Tierwelten und Textwelten
Beiträge der Bologneser Tagung
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Vorwort
- Konzepte der Tier-Mensch-Beziehung in der mittelalterlichen Literatur (Helmut Brall-Tuchel)
- Tiermotive aus dem Physiologus im Parzival Wolframs von Eschenbach (Elisa Pontini)
- Oxen and heifers in the Norse creation and cosmogony (Francesca Zappatore)
- Der Bär aus der Schweiz, die Katze an der Leine und der Widder an der Elbe. Ein Blick hinter Lichtenbergs Tieraphorismen (Giulia Cantarutti)
- Traumhafte, geträumte Tiere im Kontext der Briefwechsel von Rahel Levin Varnhagen und Else Lasker-Schüler (Chiara Conterno)
- „Nicht eigentlich Gleichnisse“. Anmerkungen zu Kafkas Tiergeschichten (Jutta Linder)
- Auf Fuchsjagd. Der Fuchs in den Romanen Kruso von Lutz Seiler und Vor dem Fest von Saša Stanišić (Francesca Bravi)
- Vom sanften Täubchen zum wilden Tier. Tiermetaphorik und Frauendarstellungen in der deutschen Oper von Mozart bis Alban Berg (Michael Schwarte)
- Der Zoologische Garten als Erfahrungs- und Imaginationsraum in der Lyrik und bildenden Kunst. Intermediale Studien zur Mensch- Tier-Beziehung in Raubkatzenporträts des 20. Jahrhunderts (Annette Simonis)
- Requiem auf die Fliege: Fliegenpein und Fliegentod von der Aufklärung bis in die Gegenwart (Alexandra Müller)
- Histoires d’escargots (Karin Becker)
- Forme e simbolismi animali nella letteratura religiosa musulmana (Carlo Saccone)
- Afrika, wie es im Bilderbuch steht. Tierwelten in Kolonial- und Gegenwartsromanen mit Schauplatz Ostafrika (Marie A. Rieger)
- „Wesen aus dem Ozean des Inneren“. Zu Durs Grünbeins aquatischen Tierwelten (Silvia Ruzzenenti)
- Peter Kurzecks Tierwelt: Fortschritt, Vergänglichkeit und Verlust (Sandra Abderhalden)
- Metamorphose oder Autofiktion aus der Sicht einer Katze: Miguel Halers Les mémoires d‘un chat de gouttière (2011) (Kirsten von Hagen)
- Die Katze Erinnerung …und das richtige Leben im falschen. Zur Katze in Uwe Johnsons Mutmassungen über Jakob (Michael Dallapiazza)
- Animals and Animalisation in Angela Carter’s rewriting of Grimms’ Snow White (Maria Elisa Montironi)
- The Animal-guide through Medieval Persian Poems (Nahid Norozi)
- Bulgakov lettore di Hoffmann: gatti e altre presenze diaboliche a Mosca e dintorni (Cheti Traini)
- Brockes’ Tierleben – Zoologie und Optik in der Naturlyrik der Frühaufklärung (Astrid Dröse)
- Il corteo di Dioniso. Figure dell’animalità nella rappresentazione musicale (Lorenzo Macharis)
- Index
- Reihenübersicht
Vom 3. – 5. Oktober 2017 fand in Bologna eine internationale Tagung unter dem Titel Tierwelten und Textwelten statt, die in Zusammenarbeit der Universitäten Gießen und Bologna organisiert wurde. Seit einigen Jahren lässt sich in den Sozial- aber auch den Geschichtswissenschaften ein wahrer Boom einer inzwischen gar nicht mehr so neuen Forschungsrichtung verfolgen: den human-animal-studies, die erwartungsgemäß vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Großbritannien fast einen solchen Rang einnehmen, den man im alten Europa ein (klassisches) Modethema nennen würde. Und folgerichtig ist schon 2007 dafür der (allerdings wenig originelle) Begriff des animal turn geprägt worden. Die meist interdisziplinär-sozialwissenschaftlich-kulturwissenschaftlich argumentierenden Arbeiten betonen oft entschieden einen revolutionären Charakter der sogenannten Critical Animal Studies. Mensch-Tier-Verhältnisse werden historisiert und Mensch-Tier-Unterscheidungen kritisch befragt und münden nicht selten in der Frage, ob die im Zuge dieser Ansätze begründete „Animal History“ den Gang der Geschichte beschreibt, den Tiere aktiv mitbestimmt haben. Weniger verbreitet ist dieser Ansatz noch in den klassischen Literaturwissenschaften, weswegen sich diese Tagung ausdrücklich allein mit der Darstellung, der Darstellungsweise, der Bedeutung und der Funktion von Tieren und den Mensch-Tier-Beziehungen in literarischen Texten auseinanderzusetzen vornahm. Die Vielfalt des Topos Tier seit der Literatur der Antike ist ein weiterhin noch wenig überschaubares Feld. Die Tagung wollte sich in erster Linie auf die vielfältigen Erscheinungsformen des Tiers beschränken und dabei anthropomorphisierte Tiere genauso in Betracht ziehen, wie den Gebrauch von Tiersymbolik jeder Art und dabei auch die zeitgenössische Musik einbeziehen.
