Rudolf Alexander Schröder und Ernst Zinn: Briefwechsel 1934–1961
Kommentierte Edition
Summary
Die Edition vereint die rund 120 Briefe, Karten und Telegramme, darunter auch einige von Zinns Frau, der Sängerin Walburga Zinn, und Schröders Schwester, Dora Schröder, die aufseiten des Dichters einen Teil der Korrespondenz erledigte. Ein ausführlicher Kommentar ergänzt die Briefe, ordnet diese in ihren Kontext ein und erläutert historische Details und Anspielungen.
Excerpt
Table Of Contents
- Cover
- Titelseite
- Impressum
- Vorwort
- Inhalt
- „Aus Ihrer Übertragung ging mir das Buch erst wirklich auf“: Ernst Zinn und Rudolf Alexander Schröder
- Rudolf Alexander Schröder und Ernst Zinn: Briefwechsel und Kommentar
- Gedenkrede auf Lessing. Gehalten als Valedictionsrede bei der Schulentlassungsfeier des Friedrichs-Gymnasiums in Freiburg im Breisgau am 29. März 1929 von Ernst Zinn
- Horaz. Zur Zweitausend-Feier. Von Rudolf Alexander Schröder
- Lessingpreis für R. A. Schröder. Von Dr. Ernst Zinn
- „Ich sitze hier voll ernstem Willen.“ Ein Stammbuchblatt von Rudolf Alexander Schröder
- Verzeichnis der Briefe
- Wiederholt und abgekürzt zitierte Literatur
- Abkürzungen und Druckkonventionen
- Abbildungsnachweise
- Namenregister
„Aus Ihrer Übertragung ging mir das Buch erst wirklich auf“1: Ernst Zinn und Rudolf Alexander Schröder
Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.
Daniel 12,3 (Übers.: M. Luther)
1.Gebildetes und gelehrtes Bürgertum
Die hier mitgeteilten Briefe spiegeln das Gespräch zweier auf je eigene Weise für die Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts bedeutender Männer: eines aus der Tradition des gebildeten Bürgertums einer norddeutschen Kaufmannsstadt hervorgegangenen Dichters, der so bescheiden wie stolz das Amt des Bewahrens der Erinnerung ausübte, und eines aus dem gelehrten Bürgertum der Reichshauptstadt gebürtigen Philologen, der ein begnadeter Lehrer war, von dessen Schülern ein ungewöhnlich hoher Anteil selbst auf Lehrstühle oder leitende Stellungen in der Wissenschaft berufen wurde. Beide, den Dichter und den Philologen, verband die Abneigung gegen die Prätention der Oberflächlichkeit: in ästhetischen, philologischen und sittlichen Dingen. Daraus rührten, was Schröders und Zinns Umgang miteinander prägte, die bestimmenden Faktoren: Respekt, Treue und Dank.
←1 | 2→Der Briefwechsel beider Männer erstreckt sich über nahezu dreißig Jahre, von 1934 bis 1961. Helfend schaltete sich seit 1936 Schröders Schwester Dora in den Briefverkehr ein, zunächst eher kurz und in praktischen Dingen wie Terminabsprachen, später auch mit längeren Briefen, um ihren Bruder zu entlasten – besonders seitdem eine fortschreitende Augenerkrankung Schröder das Schreiben mit der Hand und das Lesen immer mehr zur Last werden ließ. Seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts finden sich daher auf beiden Seiten auch typierte Briefe. Sie besorgte für Schröder seine Schwester Dora (27.11.1887–29.4.1960), zuletzt zusammen mit einigen Mitarbeitern. Nach dem plötzlichen Tod der Schwester im Bremer Parkhotel lag die Korrespondenz des Dichters ganz in den Händen der Helfer, zu denen zuletzt auch Eduard Beaucamp gehörte, der spätere Kunstkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aufgenommen ist unter die rund 120 Briefe auch eine Handvoll aus der Feder von Zinns Frau Walburga, die durch Inhalt und Ton auf die Beziehung der beiden Männer ein besonders schönes Licht werfen.
