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Zur Garantenpflicht des Compliance-Beauftragten

Zugleich ein systematisierender Beitrag zu rechtssichernden Organisationspflichten und zur Dogmatik der unechten Unterlassungsdelikte

von Johannes Sebastian Blassl (Autor:in)
©2017 Dissertation 554 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch beschäftigt sich mit einem obiter dictum des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 2009 zum Bestehen strafrechtlicher Garantenpflichten von Compliance-Beauftragten unternehmensbezogene Straftaten zu verhindern. Hierzu stellt der Autor die Compliance-Diskussion in Deutschland dar, betrachtet die arbeits- und gesellschaftsrechtliche Stellung von Compliance-Beauftragten und untersucht die Unterlassungsdogmatik. Es folgt eine Untersuchung, unter welchen Voraussetzungen den Compliance-Beauftragten eine strafrechtliche Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Dritter treffen kann. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass Compliance-Beauftragte regelmäßig mangels betrieblichen Direktionsrechten keine Garantenpflicht trifft.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einführung
  • A. Einleitung und Problemüberblick
  • B. Gang der Darstellung
  • Erster Teil: Compliance
  • A. Begriffsbestimmungen
  • I. Ethische, moralische und betriebswirtschaftliche Aspekte
  • II. Abgrenzung zur Corporate Governance
  • III. Beschränkung der Compliance auf Unternehmen
  • 1. Begriff des Unternehmens
  • 2. Erweiterung auf „Nicht“-Unternehmen
  • 3. Beschränkung durch Ausschluss nicht organisationsbezogener Rechtsrisiken
  • IV. Rechtsgebietsspezifische Präzisierungen
  • 1. Abgrenzung zum ausländischen Recht
  • 2. Abgrenzung innerhalb der deutschen Rechtsordnung – „Criminal Compliance“
  • 3. Integration des Ordnungswidrigkeitenrechts
  • V. Unterscheidung zwischen „Entlastungs- und Belastungskriminalität“?
  • VI. Beschränkung auf (strafrechtlich) zulässige Maßnahmen – „Incompliant Compliance“
  • 1. Arbeitsrechtlich zulässige Compliance
  • 2. Compliance als Instrument der Rechtsbewährung
  • 3. Bestimmung der Konsequenzen rechtlicher Haftung
  • VII. Präventive und repressive Compliance
  • 1. Persönliche Haftung
  • 2. Haftung des Unternehmens
  • a) Präventive Compliance
  • b) Repressive Compliance
  • aa) Externe Sanktionierung
  • bb) Interne Sanktionierung
  • B. Effektivität von Compliance
  • I. Theorie der „besseren“ Rechtsbefolgung
  • II. Unzureichende Studienlage
  • 1. Nationale Studienlage
  • 2. Internationale Studienlage
  • C. Rechtliche Organisationspflichten zur Rechtsgewährleistung
  • I. Geldwäsche
  • II. Kreditwesen
  • 1. § 25a KWG
  • 2. § 25c Abs. 1 KWG
  • III. Wertpapierdienstleistungen
  • IV. Kapitalgesellschaften
  • 1. § 91 Abs. 2 AktG
  • a) Pflicht zum umfassenden Risikomanagementsystem
  • b) Beschränkung auf „bestandsgefährdende“ Rechtsrisiken
  • c) Keine Compliance-Pflicht aus § 91 Abs. 2 AktG
  • 2. § 76 Abs. 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG
  • 3. Ermessensreduzierung bezüglich der rechtsichernden Organisationsstruktur
  • 4. § 161 Abs. 1 AktG i. V. m. dem Deutschen Corporate Governance Kodex
  • 5. Rechtspflicht zur rechtsichernden Organisationsstruktur für Kapital­gesellschaften
  • V. Versicherungsunternehmen
  • VI. Umweltschutz
  • VII. „Beauftragtenwesen“
  • VIII. Arbeitsrecht
  • IX. Bürgerliches Recht
  • 1. § 831 BGB – Haftung für den Verrichtungsgehilfen
  • 2. Schadensersatzpflicht aus § 823 Abs. 1 BGB
  • 3. Unternehmenshaftung aus § 31 BGB
  • 4. Einbeziehung zivilrechtlichen Organisationsverschuldens nach §§ 31, 823, 831 BGB in die Criminal Compliance
  • X. Criminal Compliance – strafrechtliche Organisationspflichten?
  • 1. Mittelbare Organisationspflichten aus § 13 Abs. 1 StGB
  • 2. Organisationspflichten im Ordnungswidrigkeitenrecht
  • a) Dogmatische Konzeption und Rechtsgut von § 130 OWiG
  • b) Täterkreis von § 130 OWiG
  • c) Pflichten, die den Inhaber treffen
  • d) Die erforderliche Aufsicht
  • e) Unmittelbare Unternehmenssanktionierung
  • f) Haftungsgebilde der §§ 9, 30 und 130 OWiG
  • g) Sanktionierung von Unternehmen in der Praxis nach dem OWiG
  • h) Rechtspflicht zu Compliance aus §§ 30, 130 OWiG
  • XI. Zusammenhang sanktions- und zivilrechtlicher Organisationsforderungen
  • D. Rechtspflicht zur Compliance aus Gesamtanalogie
  • E. Compliance in ausländischen Rechtsordnungen
  • F. Entwicklung und Herkunft von Compliance
  • G. Compliance-Maßnahmen
  • H. Ziel und Funktion von Compliance
  • I. Notwendigkeit von (Criminal) Compliance
  • J. Fazit
  • Zweiter Teil: Compliance-Beauftragte
  • A. Begrifflich Annäherung
  • I. Literatur
  • II. Bundesgerichtshof
  • III. Problematik von obiter dicta
  • B. Besetzung der Compliance-Funktion
  • I. Interne oder externe Besetzung
  • II. Mitglied der Geschäftsführung als Compliance-Beauftragter
  • C. Verfügbarkeit über die Compliance-Funktion
  • D. Compliance-Beauftragte in Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • I. Konkretisierung durch Vorschriften des Wertpapierhandelssektors
  • II. Weisungsgebundenheit des Compliance-Beauftragten gegenüber der Unternehmensführung im Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • E. Anforderungen an Compliance-Beauftragte
  • I. Soziale Kompetenzen („Soft Skills“)
  • II. Fachliche Kompetenzen („Hard Skills“)
  • F. Aufgaben von Compliance-Beauftragten
  • I. Prävention
  • II. Beratung
  • III. Informationssteuerung
  • IV. Kontrollfunktion
  • V. Dokumentation
  • VI. Sanktionierung
  • G. Der Compliance-Beauftragte – ein (gesetzlicher) Unternehmensbeauftragter?
  • I. Gesetzliche Zuweisung von Aufgaben und Kompetenzen
  • II. Schutz von Belangen des Allgemeinwohls
  • H. Arbeitsrechtliche Stellung des Compliance-Beauftragten
  • I. Eigenschaft als Arbeitnehmer
  • II. Leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG
  • I. Hierarchische Stellung des Compliance-Beauftragten
  • J. Unabhängigkeit von Compliance-Beauftragten
  • I. Weisungsrecht der Unternehmensführung
  • II. Kassationsrecht der Unternehmensleitung
  • III. Abhängigkeit gegenüber den übrigen Unternehmensangehörigen
  • K. Befugnisse, Kompetenzen und Rechte
  • I. Abgeleitete Pflicht zur Legalitätskontrolle
  • II. Eskalationsrecht
  • III. Weisungsbefugnisse gegenüber der Unternehmensführung
  • IV. Rechtsverstöße der Unternehmensleitung – Recht zur Eskalation an das Aufsichtsorgan?
  • V. Einsichts-, Zutritts- und Auskunftsrechte
  • VI. Weisungsbefugnisse gegenüber Unternehmensangehörigen
  • VII. Recht zur externen Anzeige
  • 1. Anzeigerecht des Arbeitnehmers
  • 2. Beschränkung des Anzeigerechts
  • 3. Ausgleich zwischen Anzeigerecht und Rücksichtnahmepflicht
  • a) Schrittweises Vorgehen
  • b) Keine leichtfertig falschen Anzeigen
  • c) Keine Schädigungsmotive
  • d) Anzeige von Bagatelldelikten
  • 4. Übertragung auf den Compliance-Beauftragten
  • a) Bindung an schrittweises Vorgehen
  • aa) Eigene Strafbarkeit durch Nichtanzeige
  • bb) Schwerwiegende Rechtsverstöße
  • cc) Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Arbeitgebers
  • b) Keine leichtfertigen Anzeigen
  • c) Schädigungsmotive und Bagatelldelikte
  • d) Rechtsverstöße der Unternehmensführung
  • e) Situation im Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • f) Bekanntgabe an die Medien
  • L. Informationspflichten
  • I. Periodische Berichterstattung an die Unternehmensleitung
  • II. Anzeigepflichten bei Rechtsverstößen
  • 1. Interne Anzeige
  • 2. Beschränkung interner Anzeigepflichten
  • 3. Externe Anzeige
  • 4. Externe Anzeigepflichten für Compliance-Beauftragte im Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • M. Verhältnis des Compliance-Beauftragten zum Betriebsrat
  • N. Zivilrechtliche Haftung wegen Unterlassen
  • O. Kategorisierung der für Compliance „verantwortlichen“ Personen
  • P. Bestimmung eines konkreten Compliance-Beauftragten für die weitere Untersuchung
  • Q. Fazit
  • Dritter Teil: Dogmatik der unechten Unterlassungsdelikte
  • A. Entwicklung der strafrechtlichen Gleichstellungsproblematik
  • I. Entwicklung in der Literatur
  • 1. Die Lehre von der Rechtspflicht
  • 2. Die kausalen Lehren