Michael Dallapiazza und Annette Simonis
Konzepte der Tier-Mensch-Beziehung in der mittelalterlichen Literatur*
Helmut Brall-Tuchel (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)
Abstract: Der Beitrag geht der Frage nach, unter welchen Konzepten Tiere in mittelalterlichen Texten in Erscheinung treten. Leitfaden der ausgewählten Beispiele und der sich daran anknüpfenden Überlegungen ist die Beziehung zwischen Tier und Mensch. Die Inszenierung tierischer Gegen- und Mitspieler in der höfischen Dichtung hebt sich ab von den naturkundlichen und biblischen Grundlagen. Die fiktionalen Konzepte werden in der Reiseliteratur des Spätmittelalters erheblich erweitert. Exotische Tiere gewinnen vielfältige Funktionen im Bereich eines sich erweiternden Weltwissens. Neben Überhöhung und Beglaubigung des Ungewohnten dienen Tiere auch als Medien und unterhaltsamer Lern- und Lehrstoff.
Keywords: Tier-Mensch-Beziehung, Naturkunde, Artus- und Gralroman, Fremdheit, Reisen, Tierhaltung, Fabeltiere
Tiere treten in mittelalterlichen Texten unter sehr unterschiedlichen Konzepten in Erscheinung.1 In Fabel, Tierdichtung, höfischer Epik, Schwänken, geistlichen Texten, der Naturkunde und der Enzyklopädik begleiteten und durchzogen sie weiträumig die litterate Kultur der ganzen Epoche, unterstützt und ergänzt durch die symbolischen und ornamentalen Bilderwelten in Plastik, Buchmalerei, Holzschnitt und Heraldik. Unser Blick auf mittelalterliche „Tierwelten“ muss sich aufgrund der unabsehbaren Fülle mit einigen exemplarischen Texten begnügen. Leitfaden für die folgenden Beispiele und Überlegungen wird die Beziehung von Tier und Mensch sein. Ich gehe aus von theoretischen, d. h. naturkundlichen Schriften und leite über zur höfischen Dichtung, um mich dann ←9 | 10→der Reiseliteratur des Spätmittelalters zu widmen. Ich beginne mit einem Hinweis auf die elementaren Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier:
Selbst die Tiere sind wie wir der Macht der Phantasie unterworfen. Die Hunde, die aus Schmerz über den Verlust ihres Herrn sterben, beweisen es. Andere hören wir im Traum aufjaulen und sehen sie zusammenzucken, und Pferde wiehern oft plötzlich los und schlagen um sich.2
Dass Vorstellungskraft auch Tieren eigen ist, davon überzeugte sich Michel de Montaigne zweifellos durch Augenschein und Erfahrung. Ihm galt es als sicher, dass diese Fähigkeit von Tieren auf „die enge Verflechtung von Körper und Seele zurück[zu]führn“ sei. Der Renaissancephilosoph billigte auch Tieren ohne weiteres ein Seelenleben zu, was von der christlichen Tradition, insbesondere von den Kirchenlehrern Augustinus und Thomas von Aquin, nicht geteilt wurde.3 Bei aller Skepsis gegenüber theologischen Vorgaben war Montaigne aber durchaus noch in Denk- und Deutungsgewohnheiten der Überlieferung verhaftet. Bei seinen Reflexionen „Über die Macht der Phantasie“ galten ihm überdies „die erdichteten Zeugnisse, soweit sie möglich scheinen, ebenso dienlich wie die wahren.“4 So hielt Montaigne es für nicht ausgeschlossen, dass „Schildkröten und die Strauße […] ihre Eier durch bloßes Anschaun aus[brüten]“ oder dass Rebhühner und Hasen im Gebirge durch die Einwirkung des Schnees ihr weißes Federkleid bzw. Fell annehmen.5
Diese „Leichtgläubigkeit“ oder – besser gesagt – Bereitwilligkeit, sehr unterschiedliche Register des Wissens zuzulassen und deren Koexistenz trotz aller Widersprüchlichkeit anzuerkennen, war ein diskursübergreifendes Charakteristikum der wissenschaftlichen und literarischen Beschäftigung mit Tieren und deren Eigenschaften bis in das Spätmittelalter und die Renaissance hinein. Nährgrund dieses breitgefächerten Interesses am „Tierleben“ war die Lust am Kontrast oder Vergleich, an der Vergegenwärtigung und narrativen Funktionalisierung der Unterschiede und der Ähnlichkeiten von Mensch und Tier. Hierfür wurden Konzepte oder Prinzipien benötigt, die eine weitgehende und langwährende Geltung für sich beanspruchen konnten.
←10 | 11→I.
