber die ideologischen Kriege wurden eher auf anderen „Schlachtfeldern“ ausgetragen: gegenüber dem Katholizismus in Gestalt des Jesuiten Johannes Lindworsky, gegenüber Frauen in Gestalt seiner Assistentin Maria Krudewig sowie in der Frage nach Professionalisierung und Möglichkeiten der psychologischen Forschung während der NS-Zeit im Falle von Robert Heiß. Der so genannte Zeitgeist und die damit verbundenen kulturgeschichtlichen Strömungen sind nicht ←13 | 14→loszulösen von der Fachgeschichte. Dies ist der Hintergrund für menschliche Schicksale und Lebenswege, die sich in Verbindung mit dem augenscheinlich „leblosen“ Psychologischen Institut der Universität zu Köln ereignen. Wegen der jahrzehntelangen engen Verwobenheit zwischen dem Psychologischen Institut und der Person von Maria Krudewig wurde der Zeitrahmen dieser Arbeit in Bezug auf die Person Maria Krudewigs auch etwas über den Rahmen von 1945 hinaus ausgedehnt.
„Wissenschaften sind längst nicht mehr allein theoretische Systeme, sie sind auch gesellschaftliche Institutionen“, schreibt Geuter (1984, S. 21). Petri betont: „Zu verstehen, wie Wissenschaft sich verändert, heißt zu verstehen, wie sie als kulturelle und soziale Praxis funktioniert.“ (Petri, 2004, S. 14). Es geht folglich in dieser Arbeit auch darum, „die geistigen Strömungen einer Zeit zu erkennen und zu erahnen und die Entwicklung der Disziplin aus diesen Strömungen heraus (oder im Gegensatz zu ihnen) aufzuzeigen“ (ebd.). Salber sagt sinngemäß, dass Gedankengänge nie ohne zeitgeschichtlichen Kontext zu verstehen seien, dass „seelische Logik“ im Kontext von Kultur stehe und sich in ihr ausdrücke (vgl. Salber, 1993).
„Die Etablierung neuer Wissenschaften, vor allem seit dem 19. Jahrhundert, fand mit der Gründung eines Instituts die entsprechende Anerkennung“ (Klüpfel & Graumann, 1986, S. 3). Dies galt insbesondere für die Naturwissenschaften. Zur Geschichte des Psychologischen Institutes gehört folglich untrennbar die Geschichte der Institutionalisierung der Fachdisziplin Psychologie hinzu; oder verkürzt ausgedrückt: ohne das Fach Psychologie gäbe es auch kein Psychologisches Institut. Neben dem Raumangebot mit entsprechender Einrichtung und entsprechenden Apparaturen (= Institut) gehören zur Institutionalisierung eines Faches sicherlich ein Lehrstuhl, ein planmäßiges Lehrangebot, eine Prüfungsordnung und (regelmäßige) Veröffentlichungen. Es mag sein, dass für viele andere Fachdisziplinen diese Gedankengänge nahezu überflüssig (weil selbstverständlich) sind; im Falle der Psychologie sind sie jedoch berechtigt. Es gibt kaum ein Fach, das eine so lange Zeit bis zur endgültigen Institutionalisierung, d.h. bis zur endgültigen Anerkennung als selbstständige Fachdisziplin (ausgestattet mit einem Institut) gebraucht hat wie die Psychologie.