  • 3. Lehren von der Rechtswidrigkeit
  • a) Formelle Rechtspflichtentheorie
  • b) Kritik an der formellen Rechtspflichtentheorie
  • aa) Unterschiede bei zivil- und strafrechtlichen Pflichten
  • bb) Systemwidrige Einbeziehung der Ingerenz
  • c) Materielle Rechtspflichtentheorie
  • d) Systematische Kritik – die „doppelte“ Rechtswidrigkeit
  • e) Tätertypenlehre
  • f) Garantenlehre von Nagler
  • g) Die Funktionslehre von Kaufmann
  • II. Entwicklung in der Rechtsprechung
  • B. Trennung von Begehung und Unterlassung
  • I. Subsidiarität der Unterlassung
  • II. Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit
  • III. Nichtvorliegen von Begehungskausalität
  • C. Das „Unterlassen“ im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB
  • I. Dogmatische Trennung von tatbestandlichem Unterlassen und Garantenstellung
  • II. Möglichkeit des Einschreitens: die individuelle Handlungsfähigkeit
  • 1. Physisch-real – die Unfähigkeit zur gebotenen Handlung
  • 2. Psychisch – die Verkennung des Sachverhalts
  • 3. Rechtliche Unmöglichkeit
  • III. Das wirksamste Mittel zur Erfolgsabwendung – strafrechtliche Pflicht zur individuell bestmöglichen Rettungshandlung?
  • 1. Rücktrittsdogmatik
  • a) Chanceneröffnungstheorie
  • b) Bestleistungstheorie
  • c) Unterscheidung nach eigen- und fremdhändigen Erfolgsabwendungen
  • 2. Übertragung auf Handlungsanforderung beim Unterlassungsdelikt
  • a) Dogmatischer Einwand gegen die Bestleistungstheorie – Analogie zum vollendeten Begehungsdelikt
  • b) Rechtspraktische Einwände gegen die Bestleistungstheorie
  • c) Objektive Zurechnung des Verhinderungserfolgs
  • D. Erfolg im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB
  • E. Unzumutbarkeit der Erfolgsabwendung
  • F. „Kausalität“ des Unterlassens
  • I. Naturwissenschaftliche Kausalität, normative Kausalität und Erfolgszurechnung
  • II. Zurechnung des Erfolges bei „Risikoverminderung“
  • G. „Rechtliches Einstehenmüssen“ – die Tautologie des § 13 Abs. 1 StGB
  • I. Garantenstellung und Garantenpflicht – begriffliche Unterscheidung und dogmatische Betrachtung
  • II. Begründung von Garantenstellungen
  • 1. Vorangegangenes Tun – Ingerenz
  • 2. Materielle Begründung
  • a) Monistische Konzeptionen
  • aa) Berechtigtes Vertrauen
  • bb) Analogistisches Herrschaftsmodell Schünemanns
  • cc) Soziale Beziehungen
  • dd) Fallvergleichung
  • ee) Freiwillige faktische Gewahrsamsübernahme – weder notwendiges noch hinreichendes Merkmal einer Garantenstellung
  • ff) Beschränkung der materiellen Ansätze
  • b) Pluralistisch-materielle Begründung mittels einer funktional-differenzierten Bestimmung
  • aa) Institutionelle und organisatorische Zuständigkeit
  • bb) Soziale Sonderverantwortlichkeit Herzbergs
  • cc) Darstellung einer systematisierenden Konzeption zur Begründung von Garanten­stellungen
  • H. Täterschaft und Teilnahme bei den Unterlassungsdelikten
  • I. Anwendbarkeit der Abgrenzungskriterien der Begehungsdelikte?
  • 1. Subjektive Theorien
  • 2. Tatherrschaft
  • II. Abgrenzung anhand der Unterlassungsdogmatik
  • III. Pflicht- und Herrschaftsdelikte
  • IV. Einheitstäterschaft bei Unterlassungsdelikten
  • I. Garantenstellung als strafrechtliches Gleichstellungsmerkmal
  • I. Wertungswidersprüche
  • II. Garantenstellung als Gleichstellungsmerkmal
  • J. Fazit
  • Vierter Teil: Strafrechtliches Einstehenmüssen von Compliance-Beauftragten
  • A. Tatbestandliches Unterlassen des Compliance-Beauftragten im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB
  • I. Dogmatische Trennung von der Garantenstellung
  • II. Unzureichendes betriebliches Direktionsrecht als individuelle Handlungsunfähigkeit?
  • B. Zurechnung bei drittvermitteltem Rettungsgeschehen
  • C. Garantenstellung von Betriebsbeauftragten und Amtsträgern
  • I. Amtsträger
  • II. Betriebsbeauftragte
  • D. Geschäftsherrenhaftung
  • I. Rechtsgüterschutz und Autonomie
  • II. Neuere BGH-Rechtsprechung zur Geschäftsherrenhaftung
  • 1. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 – Aktenzeichen: 4 StR 71/11
  • 2. BGH, Urteil vom 10. Juli 2012 – Aktenzeichen: VI ZR 341/10
  • III. Garantenstellung des Geschäftsherrn
  • 1. Befehls- und Organisationsherrschaft über die Betriebsangehörigen
  • 2. Verantwortlichkeit für einen Organisationskreis – Gleichsetzung von personalen und sachlichen Gefahrenquellen?
  • 3. Geschäftsherrenhaftung aus Ingerenz
  • 4. Gesetzliche Vorschriften – Nachweis oder Ausschluss strafrechtlicher Geschäftsherrenhaftung?
  • 5. Strukturmerkmale der Garantenstellung
  • IV. Betriebsbezogenheit der zu verhindernden Straftat
  • 1. Merkmal der Geschäftsherrenhaftung
  • 2. Konkretisierung
  • a) Inhaberpflichten im Sinne des § 130 OWiG
  • b) Anknüpfung an den Aufgabenbereich des Aktivtäters
  • c) Abgrenzung nach Tatmotiv
  • d) Ausnutzung der tatsächlichen oder rechtlichen betrieblichen Wirkungsmöglichkeiten
  • e) Spezifischer Betriebsbezug
  • E. Garantenstellung von Compliance-Beauftragten
  • I. Funktionale und rechtsgüterbezogene Unterscheidung
  • II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit trotz eigenverantwortlichen Handelns Dritter
  • 1. Eigenverantwortlichkeit, ein Rechtsprinzip?
  • 2. Normatives Vertrauen in Rechtskonformität Dritter
  • 3. Beschränkung strafrechtlicher Verantwortung durch Eigenverantwortlichkeit
  • 4. Spezifikum strafrechtlicher Zurechnung bei eigenverant­wortlichem Dritthandeln im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte
  • a) Unterschiedliche Bedeutung der Eigenverantwortlichkeit nach Art der Garantenstellung
  • b) Einschränkung durch Betriebsbezogenheit bei Überwachergaranten
  • c) Rechtsgutsnähe als Ausgleich der Eigenverantwortlichkeit
  • III. Originäre Garantenstellung
  • 1. Aus Gesetz
  • 2. Aus Arbeitsvertrag
  • 3. Überwachergarantenstellung
  • a) Ingerenzgarantenstellung aufgrund pflichtwidriger Compliance-Organisation
  • b) Originäre, normative Herrschaft über personelle Gefahrenquellen
  • 4. Beschützergarantenstellung
  • a) Für Rechtsgüter des Unternehmens
  • b) Für Rechtsgüter Dritter
  • IV. Zwischenfazit zu einer originären Garantenstellung von Compliance-Beauftragten
  • V. Abgeleitete Garantenstellung?
  • 1. Akzessorische strafrechtliche Verantwortlichkeit?
  • 2. Existenz einer originären Garantenstellung der Unternehmensleitung
  • a) Bedeutung gesetzlicher Unternehmensorganisationspflichten
  • b) Beschützergarantenstellung der Unternehmensleitung
  • aa) Für Rechtsgüter des Unternehmens
  • bb) Für Rechtsgüter Dritter
  • (1) Veröffentlichung von Selbstverpflichtungen zu rechtskonformem Verhalten
  • (2) Vertragliche Vereinbarungen zu „Compliance“
  • c) Überwachungsgarantenstellung der Unternehmensleitung
  • aa) Für Rechtsgüter des Unternehmens
  • bb) Für Rechtsgüter Dritter – „klassische“ strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung
  • cc) Pflichtwidrige Unternehmensorganisation
  • 3. Abgeleitete Garantenstellungen – Delegation als begründendes Merkmal einer Garantenstellung?
  • a) Delegierte Schutzfunktion
  • b) Delegierte Überwachungsfunktion
  • 4. Übernahme von Garantenpflichten aus Ingerenz?
  • 5. Abgeleitete Beschützergarantenstellung wegen Setzung eines berechtigten Vertrauenstatbestandes durch die Unternehmens­führung
  • 6. Abgeleitete Überwachergarantenstellung aufgrund eines abgeleiteten betrieblichen Direktionsrechts
  • VI. Zwischenfazit zu einer abgeleiteten Garantenstellung von Compliance-Beauftragten
  • VII. Der Compliance-Beauftragte im Wertpapierdienstleistungsunternehmen
  • 1. Beschützergarantenstellungen für Rechtsgüter Dritter
  • 2. Überwachergarantenstellung zu Gunsten Dritter
  • VIII. Relevanz der hierarchischen Position im Unternehmen für die Garantenpflicht
  • F. Die konkrete Erfolgsabwendung – Inhalt und Umfang spezifischer Garantenpflichten
  • I. Das wirksamste Mittel zur Erfolgsabwendung – die „optimale“ Rettungs­handlung
  • II. Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
  • 1. Strafrechtlich relevante Handlungen
  • 2. Arbeitsvertragliche Pflichtverletzung
  • Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
  • A. Thesenartige Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • B. Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