Dem Weltbild des Lukrez zufolge, das im Mittelalter jedoch verpönt war und erst im Zuge des Humanismus rezipiert wurde,6 entwickelten sich die höheren Lebewesen aus dem Schoß der Mutter Erde, zuerst die Vögel und die Menschen (V. 805 und 822 f.).7 Behaupten im Überlebenskampf freilich konnten sich nach Lukrez nur jene Tiere, die sich durch Kraft (Löwe), List (Fuchs) oder Schnelligkeit (Hirsch) auszeichneten oder sich „uns Menschen durch ihren Nutzen empf[a]hlen“ (V. 860). Hunde, Lastvieh und Schafe erhalten „Frieden und reichliche Nahrung“ von uns „als Lohn für nützliche Dienste“ (V. 870). Diese durch und durch anthropozentrische Sicht mit der Alternative zwischen darwinistischer Überlebensstärke und dem Herrschaftsmodell Schutz gegen Dienst hat aber auch in die christliche Schöpfungstheologie des Mittelalters Eingang gefunden. Der Schöpfungsbericht der Genesis, der Tiere des Wassers, geflügelte Tiere über der Erde und Tiere der Erde (Gen. 1,20–25) unterscheidet, die Tiere des Feldes und alle Vögel aber aus Erde geformt denkt (Gen. 2,19), die Noah-Erzählung sowie die zahlreich in der Bibel erwähnten Tiere bilden die allgemeine Grundlage für das Verständnis und die Auffassung von Tieren in den Textwelten des Mittelalters.8
Der große Vermittler des antiken Wissens, der gelehrte Hispanoromane Isidor von Sevilla, widmet den Tieren immerhin das gesamte 12. Buch seiner 20 Bücher umfassenden Enzyklopädie „über den Ursprung verschiedener Dinge“ (de origine quarundam rerum).9 Den Menschen handelt der Bischof – mutmaßlich nicht ohne Hintersinn – zusammen mit den Monstern bereits in Buch XI ab. Da für ihn der „Mensch (homo) […] so benannt [ist], weil er aus Erde (humus) gemacht ist,“10 bedarf es weiterer Kriterien zu seiner Definition. Isidor orientiert sich am griechischen Begriff Anthropos, dem er die Vorstellung von der Aufrichtung des Körpers und des Blickes nach oben als Kennzeichen des Menschlichen entlehnt. Der Mensch ist „erhoben über den Boden zur Betrachtung (contemplatio) seines Schöpfers (artifex).“11 So habe es bereits der Dichter Ovid in seinen Metamorphosen beschrieben:
←11 | 12→Während die anderen Tiere die Erde betrachten,
gab er dem Menschen einen hoch erhobenen Kopf und befahl, dass
er den Himmel sehe und aufrecht zu den Sternen den Blick erhebe. (Met. 1,84–86).12
Das Vieh hingegen beuge sich zur Erde (aus der es nach Lukrez und dem biblischem Schöpfungsbericht geformt ist) und es gehorche Sallust zufolge den Bedürfnissen des Leibes, insbesondere denen des Bauches (prona et ventri oboedentia finxit13).
Isidor unterscheidet die Tiere, die ihre Namen nach der jeweiligen Beschaffenheit ihrer Natur von Adam erhalten haben, in sechs Gruppen: Klein- und Großvieh, wilde Tiere, kleine Tiere (Schlangen), Würmer, Vögel und kleine fliegende Tiere (Insekten). Die Einteilungskriterien sind nicht besonders trennscharf, aber immerhin erkennbar ausgerichtet an der Größe der Tiere, ihren Lebensräumen, ihrer Nähe zum Menschen, ihrer Fortbewegungs- oder auch der Fortpflanzungsart sowie an anatomischen, biblischen oder rituellen Vorgaben. Dahinter lässt sich die Dreiteilung in wilde Tiere („bestiae“), Tiere in menschlicher Obhut, sei es zum Verzehr, sei es zum Nutzen, und schließlich in die Fabel-, Symbol- oder Mischtiere erkennen. Zusammengehalten wird das Konzept vor allem durch die etymologische Sichtweise und die Erklärungskraft der Namen. Auf zoologische Genauigkeit kommt es in diesem Kontext nicht an.14
Erst mit der Aristotelesrezeption im 13. Jahrhundert setzte eine wissenschaftlich kohärentere Sichtweise bei der Klassifikation von Tieren ein.15 Insbesondere die Schriften des Kölner Dominikaners Albertus Magnus führten zu einer Neuorientierung in der christlichen Naturdeutung, freilich ohne die Prinzipien und Intentionen theologischer Hermeneutik außer Kraft zu setzen. Diese scientia de animalibus„ist nach seinem [i.e. Alberts] Verständnis die Wissenschaft über den Körper der Tiere oder vielmehr über dessen unterschiedliche Ausprägungen, insofern diese vom seelischen Prinzip hervorgebracht sind.“16
Albertus Magnus zufolge sind Körper und Geist (intelligentia) ursächlich für die Morphologie der Tiere. Darum erscheint es ihm auch gerechtfertigt, ←12 | 13→„in der Tierkunde den Körperbau und die Physiognomie des Menschen als des vollkommensten aller Sinnenwesen zum Ausgangs- und Bezugspunkt für die beschreibende und vergleichende Darstellung der Anatomie der Tiere“17 zu machen. Unter diesen Voraussetzungen leitet eben nicht die abstrakte wissenschaftliche Systematik das Interesse, sondern der konkrete Sinn für eine tiefere Erkenntnis der Natur. Für Albertus Magnus sind Tiere bei aller genauen Beobachtung immer auch Sinnbilder, moralische Vorbilder. Etwas zugespitzt könnte man sagen: Er betrachtet sie generell als „Versuchstiere“ bei einer Erkundung der Natur und der menschlichen Sozialwelt. Indem Tiere aufgrund ihrer differenzierten Sinne zielorientiert ihre Welt erforschen, geben sie dem beobachtenden Menschen tieferen Aufschluss über die Geheimnisse der Schöpfung. Als unerschrockene und nützliche Pioniere fördern und bereichern sie wesentlich das menschlichen Wissen über die Natur.18
II.
