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«Bloguer sa vie». Französische Weblogs im Spannungsfeld zwischen Individualität und Gruppenzugehörigkeit

by Kathrin Wenz (Author)
©2017 Thesis 312 Pages

Summary

Diese medienlinguistische Studie befasst sich erstmals mit der umfassenden Beschreibung der Kommunikation in französischen Weblogs. Sie gibt Einblick in die Sprachverwendung zur Identitätskonstruktion im virtuellen Raum, welche die aktuelle computervermittelte Kommunikation charakterisiert. Darüber hinaus analysiert die Autorin die verwendeten Textsorten und deren multimodale Umsetzung, die Herausbildung einer Gruppensprache und die schriftliche Gestaltung sozialer Kontakte. Dabei charakterisieren orthographische Variationen und ein bewusst persönlicher Schreibstil, die unabhängig von Alter und Geschlecht der Autoren verwendet werden, die Texte. Der Band zeigt darüber hinaus mögliche zukünftige Entwicklungen für das Französisch der Gegenwart auf, die vor allem die Schriftsprache betreffen.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Danksagung
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Kommunikationsform Weblog
  • 1.2 Aufbau der Arbeit
  • 2 Stand der Forschung
  • 2.1 Allgemeine Forschungsansätze
  • 2.2 Arbeiten zu computervermittelter Kommunikation in französischer Sprache
  • 2.3 Forschung zu Weblogs
  • 2.3.1 Romanistische Forschung zu Weblogs
  • 2.3.2 Weblogs in anderen Forschungsdisziplinen
  • 2.4 Forschungsdesiderata
  • 3 Identität
  • 3.1 Veränderung des Identitätsbegriffes
  • 3.2 Identität in virtuellen Welten
  • 3.2.1 Identitätskonstruktion in computervermittelter Kommunikation
  • 3.2.2 Selbstdarstellung in Weblogs
  • 3.2.3 Sprachliche Identitätskonstruktion im virtuellen Raum
  • 4 Weblogs
  • 4.1 Geschichte der Weblogs
  • 4.2 Verbreitung der Weblogs in Frankreich
  • 4.2.1 Arten von Weblogs
  • 4.2.2 Klassifizierungsmodelle für Weblogs
  • 4.2.3 Beweggründe zum Führen eines Weblogs
  • 4.3 Unterschiede zwischen den Kommunikationsformen
  • 5 Theoretische und methodologische Prämissen
  • 5.1 Textlinguistische Analyse
  • 5.1.1 Sind Weblogs eine Textsorte?
  • 5.1.2 Untersuchungsgegenstand
  • 5.1.3 Semiotische Untersuchung multimodaler Texte
  • 5.1.3.1 Schrift-Bild-Relationen
  • 5.1.3.2 Unterschiede zwischen Bildern und sprachlichen Zeichen
  • 5.1.3.3 Typologisierung von Schrift-Bild-Beziehungen nach Stöckl
  • 5.2 Orthographische und sprachliche Besonderheiten
  • 5.3 Methodisches Vorgehen
  • 6 Das Korpus
  • 6.1 Die französische Plattform Skyrock
  • 6.1.1 Beschreibung des Korpus
  • 6.1.2 Programm zur Auswertung sprachlicher Einheiten des Korpus
  • 6.2 Ethische Richtlinien bei der Analyse von Weblogs
  • 7 Multimodale Textanalyse
  • 7.1 Einordnung der Plattform Skyrock
  • 7.2 Analyse der Blogposts
  • 7.2.1 Die Persönlichkeit der Blogautoren/innen
  • 7.2.1.1 Blogbezeichungen, Vornamen und Spitznamen
  • 7.2.1.2 Vorstellen der eigenen Person
