Studien zum Wortschatz des Konfliktes im Althochdeutschen und Altsächsischen
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungen
- Quellen
- Wörterbücher
- Zeitschriften
- Vorwort
- 0. Einleitung
- 1. Wahl des Wortfeldes
- 2. Entwicklungen in der Wortfeldforschung
- 2.1. Ganzheitsgedanke bei Jost Trier
- 2.1.1. Saussures Strukturalismus und Ipsens Bedeutungsfeld
- 2.1.2. Triers lückenloses Beziehungsgeflecht
- 2.1.3. Porzigs wesenhafte Bedeutungsbeziehungen
- 2.1.4. Jolles’ Kritik am Bild des Mosaiks
- 2.2. Weisgerbers Worten der Welt
- 2.3. Coserius inhaltsbezogener Strukturalismus
- 2.4. Wortfeldforschung nach Coseriu
- 2.5. Kritische Ansätze in der kognitiven Linguistik
- 2.5.1. Kommunikationsorientierte Historische Lexikologie
- 2.5.2. Prototypensemantik
- 3. Grundsätzliches zum Strukturgedanken
- 3.1. Aufschlusswert und Stellenwert im Feld
- 3.2. Verbindlichkeit von Sprachstrukturen
- 3.3. Strukturgedanken in der Geisteswissenschaft
- 3.4. „Schlechtbestimmtheit“ als Grundlage der Wortwahl
- 3.5. Semantische Variabilität als Grundlage der Wortverwendung
- 4. Konsequenzen des Strukturgedankens für das Wortfeld
- 4.1. Inhaltsstrukturierung
- 4.1.1. Gemeinsames, Archieinheit, Merkmalskern
- 4.1.2. Trennendes, Oppositionen
- 4.1.3. Hierarchien von Lexemen/Merkmalen
- 4.1.4. Grenzen von Lexemen und Wortfeldern
- 4.2. Wortartenübergreifendes Feld
- 4.2.1. Wortfeld und Wortfamilie
- 4.2.2. Phraseologismen, Redewendungen, Mehrwortlexeme
- 4.3. Metapher
- 4.4. Polysemie, Synonymie
- 5. Methodik
- 5.1. Untersuchungsmethode
- 5.2. Untersuchungsansatz
- 5.3. Eingrenzung des Feldes – Versuch einer Definition
- 6. Quellen
- 6.1. Quellenkorpus
- 6.2. Probleme der Überlieferungssituation
- 6.2.1. Zeitliche Dimension des Belegmaterials
- 6.2.2. Räumliche Dimension des Belegmaterials
- 6.2.3. Sprachinhaltliche Relevanz literarischer Gattungen
- 6.3. Zusammenfassende Darstellung des methodischen Vorgehens
- 6.4. Versuch einer Abgrenzung des Konflikt-Feldes
- 6.4.1. Konfliktwortschatz und Feindseligkeitsbezeichnungen
- 6.4.2. Grenzbezirke zwischen Konfliktwortschatz und Rechtsbereich
- 6.4.3. Gleichstellungen mit strît
- 6.4.4. Zusammensetzungen mit missi-, widar-, un-
- 7. Einzellexemuntersuchung
- 7.1. Verbales Handeln
- 7.1.1. Wortstreit
- 7.1.1.1. strît/strîtan
- 7.1.1.2. urheiz
- 7.1.2. Rechtsstreit
- 7.1.2.1. bâga
- 7.1.2.2. wrôht
- 7.1.2.3. secha, secchia [sahha]
- 7.2. Handgreiflichkeit
- 7.2.1. Handgreiflichkeit als Rechtsakt
- 7.2.1.1. chamf
- 7.2.1.2. faida/gifehida
- 7.2.2. Aktive kriegerische Handgreiflichkeit
- 7.2.2.1. fehtan
- 7.2.2.2. ringan
- 7.2.2.3. winnan
- 7.2.2.4. wîg
- 7.2.2.5. gudea
- 7.2.2.6. hiltia
- 7.2.2.7. hadu- [hader]
- 7.2.3. Situative kriegerische Handgreiflichkeiten
- 7.2.3.1. sturm
- 7.2.3.2. carmulum/carmula
- 7.2.3.3. werra
- 7.2.3.4. urliuge
- 7.2.3.5. krieg/krêc – ein Ausblick
- 8. Zusammenfassung und Ausblick
- 8.1. Strukturen des Wortschatzbereichs Konflikt im Ad.