Die verwendeten Abkürzungen folgen den Abkürzungsvorschlägen in: Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Auflage, Berlin/ Boston 2015. Dort nicht aufgeführte Abkürzungen sowie Abweichungen von den dort vorgeschlagenen werden folgend dargestellt.

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Einführung

A.  Einleitung und Problemüberblick

Die Untersuchung beschäftigt sich mit der BSR-Entscheidung1 des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2009 und einem dort geäußerten obiter dictum zum Bestehen strafrechtlicher Garantenpflichten von Compliance-Beauftragten, unternehmensbezogene Straftaten zu verhindern.

Die hier durch den BGH vorgenommene Verknüpfung eines (vermeintlichen) „Modethemas Compliance“ mit der tief in der Strafrechtsdogmatik verwurzelten Frage nach einer strafrechtlichen Gleichstellung von Tun und Unterlassen, stellt freilich zunächst besondere Herausforderungen an eine sinnhafte thematische Begrenzung:

Die Diskussion um eine strafrechtliche Gleichstellung von Tun und Unterlassen wird bereits seit über 300 Jahren kontrovers geführt. Sie ist kaum noch zu überschauen und bereits Gegenstand vieler wissenschaftlicher Abhandlungen gewesen, jedoch ohne, dass diese bis heute eine auch nur annähernd konsensfähige Lösung hervorgebracht hätten.2 Die Compliance-Diskussion ist im Gegensatz hierzu vergleichsweise jung3 und befindet sich aufgrund ihrer Aktualität in einem fortgesetzten Wandel.