Carl Friedrich Graumann (1923–2007), in Köln geboren und 1952 bei Maria Krudewig an der Universität zu Köln promoviert, ab 1963 ordentlicher Professor am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg3, und sein Coautor Jürgen Klüpfel beschreiben deshalb auch die großen Schwierigkeiten, den „relevanten Kontext“4 in der Historiographie, darzustellen:←14 | 15→
„Aber gerade diese Perspektive auf eine Wissenschaft als institutionalisiertes Fach hat in der Historiographie der Psychologie noch kein systematisches Interesse gefunden. Zwar kann man aufgelistet nachlesen, wann (seit Leipzig 1879) wo welches Psychologische Institut gegründet worden ist. Auch gibt es für einzelne Institute, meist jubiläumsbedingt, Berichte darüber, wie es zu ihrer Gründung kam bzw. welches Schicksal sie hatten. Die Analyse der Bedeutung der Institutionalisierung für die Psychologie, speziell die der Institutsgründung, und die Einbettung dieses oft langwierigen und von Misserfolgen gekennzeichneten Institutionalisierungsprozesses in den relevanten Kontext ist jedoch Desiderat geblieben; vielleicht auch deswegen, weil der relevante Kontext so komplex und so schwer zu rekonstruieren ist. Fakultätsgeschichte, Universitätsgeschichte im Kontext der jeweiligen Fach-, Kultur- und Finanzpolitik, die ihrerseits übergeordneten politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen und ,Zwängen‘ gehorchen, bilden diesen äußeren Kontext, innerhalb dessen sich die eher wissenschaftsimmanenten Interessen an Forschung und Lehre, vertreten durch mehr oder minder überzeugende und einflussreiche Fachvertreter, artikulieren müssen, teils unterstützt, teils irritiert durch die wechselnden Stimmen der Studentenschaft.“ (Klüpfel & Graumann, 1986, S. 6).
Graumann und Klüpfel weisen weiter darauf hin, dass die Geschichte eines Faches auch aus einer „Vielzahl vergeblicher Bemühungen, versandeter Traditionen, unwirksam oder kaum öffentlich gewordener Nebenzweige und Sackgassen“ besteht und es sei sicher berechtigt, auch diesem im Sinne einer umfassenden Psychologiehistoriographie nachzuspüren. Lück geht sogar so weit zu sagen, dass die Geschichte der Psychologie auch die Rolle des „schlechten Gewissens“ spielen sollte, „indem sie Versäumnisse, Fehlentwicklungen, zu Unrecht in Vergessenheit geratene Ideen usw. herausstellt“ (Lück, 2002, S. 9). Infolgedessen wird auch diese Arbeit die Geschichte der Psychologie an der Universität zu Köln und die Entwicklung des dazugehörigen Institutes auch von den weniger schönen Seiten her beleuchten (Arbeitsbedingungen, prekäre Arbeitsverhältnisse, politische Vorgaben und Einflussnahme etc.) oder, etwas profaner ausgedrückt und um Eugen Roth (1895–1976) aus seinem im Jahre 1937 erschienenen Werk „Der Wunderdoktor. Heitere Verse“ zu zitieren: „Ein Mensch erlebt den krassen Fall, es menschelt deutlich – überall“.
Die Psychologiegeschichte hat im Rahmen der wissenschaftlichen Disziplin „Psychologie“ einen schweren Stand. „Die Geschichte der Psychologie ist so etwas wie ein weißer Fleck auf der Landkarte des öffentlichen Bewusstseins. So fest haftet an dem Begriff ,Psychologie‘ der Schein der ,jungen‘ Wissenschaft, des Modernen, wohl auch Modischen, dass der Gedanke an seine historische Dimension fern liegt“ (Traxel, 1987, S. 9). Stubbe spricht sogar von einer intensiven einseitigen Amerikanisierung der westdeutschen Psychologie nach dem Zweiten Weltkrieg und „dem gänzlichen Schwinden eines geschichtlichen Bewusstseins in der Psychologie“ (Stubbe, 2012a, S. 47).
Gerade im Zusammenhang mit dem schweren Stand der Psychologiehistorie im Bereich der wissenschaftlichen Psychologie darf oder muss sogar die Frage erlaubt sein, ob eine historische Fundierung überhaupt für das Selbstverständnis der wissenschaftlichen Einzeldisziplin Psychologie notwendig ist.←15 | 16→
„Genügt es nicht, die fachspezifische Methodologie und Methodik zu handhaben, die fachspezifische Terminologie zu beherrschen und die heutige fachspezifisch-inhaltliche Perspektive auf eine Problemkonstellation einzunehmen? Ist nicht der Blick für die spezifisch-psychologische Relevanz einer theoretischen oder praktischen Fragestellung auch ohne wissenschaftshistorisches Hintergrundwissen erkennbar?“ (Eckardt, 2010, S. 16)
Eckardt verweist darauf, dass man bei Beantwortung dieser Frage bedenken solle, dass das Selbstverständnis des Einzelwissenschaftlers „das Ergebnis disziplinärer Sozialisation“ sei, die ihrerseits aus historischen Entwicklungen des Faches resultiere. Besonders deutlich wird der Rückgriff auf die eigene Geschichte in der Präambel der Grundordnung (2015) der Universität zu Köln, wo es (auszugsweise) heißt: „Im Bewusstsein ihrer Geschichte verwirklicht die Universität zu Köln die Freiheit der Wissenschaft und ist sich dabei ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst“.