  • 7.2.1.3 Posts, die einzelne Aspekte der virtuellen Identität zeigen
  • 7.2.1.4 Reflexionen und Tagebucheinträge
  • 7.2.1.5 Zusammenfassung
  • 7.2.2 Vorstellen des sozialen Umfeldes
  • 7.2.2.1 Liebeserklärung
  • 7.2.2.2 Vorstellen von Personen und Haustieren
  • 7.2.2.3 Fotoalbum
  • 7.2.2.4 Vorstellen des Nachwuchses
  • 7.2.2.5 Gedenken verstorbener Personen
  • 7.2.2.6 Zusammenfassung
  • 7.2.3 Die Blogautoren/innen als Teil der Gemeinschaft
  • 7.2.3.1 Begrüßung
  • 7.2.3.2 Feedback
  • 7.2.3.3 Interaktive Erzählung
  • 7.2.3.4 Eigenwerbung
  • 7.2.3.5 Zusammenfassung
  • 7.3 Exkurs: Quantitative Auswertung zur Einteilung der Blogposts
  • 8 Gruppenkommunikation
  • 8.1 Soziale Gruppen
  • 8.1.1 (Virtuelle) Gruppen und Gemeinschaften
  • 8.1.2 Gemeinschaft der Skyrock-Blogger
  • 8.2 Bereiche der Gruppenkommunikation
  • 8.2.1 Außersprachliche und netzspezifische Phänomene
  • 8.2.2 Sprachliche Variationsphänomene
  • 8.2.2.1 Bezeichnung der Blogplattform
  • 8.2.2.2 Freunde werden
  • 8.2.2.3 Kommentare fordern / Kommentare abgeben
  • 8.2.2.4 Bewertungen
  • 8.2.3 Lexikalische und morphologische Besonderheiten
  • 8.2.3.1 Anglizismen
  • 8.2.3.2 Arabismen
  • 8.2.3.3 Argotismen und Entlehnungen aus romanischen Sprachen
  • 8.2.3.4 Verlanisierungen
  • 8.2.3.5 Trunkierungen
  • 8.3 Zusammenfassung
  • 9 Weblogs im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit
  • 9.1 Unterschiede zwischen phonischem und graphischem Kode
  • 9.2 Erweiterungen des Nähe-Distanz-Modells
  • 9.3 Die Konzeption der blogs extimes
  • 9.3.1 Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien
  • 9.3.2 Sprachliche Gestaltung und Konzeption der Blogposts
  • 9.3.2.1 Merkmale zur Bestimmung der Konzeption
  • 9.3.2.2 Graphostilistische Kompensation non- und paraverbaler Äußerungen
  • 9.3.3 Unterschiede zwischen Posts und Kommentaren
  • 9.3.4 Einflüsse durch die Wahl der Textsorte
  • 9.3.4.1 Textuelle Merkmale der „Vorstellung der eigenen Person“
  • 9.3.4.2 Textuelle Merkmale der „Grußartikel“
  • 9.3.4.3 Textuelle Merkmale der Kommentare
  • 9.4 Innovative Schriftlichkeit der Weblogs
  • 9.4.1 Ökonomisierungsverfahren
  • 9.4.1.1 Abkürzungen
  • 9.4.1.2 Syllabogramme
  • 9.4.2 Graphostilistik
  • 9.4.2.1 Phonetische Schreibweisen
  • 9.4.2.2 Logogramme
  • 9.4.2.3 Leetspeak
  • 9.4.2.4 Interpunktion, Groß- und Kleinschreibung
  • 9.4.2.5 Flüchtigkeitsfehler und orthographische Variation
  • 9.4.2.6 Typographische Phänomene
  • 9.5 Informelle Kommunikation im graphischen Medium
  • 10 Diskussion diasexueller und diagenerationeller Differentiationen
  • 10.1 Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Bloggern
  • 10.2 Diagenerationelle Unterschiede in der Sprachverwendung
  • 11 Weblogs – eine Form der Internetkommunikation
  • 12 Weblogs als Indikator und Motor für Sprachwandel im Französischen
  • Sach- und Namensregister
  • Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