Weiterhin kam, um der Thematik gerecht zu werden, nur eine interdisziplinäre Untersuchung in Betracht. Es lassen sich keine belastbaren Aussagen zur strafrechtlichen Haftung von Compliance-Beauftragten treffen, ohne eingehende Erörterung von arbeitsrechtlichen, gesellschaftsrechtlichen und auch betriebswirtschaftlichen Fragestellungen. Eine auf rein strafrechtliche Fragestellungen ← 29 | 30 → beschränkte Untersuchung würde eine sinnhafte Bearbeitung an vielen Punkten nicht möglich machen oder wäre schlicht unzureichend,4 denn das Strafrecht ist akzessorisch, Garantenpflichten von Compliance-Beauftragten sind es im Besonderen, wie etwa die Berücksichtigung von arbeitsvertraglichen Pflichtverstößen im Rahmen einer Zumutbarkeitsprüfung bei dem Unterlassungsdelikt zeigt.5

B.  Gang der Darstellung

Die Arbeit beginnt im ersten Teil6 mit einer Darstellung der Compliance-Diskussion in Deutschland und einer Erläuterung der begrifflichen Grundlagen. Besondere Berücksichtigung haben die in unterschiedlichen Rechtsbereichen bestehenden Vorschriften gefunden, welche die Organisationspflichten für Unternehmen statuieren. Diese verdeutlichen und konkretisieren nicht nur die Compliance-Diskussion, sie eignen sich auch, bei Anhängern einer formellen Rechtspflichtentheorie, grundsätzlich zur Begründung strafrechtlicher Erfolgsabwendungspflichten von Compliance-Beauftragten und der Geschäftsleitung und spielen auch bei dem in der Untersuchung zu Grunde gelegten Modell zur Begründung strafrechtlicher Erfolgsabwendungspflichten im Rahmen der objektiven Zurechnung eine bedeutende Rolle.

Der zweite Teil7 der Arbeit untersucht die arbeits- und gesellschaftsrechtliche Stellung von Compliance-Beauftragten und ordnet diesen rechtlich ein. Die Untersuchung beschränkt sich an dieser Stelle auf solche außerstrafrechtlichen Aspekte, die eine Relevanz hinsichtlich einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit entfalten können. Auf Anknüpfungspunkte der arbeits- bzw. gesellschaftsrechtlichen Darstellung an strafrechtliche Haftungsfragen wird hingewiesen, ohne diese im zweiten Teil näher zu erläutern. ← 30 | 31 →

Der dritte Teil8 der Untersuchung beginnt mit einer kurzen geschichtlichen Darstellung der strafrechtlichen Gleichstellungsproblematik von Tun und Unterlassen, gefolgt von einer bewertenden Darstellung der gegenwärtigen Unterlassungsdogmatik. Schwerpunkt ist die Erstellung eines dogmatisch belastbaren und praxistauglichen Modells zur Begründung von Garantenstellungen, das sich als Grundlage für die weitere Bearbeitung eignet. Es wird kein vollständig neues Konzept generiert. Vielmehr werden bestehende Konzepte abgewandelt und systematisch eingeordnet, sodass am Ende ein dogmatisches Fundament zum Vorschein kommt, mit der sich strafrechtliche Erfolgsabwendungspflichten in einer dem Bestimmtheitsgebot in Art. 103 Abs. 2 GG genügenden Weise antizipieren lassen. Dabei soll insbesondere das von der Rechtsprechung im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte praktizierte „case-law“ überwunden werden.

Im vierten Teil9 der Arbeit werden die erarbeiteten Ergebnisse, insbesondere eine funktional-pluralistische, rechtsgüterbezogene Begründung von Garantenstellungen, auf die Person des Compliance-Beauftragten angewendet. Es wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen ihn die strafrechtliche Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Dritter treffen kann. Für die in diesem Zusammenhang relevante Dogmatik wird auf die Ausarbeitung vorangegangener Teile angeknüpft, ohne diese, um langatmige Wiederholungen und damit verbundene Störungen im Lesefluss zu vermeiden, nochmals darzustellen. Zum Abschluss der Untersuchung werden die gefunden Ergebnisse thesenartig komprimiert und es wird eine Schlussbetrachtung angestellt. ← 31 | 32 →


1 BGH 5 StR 394/08 – Urteil vom 17. Juli 2009, NJW 2009, S. 3173 (3173 ff.).

2 In diesem Sinne auch Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 1: „Eine Arbeit über das Unterlassungsdelikt bedarf heute, so scheint es, einer besonderen Rechtfertigung. Denn kaum ein anderes Gebiet der Strafrechtsdogmatik ist so sehr mit dem Odium belastet, Betätigungsfeld eines zwar unermüdlichen, indessen mehr selbstgenügsamen als fruchtbaren Scharfsinns geworden zu sein“; ähnlich auch Berster, Das unechte Unterlassungsdelikt, S. 78: „Seit nunmehr 178 Jahren schreiben Dogmatiker jenes ,dunkelste Kapitel‘ des Allgemeinen Teils fort, das mittlerweile – so möchte man meinen – von naturalistischen Spitzfindigkeiten bis hin zu normativistischen Luftschlössern alle nur denkbaren Lösungsansätze durchdekliniert hat, und gleichwohl nicht zu einer von nachhaltigem Konsens getragenen Lösung finden konnte“.

3 Vgl. Eisele, WM 1993, S. 1021 (1021), mit dem Hinweis, dass sich Compliance auch außerhalb der Bankenwelt zu einem wichtigen Thema entwickeln wird.

4 Poguntke, Risiken für Compliance-Beauftragte, S. 566, der am Ende seiner Untersuchung zu den strafrechtlichen Risiken von Compliance-Beauftragten, angelehnt an Goethes Faust, ausführt: „Habe nun, ach! Strafrecht, Arbeits- und Gesellschaftsrecht, Und, leider! auch Ökonomie Durchaus studiert mit heißem Bemühen. Da steh’ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor!“; ebenfalls auf den Bedarf an interdisziplinären Kompetenzen im Forschungsfeld Compliance hinweisend Hilgendorf, in: R-Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 31; Stober, FS Koch, S. 91 (102 f.).

5 Vgl. unter 4. Teil, C. II. 2.

6 Vgl. unter 1. Teil.

7 Vgl. unter 2. Teil.

8 Vgl. unter 3. Teil.

9 Vgl. unter 4. Teil.

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Erster Teil: Compliance

Um eine genaue Auseinandersetzung mit der Frage zu ermöglichen, ob den Compliance Officer eine Garantenpflicht zur Hinderung Dritter an Straftaten trifft, muss zunächst der Frage nachgegangen werden, welches Begriffsverständnis von Compliance als Arbeitsgrundlage der folgenden Untersuchung dient.10 Ziel und Zweck ist es nicht, eine allgemeingültige Compliance-Definition zu entwickeln. Es soll lediglich ein für diese Untersuchung fruchtbar zu machendes Verständnis von Compliance entwickelt werden.11

A.  Begriffsbestimmungen

Die Verwirrung um den Begriff der Compliance ist groß. Es finden sich bereits nach kurzer Beschäftigung mit der Thematik unterschiedliche mit Compliance verbundene Begrifflichkeiten: „Corporate Governance“12 „Criminal Compliance“13, „Corporate Compliance“14, „Corruption Compliance“15 „Non Compliance“16, „Cross Compliance“17 „materielle und formelle Compliance“18, Compliance im „engen und im weiten Sinne“19, sowie „Hard- und ← 33 | 34 → Soft-Compliance“20. Häufig werden die Begrifflichkeiten auch miteinander kombiniert.21 Zwar bezwecken die jeweiligen Diskutanten mit den sprachlichen „Zusätzen“ eine inhaltliche Konkretisierung des Compliance-Begriffes, dies gelingt häufig aber deshalb schon nicht, weil im Anschluss Erläuterungen ausbleiben, wie sich das jeweilige Compliance Verständnis von dem anderer differenzieren soll.