Der Dichter Rudolf Alexander Schröder (1878–1962) und der Philologe Ernst Zinn (1910–1990) arbeiteten im Kontext von Zeitenwenden. Vor den Augen des Älteren war der als selbstverständlich hingenommene Besitz des Bürgertums, der materielle, vor allem aber der geistige, zunichte geworden in den Schrecken des Ersten Weltkriegs. Alle Mühe aber auch, die der Ältere mit seinen Übersetzungen an die Erhaltung geistiger Überlieferung wandte, drohte zuschanden zu werden an den Vernichtungen des Zweiten Weltkriegs. Für den Jüngeren bedeutete die Hilfe bei Schröders Übersetzungen die Mitarbeit an einem Unternehmen der Rettung, von der er nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs einen sittlichen Neuanfang erhoffte. Dieser sollte seine Maßstäbe wesentlich aus den großen Werken von Griechen und Römern beziehen, deren Geschichtsschreiber und Dichter allenthalben vom Aufstieg aus Trümmern handeln: von den Bürgerkriegen der ausgehenden römischen Republik etwa, deren Blutvergießen ein Ende erst in der neuen politischen Ordnung des augusteischen Friedens fand. In einer Ordnung, die nicht so schnell allgemein akzeptiert worden wäre ohne die Dichter, die sich in den Dienst ihres Urhebers, des Princeps Augustus, gestellt hatten, der auch nach Antritt seiner Alleinherrschaft politisch immer die staatsrechtliche Fiktion aufrecht erhielt, die Republik bestände weiter: Horaz und Vergil. Beider Dichtungen zeigen dem historisch sensiblen Leser – und für solche arbeiteten Schröder und Zinn – nachgerade modellhaft, welche Bedeutung den von Dichtern und Künstlern gestifteten Mythen zukommt, soll ein Gemeinwesen zu stabiler Identität finden.
←2 | 3→2.Rudolf Alexander Schröder und die Dichter der augusteischen Zeit
Wenige Monate nach Rudolf Alexander Schröders Tod, ein Jahrzehnt nach dem ersten Druck seiner vollständigen „Aeneis“-Übertragung in den „Gesammelten Werken“, wählte Rudolf Hirsch, damals Cheflektor des S. Fischer Verlags, für die von ihm konzipierte Taschenbuchreihe der hundert Bände „Exempla Classica“ die Arbeit Schröders aus, um das Epos der augusteischen Klassik einem breiteren Publikum zu präsentieren. Hirsch ließ den ihm befreundeten Ernst Zinn das Nachwort zu dem Band schreiben. Dort deutete Zinn Schröders übersetzerische Aneignung der Weltliteratur als den Versuch, Gegensätze der Überlieferung zu einem geistigen Kosmos zu verschmelzen:
Die Fortwirkung der vergilschen Poesie – vor allem der Aeneis – im römischen Reich und in der Christenheit blieb durch mehr als anderthalb Jahrtausende das mächtigste Beispiel dichterischen Ruhms, bis sie, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, durch das Wiederaufleben Homers beschränkt oder – zumal in Deutschland – völlig gelähmt wurde. Im gegenwärtigen Jahrhundert haben Liebe und Einsicht den größten Dichter ›Hesperiens‹ wiederentdeckt und sein Werk ahnend, verstehend, untersuchend und übersetzend neu erschlossen. Die Dichter und die Forscher sind dabei zunächst unabhängig voneinander, aber gleichzeitig vorangeschritten: in der Stille ihrer Jugend haben um die Jahrhundertwende Männer wie Rudolf Alexander Schröder (1878–1962) und Rudolf Borchardt (1873–1945) an Vergil gehangen, zur selben Zeit haben Gelehrte wie Friedrich Leo, Richard Heinze und Eduard Norden seine Texte mit Entdeckeraugen interpretiert und analysiert. Die erste Frucht von Schröders schon in den Bremer Gymnasialjahren in Auflehnung gegen das Verdikt seiner Lehrer begonnener Beschäftigung mit Vergil war die Übertragung der Georgica (um 1912 geschrieben, erst 1924 gedruckt), der bald die der Eklogen folgte. Von der Aeneis gab er 1930, zur Zweitausendjahrfeier Vergils, eine Probe, den zweiten Gesang; an das Ganze legte er Hand erst nach dem zweiten Weltkrieg, als es galt, in seinen Gesammelten Werken von 1952 einen vollständigen deutschen Horaz und Vergil neben die deutsche Ilias und Odyssee zu stellen, – worauf er dann noch im höchsten Alter die beiden Bände mit den Übertragungen aus Racine, Corneille, Molière und Shakespeare folgen ließ. Daß im Lebenswerk des Dichters R.A. Schröder die Vereinigung des vermeintlich Unvereinbaren gelang und daß darin die Meisterübersetzungen Homers und Vergils, Shakespeares und Racines zusammen kamen, deutet darauf, wie nun auch für den Deutschen die alten Gegensätze der hellenisch-römischen, der heidnisch-christlichen, der romanisch-germanischen Überlieferung zu Polen Eines geistigen Kosmos werden.2