4.1 Typologie Weblogs (Klein 2007: 60)

5.1 Aufbau Blogpost Skyrock

6.1 Eingabemaske zum Erstellen eines Blogs

6.2 Eingabemaske zum Erstellen eines Blogposts

7.1 Typologie für Weblogs der Plattform Skyrock (Klein 2007: 68)

7.2 Großbereiche der Blogposts im Korpus

7.3 Beispiele typographischer Darstellung von Beziehungen (w-16-p-04-02, w-20-p-27-04)

7.4 Beispiel ASCII-Art (w-k-39-03-03)

9.1 Beispiel für schwer lesbare Schriftart (w-17-p-09-02)

9.2 Beispiel für unsichtbaren Text (m-18-p-62-05)

9.3 Beispiel Typographie (w-18-p-18-04)

9.4 Beispiel Typographie (w-19-p-19-01)

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Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei alle denjenigen Personen bedanken, die diese Arbeit ermöglicht und erleichtert haben.

Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Radtke, der mich ermutigt hat, die vorliegende Arbeit zu verfassen, mir stets sein Vertrauen entgegenbrachte und mir große Freiheit in der Gestaltung meiner Forschungstätigkeit ließ. Frau Prof. Dr. Große möchte ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und die konstruktiven Diskussionen nach Vorträgen und in Doktorandenkolloquien danken. Ich danke Herrn Prof. Dr. Felder für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes und für seine Unterstützung in der Rolle als Mentor im Rahmen der Heidelberger Graduiertenschule für Geistes-und Sozialwissenschaften (HGGS).

Außerdem danke ich der Landesgraduiertenförderung der Universität Heidelberg (LGFG) für die finanzielle Unterstützung.

Ich möchte mich bei meinen Zimmerkollegen und -kolleginnen bedanken, ohne die die tägliche Arbeit nicht so viel Spaß gemacht hätte: Luisa Larsen, Simone Biancardi, Julia Helmle, Marco Bianchi und Sandra Hayek. Des Weiteren gilt mein Dank allen Kollegen und -kolleginnen im zweiten Stock sowie allen anderen Doktoranden und Doktorandinnen des Romanischen Seminars für den Austausch in den Kolloquien.

Für das Korrekturlesen der Arbeit und die unzähligen Diskussionen danke ich Daniela Pietrini, Isabelle Lux, Judith Burberg und meinen Eltern. Besonders bedanken möchte ich mich bei Valentin, der es mir immer wieder ermöglichte, meine eigene Arbeit aus ganz anderen Perspektiven zu betrachten und neue Forschungserkenntnisse zu gewinnen.

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1 Einleitung

Das World Wide Web verändert die Gesellschaft und somit auch die Personen, die in dieser Gesellschaft leben. Der Wandel ist der hohen Übermittlungsgeschwindigkeit von großen Datenmengen und Informationen geschuldet. Statt Briefen werden E-Mails versendet, die nach nur wenigen Sekunden beim Empfänger eintreffen. Es können nicht nur schriftliche Informationen, sondern auch Videos, Audiodateien und Abbildungen übermittelt werden. Außerdem herrscht eine bisher nicht gekannte Anonymität der Teilnehmer im zunächst rechts- und normfreien Raum des Netzes. Dies führt zu vielfältigen und kreativen Ausdrucksformen, Experimenten mit Persönlichkeitsmustern und zur viralen Verbreitung von Informationen, z.B. als Internet-Meme oder Shitstorm.1 Trotz dieser Anonymität, die durch die Abwesenheit des Körpers bedingt ist, werden private und persönliche Informationen immer stärker im virtuellen Raum preisgegeben und für Andere zugänglich gemacht.2 Es können mehrere Gründe für diese Veränderungen der Gesellschaft angeführt werden. Zum einen bilden sich innerhalb von sozialen Netzwerken, Blogplattformen und Internetforen virtuelle Gemeinschaften heraus. Dies trägt zur Entstehung eines Zugehörigkeitsgefühls und zum Aufbau eines virtuellen sozialen Netzes bei. Die Menschen möchten an diesen Gemeinschaften teilhaben. Zum anderen wird ununterbrochen aufgefordert, neue Dinge zu veröffentlichen: Twitter fragt „What’s happening?“ und Facebook will wissen „What’s on your mind?“. Die Preisgabe von persönlichen Informationen wird von allen anderen Nutzern direkt belohnt. So wird der neue Blogeintrag bereits wenige Stunden nach der Veröffentlichung von der Leserschaft positiv beurteilt und ‚geliked‘. Diese ständigen positiven Rückmeldungen verstärken den Drang, ← 17 | 18 → weitere Urlaubsfotos, Erlebnisse und Gefühle zu offenbaren. Der Kulturwissenschaftler Han resümiert: „Eingesetzt wird eine smarte Macht. Sie verführt, statt zu verbieten. […] Man unterwirft sich dem Herrschaftszusammenhang, während man konsumiert, ja, während man Like-Buttons klickt“ (Han 2014: 107). Die veröffentlichten Daten werden registriert und auch für kommerzielle Zwecke verwendet. So werden beispielsweise Werbeanzeigen nach den Likes und Pinnwandeinträgen ausgewählt oder aufgrund vorheriger Bestellungen Bücher oder Filme vorgeschlagen.