Das Wort „Compliance“ stammt aus dem angelsächsischen und leitet sich von dem Verb „to comply with“ ab, was sich wörtlich mit „etwas befolgen“ bzw. „etwas einhalten“ übersetzen lässt.22 Der Begriff ist ohne Übersetzung in die deutsche Rechtssprache eingezogen.23 Ursprünglich wurde der Begriff „Compliance“ in der Medizin verwendet. Dort versteht man darunter die Befolgung ← 34 | 35 → von therapeutischen Anweisungen durch Patienten.24 Das deutsche Gesetz nennt zwar in bestimmten Vorschriften den Begriff der Compliance25, bleibt eine Definition aber schuldig.26 Auch durch die Rechtsprechung hat der Begriff der Compliance kaum inhaltlichen Konturen erhalten.27

Einige sind der Auffassung, die Compliance-Diskussion sei eine „Binsenweisheit“,28 es würde sich bei ihr um „alten Wein in neuen Schläuchen“29 handeln.30 ← 35 | 36 → Was Kritiker einer solchen Compliance-Diskussion anführen, lässt sich zumindest vordergründig gut hören: Versteht man Compliance als Handeln im Einklang mit dem geltenden Recht, als einfache „Rechtsbefolgung“, handelt es sich zweifelsohne um eine „Binsenweisheit“. Die Pflicht aller Menschen im Einklang mit den geltenden Gesetzen zu handeln, ist Daseinsberechtigung selbiger.31 Regeln ohne Befolgungsanspruch sind Makulatur. Mit den Kritikern könnte man die Auffassung vertreten, die gesamte Compliance-Diskussion sei verfehlt, beschreibt sie nur die (simple) Tatsache, dass sich jeder rechtmäßig zu verhalten habe. Dass sich auch Unternehmen, deren Umwelt mit dem Ordnungsmechanismus des Rechts ausgestaltet ist und die nicht zuletzt selbst rechtlich verfasst sind, rechtstreu zu verhalten haben, ist eine Selbstverständlichkeit.32

Die Verwirklichung dieser „Selbstverständlichkeit“ innerhalb komplexer Großorganisationen, deren oberstes Ziel in Gewinnmaximierung liegt, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Dies folgt einerseits aus einer kriminogenen Wirkung wettbewerblicher Strukturen, andererseits aus der ungebrochenen Tendenz zur Verrechtlichung wirtschaftlicher und sozialer Sachverhalte, die eine enorme Regelungsmenge mit erheblicher normativer Komplexität nach sich zieht.33 Hinzukommt, dass anders als bei natürlichen Personen, die grund sätzlich eigenverantwortlich ← 36 | 37 →

handeln, nicht nur die Einhaltung von rechtlichen Vorschriften bei arbeitsteilig handelnden Organisationen komplexer ist, sondern, dass auch die Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit sich regelmäßig schwieriger gestaltet.34 Die im Folgenden dargestellten Vorschriften normieren Organisationsanforderungen an Unternehmen und sollen der Einhaltung anderer Normen dienen. Man könnte zugespitzt auch von „Normenschutz durch Normen“ sprechen. Ein Bedarf an Vorschriften, die ihrerseits („nur die Selbstverständlichkeit“) Normkonformität absichern sollen, macht deutlich, dass es sich bei der Compliance-Diskussion um weit mehr als um eine „Binsenweisheit“ handelt.

Zutreffend bleibt an einer Kritik der Compliance-Diskussion, dass Compliance keinem Selbstzweck dient und in der gegenwärtigen Diskussion häufig die Antwort auf die Frage fehlt, worin die konkrete Besonderheit von Compliance besteht. Eine Besonderheit, die über die allgemein bekannte Information (Binsenweisheit) hinausgeht: „Gesetze sind zu befolgen“. Lässt man diese Aussage alleine stehen, handelt es sich bei ihr in der Tat um eine „Binsenweisheit“ – um die Pflicht zur Legalität. Interessant wird die Diskussion erst an dem Punkt, an dem die Frage gestellt wird, wie diese Legalitätspflicht durch das Vorhalten privater, zunächst präventiv wirkender Strukturen, zu gewährleisten ist. Compliance steht auch für den Versuch Haftungsrisiken für Unternehmen und persönliche Haftungsrisiken der Unternehmensangehörigen durch Organisation zu reduzieren.

Sachdienlich für den weiteren Verlauf der Arbeit ist es kurz darzustellen, was für die folgende Bearbeitung aus dem der Untersuchung zu Grunde liegenden Compliance-Verständnis ausgenommen wird. Was keineswegs bedeuten soll, dass es nicht wichtige Gründe gibt Nachfolgendes, auch unter dem Begriff der Compliance zu diskutieren. Die vorgenommene Beschränkung dient lediglich einer Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. ← 37 | 38 →

I.  Ethische, moralische und betriebswirtschaftliche Aspekte

Vermehrt werden ethische, moralische35 und betriebswirtschaftliche36 Gesichtspunkte und deren Einhaltung unter dem Begriff Compliance diskutiert.37 Die Forderung nach ethischem Handeln in der Wirtschaft nimmt in der öffentlichen Diskussion verständlicherweise zu. Im Folgenden geht es – um sich auch kurz an der Begriffsschöpfung zu beteiligen – um „juristische Compliance“.38 Moralische, ethische und wirtschaftliche Gesichtspunkte bleiben für die folgende Untersuchung außer Betracht.39 Der Arbeit wird somit ein rein-rechtlicher Compliance-Begriff ← 38 | 39 → zugrunde gelegt.40 Dies bedeutet nicht, dass etwa die Aufstellung von unternehmensinternen Ethikrichtlinien oder ähnliches nicht auch wichtige und wirksame Compliance-Maßnahmen darstellen können, die somit (mittelbar) auch Einfluss auf den Untersuchungsgegenstand haben können.41 Ein eingerichtetes Compliance-System kann, über seine Kernaufgabe hinaus – Sicherstellung gesetzlicher Regelbefolgung – auch die Einhaltung von Ethikregeln im Unternehmen (sog. „Bussiness-Ethics“) und weiterer interner Unternehmensregeln überwachen.42

Compliance soll (hier) als Teil des Rechts verstanden werden und nicht als ein neues Ordnungsinstitut neben dem Recht.43 Rechtspflichten, die sich aus Gesetzen und Verordnungen ergeben, sind konsequent von moralischen oder ethischen und damit im Ergebnis fakultativen Handlungen zu unterscheiden.44