- 8.2. Regionale Besonderheiten des Konfliktwortschatzes im Ad.
- 8.3. Sprachgeschichtliche Betrachtungen
- 8.4. Auffällige Wortbildungstendenzen innerhalb des Feldes
- 8.4.1. Kollektivbildungen
- 8.4.2. Formelhafte Wendungen
- 8.4.3. Kompositionen
- 8.5. Akkommodation bei Otfrid und Notker
- 8.6. Konfliktlexeme bei Otfrid und Notker
- 8.7. Grafische Modelle des Feldes
- 8.7.1. Baumstruktur525
- 8.7.2. Merkmalmatrix
- 8.7.3. Feldstruktur
- 9. Anhang
- 9.1. Die Belegstellen in den literarischen Quellen
- 9.1.1. strît
- 9.1.2. urheiz
- 9.1.3. bâga
- 9.1.4. wrôht
- 9.1.5. faida/gifehida
- 9.1.6. fehtan
- 9.1.7. ringan
- 9.1.8. winnan
- 9.1.9. wîg
- 9.1.10. gudea
- 9.1.11. hiltia
- 9.1.12. sturm
- 9.1.13. werra
- 9.1.14. urliuge
- 9.2. Derivate/Kompositionen/Wortfamilien
- 9.2.1. strît
- 9.2.2. urheiz
- 9.2.3. bâga
- 9.2.4. wrôht
- 9.2.5. chamf
- 9.2.6. fehtan
- 9.2.7. ringan
- 9.2.8. winnan
- 9.2.9. wîg
- 9.2.10. gudea
- 9.2.11. hiltia
- 9.2.12. sturm
- 9.2.13. werra
- 9.2.14. urliuge
- 9.3. Glossenbelege
- 9.3.1. strît
- 9.3.2. bâga
- 9.3.3. chamf
- 9.3.4. fehtan fehta/feht/gifeht
- 9.3.5. ringan
- 9.3.6. winnan
- 9.3.7. wîg
- 9.3.8. sturm
- 9.3.9. urliuge
- Literatur
- Quellen:
- Wörterbücher:
- Sekundärliteratur:
Vorwort
Mein herzlicher Dank gilt an erster Stelle Frau Prof. Karin Donhauser, die die Arbeit betreut hat und mir als Externem geholfen hat, sie an der Humboldt Universität zu Berlin zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Ebenso herzlich danke ich Frau Prof. Rosemarie Lühr, die ohne Zögern das Koreferat übernommen hat. Beiden danke ich darüber hinaus ganz herzlich für zahlreiche Anregungen. Ebenso bedanke ich mich bei Prof. Klaus-Dieter Ludwig (Berlin) und Prof. Manfred Kaempfert (Bonn) für hilfreiche Hinweise. Prof. Kaempfert gab mir in Bonn die Möglichkeit, an seinen Doktorandenseminaren teilzunehmen. Meinem Kollegen Sascha Meyer danke ich für Korrekturlesen. Der Konrad-Adenauer-Stiftung danke ich für die zweitweise Förderung der Arbeit durch ein Stipendium. Herrn Michael Rücker vom Peter Lang Verlag gilt mein Dank für die freundliche und geduldige Betreuung bei der Veröffentlichung. Die Arbeit ist eine in einigen Teilen überarbeitete Fassung der 2015 von der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommenen Dissertation. Die Verteidigung war am 22. Oktober 2015.
Die Arbeit widme ich meinen Kindern Gesa, Helen-Sophie und Paul-Vincent sowie meiner Frau Martina und meinen Schwestern Rita und Maria.