Dem Drang, Persönliches öffentlich zu machen, trägt die Kommunikationsform Weblog Rechnung. Sie stellt ein äußerst flexibles Format dar, das überwiegend dazu benutzt wird, Gefühle, Gedanken und eigene Interessen publik zu machen. Die sprachliche Gestaltung der virtuellen Identität gibt tiefen Einblick in die heutige Gesellschaft und das Bedürfnis der Menschen nach öffentlicher Selbstdarstellung.

1.1 Kommunikationsform Weblog

Die Menschen verwenden mittlerweile selbstverständlich Internetanwendungen, um E-Mails zu verschicken, Nachrichten zu lesen, Fotos hochzuladen und um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Hierzu werden neue Formen der computervermittelten Kommunikation genutzt, unter anderem Chats, Newsletter und Weblogs.3 Letztere enthalten Einträge zu bestimmten Themen, die in umgekehrt chronologischer Reihenfolge, mit dem neuesten Eintrag an erster Stelle, angeordnet sind. Die sogenannten Blogeinträge oder -artikel, auch Posts genannt, können durch Abbildungen, Hyperlinks, Video- und Audioquellen ergänzt werden; Schrift bleibt jedoch weiterhin die wichtigste Mitteilungsform. Weblogs4 ← 18 | 19 → stellen eine völlig neue Form der Kommunikation dar, die keine direkten Vorgänger hat, wie beispielsweise der Briefverkehr für die E-Mail-Korrespondenz. Blood beschreibt ihre Einzigartigkeit in der Einleitung von „We’ve got blog“:

Im Unterschied zu Massenmedien wie Radio, Zeitung und Fernsehen, sind es im Web 2.0 nicht mehr nur einige wenige Menschen, die schreiben, publizieren und Informationen für andere bereitstellen.5 Es ist prinzipiell allen Menschen möglich, in Weblogs ihre Meinung darzulegen, Ansichten anderer Menschen zu kommentieren und sich selbst zu präsentieren. Die Rolle von Leser und Autor verschwimmt immer mehr und Leser partizipieren selbst als Autoren in diesem Medium. „Weblogs demokratisieren Information und Wissen in neuer Qualität und Quantität und verändern somit Zugang, Kontrolle und Wert von Information“ (Schlobinski/Siever 2005: 16; vgl. auch Herring et al. 2004a). Die bereitgestellten Informationen im WWW werden nicht wie in den Massenmedien von Journalisten aus einer riesigen Menge an Themen und Inhalten ausgewählt und für die Gesellschaft aufbereitet, sondern sind ungefiltert für alle Internetnutzer vorhanden. Aufgrund der Neuheit der Internettechnologie und der computervermittelten Kommunikationsformen bestehen zu Beginn keinerlei Verhaltensroutinen, Textmuster und formale Vorgaben zur Gestaltung einer Seite, eines Beitrages oder eines Kommentars. Der zunächst normfreie Raum bildet erst im Laufe der Zeit Gebrauchskonventionen aus, die sich in den verschiedenen Kommunikationsformen und virtuellen Gemeinschaften weiter differenzieren.