II.  Abgrenzung zur Corporate Governance

Häufige Unklarheit herrscht bei der begrifflichen Abgrenzung von Compliance zu der sog. „Corporate Governance“. Corporate Governance45 bezeichnet einen Ordnungsrahmen zur Leitung und Überwachung von Unternehmen.46 ← 39 | 40 → Corporate Governance steht für die Gesamtheit der Maßnahmen zum „guten und verantwortungsvollen“ Leiten eines Unternehmens.47 Was hierunter im Einzelnen zu verstehen ist, lässt sich nicht konkret bestimmen. Eine präzise Definition des Begriffes scheint kaum möglich.48 Weitestgehend unstreitig, umfasst die „Corporate Governance“ auch die Einhaltung interner Unternehmensstandards. Die Erfüllung von nicht der Rechtsordnung zugehörigen Unternehmensrichtlinien geht über das in dieser Untersuchung zugrunde gelegte Compliance-Verständnis und deren Zweck, der Rechtsbefolgung, hinaus.49 Somit stellt die Corporate Governance ein „Mehr“50 zur Compliance dar, die ihrerseits ein bedeutender Bestandteil der Corporate Governance ist.51 ← 40 | 41 → Die vorgenommene Beschränkung des Compliance-Begriffs auf ein rechtliches Verständnis ist letztlich dem Thema der Arbeit geschuldet. Strafrechtliche Erfolgsabwendungspflichten folgen aus Unterlassungstatbeständen und grundsätzlich nicht aus freiwilligen Selbstverpflichtungen.52

Für Compliance lässt sich ein Dreiklang erkennen: Ausgehend von dem Ziel, das man mit (strafrechtlicher) „Haftungsvermeidung“ umschreiben kann, werden Maßnahmen entwickelt, die das Ziel gewährleisten sollen, wobei die Gesamtheit dieser Maßnahmen in einer bestimmten Organisationsform (Compliance-Abteilung) gebündelt werden.53

Die Absicht, mit der Unternehmen Compliance-Abteilungen einrichten unterscheidet sich diametral vom Ziel des Strafrechts: Beschreibt man das „Ziel“ von Strafrecht mit Rechtsgüterschutz, geht es Unternehmen bei Installation von Compliance-Strukturen um Vermeidung von (finanzieller) Haftung in ihrem wirtschaftlichen Interesse.54 Der durch Strafrecht bezweckte Rechtsgüterschutz mag häufig eine Begleiterscheinung von Compliance sein. Originäres Schutzziel von Compliance ist wirtschaftliches Interesse.55 Zu Recht wird darauf hingewiesen, ← 41 | 42 → dass ausgehend vom Unternehmensinteresse, auch in der Deliktsverheimlichung eine Compliance-Funktion liegen kann. Stellt man auf rein wirtschaftliche Faktoren ab, ist eine erfolgreiche Deliktsverheimlichung der Deliktsverhinderung gleichwertig. Durch beides wird Haftungsvermeidung gleichermaßen erreicht.56

Compliance lässt sich unter Aussparung nicht rechtlicher Aspekte zunächst wie folgt definieren: Compliance ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die das rechtmäßige Verhalten des Unternehmens und dessen Angehörigen im Hinblick auf alle gesetzlichen Ge- und Verbote gewährleisten sollen.57

III.  Beschränkung der Compliance auf Unternehmen

Die dargestellte Definition spricht von Unternehmen, sie beschränkt folglich die Compliance-Diskussion auf Unternehmen. Im Folgenden soll kurz skizziert werden, dass eine solche Beschränkung der Diskussion nicht sinnvoll ist, da unnötigerweise andere Anwendungsbereiche von Compliance ausgeklammert werden.

1.  Begriff des Unternehmens

Unternehmen lassen sich definieren als „planmäßig zusammengefügte Einheit mehrerer Personen und Sachmittel unter einheitlicher Leitung zur Erreichung des auf eine gewisse Dauer gerichteten arbeitstechnischen Zwecks, Güter oder ← 42 | 43 → Leistungen materieller oder immaterieller Art hervorzubringen oder zur Verfügung zu stellen“58.59

Es ist umstritten, ob zwischen dem Begriff des Unternehmens und dem Begriff des Betriebes notwendigerweise zu unterscheiden ist.60 Eine darüber hinausgehende Unterscheidung zwischen Unternehmen und Betrieb bedarf es, im Hinblick auf eine Compliance-Diskussion, nicht.61 Eine Unterscheidung zwischen „Betrieben“ und „Unternehmen“ würde zu einer unbestimmten und sich schnell verändernden Diskussion einen weiteren Unsicherheitsfaktor hinzufügen, ohne Erkenntnisgewinn zu versprechen. In bestimmten Bereichen, etwa im Arbeitsrecht, mag eine Unterscheidung der Begriffe „Betrieb“ und „Unternehmen“ Präzisierung bringen, innerhalb der Compliance-Diskussion ist sie nicht vorzunehmen, da ihr wie auch im Strafrecht keine Bedeutung zukommt.62 Für die ← 43 | 44 → weitere Untersuchung werden die Begriffe „Betrieb“ und „Unternehmen“ synonym verwendet.

2.  Erweiterung auf „Nicht“-Unternehmen

Die dargestellte Beschränkung der Compliance auf Unternehmen greift trotz eines weiten Verständnisses des Unternehmensbegriffs zu kurz.63 Dies lässt sich prägnant an politischen Parteien exemplifizieren:

Politische Parteien unterfallen unstreitig nicht der dargestellten Unternehmensdefinition. Ihr Zweck liegt nicht in der Hervorbringung von Gütern oder Leistungen, sondern in der Einflussnahme auf Prozesse der politischen Willensbildung.64 Maßnahmen, die das rechtmäßige Verhalten von Parteimitgliedern innerhalb von Parteistrukturen sichern sollen wären folglich nicht unter Compliance-Gesichtspunkten zu diskutieren. Eine solche Unterscheidung wäre allerdings willkürlich: Die Notwendigkeit von Compliance ergibt sich aus komplexen Strukturen und den zu der Beherrschung solcher Strukturen eingesetzten, ebenfalls komplexen Regelungswerke. Dies macht Maßnahmen notwendig, die das rechtmäßige Verhalten innerhalb dieser Strukturen sichern. Die mit zunehmender Komplexität einhergehenden Vorgänge, verbunden mit einer Machtansammlung durch Zentralisierung von Ressourcen, führen zu einer notwendigen Bündelung präventiver Organisationsmaßnahmen innerhalb einer eigenen unabhängigen Struktur, welche die Rechtskonformität gewährleisten und Risiken aus rechtswidrigem Verhalten minimieren sollen. Dargestelltes trifft aber, wenn auf Unternehmen, „erst recht“ auf politische Parteien zu und übertrifft die Argumentation hinsichtlich der Notwendigkeit von Compliance für Unternehmen sogar in zwei Punkten: Einerseits, jedenfalls nach einem demokratischen Staatsverständnis, üben politische Parteien regelmäßig mehr Macht und Einfluss als Wirtschaftsunternehmen aus, aufgrund dessen die Machtkonzentration in Teilen sogar höher sein dürfte als in Wirtschaftsunternehmen. Andererseits unterliegen Parteien teilweise sogar strengeren Regeln ← 44 | 45 → als privatwirtschaftliche Unternehmen.65 Dieser Zweiklang macht deutlich: Wer Compliance für Wirtschaftsunternehmen als notwendig erachtet, muss dies „erst recht“ für politische Parteien tun. Anders formuliert: Wer die Notwendigkeit von Compliance-Strukturen innerhalb einer politischen Partei („Political-Compliance“) bestreitet, leugnet gleichzeitig die Notwendigkeit und damit die Legitimation von Compliance insgesamt.