Kein mittelalterlicher Hörer würde sich nachhaltig darüber wundern, was ein wilder Löwe etwa im Odenwald, einem „abwechslungsreichen Landschaftsmosaik aus grünen Bergen, blühenden Streuobstwiesen und artenreichen Wäldern“19 (so die Tourismuswerbung) zu suchen hat. Ihm wäre auf der Stelle klar, dass dieses Tier für einen Kampf mit einem Helden bestimmt ist, in dem dieser sich zu beweisen hat. Der Held braucht einen Löwen, um zu zeigen, dass er noch gefährlicher und stärker ist als das wildeste Tier. In dem um 1200 aufgezeichneten mittelhochdeutschen Nibelungenlied wird der Löwe eben nicht als gelbbraune Raubkatze aus den Steppen und Savannen Afrikas und Indiens wahrgenommen, sondern als semantisches Signal: Er markiert in seiner unbezähmbaren Grimmigkeit und in seiner Wildheit den Gegenpol zur zivilisationsstiftenden Überlegenheit seines menschlichen Bezwingers. Auf der – anstelle eines fingierten Krieges – anberaumten Jagd erlegt der Held Sîvrit in ←13 | 14→rascher Folge ein halb ausgewachsenes Wildschwein (halpwuol), eben diesen dort nicht beheimateten ungefüegen lewen, danach einen Wisent und einen Elch, vier starke Auerochsen und einen Wildpferdhengst (schelch). Die übliche Beute mittelalterlicher Jagdgesellschaften, Hirsche und Hindinnen, erlegt er quasi nebenbei, bevor er einen wilden Eber mit seinem Schwert, einer nicht waidgerechten Waffe, niederstreckt.20
Der unbezwingbare Held und Kriegsmann, dem seine Landgesellen für diese Großtat danken, ist eben allen, selbst den stärksten und wildesten Tieren, an Kraft und Schnelligkeit überlegen. Die Jäger äußern freilich auch die Bitte, Sîvrit möge Berg und Tal nicht an einem einzigen Tag von jedwedem Großwild leeren. Solche Mahnungen, sich vor einer allzu übermütigen Haltung gegenüber der Tiernatur zu hüten, erreichen den Helden jedoch nicht. Zu tief ist er selbst von zügelloser Wildheit und animalischer Lust an der eigenen Körperlichkeit affiziert. Den eigenhändig gefangenen Bären lässt Sîvrit mutwillig wieder auf die Jagdgesellschaft los, die Hetzjagd setzt sich mitten im eigenen Lager fort. Auch wenn der Held sich dabei wiederum vor allen anderen Männern auszeichnet, im nibelungischen Odenwald vermischen sich in fataler Weise die Rollen von Jäger und Wild. Die Räume von Natur und Kultur überlagern sich, ihre Regeln werden ununterscheidbar und die Beziehung zum Tier erscheint als Auswuchs hybrider Selbstinszenierung und maßloser Übergriffe des heroischen Individuums.21
Die heroische Semantisierung von Tieren verschafft sich auch im Artus- und Gralroman des hohen Mittelalters Geltung. In der höfischen Epik lässt sich dies besonders gut am Beispiel des Löwen illustrieren. Im Iwein Hartmanns von Aue fungiert der Löwe als Namensgeber des umherirrenden Ritters, dessen Reintegration in die Gesellschaft mit der Befreiung dieses Tieres aus der Umklammerung eines Drachen einsetzt. Wie immer man dieses Bild ←14 | 15→deuten mag, der Löwenritter erfreut sich fortan der treuen Begleitung dieses Tieres und seiner gelegentlichen Unterstützung. Gleichwohl bleibt im Artusroman anders als im Nibelungenlied die Tier-Mensch-Schranke weitgehend geschlossen; der Löwe darf seine Wildheit nur einmal ausagieren, nämlich bei dem ungleichen Kampf des Löwenritters gegen die „zwêne ungefügen man“. In diesem Kampf geht es um die erkennbar falsche Alternative tot oder reich (V. 6616), die dem Löwenritter vom unfreundlichen Burgherren aufgezwungen wird. Gegen die hochgerüsteten Totschläger wehrt sich der Ritter mannhaft, droht aber zu unterliegen. Da befreit sich der Löwe aus dem „gadem“, in den er eingesperrt wurde und zerfleischt einen der beiden Riesen.22
Was höfische Ethik dem Ritter strikt verbietet, Lust am Töten und tierische Wildheit, das wird hier im Sinne von Notwehr und Kampfgenossenschaft gerade noch einmal lizensiert. Es wird kein Zufall sein, dass Wolfram von Eschenbach im XI. Buch seines Parzivalromans in einer Kemenate des Wunderschlosses Schastel marveile den Ritter Gâwân noch einmal der Bedrohung durch solch ungezügelte und monströse Gestalten aussetzt. Der ungehobelte Riese zieht sich zwar angesichts des wehrhaften Ritters zurück und schickt statt seiner einen Löwen von der Größe eines Rosses ins Gefecht. Dieser Kampf endet tödlich für den Monsterlöwen, was gleichbedeutend ist mit dem epischen Aus für wilde Tiere und keulenbewehrte Riesen.23