Die Einführung von Weblogplattformen vereinfacht die Teilnahme an der Produktion und die Bereitstellung von Informationen im Format von Weblogs noch stärker.6 Diese Plattformen verfügen über Speicherplatz und Layoutvarianten, welche die Blogautoren/innen individuell auswählen und zusammenstellen können. So können Menschen auch ohne Programmierkenntnisse einen ← 19 | 20 → eigenen Weblog in kurzer Zeit erstellen und problemlos selbst verwalten. Die Kommunikationsform Weblog kann für unterschiedliche Inhalte und Zwecke genutzt werden, die Autoren reichen von Privatpersonen über Journalisten und Wissenschaftler bis hin zu Unternehmen. Es fällt auf, dass einige wenige Weblogs ungemein große Bekanntheit und Popularität erreicht haben und von vielen Menschen gelesen werden.7 Der größte Teil der Weblogs hingegen wird kaum beachtet und nur von einem kleinen Personenkreis wahrgenommen. Diese unzähligen, aber wenig gelesenen Weblogs werden überwiegend von Privatpersonen geführt, die sich selbst und ihre Welt vorstellen (vgl. Orihuela 2006: 73ff.). Laut Herring machten sie im Jahr 2003 70,4% aller von ihr untersuchten Weblogs aus (vgl. Herring et al. 2004a: 6). Schmidt erläutert:

Trotz der absoluten und relativen Dominanz von Online-Journalen wird dieser Weblog-Typ im öffentlichen Diskurs vielfach nicht ernsthaft wahrgenommen, weil seine Vertreter entweder als „irrelevante Online-Tagebücher“ abgewertet werden oder gegenüber anderen, eher auf externale Reflexionen ausgerichteten Typen (wie dem oft journalistisch orientierten Filter-Weblog oder dem als Wissensspeicher verwendeten „knowledge-log“) marginalisiert sind (Schmidt 2006: 69).

Gerade diese persönlichen Weblogs stellen aber ein interessantes Untersuchungsfeld dar, da anhand dieser Kommunikation der aktuelle Sprachgebrauch beobachtet werden kann. Trotz der ganz unterschiedlichen Thematiken und Autoren hat sich Selbstdarstellung als Hauptziel in den meisten Weblogs herausgebildet. Menschen haben den Drang, sich den riesigen virtuellen Raum des WWW zu erschließen, sich darin einen Platz zu schaffen und in diesem Raum zu agieren. Mit Weblogs haben sie ein überaus flexibles und individuell formbares Format gefunden, um einzelne Aspekte ihrer Persönlichkeit für andere Menschen via Internet öffentlich sichtbar zu machen und fortlaufend zu gestalten.8 Die Darstellung der Identität in Weblogs und in anderen Kommunikationsformaten ist Thema verschiedener Studien; auch Unterschiede zwischen realer und virtueller Identität werden beleuchtet und diskutiert (siehe u.a. Döring 2003; Döring 2010; Carrington 2009; Metzner-Szigeth 2008). Es wird deutlich, dass sich die Darstellungsweisen ändern, nicht jedoch die Tatsache, dass Menschen sich in unterschiedlichen Rollen inszenieren. Eine Neuerung ist der Zugang zu bislang privaten Daten für ← 20 | 21 → eine große Öffentlichkeit, d.h. jede Person mit Computer und Internetanschluss kann prinzipiell alle Daten abrufen. Der Körper, der eine Vielzahl an Informationen über die Identität eines Menschen — Geschlecht, Alter, Aussehen, Kleidung, Verhalten, Gestik und Mimik — zeigt, ist in computervermittelter Kommunikation nicht sichtbar. Sprache wird somit zum hauptsächlichen Ausdrucksmittel der Identität. Döring merkt an: „An die Stelle der Körperdekoration (z.B. Frisur, Rasur, Schmuck, Kleidung) tritt etwa die Textdekoration (z.B. Einsatz von Textfarben, Hintergrundfarben, Hintergrundmustern, Formatierungen). Chronemik gewinnt an Bedeutung, […]“ (Döring 2003: 43). Zum einen haben die Personen die Intention, sich individuell darzustellen und ihren Schreibstil zu finden. Zum anderen möchten sie sprachlich zeigen, dass sie sich mit den neuen Kommunikationsformen auskennen und Teil einer bestimmten Gruppe im Netz sind, beispielsweise Mitglieder einer Forumsdiskussion oder Teilnehmer eines Chatrooms. Auch wenn Sprache als wichtigster Träger der Identität in virtuellen Kommunikationsräumen genannt wird, gibt es keine Analysen zu den sprachlichen Phänomenen und textuellen Ausdrucksformen in persönlichen Homepages, Weblogs und sozialen Netzwerken, in denen Selbstdarstellung als Hauptfunktion fungiert. Insbesondere für französischsprachige Weblogs, die sich ungemein hoher Popularität erfreuen, fehlen umfassende Studien.9