Gerade das Fach Psychologie zeigt eine Entwicklung, die Zweifel aufkommen lässt, ob der einzelne Psychologe noch die Draufsicht über seinen Standort behalten kann. Hier liegt die Aufgabe der allgemeinen und lokalen Fachgeschichte; Einblick in die Historie des eigenen Faches sorgt für Orientierung und gibt Möglichkeit zur Verortung und somit für die Einordnung in die Fachgeschichte vor Ort. Psychologiegeschichte ist an den meisten Universitäten leider kein verpflichtender Lehr- und Lernstoff innerhalb des Curriculums, was natürlich die diesbezügliche „Orientierungslosigkeit“ der Psychologiestudierenden eher noch verstärkt. Das Fachgebiet der Psychologie, das zunächst seine nicht einfache Trennung von der Philosophie vollziehen musste, zeigt heute eine immer weiter fortschreitende Aufspaltung. Eine „theoretische Psychologie“, wie sie Lindworsky (1926)5 versucht hat, ist nur schwer zugänglich zu machen6. Eine allgemeingültige theoretische Psychologie als eine Art System, auf dem alle Spielarten der Psychologie sozusagen aufbauen, hat sich nie durchgesetzt. Vielleicht ist es auch gar nicht möglich, ein solches Basis-System zu entwickeln. Die Folge ist eine starke Zersplitterung der Psychologie, deren einzelne „Splitter“ sich nur schwer in ein übergeordnetes Ordnungssystem integrieren lassen.
Robert Heiß stellt bereits 1937 in seiner Vorlesung an der Universität zu Köln die provozierende Frage, „ob wir noch von einer einheitlichen Wissenschaft der Psychologie sprechen können, ob in Wahrheit nicht statt einer Psychologie viele Psychologien vorhanden sind“. Denn faktisch sei die Psychologie „ein so verschiedenartiges Gebilde, daß man eher von Psychologien als von einer Psychologie reden könnte“ (Heiß, 1937, S. 5). Er sagt, es sei durchaus möglich, dass die kommende Entwicklung der Psychologie dazu führe, dass die praktischen Aufgaben der Psychologie ←16 | 17→allmählich die Psychologie so aufspalteten, dass der ganze Komplex der Psychologie aus einer Reihe von Wissenschaften bestehe, die immer selbstständiger werden (Heiß, 1937, S. 6). Heutzutage ist die Feststellung zulässig, dass es wohl keine vergleichbare Fachdisziplin gibt, die sich wie die Psychologie von der Unscheinbarkeit innerhalb der Philosophie nach einer Abtrennung von derselben hin zu einem ständig zunehmenden Nebeneinander von Einzelfachdisziplinen entwickelt hat. 7, 8
Die vorliegende Arbeit ist die Geschichte des Psychologischen Institutes an der Universität zu Köln. Es ist aber auch die Geschichte eines Faches, das es zu dem Zeitpunkt, als die Universität 1919 wiedergegründet9 wurde, noch gar nicht ←17 | 18→gab, und es ist die Geschichte von Personen, die an diesem Institut und in seinem Umfeld gearbeitet haben. Es ist die Geschichte von Menschen. Vor allem aber ist es die Geschichte einer Idee: der Idee, dass Seelisches eine immanente Logik haben könnte, die es zu entdecken lohnt. Es ist die Geschichte des Ringens um den „richtigen“ Weg zur Erkenntnis. Und gleichzeitig ist es immer nur ein Ausschnitt, ein Mosaikstein, ein Teilstück. Mancher Kontext würde einfach den Rahmen dieser Arbeit sprengen, insofern bleibt auch der Kontext zwangsläufig Stückwerk. Andererseits ist es ein natürliches Kennzeichen von Forschung, das der Einzelne jeweils nur ein Bruchstückchen zum Gesamtmosaik beitragen kann. Als ein solches Bruchstückchen will die vorliegende Arbeit sich verstehen: nicht als unwichtig, sondern als notwendig, aber eben auch nicht als allumfassende Darstellung des Großen Ganzen. Als unfertig, weil Forschung zwangsläufig unfertig sein muss, weil der Weg der Erkenntnis nie an ein Ende gelangen kann.
Abbildung 1: Fraktale Fraktale sind als geometrische Formen die bildhafte Analogie für die unendliche Vielfalt von Gestalten. Je näher man herangeht, desto detaillierter wird die Darstellung – jedes Detail enthält aber wieder neue Details, kleinste Einheiten gibt es nicht. Der Begriff „Fraktal“ wurde in den Siebziger Jahren durch den französischen Mathematiker Benoît Mandelbrot (geb. 1924) geprägt. Eine Einführung in diese Art „Kunst des Unendlichen“ bietet Reuter (2005) unter http://www.zonk.at/projekte/fraktale/ (Bild: Rapp, I., 2007).
„Jahreszeiten der Natur haben so wenig eine Stunde Null wie die Zeitfolgen in der Geschichte. Beider Zukunft ist schon in der Vergangenheit enthalten. Niemand entgeht diesem Zusammenhang“, schreibt der langjährige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920–2015) „zum Geleit“ eingangs seiner Memoiren (Weizsäcker, 2010, S. 9). Es wäre wünschenswert gewesen, dass die Darstellung der Geschichte des Psychologischen Institutes der Universität zu Köln einen „ordentlichen“ Anfang hätte, einen Anfang mit einem präzisen Gründungstag, begleitet von einer offiziellen Feierstunde, inklusive beschwingter, hoffnungsvoller Lobreden, umrahmt von Sekt, Häppchen und Streichquartett oder – der damaligen Zeit angepasst – mit Hochschullehrern im Ornat, patriotischen Reden und einem abschliessenden gemeinsamen „Gaudeamus igitur“. Dieser Wunsch muss leider unerfüllt bleiben.
Klüpfel und Graumann (1986) setzen ihrer Entstehungsgeschichte des Heidelberger Psychologischen Institutes demonstrativ und unkommentiert ein Zitat des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas (1914–1953) voran: „Wenn man es eine Geschichte nennen kann. Sie hat keinen rechten Anfang oder Schluß, und in der Mitte ist auch sehr wenig“ (Klüpfel & Graumann, 1986). Die Gründung des Psychologischen Instituts an der Kölner Universität war eher ein „schleichender“ Prozess, vorsichtig und leise; ein Prozess, der letztlich dazu führte, dass in Köln das Fach Psychologie gelehrt wird und ein Psychologisches Institut existiert. Es war zudem alles andere als ein kontinuierlicher, Stufe um Stufe emporsteigender Prozess. Statt Sekt, Häppchen und Streichquartett erscheint es wahrscheinlicher, dass irgendwann der Moment gekommen war, in dem Johannes Lindworsky im übertragenen Sinne einen Zettel an seine Bürotür klebte mit der Aufschrift „Psychologisches Institut“. Nachweisbar ist, dass Lindworsky am 20.04.1926 (UAK Zug. 9/273 o.P.) die Anbringung eines Schildes mit der Aufschrift „Psychologisches Institut“ beantragte. Im Ergebnis bedeuten diese Überlegungen, dass es sich bei der Gründung des Psychologischen Institutes um eine mehrjährige „Gründungsphase“ handelte.
Aber nicht nur die Gründung des Psychologischen Instituts war ein Problem. Die Problematik war erheblich umfangreicher, denn es gab bei der Wiedergründung der Universität noch nicht einmal die selbstständige Fachdisziplin Psychologie. Die Psychologie war Teil der Philosophie und wurde deshalb grundsätzlich von Philosophieprofessoren gelehrt. In der vorliegenden Arbeit spielt die Philosophie, die Ausgangsdisziplin der Psychologie, deshalb indirekt und direkt noch eine bedeutende Rolle. Die Besetzung der Philosophielehrstühle hatte folglich auch immer Auswirkungen auf die Psychologie. Selbst bei Robert Heiß, dem letzten Psychologieprofessor am Psychologischen Institut vor Ende des Krieges, ist die enge Verbindung zur Philosophie noch deutlich erkennbar. Er hatte neben seiner Lehrbefugnis für Philosophie die Lehrbefugnis für Psychologie und Charakterologie erhalten und nach seinem Weggang nach Freiburg erhielt er dort eine Professur für „Philosophie und Psychologie“. Weiterhin ist noch zu berücksichtigen, dass die Philosophische Fakultät kein Monopol auf die Psychologie hatte. Insbesondere in der medizinischen Fakultät im Rahmen der Psychiatrie und in geringem Umfang ←19 | 20→auch in der Juristischen Fakultät war die Psychologie verortet10. Dies alles ist auch nicht verwunderlich, denn die Psychologie hat sowohl geisteswissenschaftliche als auch naturwissenschaftliche Wurzeln, was gerade an der Universität zu Köln einiges Hin und Her bezüglich der Fakultätszuordnung ausgelöst hat.11 Der Gründung des Psychologischen Institutes geht zwangsläufig zuerst die rudimentäre Institutionalisierung der Fachdisziplin Psychologie voraus. Im Zentrum der Gründungsphase des Instituts und der Institutionalisierung der Fachdisziplin steht die Person des Jesuitenpaters Johannes Lindworsky. Die Etablierung der Fachdisziplin Psychologie an der Universität zu Köln war alles andere als eine Selbstverständlichkeit; es waren erhebliche Widerstände zu überbrücken, die endgültig erst nach dem Zweiten Weltkrieg überwunden werden konnten. Insofern ist die Geschichte der Psychologie und des Psychologischen Institutes an der Universität zu Köln keine einfache Erfolgsgeschichte eines sich chronologisch aufbauenden und ausgebauten Institutes.
Aber auch die Psychologie, die zu Anfang an der Universität zu Köln gelehrt wurde, ist nicht unbedingt identisch mit der Psychologie, die an anderen Universitäten gelehrt wurde. Es gab zur Gründungszeit keinen allgemeinen universitätsübergreifenden Konsens bezüglich der Lehrinhalte.12 Es ist noch die Zeit unterschiedlicher und in der Folge auch miteinander konkurrierender psychologischer „Schulen“. So gehört der wissenschaftliche Streit unter den Psychologen auch zum „relevanten Kontext“ der Psychologielehre in Köln. Johannes Lindworsky, der erste namhafte Psychologe an der Universität zu Köln, als Experimentalpsychologe stark geformt durch Oswald Külpe und die Würzburger Denkschule, steht in einer ihm persönlich eigenen Tradition, gebildet und geformt durch seine Lehrer und seine eigenen Forschungsergebnisse. Dieses Wissen bringt er von München mit nach Köln und entfaltet es an seiner neuen Wirkungsstätte. Insofern gibt es auch an der Kölner Universität, auch wenn die Psychologie neu eingeführt wurde, keine „Stunde Null“ im Sinne Richard von Weizsäckers für die Psychologie. Lindworskys vorhergehendes Leben und Schaffen wirkt sich auch auf sein Schaffen in Köln aus; die Basis für die Zukunft war in der Vergangenheit gelegt worden.
Unbestreitbar gehört auch die Wiederbegründung der Kölner Universität im Jahre 1919 zum „relevanten Kontext“ im Graumannschen Sinne, zu den Rahmenbedingungen der Institutionalisierung der Fachdisziplin Psychologie und des Psychologischen ←20 | 21→Institutes. Aber selbst die Wiedergründung13 der Kölner Universität im Jahre 1919 kann nicht als die „Stunde Null“ für die Psychologie an der Universität zu Köln angesehen werden. Auch der Begriff Wiedergründung beinhaltet logischerweise, dass es schon eine Vorgängeruniversität gegeben haben muss. So lag auch die „Zukunft“ der Kölner Universität bereits in der „Vergangenheit“ in der hoch angesehenen „Vorläufer“-Universität, die 1798 durch die Franzosen geschlossen worden war14, und in den Hochschulen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Köln gegründet worden waren. Speziell auf die Psychologie bezogen orientierte sich die „Zukunft“ sogar an noch älteren universitären Strukturen mit sicherlich dem berühmtesten Hochschullehrer Kölns, Albertus Magnus. Hannes Stubbe (2012) bezeichnet Albertus Magnus als den ersten Kölner und mitteleuropäische Psychologen. Wenn Albertus Magnus der berühmteste Kölner Hochschullehrer war, so war sein Schüler Thomas von Aquin der berühmteste Kölner Student. Da die katholische Kirche von der thomistischen Philosophie durchdrungen war, ist auch Lindworsky als Jesuitenpater von dieser Philosophie und damit auch der Psychologie Thomas von Aquins nicht unberührt geblieben.