←3 | 4→Die hier mitgeteilten Zeugnisse aus einem Briefwechsel, den der fast dreißig Jahre ältere Rudolf Alexander Schröder und sein beständiger Helfer Ernst Zinn fast drei Jahrzehnte lang miteinander geführt haben, lassen eine große Konstanz des Themas erkennen. Fast immer geht es um die ‚Sache‘ der Literatur, Persönliches tritt dahinter zurück. Eine Ausnahme bilden nur so gewichtige Lebensereignisse wie die Geburt eines Kindes. Seit Beginn der Bekanntschaft, die später zu einer jener heute kaum noch vorstellbaren Geistesfreundschaften wurde, in denen das ‚Sie‘ mit all seinen Schattierungen mehr geistige Nähe und Anteilnahme bedeuten konnte als ein oberflächlich-unverbindliches ‚Du‘, war Horaz, noch vor Vergil, der wichtigste Gegenstand ihres schriftlichen und mündlichen Austausches. Nie verzichtete der Jüngere auf die respektvolle Anrede „Hochverehrter, lieber Herr Dr. Schröder“, auch nicht, als der Dichter die Patenschaft für Zinns jüngste Tochter übernommen hatte. An vielen Stellen in diesem Band fügen sich Brief und erhaltener Gegenbrief zum Briefgespräch. Wo das nicht der Fall ist, fehlen zu erwartende Antwortbriefe meist, weil sie durch das Gespräch bei einer der vielen, oft telegraphisch abgestimmten, persönlichen Begegnungen ersetzt wurden.
Lange bevor der intensivere Austausch mit Zinn begann, hatte Schröder aus dem Werk Vergils die Übertragung der „Georgika“ [!] abgeschlossen, die 1924 als bibliophiler Druck im Verlag der Bremer Presse erschienen war. Dasselbe gilt für die „Eklogen“, die 1926, ebenfalls als bibliophiler Druck, in Harry Graf Kesslers Cranach-Presse mit den Holzschnitten von Aristide Maillol herauskamen.3 Weite Verbreitung fanden Schröders „Eklogen“ allerdings erst später durch die Aufnahme der Übersetzung in das Programm der Insel-Bücherei. In einer reizvollen – durch den Krieg aber um ihre Wirkung gebrachten – Edition erschienen 1939 Schröders deutsche „Eklogen“ in einem Band zusammen mit den deutschen „Georgica“, beide überarbeitet, in der hochkarätigen Sammlung Dieterich.4
←4 | 5→Seit Mitte der dreißiger Jahre trat an Schröders Seite als philologischer Ratgeber und Helfer der damals mitten in seiner Horaz-Dissertation steckende, gleichzeitig schon auf seine spätere Lebensaufgabe einer großen Rilke-Edition zusteuernde und immer wieder der Baronin Dora von Bodenhausen, der Witwe von Hofmannsthals Jugendfreund, beistehende junge Klassische Philologe Ernst Zinn. Er war Schröder – nach einer schwierigen Schulkarriere, zu deren unerfreulichster Phase der Aufenthalt an der Odenwald-Schule gehört hatte – kurz nach der Reifepüfung im Hause des Freiburger Arztes und Psychotherapeuten Arthur Muthmann (1875–1957) begegnet. Der Eindruck des fünfzigjährigen Dichters auf den sensiblen Abiturienten, der gerade in einer ganz außerordentlichen Valediktionsrede Gotthold Ephraim Lessings zu dessen 200. Geburtstag gedacht hatte5, muß ungemein tief gewesen sein. Und umgekehrt muß auch der Mulus dem Dichter bereits damals aufgefallen sein. Immerhin hat die Begegnung das Fundament zu einer lebenslangen Denkens- und Schaffensgemeinschaft gelegt, deren Ergebnisse allenthalben bezeugen, wieviel an Korrektheit des Wortes der übersetzende Dichter dem Philologen verdankt und mit welch feinem Sinn dieser umgekehrt die Grenzen dessen beachtet hat, was er dem Dichter an Philologica zumuten durfte, ohne dessen Arbeit zu gefährden, der wir die mit Abstand bis heute weithin angemessenste, ‚vergilischste‘ deutsche Version der von Vergil geschaffenen „erste[n] ‚Romantik‘ der Weltgeschichte“6 verdanken.