1.2 Aufbau der Arbeit

In der vorliegenden korpusbasierten Studie wird die neu entstehende Textsorte der blogs extimes beschrieben und deren sprachliche Charakteristika qualitativ analysiert.10 Das Korpus besteht aus Blogeinträgen und Kommentaren der Plattform Skyrock, die von den Mitgliedern zur privaten Selbstdarstellung und zur Kommunikation untereinander genutzt wird. Die Verwendungsweise von Skyrock weist Parallelen zu sozialen Netzwerken auf, in denen sich die Mitglieder vorstellen und miteinander kommunizieren. Soziale Netzwerke legen jedoch im Unterschied zu Skyrock größeren Wert auf das Erstellen eines Freundes-Netzwerkes und bieten ← 21 | 22 → nur wenig Raum für eigene Texte und Gedanken. Bei der vorliegenden Untersuchung wird insbesondere die Identitätsdarstellung durch sprachliche und visuelle Gestaltung beachtet. Zudem wird die Spannung zwischen individueller Präsentation und gleichzeitigem Ausdruck der Zugehörigkeit zur Gruppe einer französischen Weblogplattform untersucht.

Der Stand der Forschung bietet eine Übersicht über die bisherigen Arbeiten zu Sprache in computervermittelter Kommunikation (siehe Kapitel 2). Es zeigt sich, dass der Großteil der Arbeiten in der germanistischen und anglistischen Linguistik entstanden ist. Zur Analyse der Kommunikation in Weblogs können Arbeiten aus anderen Forschungsbereichen wie Soziologie, Kommunikationswissenschaften und Kulturwissenschaften herangezogen werden. In Kapitel 3 wird zunächst eine in der Soziologie allgemein anerkannte Definition von Identität gegeben, um anschließend den Begriff der ‚virtuellen Identität‘ und die Identitätsdarstellung in Weblogs zu beschreiben. Daran schließt sich ein Aufriss der Geschichte der Weblogs und eine Charakterisierung dieser Kommunikationsform im Vergleich zu anderen computervermittelten Kommunikationsformen an (siehe Kapitel 4). Das Kapitel 5 bietet eine Übersicht über wichtige theoretische Konzepte, die im Laufe der Analysen wieder aufgegriffen werden. Außerdem werden die für die anschließenden Analysen gewählten Vorgehensweisen erläutert. Das Korpus, das der Untersuchung zugrunde liegt, wird vorgestellt und ein Werkzeug zur Auswertung der Texte beschrieben (siehe Kapitel 6). Die Analyse gliedert sich in drei große Bereiche. In der ersten Untersuchung in Kapitel 7 wird gezeigt, auf welche Weise innerhalb der Weblogs bereits bestehende Textsorten aus der ‚Off-line-Kommunikation‘ genutzt werden. Für die Chat-Kommunikation ist bereits beobachtet worden, „dass sprachliche Elemente und Versatzstücke aus diversen Diskurswelten zu einem spezifischen Stilmix zusammengebastelt werden […]. Durch das Prinzip der Bricolage wird die sprachliche Variation erhöht und [es] entstehen neue Schreibstile […]“ (Runkehl/Schlobinski/Siever 1998: 115). In den persönlichen Weblogs werden Textsorten, die bereits vor der Entstehung von Weblogs zur Identitätsdarstellung genutzt wurden, aufgegriffen und abgeändert wie Poesiealben- oder Tagebuch-Einträge. Auf der Textebene wird darüber hinaus Gestaltung und Layout der Artikel, Schrift-Bild-Relationen und Video- oder Audioquellen, die in die Texte eingebunden werden, analysiert. Das zweite Analysekapitel beschäftigt sich mit der Kommunikation, die innerhalb der Blogplattform entsteht (siehe Kapitel 8). Für diese pragmatische Untersuchung sind lexikalische, morphologische und semantische Besonderheiten und ihre Bildungsverfahren zu beachten: Zu welchen Zwecken werden sie verwendet, tragen sie zur Identifikation der Einzelperson zur Gesamtgruppe bei oder stellt sich jeder individuell dar? Anhand einiger Sprachhandlungen, wie Kommentare fordern / abgeben und bewerten des Blogs, lassen ← 22 | 23 → sich formelhafte Floskeln aufzeigen, die innerhalb der Bloggemeinschaft verwendet werden und zur Stärkung der Gruppenzugehörigkeit beitragen. Im dritten Analysebereich stehen die sprachlichen Unterschiede zwischen Blogeinträgen und Kommentaren und die jeweilige Konzeption im Fokus (siehe Kapitel 9). Die Unterschiede zeigen sich vor allem in syntaktischen Strukturen wie beispielsweise der Verwendung der doppelten Negation in den Posts und der einfachen Negation in den Kommentaren. In den textbasierten Kommentaren finden sich darüber hinaus stark verkürzte Schreibweisen, Emoticons, Leetspeak und Flüchtigkeitsfehler, die aus Untersuchungen von Chat-Protokollen und anderen quasi-synchronen Kommunikationsformen bekannt sind. In den Blogartikeln hingegen orientiert sich die Orthographie stärker am Standard.11 Es zeigt sich, dass neben den Kommunikationsbedingungen die Textsorten, die den jeweiligen Blogeinträgen und den Kommentaren als Vorbild dienen, die Konzeption der Texte beeinflussen. Außerdem werden die Dialoge in den Kommentaren, die sich aufgrund der Blogartikel entwickeln, untersucht. Es kommen tatsächlich wenige Dialoge in den Kommentaren der Weblogs zustande. Eine Einteilung der Kommentare nach thematischen Gesichtspunkten zeigt im Vergleich mit der Strukturierung der Kommentare, bei welchen Themen verstärkt Diskussionen entstehen. Aufgrund der Ergebnisse der Studie kann zum einen gezeigt werden, wie Sprache zur Identitätsdarstellung genutzt wird. Zum anderen kann die aktuelle Sprachverwendung des Gegenwartsfranzösischen in computervermittelten Kommunikationsformen am Beispiel von Weblogs gezeigt und die Herausbildung paralleler Schreibstile und einer neuen, orthographischen Gebrauchsnorm beobachtet werden. Diatopische und diastratische Unterschiede sind dagegen nicht zu erkennen. Es wird deutlich, dass sich für die untersuchte Weblogplattform bestimmte Formen und Sprachhandlungen herausbilden. Die Gruppensprache wird verstärkt von jüngeren Personen verwendet, bei älteren Personen sind es häufiger weibliche als männliche Blogger, die diese Sprachhandlungen nutzen. Diasexuelle und diagenerationelle Differentiationen werden in Kapitel 10 diskutiert. Die Schreibstile sind nicht nur auf der Weblogplattform Skyrock zu finden, sie können auch in virtuellen Gemeinschaften, die ähnliche kommunikative Ziele verfolgen, festgestellt werden. Insofern kann diese Arbeit nicht nur Einblick in die Sprachstile französischer blogs extimes und in die Kommunikation sozialer Netzwerke, die der Darstellung der eigenen Person dienen, sondern gleichzeitig in das Gegenwartsfranzösische geben.

Details

Pages
312
Publication Year
2017
ISBN (ePUB)
9783631712320
ISBN (MOBI)
9783631712337
ISBN (PDF)
9783653072419
ISBN (Hardcover)
9783631681183
DOI
10.3726/978-3-653-07241-9
Language
German
Publication date
2018 (May)
Keywords
Medienlinguistik Romanistik Linguistik französische Sprachwissenschaft soziale Netzwerke computervermittelte Kommunikationsformen
Published
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 312 S., 12 s/w Abb., 55 s/w Tab.

Biographical notes

Kathrin Wenz (Author)

Kathrin Wenz studierte Romanistik an der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg und an der Université Lyon in Frankreich. Nach ihrer Promotion in Romanischer Philologie an Universität Heidelberg arbeitete sie als Lektorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Université de Poitiers in Frankreich. Neben Forschungstätigkeiten in der Linguistik ist sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der School of Education der Universität Tübingen tätig.

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