Negation in den Nebensätzen negierender Ausdrücke als Aggregationsmerkmal
Eine Korpusanalyse des Neuhochdeutschen
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Table Of Contents
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Gegenstandsbestimmung
- 1.2 Zielsetzung und Methode
- 1.3 Aufbau der Arbeit
- 2. Überblick über relevante Bereiche der Negationsforschung
- 2.1 Zum Begriff „Negation“
- 2.2 Synchrone Negationsforschung
- 2.2.1 Klassifizierung der Negationsmittel
- 2.2.2 Klassifizierung der Negationstypen
- 2.3 Diachrone Negationsforschung
- 2.3.1 Althochdeutsch
- 2.3.2 Mittelhochdeutsch
- 2.3.3 Frühneuhochdeutsch
- 2.3.4 Neuhochdeutsch
- 2.4 Bilanz I
- 3. Klassifikatorische und terminologische Aspekte der untersuchten Negationskonstruktion
- 3.1 Erklärungsansätze und Termini für die im Nebensatz auftretende Negation
- 3.1.1 Kontaminationshypothese
- 3.1.2 Negative-Polarität-Hypothese
- 3.1.3 Generative Hypothesen
- 3.1.4 Aggregative-Negation-Hypothese
- 3.1.5 Termini für die im Nebensatz auftretende Negation
- 3.2 Klassifikationen und Termini für die Matrixsatzausdrücke
- 3.2.1 Pragmatische Annäherung
- 3.2.2 Semantische Annäherung
- 3.2.3 Syntaktische Annäherung
- 3.2.4 Termini für die Matrixsatzausdrücke
- 3.3 Bilanz II
- 4. Nebensatzbezogene Aspekte
- 4.1 Nebensatzintegration
- 4.1.1 Junktionsmöglichkeiten
- 4.1.2 Integrationsgrad von Nebensätzen
- 4.2 Entwicklungstendenzen der Nebensätze negierender Satzregentien im Deutschen
- 4.2.1 Entwicklungstendenzen der infrage kommenden Nebensatztypen
- 4.2.2 Entwicklungstendenzen der aggregativen Negation
- 4.3 Bilanz III
- 5. Grundlagen der Korpusanalyse
- 5.1 Fragestellungen und Hypothesen
- 5.2 Die infrage kommenden Satzregentien
- 5.3 Die korpusbildenden Kriterien
- 5.4 Untersuchungsmethoden
- 5.5 Aufbau der Korpusanalyse
- 6. Korpusanalyse
- 6.1 17. Jahrhundert
- 6.1.1 Abhängige Hauptsätze und uneingeleitete Nebensätze
- 6.1.2 Eingeleitete Nebensätze
- 6.1.3 Infinitivkonstruktionen
- 6.2 18. Jahrhundert
- 6.2.1 Abhängige Hauptsätze und uneingeleitete Nebensätze
- 6.2.2 Eingeleitete Nebensätze
- 6.2.3 Infinitivkonstruktionen
- 6.3 19. Jahrhundert
- 6.3.1 Abhängige Hauptsätze und uneingeleitete Nebensätze
- 6.3.2 Eingeleitete Nebensätze
- 6.3.3 Infinitivkonstruktionen
- 6.4 Ergebnisse der Analyse
- 7. Zusammenfassung
- 8. Literaturverzeichnis
- 8.1 Quellentexte
- 8.2 Sekundärliteratur
- 9. Anhang
- 9.1 Abkürzungen
- 9.2 Belegkorpus
- Reihenübersicht
Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Satzgefügen, in deren Matrixsätzen Ausdrücke stehen, die das Nicht-Zutreffen oder die Nicht-Erwünschtheit des Inhalts ihrer Ergänzungssätze implizieren. Um diese negierende Wirkung noch einmal auszudrücken, finden sich in den abhängigen Konstruktionen gelegentlich weitere Negationswörter. Beispiele aus früheren Jahrhunderten liefert reichlich z.B. Paul (1968: 343–357, Hervorhebung von mir, O.R.):
ich will … ihn abhalten, daß er nicht hierher komme (Frau Gottsched)
Dir abzurathen, daß Du sie nicht brächtest (Schiller)
daß ich mich wirklich in Acht nehmen muß, ihnen keine Gelegenheit zu geben (Schiller)
wer wird uns hindern, daß wir sie nicht hineinbringen könnten (Gottsched)
wo sollte denn also das Hinderniß liegen, daß die Seele nicht im Himmel sey (Wieland)
um so mehr muß man sich hüten keine Blößen zu geben (Goethe)
er warnte mich, nicht ein Wort mehr von ihm zu reden (Rabener)
Die Wurzeln dieses Negationsphänomens reichen bis in die frühesten Zeiten zurück, ähnliche Belege sind schon in althochdeutschen Texten zu lesen (s. 4.2.2.). Es lässt sich aber nicht nur im Deutschen, sondern auch in anderen germanischen sowie in weiteren indoeuropäischen Sprachen finden, so z.B. im Englischen (Horn 2010: 121, Jack 1978: 60, Traugott 1972: 96, Wurff 1999: 295), Dänischen, Norwegischen (Jespersen 1966: 75–77), Holländischen (Wouden 1997: 197–199, 202), Lateinischen (Wouden 1997: 196, 198), Italienischen (Napoli / Nespor 1976: 835–836) oder Französischen (Hentschel 1998: 28, Horn 2010: 122, Wouden 1997: 196–198, 204).
Wie obigen Belegen in Paul (1968) eindeutig zu entnehmen ist, tauchte diese mehrfache Negation im Deutschen noch bei den besten Schriftstellern der Klassik auf. Die Setzung eines Negationsträgers im Nebensatz wurde dann im 19. Jahrhundert in vielen Grammatiken stigmatisiert oder als Pleonasmus verboten, und sie wurde in der geregelten Schriftsprache allmählich zurückgedrängt (vgl. 4.2.2.). Die Extra-Negation gilt in normativer Hinsicht heute allgemein als unkorrekt, sodass man die abhängigen Sätze ohne Negationsmittel formulieren sollte. Aus diesem Grund wird das Auftreten der Negation im Nebensatz retrospektiv auch als „scheinbare Vertauschung positiver und negativer Ausdrucksweise“ bezeichnet (vgl. Behaghel 1924: 87–88, Ebert / Reichmann / Solms / Wegera 1993: 428–429). ← 11 | 12 →
Bezüglich dieser redundanten Negation gibt es in der Fachliteratur nur spärlich Informationen.1 Gegenwartsbezogene synchrone Arbeiten erwähnen das Phänomen kaum. Höchstens widmen sich einige den negativen Matrixsatzausdrücken und versuchen, sie nach verschiedenen Aspekten zu klassifizieren. Die wenigen historisch orientierten Veröffentlichungen liefern Belege aus verschiedenen Epochen oder stellen Hypothesen auf, wieso die Nebensatzkonstruktion mit Negation entstehen konnte und warum sie verschwand bzw. an Häufigkeit verlor. Von diesen Hypothesen scheint mir die Aggregative-Negation-Hypothese am plausibelsten zu argumentieren, die behauptet, dass Negationswörter in den abhängigen Satzstrukturen solange auftreten konnten, bis diese völlig in ihre Matrixsätze integriert wurden (s. 3.1.4.). Über die Verwendungsregularitäten erfährt man nur, dass die Negation die ganze deutsche Sprachgeschichte hindurch fakultativ war, in dass-Sätzen jedoch häufiger erschien als in Infinitivkonstruktionen (vgl. 4.2.2.). Was noch aufzudecken gilt, sind die exakten Parameter und Einflussfaktoren des Vorkommens der Negation, wozu systematische (Korpus-)Analysen nötig sind.
Da in der Fachliteratur über die genauen Distributionsverhältnisse der in 1.1. vorgestellten Satzgefüge kaum Informationen angegeben werden, gelten sie immer noch als Forschungsdesiderat. Vorliegende Arbeit möchte dazu beitragen, diese Forschungslücke zu füllen. Untersucht werden Satzgefüge mit negativen Matrixsatzelementen wie abhalten, hindern, in Abrede sein, Zweifel usw. (vgl. die Belege in 1.1.), von denen Ergänzungssätze abhängen. Im Fokus meines Interesses steht, unter welchen Umständen Negationswörter in diesen Ergänzungssätzen erscheinen. Es wird dazu eine Analyse durchgeführt, um über die Verwendungsregularitäten der Nebensatznegation statistisch belegte Informationen zu gewinnen und um gleichzeitig die Aggregative-Negation-Hypothese zu überprüfen.
Was im Zusammenhang mit den untersuchten Satzgefügen von Forschern noch unbeachtet blieb, sind vor allem die folgenden Fragen: ← 12 | 13 →
– Gibt es neben dass-Sätzen und Infinitivkonstruktionen weitere Nebensatztypen, die sich mit den negativen Matrixsatzausdrücken verbinden?
– Verändert sich eventuell (und wie) die Proportion der verschiedenen Nebensatztypen mit der Zeit?
– In welchen abhängigen Konstruktionen findet man eine aus heutiger Perspektive unlogische Negation und mit welcher Häufigkeit?
– Hängt das Vorkommen der Negation von bestimmten semantischen, pragmatischen oder morpho-syntaktischen Merkmalen ab?
– Gibt es einen Zusammenhang zwischen der dialektalen Gliederung des Deutschen und dem Auftreten des Phänomens?
Mein Ziel ist, die bisherigen Erkenntnisse über das Vorhandensein und den Rückgang des vorgestellten Negationsphänomens zu präzisieren und mit neuen zu ergänzen, indem ich versuchen werde, unter anderen auf diese Fragen Antworten zu bekommen. Die Analyse von morpho-syntaktischen Merkmalen der Satzgefüge kann außerdem auch dabei helfen, die von mir favorisierte Aggregative-Negation-Hypothese (s. 3.1.4.) zu untermauern oder zu widerlegen. Wenn nämlich die Hypothese stimmt und der Abbau der Negation mit der zunehmenden Integration der Nebensätze zusammenhängt, dann sollte sich das in der zeitlich immer größeren negativen Korrelation zwischen der Negation und verschiedenen Integrationsparametern widerspiegeln.
Auf eine weitere allgemeine Forschungslücke weist Hennig (2009: 8) hin: „Über Sprachwandel in der gesprochenen Sprache auf syntaktischer Ebene ist bisher so gut wie nichts bekannt“. Ich hoffe mit meiner Arbeit auch zur historischen Mündlichkeitsforschung beitragen zu können, indem ich die Liste der oben gestellten Forschungsfragen mit folgenden ergänze:
– Beeinflusst der schriftsprachliche / gesprochensprachliche Charakter von Texten die Frequenz des Vorkommens der Negation?
– Wie entwickelt sich das untersuchte Phänomen in den schriftsprachlichen und gesprochensprachlichen Teilkorpora?
Um zu den gewünschten Ergebnissen zu gelangen, ist eine systematische Korpusanalyse erforderlich. Zu diesem Zweck wurde von mir ein Korpus zusammengestellt, das es erlaubt, bezüglich der hier aufgezählten sprachlichen und außersprachlichen Parameter der in den Nebensätzen auftretenden Negation relevante Schlussfolgerungen ziehen zu können. Ich beschränke mich bei der Analyse auf die neuhochdeutsche Periode, und zwar aus zwei Gründen: Einerseits kommt die untersuchte Satzgefügekonstruktion ganz selten vor, sodass man zum Korpusaufbau eine große Auswahl von potentiellen Quellen braucht, ← 13 | 14 → die in früheren Perioden nicht zur Verfügung steht. Andererseits erlaubt die Untersuchung von neuhochdeutschen Texten, auch über das immer seltenere Auftreten des Negationsphänomens, das im Fall der sich herausentwickelnden überregionalen Schriftsprache präskriptiv ausgelöst / unterstützt wurde, und über die Bedingungsfaktoren dieses Sprachwandels Informationen zu gewinnen. Bei der Korpuszusammenstellung spielten außer dem Zeitfaktor die dialektale Einordnung sowie der Grad der Gesprochensprachlichkeit von Texten eine Rolle.2 Für die Berücksichtigung des diamedialen Aspekts spricht auch die Tatsache, dass die Unterschiede zwischen Nähe- und Distanzsprache eben im Neuhochdeutschen an Bedeutung gewinnen bzw. ausgebaut werden.
Bei der Analyse stehen die oben aufgezählten Fragen im Fokus. In Bezug auf die Ergebnisse können folgende Hypothesen formuliert werden:
– Mit der Zeit gibt es immer weniger Belege für die Negation in allen Unterordnungskonstruktionen.
– In morpho-syntaktisch integrierteren Nebensatztypen bzw. Nebensätzen taucht die Negation seltener auf.
– Das Verschwinden der Negation sollte in schriftsprachlicheren Texten fortgeschrittener sein.
Vorliegende Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Zuerst werden in Kapitel 2 wichtige Erkenntnisse der deutschbezogenen Negationsforschung überblickt. Thematisiert werden zentrale Themen der synchronen Forschungsliteratur wie die Problematik des Begriffs „Negation“, Negationsmittel und -typen, sowie die diachrone Entwicklung von Negationswörtern und -morphemen vom Alt- bis zum Neuhochdeutschen.
In Kapitel 3 behandle ich klassifikatorische und terminologische Aspekte. Als erster Schritt werden Hypothesen zur Herausentwicklung und zum Verschwinden der in den Nebensätzen gelegentlich erscheinenden Negation diskutiert. Darauf folgt die Klassifizierung und Charakterisierung der betreffenden negativen Matrixsatzelemente aus pragmatischer, semantischer und syntaktischer Hinsicht. Im Zusammenhang mit diesen Darstellungen präsentiere ich verschiedene Terminusvorschläge bezüglich des untersuchten Negationsphänomens. ← 14 | 15 →
Kapitel 4 ist nebensatzbezogenen Aspekten gewidmet. Ausgehend von der zu überprüfenden Aggregative-Negation-Hypothese finden hier zuerst Fragen der Nebensatzintegration Erwähnung. Dann werden historische Entwicklungstendenzen der infrage kommenden Nebensatztypen sowie der in ihnen auftretenden, aus heutiger Perspektive redundanten Negation geschildert.
In Kapitel 5 ist über die Grundlagen der Analyse zu lesen: Ich erkläre, nach welchen Prinzipien das der Analyse zugrunde liegende Korpus zusammengestellt wurde, und bestimme, was für Satzgefüge auf welche Merkmale hin untersucht werden.
Kapitel 6 enthält die eigentliche Analyse, in der die Korpusbelege des Zeitabschnittes 1650–1900 in drei Intervalle eingeteilt und nach dem Integrationsgrad der vorkommenden Nebensatztypen sowie nach verschiedenen Untersuchungsmerkmalen systematisch ausgewertet werden. Nach der Analyse ziehe ich aus den Ergebnissen hinsichtlich der Erscheinungsregularitäten des untersuchten Phänomens Schlussfolgerungen.
Die wichtigsten Feststellungen und Ergebnisse der zwei Hauptteile werden in Kapitel 7 noch einmal zusammengefasst. Die Arbeit schließt mit dem Verzeichnis der benutzten Quellentexte und Publikationen sowie mit der Auflistung der Korpusbelege im Anhang. ← 15 | 16 →
1 Laut Ebert (1999: 28) gilt die Untersuchung der Vertauschung positiver und negativer Ausdrucksweise im neueren Deutsch allgemein als Forschungsdesiderat.
2 Den Grad der Gesprochensprachlichkeit der Korpustexte habe ich mithilfe des Ágel-Hennig-Modells (s. Ágel / Hennig 2006a) festgestellt. Weiteres zum Korpusaufbau s. in 5.3.
Details
- Pages
- 264
- Publication Year
- 2017
- ISBN (PDF)
- 9783631721841
- ISBN (ePUB)
- 9783631721858
- ISBN (MOBI)
- 9783631721865
- ISBN (Hardcover)
- 9783631721834
- DOI
- 10.3726/b11075
- Language
- German
- Publication date
- 2019 (April)
- Keywords
- Nebensatzintegration Sprachgeschichte Mehrfachnegation Nähe/Distanz Negationsforschung
- Published
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 264 S., 2 s/w Abb., 124 s/w Tab.