Psychologie ist heute eines der begehrtesten grundständigen Studienfächer, aber auch in vielen anderen Studiengängen ist ein gewisser Anteil psychologischer Fachwissenschaft enthalten, etwa in Angeboten wie Wirtschaftspsychologie oder in der Lehrerausbildung. Eine Universität ohne ein Angebot in Psychologie erscheint heute kaum vorstellbar – umso erstaunter reagieren viele Menschen, wenn sie von den „Startschwierigkeiten“ der Psychologie hören oder beispielsweise erfahren, dass die erste Diplomprüfungsordnung erst im Jahre 1941 beschlossen wurde und es vorher gar kein „richtiges“ Psychologiestudium gab.
Die Zeit der Diplomprüfungsordnungen wurde mit der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge formal abgeschlossen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich größtenteils mit dem Zeitraum bis 1945, folglich also einer Zeit, in der es überwiegend noch gar keine DPO [Diplomprüfungsordnung] gab. Die „Geschichte der Psychologie-DPO“ mit all ihren Facetten und Schwerpunktsetzungen, mit Blick auf die jeweiligen lokalen Prüfungsordnungen im Kontext zu den Rahmenprüfungsordnungen und beides im zeitgeschichtlichen Zusammenhang, dies wäre eine eigene Arbeit wert.
←21 | 22→1.1 Methodisches Vorgehen und Quellenlage
Wie entsteht ein Studienfach? Die Psychologie ist eines der wenigen grundständigen Fächer, das es ermöglicht, einer solchen Frage überhaupt nachzugehen. Psychologische Gedankengänge als solche lassen sich zwar bis mindestens zu den alten Griechen hin zurückverfolgen, aber bis ein Interessensbereich sich als eigenes Fachgebiet etabliert, braucht es noch etwas mehr. Da die Psychologie sich relativ spät, erst um die Jahrhundertwende herum, aus Philosophie und Medizin herausgelöst hat, liegt vergleichsweise umfangreiches (Akten-)material vor, das es ermöglicht, diesen Prozess detaillierter zu beschreiben.
Gundlach legt großen Wert auf die Unterscheidung zwischen der Forschungsleistung und der Darstellungsleistung des Historikers. Mit Historiographie sei ausschließlich die darstellende Leistung gemeint (Gundlach, 1991, S. 15). Bezüglich der Darstellung in der modernen Historiographie der Psychologie unterscheidet Stubbe (2012b, S. 254f) fünf Modelle: Ideen-, Problem-, Sozial-, Welt- und Psychologiegeschichte als Geschichte großer Männer („great-men-Ansatz“15). In dieser Arbeit wird kein „lupenreines“ Modell realisiert. Verzichtet wurde gänzlich auf den „problemgeschichtlichen“ Ansatz. Dies hätte eine Abkehr von jeder chronologischen Betrachtungsweise bedeutet und die Konzentration dagegen zu sehr auf Einzelfragen (Einzelprobleme) gelenkt. Auch der „weltgeschichtliche“ Ansatz, wie ihn Stubbe zu Recht im Zeitalter der Globalisierung als grundlegend ansieht, hätte zumindest einen Blick über den nationalen und europäischen „Tellerrand“ hinaus erforderlich gemacht und ist schon allein aus platzökonomischen Gründen bei einem lokalgeschichtlichen Thema (trotz zahlreicher Allgemeingültigkeiten) nicht näher in Betracht gezogen worden.
