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Juliusz Słowackis Verserzählungen zwischen Band I «Poezye» (1832) und den Florentiner Poemen (1838/39)

Komposition und Zyklisierungstendenzen

von Judith Bischof Hayoz (Autor:in)
©2016 Dissertation 500 Seiten
Reihe: Slavica Helvetica, Band 85

Zusammenfassung

«Mit leerer Mappe kehre ich nicht in die Metropole der schreibenden Wahnsinnigen zurück», schreibt Juliusz Słowacki (1809–49) 1838 noch aus Florenz an seine Mutter. Als anerkannter Dichter will er im Paris der polnischen Emigration ankommen, das er Ende 1832 verlassen hat. Entsprechend sorgfältig bereitet er diesen Schritt während einer ungemein produktiven Schaffensphase mit der Publikation der fünf Florentiner Poeme vor. Bis dahin hat Słowacki sich in der Öffentlichkeit vor allem mit Verserzählungen und Poemen profiliert, von denen die meisten in Bänden zwischen 1832–39 erschienen sind und mit denen sich die Słowacki-Forschung bis heute vergleichsweise wenig beschäftigt hat. In der vorliegenden Arbeit untersucht die Autorin detailliert den Aufbau jedes dieser versepischen Werke und betrachtet sodann auch den Band als vom Dichter bewusst komponierte Einheit, wodurch sich für das Einzelwerk neue, textübergreifende Interpretationsmöglichkeiten erschliessen und sich aus den Untersuchungsergebnissen auch Rückschlüsse auf Słowackis dichterisches Selbstverständnis ableiten lassen, das die bedeutenden letzten zehn Jahre seines Schaffens in Paris vorbereitet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Dank
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Zielsetzung
  • 2. Anmerkung zur methodischen Vorgehensweise
  • 3. Zum Umgang mit der Forschungsliteratur
  • A. Der Band I Poezye
  • I. Żmija. Romans poetyczny. Z podań ukraińskich w sześciu pieśniach
  • 1. Stimmen der Kritik
  • 2. Aufbau der Handlung: Formale und thematische Vielfalt
  • 2.1 Das Versmass
  • 2.2 Die Grobstruktur der Handlung
  • 3. Opposition zwischen dem Kosakentum und Żmija
  • 3.1 Die narrative Struktur: Distanz und Nähe des Erzählers
  • 3.2 Das Kosakentum
  • 3.3 Die Bedeutung Ksenias
  • 4. Der zentrale Protagonist Żmija
  • II. Jan Bielecki. Powieść narodowa polska oparta na podaniu historyczném
  • 1. Vorbemerkung zum historischen Hintergrund
  • 2. Der formale Aufbau
  • 3. Die Schlachta vs. Jan und Anna
  • 3.1 Die Blumenmetapher
  • 3.2 Das Konstruktionsprinzip von Laut und Leise
  • 4. Das Vorwort und seine Bedeutung
  • III. Hugo. Powieść krzyżacka
  • 1. Der zentrale Protagonist vor dem geschichtlichen Hintergrund
  • 2. Darstellung und Bedeutung Litauens
  • 3. Der Kontrast von Licht und Dunkelheit
  • IV. Mnich. Powieść wschodnia
  • 1. Der formale Aufbau
  • 2. Opposition von Kloster und Steppe
  • 2.1 Die Verführung
  • 2.2 Motivische Opposition zwischen Stein und Pflanze
  • 2.3 Funktion und symbolische Bedeutung der Steppe
  • V. Arab
  • 1. Der formale Aufbau
  • 2. Die einzelnen Fragmente und ihr Zusammenhang
  • 2.1 Das erste Fragment
  • 2.2 Das zweite Fragment
  • 2.3 Das dritte Fragment
  • 2.4 Das vierte Fragment
  • 2.5 Zusammenhang der Fragmente
  • VI. Die Komposition des Bandes I Poezye
  • 1. Veröffentlichung
  • 2. Konstruktionsprinzip der Opposition
  • 2.1 Entwicklung der Opposition Individuum vs. Gesellschaft
  • 2.2 Das orientalische Thema und seine Funktion
  • 3. Die Funktion des Mottos und des Widmungsgedichts Do Michała Rola Skibickiego
  • 4. Zusammenfassung der Kompositionsidee des Bandes
  • B. Der Band III Poezye