Ruppert Mayr
Rheinsberg, im April 2019
0. Einleitung
Lange Zeit schien die Wortfeldforschung aus dem wissenschaftlichen Betrieb regelrecht verbannt zu sein. Einer ihrer letzten großen Vertreter, der Coseriu-Schüler Horst Geckeler, ließ bei einer Tagung Mitte der 1990er Jahre seiner Enttäuschung freien Lauf: „In dem über 900 Seiten starken Band ‚Semantik‘, mit dem anspruchsvollen Untertitel ‚Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung‘ “, suche man den von Coseriu und seinen Schülern vertretenen „Typ von struktureller Semantik vergeblich … – der Terminus ‚Wortfeld‘ erscheint zweimal im Index, der Name Coseriu sogar dreimal, Semantiker wie Pottier und Greimas überhaupt nicht. Man muß sich fragen: Machen wir denn eine Semantik von einem anderen Stern?“
Nur vereinzelt gab es in den 2000er Jahren noch Arbeiten, die diese Methodik anwandten. Leider befassten sich auch diese mit Feldern, die schon zuvor von anderen – auch in anderen Sprachen – hinlänglich untersucht worden waren. Grundsätzlich muss sich die Wortfeldforschung daher den Vorwurf gefallen lassen, sich bisher zu sehr auf einige wenige Wortschatzbereiche konzentriert zu haben, die vornehmlich dazu angetan waren, die Theorie zu untermauern. Vom Anspruch Geckelers, mit dieser Methode den gesamten Wortschatz zu strukturieren, war und ist man also weit entfernt.
Eine für viele unverhoffte neuerliche Aufmerksamkeit bekam die Wortfeldforschung durch das Projekt „Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext (DWEE)“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig unter Leitung der Indogermanistin Rosemarie Lühr. Die Untersuchungen des ‚Menschen und seines Körpers‘ (2012) oder der „Mensch im Alltag“ (2013) gehen in Umfang und diachroner Tiefe weit über die bisherigen wortfeldbezogenen Ansätze hinaus. Ungeachtet der Kritik der vergangenen 30 Jahre etwa aus der Ecke der kommunikationsorientierten Semantik oder der Prototypensemantik gehen die Arbeiten wie selbstverständlich von der Wortfeldtheorie als methodischer Grundlage ihrer Untersuchungen aus. Zudem wagt sich das Projekt weit über die eng begrenzten Bereiche bisheriger Wortfelduntersuchungen hinaus. Man darf durchaus von einem ersten ernsthaften Schritt zu einer wortfeldbezogenen Strukturierung des Wortschatzes sprechen.
Sicherlich war Geckelers Anspruch, mit der Wortfeldmethode den gesamten Wortschatz strukturieren zu können, zu ambitioniert. Doch es ist ein berechtigter Untersuchungsansatz, der in Kombination mit anderen ←17 | 18→Strukturierungsmöglichkeiten wie der von Jochen Splett favorisierten Wortfamilienstruktur erheblichen semantischen Erkenntnisgewinn bringen kann.
Ähnlich wie der „Mensch und sein Körper“ oder der „Mensch im Alltag“ sind Konflikte ein zu allen Zeiten gegenwärtiger und daher wichtiger Teil sozialer Beziehungen innerhalb einer Gesellschaft oder zwischen Gesellschaftsgruppen. Soziologisch und historisch ist der Bereich immer wieder aufgearbeitet worden, vor allem als politisch-militärischer Konflikt. Doch bisher ist noch niemand der Frage nachgegangen, wie deutschsprachige Gesellschaften über die Jahrhunderte diesen Wortschatzbereich jeweils strukturiert haben und wie über diese Struktur Rückschlüsse auf veränderte Bedingungen in diesem sozialen Bereich nachvollziehbar sind.
Die vorliegende Arbeit untersucht den Wortschatzbereich Konflikt im Althochdeutschen und Altsächsischen auf der Basis der Wortfeldtheorie. Sie prüft dabei auch, in wie weit neuere Strukturierungsansätze wie die kommunikationsorientierte Semantik oder die Prototypensemantik für diese diachrone Untersuchung nutzbar gemacht werden können. Und sie schließt die Wortbildungspotenz, also die Wortfamilienstruktur der einzelnen Feldglieder, als Hinweise auf mögliche Tendenzen der sprachinhaltlichen Entwicklungen der einzelnen Lexeme mit ein.