Im Erzählkosmos der mittelalterlichen Tierdichtungen hingegen verstricken sich die Akteure, insbesondere Fuchs, Wolf und Löwe, in einen unaufhaltsamen Prozess der Zerstörung der sozialen Ordnung.24Die feudalaristokratische Herrschaftswelt erscheint hier reduziert auf den permanenten Kampf um Ansehen und Glücksgüter, der mit allen Mitteln und auf allen Ebenen ausgetragen wird.25 Die gattungsprägende Durchdringung der menschlichen mit der tierischen ‚Natur’ eröffnet Spielräume für Gewalt und Schändungen aller Art. Der Körper des Anderen wird unentwegt zum Objekt der eigenen Selbstbehauptung. Der Fuchs verabreicht dem Löwen am Ende einen Gifttrank, der ←15 | 16→Haupt und Zunge des Herrschers in Einzelteile zerfallen lässt.26 Das Gift freilich, an dem König und Reich nach Ansicht des Epikers zerbrechen und zerfallen, besteht aus Falschheit, Lug, Trug und Untreue der Akteure. Die mittelalterliche Fuchsepik hat die Tierwelt auf der Grundlage der antiken Fabel zunächst als Spiegel defizienter Menschlichkeit etabliert, bis sich im Laufe der weiteren Entwicklung wieder Tendenzen zur Positivierung des animalisch Bösen zeigten.27
III.
Die Gattung der Reiseberichte, so könnte man annehmen, bereichert die naturkundlichen, symbolischen und fiktionalen Konzepte der Tier-Mensch-Beziehung um alltagserprobtes und erfahrungsgesättigtes Wissen. Um diese Annahme zu prüfen, werfen wir zunächst einen Blick in die jüngere Vergangenheit. In den Reiseberichten von überwiegend weiblichen Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts, so die neuere Forschung, zähle die Begegnung mit exotischen Tieren „zu jenem Inventar, aus dem sich die Alterität der fremden Welt bildet.“28 Das Kamel stehe für den Orient, das Känguruh für Australien, der Bär für Nordamerika und Kanada, der Affe für Afrika. Das mag so sein, aber kann man nicht ebenso den Koala für Australien und den Löwen oder die Giraffe für Afrika ins Spiel bringen? Wie steht es um den Panda für China und weite Teile Asiens? Weitere Fragen drängen sich auf! Haben wir eigentlich ein Eurotier? Und wenn ja, ist es der Fuchs oder der Wolf oder doch etwa die genormte Milchkuh?
Wenn wir uns für die Polemik, zu der wir uns haben hinreißen lassen, erst einmal entschuldigen und wieder sachlich werden, klärt sich wohl leicht auf, ←16 | 17→dass solche Zuschreibungen das Ergebnis von publizistisch-merkantilen Moden sind. Sie verdanken sich der Vermischung von Selbst- und Fremdbildern sowie den bewundernden und ablehnenden Haltungen und den ihnen zugrundeliegenden Bildungswegen, Erfahrungen und Urteilen. Die eben zitierte Autorin sieht in den neuzeitlichen Reiseberichten grundsätzlich zwei „Differenzachsen“ walten, nämlich die Pole menschlich-tierisch sowie fremd-vertraut. Überlagert würden diese durch die „dichotomische Geschlechtercodierung“, in der Tiere zumeist weiblich konnotiert sind. Das hat zur Folge, dass sie entweder abgewertet oder zum Zwecke sentimentaler Instrumentalisierung aufgewertet würden.29 Um nun nicht in den Fehler verfallen, den Polarisierungen der Postmoderne die ‚glänzenden Zeiten’ des Mittelalters entgegenzuhalten, in denen Mensch und Tier in Eintracht und Wertschätzung miteinander verbunden gewesen wären, sollen nun einige Zeugnisse aus dem Bereich der spätmittelalterlichen Reiseliteratur im Hinblick auf die Tier-Mensch-Beziehungen untersucht werden.
Zweifellos tragen Erzählungen einer Begegnung mit exotischen Tieren, aber auch die Kenntnis über Fabel- und Mischwesen wesentlich dazu bei, das Prestige des Reisenden und – sofern die Erwartungen des Publikums befriedigt werden – auch die Glaubwürdigkeit des Erzählers zu stärken. Spätestens seit den Abenteuern eines Herzogs Ernst verlangen die Daheimgebliebenen nach der Preisgabe solchen Wissens. Der Anblick von Zeugnissen und Belegexemplaren jener „Wunder der Welt“, von denen berichtet wird, erhöht die Gewähr. Gerne käme man auch in den Besitz solcher Kuriositäten, die der Abenteurer allerdings nur höchst ungern und in sehr beschränktem Maße anderen überlässt. Diese neue Form der Exklusivität bleibt nur gewahrt, wenn andere, selbst ranghöhere, an dieser Aura allenfalls vermittelt partizipieren können.