  • I. Lambro. Powstańca grecki. Powieść poetyczna w 2 pieśniach
  • 1. Zusammenfassung des Forschungsstandes
  • 2. Der narrative Aufbau
  • 2.1 Das Verhältnis von „Geschichte“ und „Geschehen“
  • 2.2 Die Erzähler und die erzählte Welt
  • 3. Die zentrale Figur: Lambro
  • 3.1 Lambro zwischen Passivität und patriotischer Tat
  • 3.2 Die Geliebte Lambros: Das ermordete Glück
  • 3.3 Ambivalente Bewertung der Figur Lambros
  • II. Godzina myśli
  • 1. Dichtung oder Wahrheit? Positionen der Forschung
  • 2. Der Traum und seine Bedeutung
  • 3. Die Unterschiede und die Einheit der beiden Kinder
  • 4. Gattungsfrage
  • 4.1 Die „powieść poetycka“ und „Godzina myśli“
  • 4.2 Die Bedeutung des Versmasses
  • III. Die Komposition des Bandes III Poezye
  • 1. Die Entstehung des Bandes
  • 2. Das Vorwort
  • 3. Die Aufstandsgedichte
  • 3.1 Metrische und inhaltliche Analyse
  • 3.2 Die zyklische Diegese in den fünf Gedichten
  • 4. Der kompositorische Zusammenhang des Bandes
  • C. Der Band Trzy poemata
  • I. Ojciec zadżumionych w El-Arish
  • 1. Forschungsstand
  • 2. Der Aufbau der Erzählung des Arabers
  • 2.1 Der Tod der sieben Kinder
  • 2.2 Das Subjekt und seine Erfahrung der Natur und der Macht Gottes
  • 2.3 Die bildlich-symbolische Ebene der Erzählung
  • 3. Der Protagonist und die Handlungsunmöglichkeit
  • 3.1 Der Erhabenheitsbegriff in „Ojciec zadżumionych“
  • 3.2 Das Städtchen El-Arish und seine geschichtliche Bedeutung
  • 3.3 Der Araber und das Subjekt des Vorworts
  • II. W Szwajcarii
  • 1. Forschungsstand
  • 1.1 Die Entstehungszeit von „W Szwacarii“
  • 1.2 Die Identität der Geliebten
  • 1.3 Die literarischen Einflüsse
  • 2. Die kompositorische Anordnung der Strophen
  • 2.1 Die Liebesgeschichte: Strophen II–XVII
  • 2.2 Der Rahmen der Liebesgeschichte: Strophen I und XVIII–XXI
  • 3. Die Bedeutung des Rahmens für die Liebesgeschichte
  • III. Wacław
  • 1. Literarische und historische Vorlagen
  • 2. Dichotomie Geschehen vs. Geschichte
  • 3. Die narrative Komposition
  • 3.1 Der Handlungsaufbau
  • 3.2 Die Rückblende des Erzählers: Wacławs Jugend
  • 3.3 Die Beichte Wacławs
  • 3.4 Erzählerrede vs. Figurenrede
  • 4. Semantische Dichotomie
  • 5. Zusammenfassung und Schlussfolgerung
  • IV. Die Komposition des Bandes Trzy poemata
  • 1. Allgemeine Bemerkungen
  • 2. Verlust, Tod und existenzielle Einsamkeit des Individuums
  • 3. Die Arabeske als Konstruktionsprinzip
  • 4. Der zyklische Protagonist
  • D. Anhelli und Dantyszek: Einzelpublikationen der Florentiner Periode
  • I. Poema Piasta Dantyszka herbu Leliwa o piekle
  • 1. Allgemeine Bemerkungen zu Publikation und Forschung
  • 2. Der kompositorische Aufbau
  • 2.1 Die Hölle Dantyszeks und Dantes Inferno
  • 2.2 Ausgangssituation und „Vorhölle“
  • 2.3 Die Stationen der Hölle
  • 3. Die stilistische Ebene: Funktion der grotesken Elemente
  • 4. Dantyszek als Repräsentant der polnischen Schlachta des 18. Jahrhunderts
  • 4.1 Der „kontusz“ und der Weinkrug („dzban“)
  • 4.2 Die Sprache Dantyszeks
  • II. Anhelli
  • 1. Entstehung und Forschungsstand
  • 2. Die narrative Ebene: Einflüsse der Bibel und Dantes
  • 3. Der formale Aufbau und Dantes Stationentechnik
  • 4. Der Zusammenhang der einzelnen Stationen
  • 4.1 Die Stationen auf dem Weg zur Hölle
  • 4.2 In der Hölle: Die Herrschaft Ugolinos
  • 4.3 Eloe und ihr Wirkungsbereich
  • 4.4 Anhellis Tod
  • 5. Schlussfolgerung
  • Schlusskapitel
  • Verzeichnis der verwendeten Literatur
  • Reihenübersicht

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Einleitung

1. Zielsetzung

Über Juliusz Słowackis Werk (1809–1849) ist viel geschrieben worden. Die Forschung berücksichtigte allerdings lange Zeit vor allem die Dramen und das mystische Werk seiner letzten Lebensjahre. Vergleichsweise wenig Beachtung fand dagegen das Frühwerk des Dichters, weshalb am Anfang dieser Arbeit die Idee stand, seine ersten, in den Jahren 1832–33 veröffentlichten Bände Poezye detailliert zu analysieren. Da diese – ganz im Gegensatz zum späteren Werk Słowackis – besonders viele Verserzählungen und Poeme, aber nur wenige Dramen enthalten, lag es nahe, das Augenmerk der Untersuchung hauptsächlich auf diese versepischen Werke der Bände Poezye I und Poezye III zu lenken. Im Verlauf der Untersuchung betrachtete ich es als sinnvoll, auch die einige Jahre später entstandenen Poeme aus der Florentiner Zeit miteinzubeziehen, da sie trotz aller Unterschiede interessante Gemeinsamkeiten mit den frühen Verserzählungen aufweisen und diese auch weiterentwickeln.

Fast alle dieser Verserzählungen und Poeme hat Słowacki in Bänden veröffentlicht, deren Komposition er genau plante und deren Veröffentlichung er auf das Sorgfältigste selber betreute: Es sind dies der Band I Poezye mit Żmija, Jan Bielecki, Hugo, Mnich und Arab, der Band III Poezye1 mit Lambro, Godzina myśli und den Aufstandsgedichten sowie der Band Trzy poemata mit den Poemen Ojciec zadżumionych w El-Arish, W Szwajcarii und Wacław. Nur Anhelli und Poema Piasta Dantyszka herbu Leliwa o piekle sind als Einzelpublikationen erschienen. Da sie aber thematisch eng mit den Trzy poemata verbunden sind, können sie als diesen Band vorbereitende und abschliessende Werke betrachtet werden. ← 17 | 18 → In der Forschung wird für diese fünf Werke auch der Begriff „Florentiner Poeme“ verwendet.2 Zwar sind sie nicht alle in Florenz selber entstanden (Anhelli wurde grösstenteils noch auf der Orientreise geschrieben, bei W Szwajcarii ist man sich über die Entstehungszeit bis heute nicht ganz einig), aber Słowacki bereitete sie praktisch gleichzeitig in Florenz zum Druck vor.

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, erstens eine ausführliche Analyse dieser zwölf versepischen Texte zu leisten; zweitens wird die Komposition der Bände, in denen Słowacki diese Werke veröffentlicht hat, untersucht. Ich verfolge die These, dass die drei Werkbände vom Autor sorgfältig komponiert worden sind, wie wir auch der zum Teil geradezu umständlichen Korrespondenz des in Florenz weilenden Dichters mit seinem Pariser Verleger Eustachy Januszkiewicz entnehmen können. Ich gehe also davon aus, dass jeder Band eine werkübergreifende Kompositionseinheit bildet, in der sich für den Einzeltext neue, über ihn hinausweisende Interpretationsmöglichkeiten ergeben.

Bei allen untersuchten Texten handelt es sich um Verserzählungen oder Poeme (Słowacki nennt sie powieści poetyczne bzw. poemata), die beide zur Versepik zu zählen sind, auch wenn sie einige Gattungsunterschiede aufweisen; gemeinsam ist ihnen jedoch eines ihrer wesentlichsten Merkmale, dass sich die Ereignisse nämlich immer auf die eine oder andere Weise um einen zentralen Protagonisten herum anordnen, was beim digressiven Poem (dem poemat dygresyjny), wie es Słowackis Beniowski darstellt, nicht mehr der Fall ist. Obwohl hier der Titel des Werks ebenfalls suggeriert, dass die Figur Beniowski im Zentrum des Werks stehe, bilden die Ereignisse um den Protagonisten hier für den Erzähler im Grunde genommen nur den Vorwand, dass er von sich selber ← 18 | 19 → berichten kann.3 In Beniowski wird der zentrale Held de facto eliminiert. Aus Gründen dieses wesentlichen strukturellen Unterschieds wurde das 1841 erschienene grossartige Poem Beniowski nicht in das Korpus der hier untersuchten versepischen Texte aufgenommen; im Übrigen würde eine ausführliche Betrachtung dieses komplexen Werks, dem zudem bereits eine beeindruckende, seitenstarke Forschungsliteratur gewidmet wurde, den Rahmen dieser Untersuchung bei Weitem sprengen.

Zur Analyse des Einzelwerks

Zwar hat die Forschung in den letzten Jahren ihre Aufmerksamkeit vermehrt auf die lange unpopulären frühen versepischen Werke Słowackis gerichtet, aber eine detaillierte Analyse dieser Verserzählungen und Poeme bis Ende der Florentiner Jahre hat bisher nur Jarosław Maciejewski mit seinen beiden Arbeiten Florenckie poematy Słowackiego. Poema Piasta Dantyszka herbu Leliwa o piekle – Ojciec zadżumionych – W Szwajcarii – Wacław (1974) und Powieści poetyckie Słowackiego (1991) vorgelegt, in denen er allerdings zu anderen Einsichten gelangt als ich.

Michał Kuziak hält in seiner 2001 erschienenen Arbeit Fragmenty o Słowackim fest:

Niewątpliwie największą popularnością wśród badaczy dzieła Słowackiego cieszyła się ostatnimi czasy jego późna twórczość, mniej uwagi poświęcano natomiast utworom poety z lat trzydziestych, niemal całkowicie pomijano natomiast w powstających w ciągu minionego półwiecza opracowaniach jego „pisarską młodość“. Wydaje się, że przyczyn takiej sytuacji można by szukać jeszcze w XIX-wiecznej recepcji twórczości Słowackiego. Wtedy to bowiem utrwaliło sie przekonanie – obecne również w pracach powstałych w epoce modernizmu, ← 19 | 20 → a więc generalnie autorstwa badaczy przychylnych poety – o nieoryginalnym nieautentycznym charakterze jego wczesnych utworów […].4

Hartnäckig hielt sich lange das Vorurteil der „bluszczowatość“ der Werke Słowackis, womit seine offensichtlichen literarischen Anleihen bei verschiedensten Autoren wie Byron, Shakespeare, Dante etc. gemeint waren, die als mangelnde künstlerische Authentizität und Originalität des Jugendwerks Słowackis verstanden wurden.5 Obwohl sich Konrad Górski bereits 1959 mit seinem Referat an der Tagung anlässlich des 150-jährigen Geburtstags des Dichters bemühte, besonders anhand des Dramas Balladyna (1839) aufzuzeigen, dass die literarischen Allusionen bei Słowacki eine eigentliche schöpferische „Methode“ darstellen, ausgeprägter als bei seinen Zeitgenossen,6 wurden besonders die frühen Verserzählungen des Bandes I Poezye dennoch lange als uninteressante literarische Nachahmungen beiseite geschoben.7 Bis heute setzen sich nur ganz wenige Forschungsbeiträge so intensiv mit dem Frühwerk Słowackis auseinander wie Kwiryna Ziemba in ihrer 2006 erschienenen Monografie Wyobraźnia a biografia. Młody Słowacki i ciągi dalsze.

Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht ganz eindeutig das Werk, und zwar das Einzelwerk. Dies unterscheidet meine Herangehensweise ← 20 | 21 → von denjenigen Arbeiten, die entweder einen neuen Zugang aus dem biografischen oder historischen Kontext Słowackis zu seinen Texten suchen oder aber mit neuen psychologischen Erkenntnissen an seine Dichtung herantreten und die Analyse von Werk und Leben oder Persönlichkeit des Autors eng verknüpfen, wie die Monografien von Alina Kowalczykowa, Ewa Łubieniewska oder auch von Kwiryna Ziemba, oder aber überhaupt eine biografische Darstellung Słowackis verfolgen, wie dies Jan Zieliński tut. In meiner Untersuchung klammere ich zwar biografische Details nicht vollkommen aus, aber sie sind weder neu noch von primärem Interesse.

Ich beabsichtige vielmehr eine unvoreingenommene, strukturelle Textanalyse der veröffentlichten versepischen Werke des jungen Słowacki vor Beniowski, indem ich die einzelnen Ebenen des Textes in narrativer, sprachlich-stilistischer, motivisch-symbolischer bzw. bildlicher Hinsicht herausarbeite. Auf diese Weise kommt eine subtile Vielschichtigkeit des Werks zum Vorschein, in der die tiefere Ambivalenz des zentralen Protagonisten und seines Anspruchs gegenüber der Umwelt ihren Ausdruck findet. Bereits die frühen Verserzählungen der ersten Bände zeugen von einer erstaunlich grossen poetischen Vielfalt und enthalten Motive, die auch Słowackis späteres Werk prägen werden.

Die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Einzeltext hatte allerdings zur Folge, dass eine klare Beschränkung bei der Werkauswahl getroffen werden musste und somit leider sowohl die Dramen als auch das spätere Werk Słowackis praktisch gänzlich ausgeklammert worden sind. Doch auch in diesem eng gesteckten Rahmen sind werkübergreifende Schlussfolgerungen durchaus möglich, denn die zwölf untersuchten Verserzählungen und -poeme bilden einen ganz wesentlichen Teil von Słowackis der Öffentlichkeit vorgelegtem Werk seiner „Wander“-Jahre 1832–39; in dieser Periode hat er nämlich nur gerade vier Dramen publiziert: Maria Stuart und Mindowe 1832, die den Band Poezye II bilden, sowie Kordian 1834; unveröffentlicht blieb Horsztyński, vernichtet wurde die erste Version Mazepas; und erst kurz nach den Florentiner Poemen erschienen 1839 Balladyna und 1840 Lilla Weneda. Słowacki profilierte sich bis 1839, d.h. bis zu seiner Rückkehr zur Polnischen Emigration in Paris – was für ihn als Dichter einen wichtigen Schritt ← 21 | 22 → bedeutete, den er mit seinen Publikationen sorgfältig vorbereitete – vor allem als Autor von versepischen Werken: Kein anderer Autor der polnischen Romantik hat sich mit so vielen Verserzählungen verdient gemacht hat wie Juliusz Słowacki! Es ist dies eine Tatsache, die man angesichts seiner vielen, grossartigen, aber erst in späterer Zeit entstandenen Dramen gerne vergisst.

Gattungsfragen als solche werden nur am Rande behandelt. Allerdings fliessen während der Analyse der einzelnen Werke Reflexionen betreffend die Gattung ein, soweit diese für die Untersuchung relevant sind. So wird zum Beispiel bereits in Słowackis frühem Arab deutlich, dass der Autor mit der Form der Verserzählung experimentiert und bewusst ihre Grenzen auslotet, indem er die für die Gattung übliche fragmentarische, sprunghafte Erzählweise hier so weit „strapaziert“, dass die einzelnen Erzählabschnitte lose nebeneinander stehen und der narrative Zusammenhang des Textes kaum mehr vorhanden ist. Auf der inhaltlichen Ebene wird die für den byronistischen Helden typische Zerstrittenheit mit seiner Umwelt zum unmotivierten, pathologischen Hass des Protagonisten gesteigert, was schliesslich zur Selbstzerstörung führt. Słowacki experimentiert hier also ganz offensichtlich mit der narrativen Form und der zentralen Kompositionskomponente des Poems, dem Helden.

Solche, für das Verständnis des einzelnen Werks wichtige Reflexionen bezüglich seiner Gattung, führen deshalb dazu, dass aus der Analyse des versepischen Werks Słowackis auch die Beobachtung eines Wandels der Gattung von den frühen Verserzählungen bis zu den Poemen aus den Jahren 1838/39 resultiert: So ist in den Jugendwerken der Einfluss von Byrons poetic tales und von Mickiewiczs Konrad Wallenrod entscheidend, und die Problematik kreist um das Thema der grossen, befreienden Tat (respektive deren Unmöglichkeit) und um das tragische Scheitern des Protagonisten daran, weil eine solche Tat in Słowackis Vorstellung unter den gegebenen Bedingungen nicht möglich ist. In den Werken der Florentiner Jahre, die von Dantes Divina Commedia geprägt sind, liegt der Akzent dagegen auf der Bewältigung des erlittenen Leids, des Leidenswegs der einzelnen Protagonisten. Wichtig ist nun die innere Haltung des Menschen seiner feindlichen Umwelt gegenüber, die metaphorisch mit der Hölle Dantes gleichgesetzt wird. Es ist in diesen Werken nicht mehr ← 22 | 23 → die „grosse Tat“ des Protagonisten, die seine Freiheit garantieren könnte, sondern seine „innere“ Grösse im Umgang mit dem Leid. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Bedeutung der Poesie, die vor allem auf der Meta-Ebene des Bandes zum Ausdruck kommt.

Der Band: Zyklisierungstendenzen und ihre Bedeutung

Aufbauend auf den Ergebnissen der strukturellen Analyse des Einzelwerks wird die These verfolgt, dass die einzelnen Bände vom Autor bewusst als Zyklen angelegt worden sind, in denen das Einzelwerk auf der höheren Ebene des Bandes einen „Mehrwert“ erhält. Es soll aufgezeigt werden, dass Słowacki die meta-diegetische Ebene des jeweiligen Werkbandes als Plattform für meta-poetische Reflexionen nutzt. Słowacki beschäftigt in dieser Zeit immer dringender die Frage nach dem höheren Sinn der menschlichen Existenz, und er ringt sich offenbar bereits in diesen noch „vormystischen“ Jahren seines Schaffens das Bewusstsein ab, dass seine höhere Bestimmung in seiner Existenz als Dichter zu suchen ist, dank der er die letztlich grausame Vergänglichkeit des irdischen Daseins zu transzendieren vermag, woran er in den Jahren vor und noch zur Zeit seiner Orientreise stark zu zweifeln begonnen hat.8

Die Werkbände, die er in dieser Zeit veröffentlicht, widerspiegeln dieses Grunddilemma Słowackis: Einerseits bilden sie ein übergeordnetes Sinngefüge bestehend aus selbständigen, in sich abgeschlossenen individuellen Einzelwerken, andererseits aber handelt es sich um fragile werkübergreifende Konstruktionen, die ständig von der latenten Gefahr der Auflösung bedroht sind. Zwischen den Trümmern einer der totalen Vernichtung preisgegebenen menschlichen Existenz, wie sie der verwaiste Vater in Ojciec zadżumionych versinnbildlicht, und der triumphalen Überhöhung des Vergänglichen im Symbol der Madonna Immaculata in W Szwajcarii oszillieren denn die Werke der Trzy poemata. Auf der Meta-Ebene des Bandes aber bilden diese Gegensätze, die sich aus der Zusammenstellung der verschiedenen Texte ergeben, ← 23 | 24 → durchaus eine höhere Sinneinheit, und zwar im von Friedrich Schlegel entworfenen Prinzip der sich dem „Unendlichen“ öffnenden Arabeske. Mit diesem Band gelingt Słowacki eine Art Synthese seiner ästhetisch und inhaltlich unterschiedlichen Werke, und zwar in einer Weise, dass die Gegensätze nebeneinader bestehen können und dass dennoch in gewisser, nämlich „arabesker“ Hinsicht eine das Einzelwerk transzendierende „höhere“ Einheit als Resultat seines Schaffens vorliegt.

2. Anmerkung zur methodischen Vorgehensweise

Die Analyse der einzelnen Werke basiert auf einer werkimmanenten Betrachtungsweise. Besonders fruchtbar für diese Art der Interpretation hat sich für die untersuchten versepischen Werke die von Wolf Schmid eingeführte Kategorie der Äquivalenz erwiesen, die er in seinem 1984 erschienenen Aufsatz Thematische und narrative Äquivalenz. Dargelegt an Erzählungen Puškins und Čechovs9 beschrieb.

Wolf Schmid geht hier der grundsätzlichen Frage nach der Bildung von Sinnzusammenhängen in Erzählwerken nach. Er stützt sich dabei auf die aus der Soziologie stammende, von Niklas Luhmann geprägte Formel, dass Sinn dann entsteht, wenn eine „Reduktion von Komplexität durch Selektion von Elementen“ stattfindet.10 Wird unsere Wahrnehmung in der Realität durch die Dichotomie Welt:Erleben bestimmt, so findet diese – so Wolf Schmid – im fiktionalen Text ihre Entsprechung in der Gegenüberstellung von Geschehen:Geschichte. Das Geschehen meint „das in Raum und Zeit unbegrenzte, nach allen Seiten offene und unendlich genau konkretisierbare Kontinuum von Situationen, Personen und Handlungen, das im Werk, genauer: in der erzählten Geschichte, impliziert ist“, ← 24 | 25 → wohingegen die Geschichte „das Resultat einer Auswahl aus dem Geschehen“ darstellt. Diese Auswahl entsteht durch „Selektionsoperationen, die die Überfülle an materieller Komplexität an Sinnmöglichkeiten reduzieren und die Unendlichkeit des Geschehens in eine sinnhafte Gestalt überführen“. Die aus dem Geschehen ausgewählten Elemente (Personen, Handlungen, Eigenschaften, Situationen) „erscheinen als Sinnlinie der Geschichte“. Nun kann es aber sein, dass die nicht-gewählten Geschehensmomente für die Geschichte nicht einfach unbedeutsam sind, sondern dass sie entweder einen „Ansatzpunkt für fremde Sinnlinien“ in der Geschichte einschliessen, die vom Leser nun explizit verworfen werden müssen, damit sich der tiefere Sinn des Textes erschliesst (d.h. man muss die falsche Fährte, auf die man bei der Lektüre gelockt wird, für das tiefere Verständnis des Werks als solche erkennen); oder aber die nicht-gewählten Geschehensmomente fallen für die Geschichte dermassen ins Gewicht, dass sie vom Leser und der Leserin aktualisiert werden müssen, damit sie die Geschichte überhaupt verstehen können (es handelt sich um eine „aufzuhebende Negation“ der nicht-gewählten Geschehensmomente11). Dies macht man beim Lesen zu einem grossen Teil „automatisch“, aber gerade in der modernen Erzählung ist diese Rezeptionsleistung sehr wichtig geworden, da die nicht-gewählten Geschehensmomente zentrale Hintergründe wie die Handlungsmotivation des Helden betreffen können:

In dem Masse, wie die Erzählprosa ihre Helden mit einer komplexen, mehrschichtigen Psyche ausstattet und die Geschichte personalisiert (d.h. vom Standpunkt der erzählten Person darbietet), werden die Bewusstseinshandlungen, die die Tat- und auch die Sprach-Handlungen motivieren, zum Problem. Die Momente des Bewusstseins, die der Erzähler explizit beschreibt, sind oft nicht mehr imstande, die Tat und das Wort schlüssig zu motivieren. Der Leser muss die Handlungsmotivation dann selbst erschliessen, indem er über die Geschichte hinaus auf bestimmte nicht-gewählte (vom Autor und Erzähler verborgene oder ihnen gar nicht zugängliche) Momente des – psychischen – Geschehens zurückfragt.12 ← 25 | 26 →

Dies ist eines der grundsätzlichen Probleme der in dieser Arbeit untersuchten versepischen Werke: Die Psyche des Helden ist tiefgründig (oft unergründlich) und sein Verhalten und seine Handlungen sind ambivalent zu werten, seine Befindlichkeit ist meist prekär. Sehr oft ist die Handlungsmotivation dieses Protagonisten auf der Ebene der erzählten Geschichte nicht oder nur als auffällig fehlend erkennbar. Die narrativen Lücken in der erzählten Geschichte sind ferner ein konstitutives Moment der Gattung der Verserzählung (der powieść poetycka),13 zu der über die Hälfte der in dieser Untersuchung analysierten Texte zu zählen ist, und da in der Verserzählung der Held das eigentliche kompositionelle Zentrum bildet,14 sind diese Lücken in seiner Persönlichkeit und seinem Verhalten von speziell grosser Bedeutung. Doch auch in den anderen Poemen dieser Arbeit, wie zum Beispiel in W Szwajcarii oder Anhelli, bilden solche Unbestimmtheitsstellen einen ganz wesentlichen Aspekt des Werks.

Wolf Schmid legt nun aber dar, dass diese, den Sinn eines Erzählwerks geradezu „gefährdende“ Lücken dadurch kompensiert werden können, dass in die Geschichte aufgenommene (d.h. ausgewählte) Geschehnismomente auf der Ebene der Geschichte auf bestimmte Weise, nämlich durch Äquivalenzbeziehungen, miteinander verknüpft werden, so dass der Leser auch nicht-gewählte (d.h. „vom Autor und dem Erzähler verborgene, oder ihnen gar nicht zugängliche“) Momente des Geschehens erschliessen kann.15

Nach Wolf Schmid ist die Äquivalenz eine Kategorie, die in Erzähltexten nebst der zeitlichen und kausalen Folge als verknüpfendes Prinzip von Geschehnismomenten fungiert. Das bedeutet also, dass zwei (oder mehrere) Geschehnismomente, die weder in kausaler noch zeitlicher Weise miteinander verbunden sind, dies auf eine dritte, nämlich äquivalente Art sein können, indem sie je ein Merkmal aufweisen, in Bezug worauf sie gleichwertig sind, wobei diese Gleichwertigkeit sich entweder als Similarität oder Opposition manifestiert. ← 26 | 27 →

Allerdings bleiben im Erzählwerk die zeitlichen Verknüpfungen grundsätzlich dominant, erhalten aber erst durch die unzeitlichen Verknüpfungen einen Sinn.

Dank der Fülle von solchen Relationen, welche durch die Äquivalenz in die Geschichte eingeführt werden, entsteht in einem Erzählwerk eine „strukturelle Komplexität (Mannigfaltigkeit der von Elementen gebildeten Beziehungen), die die Geschichte sowohl vom Geschehen als auch vom lebensweltlichen Erleben abgrenzt“, nämlich von der Überfülle der rein potentiellen Verknüpfungsmöglichkeiten des Geschehens, als auch von der Reduktion, welche im Erleben immer erfolgt, weil wir einen Sachverhalt zwangsläufig unter einem ganz bestimmten Aspekt betrachten. Genau dies verbindet aber das lebensweltliche Erleben mit der Rezeption eines Erzähltextes, da auch hier eine Reduktion der in der Geschichte strukturell angelegten Komplexität erfolgen muss. Prinzipiell wird aber im Erzählwerk die materielle Komplexität, „die beim Ausscheiden der Geschichte aus ihrem Geschehen verlorengeht“, durch „die multiplen Relationen zwischen den relativ wenigen gewählten Momenten“ ausgeglichen, d.h. der „Verlust an materieller Welthaltigkeit wird sozusagen durch den Gewinn an strukturellem Gehalt kompensiert“. Dies ist also eine ganz wichtige Funktion der Äquivalenz, wobei Wolf Schmid noch zwischen einer thematischen und narrativen Äquivalenz unterscheidet.17

Bereits in den Verserzählungen des Bandes I Poezye wird deutlich, dass Słowacki mit Elementen arbeitet, die zueinander in deutlicher Opposition stehen und auf deren „Gerüst“ die ganze Erzählung aufgebaut ist. ← 27 | 28 → Dabei versinnbildlicht die Gegensätzlichkeit dieser Elemente jeweils die im Werk angelegte Opposition zwischen Gesellschaft und Individuum. Dieser Konflikt ist in jedem der Poeme erzähltechnisch anders gestaltet und „sickert“ von der narrativen Ebene (d.h. der extra-diegetischen Ebene) in der ersten Verserzählung des Bandes in jedem Werk kontinuierlich in tiefere Schichten des Erzählwerks, bis in Arab die grundsätzliche Existenz des Menschen in der motivischen Gegenüberstellung von Wasser und Wüste angesprochen wird, die als Antinomie von Leben und Tod zu verstehen ist. Die in jedem Poem unterschiedlich realisierte Gestaltung dieses grundsätzlichen Konflikts zwischen Protagonist und Umwelt ergibt auf der Ebene des Bandes I Poezye ein komplexes Bild des mit seiner Umwelt zerstrittenen romantischen Protagonisten und seiner Entwicklung.

Auch in den späteren Verserzählungen und Poemen arbeitet Słowacki mit solchen oppositionellen Äquivalenzstrukturen, die er immer raffinierter gestaltet und auch mit anderen narrativen Verfahrensweisen ergänzt. So kommen in Lambro zum Beispiel zusätzlich mehrere Erzählperspektiven zur Anwendung oder es wird in Wacław mit zwei unterschiedlichen semantischen Feldern operiert. Diese narrativ zum Teil recht aufwändigen Strukturen dienen letztlich der Erfassung einer komplexen dargestellten Welt und vor allem der Profilierung der ambivalenten zentralen Figur dieser Werke.

3. Zum Umgang mit der Forschungsliteratur

Da besonders die frühen Verserzählungen Słowackis in der Forschung nicht die gleiche Beachtung fanden wie etwa W Szwajcarii, ist es schwierig, einen generellen Überblick über den Forschungsstand der in dieser Arbeit untersuchten Werke zu vermitteln. Deshalb wird dieser jeweils für jedes Werk einzeln berücksichtigt.

Speziell erwähnen möchte ich an dieser Stelle nochmals die Arbeiten Jarosław Maciejewskis, da er sich in Florenckie poematy Słowackiego. Poema Piasta Dantyszka herbu Leliwa o piekle – Ojciec zadżumionych – ← 28 | 29 → W Szwajcarii – Wacław (1974) und in der aus seinem Nachlass veröffentlichten Untersuchung Powieści poetyckie Słowackiego (1991) mit denselben Werken wie die vorliegende Arbeit auseinandersetzt und ebenfalls den Zyklisierungstendenzen der Werkbände nachgeht. Seine zum Teil sehr detaillierten Analysen und die Aufarbeitung historischer Kontexte und des persönlichen Umfelds Słowackis besonders zu den Florentiner Poemen waren für die vorliegende Untersuchung von unschätzbarem Wert. Vor ihm befassten sich mit diesen versepischen Texten ausführlicher einzig Marian Ursel (in der Einleitung zur BN-Ausgabe der Powieści poetyckie Słowackis von 1986) und Jean Bourrilly (in seiner Monografie La jeunesse de Jules Słowacki (1809–1849) bereits aus dem Jahre 1961).

Anders aber als ich in der vorliegenden Arbeit geht Jarosław Maciejewski sowohl beim ersten Band Poezye als auch bei den Trzy poemata davon aus, dass Słowacki aus verschiedenen Gründen die zyklische Kompositionsform seines ursprünglichen Veröffentlichungsplans zerschlagen habe, indem er die Bände im letzten Moment vor ihrem Erscheinen „umkomponierte“, während ich die These vertrete, dass es sich bei den Änderungen nicht um eine Aufhebung der zyklischen Anordnung der Werke, sondern um eine neue Kompositionsidee handelt.

Es sei hier kurz und überblicksmässig an die wichtigsten grösseren Arbeiten der Słowacki-Forschung erinnert, von denen die meisten auf die eine oder andere Weise in meine Untersuchungen eingeflossen sind.

Als Juliusz Słowacki 1849 in Paris starb und viele unvollendete Arbeiten hinterliess, interessierte sich gut 20 Jahre lang kaum jemand für sein Werk, das den meisten Zeitgenossen eigenartig fremd und unverständlich blieb. Doch dann erschienen innerhalb von 50 Jahren mehrere Słowacki-Monografien. Die erste verdanken wir Antoni Małecki, damals Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Lemberg, nämlich sein 3-bändiges Werk Juliusz Słowacki. Jego życie o dzieła w stosunku do współczesnej epoki (Bd. 1 und 2 erschienen 1866–67; die zweite, um einen Band erweiterte Ausgabe, erschien 1881). Er unternahm auch erstmals die Publikation des Nachlasses Słowackis (Pism pośmiertnych Słowackiego in 3 Bänden, erschienen 1866). Jarosław Marek Rymkiewicz betont, dass der spätere grosse Ruhm Słowackis in dieser wichtigen Publikation begründet liege – und ← 29 | 30 → er versäumt es nicht, auf die darin enthaltene Ironie zu verweisen, nahm doch Antoni Małecki dem Werk Słowackis gegenüber im Allgemeinen eine ausgesprochen kritische, distanzierte Haltung ein.18 Um die Jahrhundertwende widmete sich Ferdynand Hoesick der Darstellung des Lebens Słowackis (Życie Juliusza Słowackiego na tle współczesnej epoki, 1896–97, 3 Bände), und nur wenige Jahre später, 1903–04, erschien die zweiteilige Monografie Juliusz Słowacki von Józef Tretiak, in welcher der Mickiewicz-Verehrer allerdings, noch mehr als Antoni Małecki, eine äusserst kritische, ja ablehnende Haltung gegenüber Słowacki einnimmt. Dies lief dem Zeitgeist jedoch zuwider, denn die Epoche der Młoda Polska, des polnischen Modernismus, verehrte Juliusz Słowacki als einen ihrer geistigen Patrone. In diese Zeit fällt Tadeusz Grabowskis dreibändige Słowacki-Monografie Juliusz Słowacki. Jego życie a charakter na tle współczesnej epoki (Erstausgabe 1908–10). Die Modernisten befassten sich hauptsächlich mit dem mystischen Werk des Autors. Einer der brillantesten Literaturkritiker dieser Zeit, Ignacy Matuszewski, veröffentlichte 1902 (spätere Auflagen 1904, 1911) Słowacki a nowa sztuka (modernizm). Twórczość Słowackiego w świetle poglądów estetyki nowoczesnej. Studium krytyczne-porównawcze, eine Aufsehen erregende Arbeit. 1909 erschien Jan Gwalbert Pawlikowskis Studiów nad „Królem-Duchem“ część pierwsza: Mistyka Słowackiego.

Der grosse Meilenstein in der Słowacki-Forschung wurde allerdings erst einige Jahre später von Juliusz Kleiner gelegt. Seine vierbändige Monografie Juliusz Słowacki. Dzieje twórczości erschien in den Jahren 1920–27 und bleibt auch heute noch, trotz aller gerechtfertigter Vorbehalte,19 von unschätzbarem Wert. Er verbindet die Beschreibung des Lebens des Dichters mit einer detaillierten Analyse seiner Werke und ← 30 | 31 → zieht aus dem biografischen Material und den Befindlichkeiten Słowackis Rückschlüsse auf sein Werk. Alina Kowalczykowa verweist darauf, dass Juliusz Kleiner mit dieser Darstellung die Position Juliusz Słowackis innerhalb der polnischen Romantik auf viele Jahre hinaus festlegt, was auch bedeutet, dass Kleiners persönliche Vorlieben, z.B. seine Ablehnung jeglicher grotesker und makabrer Elemente, für das ästhetisches Werturteil entscheidend werden und somit in gewisser Weise auch die spätere Słowacki-Forschung auf lange Zeit einseitig beeinflussen.20

Unter Józef Piłsudski kam es 1927 zur überaus feierlich begangenen Überführung der Gebeine Słowackis aus Paris nach Polen auf den Wawel der alten Königsstadt Krakau. Allerdings hatte die Beliebtheit Słowackis zu diesem Zeitpunkt bereits den Zenit überschritten; den meisten aus diesem Anlass entstandenen Publikationen zu Słowacki haftet eine uninspirierte Konventionalität an, wie Kowalczykowa ausführt:

Details

Seiten
500
Erscheinungsjahr
2016
ISBN (PDF)
9783035109467
ISBN (MOBI)
9783035196122
ISBN (ePUB)
9783035196139
ISBN (Paperback)
9783034321198
DOI
10.3726/978-3-0351-0946-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Mai)
Schlagworte
Polnische Emigration Paris Poeme Verserzählungen
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2016. 500 S.

Biographische Angaben

Judith Bischof Hayoz (Autor:in)

Judith Bischof Hayoz, geboren 1964 im Kanton St. Gallen, studierte Slavistik und Deutsche Literatur in Freiburg in Ue., Bern und Łódź/Polen (1984–1993). Sie war danach als Assistentin am Slavischen Seminar der Universität Freiburg i. Ue. tätig (1993–98). Anschliessend arbeitete sie als Verlagslektorin und Deutschlehrerin und promovierte 2010 an der Universität Freiburg über Juliusz Słowacki.

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Titel: Juliusz Słowackis Verserzählungen zwischen Band I «Poezye» (1832) und den Florentiner Poemen (1838/39)