Russland und Europa
Facetten einer Beziehung
Summary
Russland ist einerseits Teil Europas, andererseits Weltmacht mit globalen Interessen. Die Beziehungen zwischen (West-)Europa und Russland berühren viele Ebenen des politischen und gesellschaftlichen Lebens und oszillierten in der Geschichte zwischen Zusammenarbeit und kriegerischen Auseinandersetzungen. Gerade auf den letzten Jahren der Spannungen sowie auf dem gemeinsamen Wunsch, die Beziehungen wieder ins Positivere zu wenden, liegt ein besonderer Akzent der versammelten Beiträge.
Excerpt
Table Of Contents
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autoren-/Herausgeberangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Vorwort
- Die Beziehungen zwischen Russland und Europa – politische und juristische Dimensionen (Alexander Trunk)
- Die EU, Russland und der Ukraine-Konflikt (Ekkehard Klug)
- Beziehungen Russland – Europa: Bewertung und Perspektiven aus russischer Sicht (Ivan Khotulev)
- Europa und Russland: Neuauflage des Kalten Kriegs? (Joachim Krause)
- Russland und Europa vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise (August Pradetto)
- Russland auf der Flucht: Was die Entfremdung von Europa für die Kultur bedeutet (Kerstin Holm)
- Die Beziehungen EU-Russland zwischen Pipelines, Sanktionen und christlichen Werten: Ein journalistischer Blick auf die zunehmende gegenseitige Entfremdung (Andrey Gurkov)
- Die wirtschaftliche Entwicklung zwischen Russland und Deutschland: Ein Beispiel zu der Beziehung zwischen Europa und Russland (Gabriele Kötschau)
- Schwarz-Weiß-Malerei und Differenzierung: Wie interpretieren russische Schriftsteller*innen politisches Handeln? (Michael Düring)
- Das Deutsche als Vorbild für das Neurussische (Norbert Nübler)
- Die Darstellung der Krim-Frage und des Ukraine-Konflikts in Reden russischer, ukrainischer und deutscher Vertreter vor den Vereinten Nationen. Eine linguistische Analyse (Claudia Radünzel)
- Autoren
- Reihenübersicht
Der vorliegende Band enthält die für die Veröffentlichung überarbeiteten Beiträge einer interdisziplinären Ringvorlesung des Zentrums für Osteuropa-Studien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Wintersemester 2015/2016. Die Ringvorlesung fand zur Zeit der krisenhaften Zuspitzung der Beziehungen zwischen dem „politischen Europa“ (EU) und Russland infolge des Ukraine-Konflikts statt. Ziel der Ringvorlesung war es, die Vielschichtigkeit und Enge der Beziehungen zwischen Europa und Russland auch jenseits der aktuellen Entwicklungen zu verdeutlichen. Dabei ist die Formulierung „Russland und Europa“ nicht als Gegensatz zu verstehen. Russland ist historisch und kulturell ein nicht hinwegzudenkender Teil Europas, auch wenn das Gebiet Russlands geographisch bis zum Stillen Ozean und nach China reicht. Angesichts der fundamentalen Verschlechterung der politischen Beziehungen zwischen der EU, den USA und anderen westlichen Staaten und Russland seit 2014 war es unumgänglich, diese Entwicklung in der Ringvorlesung besonders zu thematisieren. Das Grundkonzept der Vortragsreihe bestand insoweit darin, dass verschiedene Sichtweisen, z.B. zu den Gründen dieser Verschlechterung, vorgetragen werden sollten. Die Leserinnen und Leser sind aufgerufen, thematisch verwandte Beiträge kontrastierend zu lesen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Der Herausgeber hat auch in der Ringvorlesung mehrfach hervorgehoben, dass Schwarz-Weiß-Zeichnungen zu diesem Themenbereich unangebracht sind und eine Lösung der Krise nicht befördern. Leider ist diese Analyse bis heute weder in der Politik noch im Mehrheitsdiskurs der Medien angekommen. Das Buch ist heute genauso aktuell wie zur Zeit der Ringvorlesung.