In diesem Sinne behauptet etwa der um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandene Niederrheinische Orientbericht eines anonymen Verfassers, dass es „in deme lande over mer“ viel schönere und größere Tiere gebe als hierzulande.30 Seinem Bericht über Land und Leute im Orient fügte er einen Katalog derjenigen Tiere bei, die in Aussehen, Namen und Eigenschaften diese beiden Kriterien erfüllen und für hinreichend Exotik sorgen können. Neben dem Löwen, dem zahmen Leoparden als Wächter und Begleiter des Herrschers, dem ←17 | 18→Einhorn, von dessen wunderlichem Aussehen er nur gehört haben will, dem vielfarbigen und duftenden Panther, der scharfgehörnten Antilope fehlt auch der Salamander und der Onager (Wildesel) aus der einheimischen Tradition nicht. Nicht alle Interpretationen aus der christlichen Naturdeutung finden sich hier wieder, vielmehr kommt es zu einer bunten Mischung aus Beobachtung und Spekulation. Tierkataloge dieser Art, wie man sie ebenfalls bei Bernhard Breydenbach findet, signalisieren „Fremdheit“ und Expertise mit mehr oder minder positiven Vorzeichen. Sie bilden ein Vorwissen ab, erfüllen Erwartungen und lassen sich unabhängig von tatsächlichen Begegnungen und Erfahrungen reproduzieren, wie etwa der viel gelesene Reisebericht des Schreibtischmenschen Johan von Mandeville zeigt.31
Im Zentrum meiner Beobachtungen steht der ausführliche Reisebericht des rheinischen Adeligen Arnold von Harff.32 Er unternahm zwischen 1496 und 1498 eine Fahrt (pilgrimmacie) zu den drei großen Pilgerzielen der Christenheit, was nach den Maßstäben seiner Zeit eine ‚Weltreise’ war. Sein Bericht, den er nach der Heimkehr anfertigte, kursierte in wenigen reich bebilderten Ausgaben in den höheren gesellschaftlichen Kreisen seiner Zeit. Er enthält sowohl authentische wie fiktive Partien und bietet damit reiches und differenziertes Anschauungsmaterial über exotische und einheimische Tiere. Wie für Montaigne sind für den rheinischen Junker erdichtete oder vom Hörensagen geläufige Informationen ebenso mitteilenswert und nützlich wie die auf Augenschein beruhenden.
Von den Verhältnissen hier in Bologna war unser Reisender übrigens sehr beeindruckt. Er kannte den Palast des Giovanni Bentivoglio (1443–1508), dessen Wehrhaftigkeit und wohnliche Pracht er bewunderte. Die Hofhaltung und ←18 | 19→der Marstall mit den edlen spanischen Pferden hatten es ihm ganz besonders angetan. Doch auch die „angesehene Hochschule“, „wo man viele Deutsche aus unseren Ländern findet“ (S. 43), wird ausdrücklich gelobt.
So unverzichtbar Tiere für die Mobilität im vorindustriellen Zeitalter waren, so wenig herausgehoben ist ihre Rolle in den Reiseberichten des Mittelalters. Von übergeordneter Bedeutung waren andere Dinge. Für Arnold von Harff etwa stand die Länderkunde an vorderster Stelle. Detailreiches Wissen über Wegstrecken und Brücken, Städte und Kirchen, Reliquien und Heiltümer, Heilige und heilige Stätten, Sitten und Gebräuche, Sprachen und Ablässe zu sammeln, darin sah er seinen Auftrag und seine Berufung. Diesem Projekt widmete er seine ungeteilte Aufmerksamkeit, ohne dabei die Misshelligkeiten, Probleme und Widrigkeiten, den Alltag des Reisens zu Wasser und zu Lande, gänzlich auszublenden. Darin ähnelt sein Reisebericht übrigens auch den Aufzeichnungen, die Michel de Montaigne ein Menschenalter später über seine Reisen durch Deutschland, die Schweiz und Italien hinterlassen hat.33
Der Alltag des Reisens bringt es mit sich, dass Tiere auf Reisen zwar ständige Begleiter waren, aber entweder gar keine Erwähnung fanden oder nur bei besonderen Anlässen, etwa wenn es Probleme gab bei der Herberge und dem Futter für die Reittiere (S. 233, 277), wenn Pferde unterwegs gekauft werden mussten (S. 250), wenn die Ausfuhr guter Pferde entweder verboten war oder mit hohen Zöllen belegt wurde (S. 233, 239, 241f.). Erwähnenswert ist etwa, dass Beschreibungen von Pferden, die man nach Spanien eingeführt hat, angefertigt und mitgeführt werden mussten. Das Verhältnis zu Reittieren war für den Reisenden nüchtern, den Pferdepass fand er eher irritierend, und es gibt keine Spur einer besonderen Beziehung von Pferd und Mensch wie bei Winnetou und Iltschi. In Burgos (Spanien) musste Arnold seine Pferde zurücklassen und wegen des dort herrschenden Futtermangels auf Maulesel umsteigen (S. 249), in Konstantinopel erwarb er ein „türkisches Pferdchen“ (S. 224). Und ihm fiel auf, dass dort in den Befestigungsgräben „Wildbret“ gehalten wird (S. 219), was ja die aufregende Mühe des Jagens erspart.