Die geschilderte Problematik wird hinsichtlich einer Definition des Wirtschaftsstrafrechts ebenfalls erkannt und eine Beschränkung des Wirtschaftsstrafrechts auf Unternehmen teilweise abgelehnt.66 Die Compliance-Entwicklung in Deutschland selbst, stützt ebenfalls keine Beschränkung der Compliance auf Unternehmen, so wurde Compliance bis vor wenigen Jahren nur auf vereinzelte Unternehmensbranchen und innerhalb der ausgewählten Unternehmen nur auf bestimmte Bereiche beschränkt.67 Auch die häufige Verwendung des Begriffspaares „Corporate Compliance“68, was sich mit „Compliance im Unternehmen“ übersetzen lässt, macht deutlich, dass es bei „Compliance“ nicht zwingend um die Compliance von Wirtschaftsunternehmen gehen muss, da ansonsten der Zusatz „Corporate“ unnötig wäre.

Die Compliance-Diskussion beschränkt sich nicht auf privatwirtschaftliche Strukturen und politische Parteien. Diesem Gedankengang folgt auch der Gesetzgeber, wenn er in § 130 Abs. 2 OWiG klarstellt, dass dieser auch auf alle ← 45 | 46 → Organisationsformen der öffentlichen Verwaltung mit denen diese am Wirtschaftsleben aktiv teilnimmt, anwendbar ist.69

Deshalb sollte von „Organisationen“ bzw. von „Angehörigen einer Organisation“ gesprochen werden.70 Nur bei Verwendung solcher Begrifflichkeiten wird deutlich, dass Compliance nicht nur in Unternehmen stattfindet bzw. stattfinden sollte. Im Folgenden wird häufig von „Unternehmen“ gesprochen, was die vorgenommene Erweiterung auf „Organisation“ nicht negieren soll. Dies ist der pragmatischen Erwägung geschuldet, dass der Großteil des Schrifttums im Zusammenhang mit Compliance und der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung von Unternehmen spricht und es ansonsten zu unzweckmäßigen Komplikation innerhalb der Literaturangaben kommen würde.

3.  Beschränkung durch Ausschluss nicht organisationsbezogener Rechtsrisiken

Ebenso schädlich wie eine Verengung der Compliance-Diskussion auf Wirtschaftsunternehmen ist es, diese zu „überladen“, indem sämtliche Maßnahmen, die der Erfüllung von rechtmäßigem Verhalten dienen, unter Compliance gefasst werden.

Das Streuen des Gehweges mit Salz mag sinnvoll und rechtlich geboten sein, auch um einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) zu entgehen, sollte aber nicht unter Compliance-Aspekten diskutiert werden. Dies würde die Gefahr begründen, dass sich die gesamte Diskussion in einer ← 46 | 47 → „Unschärfe“ verliert. Eine Definition soll regelmäßig eine Abgrenzungsfunktion besitzen. Um einer Konturenlosigkeit des Compliance-Begriffs entgegenzuwirken, sollte ein „Organisationsbezug“ verlangt werden.71 Es entspricht dem Sinn und Zweck von Compliance, die durch Organisation komplexer werdenden Abläufe rechtssicher zu gestalten. Einen Zustand der Rechtmäßigkeit in einem Unternehmen zu erreichen, ist aufgrund der dort vorhanden Personen- und Interessenvielfalt wesentlich schwerer zu erzielen als bei einzelnen natürlichen Personen.72 Die Beschränkung auf Unternehmen greift, wie aufgezeigt, zu kurz.73 Andererseits wird deutlich, dass nicht jedes Verhalten einer Person, das nur auf die Vermeidung von (straf-) rechtlicher Haftung abzielt, unter Compliance- Aspekten zu diskutieren ist.74 ← 47 | 48 →

IV.  Rechtsgebietsspezifische Präzisierungen

Der Begriff der Compliance ist rechtsgebietsspezifischen Präzisierungen zugänglich.75 Versteht man Compliance als die Gesamtheit aller Maßnahmen, um ein rechtmäßiges Verhalten im Hinblick auf gesetzliche Gebote und Verbote zu gewährleisten, lässt sich, darauf aufbauend, Compliance weiter eingrenzen.

1.  Abgrenzung zum ausländischen Recht

Zunächst einmal fallen unter oben genannte Definition „alle“ gesetzlichen Regelungen, so sind für viele Unternehmen häufig ausländische Gesetzesvorschriften zu beachten, etwa wenn sich Unternehmen an einer ausländischen Börse listen lassen, unterfallen sie automatisch dem jeweiligen ausländischen Kapitalmarktrecht.76 Produziert oder verkauft ein Unternehmen Waren im Ausland, hat es ausländisches Produktions- bzw. Kaufrecht zu beachten.77 Folglich entstehen für deutsche Unternehmen zahlreiche Berührungspunkte zu ausländischen Rechtsordnungen.78 Das Risiko, das aus Verstößen gegen ausländische Rechtsvorschriften resultiert, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.79 Das US-amerikanische Recht bietet umfangreiche Möglichkeiten zur Anknüpfung an Auslandssachverhalte, selbst für Unternehmen, deren Wertpapiere nicht an einer US-Börse gehandelt werden und die nicht unternehmerisch in den USA ← 48 | 49 → tätig sind. Ausreichend ist hierzu, dass Personen oder Unternehmen Handlungen zur Förderung der Korruption innerhalb der USA begehen.80 Diese weiten Anwendungsmöglichkeiten von US-amerikanischem Recht, insbesondere in Kombination mit der in den USA praktizierten Unternehmensstrafbarkeit81, ← 49 | 50 → machen die besondere Bedeutsamkeit internationaler Regelwerke für deutsche Unternehmen deutlich. Compliance kann daher nicht auf Maßnahmen zur Befolgung nationaler Gesetze beschränkt werden. Auch das US-amerikanische Strafrecht kennt, wie das deutsche Strafrecht, eine Strafbarkeit wegen pflichtwidrigen Unterlassens, die dort besonders häufig im Wirtschafts- und Verbandsstrafrecht anzutreffen ist.82

2.  Abgrenzung innerhalb der deutschen Rechtsordnung – „Criminal Compliance“

Die Antwort nach möglichen Garantenpflichten von Compliance-Beauftragten legt zunächst einen Bezug zur sog. „Criminal Compliance“83 nahe und damit zu Maßnahmen, die ein rechtmäßiges Verhalten im Hinblick auf Verstöße gegen Straf- oder Bußgeldvorschriften gewährleisten sollen. Dies folgt aus Lektüre des § 13 Abs. 1 StGB und seiner Entsprechung in § 8 OWiG. In diesen Vorschriften wird als Tatbestandsvoraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Unterlassens normiert, dass sich nur derjenige wegen Unterlassens strafbar machen kann, der „rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt“. Eine Garantenpflicht, die etwa unzulässige Kündigungen verhindern soll, kennt das deutsche Recht nicht. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass mögliche Anknüpfungspunkte für Garantenstellungen regelmäßig außerhalb des Strafrechts zu finden sind. Dazu muss man nicht Anhänger einer formellen Rechtspflichtenlehre und damit einer Begründbarkeit strafrechtlicher Erfolgsabwendungspflichten aus außerstrafrechtlichen Normen sein, etwa bei der überwiegend anerkannten Garantenstellung aus Ingerenz wird durch das Erfordernis der „Pflichtwidrigkeit“ häufig ein Bezug zu außerstrafrechtlichen Normen notwendig.84 ← 50 | 51 →

3.  Integration des Ordnungswidrigkeitenrechts

Berücksichtigt man, dass zur Abgrenzung von Ordnungswidrigkeiten und Geldbußen der Begriff der „Kriminal“-Strafe85 herangezogen wird, mag unter reinen Wortlaut-Gesichtspunkten der Begriff „Criminal“ Compliance für etwas unglücklich erachtet werden. Ordnungswidrigkeitenrecht als „Strafrecht im weiteren Sinne“86 zu bezeichnen und es damit unter Criminal Compliance zu fassen, bildet die bestehenden Abgrenzungsproblematiken zwischen Strafrecht einerseits und Ordnungswidrigkeitenrecht andererseits hingegen nur unzureichend ab.

Eine Unterscheidung zwischen Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht lässt sich zwar nach „rein formalen“ Gesichtspunkten vornehmen nämlich danach, ob der Gesetzgeber als Rechtsfolge für Zuwiderhandlungen „Strafe“ (Geld- oder Freiheitsstrafe) oder „Geldbuße“ androht,87 wobei eine solch formale Unterscheidung einen Zirkelschluss darstellt.88 Die Einteilung, was mit Geldstrafe oder Geldbuße geahndet werden soll, setzt ein Verständnis davon voraus, was Straftat bzw. was Ordnungswidrigkeit ist. Bei der Geldbuße soll es sich um keine „Kriminal“-Strafe handeln.89 Die Bedeutsamkeit des Ordnungswidrigkeitenrechts für die Criminal Compliance folgt unter anderem aus § 30 OWiG, die einzige Vorschrift, die eine unmittelbare „Unternehmenssanktionierung“ ermöglicht.90 ← 51 | 52 → § 30 OWiG durchbricht somit den Grundsatz „societas delinquere non potest“ (eine Gesellschaft kann kein Unrecht begehen).91

Criminal Compliance richtet sich vor allem an Organisationen. Es würde Sinn und Zweck (Haftungsvermeidung von Organisationen) konterkarieren, würde die Verhinderung von ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verbandshaftung nicht auch unter der sog. „Criminal Compliance“ diskutiert werden. Praktisch ist eine solche Unterscheidung ebenfalls widersinnig: Unmittelbarer wirtschaftlicher Schaden und der häufig schwerer wiegende Reputationsverlust sind unabhängig von der Bezeichnung „Geldstrafe“ oder „Geldbuße“. Diskutiert wird (jedenfalls in der Praxis) nicht, ob eine Geldbuße dasselbe „sozialethische Unwerturteil“ widerspiegelt wie eine Geldstrafe. Allein die Höhe der ausgesprochenen Sanktion findet Beachtung.92

Dies ändert nichts daran, dass Criminal Compliance ohne Berücksichtigung des Ordnungswidrigkeitenrechts Kernpunkte einer Haftungsvermeidung außer Acht lassen würde,93 weshalb unter Criminal Compliance Maßnahmen zur Nichtverwirklichung von Straftatbeständen und Ordnungswidrigkeiten zu verstehen sind.94 Der weiteren Untersuchung wird ein „weiter“ Strafrechtsbegriff zugrunde gelegt, der auch Ordnungswidrigkeiten mit umfasst. ← 52 | 53 →

V.  Unterscheidung zwischen „Entlastungs- und Belastungskriminalität“?

Teilweise wird im Rahmen der Compliance-Diskussion zwischen sog. „Belastungs- und Entlastungskriminalität“ differenziert.95 So gliedere sich Criminal Compliance nach der Art der zu verhindernden Mitarbeiterstraftaten in zwei Teile: Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus zugunsten des Unternehmens begangen werden, sog. „Entlastungskriminalität“ und Straftaten, die von Mitarbeitern zum Nachteil des Unternehmens begangen werden, sog. „Belastungskriminalität“.96 Diese Unterscheidung anhand des Tätermotivs entstammt der angelsächsischen kriminologischen Literatur, die zwischen „occupational crime“ (Belastungskriminalität) und „corporate crime“ (Entlastungskriminalität) unterscheidet.97 Sie stellt eine Weiterentwicklung der klassischen, im Jahre 1939 von Sutherland entwickelten Begrifflichkeit der „white-collar-criminality“ dar.98 Eine solche Unterscheidung innerhalb der Compliance-Diskussion sollte nicht ← 53 | 54 → getroffen werden.99 Es gibt innerhalb funktionierender Rechtsordnungen keine „Entlastungskriminalität“ für Unternehmen. Diese haben ein grundsätzliches Interesse, auch zunächst „unternehmensbegünstigende“ Straftaten zu verhindern. Solche führen, wie unmittelbare unternehmensschädigende Taten, mittelbar zu negativen rechtlichen Konsequenzen und zu Reputationsverlust und den damit verbundenen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen. „Entlastungskriminalität“ ist ein theoretisches kontrafaktisches Gedankenkonstrukt und sollte bei der kontrovers geführten Compliance-Diskussion nicht für weitere Unklarheiten sorgen.

VI.  Beschränkung auf (strafrechtlich) zulässige Maßnahmen – „Incompliant Compliance“

Details

Seiten
554
Erscheinungsjahr
2017
ISBN (ePUB)
9783631708279
ISBN (MOBI)
9783631708286
ISBN (PDF)
9783653068412
ISBN (Hardcover)
9783631675113
DOI
10.3726/b11295
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Mai)
Schlagworte
Unterlassen Geschäftsherrenhaftung Herrschaft im Unternehmen
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 554 S.

Biographische Angaben

Johannes Sebastian Blassl (Autor:in)

Johannes Sebastian Blassl studierte Rechtswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen, wo er auch promoviert wurde. Er ist als Rechtsanwalt in einer großen Wirtschaftskanzlei auf den Gebieten des Bank- und Kapitalmarktrechts tätig, seine Schwerpunkte liegen dabei im Finanzaufsichtsrecht sowie in compliance-relevanten Fragestellungen.

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Titel: Zur Garantenpflicht des Compliance-Beauftragten