Schröders Übersetzungen bilden seit den frühen Tagen der „Insel“ einen integralen Bestandteil seines dichterischen Werks. Dies gehörte nie zum Strom der jeweiligen literarischen Moden. Insofern es aber quer zu ihnen stand, brachen sich daran auch alle Wellen, die es immer wieder zu überrollen schienen. Geistliche Lyrik etwa, wie Schröder sie schrieb, war kein à-la-mode-Ingrediens der literarischen Moderne und gehörte als solche genauso wenig zur politisch angepaßten wie zur widerständigen Literatur. Aber auch dies zeigt Schröders literarische Vita: Emigration ist nicht weniger Emigration, weil sie innere Emigration ist. Diese erfordert vielmehr sogar eine eigene Form des vorsichtigen Mutes. Umgekehrt ist das mit ihr verbundene Bemühen um die zum Überleben notwendige Zurückhaltung als solches nicht frei von Schuld, was Schröder wiederholt aussprach, und gewährt auch längst nicht immer die erhoffte Möglichkeit, Unglück zu mildern, wie Schröders vergebliche Anstrengung zeigt, Rudolf ←5 | 6→Borchardts erste Frau zu retten: die 1944 von den nationalsozialistischen Schergen in Theresienstadt ermordete jüdische Malerin Karoline Ehrmann.
3.Rudolf Alexander Schröder
Aus einer Bremer Kaufmannsfamilie stammend, besuchte Schröder das Alte Gymnasium seiner Heimatstadt und ging nach dem humanistischen Abitur nach München, wo er seit 1897 in der Stadt der deutschen Bohème Architektur, Musik und Kunstgeschichte studierte. In München gründete er 1899 – den Plan hatten die drei Bremer Freunde schon auf der Schulbank geschmiedet – zusammen mit Otto Julius Bierbaum und seinem vermögenden Vetter Alfred Walter Heymel die kurzlebige bibliophile Zeitschrift „Die Insel“, die zur Keimzelle des langlebigen Insel-Verlags wurde. Nach Ableistung des Militärdienstes als Einjährig-Freiwilliger 1902/1903 in Friedrichsort bei Kiel unternahm Schröder erste Versuche einer Homer-Übersetzung, arbeitete aber auch an anderen Übertragungen: darunter war 1905 die unvollendete erotische Novelle „Under the Hill“ von Aubrey Beardsley. 1906 wandte er sich ersten Horaz-Verdeutschungen zu. 1907 begann Harry Graf Kessler mit dem Druck, und 1910 erschien die Odyssee-Übertragung Schröders vollständig in zwei Bänden mit Holzschnitten von Aristide Maillol. 1907 brachte Max Reinhardt Schröders Übersetzung von Shakespeares „Was Ihr wollt“ im Deutschen Theater in Berlin zur Aufführung. Neben den antiken Dichtern beschäftigte den Übersetzer Schröder also, was meist übersehen wird, schon früh die große englische Literatur.
Details
- Pages
- X, 393
- Publication Year
- 2020
- ISBN (PDF)
- 9783631795187
- ISBN (ePUB)
- 9783631795194
- ISBN (MOBI)
- 9783631795200
- ISBN (Hardcover)
- 9783631793541
- DOI
- 10.3726/b15858
- Language
- German
- Publication date
- 2019 (November)
- Keywords
- Rudolf Alexander Schröder Ernst Zinn Briefe Telegramme Kommentar
- Published
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. X, 392 S., 25 s/w Abb.