Gerade an der Tierhaltung lassen sich zivilisatorische Standards in heimischen und fernen Regionen vergleichen und beurteilen. Mag ihm die Haltung von Wildtieren denkwürdig erschienen sein, so notierte Arnold von Harff einigermaßen erstaunt, dass es „auch ganz unzählig viele zerstörte christliche Kirchen in dieser Stadt“ Konstantinopel (S. 223) gibt, die entweder zu Moscheen oder zu Unterkünften umgewandelt wurden, „in denen wilde Tiere und Vögel eingesperrt“ (S. 223) sind. Bei seinem Rundgang durch die Straßen der Stadt entdeckte er in diesen aufgelassenen Kirchen
←19 | 20→zehn Löwen an Ketten […], drei Elefanten, zwei Gazellen, das sind Tiere, die den Bisam machen. Ich sah auch Wildkatzen, Ratten, Mäuse, Igel und andere fremdartige Tiere, alle an Ketten gebunden. So hat jedes Tier seinen Pfleger, wofür er und das Tier täglich ihren eigenen Sold vom türkischen Kaiser erhalten. (S. 221).
Dass „Wildkatzen, Ratten, Mäuse (und) Igel“ sich in Ruinen herumtreiben erscheint nicht unwahrscheinlich, wohl aber, dass sie Pflege und Sold erhalten, wie der Betrachter meinte. Wir verstehen diese Aufzählung denn auch als dezenten Hinweis des Reisenden auf die Verwahrlosung und Entweihung christlicher Gotteshäuser im Herrschaftsbereich des türkischen Kaisers. Ohne ein direktes Wort der Kritik oder der Empörung zu äußern, wie man es von anderen Reisenden durchaus vernimmt, nahm Arnold gleichwohl die Entwertung und Verachtung der christlichen (und der jüdischen) Religion durch die Muslime zu Protokoll. Denn es macht durchaus einen Unterschied, ob es sich um einen „sehr schönen großen, lieblichen Baumgarten, in dem sehr viele fremdartige Bäume mit Früchten wuchsen, unter denen viele fremdartige wilde Tiere liefen“ (S. 221) handelt oder um ehemals christliche Kirchen. Der Reisende empfing also sehr unterschiedliche Signale, deren Botschaften er durchaus verstand und ohne religiösen Eifer wiedergab.
In Mailand sah unser Reisender im Castello Sforzesco einen „sehr schöne[n] liebliche[n] Baumgarten […], in dem alle Tiere und Vögel aus Sträuchern und Blumen gewachsen nachgebildet waren.“ (S. 231). Sein Sinn für die kunstvolle Nachbildung und für den Repräsentationswert von Tieren sowie den Nutzen von Tieranlagen war also in jeder Hinsicht ausgeprägt: Vor dem Palast des Großmeisters des Johanniterordens auf Rhodos bewunderte er
einen sehr schön ummauerten Baumgarten […], in dem wir sehr fremdartige Tiere sahen wie einen alten Strauß mit zwei Jungen. Dies sind sehr wunderliche Vögel. Sie sind wohl so groß wie Esel und besitzen wunderliche Federn. Auch haben sie zwei große Flügel, die sie aber nicht schwingen können, um zu fliegen. Auch haben sie lange Beine mit einem gespaltenen Huf wie ein Hirsch. Sie legen auch sehr große Eier, die so dick wie Kinderköpfe sind. Wenn dieser Vogel die Eier in den heißen Sand gelegt hat, brütet er die Jungen allein mit seinem scharfen Blick aus. Auch wurde mir gesagt, sie verdauten Stahl und Eisen, was ich aber nicht gesehen habe, und sie sind in dieser Weise gestaltet. (S. 99 f.)
In Alexandria hatte er nochmals Gelegenheit, Strauße feilgehalten zu sehen (S. 108). Mittelalterliche Traditionen des Westens34 mischen sich mit erfahrungsbasierter Anschauung des Reisenden und vielleicht auch mit östlichem Erzählgut, doch die Skepsis überwiegt. Über das Aussehen des Leoparden zeigte sich der Reisende gut unterrichtet. Die kurrenten Legenden über das ←20 | 21→Krokodil übernimmt er einerseits (so etwa, dass das Tier den Fraß über das Maul ausscheide), andererseits räumt er mit überkommenen Vorstellungen und verkaufsfördernden Lügen auf, denen zufolge das Leder der Krokodile die Haut von Lindwürmern sei. (S. 110).
In Kairo berichtet er über die Brutöfen für Hühnereier, die es auch in Europa vielfach gegeben haben soll und über die Gewölbehaltung für Hühner, die für den Verkauf rücksichtslos mit dem Kornmaß aus den Verliesen geschöpft werden (S. 118 f.). Kamelfleisch aus den Straßenküchen befand er für sehr schmackhaft, am sogenannten Fettschwanzschaf interessierte ihn offenbar eher die Gestalt („breite Schwänze und sehr lange Ohren“) als der Geschmack. Für die Versorgung mit Trinkwasser, so wurde ihm berichtet, gäbe es in Kairo „tatsächlich mehr als 20.000 Kamele, die täglich nichts anderes tun, als auf beiden Seiten in Ziegenhäuten Wasser aus dem Nil in die Stadt zu tragen.“ (S. 119). Auch für den öffentlichen Nahverkehr (nicht nur) in Kairo waren Tiere unentbehrlich. Aber nicht jedem war die Nutzung erlaubt:
Die öffentlichen Plätze an den Gassen stehen voll mit Eseln, Pferden, Kamelen und Maultieren, die zu mieten sind, um Männer und Frauen wegen der großen Hitze von einem Haus und von einer Straße zur anderen zu befördern. Aber Christen und Juden dürfen in dieser Stadt nicht reiten, obwohl ich oft mit diesen zwei deutschen Mamluken durch die Stadt geritten bin. Das ging aus dem Grund, weil ich beim Reiten genauso gekleidet war wie sie. (S. 119).
Anpassung an die fremdkulturellen Gegebenheiten und teilnehmende Beobachtung erlaubten dem Reisenden mehr als einen flüchtigen Blick hinter die Kulissen der islamischen Welt. Im Verhältnis zu Tieren hatte er gehört, „dass diese Mohammedaner ihrem Propheten Mohammed zu Ehren einer Katze nicht gern Böses zufügen oder zufügen lassen“ (S. 126), weil dieser sich einmal lieber seinen Rock abgetrennt habe als eine darauf schlafende Katze aufzuwecken. Als Arnold dann die Gelegenheit hatte, das empirisch zu überprüfen, fand er diese Behutsamkeit Katzen gegenüber vollauf bestätigt. Exotische Tiere hingegen lernte er in Parks der Mächtigen, als Bewohner ehemaliger Kirchen und vor allem als Handelsware kennen, die besonders von Kairo aus umgeschlagen wurde:
Ich sah in dieser Stadt viele Elefanten und junge Löwen zum Verkauf feilgehalten, Meerkatzen und Seekatzen für wenig Geld. Auch sah ich dort zwei äußerst fremdartige Tiere, Giraffen genannt, bei denen die Vorderläufe mit den Knien wohl zehn und die Hinterläufe nicht mehr als fünf Fuß hoch sind; das Tier hat einen sehr langen, schmalen, zehn Fuß messenden Hals mit einem sehr kleinen Kopf mit zwei Hörnern, einen gespaltenen Fuß und einen kurzen Schwanz wie ein Kamel und ist nach dieser Figur gestaltet. (S. 126 f.)
Gehen wir noch kurz auf giftige und auf lästige Tiere sowie auf die Fabeltiere ein, die in unserem Reisebericht von Bedeutung sind. Aby Warburg bezeichnete die Schlange zutreffend als „ein internationales Antwortsymbol auf die Frage: Woher kommt elementare Zerstörung, Tod und Leid in der Welt?“35 In ihrer höchst ambivalenten Symbolik entzieht sich die Schlange auch im Spätmittelalter nüchterner zoologischer Betrachtung. Die Sandviper wird von Arnold von Harff aus sicherer Entfernung gar als eine Art Geschoss wahrgenommen:
Um dieses Tote Meer herum findet man giftige Schlangen namens Tyrus, aus denen der Theriak gemacht wird,36 und von denen ich viele gesehen habe. Sie sind von rötlich-weißer Farbe, eine halbe Elle lang, einen Finger dick und die Haut ist hörnern mit ausgestellten stechenden Borsten wie eines Rochen Schwanz und sie sind starblind, wie ich gesehen habe. Als ein Heide nach einer schlug, wurde sie darüber sehr zornig und streckte ihre gespaltene Zunge wie einen Pfeil weit aus dem Maul, und diese schien wie aus Feuer zu sein, wobei ihr Haupt sehr stark anschwoll und sie schnell wie ein Pfeil aus einer Armbrust auf den Heiden auf den Felsen zuschoss, so dass wir Steinsplitter davonspringen sahen. Wir waren auf einen anderen hohen Felsen gestiegen, und wie uns dort von den Heiden gesagt wurde, könne sich der Tyrus durch eine dreifingerdicke Planke schießen, wenn er zornig sei. (S. 208 f.)
Weniger dämonisch konnotierte der Reisende Ungeziefer und vor allem die Läuse, die ihm beim Durchqueren der Sinai-Halbinsel zu schaffen machten. Sie waren ihm auch keiner bildlichen Aufzeichnung wert.
Details
- Seiten
- 410
- Erscheinungsjahr
- 2020
- ISBN (PDF)
- 9783034333597
- ISBN (ePUB)
- 9783034333603
- ISBN (MOBI)
- 9783034333610
- ISBN (Paperback)
- 9783034333627
- DOI
- 10.3726/b16550
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2020 (September)
- Schlagworte
- Human-Animal-Studies Mensch-Tier-Beziehungen Topos Tier Anthropomorphismus Literatur Tiersymbolik Zeitgenössische Musik
- Erschienen
- Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 410 S., 7 s/w Abb., 1 Tab.
- Produktsicherheit
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