Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Prolog
- Klein, aber oho! Wissenschaftliche Rehabilitation sehr kleiner Texte
- Eine kurze Geschichte kleiner Texte
- „Wie ihr seht, hat es hier nicht mehr Platz zum Schreiben“ – Eine text- und korpuslinguistische Untersuchung der Lesbarkeitsquellen kleiner Texte am Beispiel der Ansichtskarte
- Kleine Texte im Vergleich: Untertitel versus WhatsApp
- Kleine Texte aus textlinguistischer und Rezipient*Innenperspektive
- Handeln mit kleinen Texten
- Kleine Texte des Alltags: Was uns z.B. Zigarettenschachteln alles sagen und zeigen können
- Tabugrenzen im öffentlichen Raum
- Wissenschaft in 30 Sekunden? Kurze wissenschaftliche Texte an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit
- Kleine Texte nirgends, kleine Texte überall – zu einer vernachlässigten Textgröße im Deutschunterricht
- Minimale Textualität
- Epilog
- Reihenübersicht
Ulrich Schmitz
Klein, aber oho! Wissenschaftliche Rehabilitation sehr kleiner Texte1
Abstract: tl;dr
Keywords: grammar & designlinguistic landscapelinguistic lawsnanolinguisticsshort textssmall textstext linguisticsvisual surfaces
1. Intro
Kleine Texte? Warum sollten sich Wissenschaftler damit beschäftigen? Warum nicht mit großen Texten, langen Texten, grünen, doofen, guten, schlechten, kaputten Texten? Zunächst einmal geht es um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Linguist*Innen mit und ohne Gender-Stern. Gerade scheinbar abstruse Themen führen manchmal aber auf spannende Fährten. Das möchte ich im Folgenden zeigen.
2. Kurz und klein
Abb. 1 zeigt einen Ausschnitt aus der rechten Hälfte der mittleren Tafel des geschlossenen Isenheimer Altars (ca. 1510–1517) von Matthias Grünewald. Johannes der Täufer zeigt auf den gekreuzigten Jesus Christus. In seiner Armbeuge steht sozusagen als Sprechblase „Illum oportet crescere • me autem minui“ (dt. „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden.“ Joh 3,30).2 Das ist ein großer Text, weil er bedeutungsschwanger ist.3 ←11 | 12→Inhaltliche Qualität soll im Folgenden jedoch keine Rolle spielen.4 Quantitativ ist es ein kleiner Text, und es ist ein kurzer Text. ,Kurz‘ und ,klein‘ aber sind relative Begriffe, hier relativ in Abhängigkeit von der Textsorte.
Die vermutliche längste Dissertation der Welt beispielsweise umfasst rund 2.500 Seiten und behandelt die Geschichte des Segelsports am Bodensee.5 Zumindest eine der kürzesten Dissertationen zählt sieben ←12 | 13→Seiten6 und behandelte 1959 in Princeton ein Problem aus der mathematischen Topologie. An der Gesamthochschule Wuppertal gab es vor Jahren eine mathematische Dissertation von einer Seite Umfang; ihr Verfasser war ein Jahr später Mathematik-Professor in den USA.7
Marcel Prousts „À la recherche du temps perdu“ (1913–1927) umfasst 7 Bände mit zusammen rund 5.300 Seiten (gut 9,6 Millionen Zeichen), doch es gibt durchaus noch längere Romane. Der kürzeste Roman ist vermutlich Garschins „Ein sehr kurzer Roman“ (Очень коротенький роман, Otschen korotenki roman) von 1878 mit 1.470 Wörtern.8
Die kürzeste Kurzgeschichte wird Ernest Hemingway zugeschrieben. Sie umfasst sechs Wörter: „For sale: baby shoes, never worn.“9 Kürzestgeschichten der Gattung ,Tiny Tales‘ bzw. ,Micro Movies‘ dürfen höchstens 140 Zeichen umfassen.10
Doch Dissertationen, Romane und auch Kurzgeschichten sind nicht gerade kleine Textsorten. Als kleine Textsorten seien hier Textsorten verstanden, bei denen man typischerweise einfach strukturierte (also wenig komplexe) funktionale Gebrauchstexte erwartet, die stark konventionalisierten Normen folgen, zum Beispiel auf Einkaufszetteln, Visitenkarten oder in Kleinanzeigen.11 Dabei muss klein nicht kurz sein, vor allem, wenn es sich um Listen handelt wie etwa Preislisten, Speisekarten und Fahrpläne. ←13 | 14→Doch alle relevanten Merkmale kurzer Texte12 in kleinen Textsorten treffen auch auf lange Texte in kleinen Textsorten zu. Der Prägnanz halber konzentriere ich mich im Folgenden deshalb auf kurze Texte aus kleinen Textsorten.
3. Kleine Texte überall
Schauen Sie sich einmal in dem Raum um, in dem Sie gerade sitzen. Fertigen Sie eine Liste sämtlicher wahrscheinlich zwei- oder gar dreistelliger Anzahl an Texten an, die Sie hier sehen: auf Schildern, Zetteln, Bildern, Aushängen, Plakaten, an Möbeln, Geräten und anderen Gegenständen. Und welche Texte tragen Sie selbst an und bei sich: Aufdrucke auf Ihrem T-Shirt, Ihrer Brille und in Ihren Schuhen, Etiketten an Ihren Kleidern und Ihrer Wäsche, Tattoos auf der Haut, Texte auf Vorder- und Rückseite von Personalausweis, Kredit- und Visitenkarten, Geldscheinen, Münzen, Briefmarken, Autoschlüsseln und Notizzetteln … Welche Texte finden Sie in Rucksack, Hand- oder Aktentasche, welche liegen vor Ihnen auf dem Tisch?
Und wenn Sie den Raum verlassen, sehen Sie Wegweiser, Verkehrszeichen, Straßen-, Laden-, Geschäfts- und andere Namensschilder, Haustürklingeln, Ge- und Verbotstafeln, Graffitis, Tags und Aufkleber aller Art, Info- und Werbetexte an Häusern, Plakatwänden und Fahrzeugen, auf Kfz-Kennzeichen, Mülltonnen, Toiletten, Hydranten, Telefon- und Stromverteilerhäuschen, Denkmälern, Grabsteinen, Preislisten, Speisekarten, Fahrplänen etc. pp. Dann blicken Sie auf Ihren Handy-Bildschirm und Ihren papierenen Einkaufszettel, gehen in den Supermarkt, sind von Werbe- und Orientierungstexten aller Art umstellt: im Raum, an den Regalen, an und auf den Waren, auf Tüten, Preis- und Kassenzetteln. Auch am Arbeitsplatz wimmelt es nur so vor kleinen Texten: Namen, Adressen, Termine, Rechnungen, Kontoauszüge, Infos, Hinweise, Sortier-Schildchen auf Aktenordnern und Hängemappen, Anleitungen und Warnungen aller Art in Aufzügen, an Türen und Wänden, auf Memos, Briefen, Flyern, Drucksachen, Displays, Bildschirmen und Maschinen.
←14 | 15→Das Internet ist voll von kleinen Texten, z.B. auf Hyperlink-Beschriftungen, als Abstractfragmente oder Kurzinfos bei Google- bzw. YouTube-Suche, innerhalb von Pop-Up-Werbung, Videos, Snapchat- oder Instagram-Storys u.v.a.13; Apps arbeiten damit (Schmitz 2013); Bücher enthalten Titel, Verfassernamen, Widmungen, Motti, Zwischenüberschriften, Anmerkungen und andere Paratexte (Genette 1989); Zeitungen kommen nicht ohne aus, zum Beispiel bei Schlagzeilen, Teasern, Bildtiteln, Diagrammen, Infografiken, im Impressum, in Kleinanzeigen und vielen anderen Textsorten.14 Allein Ihr wöchentlicher Papiermüll zu Haus und im Büro ist eine Fundgrube unzähliger und vielfältiger kleiner Texte aller Art.
Hand aufs Herz: Wo finden Sie in Ihrer Umgebung zwei Quadratmeter völlig textfreier Fläche? Es gibt sie, aber man muss sie suchen – jedenfalls dort, wo sich Menschen aufhalten. Je mehr kleine Texte, desto belebter, urbaner, strapazierter der Ort. Kleine Texte sind Zivilisationsmarker: Produkte, Hilfsmittel, Indizien und Reste menschlicher Präsenz.
4. Eingrenzung (Definition)
Wenn wir das vielfältige Potpourri kurzer Texte nicht völlig ausufern lassen wollen, müssen wir Grenzen ziehen.15 Für den besonderen Zweck ←15 | 16→linguistischer Untersuchungen scheint es mir sinnvoll, zunächst drei – oft als selbstverständlich unterstellte – Eingrenzungen vorzunehmen. (1) Erstens verstehe ich als Texte hier nur geschriebene Texte, weil sie sich in der Regel stark von gesprochenen Worten unterscheiden. Damit sind spontane Aphorismen16 ebenso ausgeschlossen wie Floskeln in mündlichen Dialogen.17 (2) Zweitens soll es ein ganzer Text18 sein, d.h. er soll für sich stehen und als solcher verstanden werden, also nicht (i) Ausschnitt eines ganzen Textes sein (wie zum Beispiel Kleists berühmter Gedankenstrich in der „Marquise von O….“) oder (ii) Teil eines Dialogs (wie etwa SMS- bzw. WhatsApp-Turns oder Ausfülltexte in Formularen). (3) Damit sind drittens auch unfertige Texte ausgeschlossen, die also nur durch einen Zufall kurz geraten sind19 (z.B. dadurch, dass der Verfasser durch einen Schlaganfall plötzlich verstummt oder der Graffiti-Sprayer auf frischer Tat ertappt wird).
(4) Nicht selbstverständlich dagegen, sondern problematisch ist viertens die Behandlung kurzer Texte in bi- oder multimodalen Formaten, also vor allem in Verbindung mit bildlichen Elementen auf (wie bei Werbeplakaten) oder an (wie bei Bildtiteln oder -annotationen20) Sehflächen. Das könnte ein eigenes Thema sein. Der Einfachheit und Stringenz dieses Beitrags halber folge ich hier strikt der Logik der ersten beiden oben genannten Einschränkungen und berücksichtige auch in solchen Konstrukten nur geschriebene Texte, sofern sie an ihrer jeweiligen Stelle eigentlich auch für sich selbst verstanden werden könnten.21
←16 | 17→In fast jeder Hinsicht kontraindiziert ist beispielsweise die Karikatur in Abb. 2. Denn großenteils geht es hier um Simulation mündlicher Sprache, es ist nicht ohne weiteres ein ganzer Text (weil es – hier nicht abgebildet – noch eine Überschrift und einen Kurzessay dazu gibt), und vor allem wäre der Text ohne das Bild nicht verständlich.
Wenn wir uns also auf schriftliche ganze kurze Texte typischerweise kleiner Textsorten einigen, bleibt immer noch die entscheidende Frage offen, was ,klein‘ denn genau bedeuten soll. Ich möchte im Folgenden zeigen, dass es hilfreich (weil erkenntnisträchtig) ist, wenn man aus der so umzirkelten größeren (und immer noch sehr heterogenen) Menge der kleinen Texte eine kleinere Menge der sehr kleinen Texte herausgreift und diese wie folgt definiert:22
←17 | 18→Definition:
Sehr kleine Texte sind schriftliche kommunikative Minimaleinheiten, die höchstens einen grammatisch vollständigen Satz enthalten.
Kommunikative Minimaleinheiten sind die kleinsten Einheiten, mit denen sprachliche Handlungen vollzogen werden (vgl. Zifonun et al. 1997, Bd. 1: 86). Für die Aufgaben sehr kleiner Texte ist es irrelevant, ob es sich um grammatisch wohlgeformte Sätze handelt oder nicht; ganze Sätze dürfen also nicht ausgeschlossen werden. Wenn aber schon zwei ganze Sätze aufeinander folgen, werden Kohäsion und Kohärenz des ganzen Textes weitgehend mit grammatischen Mitteln hergestellt, was bei kürzeren Texten kaum der Fall und jedenfalls nicht notwendig ist. So ist mit dieser Definition auch der Unterschied zwischen klein und kurz eingefangen: Wenn maximal ein grammatisch vollständiger Satz vorkommen darf, wird der Text höchstwahrscheinlich23 wenig komplex24, kann aber etwa im Fall einer Liste doch sehr lang sein. Übrigens schließt die Definition nicht aus, dass nicht-schriftliche Elemente (z.B. die visuelle Gestaltung) in dem Sinne dazu gehören, dass sie das Verständnis der schriftlichen Zeichen erleichtern (wie z.B. bei Logos).
Je eindeutiger die Definition, desto schärfer ist der Untersuchungsbereich abgegrenzt. Dennoch wird man an dessen Rändern immer Zweifelsfälle finden, die je nach Betrachtungsweise entweder dazu gehören oder nicht. Hier spielen sie aber keine Rolle. Oder positiv formuliert: Die folgenden Überlegungen gelten nicht nur für prototypische Fälle, sondern für alle oder fast alle so definierten sehr kleinen Texte.
←18 | 19→5. Wozu dienen sehr kleine Texte?