Die drei anderen Modelle sind allerdings in unterschiedlicher Ausprägung zum Tragen gekommen. Nach Stubbe kann der personalisierte „great-men-Ansatz“ im Rahmen der modernen Wissenschaftsgeschichtsschreibung die Psychologiegeschichte als Geschichte großer Männer und Frauen („great-men-Ansatz“) nur beschränkt herangezogen werden. Abgesehen davon, dass beim great-men-Ansatz ←22 | 23→„von den Frauen wieder einmal nicht gesprochen wird“, muss in Zweifel gezogen werden, dass „große“ Personen alleine verantwortlich für wichtige wissenschaftliche Entwicklungen sind (Stubbe, 2012b, S. 254). In der vorliegenden Arbeit geht es folglich nicht um Psychologiegeschichte im Sinne eines „great-men“-Ansatzes. Diese „personalistische Prägung“ (ebd.) findet in Köln schon allein deshalb ihre Grenzen, weil es hier keinen „Übervater“ der Psychologie gab wie ihn beispielsweise Wilhelm Wundt für Leipzig darstellte. Die Psychologie in Köln hatte damals keine eigene psychologische Schule im Sinne eines spezifischen theoretischen Ansatzes.
Bei der mehr chronologisch vorgehenden „Ideengeschichte“16 geht es laut Stubbe (2012b, S. 254) darum, die Entwicklung der Einzeldisziplin Psychologie aus den geistigen Strömungen einer Zeit oder im Gegensatz zu ihnen aufzuzeigen. Die vorliegende Arbeit versucht zumindest partiell „ideengeschichtlich“ vorzugehen. Dem „great-men-Ansatz“, integriert in einen sozialgeschichtlichen Ansatz, kommt jedoch in dieser Arbeit sicherlich die größte Bedeutung zu. Es ist die Rede von „großen Köpfen“, die die Entwicklung des Psychologischen Instituts der Universität zu Köln maßgeblich beeinflusst haben. Aber auch Zeitgeist, Kulturgeschichte, politische Überlegungen und soziale Einbindung haben entscheidenden Einfluss oder, um mit Lück zu sprechen: „Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht einfach da, sie werden von Menschen in sozialen Prozessen innerhalb von Institutionen hergestellt. Historiographie der Psychologie hat sich also den Entstehungs-, Durchsetzung- und Rezeptionskontexten wissenschaftlicher Erkenntnis zuzuwenden“ (Lück et al. 1987, S. 20) [Hervorhebung v. Verf.].
Nach Lück (1996) sind vier Bereiche für die psychologiehistorische Forschung besonders relevant: das Quellenstudium, die Archivnutzung, die nichtreaktiven Messverfahren und das Prinzip der „oral history“ (Lück, S. 1996, S. 24 ff.).
Das Quellenstudium umfasst nach Lück „alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnisse über die Vergangenheit gewonnen werden können“ (Lück, 1996, S. 24). Hierbei müssen Primär- von Sekundärquellen (in der Regel als Primär- und Sekundärliteratur) unterschieden werden. Der historische Erkenntniswert ist nicht zwangsläufig bei Primärquellen größer, denn ihnen fehlt naturgemäß der Blick auf den Gesamtkontext; dessen Einbeziehung ist den Sekundärquellen vorbehalten, da sie in einer gewissen (meist zeitlichen, aber vor allem auch emotionalen) Distanz zum Ereignis entstanden sind. Insofern ist es gerade bei Primärquellen zwingend vonnöten, sich die Intention des Verfassers zu vergegenwärtigen sowie den Kontext, in dem die Quelle entstand. Hierfür ist eine fundierte Kenntnis des historischen Hintergrundes notwendig. Für die vorliegende Arbeit wurden soweit wie möglich Primärquellen genutzt; Sekundärquellen dienen der Ergänzung und Einordnung. Gerade für ←23 | 24→die Auseinandersetzung mit der bewegten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bietet die Nutzung von Sekundärquellen große Vorteile; die häufig komplexe (politische) Situation erschließt sich anhand der Originalquellen stellenweise nur bedingt, so dass Sekundärquellen hier wertvolle Hinweise zur Einordnung geben können.
Details
- Seiten
- 572
- Erscheinungsjahr
- 2018
- ISBN (PDF)
- 9783631768792
- ISBN (ePUB)
- 9783631768808
- ISBN (MOBI)
- 9783631768815
- ISBN (Hardcover)
- 9783631768785
- DOI
- 10.3726/b14710
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (August)
- Schlagworte
- Curriculum Frauenstudium Hochschulentwicklung Psychologiegeschichte Fachhistorie Psychologie Experimentelle Psychologie
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. 570 S., 56 s/w Abb., 0 s/w. Tab.
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