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«Linguistic Landscape» und Fremdsprachendidaktik

Perspektiven für die Sprach-, Kultur- und Literaturdidaktik

von Camilla Badstübner-Kizik (Band-Herausgeber:in) Věra Janíková (Band-Herausgeber:in)
©2018 Sammelband 362 Seiten

Zusammenfassung

Die Texte des Buches sind im Kontext einer medien- und kulturaufmerksamen Fremd- und Zweitsprachendidaktik verankert und stellen Aspekte heraus, die in der Diskussion zum didaktischen Potenzial von Linguistic Landscapes noch wenig Beachtung fanden. Die thematische Breite reicht vom interkulturellen Lernen über historisches Lernen in Verbindung mit dem Konzept der Erinnerungsorte, Sprach-, Kultur- und Literaturdidaktik, Fremd- und Zweitspracherwerbsforschung bis zur Sprach(en)politik. Die Fülle an Anwendungsfällen und Reflexionen zeigt, in welche Richtungen sich das lebendige Forschungsfeld Linguistic Landscape aus der Perspektive der Fremdsprachendidaktik entwickeln könnte. Das Buch stellt einen wichtigen Beitrag zu einer Didaktik der Linguistic Landscape dar. (Ass. Prof. Dr. Silke Pasewalck, Universität Tartu)

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Linguistic Landscape und Fremdsprachendidaktik. Eine Einleitung
  • Ich sehe was, was du nicht siehst …: Urbanes Raumerleben und Linguistic landscaping in und für deutsch-niederländische/n Schulaustauschprojekte/n
  • Edinburgh – City of Literature:: Semiotic landscaping für schulisches und außerschulisches Lernen
  • Deutsch(baltisch)e Sprachdenkmäler im öffentlichen Raum als Gegenstand des heutigen DaF-Unterrichts in Estland
  • Reading signs in the Linguistic Landscape
  • Linguistic Landscapes aus fremdsprachendidaktischer Perspektive
  • Schrift in der Stadt.: Öffentliche Sprachlandschaften als individuelle Lernlandschaften
  • Textinterventionen in den öffentlichen Raum und ihre Interpretation. Theoretische und didaktische Überlegungen zur Linguistic-Landscape-Problematik
  • Historische Linguistic Landscapes im Film
  • Linguistic Landscapes und Fremdsprachdidaktik? Bestandsaufnahme zum universitären und außeruniversitären Polnischunterricht in Deutschland
  • Alltagsstrategien zur Rezeption einer Linguistic Landscape und erste Überlegungen zur Förderung im Unterricht
  • Linguistic Landscape Wien – Mehrsprachigkeit von unten
  • Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht – Perspektiven für die Sprach-, Kultur- und Literaturdidaktik
  • Autorinnen und Autoren

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Camilla Badstübner-Kizik und Věra Janíková

Linguistic Landscape und Fremdsprachendidaktik. Eine Einleitung

Immer auf der Suche nach didaktischen Innovationen ‚aus der Praxis für die Praxis‘, sind wir vor einiger Zeit im Internet auf ein originelles Format gestoßen, das die enge Verbindung zwischen Linguistic Landscape und Fremdsprachendidaktik als etwas völlig Natürliches und Selbstverständliches zeigt, so selbstverständlich, dass wir uns fast schon wunderten, warum wir nicht selbst darauf gekommen waren. Vielleicht hatten wir sogar ähnliche Ideen, haben sie aber nur für uns selbst praktiziert?

Ein Französischlehrer postiert sich, von einer Kamera begleitet, vor Film- und Theaterpostern, Informations- und Werbeplakaten und Hinweisschildern im Zentrum von Paris, um in die Kamera hinein zu erklären, was er interessant an ihnen findet: Mal ist es eine lexikalische Besonderheit, meist eine einzelne grammatische Form oder eine ganze Konstruktion. Er kommentiert, paraphrasiert, erklärt und übersetzt (ins Englische), sein Kollege im Studio veranschaulicht uns das Phänomen in graphischer Form und gibt weitere Beispiele. Jede dieser Mini-Lektionen dauert durchschnittlich 7–9 Minuten. Die einzelnen Lektionen folgen keiner (für uns) direkt ersichtlichen Progression und sind keinem bestimmten Niveau zugeordnet, wir können sie problemlos in unterschiedlicher Reihenfolge konsumieren und es ist auch keineswegs klar, ob wir das Gesehene und Gehörte nicht gleich wieder vergessen werden. Eher haben wir den Eindruck, hier wird an authentischen Texten etwas ‚bewiesen‘, was wir aus dem Lehrbuch schon kennen – Erscheinungsformen der fremden Sprache werden sozusagen ‚authentifiziert‘. Zudem haben wir den Eindruck, dass auch unser Lehrer sich eher kurzfristig entscheidet, was er für uns aus der unendlichen Menge der ‚Sprache-Bild-Texte‘ (Stöckl 2011) auf den Pariser Straßen fokussieren will. Eine große Rolle wird natürlich seine Erfahrung spielen, die ihn sprachlich ‚Auffälliges‘, ‚Schwieriges‘ und ‚Interessantes‘ im Bereich der Umgangssprache sofort entdecken lässt und ihm gestattet, die Fundstücke an eine bewährte didaktische Reihenfolge auf dem Niveau A1/A1+ anzuschließen. Eine längerfristige Vorbereitung könnte ohnehin schwierig sein – was er am Tag vorher ausgesucht hätte, wäre zum Zeitpunkt der Dreharbeiten vielleicht schon überklebt, übermalt oder durch Witterungseinflüsse unleserlich geworden. Im Vor- und Abspann streift die Kamera über Angebotsschilder vor Restaurants, Informationstafeln oder Zeitungsständer. Diese kurzen Ausflüge in die Linguistic Landscape wirken trotz der inzwischen vergangenen Zeit aktuell, sie sind authentisch und erfrischend, und – nicht zuletzt natürlich dank der Persönlichkeit unseres engagierten Lehrers – sehr unterhaltsam (vgl. Abb. 1, 2).1

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Schlaglichtartig wird uns hier das ungeheure Reservoir vor Augen geführt, das eine Linguistic Landscape für aufmerksame Sprachenlerner_innen und -lehrer_innen bietet, und das, obwohl die hier ausgewählten Texte nur einen Bruchteil der Möglichkeiten ausschöpfen. Die Folgen von Walk Talk and Learn fokussieren auf lexikalische und grammatikalische Phänomene, die sich auf gut erhaltenen und lesbaren aktuellen Textträgern befinden und sie sind eher an Lerner_innen auf den unteren Niveaus der Beherrschung der fremden Sprache gerichtet. Die meisten Beispiele gehören in den Bereich der Information und Werbung und können als autorisierte top-down-Beschriftungen klassifiziert werden.

Darüber hinaus enthält jede Linguistic Landscape natürlich noch viel mehr, das unsere didaktische Aufmerksamkeit wecken kann. Zu denken wäre etwa an Straßenschilder oder an die Beschriftungen auf Denkmälern und Erinnerungstafeln. Zu denken wäre an ‚Sprache-Bild-Kampagnen‘ im Umkreis von gesellschaftlichen, politischen und kommerziellen Ereignissen und Entwicklungen. Zu denken wäre an Spuren von Mehrsprachigkeit, Sprachenkontakt und Sprachenmischung. Wir könnten zufällig oder auch absichtlich beschädigte, veränderte Beschriftungen und natürlich jede Menge subversiver Zeichen, z.B. Aufkleber oder Graffiti, erwarten. Wir möchten eigentlich auch erfahren, was oder wer ‚hinter‘ den einzelnen Texten steht, wofür sie stehen, wen sie ansprechen, wie sie einzuordnen und zu interpretieren sind. Wir könnten darüber nachdenken, warum wir bestimmte Elemente einer Linguistic Landscape wahrnehmen (und wahrnehmen sollen), andere aber kaum und was das mit ihrer sprachlichen und medialen Form zu tun hat. Wir können auch überlegen, was ←8 | 9→←9 | 10→eine ‚fremde‘ Linguistic Landscape ausmacht und was wir verstehen müssten, um sie zu einer ‚eigenen‘ zu machen – Denkanstöße dieser Art lassen sich mehren. Das in Walk Talk and Learn French praktizierte virtuelle Format setzt unsere räumliche, zeitliche, sprachliche und kulturelle Distanz zu den präsentierten Sprache-Bild-Texten voraus – wir befinden uns in der klassischen Situation von Fremdsprachenlernenden, die das Glück haben, hier auf Materialien zurückgreifen zu können, die gut ausgewählt und portioniert, anregend präsentiert und zudem hochgradig originell und authentisch sind. Und obwohl zwischen dem Zeitpunkt ihrer Entstehung und unserer Rezeption im Jahre 2018 fast 10 Jahre vergangen sind und die Linguistic Landscape, aus der sie stammen, inzwischen völlig anders aussieht, scheinen sie kaum an Aktualität eingebüßt zu haben. Wir fühlen: Hier lebt die Sprache, die wir lernen … Welche Chance für Personen, die – in der Konstellation des gesteuerten oder ungesteuerten Zweitsprachenunterrichts – eine Sprache lernen und lehren und denen eine Linguistic Landscape mit immer wieder neuen Elementen in eben dieser Sprache uneingeschränkt zur Verfügung steht! Und welche Chance für bewusst handelnde Sprachenlehrende und -lernende weltweit, die aus der Nähe (‚vor der eigenen Haustür‘) oder auch aus der Ferne (über audiovisuelle und virtuelle Vermittlung, auf Reisen) eine Fülle von faszinierenden Sprache-Bild-Texten entdecken können, über die es nachzudenken lohnt – sei es im Kontext von Herkunfts-, Bildungs-, Mehrheits-, Zweit- oder Fremdsprache, sei es als Lingua Franca, als Wortspiel oder intertextuelle Anspielung, als ‚Fehler‘ oder Hybrid, als Bestandteil eines Wahlkampfes oder einer Werbekampagne, als Einladung zur Teilhabe oder als Zeichen von Ausgrenzung.

Ausgehend von Selbstversuchen und Beobachtungen dieser und ähnlicher Art ist es uns seit Längerem schon ein wichtiges Anliegen, zur Erschließung der Linguistic Landscape als außerschulischem Lernort für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht beizutragen. In diesem Sinne verstehen wir den hier vorgelegten Band als einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer längst überfälligen didaktischen Nutzung des Sprache-Bild-Angebotes im öffentlichen Raum aus der Perspektive einer medien- und kulturaufmerksamen Fremd- und Zweitsprachendidaktik. Mit einiger Überraschung haben wir festgestellt, dass der Begriff der Linguistic Landscape bisher noch wenig Eingang in die einschlägige fremdsprachendidaktische Fachliteratur gefunden hat, und das, obwohl er mittelbar natürlich seit Langem für die Fremdsprachendidaktik eine Rolle spielt – man denke nur an die Thematisierung außerschulischer Lernorte, an das sprachen- und kulturdidaktische Potenzial unterschiedlicher, im öffentlichen Raum präsenter Textsorten oder an die Suche nach ←10 | 11→aktuellen und historischen (Sprach-)Spuren außerhalb des Unterrichts- oder Kursraums.3

In unserer Sicht auf das Thema fühlen wir uns zum einen der sich seit gut 20 Jahren dynamisch entwickelnden Linguistic-Landscape-Forschung verpflichtet. Neben vielen faszinierenden Einzelstudien hat sie vor allem den notwendigen systematischen Begriffsapparat und grundlegende empirische Methoden bereitgestellt, die für den Aufbau einer Didaktik der Linguistic Landscape unerlässlich sind. Viele von ihnen haben sich bereits in der Hochschuldidaktik etabliert.4 Zum anderen sind wir den vielen Kolleginnen und Kollegen zu Dank verpflichtet, die mit ihren Einzelpublikationen und Sammelbänden den Weg dafür bereitet haben, dass Linguistic Landscape und Fremdsprachendidaktik zusammengedacht werden.5 In besonderer Weise fühlen wir uns dabei dem Band von Heiko F. Marten und Maris Saagpakk (2017) verpflichtet, der aus unserer Sicht dezidiert dazu beiträgt, diese Verbindung ins Bewusstsein der Fachwissenschaft zu rücken.

Unser Band vereint Beiträge von Kolleginnen und Kollegen aus den Niederlanden, Polen, Tschechien, Estland, Deutschland und Österreich. Es war uns wichtig, dass verschiedene Sprachen und Sprachenkonstellationen sowie unterschiedliche didaktische Settings in den Blick genommen werden – vom schulischen Unterricht in den Nachbarsprachen, über den (fächerübergreifenden) ←11 | 12→schulischen Fremdsprachenunterricht und das Kurssystem in der Erwachsenenbildung bis hin zur akademischen Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden und Übersetzer_innen. Wichtig war uns außerdem ein differenzierter Fokus auf Fremd- und der Zweitsprachendidaktik, die sich – bei allen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen – gerade im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Linguistic Landscapes doch recht deutlich voneinander unterscheiden und jeweils auch andere Aspekte fokussieren können. In den bisherigen Publikationen hat diese Differenzierung eher eine untergeordnete Rolle gespielt und mit Sicherheit muss sie in Zukunft noch genauer und gründlicher erfolgen. Wichtig war es uns schließlich, einen Einblick in die unterschiedlichen didaktischen Blickrichtungen zu geben, die in Linguistic Landscapes möglich sind und die ein jeweils unterschiedliches methodisches Instrumentarium bedingen. Dies reicht von der Erarbeitung lexikalischer und grammatischer Phänomene auf Schildern und Plakaten bis hin zur Erschließung tieferliegender historischer und symbolischer Bedeutungsschichten im öffentlichen Raum, von einer Diskussion notwendiger Wahrnehmungs- und Verstehenskompetenzen bis hin zum Umgang mit sprachlicher Kreativität, von Interviews, Klassenfahrten und außerschulischer Projektarbeit bis hin zu Archivrecherchen und der Analyse von Filmausschnitten. Einige der Beiträge reagieren auf Bedürfnisse der Unterrichtspraxis und reflektieren diese, andere zeigen Wege auf, wie Linguistic Landscapes zukünftige Unterrichtspraxis im Sinne einer language, media und culture awareness bereichern können. Unterstreichen möchten wir sowohl den Anspruch als auch die Einschränkung, zwischen denen die Beiträge dieses Bandes zu verorten sind: Alle Impulse, Beispiele und Modelle sind als exemplarisch zu verstehen, sie alle enthalten Elemente, die potenziell auf andere Kontexte und Konstellationen übertragbar sind. Aber wie eine Linguistic Landscape auch, so können diese Impulse weder ‚komplett‘ erfasst werden noch jemals ‚fertig‘ sein. Sicher haben wir auch als Herausgeberinnen vieles übersehen oder nicht genau genug wahrgenommen. In diesem Sinne hoffen wir auf einen immer schärfer werdenden Blick, auf fortlaufende Ergänzung, Neubewertung, Fortsetzung und kreative Nutzung aller Anregungen, die sich aus den uns umgebenden Linguistic Landscapes entwickeln lassen – bei unseren Kolleginnen und Kollegen, bei Sprachenlernenden und natürlich bei uns selbst – ganz im Sinne von „Learning to Read the World, Learning to Read the Linguistic Landscape“ (Clemente/Andrade/Martins 2012). In diesem Sinne bleibt die Einschätzung von Jeroen Darquennes weiterhin aktuell, wenn er das didaktische Potenzial von Linguistic Landscapes zusammenfassend in den Bereichen language awareness, incidental learning (auch life long learning), Alphabetisierung und einer weit gefassten critical literacy verortet (vgl. Darquennes 2017: 183). Wir möchten vor dem Hintergrund der Beiträge unseres Bandes die ←12 | 13→Bereiche culture awareness und symbolic competence6 ergänzen – natürlich in dem Bewusstsein, dass alle diese Begriffe immer neu ausdifferenziert und mit Leben gefüllt werden müssen, um tatsächlich praktikabel zu werden.

Wünschenswert wären vor allem Studien, welche die in wissenschaftlichen Beiträgen hervorgehobenen Vorteile der in (Hoch-)Schulkontexten vorgenommenen Thematisierung der Form und der Funktion schriftsprachlicher Zeichen im öffentlichen Raum kritisch beleuchten und/oder für unterschiedliche Zielgruppen in unterschiedlichen Kontexten weiter ausarbeiten. (Darquennes 2017: 183)

Die Beiträge unseres Bandes lassen sich nach verschiedenen Kriterien gruppieren. Als ein gemeinsamer Nenner wäre die Thematisierung der Schwierigkeiten zu nennen, die die Rezeption und Interpretation von Sprache-Bild-Texten bereitet. Fast alle Texte bieten auch konkrete Vorschläge an, wie diese Schwierigkeiten überwunden werden können. Einige Beiträge fokussieren mehr auf sprachliche Aspekte, andere beziehen dezidiert auch kulturelles und historisches Lernen ein. Zwei Beiträge stellen den Kontext des Zweitsprachenerwerbs ins Zentrum, andere verorten das Potenzial der Linguistic Landscapes in der räumlichen Entfernung vom zielsprachigen Raum bzw. spüren den Verbindungen zwischen dem Lernort und dem zielsprachigen Raum nach, die sich über die Linguistic Landscape vor Ort fassen lassen. Neben dem Kontext Deutsch als ‚Ziel‘sprache werden auch anders- und mehrsprachige Linguistic Landscapes betrachtet. Wir haben uns letztendlich für eine Anordnung nach dem dominierenden didaktischen Setting entschieden – vom schulischen Unterricht über die universitäre Ausbildung bis hin zur nicht-akademischen Erwachsenenbildung.

Im Kontext schulischer Bildung sind drei Beiträge angesiedelt. Sabine Jentges und Paul Sars präsentieren Lehrkonzepte für den Austausch zwischen niederländischen und deutschen Schulen, die an der Radboud Universiteit in Nijmegen (NL) und der Universität Duisburg-Essen (D) für die Pilotphase des Euregio-Interreg-Projekts Nachbarsprache & buurkultur (2017–2020) entwickelt werden. Die gemeinsame Entdeckung des städtischen Raumes einschließlich seiner Linguistic Landscape bildet hier einen festen Bestandteil. Besondere Aufmerksamkeit gilt Elementen, die als ‚verschieden‘ oder ‚verwunderlich‘ im jeweils anderen städtischen Raum wahrgenommen werden und auf ihre soziale Bedeutung und Relevanz befragt werden sollen. Gabriele Blell und Susanna Pfeiffer-Seelig beschreiben eine fächerübergreifende stadtgeographische Exkursion ins literarische Edinburgh, die im Rahmen des Geographie- und Englischunterrichts an ←13 | 14→einer deutschen Schule stattfindet. Die Autorinnen zeigen, dass der Ansatz des Semiotic landscaping einen wertvollen Lernimpuls für schulisches und außerschulisches Lernen darstellen kann, wenn Raum und Zeit als soziale Konstruktionen begriffen werden, die bedeutungsbildend und verhandelbar sind. Maris Saagpakk thematisiert an mehreren Beispielen aus dem Kontext des schulischen DaF-Fremdsprachenunterrichts und der akademischen Ausbidung von DaF-Lehrenden in Estland, wie einzelne Bestandteile von Linguistic Landscapes sowie historische Landmarks dabei helfen können, die Aufmerksamkeit von DaF-Lernenden auf tieferliegende historische Schichten des ‚eigenen‘ vertrauten Umfeldes zu lenken und auf diese Weise sprachliches und kulturelles Lernen miteinander zu verbinden.

Fünf Beiträge des Bandes fokussieren die Rolle, die Elemente von Linguistic Landscapes in der Hochschuldidaktik, genauer gesagt, in der Ausbildung von angehenden Fremdsprachenlehrenden und Übersetzer_innen, spielen können. Danuta Wiśniewska stellt die Schwierigkeiten in den Mittelpunkt, die polnische (und sicher auch andere) Studierende bei der Interpretation von multimodalen Zeichen in Linguistic Landscapes haben. Insbesondere scheint ihnen Probleme zu bereiten, die Relationen zu verschiedenen Aspekten des sozialen, politischen und alltäglichen Lebens aufzudecken, die hinter einzelnen Zeichen stehen. Oft ist dies, so die Autorin, eine Frage des (fehlenden) Allgemeinwissens und der (mangelnden) Orientierung in gesellschaftlichen Diskursen. Sie plädiert dafür, dahin gehende Kompetenzen in der akademischen Ausbildung zu fördern und zeichenbezogene Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeiten grundsätzlich in die Fremdsprachendidaktik zu integrieren. Věra Janíková diskutiert aktuelle linguistische und didaktische Ansätze, die das Lernen und Lehren von Sprachen an die Forderung binden, ein übergreifendes Bewusstsein für Sprache(n) und Kultur(en) zu entwickeln und zu fördern. Im Linguistic landscaping sieht sie dafür besonderes Potenzial. Sie verdeutlicht ihre Argumentation an Beispielen aus der universitären Ausbildung, deren räumliche Koordinaten durch die tschechische Stadt Brno abgesteckt werden, die aber für andere öffentliche Räume entsprechend modifiziert werden können. Simone Schiedermair stellt Ergebnisse ihrer einschlägigen akademischen Lehre an der Friedrich-Schiller-Universität Jena vor und reflektiert diese kritisch. An konkreten Beispielen verdeutlicht sie, wie Studierende im Rahmen eines DaF-/DaZ-Studiums das Konzept des Linguistic landscaping aufnehmen und inwiefern sie in der Lage sind, aus Sprachlandschaften Vorschläge für die unterrichtliche Praxis im Fremdsprachenunterricht zu entwickeln. Zbyněk Fišer fokussiert Werbetexte im öffentlichen Raum und beschreibt die unterschiedlichen literarischen und künstlerischen Techniken, ←14 | 15→die ihre dominante persuasive Wirkung ausmachen. Intertextualität und Mehrsprachigkeit spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auf dieser Grundlage stellt er im Kontext der akademischen Translationsdidaktik das Modell eines Übersetzungstrainings vor, das auf der Nutzung von Techniken des kreativen Schreibens und Umformens beruht, die für die Herstellung von adäquaten Werbetexten in einer anderen Sprache herangezogen werden können. Camilla Badstübner-Kizik geht auf den Begriff und das Potenzial von ‚sekundären‘ Linguistic Landscapes ein und begründet, warum aus dem Blickwinkel einer medien- und kulturaufmerksamen Fremdsprachendidaktik auch historische Linguistic Landscapes von Interesse sind. Sie zeigt auf dieser Grundlage die besonderen Möglichkeiten, die das Medium Spielfilm bietet.

Drei Beiträge stellen den Bereich der Erwachsenenbildung in den Mittelpunkt. Grzegorz Lisek rückt die Rolle und das Potenzial authentischer didaktischer Materialien ins Zentrum, den Hintergrund bildet die Didaktik des Polnischen als Fremdsprache im Kontext der akademischen Ausbildung und der außeruniversitären Erwachsenenbildung in Deutschland. In Leitfrageninterviews und schriftlichen Befragungen geht er der Frage nach, inwieweit Lehrende Elemente von Linguistic Landscapes als potenziell wichtige Materialienressource wahrnehmen und wie Lernende die Nutzung solcher Elemente in didaktischen Prozessen reflektieren. Sandra Ballweg thematisiert die Linguistic Landscape als wichtige didaktische Ressource in der zielsprachigen Umgebung selbst und rückt damit den Bereich Deutsch als Zweitsprache dezidiert in den Fokus. Sie präsentiert die Ergebnisse einer an der Universität Bielefeld durchgeführten Untersuchung, in der danach gefragt wurde, wie neu zugewanderte Menschen multimodale Zeichenensemble in einer deutschen Innenstadt rezipieren. Die Untersuchung zeigt, wie unterschiedlich die dabei eingesetzten Strategien sein können und wie stark ihre Wahl von individuellen und kontextuellen Faktoren geprägt ist. Abschließend macht sie Vorschläge, wie die Rezeption multimodaler Elemente einer Linguistic Landscape in genau dieser Zielgruppe erleichtert und gefördert werden könnte. Thomas Fritz und Dilek Taşdemir verorten ihren Beitrag ebenfalls im Kontext Deutsch als Zweitsprache. Aus einer quantitativen Perspektive diskutieren sie Beispiele aus der mehrsprachigen Linguistic Landscape Wiens, aus einer eher ethnographischen und metrolingualen Perspektive gehen sie auf das Phänomen des Code-meshing in schriftlichen Zeichen ein. Der Beitrag schließt mit Überlegungen zum Potenzial der Linguistic Landscape-Forschung in der Zweitsprachendidaktik Deutsch unter der Prämisse eines partizipativen Ansatzes.

Abschließend kommentiert Silke Pasewalck die in den einzelnen Beiträgen angesprochenen Aspekte aus ihrer Sicht und zeigt Richtungen auf, in die sich die ←15 | 16→Verbindung zwischen Linguistic landscaping und Fremdsprachendidaktik weiter entwickeln sollte.

Abbildungsnachweise

Abb. 1: Walk Talk and Learn French, Episode 5, 0:46 (aufgenommen am 14.02.2009) https://www.youtube.com/watch?v=XhGsc-1MZHQ&t=0s&list= PLwX3o6xqc_Jj1KnbA4Y6BMVLkYYnvfdqg&index=7 (30.06.2018) ©Radio Lingua Ltd. 2009–2018, mit freundlicher Genehmigung

Abb. 2: Walk Talk and Learn French, Episode 6, 2:27 (aufgenommen am 28.02.2009) https://www.youtube.com/watch?v=yKOXno9kwEM (30.06.2018) ©Radio Lingua Ltd. 2009–2018, mit freundlicher Genehmigung

Die Bildrechte liegen bei den angegebenen Personen und Rechteinhabern.

Literatur

Badstübner-Kizik, Camilla (2018): Linguistic Landscapes und Fremdsprachendidaktik. Sprachliche und kulturelle Erfahrungsbildung aus zeitlicher und räumlicher Distanz? In: Schiedermair, Simone (Hrsg.), Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Kulturwissenschaft. Zugänge zu sozialen Wirklichkeiten, München, 90–107.

Cenoz, Jasone/Gorter, Durk (2008): Linguistic landscape as an additional source of input in second language acquisition. In: IRAL, 46, 267–287.

Cerri, Ciara/Jentges, Sabine (Hrsg.) (2015a): Raumwahrnehmung, interkulturelles Lernen und Fremdsprachenunterricht, Baltmannsweiler (= Perpektiven Deutsch als Fremdsprache 11).

Cerri, Chiara/Jentges, Sabine (2015b): (Urbane) Räume als Schlüssel zum kulturgeprägten Lernen. In: Acharya, Swati u.a. (Hrsg.), IDT 2013. Band 3.1: Kultur, Literatur, Landeskunde, Bolzano, 147–162, online: http://pro.unibz.it/library/bupress/publications/fulltext/9788860461193.pdf (25.06.2018).

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Clemente, Mariana/Andrade, Ana Isabel/Martins, Filomena (2012): Learning to Read the World, Learning to Look at the Linguistic Landscape: A study in the first years of formal education. In: Hélot, Christine/Barni, ←16 | 17→Monica/Janssens, Rudi/Barga, Carla (Hrsg.), Linguistic Landscapes, Multilingualism and Social Change, Frankfurt a.M., 267–285 (= Sprache, Mehrsprachigkeit und sozialer Wandel 16).

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Delhey, Yvonne/Jentges, Sabine (2013): Von Wahrnehmung zu Wissen: Interkulturelles Lernen im urbanen Raum. Ein Lehr- und Lernprojekt für den Fremdsprachenunterricht. In: Hille, Almut/Benjamin Langer (Hrsg.), Erzählte Städte. Beiträge zu Forschung und Lehre in der europäischen Germanistik, München, 179–194.

Details

Seiten
362
Erscheinungsjahr
2018
ISBN (PDF)
9783631773543
ISBN (ePUB)
9783631773550
ISBN (MOBI)
9783631773567
ISBN (Hardcover)
9783631770283
DOI
10.3726/b15201
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Linguistic Landscape Fremd- und Zweitspracherwerbsforschung Außerschulische Lernorte Öffentlicher Raum Interkulturelles Lernen und Kontaktdidaktik Fremdsprachenlehren und -lernen
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 362 S., 107 s/w Abb., 2 Tab.

Biographische Angaben

Camilla Badstübner-Kizik (Band-Herausgeber:in) Věra Janíková (Band-Herausgeber:in)

Camilla Badstübner-Kizik ist Professorin am Institut für Angewandte Linguistik der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań. Sie lehrt und forscht im Bereich Kultur- und Mediendidaktik im Kontext fremder Sprachen, mediale Mehrsprachigkeit und Lernen im öffentlichen Raum. Věra Janíková ist Professorin am Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Masaryk-Universität in Brno. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Mehrsprachigkeit, Mehrsprachigkeits- und Tertiärsprachendidaktik, Fremdsprachenlehrerforschung sowie Fremdsprachenlernen bei Lernenden mit besonderen Lernbedürfnissen.

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Titel: «Linguistic Landscape» und Fremdsprachendidaktik