Kleine Texte sind unscheinbar. Deshalb werden sie leicht übersehen – im doppelten Wortsinne: Im alltäglichen Gebrauch überschaut man sie (effizient) flüchtig oder – je nachdem – sieht (desinteressiert) oberflächlich über sie hinweg. „In vielen Fällen muss man sie […] gerade nicht ‚durchlesen‘, sondern einfach nur benutzen.“ (Hausendorf et al. 2017: 271) Darin besteht gerade ihr Vorteil: Meist kann man sie in Sekundenbruchteilen erfassen, und zwar nebenbei, also während man allerlei anderes tut (z.B. Auto fahren, Ziele suchen, arbeiten). Und gerade ihr Nebenbei-Status führte dazu, dass sie in der Wissenschaft bis vor kurzem weitgehend vernachlässigt wurden.25
Man könnte ja auch denken, kleine und sehr kleine Texte seien nicht sonderlich wichtig.26 Denn um sie zu verstehen, muss man sich in der Regel nicht einmal konzentrieren. Tatsächlich aber gibt es viel mehr sehr kleine als große Texte.27 Schauen Sie sich nur einmal aufmerksam um in Lehrerzimmern, Bibliotheken und Notariaten, in denen man besonders ←19 | 20→viele besonders lange Texte vermuten dürfte. Oder zählen Sie die Texte durch, die Sie persönlich bei sich tragen, die Sie in Ihrem Auto oder in öffentlichen Verkehrsmitteln finden, an Ihrem Arbeitsplatz, in Supermärkten, auf Ihrem Computerbildschirm, in Ihrer Tageszeitung oder in Ihrer Küche zu Hause.
Wir haben einmal sämtliche 2.100 sichtbaren Zeichen an einem anderthalb Kilometer langen Stück der Hauptverkehrsstraße in einem durchschnittlichen Stadtteil im Ruhrgebiet aufgenommen.28 678 davon enthalten lesbaren Text (also ohne reine Graffiti-Tags wie „CH5“), dessen Bedeutung nicht von zugehörigen Bildern abhängt (wie z.B. auf Werbeplakaten). Dazu zählen Schilder, Aushänge, In- und Aufschriften jeglicher Art an Straßen, Hauswänden, Eingängen und Schaufenstern. Zusammen finden wir 8.204 Wörter (incl. 1.691 Zahlen und 938 Abkürzungen), durchschnittlich also 12,1 Wörter je Beleg. 25 der 678 Belege (3,7 %) sind nicht sehr kleine Texte im oben definierten Sinne (Abb. 3).29 Durchschnittlich etwa alle dreieinhalb Schritte (2,30 Meter Wegstrecke) trifft eine Passantin oder ein Passant also auf einen kleinen, meist sehr kleinen Text im öffentlichen Raum.30 Solche Texte dienen vor allem der räumlichen (Abb. 4) und zeitlichen (Abb. 5) Orientierung, der Information über Dienstleistungen (Abb. 6) und der Werbung (Abb. 7).
Ohne kleine Texte wären öffentliche Räume sprachlich recht leer; und wer ein Ziel hat, müsste sich durchfragen. Mit anderen Worten: Kleine und insbesondere sehr kleine Texte sind effiziente Mittel, um sich zurechtzufinden und soziales Leben zu organisieren (vgl. auch Domke 2014).
←20 | 21→ ←21 | 22→ ←22 | 23→Das gilt gleichermaßen für persönliches und berufliches Leben auch jenseits öffentlicher Räume. Denken Sie an Geldscheine, Merkzettel, Kofferanhänger und alle bisher genannten Beispiele. Mit sehr kleinen Texten organisieren wir große Bereiche alltäglicher gesellschaftlicher Kommunikation auf höchst effiziente Weise.31 Mehr noch: Mit sehr kleinen Texten regeln wir systemrelevante Teile unserer Lebenswelten. Ohne sie kommen wir nicht aus. Auch wo es um eine Ökonomie der Aufmerksamkeit geht32, haben kleine Texte (neben Bildern) evolutionäre Vorteile.