Für einzelne Begriffe gibt es im Ad., wie in der Forschung immer wieder angesprochen, sehr wenige Belege, manchmal nur einen. Versucht man diese Belege trotzdem zu interpretieren, geht man natürlich ein Risiko ein. Sollte dies aber zu einer Debatte anregen und zur weiteren Klärung der Wortinhalte beitragen, wäre ein Ziel der Arbeit schon erreicht.
Ein nicht minder großes Risiko geht man mit dem Versuch ein, die Inhalte der Wörter selbst exakt einzugrenzen und ebenso das Feld als solches. Auch diese Schwierigkeiten sind in der Forschung immer wieder dargestellt worden. Spätestens seit den Untersuchungen im Rahmen des DWEE müsste es Allgemeingut sein, dass es Überschneidungen bei der Einteilung in Wortfelder gibt. Der eine wird ein bestimmtes Wort noch zum untersuchten Feld zählen, der andere eher nicht. Was die Arbeit aber für sich in Anspruch nimmt, ist, den Kernbereich des Feldes und seine Inhalte herausgearbeitet zu haben.
1. Wahl des Wortfeldes
„Ich bitte um die Erlaubnis, einige Betrachtungen über die deutschen Wörter, welche den Begriff von bellum enthalten, vorzutragen. Sie sind vor allem geschickt, ein Beispiel von der Entwicklung der Sprache in dem Lauf der Jahrhunderte zu geben, denn sie konnten zu keiner Zeit entbehrt werden.“ So begründete Wilhelm Grimm im Jahr 1846 einen Vorlesungszyklus (W. Grimm 1883/1992, III, 516–567) über einen Wortschatzbereich, der wegen seiner fortwährenden Aktualität eine Untersuchung in diachroner Sicht sehr lohnt.1
Wilhelm Grimm bespricht in seiner Vorlesung eine Reihe von Lexemen – wîg, werra, kampf, sturm, urliuge, krieg (erst vom 13. Jh. an) – die alle eines gemeinsam haben: Sie fassen verschiedene Dimensionen (zwischen-)menschlicher Konflikte, hier vom ‚Zweikampf‘ bis zur ‚kriegerischen Auseinandersetzung‘. Sie bezeichnen soziale Beziehungen; sie beleuchten einen wesentlichen Ausschnitt sozialen Verhaltens.
Das Interesse der vorliegenden lexikologischen Arbeit gilt nicht nur dem Wortschatzbereich, der Semantik als sprachwissenschaftlichem Selbstzweck, sondern auch der Absicht einer Sprachgemeinschaft, ein für sie wichtiges Erkenntnisfeld zu strukturieren: Wie nimmt sie diesen Bereich wahr? Wie gestaltet sie den Erkenntnisraum? Wie differenziert sie zwischen den einzelnen Phänomenen des Erkenntnisbereichs? Sie gibt also auch einen Blick frei auf ein soziales Phänomen deutschsprachiger Gesellschaften im frühen Ma. Aus diesen Fragestellungen ergeben sich schließlich auch Einblicke in die Motivation zum Bedeutungswandel.
Die Arbeit hat somit fünf zentrale Ziele:
a) Sie will in erster Linie die inhaltlichen Strukturen des benannten Wortschatzbereiches der deutschen Sprache im Frühma. herausarbeiten und zugleich einen Ausblick auf weitere Entwicklungen in dem Feld geben.
b) Sie will dabei zeigen, dass die Lexik dieses Bereiches bis auf wenige Ausnahmen stammesübergreifend Gemeingut der germanischen Dialekte war, und somit einen weiteren Nachweis liefern, dass die gängige regionale ←19 | 20→Unterscheidung zwischen Ahd. und As. zumindest für den Wortschatz so nicht zu halten ist.
c) Sie will zudem darlegen, dass ein Wortfeld insbesondere im Abstraktbereich nicht zwingend nur auf einer Wortartebene funktioniert, sondern auch wortartenübergreifend, je nachdem, ob Lexeme in dem Feld etwa einen Zustand oder auch eine Handlung bezeichnen.
