Vereinbarungen contra bonos mores in der Kanonistik
Zusammenfassung
Der Rechtsgedanke der Begrenzung der Vertragsfreiheit durch die guten Sitten als allgemeines und moralisches Kriterium ist heute in § 138 BGB verankert. Die Untersuchung zeigt, dass er auf das naturrechtlich begründete Verständnis der «boni mores» im kirchlichen Recht des Hochmittelalters zurückzuführen ist.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- A Einleitung
- I. Zur Einführung
- II. Fragestellung und Thesen
- III. Methode
- IV. Gang der Untersuchung
- B Zur Einführung: Die boni mores im ius civile und in der Theologie
- I. Die boni mores im ius civile
- 1. Einleitung
- 2. Die Lehre vom contractum und pactum im klassischen und nachklassischen römischen Recht und die Sittenwidrigkeit
- a. Klassisches römisches Recht
- b. Nachklassische Zeit
- c. Die boni mores im klassischen und nachklassischen römischen Recht
- (1) Der Kontext der boni mores
- (2) Der Begriff der boni mores im antiken römischen Recht
- (3) Ergebnis und Ausblick
- 3. Die Lehre vom pactum bei den Legisten
- a. Einleitung
- b. Das pactum und seine Durchsetzbarkeit
- c. Ergebnis und Ausblick
- 4. Die boni mores in der Legistik unter Berücksichtigung der Lehre vom pactum
- a. Einleitung
- b. Irnerius
- c. Die Summen zu Codex und den Institutionen von Placentinus
- d. Die Summe zu Codex und Institutionen von Azo
- (1) Einleitung
- (2) Das sittenwidrige pactum
- (3) Die sittenwidrige stipulatio
- (4) Ergebnis
- e. Die Glossa ordinaria von Accursius
- (1) Einleitung
- (2) Das pactum contra bonos mores
- (3) Die stipulatio contra bonos mores
- (4) Ergebnis
- f. Zusammenfassung
- II. Die boni mores in der Theologie
- 1. Einleitung
- 2. Die Bindung aufgrund von Versprechen in der Theologie des Hochmittelalters und die boni mores
- 3. Die guten Sitten und das ewige Heil
- a. Einführung
- b. Petrus Lombardus
- c. Thomas von Aquin
- 4. Ergebnis
- C Hauptteil: Die boni mores als Kriterium für die Verbindlichkeit von Vereinbarungen in der Kanonistik
- I. Die Kanonistik
- 1. Das Decretum Gratiani
- 2. Die Dekretistik
- a. Die Summe des Huguccio von Pisa
- b. Die Glossa ordinaria von Johannes Teutonicus
- 3. Die Quinque compilationes antiquae und ihre Kommentierung
- a. Die Summe von Bernhard von Pavia
- b. Der Glossenapparat von Tancred und Laurentius Hispanus
- 4. Der Liber Extra
- a. Einleitung
- b. Gregor IX. und das Seelenheil
- c. Die Bindungswirkung des Eides und das Seelenheil
- d. Ergebnis
- 5. Die Dekretalisten
- a. Die Glossa ordinaria von Bernardus Parmenis
- b. Die Summa von Goffredus de Trano
- c. Der Kommentar von Innozenz IV.
- d. Die Summa aurea und die Lectura von Henricus de Segusio
- (1) Einleitung
- (2) Summa aurea
- (3) Lectura
- 6. Zwischenergebnis
- 7. Der Liber Sextus und seine Kommentierungen
- a. Einleitung
- b. Bonifaz VIII.