6. Was haben sehr kleine Texte gemeinsam?
Hausendorf (2009: 14) zufolge sind kleine Texte klein, einfach, nützlich und formelhaft. Außerdem sind sie durch „starke materiale Abgrenzungshinweise“ gekennzeichnet, die ihre Texte in ihrer Ganzheit „auf Anhieb überschaubar“ machen (ebd.: 15). Sechstens sind sie typischerweise ←23 | 24→ortsgebunden: Ihre Bedeutung hängt stark von dem Ort ab, an dem sie stehen (vgl. Auer 2010). Oder unter anderem Blickwinkel: Ihre unmittelbare räumliche Umgebung bildet den Verständnis sichernden Kontext. Genau deshalb kann der Wortlaut knapp und oft elliptisch33 sein.34
All diese Merkmale treffen auf sehr kleine Texte in besonderem Maße zu, wie man an sämtlichen bisher genannten Beispielen erkennen kann. Betrachten wir nun – als Hardcore-Linguisten – deren Form etwas genauer. Dabei stoßen wir zunächst auf vier Gesetze.35
6.1 Text & Kontext
(KTG 1) Je eindeutiger der Kontext, desto kürzer der Text.
Das Stoppschild an der Straßenkreuzung, die Notausgangs-Leuchte im Kinosaal, die Sortimentsbezeichnungen im Supermarkt, die Namen an Haustürklingeln, die Skala am Metermaß, die elementaren Benutzungshinweise an Geräten u.v.a. brauchen keine Erläuterung: Das notwendige Wissen zum Verständnis der standardisierten Situation36 wird schon bei jungen Kindern kulturell vorausgesetzt. Abb. 8 etwa zeigt nur einzelne Wörter, Abkürzungen sowie einfachste, weltweit kodifizierte Zeichen unterhalb jeglicher sprachlicher Form. In der oberen Hälfte des Bildes dienen sie dazu, technische Fähigkeiten des Gerätes anzudeuten; in der unteren Hälfte signalisieren sie minimalistisch die Funktionen der verschiedenen Tasten und den aktuellen Zustand des Geräts.
6.2 Typographie & visuelle Einbettung
(KTG 2) Je kürzer der Text, desto wichtiger seine typographische Gestaltung und/oder funktionale Arbeitsteilung mit Bildern (und umgekehrt).
Wo es um effiziente Informationsvermittlung geht, werden Text und Bild gern symbiotisch verbunden.37 Kohärenz wird mit ästhetischen Mitteln hergestellt. Oft bliebe Text ohne Bild ähnlich rätselhaft wie Bild ohne Text. Und je mehr relevante Informationen das Bild enthält, desto kürzer kann der zugehörige Text sein und umgekehrt. Je kleiner die Gesamtmenge an Information, desto kürzer auch der Text (Abb. 9).
Noch krasser wirkt sich diese Tendenz bei grafisch gestalteten Sehflächen ohne Bilder aus. Bei derart purer Symbiose von Text und typographischem Design bliebe Text ohne grafische Gestaltung ebenso unverständlich wie Design ohne Text (Abb. 10).
←26 | 27→ ←27 | 28→Zwischen beiden (Text-Bild-Symbiose und Text-Typo-Symbiose) liegt die vielfältige Welt von Landkarten und Diagrammen: Text, grafische Mittel und bedeutungstragende Verteilung der Zeichen auf der Fläche teilen sich den zur Informationsvermittlung nötigen Aufwand. Je mehr davon Grafik und Flächenverteilung tragen, desto kürzer der Text.
Die Infografik in Abb. 11 zeigt den CO2-Ausstoß verschiedener Regionen und Länder der Erde. Sie enthält (auch in den Fußnoten) keinen einzigen vollständigen Satz, weil die Informationen vorwiegend von effizienteren visuellen Mitteln getragen werden: Auf einer imaginierten Weltkarte topographisch angeordnete farbige Kreisflächen symbolisieren jeweils ein Land. Deren Größe entspricht der Emissionsmenge dieses Landes. Zum vollen Verständnis sind darüber hinaus nur indexikalische Zeichen notwendig, die in sehr kleinen Textfragmenten (aus Eigennamen, Abkürzungen und Zahlen) die einzelnen Flächen bezeichnen.
6.3 Erscheinungsbild & Grammatik
(KTG 3) Je mehr Textdesign und Text-Bild-Arbeitsteilung, desto weniger grammatische Merkmale (und umgekehrt).
Details
- Seiten
- 352
- Erscheinungsjahr
- 2021
- ISBN (PDF)
- 9783631841266
- ISBN (ePUB)
- 9783631841273
- ISBN (MOBI)
- 9783631841280
- ISBN (Hardcover)
- 9783631812471
- DOI
- 10.3726/b17821
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2021 (März)
- Schlagworte
- Textualität Multimodalität Schriftlichkeit Textverstehen Textdidaktik Visuelle Kommunikation
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 352 S., 37 farb. Abb., 45 s/w Abb., 6 Tab.
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