d) Um Inhalte aus dem Wortbildungspotenzial der Feldmitglieder zu erschließen, soll – quasi als notwendige, aber nebengeordnete Methodik – die Wortfamilientheorie Jochen Spletts in die Untersuchung eingebunden werden.
e) Und die Arbeit will ausloten, wieweit kommunikativ-kognitive linguistische Ansätzen seit den 1990er Jahren für eine historische Wortfeldanalyse nutzbar gemacht werden können. Der Feldgedanke ist dabei weiterhin die methodische Basis, wie dies derzeit eine Forschergruppe um die Indogermanistin Rosemarie Lühr umfänglich unter Beweis stellt.2
Die vorliegende Arbeit untersucht in Erweiterung der Grimmschen Vorlage denjenigen Wortschatzbereich des Altdeutschen – des Althochdeutschen wie des Altsächsischen –, dessen Lexeme einen öffentlichen/offenen oder auch einen persönlichen/inneren Konflikt bezeichnen. Sie konzentriert sich auf die Sprachepoche von etwa dem 7. bis zum 11. Jh., schließt aber die Glossen der weiter zurückreichenden sogenannten Volksrechte, der Leges barbarorum, mit ein. Insofern kann die Arbeit über den Konfliktwortschatz in den frühesten schriftlichen Nachweisen deutscher Sprache im Sinne Wilhelm Grimms eine Grundlage schaffen für weitere Untersuchungen dieser Art in späteren Sprachepochen. Es bleibt zu hoffen, auf diesem Wege auch einen kleinen Beitrag leisten zu können zu dem umfassenden Vorhaben „Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext (DWEE)“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, zumal das Projekt eben auch so angelegt ist, dass es „den Wortschatz des Deutschen wortfeldbezogen, in diachroner Schichtung vom Althochdeutschen bis zur Gegenwartssprache“ untersucht (Bock/Zeilfelder/Ziegler 2012, 2).
Die Arbeit steht in der Tradition der Wortfeldtheorie von Trier, Weisgerber/Gipper und schließlich Coseriu/Geckeler. Sie zeichnet zunächst deren Entwicklung nach. Sie prüft dann, inwieweit neuere Ansätze wie die der kognitiven Linguistik oder der kommunikationsorientierten Historischen Semantik als methodische Erweiterung einer sprachhistorischen Untersuchung genutzt ←20 | 21→werden können. Daraus ergibt sich dann der methodische Ansatz. Über eine Archieinheit wird ein – wortartenübergreifendes – Feld aus dem Gesamtwortschatz definiert und – im Hauptteil der Untersuchung – die Inhaltsmerkmale der Einzelglieder herausgearbeitet. Die Einzelglieder werden dann in ihrer Distinktion wieder in einen hierarchischen Feldzusammenhang gestellt, der aufzeigt, welchen Wortschatz deutschsprachige Gesellschaften im frühen Ma. in welcher Weise genutzt haben, um diesen gesellschaftlichen Bereich zu „worten“.
Die Arbeit versucht, das gesamte Belegmaterial des Feldes in der ad. Literatur, in den Glossen sowie in den Volksrechten zu erfassen. Da untersuchter Sprach- und Zeitraum sehr weitläufig sind, werden inhaltliche Entwicklungen in dem Zeitraum und gegebenenfalls regionale Unterschiede herausgearbeitet. Der untersuchte Zeitraum fällt zu einem Großteil mit der Christianisierung der Volksstämme auf dem europäischen Festland zusammen. Von daher bietet es sich an, in einem gesonderten Kapitel darzulegen, wie die beiden christlichen Autoren Otfrid und Notker den Konfliktwortschatz nutzen, um die inneren Auseinandersetzungen im Dienste Christi darzustellen. Denn zumindest Notker steht praktisch an der Schwelle zu einem Zeitalter, das nach den „Erschütterungen des Investiturstreites und der großen Kirchenreform … von der zweiten Hälfte des 11. Jhs. an in der westlichen Christenheit zu einem allgemeinen Verlangen nach Verinnerlichung des Glaubens“ führte (Melville 2017, 23).
Zunächst sei aber ein knapper Überblick über die Entwicklungen in der Wortfeldforschung erlaubt, zumal der letzte schon etliche Jahre, um nicht zu sagen ein gutes Jahrzehnt, zurückliegt.