- c. Der Kommentar zu den regulae iuris des Liber Sextus von Dinus Mugellanus de Rossonibus
- d. Johannes Andreae
- (1) Novella zum Liber Extra
- (2) Die Glossa ordinaria zum Liber Sextus
- 8. Ergebnis
- II. Zur Abgrenzung: Ein Blick in die Lehre der Legistik im 14. Jahrhundert
- 1. Einleitung
- 2. Der Kommentar zum Ius civile von Bartolus
- a. Der Schutz des indisponiblen Kerngehalts des Rechts
- b. Die Testierfreiheit
- c. Die Bekräftigung von sittenwidrigen Vereinbarungen durch Eid
- d. Der Wunsch des Todes eines Dritten
- e. Zusammenfassung
- 3. Der Kommentar zu Codex und Digesten von Baldus
- 4. Zusammenfassung
- D Ergebnis und Ausblick
- I. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
- II. Der Einfluss des Christentums auf den Begriff der boni mores
- III. Ausblick auf die Bedeutung des Ergebnisses für die Privatrechtsordnung bis heute
- Abkürzungsverzeichnis
- Verzeichnis der Kurztitel
- Quellenverzeichnis
- Kanonistik und Theologie
- Legistik
- Literaturverzeichnis
- Hilfsmittel und Lexika
Der allgemeine Gedanke der Nichtigkeit aufgrund von Sittenwidrigkeit fand seine Form als einheitliche und allgemeine Idee im Gesetz erst sehr spät. So wurde der zuvor in unterschiedlichen Bereichen des Privatrechts behandelte Gegenstand der Nichtigkeit aufgrund von Sittenwidrigkeit in seiner heutigen Abstraktion erst unter Windscheid im Rahmen der Vorarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuch in § 138 BGB zu einer allgemeinen Regel zusammengefasst.2
Die Idee, dass der Inhalt von Verträgen, Testamenten oder Bedingungen an den guten Sitten im Sinne einer moralischen Instanz zu messen ist, war in der Rechtswissenschaft jedoch bereits sehr viel früher vorhanden. So formulierte Hugo Donellus (1527–1591) in seinem Kommentar zum Ius civile für Vereinbarungen allgemein:
„Quod attinet ad turpes conventiones, quae eadem sunt contra bonos mores, non dubitabimus difinire generaliter & sine exceptione, quod supra, omnes ipso iure non valere.“3
Der Ausdruck der boni mores, den Hugo Donellus an dieser Stelle als Kriterium für die Wirksamkeit von Vereinbarungen heranzog, fand sich bereits im antiken römischen Recht im Zusammenhang mit Vereinbarungen. Dabei kann jedoch der Begriff, den sich die klassischen römischen Juristen von den guten Sitten machten, nicht ohne Weiteres auf die spätere Zeit übertragen werden.
Was das antike, klassische und nachklassische römische Privatrecht angeht, wurde die Thematik der boni mores bereits ausführlich beleuchtet. Dies geschah vor allem durch Max Kaser und Theo Mayer-Maly.4 Letzterer sieht die historischen ←13 | 14→Grundlagen der heutigen Generalklausel des § 138 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch in den Werken der Spätklassik und in den Paulussentenzen.5 Eine über diese Feststellung hinausgehende Beleuchtung der Entwicklung des Gedankens der boni mores außerhalb der Antike erfolgte durch Theo Mayer-Maly jedoch nicht.
Die juristische Literatur des Mittelalters wurde hinsichtlich des Gedankens der boni mores, sowohl was die Legistik als auch was die Kanonistik betrifft, bislang kaum untersucht. Bei David Deroussin finden sich zu den boni mores in der Legistik hauptsächlich Hinweise auf die Lehre von Bartolus de Saxoferrato (ca.1313–1357)6. Bezüglich der Lehre der Kanonistik verwies er allgemein auf die Differenzierung von boni mores civiles und naturales in Kanonistik und Theologie. Im Fall des Verstoßes gegen die boni mores naturales sei gemäß der regula LVIII des Liber Sextus wegen einer Gefahr für Körper oder Seele gegebenenfalls die Unwirksamkeit des Eides die Folge gewesen.7 Die regula von Bonifaz VIII.8 entstand jedoch zu einer Zeit, in der die Differenzierung zwischen boni mores civiles und naturales noch nicht vorgenommen wurde. Es stellt sich demnach weiterhin die Frage, welche Entwicklung die Bedeutung und Funktion der boni mores in Kanonistik und Legistik nahmen.
Peter Landau betonte zwar anhand des Beispiels der regula LXIX des Liber Sextus (VI. 5.12.69)9, was die Sittenwidrigkeit von Verträgen betrifft, den gegenüber der Kasuistik des römischen Rechts erhöhten Abstraktionsgrad im kanonischen Recht. Eine weitergehende Untersuchung erfolgte jedoch auch an dieser Stelle nicht.10 Hans-Jürgen Becker sieht bezüglich der Lehre von der Sittenwidrigkeit in ←14 | 15→den oben genannten Ausführungen Landaus einen Nachweis der Fortentwicklung des römischen Rechts durch die regula LXIX (VI. 5.12.69).11 Die Kanonistik habe „[…] in dieser neuen Gestalt die moderne Lehre von der Sittenwidrigkeit geformt […]“12. Dagegen spricht jedoch, dass die betroffene regula nicht ausdrücklich den Begriff der boni mores, sondern den des malum promissum betrifft. Ausführungen dazu, was Legistik und Kanonistik unter den boni mores verstanden, finden sich in keiner der oben genannten Untersuchungen.
„[…] die Lehre von der Sittenwidrigkeit der Rechtsgeschäfte in historischer Sicht darzustellen“13, stellte sich Helmut Schmidt zur Aufgabe. Hierzu unternahm er eine Untersuchung insbesondere der Entwicklung einer Generalklausel bezüglich der Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte in Gesetzgebung und Literatur. Die Untersuchung beginnt zeitlich mit der Literatur und Gesetzgebung der Rezeptionszeit und endet mit der Behandlung der Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Ihr Ergebnis ist, dass sich die Lehre von der Sittenwidrigkeit der Rechtsgeschäfte bis ins 19. Jahrhundert auch auf vereinzelte Stellen des Corpus Iuris Civilis und die dort enthaltene Kasuistik bezogen habe.14 Die Generalklausel der Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte habe sich im erst im Laufe des 16. Jahrhunderts als „Ausdruck fortschreitender Gesetzestechnik“15 durchgesetzt.16 Bedeutung für die Lehre habe sie erst im 19. Jahrhundert durch die Theoretiker des Naturrechts erlangt.17
Die Untersuchung beginnt zeitlich erst in der Neuzeit mit der Literatur des Humanismus und des usus modernus pandectarum, was angesichts der Relevanz des Mittelalters für die Fragestellung zu kurz greift. Darüber hinaus wurde zu Unrecht die bis ins 19. Jahrhundert bestehende Maßgeblichkeit des kirchlichen ←15 | 16→Rechts und der Kanonistik für die Privatrechtsordnung18 außer Acht gelassen. Es wurde nicht berücksichtigt, dass „[…] die christliche Kirche ein eigenständiges Rechtsdenken entwickelt hat, das weder vom heidnischen Römertum, noch von den Germanen genetisch ableitbar ist und […] den Weg der europäischen Rechtsgeschichte maßgeblich geprägt hat“19. Unter Einbeziehung einer Untersuchung etwaiger Impulse aus dem kirchlichen Recht sowie auch der mittelalterlichen Quellen der Legistik und Kanonistik wäre die Begründung der Entstehung der oben genannten Generalklausel möglicherweise anders ausgefallen.
Auch Reinhard Zimmermann sieht, was die zivilistische Rechtswissenschaft betrifft, die Wurzeln einer generalisierenden, über die Kasuistik hinausgehenden Darstellung des Gedankens der guten Sitten als Kriterium für die Bestimmung zulässiger Inhalte von Vereinbarungen im 16. Jahrhundert. Hierzu verwies er jedoch nicht wie Helmut Schmidt auf das Gesetz, sondern auf eine Passage des Werkes von Hugo Donellus.20 Dabei nahm er auf die oben genannten Ausführungen von Helmut Schmidt und Max Kaser Bezug.21 Die Behandlung der boni mores in der rechtswissenschaftlichen Literatur des Mittelalters erfuhr jedoch auch durch Reinhard Zimmermann keiner Bemerkung.
Aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs mit dem jeweiligen Zustand der die Sitten formenden Gesellschaft veränderten sich im Laufe der Zeit der Sinngehalt, die Bedeutung und auch die Funktion des Gedankens der guten Sitten im Gesellschafts- und Rechtsgefüge. Die Paradigmen der Geistesgeschichte und der Gesellschaften, die die Sitten seit der für das europäische Privatrecht bereits relevanten römischen Republik über das Mittelalter bis in die Neuzeit prägten, wandelten sich im Laufe der Zeit. Dennoch wurde der Entwicklung des Gedankens der Sittenwidrigkeit von Vereinbarungen in der Zeit nach der Antike bislang kaum Beachtung geschenkt.
←16 | 17→Die Sitten im Sinne der Praxis eines bestimmten Verhaltens stellen als Tatsache der Lebenswirklichkeit innerhalb einer Gesellschaft eine außerrechtliche Verhaltensnorm dar. Durch die (guten) Sitten als Maßstab für rechtliche Handlungen wird das Recht einer moralischen Betrachtung unterworfen.22 Dem gesetzten Recht wird ein ethischer Maßstab beigestellt, der sich aus unterschiedlichen Quellen speisen kann. Es stellt sich demnach die Frage, welchen Begriff sich die mittelalterliche Lehre, insbesondere die Kanonistik von den guten Sitten machte.
Seit dem Untergang des weströmischen Reichs und dem beginnenden Einfluss des Christentums auch im Bereich des Rechts unterlag die Gesellschaft einem einschneidenden Wandel. Es liegt deshalb nahe, dass ein entscheidender Beitrag zur Entwicklung des Gedankens der Bestimmung zulässiger Vertragsinhalte anhand eines moralischen Kriteriums auf die kirchliche Rechtswissenschaft zurückzuführen ist.23 Interessant ist hierbei auch ein aufscheinender Zusammenhang mit dem Grundsatz pacta sunt servanda und der Entwicklung eines einheitlichen Vertragsrechts, bei der das kanonische Recht ebenfalls von entscheidendem Einfluss war.
In dieser Arbeit soll ein Teil der Lücke geschlossen werden, die bezüglich der Untersuchung der Dogmengeschichte des Gedankens der Sittenwidrigkeit in Bezug auf Vereinbarungen besteht. Hierzu soll die Frage beantwortet werden, was in der kirchlichen Rechtswissenschaft des Mittelalters den Gehalt der guten Sitten bestimmte und welche Rolle sie dort im Zusammenhang mit Vereinbarungen spielten.
Dabei wird die These zu Grunde gelegt, dass die Kanonistik den Begriff der boni mores mit einer spezifisch theologisch geprägten Bedeutung ausfüllte und ihm einen erhöhten Stellenwert beimaß. Angesichts der in der Kanonistik entwickelten und theologisch begründeten Lehre von der Verbindlichkeit sämtlicher, auch formloser Versprechen ist zu erwarten, dass den guten Sitten als Korrektiv der unbeschränkten Bindung in der Kanonistik eine besondere Funktion zukam.
←17 | 18→Im Hinblick auf die spätere zivilistische Lehre und die in der heutigen Privatrechtsordnung vorhandene moralische Deutung der guten Sitten wird im Ergebnis der Arbeit nachzuweisen sein, welche Rolle hierbei die kirchliche Sicht der inhaltlichen Begrenzung von Vereinbarungen durch die guten Sitten spielte. Es ist zu vermuten, dass die Entstehung der allgemeinen Idee einer moralischen Begrenzung möglicher Vereinbarungen auf einen spezifisch kanonistischen Sittenwidrigkeitsbegriff zurückzuführen ist.
Methodisch erfolgt die Untersuchung eines Ausschnitts der Dogmengeschichte des Rechtsgedankens der Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte. Dabei handelt es sich aufgrund des Gegenstands der Untersuchung um eine juristische Arbeit anhand mittelalterlicher Quellen. Zu der Methode der Untersuchung, insbesondere was die durch den Einfluss der Kanonistik erzeugten theologischen Bezüge betrifft, bietet das Vorhaben „Der Einfluss des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur“24 einen Überblick für die Bereiche des Zivilrechts, des Öffentlichen Rechts, des Strafrechts und des Prozessrechts.
Eine dogmengeschichtliche Untersuchung der für die boni mores relevanten Quellen des Mittelalters im Bereich der Legistik und der Kanonistik steht bislang aus.25 Es erfolgte auch keine umfassende Untersuchung der Dogmengeschichte des Grundsatzes der Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte unter Einbeziehung auch der Kanonistik mit deren philosophischen und theologischen Hintergrund. Eine solche umfassende Dogmengeschichte kann und soll hier nicht erfolgen, da dies den Rahmen eines Dissertationsvorhabens sprengen würde. Mit dieser Arbeit soll jedoch ein Teil der Lücke geschlossen werden, die mangels der Untersuchung der mittelalterlichen Quellen der Kanonistik hinsichtlich der boni mores im Bezug auf Vereinbarungen besteht. Hierzu soll die Lehre der Kanonistik im Hinblick auf die boni mores und die zulässigen Inhalte von Vereinbarungen beleuchtet werden. Ausgehend von dem Ergebnis dieser Untersuchung soll auch ein Ausblick auf die spätere Bedeutung der Lehre der Kanonistik ←18 | 19→von der inhaltlichen Begrenzung von Vereinbarungen für die heutige Privatrechtsordnung erfolgen.
Den Gegenstand des Hauptteils dieser Untersuchung bilden entsprechend der zeitlichen und inhaltlichen Begrenzung des Themas das Decretum Gratiani, die Quinque compilationes antiquae, der Liber Extra, der Liber Sextus sowie deren Kommentierungen durch ausgewählte Kanonisten.
Zuvor wird einführend auch der theologische Hintergrund der Kanonisten im Bereich der inhaltlichen Begrenzung von Vereinbarungen, insbesondere durch die Sittenwidrigkeit, beleuchtet werden, der der kanonistischen Literatur zu Grunde lag. Die Untersuchung der Theologie erfolgt dabei lediglich soweit sie die Lehre von der Wirksamkeit von Vereinbarungen beziehungsweise Versprechen und den Begriff der guten Sitten betrifft und somit für die kanonistische Lehre von der Sittenwidrigkeit von Vereinbarungen von Einfluss sein konnte.
Die Auswahl der zu untersuchenden Quellen richtet sich danach, welche Quellen für die Entwicklung des Rechts insgesamt bedeutsam waren. Dabei wird der Untersuchungsgegenstand im Rahmen der Gesetzestexte beziehungsweise Sammlungen mit Normcharakter auf das im Corpus Iuris Civilis enthaltene, im Mittelalter rezipierte römische Recht und die Texte des Corpus Iuris Canonici sowie der Quinque compilationes antiquae beschränkt. Eine Untersuchung der Partikularrechte wird unterbleiben, da aufgrund deren örtlich und inhaltlich beschränkten Anwendungsbereichs kein Einfluss auf die Entwicklung des Rechtsgedankens der boni mores zu erwarten ist. Diese Beschränkung des Untersuchungsgegenstands entspricht auch der heutige Betrachtung der Rezeption des römischen Rechts als gesamteuropäischer26 „[…] Verwissenschaftlichungsprozess, dem die partikulären Rechte unterworfen waren.“27 Was die einführende Darstellung im Bereich des weltlichen Rechts betrifft, ist demnach das mit der intentio fundata begünstigte ius civile und die der partikularen Gesetzgebung mit zu Grunde liegende wissenschaftliche Behandlung der Materie im Rahmen des gelehrten Rechts zu untersuchen.
Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Entstehung des Decretum Gratiani (ca. 1140) und endet mit dem Höhepunkt der Zeit der Kommentatorenzeit Mitte des 14. Jahrhunderts.28 Der Beginn wurde gewählt, weil das Decretum ←19 | 20→Gratiani als die Grundlage für die im 12. Jahrhundert entstandene institutionalisierte Lehre des kirchlichen Rechts eine bedeutende Zäsur in der Kanonistik darstellt.29 Diese ist geeignet, den Gegenstand der Untersuchung sinnvoll zu begrenzen.
In materieller Hinsicht werden zur Begrenzung des Themas die Wucher-Thematik, die Frage des iustum pretium30 und die der Sittenwidrigkeit im Rahmen des Abschlusses von Vereinbarungen von der Untersuchung ausgenommen. Dies bietet sich an, da diese Gegenstände die Frage der boni mores beziehungsweise turpitudo in den Quellen des Untersuchungszeitraums nicht berühren.
Die Untersuchung der Lehre von Vereinbarungen contra bonos mores in der Kanonistik soll nicht losgelöst von der zivilistischen Lehre erfolgen. Wenn auch die Quellen des klassischen römischen Rechts meist nicht den Gegenstand ihrer Lehre darstellten, nahmen die kirchlichen Juristen in ihren Werken zum kirchlichen Recht Bezug auf die älteren Quellen des klassischen römischen Rechts. So kann die Beantwortung der Frage nach der kirchlichen Lehre von der Sittenwidrigkeit von Vereinbarungen nicht gänzlich ohne die Darstellung etwaiger Verbindungen und gegenseitiger Einflüsse der Schwesterdisziplinen Legistik und Kanonistik auf diesem Gebiet erfolgen.
Bevor im Hauptteil die Frage nach der Sittenwidrigkeit von Vereinbarungen in der Kanonistik behandelt wird, wird demnach einführend auch die entsprechende Lehre des klassischen römischen Rechts und der Legistik Erwähnung finden. So soll zur Einführung und zur Vorbereitung des Hauptteils in einem ersten Schritt die Behandlung der Sittenwidrigkeit von Vereinbarungen im ius civile dargestellt werden.
Details
- Seiten
- 218
- Erscheinungsjahr
- 2019
- ISBN (PDF)
- 9783631798935
- ISBN (ePUB)
- 9783631798942
- ISBN (MOBI)
- 9783631798959
- ISBN (Hardcover)
- 9783631796177
- DOI
- 10.3726/b16020
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (August)
- Schlagworte
- Sittenwidrigkeit Gute Sitten Seelenheil salus aeterna Sittenwidrigkeitsklausel Vertragsfreiheit Dogmengeschichte Inhaltsbegrenzung Privatrechtsgeschichte
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 218 S.