Der Band enthält nicht nur Beiträge zu aktuellen Problemfragen, sondern viele Beiträge ziehen einen weiteren Bogen, historisch und thematisch. „Akademische“ Beiträge werden mit Beiträgen aus der Feder von Journalisten (Kerstin Holm, Andrey Gurkov), Politikern (Ekkehard Klug, Gabriele Kötschau) sowie eines Vertreters der russischen Diplomatie (Ivan Khotulev) verschränkt.1 Die damit verbundenen Unterschiedlichkeiten in Darstellung und Inhalt machen den Band – hoffentlich – zu einer anregenden Lektüre.2 ← 7 | 8 →
An der Vorbereitung der Drucklegung des Bandes haben mehrere MitarbeiterInnen des Instituts für Osteuropäisches Recht wesentlichen Anteil. Ihnen allen, besonders Herrn Vitaliy Kim, LL.M., möchte ich hierfür herzlich danken. Für die finanzielle Förderung der Ringvorlesung danken wir der Universität Kiel und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V., für die Publikation des Tagungsbandes darüber hinaus dem Verein Alumni Kiel e.V., der Christian-Albrechts-Universitätsstiftung sowie dem Verein Ostrecht Kiel e.V. Dem Verlag Peter Lang danken wir dafür, dass er uns angesichts der besonderen Aktualität des Themas vergünstigte Konditionen für die Publikation eingeräumt hat.
Kiel, den 8. August 2017
Alexander Trunk
1 Nichtakademische Beiträge sind in der Regel in der Vortragsform ohne Fußnotenapparat wiedergegeben.
2 Thematisch schließt das vorliegende Buch an einen vom Institut für Osteuropäisches Recht im Jahr 2016 herausgegebenen Band über die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine an: „The Future of Cooperation between the EU and Ukraine“ (Berliner Wissenschaftsverlag).
Die Beziehungen zwischen Russland und Europa – politische und juristische Dimensionen
Die Beziehungen zwischen Russland und Europa – oder Europa und Russland – zählen zu den Grunddominanten der politischen Strukturen in Europa. Bis vor kurzem, etwa im Sommer 2015, war das Thema der Beziehungen zu Russland, meist unter dem Blickwinkel der Ukraine-Krise, ständiges Schwerpunktthema in der Berichterstattung beispielsweise der deutschen Medien. Durch die Griechenlandkrise wurde es zeitweise überlagert, aber seit der sich zur Krise entwickelnden Zuwanderung von Flüchtlingen nach Europa ist das Thema „Russland“ aus den Medien weitgehend verschwunden – es sei denn unter dem Gesichtspunkt der nunmehr militärischen Intervention Russlands im Syrien-Krieg. Die Beziehungen zwischen Europa und Russland beschränken sich jedoch nicht auf die wechselseitige Beteiligung an Krisen und Krisenmanagement. Sie sind vielschichtig und langfristig und haben im Laufe von Jahrhunderten ihren Charakter ständig verändert. Aus „fernen Nachbarn“1 zur Zeit beispielsweise der Kiewer Rus im 9.–13. Jahrhundert wurden in dunklen Phasen der Geschichte zeitweise Gegner in europäischen Kriegen oder Weltkriegen. Heute besteht zwischen dem im Wesentlichen durch die Europäische Union repräsentierten politischen Europa und Russland eine vertraglich fixierte enge Partnerschaft, die aber in der politischen Wirklichkeit derzeit erheblichen Belastungen ausgesetzt ist. Im Zuge der Ukraine-Krise verhängte die Europäische Union, im Gleichklang mit den USA und anderen Staaten, scharfe Reise- und Wirtschaftssanktionen gegen führende Personen und Unternehmen in Russland, und Russland antwortete mit Gegensanktionen2. Erst die sich derzeit geradezu vor den Augen verschärfende Flüchtlings- oder Migrationskrise hat dazu geführt, dass die Europäische Union und Deutschland auch das Verhältnis zu Russland neu bewerten. Der derzeitige Besuch des deutschen Vizekanzlers, Wirtschaftsministers und SPD-Vorsitzenden ← 9 | 10 → Sigmar Gabriel in Moskau3 erweckt den Eindruck, dass die deutsche Bundesregierung nach Wegen sucht, um das Verhältnis zu Russland wieder zu entspannen. Die weitgehend kritische Berichterstattung in den deutschen Medien über den Besuch4 zeigt aber, dass dieses Vorhaben nicht auf allen Seiten des politischen Spektrums begrüßt wird.
Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über den derzeitigen Stand der politischen Beziehungen zwischen Europa und Russland unter Einbezug der juristischen Perspektive, in der Hoffnung, dadurch auch zu einer Wiederannäherung beider Seiten beizutragen. Zur Bewältigung vieler aktueller Krisen wäre dies zwingend geboten.
A. Russland und Europa: einige Vorbemerkungen
I. Sowohl der Begriff „Russland“ als auch der Begriff „Europa“ im Titel der Ringvorlesung und dieses Beitrags bedürfen einer Präzisierung. Unter Russland soll hier die heutige Russische Föderation5 verstanden werden, nicht etwa ein anders zugeschnittener historischer Raum oder eine geistige „russische Welt“. Der Begriff „Europa“ ist noch weniger klar bestimmt als der Begriff Russland. Als geografische Kategorie beschreibt er den westlichen Teil des Euro-Asiatischen Kontinents, der nach einer historisch begründeten Konvention seine östliche Grenze am Gebirgszug des Ural und eine seiner südlichen oder südöstlichen Grenzen am Hauptkamm des Kaukasus-Gebirges haben soll6. In diesem geografischen Sinn macht das Gebiet Russlands einen erheblichen Teil Europas aus, mit rund 3 Mio. km² etwa 40 % der Fläche Gesamteuropas7. Weitere 14 Mio. km² der Fläche Russlands liegen allerdings in Asien (insbesondere Sibirien), die ganz überwiegende Mehrzahl (75 %) der Bevölkerung Russlands lebt aber im europäischen ← 10 | 11 → Teil des Landes8. Im politischen Sinn wird Europa häufig mit der Europäischen Union gleichgesetzt. Ihr gehören aber (nur) 28 Staaten an, während die ebenfalls „europäische“ internationale Organisation des Europarates 47 Mitgliedstaaten umfasst9 (alle Staaten des geografischen Europa ohne – aus politischen Gründen – Belarus und Kosovo, aber unter Einschluss der im Wesentlichen auf dem asiatischen Kontinent gelegenen Türkei10). Im vorliegenden Beitrag wird der Begriff Europa grundsätzlich umfassend verstanden, je nach Kontext aber auf einzelne politische Gruppierungen in Europa (z.B. die Europäische Union) oder deren Mitgliedstaaten bezogen. Daraus ergibt sich auch, dass die Konjunktion „und“ im Titel der Ringvorlesung („Russland und Europa“), keinen Gegensatz, sondern ein In- und Miteinander bezeichnet.
II. Zum Verständnis der Entwicklung der Beziehungen zwischen Russland und Europa (im Sinne insbesondere der Europäischen Union), ist es hilfreich, einen Blick auf die Darstellung Russlands und seiner politischen Führung durch europäische Medien zu werfen. Von vielen Beobachtern wurde in den letzten Jahren die Kritik erhoben, dass das politische Russland – mit besonderer Fokussierung auf Russlands Präsident Wladimir Putin – in europäischen Medien überwiegend negativ gezeichnet werde11. Positive oder ausgewogene Berichte über Russland beschränkten sich weitgehend auf die Bereiche Kultur, Natur und Geschichte. Mir scheint diese Beobachtung korrekt. Als Indikator kann man etwa die Titelcovers der Zeitschrift „DER SPIEGEL“ heranziehen, auf denen seit dem Jahr 2000 etwa 10 Darstellungen von Wladimir Putin erschienen sind, nahezu alle mit negativem oder sehr negativem Aussagecharakter12. In Russland habe ich eine vergleichbare, konstant negative Berichterstattung über westliche Politiker nie feststellen ← 11 | 12 → können, mag sich auch der Ton der Berichterstattung über Europa im Zuge der Ukraine-Krise ins Negative hin entwickelt haben. Diese Unterschiede dürften nicht nur darin begründet sein, dass im Westen keine einzelne Politikerperson so viel Macht auf sich konzentriert wie in Russland Wladimir Putin, sondern auch darin, dass die russische Sicht auf den Westen wohl grundsätzlich „entspannter“ ist als umgekehrt.
III. Ein drittes allgemeines Element der Beziehung Russland – Europa betrifft die beiderseitige bzw. gemeinsame Geschichte. Ohne sich in Einzelheiten zu verlieren, wird man über mindestens 1000 Jahre hinweg eine durchgehende Linie des Miteinander konstatieren, die zwischen eher lockeren dynastischen Verbindungen, langen Phasen guter Kooperation und Zeiten schrecklicher Konfrontation (in denen Russland bzw. die UdSSR als Verbündeter oder Gegner verschiedener europäischer Mächte auftrat) changierte13. Man kann es psychologisch fast als Wunder bezeichnen, dass die Bevölkerung Russlands trotz der wohl 27 Millionen Kriegstoten auf sowjetischer Seite im 2. Weltkrieg14 Deutschland heute nicht nur ohne Ressentiments begegnet, sondern sogar freundschaftlich eingestellt ist. Und gerade in Deutschland sollte nicht vergessen werden, dass die deutsche Wiedervereinigung 1990 nur durch die Zustimmung von Michail Gorbatschow möglich wurde, und dass diese Zustimmung verbunden war mit dem Vertrauen Gorbatschows in Helmut Kohl und in eine Zukunft guter Beziehungen mit Deutschland und Europa im ganzen.
IV. Versucht man eine Grundcharakterisierung der Beziehungen zwischen Russland und Europa, so sind aus meiner Sicht zwei Gesichtspunkte tragend:
Einerseits ist Russland – bei all seiner räumlichen Spannweite und großmachtbedingten globalen Interessenverfolgung – ein fester und eminent wichtiger Teil des europäischen Kulturraums. „Europäische“ Künstler und Wissenschaftler haben Russland im Dialog oder durch ihr Wirken in Russland nicht weniger geprägt als die vielen Künstler und Wissenschaftler aus Russland, die aus der europäischen Kultur nicht fortzudenken sind15. ← 12 | 13 →
Andererseits ist aber über die Zeiten hinweg eine Ambivalenz in der gegenseitigen Wahrnehmung festzustellen, vielleicht mehr auf „europäischer“ als auf russischer Seite16. So wie Russlands Einstellung zum Westen häufig zwischen Bewunderung und Ablehnung schwankte, so schwankt die Wahrnehmung Russlands im Westen zwischen Faszination und Besorgnis, mitunter auch gepaart mit Selbstüberschätzung gegenüber dem als rückständig betrachteten Russland.
Diese beiden Grundlinien prägen auch die gegenwärtigen politischen Beziehungen zwischen Russland und (EU-)Europa. Sie eröffnen weiten Gestaltungsspielraum im Guten wie im Bösen.
Details
- Pages
- 195
- Publication Year
- 2017
- ISBN (PDF)
- 9783631723913
- ISBN (ePUB)
- 9783631723920
- ISBN (MOBI)
- 9783631723937
- ISBN (Hardcover)
- 9783631723654
- DOI
- 10.3726/b12340
- Language
- German
- Publication date
- 2021 (June)
- Keywords
- Osteuropaforschung EU-Außenbeziehungen Außenpolitik Osteuropäisches Recht
- Published
- Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 195 S.