←21 | 22→1 Vgl. Stroh (1974a, 36): Stroh zählt diesen „Sinnbezirk“ zu den „wesentlichsten und bezeichnendsten“ Wortschatzbereichen, „in denen sich germanische Art und Gesittung und geschichtliches Leben am stärksten entfalten“.
2 S. dazu das von Lühr geleitete Projekt „Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext (DWEE)“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (u.a. Lühr 2008)
2. Entwicklungen in der Wortfeldforschung
Das theoretische Gebäude der Wortfeldforschung steht heute, das kann sicherlich gesagt werden, auf festen Füßen, bedarf aber auch der Fortentwicklung.3 Allerdings hat sich die Umsetzung in der Empirie bisher auf wenige Wortschatzbereiche konzentriert, die vor allem zur Unterfütterung der Theorie tauglich waren.4 Arbeiten, bei denen die Erforschung eines ganz bestimmten Wortschatzbereiches – etwa aus soziologischen Erwägungen – im Zentrum des Interesses stand und die Wortfeldtheorie als adäquates Untersuchungsinstrumentarium genutzt wurde, bei denen der praktische lexikologische Ertrag zur Strukturierung des gesamten Wortschatzes treibende Motivation der Untersuchung war, sind relativ rar gesät. Mit dem Jenaer DWEE-Projekt wird dieses Modell nun endlich umfassend in die lexikologische Empirie einbezogen.
Die Wortfeldforschung selbst sieht sich aber spätestens seit der Mitte der 1990er Jahre an den Rand des Wissenschaftsbetriebes gedrängt. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass wichtige Protagonisten, die die Forschung auf diesem Gebiet hätten vorantreiben können, aus dem Wissenschaftsbetrieb ausgeschieden sind. Gleichwohl hat der Grundgedanke, das menschliche Begreifen der Welt an der Struktur der Sprache als wesentlichem Element der Erkenntnis nachzuzeichnen, nichts an Reiz verloren. Es gibt nach wie vor zahlreiche Wortschatzbereiche, die eine Betrachtung anhand des methodischen Instrumentariums der Wortfeldforschung lohnen, um so möglicherweise zukünftig zu einer Struktur des Gesamtwortschatzes beizutragen.
2.1. Ganzheitsgedanke bei Jost Trier
Noch bevor Jost Trier 1931 seine Habilitationsschrift „Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes“ im Druck vorlegte, gab es in der 2. Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jhs. bereits erste Ansätze, die im Unterschied zur bisherigen Wortforschung auf die systemhaften inhaltlichen Zusammenhänge von ←23 | 24→Wortverbänden hinwiesen.5 Gerne zitiert wird in diesem Zusammenhang Karl Wilhelm Ludwig Heyse, der in seinem 1856 posthum veröffentlichten Werk „System der Sprachwissenschaft“ einen Blick auf die „verschiedenen Arten oder Formen des Schalls“ (1856, 31) warf. Eigentlich ging es Heyse um den „Sprachlaut“, den er „als eine besondere Species unter den Gattungsbegriff des Schalls“ einreihte. Heyse (1856, 32) zählte zwar eine Reihe von Wörtern auf, die diesem „Gattungsbegriff“ zugerechnet werden könnten – Schall, Hall, Wiederhall, Geräusch, Klang oder Ton –, er stellte sie folglich in einen Sinnzusammenhang und deutete ihre inhaltlichen Unterscheidungen an, doch er schien in Anbetracht seines Argumentationsduktus’ an dieser Stelle noch weit davon entfernt, hier eine feldartige Gliederung zu erkennen.6
Details
- Seiten
- 458
- Erscheinungsjahr
- 2019
- ISBN (PDF)
- 9783631801444
- ISBN (ePUB)
- 9783631801451
- ISBN (MOBI)
- 9783631801468
- ISBN (Hardcover)
- 9783631794067
- DOI
- 10.3726/b16105
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (Oktober)
- Schlagworte
- Konfliktwortschatz Wortfeldforschung Althochdeutsch Altsächsisch Strukturalismus
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019., 458 S., 5 Tab., 21 Graf.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG